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Beschreibung

Einhundertfünfzig Jahre nach dem Kollaps. Die Menschen haben sich in eine Festung im Norden Europas zurückgezogen. Geschützt unter einer Kuppel aus purer Energie versuchen sie sich ihren Platz auf der Erde zurückzuerobern. Denn tödliche Kreaturen durchstreifen den Kontinent und führen noch immer Krieg gegen die letzten Überlebenden. Als Jan und sein Flügelmann Kai bei einem Routineflug verschwinden, beginnt für die beiden ein Kampf ums Überleben in der grünen Hölle, die Mitteleuropa mittlerweile geworden ist. Doch von unerwarteter Seite naht Hilfe. Und auch die Freunde der beiden Piloten sind nicht gewillt, die Suche nach den Vermissten einfach aufzugeben.

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Heiko Kohfink
KONTAKT – Funguszyklus Buch 2
Impressum
ISBN: 9783754658413
Copyright © 2020 Heiko Kohfink
(Pseudonym HK Kohfink)
Uhlandstr.7/72124 Pliezhausen
Kontakt: www.heiko-kohfink.de
Coverdesign: Giusy Ame / Magicalcover
Bildquelle: Depositphoto
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Der Autor übernimmt keine Haftung für die Inhalte der genannten Webseiten Dritter, da er sich diese nicht zu eigen macht, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweist.
Zu diesem Buch: Einhundertfünfzig Jahre nach dem Kollaps. Die Menschen haben sich in eine Festung im Norden Europas zurückgezogen. Geschützt unter einer Kuppel aus purer Energie versuchen sie sich ihren Platz auf der Erde zurückzuerobern. Denn tödliche Kreaturen durchstreifen den Kontinent und führen noch immer Krieg gegen die letzten Überlebenden.
Als Jan und sein Flügelmann Kai bei einem Routineflug verschwinden, beginnt für die beiden ein Kampf ums Überleben in der grünen Hölle, die Mitteleuropa mittlerweile geworden ist. Doch von unerwarteter Seite naht Hilfe. Und auch die Freunde der beiden Piloten sind nicht gewillt, die Suche nach den Vermissten einfach aufzugeben.
Heiko Kohfink, 1967 in Reutlingen geboren, ist Techniker und lebt mit seiner Frau, die ebenfalls schriftstellert, in der Nähe seiner Heimatstadt.
Inspiriert durch das Lesen, das schon immer seine größte Leidenschaft war, hat er sich vor einiger Zeit an sein Erstlingswerk KOLLAPS gewagt und bringt mit KONTAKT den zweiten Band der dreiteiligen Funguszyklus-Reihe heraus. Wenn er nicht gerade vor dem Bildschirm sitzt und über neuen Buchprojekten brütet, verbringt er gerne Zeit mit seinen beiden Söhnen, unternimmt lange Spaziergänge, liest viel oder bringt mit seinem oft sehr speziellen Humor seine ganze Familie an den Rand der Verzweiflung.
KONTAKT
FUNGUSZYKLUS, Buch 2
Heiko Kohfink
Für meinen Vater, der mich mit seiner Liebe zu Science-Fiction und Fantasy schon vor Jahrzehnten ansteckte und leider viel zu früh gestorben ist.
Prolog
Nur einhundertfünfzig Jahre ohne Menschen hatten aus dem dreckigen, müllverseuchten und überbevölkerten grünblauen Planeten am Rande einer unbedeutenden Spiralgalaxie eine Dschungellandschaft mit nebelverhangenen Urwäldern, klaren Flüssen und reiner Luft gemacht. Die zerfallenden Ruinen ihrer einstigen Erbauer schlummerten begraben unter den Urwäldern, die sich den Platz zurückerobert hatten, den ihnen die Menschheit Jahrtausende lang abgetrotzt hatte.
Nur eine kleine Enklave im Norden des Kontinents, der früher einmal Europa genannt worden war, trotzte der Wildnis. Die kleine Stadt unter der schützenden, blauen Kuppel eines Energieschirms bot den letzten Überlebenden des Kollapses nun schon seit fast eineinhalb Jahrhunderten Schutz.
Die Menschen hier hatten überlebt. Und nicht nur das. Nach dem Kollaps entwickelten sie und ihre Nachkommen neue Fähigkeiten, von denen man früher nicht zu träumen gewagt hatte.
Einige waren plötzlich in der Lage, hochwissenschaftliche, komplexe Sachverhalte zu verstehen, von denen sie vor dem Zusammenbruch noch nie gehört hatten. Aus diesen Menschen hatte sich eine kleine Gruppe von Wissenschaftlern, Forschern und Medizinern entwickelt.Sie kümmerten sich unermüdlich um das Wissen und die Technik von New Hope und das Wohlergehen ihrer Bewohner. Es wurden neue Technologien in bisher nie gekannter Geschwindigkeit erforscht. Die Forscher arbeiteten in ihren Laboren und Instituten, die sich teilweise bis tief unter die Erde erstreckten und verließen New Hope nur dann, wenn es ihren Forschungen diente. Sie hatten eine fast schon krankhafte Angst vor der Weite des Landes entwickelt und konnten diese nur mit Mühe ertragen. Am wohlsten fühlten sie sich in großen Gruppen und am liebsten blieben sie unter sich.
Andere entwickelten ein intuitives Gespür für Pflanzen, sodass die angebauten Nahrungsmittel wuchsen und gediehen wie nie zuvor. Gemüse und Früchte waren in unzähligen Formen und Geschmacksrichtungen verfügbar. So gut diese Menschen mit Pflanzen umgehen konnten, so wenig konnten sie meist mit Technik anfangen.
Die Techniker wiederum kümmerten sich um alle Bautätigkeiten, aber auch um die Herstellung von Werkzeugen, Waffen und Maschinen. Sie arbeiteten eng mit den Wissenschaftlern zusammen. Sie entwickelten ein Gespür für die Funktionsweise von Maschinen, welches den Forschern oft fehlte.
Die Administratoren schließlich kümmerten sich um die Verteilung der Lebensmittel, funktionierende Infrastrukturen und das soziale Miteinander. Sie waren in höchstem Maße empathisch geworden und verstanden die Probleme ihrer Mitmenschen oft ohne mit ihnen zu reden. Man munkelte, sie hätten telepathische Fähigkeiten. Doch auch sie verließen die Stadt selten und hielten sich am liebsten innerhalb des schützenden Rings auf.
Und dann gab es noch die Aufklärer, die sich in ihren kleinen Flugmaschinen außerhalb der Mauern erst richtig wohlfühlten. Sie erkundeten die Gegend und lotsten die Crews der schwerfälligen, langsamen Transporter zu den Rohstoffquellen der alten Welt. Alles, was nicht in New Hope hergestellt werden konnte, lagerte in ausreichender Menge dort draußen in den überwucherten Ruinen der Städte, den Containerterminals und den Depots der zerfallenden Fabrikationsanlagen. Man musste es nur finden!
Und auch die Überwachung der zunehmend maroden Kernkraftwerke, von denen es kurz vor dem Kollaps eine erschreckend hohe Zahl gegeben hatte, gehörte zu ihren Aufgaben.
Doch alle Gruppen verband das Wissen, dass ihre fragile Gemeinschaft nur überleben würde, wenn sie zusammenarbeiteten. Alle hatten den Kollaps, der vor einhundertfünfzig Jahren die Menschheit in den Abgrund gestoßen hatte, noch sehr genau vor Augen. Und nur gemeinsam konnten sie sich gegen die Gefahren verteidigen, die der Planet außerhalb der schützenden Mauern für sie bereithielt.
Der Angriff
Ein Geräusch in meiner unmittelbaren Umgebung weckte mich langsam auf. Es war ein schrilles, nervtötendes Fiepen und ließ mich nicht weiterschlafen. Schon beim ersten, trägen Öffnen meiner Lider wusste ich, dass etwas ganz und gar nicht so war, wie es sein sollte. Jedenfalls gehörten die stechenden Schmerzen in meinem Kopf definitiv nicht dorthin. Ich befand mich in einem engen Cockpit, angeschnallt auf einem Schalensitz und vor mir blinkte hektisch ein rotes Licht. Ich zog meinen rechten Arm mühsam aus der zähen Masse des Notlandeschaums – von den Aufklärern nur NLS genannt – und hämmerte müde auf den Quälgeist ein. Das Geräusch erstarb mit einem letzten elektronischen Wimmern. Langsam kehrten die Erinnerungen zurück. Ich war abgestürzt und nur der explosive Austritt des NLS hatte mich beim Aufschlag vor einem sehr plötzlichen Ende bewahrt.
Wir waren auf einer Erkundungsmission weit ins Inland gewesen, um neue Rohstoffquellen zu erschließen und nach der Strahlung der gefährlichsten Hotspots im Süden zu sehen. Eines unserer größten Probleme war das Vermächtnis der Menschheit in Form von langsam auseinanderfallenden Atomkraftwerken. Nicht nur im ehemaligen Deutschland, auch in den angrenzenden Ländern, strahlten die Ruinen um die Wette. Ein Wunder, dass wir bisher dem radioaktiven Fallout mehr oder weniger entkommen waren.
Seit einigen Monaten gingen noch weitaus seltsamere Dinge vor sich. An vereinzelten Stellen in Europa entstanden plötzlich auch dort radioaktiv strahlende Zonen, wo gar keine Kraftwerke gestanden hatten. Niemand konnte sich das wirklich erklären. Doch es war besorgniserregend. Wir waren unter anderem auf Patrouille, um diese neuen Strahlungsquellen zu untersuchen.
