Trapship - HK Kohfink - E-Book

Trapship E-Book

HK Kohfink

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Beschreibung

Nie war der Mars näher als heute ... Als die Besatzung der Ares-9 Marsmission mit dem Ziel aufbricht, eine ständig bewohnte Basis zu errichten, ahnt sie nicht, was sich unter dem roten Staub des Nachbarplaneten verbirgt. Zum ersten Mal in der Geschichte wird klar, dass die Menschheit nicht allein im Weltraum ist. Das Artefakt, das sie im Staub des toten Planeten entdecken, verändert nicht nur das Verständnis der Menschen über ihren Platz im Universum, es birgt in seinem Innersten auch ein todbringendes Geheimnis. ... und nie war er tödlicher! Nachdem die Missionsdaten die Erde erreicht haben und der Kontakt zur Ares-9 Crew abbricht, beginnt ein Wettkampf um das größte Rätsel, auf das die Menschheit je gestoßen ist. Doch jeder, der dem Artefakt zu nahe kommt, sieht sich namenlosem Grauen und bisher unbekannten Gefahren gegenüber, die das Vordringen in die Tiefen des Trapships zu einem todbringenden Höllentrip machen.

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T E I L 1
Ares-9
Höllenritt zum Mars
Der Stokes-Krater
Die Sprengung
Der Koloss
Aufbruch ins Ungewisse
T E I L 2
Artefaktkrieg – Mond
Artefaktkrieg – Mars
T E I L 3
Der Koloss
Der letzte Tag
Verschollen im Nirgendwo
Der Administrator
Die Transferhalle
Trapzone beginnt
Auf neuen Pfaden
Der Knochenturm
Der zweite Sektor
Der letzte Amerikaner
Die rote Dämmerwüste
Der vierte Sektor
Dechiffrierung
Bodenlose Tiefe
Der Vorhang fällt
T E I L 4
Der Stadtmensch
Die letzte Zone
Unsichtbare Gefahr
Unerwartete Hilfe
Der junge Greis
Brücken und Dächer
Der Hexagonturm
Der Dunkelschwarm
Der Verräter
Fynn
Endspiel
Neuanfang
Weitere Bücher

HK Kohfink

TRAPSHIP

Todeszone Mars – Science-Fiction Abenteuerroman

 

 

 

 

Zu diesem Buch: Als die Besatzung der Ares-9 Marsmission mit dem Ziel aufbricht, eine ständig bewohnte Basis zu errichten, ahnt sie nicht, was sich unter dem roten Staub des Nachbarplaneten verbirgt.

Zum ersten Mal in der Geschichte wird klar, dass die Menschheit nicht allein im Weltraum ist. Das Artefakt, das sie im Staub des toten Planeten entdecken, verändert nicht nur das Verständnis der Menschen über ihren Platz im Universum, es birgt in seinem Innersten auch ein todbringendes Geheimnis.

 

 

 

Heiko Kohfink, der unter dem Pseudonym HK Kohfink Science-Fiction Romane veröffentlicht, wurde 1967 in Reutlingen geboren, ist Techniker und lebt mit seiner Frau, die ebenfalls schriftstellert, in der Nähe seiner Heimatstadt.

Inspiriert durch das Lesen, das schon immer seine größte Leidenschaft war, hat er sich vor einiger Zeit ans Schreiben gewagt. Dabei zählen vor allem SF und Fantasy, aber auch Humor zu seinen bevorzugten Genres.

Wenn er nicht gerade vor dem Bildschirm sitzt und über neuen Buchprojekten brütet, verbringt er gerne Zeit mit seinen beiden Söhnen, unternimmt lange Spaziergänge, liest viel oder bringt mit seinem oft sehr speziellen Humor seine Familie an den Rand der Verzweiflung.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

ISBN: 9783759277923

Imprint: Independently published

Copyright © 2022 Heiko Kohfink

 

Verfasser: Heiko Kohfink (Pseudonym HK Kohfink)

Uhlandstr.7, 72124 Pliezhausen

Kontakt: www.heiko-kohfink.de

 

Covergestaltung: Constanze Kramer, www.coverboutique.de

Bildnachweise: ©ustas, ©dottedyeti – stock.adobe.com

©3000ad, ©LarTrehubova, ©klyaksun, ©tsuneomp, ©Gorodenkoff - shutterstock.com

 

 

 

 

 

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

 

Der Autor übernimmt keine Haftung für die Inhalte der genannten Webseiten Dritter, da er sich diese nicht zu eigen macht, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweist.

 

 

 

 

 

 

 

Für das QMZ-Team. Danke, dass ihr mich so herzlich aufgenommen und mir den Wechsel so leicht gemacht habt!

 

T E I L 1

Ares-9

 

Samuel Winter zog seinen Becher aus der Magnethalterung und führte ihn in einer geistesabwesenden Bewegung zum Mund. Abgelenkt von dem Anblick, der sich dem deutschen Astronauten bot, zog er am Saugventil, schluckte und verzog angewidert das Gesicht.