Ungefähr vier Stunden nachdem wir gestartet waren, fiel ein Schwarm Pterovögel über uns her. Ich sah sie erst, als einer von ihnen Kai, meinem Flügelmann, das Leitwerk in einem plötzlichen Kamikaze-Angriff zerfetzt hatte. Er hatte nicht den Hauch einer Chance. Seine kleine Maschine stürzte sofort dem Boden entgegen und zog dabei eine dunkle Rauchfahne hinter sich her. Der Ptero flatterte benommen und zog dann kaum einen halben Meter über meinem Flugzeug hinweg. Aus den Augenwinkeln nahm ich ein blaues, pulsierendes Leuchten auf seinen Flügeln war, hatte aber nicht die Zeit, genauer hinzusehen, geschweige denn darüber nachzudenken. Ich kippte meinen Aufklärer nach links weg und konnte die rauchenden Überreste der abstürzenden Maschine nach unten trudeln sehen.
»Aussteigen verdammt. Mach, dass du raus kommst!«, brüllte ich in das Interkom.
Aber es war zu spät. Sekunden, nachdem der Pterovogel Kais halbes Seitenruder weggerissen hatte, knallte der Rest bereits in einer auflodernden Flammenwolke nahe der Ruinen des Kernkraftwerks Gösgen, das unser letzter Kontrollpunkt gewesen war, in den Boden. Von Kai war nichts zu sehen, er hatte es wohl nicht rechtzeitig geschafft, abzuspringen. Für Trauer war allerdings im Moment keine Zeit, denn die Pteros setzten ihre Attacke fort.
Ich kippte meine Maschine hart über die linke Tragfläche ab und entging so um wenige Zentimeter dem zweiten Pterovogel, der es nun auf mich abgesehen hatte. Er schoss nur knapp an mir vorbei und ich setzte mich hinter ihn, aktivierte meinen Strahler und brannte das Mistvieh vom Himmel.
»Verdammt, was ist hier los?«
Warum griffen uns die Pteros an? Schon seit Jahren waren sie nicht mehr aggressiv gewesen und flogen in letzter Zeit sogar oft friedlich neben uns her, wenn wir Patrouillenflüge absolvierten. Vom friedlichen Miteinander konnte man heute aber beim besten Willen nicht sprechen.
Dummerweise waren die beiden Pteros nicht allein unterwegs gewesen. Ein ganzer Schwarm dieser riesigen, an die Flugsaurier längst vergangener Zeiten erinnernde Vögel machte hier den Himmel unsicher.
Nachdem ich, mehrere Ausweichmanöver und drei abgeschossene Gegner später, ebenfalls von einem dieser riesigen Raubvögel gerammt wurde, war es mit der Lufthoheit der Menschen in diesem Sektor erst einmal vorbei.
Das Flugwesen knallte mit voller Wucht gegen mein Steuerbordtriebwerk, das daraufhin mitsamt dem Angreifer hinter mir verschwand. Mein Cockpit füllte sich schlagartig mit Rauch und meine kleine Maschine stürzte unter dem empörten Aufkreischen des verbliebenen Triebwerks dem Boden entgegen. Durch das heftige Trudeln wurde ich in meinem Sitz hin und her geschleudert. Ich kämpfte um mein Bewusstsein… und verlor. Kurz bevor ich in Ohnmacht fiel, schoss mir noch durch den Kopf, dass ich heute Morgen im Streit meine langjährige Partnerin verlassen hatte. Dann wurde es dunkel um mich.
***
Gleichzeitig, viele Hundert Kilometer nördlich, stand Conni auf der Mauer der Stadt, die sie New Hope genannt hatten und starrte in die Wildnis, die jenseits der schmalen Wasserbarriere im Süden der Insel grün und lauernd auf die Unvorsichtigen wartete, die sich in ihr überwuchertes Inneres wagten. Viele Jahrzehnte schon lebten die letzten Überlebenden der europäischen Menschheit hinter den schützenden Mauern und Kraftfeldern von New Hope. Soweit Conni wusste, war dies das letzte Bollwerk der Menschheit gegen den Feind, der vor über eineinhalb Jahrhunderten den Homo sapiens von der Oberfläche des Planeten gefegt hatte. Innerhalb weniger Minuten war damals durch den roten Nebel, der sich zeitgleich überall auf der Welt aus dem Boden erhoben hatte, die menschliche Rasse vom Antlitz der Erde getilgt worden. Nur wenige Immune hatten den Angriff überlebt, der aus heiterem Himmel gekommen war und auch heute noch ungelöste Rätsel aufgab. Wer war der Angreifer gewesen? War es eine von Menschenhand gemachte Seuche, eine neue biologische Waffe, die sich aus einem der vielzähligen Labore der Militärs ihren Weg an die Oberfläche der Welt gebahnt und viel zu gut funktioniert hatte? Oder vielleicht der Angriff einer feindlichen Intelligenz, die die Menschheit in Minuten brutal ausgerottet hatte?
Vieles sprach für die erste Theorie, genauso viele Befürworter sprachen sich in den unzähligen Diskussionen der letzten Jahrzehnte für die zweite Möglichkeit aus. Conni runzelte die Stirn, als sie über die vielen hitzigen Diskussionen mit ihrem Mann Jan nachdachte, die sie über die Ursachen des roten Todes geführt hatten. Sie hatte schon immer die Möglichkeit eines feindseligen Angriffes favorisiert, wohin gegen er eher an die Dummheit der Menschen und die damit verbundene Freisetzung eines bis dahin unbekannten Supervirus glaubte. Dieser konnte allerdings, sollte er denn existieren, auch heute noch nicht von den Wissenschaftlern nachgewiesen werden. Was sie mittlerweile wussten, war, dass ihre Feinde, die sie in den Jahren nach dem Kollaps immer stärker bedrängten und von denen immer neue, noch gefährlichere Arten auftauchten, Reste menschlicher oder tierischer DNS aufwiesen. Was so viel bedeutete, dass die Wesen, die sie heute Baumwesen oder Pilzköpfe, Baumwölfe, Pterovögel und Stachelbestien nannten, einmal Menschen und Tiere gewesen waren. Wie die Umwandlung in die grausigen, mit dicken Panzern, Stacheln und mächtigen Klauen bewehrten und höchst aggressiven Wesen erfolgt war, die heute durch die Welt streiften, konnte bisher niemand genau sagen. Fakt war aber, dass die wenigen überlebenden Menschen gegen ihre eigene, umgewandelte Spezies kämpften, wo immer sie aufeinanderstießen. Was auch immer die Ursache für den Kollaps gewesen sein mochte, es hatte dazu geführt, dass die wenigen Überlebenden, die sich damals auf Sylt versammelt hatten, in einer waghalsigen Flucht gerade noch so den übermächtigen Angreifern aufs Meer entkommen waren. Mit ihrem Schiff, der Hope, hatten die letzten europäischen Menschen schließlich nach einer wahren Odyssee eine neue Zuflucht in Fehmarn – einer kleinen Insel unweit der Ostseeküste des ehemaligen Deutschlands – gefunden. Zuvor waren sie monatelang kreuz und quer an den Küsten Europas entlanggefahren, um nach Überlebenden zu suchen. Nur wenige Menschen hatte die Crew der Hope auf dieser Reise retten können, bevor sie sich entschloss, vor der kleinen Insel in der Ostsee zu ankern und hier eine Stadt zu errichten, die eine sichere Heimat vor den Angreifern bot. Seit über anderthalb Jahrhunderten wuchs die Stadt nun schon und mit ihr die Befestigungen und Verteidigungsanlagen. Zunächst hatten menschliche Wachen das Schiff vor Angreifern aus der Luft bewacht. Geschütze, Gewehre und Munition zur Verteidigung waren in ausreichender Zahl vorhanden. Schließlich brauchten sie sich in den vielzähligen Militärdepots nur zu bedienen und konnten alles mitnehmen, was sie brauchten. Die wenigen Feinde auf der Insel waren schnell erlegt gewesen.
Doch immer wieder hatten die Baumwesen, die Jan von Beginn an salopp Pilzköpfe genannt hatte, sie attackiert und ihnen Verluste beigebracht. Auch Baumwölfe waren in den ersten Wochen häufig auf der Insel eingefallen und hatten unter ihnen gewütet. Deshalb wurde, wie bei ihrer ersten Zuflucht auf Sylt, die Verbindung zum Festland gekappt und die Brücke gesprengt. Doch nur kurze Zeit hatten die Menschen damals verschnaufen können, bevor ihnen erneut Gefahr drohte. Und diesmal kam sie aus der Luft. Bei Angriffen der saurierähnlichen Riesenvögel, die alle Pteros nannten, wurden in der folgenden Zeit viele Menschen verletzt und getötet. Doch auch diese Gefahr war heute vorüber.
Nahezu die ganze Insel wurde nun von dem Kraftfeld überspannt, das aus einem Labor in Süddeutschland in den Jahren nach dem Zusammenbruch geborgen werden konnte. Diese Technologie hatte den letzten Menschen damals nach dem Zusammenbruch das Leben gerettet.
»Jan, verdammt, warum kann es mit uns nicht mehr so einfach sein, wie damals?«, seufzte Conni.
Sie schloss die Augen und die Erinnerung an die erste Expedition damals vor so vielen Jahren brandete in ihr auf und war so präsent, als wäre es erst gestern gewesen. Ihr Mann Jan war es gewesen, der die zunächst von vielen belächelte Idee gehabt hatte, erneut in den Süden aufzubrechen, um die experimentelle Technologie zu bergen, an der er vor dem Kollaps mitgearbeitet hatte. Mit einem der vielen herrenlosen Hubschrauber, die auf einem militärischen Flugplatz in der Nähe gestanden hatten, waren sie zu dieser ersten Mission gestartet. Glücklicherweise war einer der Überlebenden früher Pilot bei der Bundeswehr gewesen und so war es kein Problem, mit einem kleinen Team auf die Reise zu gehen. Ulf war dabei gewesen, sie selbst, Jan, Anja und Manuel, der Hubschrauberpilot. Jan hatte genau gewusst, wo und nach was sie suchen mussten, und Tage später waren sie mit der neuen Kraftquelle und dem Prototypen des Energieschirms wieder auf dem Weg nach Hause gewesen.
Wochen hatte es dann gedauert, bis der Generator, der in den Laboren von Ion-Enertec westlich der Ruinen von Stuttgart unter der Erde auf sie gewartet hatte, das erste Kraftfeld erzeugte. Als sich die blau irisierende, knapp einen Meter durchmessende Halbkugel aus schützender Energie das erste Mal flackernd erhob, fühlten sie, dass sie eine Chance auf die Zukunft erhalten hatten. Jahrelang hatten ihre wenigen Wissenschaftler danach an der Technik geforscht und sie weiterentwickelt, bis sich endlich ein Energieschirm von hundert Metern Durchmesser über den Überlebenden und ihren Häusern erhoben hatte. Dieses erste Kraftfeld war immer wieder zusammengebrochen, war instabil und voller Fehler gewesen, hatte aber der letzten großen Attacke der Pteros standgehalten. Dutzende ihrer qualmenden Kadaver zeugten danach vom fehlgeschlagenen Angriff der riesigen Flugvögel. Sie hatten es seither immer wieder mit einzelnen Attacken auf das Kraftfeld versucht, waren aber jedes Mal von der tödlichen blauen Energie zurückgeschlagen worden.
So schützte die Kuppel, wie die Bewohner von New Hope das Kraftfeld nannten, die Stadt vor den Angreifern. Zusätzlich war rund um die Wohngebäude, Schulen, Kraftwerke und Labore eine Mauer aus Beton und Stahl zehn Meter in die Höhe gewachsen. Auf der Mauerkrone waren außerhalb des Kraftfeldes in Abständen von zwanzig Metern Automatikgeschütze und Flammenwerfer angebracht worden, die die wenigen Angriffe zurückschlugen, welche vereinzelt von Pilzköpfen oder Baumwölfen gestartet wurden.
Der Letzte musste mindestens zwei Jahre her sein, wenn Conni so darüber nachdachte. Komisch eigentlich. Warum hatten es diese seltsamen Wesen in den Tagen nach dem Kollaps so verbissen darauf angelegt, sie alle umzubringen und gingen ihnen heute aus dem Weg? Sahen sie keine Bedrohung mehr in den wenigen Überlebenden? Oder waren die Einwohner von New Hope zu gut geschützt hinter ihren Mauern, Kraftfeldern und Abwehrgeschützen? Was auch immer der Grund war, er ermöglichte den Menschen den Aufbau einer neuen Zivilisation. Vor nunmehr gut zehn Jahren war der Bau der riesigen Anlage aus Stein, leise summender Energie und einer Vielzahl tödlicher Waffen abgeschlossen worden. Denn nicht nur die Kraftfeldtechnologie, die nach anfänglichen Kinderkrankheiten nun schon seit Jahrzehnten zuverlässig funktionierte, hatten sie damals bergen können. Auch eine neuartige, revolutionäre würfelförmige Batterie, die in der Lage war, die halbe Stadt jahrelang mit Energie zu versorgen, war ihnen in die Hände gefallen. Diese Technologie zu kopieren, hatte harter Arbeit bedurft, bei der es immer wieder zu Rückschlägen gekommen war. Conni erinnerte sich noch sehr genau daran, wie das Labor nach drei Jahren Forschung bei einem Testlauf der Energiezelle komplett zerstört worden war. Viele Menschen waren dabei ums Leben gekommen. Noch heute erinnerte der Krater, den der Test in den Boden gerissen hatte, an ihren Misserfolg.
Die ersten Jahre nach dem Kollaps waren hart und verlustreich gewesen.
Doch am Ende waren sie in der Lage gewesen, sich mit den Kraftfeldern vor weiteren Angriffen zu schützen. Das Leben war inzwischen bedeutend leichter geworden. Die Einwohnerzahl wuchs langsam, aber stetig. Auf den Feldern und in Treibhäusern rund um die Stadt gediehen Gemüse und Obst in ausreichender Anzahl, um alle sattzubekommen. Labore und Fertigungsstätten produzierten alles, was sie zum Leben brauchten.
Doch nicht alle waren damit einverstanden, wie es in New Hope lief. Conni erinnerte sich mit Grauen an den Aufstand vor sechzig Jahren, bei dem eine kleine Gruppe versucht hatte, die Macht an sich zu reißen. Bei dem Putschversuch hatten auch viele gute Freunde ihr Leben verloren. Die Kämpfe, die damals tagelang in New Hope wüteten, hatten den Glauben der Bewohner an eine friedliche Zukunft bis in die Grundfesten erschüttert. Schließlich war es ihrer Anführerin Anja gelungen, den Putsch niederzuschlagen und die Rädelsführer gefangen zu nehmen. Der folgende Prozess hatte dazu geführt, dass die Anführer der Revolte schließlich der Stadt verwiesen worden waren. Ausgerüstet mit dem Nötigsten hatten sie die zwölf Männer und Frauen mit einem Schweber aufs Festland gebracht und dort ihrem Schicksal überlassen. Niemand hatte je wieder etwas von ihnen gehört.
***
Von einem der nahen Aufgänge waren leise Schritte zu hören. Conni wandte sich um und blickte Ulf entgegen, der langsam auf sie zukam. Im selben Moment fuhren zwei der in unmittelbarer Umgebung angebrachten Zwillingskanonen surrend herum und richteten ihre Läufe auf den Neuankömmling. Nachdem die Geschütze erkannt hatten, dass es sich um einen Menschen handelte, drehten sie sich wieder zurück und sicherten leise klickend die Umgebung außerhalb der Stadtmauer. Conni schüttelte die Beklemmung ab, die diese Waffen jedes Mal in ihr verursachten, wenn sie sich prüfend auf einen Menschen richteten. Es hatte bisher nur einmal einen tödlichen Zwischenfall beim Angriff eines Rudels Baumwölfe gegeben. Einer der Einwohner von New Hope hatte sich zu weit nach vorne über die Brüstung der Mauer gelehnt, um den Angriff besser verfolgen zu können und dabei das Gleichgewicht verloren. Er war mitten unter den Angreifern auf dem Boden aufgeschlagen und benommen liegen geblieben, als die Verteidigungsgeschütze das Feuer auf die Baumwölfe eröffneten. Die überschallschnellen, winzigen Nadeln durchbohrten die riesigen Tiere und einige davon trafen auch den Unglücklichen, der sich in diesem Moment wieder aufgerichtet hatte. Wäre er einfach liegen geblieben, hätten ihn die Geschosse vermutlich nicht einmal gestreift. So aber wurde er von einer Salve der Nadeln regelrecht zerfetzt, bevor die Programmierung die menschliche Silhouette erfassen konnte und das Feuer einstellte. Conni schüttelte die Gedanken an diesen schwarzen Tag für New Hope ab und lächelte Ulf an, der sich neben ihr auf die Brüstung lehnte und sie grinsend ansah. Seit der Flucht von Sylt, bei der sie sich kennengelernt hatten, waren sie enge Freunde geworden und hatten sich mehr als einmal gegenseitig vor den Gefahren außerhalb der Stadtmauer beschützt.
Ulf war, genau wie ihr Mann Jan, ein Aufklärer. Er war wie viele der ersten Überlebenden ein unruhiger Geist, der das Leben im Freien liebte und nur widerwillig innerhalb der schützenden Mauern lebte. Die Aufklärer waren vor allem dafür da, die Strahlungsstärke im Umland der Stadt, aber auch weiter entfernt zu kontrollieren.
Sicher, das Kraftfeld hielt nicht nur die Angreifer zurück, auch die Strahlung, die hin und wieder aus allen Himmelsrichtungen herbeiwehte, wurden von dem starken Energiefeld neutralisiert. Dieser Effekt war den Menschen in New Hope erst nach einiger Zeit klar geworden. Seitdem strömten alle unter den schützenden Schild, wenn die Sirenen losgingen und vor der unsichtbaren Gefahr warnten. Die stark strahlenden Kraftwerke, die so langsam den Geist aufgaben, waren eine stetige Gefahr, der sie alle ausgesetzt waren. Conni seufzte und dachte an Jan, der im Moment irgendwo im Süden unterwegs war, um genau diese gefährlichen Messungen durchzuführen. Aber die Aufklärer waren nicht nur dafür da. Sie waren auch dafür verantwortlich, Rohstoffquellen, Baumaterialien und allerlei nützliche Dinge außerhalb der Stadt ausfindig zu machen und in die Stadt zu bringen. Sie waren meist mit ihren kleinen Flugmaschinen unterwegs, um Neues zu entdecken. Hatten sie etwas Interessantes ausgemacht, wurde die entsprechende Stelle mit Peilsendern markiert. Sammler brachten die Rohstoffe dann mit großen viermotorigen Plattformen, die Lastenschweber genannt wurden, zurück in die Stadt.