»Da können sie einen zum Mars schicken«, murrte er, »aber einen anständigen Cappuccino bekommen die besten Ingenieure nicht hin. Ist zwar heiß, schwarz und voller Koffein, doch mit Kaffee hat die Brühe weniger zu tun als der Everest mit dem Olympus Mons[Fußnote 1].«

Letzteren beobachtete er momentan mit tränenden Augen. Nachdem er so lange auf diesen Anblick gewartet hatte, wollte er keine Sekunde verpassen. Den Pilotensitz in Liegeposition geschwenkt blickte er seit Minuten zum roten Planeten hinauf, der scheinbar schwerelos über seinem Kopf vor dem Cockpitfenster vorbeizog.

Vor genau zehn Stunden war die Magellan in die Umlaufbahn im hohen Marsorbit eingetreten. Seither hatte sich die Crew der Ares-9 Expedition fieberhaft auf das Ende der langen Reise vorbereitet. Vor dem endgültigen Landemanöver, mit dem das erste Besiedelungsprojekt auf dem Nachbarplaneten starten würde, hatte Kapitänin Emilia Triton eine Ruhepause für alle verordnet.

Nur zwei Astronauten waren für die erste Wache eingeteilt und überwachten die Umkreisung des roten Planeten von der Steuerzentrale und dem Maschinenraum des knapp zweihundert Meter langen Raumschiffes.

Samuel, der die Brückenwache hatte, saß angeschnallt in seinem Schalensitz. Das blasse Leuchten einzelner Displays und das einfallende Licht des Mars, tauchten die Kommandosektion der Magellan in ein surreales rotes Zwielicht. Die fünf leeren Sessel, die neben ihm ringförmig um die Hauptsäule herum im Dämmerlicht ruhten, wirkten fast gespenstisch.

Doch nur beinahe, denn Samuel kannte jeden Vorsprung, jede Luke und jede Schraube der Brücke. Hunderte von Stunden hatte er hier schon verbracht und für ihn spielte es keine Rolle, ob sie taghell beleuchtet oder vollkommen dunkel war. Er hätte sich sogar bei absoluter Finsternis zurechtgefunden.

 

In drei Stunden würde dieser Teil des Schiffes von der Magellan abkoppeln und als Mars-Lande-Einheit – kurz MLE – die lange Reise zur Oberfläche des Planeten antreten. Und er, Samuel Winter, Astronaut und ehemaliger Kampfpilot mit über achthundert Flugstunden, würde endlich tun, was er monatelang in den Simulatoren des Raumfahrtzentrums Guayana bei Kourou geübt hatte und den zwanzig Meter durchmessenden Mars-Orbiter zur Planetenoberfläche hinunterfliegen.

Oder hinauf, dachte Sam, als der rote Planet sich langsam weiter nach oben schob. Das kommt wohl immer auf den Betrachtungswinkel an!

 

Am anderen Ende der Magellan stand der Bordingenieur Favio Elgardo, der von allen nur Favi gerufen wurde, im Maschinenraum und überwachte die Brennkammer des Hauptantriebs. Seit sie an ihrem Ziel angekommen waren, fuhr er den gerade mal einen Quadratmeter einnehmenden Reaktor herunter, der das mächtige Schiff zum Mars gebracht hatte.

»Verdammt schade, dass ich dich zurücklassen muss«, murmelte der Spanier leise, während er bedauernd über die glatte, kühle Außenhaut strich, »dich hätte ich gerne mit zur Planetenoberfläche genommen.«

Natürlich war ihm klar, dass der Reaktor mit dem Rest des Schiffes in der Umlaufbahn bleiben würde. Diese Reise war schließlich ein Einwegticket ohne Rückfahrt. Doch sollte etwas so schief gehen, dass sie den Mars wieder verlassen mussten, dann hatten sie mit dem Mutterschiff im Orbit wenigstens eine Chance, zur Erde zurückzukommen.

Ein leises, sich wiederholendes Piepsen riss Favi aus den Überlegungen. Er sah irritiert auf eine gelb blinkende Kontrollanzeige im Display des Tablets, das er ständig bei sich trug. Gleichzeitig tippte er auf den Kommunikator an seinem Revers und zischte ungehalten hinein.

»Samuel? Sag mal, wie lange muss ich noch auf die Abgleichdaten warten? Das ist immerhin ein Nuklearreaktor, den ich hier abschalten soll und kein Kühlschrank, bei dem man einfach den Stecker zieht!«

In der Steuerzentrale zuckte Sam zusammen und wandte sich endgültig von dem spektakulären Blick auf den roten Planeten ab. Er beeilte sich, dem genervten Bordingenieur die gewünschten Daten durchzugeben, und trank dann einen weiteren Schluck des mittlerweile lauwarmen Cappuccinos.