Conni ließ den Blick über die Landschaft vor der Stadt schweifen. Gerade brach die Sonne zwischen den Wolken hervor und tauchte die Umgebung in weiches Licht. Sie liebte diese letzten Stunden des Tages, wenn die Sonne schon sehr tief stand und das Land mit Gold übergoss. Eine Gruppe Feldarbeiter kehrte von der Arbeit in die Stadt zurück und sie erkannte Ina, eine gute Freundin, unter den Näherkommenden. Ina winkte lachend zu Ulf und ihr hoch. Ob das Lachen ihr oder Ulf galt, konnte sie nicht erkennen. Die Kusshand, die dem Gruß folgte, war allerdings eindeutig nicht für sie bestimmt. Sie wusste natürlich, dass Ulf und Ina nicht nur Bekannte waren. Beziehungen blieben in ihrer kleinen Gemeinschaft nicht lange unentdeckt. Sie stupste Ulf in die Seite und er grinste verlegen.
»Und, wie läuft es denn zwischen euch beiden?«, neckte sie ihn.
Ulf lief prompt rot an, nickte und brummte.
»Jo, ganz gut, denk ich, geht ja noch nicht so lange mit uns.«
Conni lachte in sich hinein. Was Ulf unter »nicht so lange« verstand, waren, wenn sie sich nicht ganz verrechnete, immerhin bereits fast zehn Jahre. Gut, wenn man sie und Jan betrachtete, dann war das tatsächlich noch nicht so lange. Sie hatten sich im zweiten Jahr nach dem Kollaps getroffen und aus einer anfänglichen Zweckgemeinschaft war schnell mehr geworden. Nun, über hundertfünfzig Jahre später waren sie immer noch zusammen. Ulf räusperte sich leise und riss sie aus ihren Gedanken.
»Und wie sieht´s bei dir und Jan aus?«
Conni überlegte. In letzter Zeit war es nicht mehr so einfach mit Jan. Er reagierte oft gereizt, war kurz angebunden und erzählte nicht mehr so viel wie früher. Sprach sie ihn darauf an, erklärte er ihr, er könne nicht mehr so gut schlafen. Das stimmte wohl auch. Er redete wirres Zeug im Schlaf, wälzte sich oft hin und her und schreckte häufig nassgeschwitzt hoch. Selten gewährte er ihr Einblicke in sein Seelenleben. Früher war das anders gewesen, als sie noch über alles geredet hatten.
Sie wusste, dass er Stimmen hörte, ihn seltsames Geflüster und verschwommene Bilder heimsuchten. Einige, wenige Male hatte er ihr von seinen Träumen erzählt. Von einer gigantischen Höhle mit fremdartigen Geschöpfen, einem roten, pulsierenden Leuchten und von einer Stimme, die ihn rief. Hin und wieder träumte er auch von fremden Menschen, die er noch nie im Leben zu Gesicht bekommen hatte. Nacht für Nacht wiederholten sich diese Träume und nur selten wachte er ausgeruht auf. Obwohl sie beide kaum an Zeitpläne gebunden waren und meist ausschlafen konnten, wirkte er oft abgespannt, übermüdet und war leicht reizbar. Conni wusste nicht, was sie davon halten sollte. Sie hatte allerdings gerade heute von einer Frau erfahren, die wohl genau die gleichen Albträume plagten. Aufgeregt war sie nach Hause gelaufen, um Jan davon zu erzählen, hatte ihn aber nicht mehr angetroffen. Nur ein Zettel lag auf dem Tisch für sie bereit. Er war schon aufgebrochen und sollte an diesem Tag mit Kai, einem guten Kollegen und gemeinsamen Freund, die Gegend rund um den Bodensee erkunden.
Kurz stand sie in ihrem kleinen, gemütlichen Haus und dachte wehmütig an ihre Zeit vor über hundertfünfzig Jahren zurück, als sie noch dort gelebt und gearbeitet hatte. Gerne hätte sie den See einmal wieder gesehen. Aber außer den Piloten der Aufklärer und der Lastenschweber kam kaum jemand so weit aus der Stadt heraus. Und zu Fuß verirrte sich erst recht niemand in die Wildnis. Zumindest kannte sie niemanden, der verrückt genug gewesen wäre, das zu versuchen.
Sie zuckte mit den Schultern und löste sich aus ihrer Starre. Dann würde sie Jan eben heute Abend, wenn er von seinem Aufklärungsflug zurück war, davon berichten. Bestimmt würde der Kontakt zu einem anderen Menschen, der das gleiche durchmachte, seinem seelischen Gleichgewicht guttun…
Die Notlandung
Die Dunkelheit wich wie ein zur Seite geschobener Vorhang. Ich schlug langsam die Augen auf und stellte verblüfft fest, dass sich mein Flugzeug immer noch in der Luft befand. Der Bordcomputer hatte den Absturz abgefangen und die Maschine so gut wie möglich geradeaus gesteuert. Der Brand an der Steuerbordtragfläche war gelöscht. Ein kurzer Blick aus dem Cockpit genügte, um zu sehen, dass von meinem Triebwerk auf dieser Seite nichts als ein paar Kabel übrig geblieben waren, die im Wind flatterten. Die Instrumente machten mir klar, dass ich es weder mit den verbliebenen Energiereserven noch mit dem übrigen, stark in Mitleidenschaft gezogenen Triebwerk zurück zur Stadt schaffen würde. Eine kurze Überprüfung der Anzeigen brachte mich dazu, entsetzt aufzustöhnen. Wenn meine Instrumente nicht logen, dann hatte es meine angeschlagene Maschine irgendwie geschafft, in der Zeit, in der ich ohnmächtig gewesen war, die Alpen zu überqueren.
Im Moment flog ich über Norditalien und es wurde höchste Zeit, den Kurs zu korrigieren. Ein Blick auf meine Uhr sagte mir, dass seit dem Angriff eine gute Stunde vergangen war, in der mich der Bordcomputer zwar gerettet, aber auch weit von meinem ursprünglichen Kurs abgebracht hatte. Die Energiezelle, mit der meine kleine Maschine ausgerüstet war, hätte eigentlich ausreichen sollen, um das Flugzeug für einige Tage mit Strom zu versorgen.
Leider hatte sie bei dem Angriff wohl Schaden genommen und die Anzeige flackerte bereits im roten Bereich. Nur noch wenige Minuten blieben mir, den Kurs zu korrigieren und in Richtung Heimat zu fliegen. Und auch dann würde ich, meinen überschlägigen Berechnungen nach irgendwo in Süddeutschland notlanden müssen. Ich kippte das Steuerhorn nach rechts, aber die Maschine reagierte nicht und flog unbeirrt weiter nach Süden.
»Oh super, das wird ja immer besser«, brummte ich und überdachte meine Optionen. Nicht, dass es besonders viele gegeben hätte.
Ich entschloss mich, abzuspringen. Bei dem Gedanken, auf meinem Sitz aus der Maschine geschleudert zu werden, und nur mit der Notration, dem Sanikit und dem kleinen Nadelstrahler in meinem Holster, den Heimweg durch diese Wildnis unter mir anzutreten, wurde mir schlecht. Trotz allem war es die beste Möglichkeit, aus dieser Situation lebend rauszukommen. Und jede Sekunde, die ich zögerte, brachte mich weiter von New Hope weg.
Ich legte meine Hand um den kleinen roten Bügel rechts neben meinem Sitz, kniff die Augen zu, zählte bis drei und zog ihn mit aller Kraft nach oben. Er riss ab, doch ansonsten passiert nichts. Der Mechanismus war wohl bei dem Aufprall des Pterovogels ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen worden.
»Na, das verspricht ja nicht gerade ein toller Tag zu werden!«
Ich brauchte eine Lösung. Und zwar schnell! Zuerst musste ich unbedingt einen geeigneten Platz zum Landen finden. Eine Notlandung in der unwirtlichen Felsenlandschaft der norditalienischen Alpen unter mir würde ich wohl nicht überleben. Direkt in Flugrichtung sah ich in der Ferne etwas aufblitzen und beschloss, darauf zuzuhalten. Schlimmer konnte meine Lage auch dort nicht werden. Nach wenigen Minuten tauchte eine glitzernde Fläche zwischen den Bergspitzen auf. Ein See. Laut meinen Anzeigen musste das der Gardasee sein. Hier war eine Notlandung zumindest möglich. Ich übernahm erneut die Steuerung und brachte das bockende Fluggerät unter Aufbietung aller Kraft auf Kurs. Indem ich die Geschwindigkeit reduzierte – ich schaltete das ebenfalls demolierte, verbliebene Triebwerk kurzerhand aus – ging ich tiefer und setzte wenig später krachend auf der Wasseroberfläche auf. Das Zischen des NLS-Systems das in dem Moment aktiviert wurde, als die Maschine hart auf den Wellen aufschlug, nahm ich noch wahr. Der Schaum bewahrte mich zwar davor, mir sämtliche Knochen zu brechen, machte das Flugzeug aber im gleichen Moment auch vollkommen unbrauchbar. Trotz der dämpfenden Masse knallte ich mit dem Kopf an eine harte Stelle im Cockpit und mir gingen erneut die Lichter aus.
Als ich das zweite Mal an diesem Tag mühsam die Augen öffnete, schaukelte meine vollkommen demolierte Maschine träge auf den Wellen des Gardasees. Beim Gedanken an den langen Weg nach Hause und die unzähligen Gefahren, die mich dabei erwarteten, wurde mir flau im Magen. Aber ich war noch nie einer gewesen, der schnell aufgab. Und damit würde ich auch jetzt ganz sicher nicht anfangen.
Conni
Die Sonne verschwand über den Horizont und schickte die letzten, verblassenden Strahlen über die bereits dunkle Wasserfläche der Ostsee. Conni blinzelte und verließ ihren Platz auf der Mauerkrone. Ulf war schon vor einiger Zeit gegangen und nun stieg auch Conni die vom Kraftfeld blassblau beleuchtete Treppe hinab. Das war einer der Schwachpunkte der Energiekuppel. Auch bei sternenloser Nacht wurde es unter dem Schirm nie richtig dunkel. Das blaugrüne Leuchten war allgegenwärtig. Aber auch irgendwie beruhigend, dachte Conni, als sie die Straße zu dem Haus hinunterlief, das sie und Jan seit vielen Jahren bewohnten. Blau schimmernd lag das kleine Anwesen schließlich vor ihr, aber alle Fenster waren dunkel. Conni öffnete die Haustür. Irritiert schaltete sie die Lichter ein.
»Jan, bist du da?«
Sie ging durchs Erdgeschoss und rief erneut. Doch weder von hier, noch aus dem Keller kam eine Antwort. Auch im Obergeschoss blieb alles still. Das war allerdings sehr seltsam. Normalerweise kam er nach Einsätzen immer gleich zu ihr nach Hause. Er wusste, dass sie sich jedes Mal Sorgen machte, wenn er unterwegs war. Sie griff nach dem Interkom und wählte die Nummer der Leitstelle. Schon nach dem ersten Summen hörte sie eine Stimme.
»Conni, bist du das?«.
Ulf! Ein ungutes Gefühl machte sich in Conni breit. Normalerweise waren die Piloten so spät nicht mehr in der Flugzentrale.
Dass Ulf noch da war, musste etwas bedeuten. Und da Jan nicht zu finden war, wurde das miese Gefühl, das sich in Connis Innereien aufbaute, sogar noch stärker.
»Conni?«, wiederholte Ulfs Stimme erneut dieselbe Frage: »Bist du das?«
Sie schluckte, nickte und antwortete leise:
»Ja, ist was passiert?«
»Du solltest wohl besser zu mir in die Flugzentrale kommen«, antwortete Ulf.
Die letzten Worte hatte Conni bereits nicht mehr gehört, als sie aus dem Haus stürzte und zum Ringwall zurücklief, von dem sie vor wenigen Minuten aufgebrochen war, und an dessen südlichstem Ausläufer die Flugzentrale mit den Hangaren lag.
Nur wenige Leuchtstreifen am Rand der Straße markierten ihren Weg durch das bläulich schimmernde Dämmerlicht der Kuppel. Einige Meter weiter allerdings war das Gebäude, auf das sie zueilte, hell erleuchtet. Die großen Doppelflügel des Haupteingangs waren weit geöffnet und auf der obersten Treppenstufe entdeckte sie die vertraute Silhouette von Ulf, der dort auf sie wartete. Als sie die Treppen hochstürmte, nahm er sie mit einer knappen Bewegung in den Arm und raunte ihr zu:
»Tut mir so leid, Conni, echt, das tut mir so wahnsinnig leid!«
Sie sah ihn mit großen Augen an. Eigentlich musste er nichts mehr sagen. Sie hatte schon gewusst, dass Jan vermisst wurde, als sie den Weg hergerannt war.
Aber in Ulfs Augen, die sie traurig anblickten, konnte sie die letztendliche Gewissheit sehen, dass ihr langjähriger Weggefährte, Freund und zuletzt auch Ehemann nicht von seinem letzten Aufklärungsflug zurückgekommen war.
Ulf schlang seine riesigen Arme um sie und einen Augenblick lang dachte sie, nie wieder atmen zu können, so fest drückte er sie. Conni wusste, was Jan auch Ulf bedeutete. Schließlich hatten die beiden sich in den langen Jahren seit ihrem ersten Zusammentreffen auf Sylt diverse Male gegenseitig das Leben gerettet und engere Freunde gab es wohl nicht in der kleinen Gemeinschaft von New Hope.
»Was ist denn eigentlich passiert?«, fragte sie und Ulf gab sie für eine Antwort zumindest so weit frei, dass sie wieder atmen konnte. Sie sog die frische und kühle Nachtluft ein und blickte zu dem Riesen auf, der aussah, als würde er jeden Moment schluchzend zusammenbrechen. Aber Ulf räusperte sich nur mehrmals lautstark, bevor er sie mit einem »Komm mit« in das Innere des Gebäudes zog und sie beide sich in die Leitwarte der Flugbereitschaft begaben, um Antwort auf diese Frage zu erhalten.
Italien sehen und sterben?
Mit einem lauten Knall explodierten die Sprengbolzen und die Flugzeugkanzel flog im hohen Bogen davon und klatschte einige Meter entfernt aufs Wasser, wo sie sofort versank. Ich hatte es geschafft die Kanzel abzusprengen und mich aus dem zähen Rettungsschaum zu befreien, der mir bei der Notwasserung das Leben gerettet hatte. Glücklicherweise löste sich das Zeug beim Kontakt mit dem eindringenden Wasser schnell auf. Bevor ich endgültig aus dem bereits gefährlich vollgelaufenen Cockpit in die Fluten sprang, schnappte ich mir noch die Notfalltasche, die an meinem Sitz befestigt war und schlang sie mir um die Hüfte. Dann ließ ich mich über den Kanzelrand gleiten und schwamm einige Züge von der Maschine weg, obwohl der Sog des untergehenden kleinen Aufklärers mich bestimmt nicht mit in die Tiefe gerissen hätte. Aber ich wollte meinen Schutzengel nicht überstrapazieren. Der hatte für mich heute eh schon genügend Überstunden gemacht. Auf den Rücken im kalten Wasser liegend konnte ich gerade noch sehen, wie meine kleine Maschine mit einem gurgelnden Geräusch in den Tiefen des Sees verschwand. Das war es dann wohl mit meinem Heimflug.
Doch mit etwas Glück würde der Notfallsender in der umgeschnallten Tasche die Retter zu mir führen. Ich war nicht gerade scharf darauf, tausend Kilometer bis nach New Hope zu Fuß zurückzulegen. Also wandte ich mich seufzend von den letzten aufsteigenden Luftblasen ab, die anzeigten, wo mein Flugzeug seinen letzten Weg zum Seegrund antrat und schwamm langsam und gleichmäßig auf den einige Hundert Meter entfernten Ort zu, der sich an den von der späten Nachmittagssonne beleuchteten Hängen des Westufers erhob. Eine malerische italienische Stadt schmiegte sich an die steilen Felswände, die direkt hinter dem See aufragten.
Wenig später schwamm ich durch einen kleinen Hafen, in dem noch immer einige Schiffe träge auf den Wellen trieben und auf die längst vergessenen Besitzer warteten, die nie wieder mit ihnen auf den See hinausfahren würden. Ich kämpfte mich eine schlüpfrige, von Algen überwucherte Betontreppe hinauf und ließ mich schließlich erschöpft auf einer altersschwachen Holzbank fallen, die zwar gefährlich knarrte, meinem Gewicht aber standhielt. Tropfend saß ich da und versuchte mir ein Bild meiner Lage zu machen. Auf der Habenseite konnte ich wohl verbuchen, dass ich den Absturz unbeschadet überstanden hatte. Einige kleinere Schnittwunden, die ich mir wohl beim Absturz zugezogen hatte, würden Morgen bereits nicht mehr sichtbar sein.
Das war definitiv einer der Vorteile, die der Kollaps vor anderthalb Jahrhunderten mit sich gebracht hatte. Bei den überlebenden Menschen war die Wundheilung seither extrem beschleunigt. Und nicht nur das: Die Menschen alterten nicht mehr wie früher. Was genau die kontinuierliche Zellregeneration ausgelöst hatte, konnte niemand mit Sicherheit sagen. Fakt war aber, dass ich nun hier saß, ein fast zweihundert Jahre alter Greis im Körper eines Zwanzigjährigen.
Ich schüttelte den Kopf. Auch nach der langen Zeit konnte ich es immer noch nicht richtig glauben. Ich war damals Ende vierzig gewesen, als der rote Nebel das Leben der meisten beendete und das der Überlebenden auf den Kopf stellte. Seither waren so viele Jahre vergangen. Jahre, in denen keiner von uns gealtert war und die Älteren unter uns sich wieder in junge Erwachsene verwandelt hatten. Heute wurden die Kinder, die es glücklicherweise wieder gab, nur älter, bis sie erwachsen waren. Ab dem Erreichen von ungefähr zwanzig Lebensjahren fingen die Zellen an, sich stetig zu erneuern. Ich dachte mit Bedauern an meine Frau in New Hope. Conni war so kinderlieb. Aber leider hatten wir nie Kinder bekommen. Warum? Das hatten wir nie herausgefunden. Auch heute, nachdem wir die Anfangskrisen des Wiederaufbaus hinter uns gelassen hatten und wieder gut ausgebildetes medizinisches Personal hatten, konnte uns niemand helfen. Vielleicht hatte es einfach nicht sein sollen. Trotzdem bedauerte ich, keine Kinder zu haben. Krankheiten wie Krebs, aber auch Infektionskrankheiten gab es nicht mehr. Das Immunsystem der Überlebenden war so stark geworden, dass es jede Erkrankung sofort bekämpfte und defekte Zellen regenerierte. Für die Generationen nach uns war das etwas ganz Natürliches, aber ich konnte es immer noch nicht glauben, dass wir nur noch starben, wenn uns ein Unglücksfall aus dem Leben riss. Und die hatte es in den letzten Jahren tatsächlich einige Male gegeben. Trotzdem war New Hope zu einer blühenden kleinen Gemeinschaft angewachsen.
Ich schüttelte die Gedanken ab und machte mich an die Bestandsaufnahme meiner Habseligkeiten. Der kleine Nadelstrahler in meinem Schulterholster gab mir das sichere Gefühl, wenigstens nicht komplett schutzlos den Gefahren hier ausgesetzt zu sein. Vom winzigen Auflodern, mit dem man Feuer entzünden konnte, bis zu einem starken Hitzestrahl war diese kleine, aber tödliche Waffe einstellbar. So war es mir wenigstens möglich, jeden Feind, der mir ans Leder wollten, abzuschrecken. Zumindest, solange der Angreifer nicht zu groß war. Oder zu wütend. Oder beides! Seine Energiezelle würde bei vorsichtigem Gebrauch einige Wochen halten. Darüber hinaus verfügte er noch über ein Magazin mit zwanzig Hochgeschwindigkeitsnadeln, die beim Aufprall auf einen festen Körper eine verheerende Sprengwirkung entfalteten. Ein leichter Druck auf den Sensor an der Seite der kleinen Waffe und die Energiezelle erwachte mit einem blauen Leuchten zum Leben.
Ich prüfte die kleine Waffe, die nur mit meinem Fingerabdruck eingeschaltet werden konnte und deaktivierte sie nach einer kurzen Inspektion wieder. Sie funktionierte noch einwandfrei. Diese kleinen, aber äußerst effektiven Waffen, hatten unsere Ingenieure erst vor einigen Monaten entwickelt und zuerst waren die Aufklärer damit ausgerüstet wurden. Ich steckte die Waffe in mein Holster zurück und überprüfte den Rest meiner Ausrüstung. Der Sender, der sich ebenfalls in dem kleinen Rucksack befand, gab leider keine Lebenszeichen mehr von sich.
Das Notfallset hatte einen kleinen Riss davon getragen, durch den Wasser eingedrungen war. Und das hatte die Elektronik des kleinen Senders wohl nicht so lustig gefunden. Ich verstaute das Gerät trotzdem sorgfältig in der Tasche. Vielleicht würde es ja wieder funktionieren, nachdem es getrocknet war. Die Lebensmittelwürfel, die mit Wasser versetzt eine nicht gerade schmackhafte, dafür aber nahrhafte Grundversorgung sicherstellten, waren unversehrt geblieben und würden mein Überleben über mehrere Tage gewährleisten. Medikamente waren bis auf einige starke Schmerzmittel keine vorhanden. Wozu auch? Schließlich konnte mein Körper fast jede Wunde innerhalb kürzester Zeit heilen, solange der Blutverlust nicht zu hoch wurde.
Ich erinnerte mich an einen Unfall in New Hope vor ein paar Jahren. Damals hatte sich ein Aufklärer bei einem Kampf mit einem Baumwolf so tiefe Wunden zugezogen, dass er verblutet war, bevor ihn sein Flügelmann zurück in die Stadt bringen konnte. Aber solche Fälle waren selten und bei kleineren Verletzungen regenerierte sich der Körper so schnell, dass keine bleibenden Schäden zurückblieben. Ansonsten befand sich noch ein Messer mit Kompass und Angelschnur im Griff in meinem Besitz.
Ich verstaute die Nahrungswürfel wieder in der Tasche, warf mir den Rucksack über die Schulter, band das Messer an meinen Gürtel und zog die Pistole. Zwar war es hier bis auf einige schnatternden Enten ruhig und friedlich, aber wie schnell sich solch eine Idylle ins Gegenteil verkehren konnte, hatte ich schon oft genug erlebt.
Darum erhob ich mich möglichst lautlos von der Hafenmole und begab mich vorsichtig auf die Uferpromenade. Oder zumindest das, was davon noch übrig war.
Denn auch hier hatte ein enormes Pflanzenwachstum eingesetzt, nachdem die Menschen verschwunden waren. Als ob die rotglitzernden, für Menschen tödlichen Wolken auch eine Art Superdünger enthalten hätten. Der kleine Ort am Ufer des Gardasees war von den Pflanzen vollständig eingenommen worden. Hohe Bäume erdrückten mit Ästen und Wurzeln die Häuser. Viele davon waren bereits zu Ruinen zusammengefallen, in denen Büsche, Bäume und Blumen aller Art wucherten. Dicke Wurzeln reckten sich an altersschwachen, verrosteten Laternenpfosten und Schildern empor. Sogar die wenigen Boote, die im ehemaligen Hafenbecken noch schwammen, waren überwuchert und kaum noch zu erkennen. Ein bereits stark verrostetes Schild auf der Promenade gab Aufschluss darüber, wo ich mich nun genau befand.
»LIMONE« konnte ich mit einiger Anstrengung entziffern, nachdem ich den Efeu und Moos abgerissen hatte. Ich wusste, wo das war. In meinem Leben vor dem Kollaps war ich gerne und viel in der Welt herumgereist. Auch Italien hatte damals zu meinen Zielen gehört und zweimal war ich sogar am Gardasee gewesen. Limone selbst kannte ich zwar nicht. Ich wusste aber, dass dort bereits im Mittelalter der Handel mit den Südfrüchten floriert hatte, nachdem der Ort benannt worden war.
Zitronen, Limonen und Orangen waren von hier aus in das europäische Umland geliefert worden. Heute war der kleine, einstmals malerische Ort nicht mehr wiederzuerkennen. Durch den dichten Urwald konnte ich kaum zehn Meter weit schauen. Meine Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt. Wer wusste schon, was da an gefährlichen Pflanzen oder auch Tieren auf mich lauerte. Überall lagen Laub und Äste genauso wie Knochen und einige von Moos und Gräsern überwucherte Schädel der einstigen Einwohner herum. Einer davon war von einem Olivenbaum in die Höhe gehoben worden und grinste mich nun, halb umschlungen von der knorrigen Rinde herunter an, wie um zu sagen:
»Hey, Kumpel, das ist heut nicht dein Tag, oder?«
Ein leises Rascheln hinter mir ließ mich herumwirbeln, aber es waren nur einige Blätter, die der laue Nachmittagswind leise flüsternd aufwirbelte.
Stürme der letzten Jahre hatten dafür gesorgt, dass diverses Treibgut auf der einst gepflegten Uferpromenade angespült worden war. Ein Zehnmeterschiff hatte sich in eins der Ladengeschäfte gebohrt und das Haus nahezu zum Einsturz gebracht. Wie es vom Wasser auf die gut zwei Meter höhere Straße gelangt war, konnte ich mir nur mit einem besonders heftigen Hochwasser erklären. Nun lag es, halb auf die Seite gerollt, in den Trümmern des Hauses wie ein gestrandeter Wal. Schlingpflanzen, Büsche und Bäume hatten den Rumpf erobert und wucherten ungehemmt.
Ich stieg vorsichtig über einen quer über der Straße liegenden Baum hinweg und erschrak furchtbar, als mehrere Vögel flatternd und lautstark protestierend das Weite suchten. Als sich mein Puls wieder einigermaßen normalisiert hatte, nahm ich meine Erkundung wieder auf. Ich trabte vollends über die kleine Uferstraße und drückte mich zwischen zwei Häusern in eine Ecke.
Bisher war alles still und friedlich. Die kleine italienische Stadt schien so ausgestorben und leer zu sein, wie es vom See aus gewirkt hatte. Dass die Landschaften außerhalb von New Hope aber nicht immer so friedlich und öde waren, wie es oft den Anschein hatte, das war mir in den Jahren meines Lebens als Aufklärer durchaus bewusst geworden. Überall in den Wäldern und Ebenen lauerte der Tod in Form von Pilzköpfen und Co. Aber nicht nur die Fauna hatte sich in den letzten Jahrzehnten gegen die Menschen verschworen. Es gab mittlerweile auch Pflanzen, die nicht minder gefährlich waren. Bodenaufklärer, die sich von Zeit zu Zeit in das umliegende Land von New Hope wagten, hatten von Bäumen berichtet, die stahlharte Nadeln verschossen, Schlingpflanzen, die sich erstickend um unvorsichtige Opfer schlangen oder sogar Pilze, die Giftwolken ausstießen, kam man ihnen zu nahe. So gesehen, war es höchst unwahrscheinlich, den langen Weg nach Hause unbeschadet zu überstehen. Und wer wusste schon, was für Gefahren hier in der Wildnis der norditalienischen Berge auf mich lauern mochten.
»Ein Schritt nach dem anderen«, nahm ich mir vor und wandte mich wieder den Problemen direkt vor meiner Nase zu.
Da der Kollaps, der fast die ganze Menschheit ausradiert hatte, in Europa mitten in der Nacht stattgefunden hatte, waren die meisten Gebäude abgeschlossen. Die Geschäfte, Restaurants und Wohnhäuser hier in diesem kleinen Ort machten da sicher keine Ausnahme. Mehrere Versuche später wurde aus dieser Vermutung Gewissheit. Alle Türen, an denen ich rüttelte, erwiesen sich als versperrt. Gegen eine warf ich mich mit vollem Körpereinsatz, aber außer einer schmerzenden Schulter passierte gar nichts. Sehen konnte ich durch die blinden, verstaubten Scheiben nicht, was sich drinnen befand. Also beschloss ich, das Problem auf die bewährte Art und Weise zu lösen, die ich mir schon damals kurz nach dem Kollaps angeeignet hatte.
»Was solls«, murmelte ich, »hab ja schließlich Erfahrung im Einbruchsgewerbe!«
Ein quadratischer Stein, der sich leicht aus einem Stück des maroden Pflasters der Uferpromenade lösen ließ, das unter dem dichten Moos- und Grasteppich hervorlugte, flog durch die nächstbeste Scheibe. Jedenfalls war das mein Plan. Es war aber leider nicht der des Steins, der mit einem lauten Knall von der Scheibe zurückprallte und mir gegen den rechten Oberschenkel knallte. Die nächsten Minuten verbrachte ich kniend auf dem Boden und versuchte, durch Fluchen die Schmerzen zu vertreiben. Schließlich gelang es mir, wieder aufzustehen und den Stein erneut aufzuheben.
Einige Schritte zurücktretend, schleuderte ich den Stein erneut gegen die widerspenstige Scheibe, die beim zweiten Versuch laut klirrend in ihre Einzelteile zersprang. Der Krach war in dieser sonst so surreal leisen Landschaft ohrenbetäubend. Ich schloss die Hand noch fester um meine kleine Pistole, humpelte von der Straße weg und kniete mich an der Fassade des Hauses nieder. Nachdem sich aber auch nach fünf Minuten noch nichts rührte, erhob ich mich mit leise knackenden Gelenken.
Vorsichtig stieg ich über die überall verstreuten Glassplitter hinweg in das Gebäude, das vom spätnachmittäglichen Sonnenlicht, das durch die Baumkronen draußen fiel, ausgeleuchtet wurde. Die goldenen Strahlen stachen wie Lanzen durch den aufgewirbelten Staub in den kleinen Raum, der sich als ehemaliges Restaurant entpuppte.
Vom einstigen Glanz des Lokals war nicht mehr viel geblieben. Tische und Stühle waren mit einer dicken Staubschicht überzogen. Goldfarbene, teilweise mit Grünspan überzogene Kandelaber, in denen noch Kerzen steckten, waren auf geschmackvollen Kommoden arrangiert. Glasvasen, in deren matten Oberflächen sich das einfallende Licht in Regenbogenfarben brach, standen auf den Tischen. Waren sie am letzten Tag der Menschheit noch mit Blumen gefüllt gewesen? Falls ja, waren diese längst zu Staub zerfallen. Teller, Weingläser und Bestecke lagen immer noch ordentlich ausgerichtet auf den verrotteten Tischdecken, deren bestickte Fetzen die einstmals vorhandene Pracht erahnen ließen.
Kunstdrucke an den Wänden hingen verblasst in ihren Rahmen und auf einigen Ölgemälden waren italienische Landschaften mehr schlecht als recht unter dicken Staubschichten zu erkennen. Ein riesiger Kronleuchter war wohl schon vor vielen Jahren von der Decke gestürzt und lag nun in der Mitte des Raumes vor einer breiten Wendeltreppe, die nach oben führte. Er hatte einen der massiven Holztische unter sich begraben, der unter der Last zusammengebrochen war.
Ich betrat vorsichtig das Lokal. Meine Stiefel hinterließen Spuren wie bei der ersten Mondlandung auf dem dreckigen Fußboden. Vor wie vielen Jahrhunderten war das gewesen?
»Ein kleiner Schritt für mich…«, murmelte ich leise in mich hinein.
Meine Anspannung wurde dadurch allerdings nicht geringer. Neil Armstrong hatte damals auf dem Mond wenigstens keine Angst haben müssen, dass hinter der nächsten Ecke ein Pilzkopf, Baumwölfe, wilde Hunde oder durchgeknallte Katzen auf ihn lauerten, um ihm den Garaus zu machen. Doch nachdem ich das Haus durchsucht und außer Staub und den Skeletten der einstigen Bewohner nichts gefunden hatte, ließ ich mich auf einem der staubigen Stühle nieder. Zuvor hatte ich mir noch eine nicht minder staubige Flasche Rum aus dem Regal hinter der Theke geangelt. Der Drehverschluss öffnete sich leise knirschend. Ich setzte die Flasche an die Lippen und genoss das wärmende Gefühl, als der erste Schluck durch meine Kehle floss. Da ich meine Aussichten, lebend wieder nach New Hope zurückzufinden, nicht gerade besonders rosig einschätzte, sah ich nicht ein, warum ich dem Leben nicht noch etwas Gutes abgewinnen sollte.
Ich wischte den Staub vom Etikett der Flasche und nickte wohlwollend. Diese Flasche hatte immerhin schon fast zweihundert Jahre auf dem Buckel. Höchste Zeit, den Inhalt seiner Bestimmung zuzuführen.
Keine Hoffnung?
In der Flugzentrale hatten sich einige Menschen versammelt, die Conni zumindest vom Sehen kannte. Darunter waren gute Freunde wie Ulf oder ihre langjährige Anführerin Anja, die von Anbeginn an die Menschen in New Hope geführt hatte und es auch heute noch tat. Die beiden standen in dem dämmrigen Raum hinter einer Konsole mit großem, hell erleuchtetem Bildschirm, vor der ein junger Mann saß, den sie nicht näher kannte. Ulf kam auf sie zu, nahm sie in die Arme und murmelte etwas. Conni konnte nicht wirklich verstehen, was er sagte, da sie sich in diesem Moment nur aufs Überleben konzentrierte und versuchte, nicht von ihm zerdrückt zu werden. Als er sie wenig später wieder aus seiner Umklammerung entließ, schnappte sie nach Luft und nahm sich vor, ihm bei nächster Gelegenheit zu erklären, dass man durch eine freundschaftliche Umarmung von ihm durchaus in Lebensgefahr geraten konnte.
Sie trat an die Konsole heran und der Mann, der den Computer bediente, wandte sich zu ihr um und grüßte sie leise. Sie kramte in ihrem Gedächtnis nach seinem Namen.
»Hallo Miha«, erwiderte sie, als ihr sein Name einfiel. Er wirkte überrascht und lächelte sie dann erfreut an. Miha gehörte der sechsten oder sogar siebten Generation an und war, soweit sie sich erinnerte, tatsächlich so jung, wie er aussah.
Das würde in den nächsten Jahrzehnten bestimmt noch ganz lustig werden, wenn sich die Menschen nicht mehr alle kannten und keiner genau wusste, wie alt der andere war. Wenn die Menschheit die nächsten Jahrzehnte überhaupt überlebte.
Miha wiederum wusste genau wie alt sie war. Die Jüngeren bekamen in der Schule die Geschichte der Menschheit beigebracht und natürlich auch die des Kollapses und des Aufbaus der Kolonie. Conni musste das wissen, schließlich war sie eine der Lehrerinnen. Sie liebte es, mit Kindern zusammen zu sein. Leider hatten Jan und sie keine eigenen bekommen. Anfangs hatte sie das sehr traurig gemacht, doch mittlerweile hatten sich beide an den Gedanken gewöhnt. Es sollte eben nicht sein. Da war die Tätigkeit als Lehrerin für Conni ein willkommener Ausgleich. Geschichte war ihr Hauptfach und sie versuchte, den Kindern so viel wie möglich von dem beizubringen, was früher einmal geschehen war. Und in dieser Geschichte hatten die Menschen der ersten Generation einen besonderen Platz bekommen: als die Retter der Menschheit und die Erbauer von New Hope. Manchmal wurden sie daher von den Jüngeren wie irgendwelche Übermenschen oder Helden angesehen und behandelt.
»Vollkommener Blödsinn, wir haben die meiste Zeit einfach nur verdammt viel Glück gehabt!«
Eigentlich hatten damals alle nur ein Ziel gehabt, nämlich den nächsten Tag zu erleben. Wie viele der Immunen von Pilzköpfen und ähnlichen Kreaturen in den Jahren nach dem Kollaps umgebracht worden waren, wusste niemand.
Die mumifizierten, ausgetrockneten sterblichen Überreste von Menschen, die die Aufklärer hin und wieder in den ersten Jahren gefunden hatten, deuteten jedenfalls darauf hin, dass es eine ganze Menge gewesen sein mussten. Die meisten, die die ersten Stunden nach den tödlichen roten Nebeln überlebt hatten, waren demnach in der Folgezeit von den Pilzköpfen erledigt worden. Nur Wenige hatten es bis nach Sylt und darüber hinaus auf die Hope geschafft, mit der sie dann über das Meer geflohen waren.
Es lief Conni eiskalt den Rücken hinunter, als sie an ihre Begegnung mit dem Pilzkopf dachte, der damals vor so vielen Jahren die unbekannte Frau erwischt und ausgesaugt hatte, die sich auf der kleinen Insel mitten im Bodensee in das gleiche Treibhaus geflüchtet hatte wie sie. Damals hatte sie selbst einfach nur wahnsinnig viel Glück gehabt. Das Zappeln des unglücklichen Opfers, als der Pilzkopf sie mit seinen langen Tentakeln umschlungen und hochgehoben hatte, konnte Conni so wenig vergessen wie das raschelnde Geräusch als der Pilzkopf die leere Hülle wenig später achtlos fallen gelassen hatte. Wie eine weggeworfene Pergamentrolle. Auch heute noch schreckte Conni manchmal aus ihren Träumen hoch, in denen sie der Pilzkopf entdeckt hatte und hinter ihr her war.
Die Stimme von Ulf riss sie aus ihren Gedanken zurück in den dämmrigen Raum.
»Miha hier hat heute während des Erkundungsfluges von Jan und Kai die Gespräche aufgezeichnet. Miha, sei so nett und spiel das noch mal ab.«
Miha nickte eifrig und drückte einen rot blinkenden Knopf an der Konsole. Die Stimmen von Kai und Jan drangen aus dem Lautsprecher und gaben die letzten Sekunden des Gefechts gegen die Pteros wieder. Conni stöhnte gequält auf, als Kais Maschine abstürzte und sie Jans verzweifelte Stimme hörte.
»Jan und Kai sind irgendwo über Österreich in dieses Gefecht verwickelt worden«, sagte Anja leise. »Kais Maschine haben wir mittlerweile geortet und die Überreste geborgen. Wir haben allerdings nur das ausgebrannte Flugzeug gefunden. Kein Pilot. Vermutlich ist er beim Absturz aus dem Cockpit geschleudert worden. Von Jan allerdings fehlt jede Spur.«
»Aber ihr müsst doch seinen Flug verfolgt haben. Schließlich verschwindet ein Aufklärer nicht einfach so vom Himmel!«, rief Conni.
»Leider ist die Maschine wohl so schwer beschädigt worden, dass der Funksender ausgefallen ist. Doch es gibt auch Hoffnung. Schließlich haben wir weder Rauch noch Trümmer noch sonst irgendeine Spur von Jan entdeckt. Und das könnte genauso gut heißen, dass er noch lebt und vielleicht irgendwo landen konnte.«
Conni schluckte und die Tränen schossen ihr in die Augen.
»Jan, verdammt, tu mir das nicht an«, flüsterte sie, als Ulf sie erneut umarmte und fest an sich drückte. Auch er schluchzte. Schließlich waren Jan und er beste Freunde seit ihrer ersten Begegnung damals auf Sylt.
»Wir finden ihn schon«, versicherte er ihr.
»Morgen, bei Sonnenaufgang nehmen wir die Suche wieder auf und untersuchen, von Kais Absturzstelle ausgehend, die ganze Gegend. Wir finden ihn bestimmt, schließlich ist Jan einer, der auf sich aufpassen kann, oder nicht?«
Conni schniefte, nickte Ulf aber bestätigend zu. Wenn jemand auf sich aufpassen konnte, dann Jan. Schließlich hatte er sich, wie alle aus der ersten Generation, jahrelang gegen alle möglichen Gefahren behauptet. Dass er nun bei einem dämlichen Flugzeugabsturz ums Leben gekommen sein sollte, konnte und wollte Conni nicht glauben.
Limone
Die Sonne versank langsam hinter den Bergen, während ich noch einige kleine Schlucke aus der Flasche nahm. Schließlich raffte ich mich auf und beschloss, mir einen sichereren Unterschlupf für die Nacht zu suchen, als ein Restaurant mit zerstörter Scheibe. Hier war ich leichte Beute für Feinde, die bei Nacht besser sahen als ich. Und das waren, soweit ich wusste, die meisten Lebewesen, die es gab. Ob Hunde-, Katzen- oder Rattenrudel, Pilzköpfe oder Baumwölfe, sie alle waren nachts deutlich im Vorteil und konnten mich hier in diesem offenen Raum leicht zur Strecke bringen.
Ich schnappte mir die angebrochene Flasche und begab mich die verdächtig knarrende Treppe ins Obergeschoss hinauf. Hier gab es mehrere Räume mit massiven Eichenholztüren, von denen ich mir einen aussuchte, in dem noch die Überreste eines Bettes mit Matratze vorhanden waren. Die Tür war schnell verbarrikadiert, und ich zog die Matratze aus dem Bett, die augenblicklich in ihre Einzelteile zerfiel. Als sich der Staub legte, war nur noch der Lattenrost aus Aluminium übrig und auch das Bettgestell machte einen stabilen Eindruck. Beides hielt meinem Gewicht stand, als ich mich vorsichtig auf den Rand setzte, die Flasche erneut öffnete und mir einige weitere Schlucke genehmigte. Dann rollte ich mich auf dem Bett zusammen. Die Anstrengung des Tages und der Alkohol sorgten dafür, dass ich nach wenigen Augenblicken eingeschlafen war.
Der nächste Tag weckte mich mit blassen Sonnenstrahlen, die durch das blinde Fenster fielen. Die Nacht war absolut ruhig verlaufen, Gegenwehr oder Flucht wären mir nach der halb geleerten Flasche Rum sowieso nicht mehr möglich gewesen. Ich verfluchte meine Unvorsichtigkeit, richtete mich langsam auf und versuchte meinen Brummschädel zu ignorieren, als ich vorsichtig die altersschwache Treppe hinab tappte und in den Dschungel hinaustrat, der im strahlenden Sonnenschein lag. Es war wohl schon später Vormittag, die Sonne stand jedenfalls hoch am Himmel und für Mai war es erstaunlich warm. Nach einem erfrischenden Bad im See ging es mir deutlich besser und ich machte mich auf, die kleine Stadt nach Brauchbarem zu durchsuchen. Nachdem mir in einer kleinen Werkstatt ein verrostetes, aber immer noch massives Brecheisen in die Hände fiel, wurde meine kleine Shoppingtour erheblich einfacher. Die altersschwachen Schlösser hatten meinen nun erheblich professionelleren Einbruchsversuchen nichts mehr entgegen zu setzen und so waren mir in dem kleinen Ort Türen und Tore geöffnet. Lebensmittel waren nach der langen Zeit kaum noch zu finden. Daher war es ein echter Glücksfall, als ich in einem dunklen und trockenen Lagerraum, in den weder Ratten noch andere Schädlinge eingedrungen waren, Salz, Reis, Nudeln und einige Konserven, deren Etiketten zwar bereits vergilbt, die jedoch nicht aufgebläht oder durchgerostet waren, entdeckte. Auch Honig fand ich, ebenso Zucker und einige Gläser Instantkaffee, die noch gut aussahen. Die restlichen Vorräte machten mir nicht mehr den Eindruck, noch verzehrbar zu sein.
Zumindest war ich nun erst mal vor dem Hungertod sicher. In einem Wandergeschäft fand ich einen Rucksack aus einem der neuartigen aluminiumartigen Gewebe, die vor dem Zusammenbruch gerade aufgekommen waren. Leicht und praktisch unzerstörbar hatte auch er die Zeit überdauert. Ein kleiner Aluminiumtopf und eine lange Machete aus rostfreiem Stahl rundeten meine Ausrüstung ab. Mein Glück war vollkommen, als ich in einem weiteren Raum ein Lager mit Jacken und Wanderhosen fand, die, in Plastik eingeschweißt, ebenfalls noch nicht so brüchig waren, dass sie bereits beim Anfassen auseinanderfielen.
Die Sucherei nahm einige Tage in Anspruch. Abends kehrte ich in meine Schlafkammer zurück, in der sich meine Sammlung an brauchbaren Objekten immer weiter vergrößerte. Limone selbst hatte etwas Zauberhaftes an sich. Mittelalterliche schmale und steile Gassen zogen sich den Berg hinauf und hinunter. Überall ging man durch überwucherte Straßen und Gärten, die einst sorgsam gepflegt gewesen sein mochten und nun vom Dschungel vereinnahmt wurden. Am nördlichen Ende des Ortes fand ich sogar verwilderte Plantagen mit Zitronen und Orangenhainen. Ich nahm so viele der reifen Früchte mit, wie ich unterbringen konnte und presste in meinem Unterschlupf mehrere Flaschen des Saftes für unterwegs aus. An Vitamin-C-Mangel würde ich schon mal nicht sterben.
Schließlich, am fünften Tag nach meiner Notlandung machte ich mich morgens bereit, den langen Weg nach Hause anzutreten. Ich wandte mich nach Norden und folgte der einstigen Uferstraße.
Um die Mittagszeit war die nördlichste Stelle des Sees erreicht und ich beschloss, Rast zu machen. Bisher war ich der Hauptstraße gefolgt, die sich am Ufer entlang zog. Einmal musste ich an einer Stelle, an der eine Gerölllawine die Straße unter sich begraben hatte, über einen größeren Schutthaufen klettern. Im Großen und Ganzen jedoch waren die Straßen noch erstaunlich gut erhalten. Vor mir erstreckte sich eine kleine Stadt am nördlichen Ufer des Sees, fast vollkommen überwuchert, wie alles in dieser urweltlichen Landschaft. Auf der rechten Seite erhoben sich bereits die ersten Gebäude, links der Straße war ein kleiner Kiesstrand zwischen hohen Zypressen, Palmen und wild wucherndem Oleander zu erkennen.
Ich zwängte mich an einem vollkommen verrosteten, quer über der Straße liegenden Sattelzug vorbei, der wohl im Moment des Kollapses in Richtung Norden unterwegs gewesen war. Der Fahrer war beim Umkippen des Fahrzeugs aus dem Führerhaus geschleudert worden. Das, was von ihm noch übrig war, hing jetzt über der Kühlerhaube und der Schädel, der bis vor ein Schild gerollt war, das der LKW umgefahren hatte, grinste mich an. Das kaum noch erkennbare Schild, an dem der braune Lack abblätterte, wies die vor mir liegende Stadt als Riva del Garda aus.
Einer der beiden Anhänger hatte sich beim Umstürzen losgerissen und einen schmiedeeisernen Zaun durchbrochen, der den kleinen Kiesstrand von der Straße abtrennte. Da ich bisher keiner Gefahr begegnet war, beschloss ich, ein kleines Feuer am Ufer zu entfachen, um Reis zu kochen. Überall lag Treibholz herum, das nur gesammelt werden musste. Ich entzündete es mit dem feinsten Hitzestrahl meiner Waffe, nahm aus meinem Vorrat eine Handvoll Reis und Bohnen und während diese in meinem Topf zu kochen anfingen, versuchte ich mich am Ufer als Fischer. Es gab eine Unmenge an Fisch im See, sodass ich nicht lange brauchte, um zwei größere Exemplare heraus zu holen. Das Ausnehmen hatte ich schon vor Jahrhunderten gelernt.
»Vor Jahrhunderten«