»Puh, hat der eine Laune«, seufzte Sam leise und wandte sich wieder dem Anblick vor dem Cockpitfenster zu, »höchste Zeit, dass wir aus dieser Blechdose rauskommen.«

 

In den letzten Tagen hatten die Spannungen zwischen den Besatzungsmitgliedern zugenommen. Höchste Zeit, endlich auf dem Mars zu landen. Die Crew hatte sich zwar jahrelang auf den sechs Monate dauernden Flug zum Nachbarplaneten vorbereitet. Doch es war etwas vollkommen anderes, für diese Mission zu üben, als dann wirklich wochenlang zusammengepfercht durch die Leere des Weltalls zu reisen.

Sam war zuversichtlich, dass der Unfrieden nach der Landung auf dem Mars schnell verfliegen würde. Dort konnte endlich jeder seinen eigentlichen Aufgaben nachgehen. Er freute sich auf die vergleichsweise großzügige Weite der Basisstation an den steilen Hängen des Korolev-Trichters[Fußnote 2]. Hier würden sie schon bald den ersten Brückenposten einer überlebensfähigen Kolonie auf dem Mars beziehen. Das ausschließlich von Robotern errichtete Habitat, das ungefähr eintausend Kilometer südlich des Nordpols lag, würde sie in der ersten Zeit beschützen und ihnen den Aufbau einer ständig bewohnten Basis auf dem Mars ermöglichen.

Saatgut und Lebensmittel lagerten in den fünf großen Lastentransportern, die bereits vor einem halben Jahr unweit des Basiscamps gelandet waren. Und über die Wasser- und Sauerstoffversorgung brauchten sie sich dank der fast zwei Kilometer dicken Eisschicht auf dem Kraterboden keine Sorgen zu machen.

Doch vor allem waren die von automatischen Drohnen aufgespürten, ausgedehnten Höhlensysteme, die sich bis weit unter die Marsoberfläche erstreckten, überlebenswichtig. Ohne diese wäre eine langfristige Besiedelung des Mars undenkbar gewesen. Zu stark war die Strahlenbelastung an der Oberfläche. Und auch die extrem schnellen und langandauernden Staubstürme, die vor allem im Marsfrühjahr über die Ebenen fegten, waren ohne sichere Zuflucht in den Höhlen ein unkalkulierbares Risiko.

 

Der rote Planet rotierte träge weiter. Die Landezone kam an der Kante des Cockpitfensters in Sicht. Der mächtige Krater, der von hier oben wie eine kleine braunrote Blase auf der Marsoberfläche wirkte, wanderte langsam in seinen Sichtbereich. Es war ein fantastischer Anblick und Sam stieß ein verzücktes Pfeifen aus. Von den gigantischen Staubstürmen, die dort unten oft wochenlang tobten, war in der nördlichen Hemisphäre momentan glücklicherweise keiner unterwegs.

Das fehlte noch, dachte er, dass uns eins dieser Staubmonster davon abhält, zu landen.

Ein leises Kratzen lenkte seine Aufmerksamkeit vom Studium des Planeten ab. Er schwenkte den Pilotensessel nach hinten und blickte in den langen, spärlich ausgeleuchteten Rumpf der Magellan. Zu sehen war niemand, was Samuel nicht wunderte. Die übrigen Crewmitglieder schliefen in ihren Quartieren im Habitatsring, der am Ende der vier Zugangsröhren langsam um das lang gestreckte nadelförmige Schiff rotierte. Wie ein Rad kreiste der Wohnbereich dabei um seine Achse und simulierte so die Schwerkraft, die sie auf der Marsoberfläche erwartete.

Eine undichte Wasserflasche trieb in der Mitte des langen Schiffsrumpfs einsam und schwerelos dahin, während ihr Inhalt tröpfchenweise austrat. Doch sie konnte das eigenartige Kratzen nicht hervorgerufen haben. Trotzdem breitete sich ein beunruhigendes Gefühl in Samuel aus, als er in das dunkle und gespenstisch ruhige Raumschiff hineinblickte und den winzigen glitzernden Wasserkugeln dabei zusah, wie sie langsam in Richtung der Bordwände schwebten. Eine von ihnen benetzte bereits eine Eingabekonsole, die aber glücklicherweise abgeschaltet war.

Schlamperei, dachte er, während er die Beklommenheit abschüttelte, wer hat diese verdammte Flasche denn ungesichert und unverschlossen zurückgelassen?

Der durchsichtige Plastikbehälter näherte sich langsam einer der Aufstiegsröhren in der Schiffswand und zog eine glitzernde Spur von Wassertropfen hinter sich her. Wenn er den Zugangskorridor in den Habitatsring erreichte, würde er durch den langen Gang hindurch, bis zu den Mannschaftsquartieren der Magellan fallen.

 

Sam beschloss, den Ausreißer einzufangen und zu sichern, bevor dieser etwas beschädigen konnte. Er löste das Gurtschloss vor seiner Brust, stieß sich vom Pilotensessel ab und schwebte auf den Trinkbehälter zu. Routiniert griff er im Vorbeischweben danach und musterte seinen Fang neugierig. In die Oberfläche war der Name Andrea Leonowski eingraviert. Die Flasche gehörte also der Navigatorin aus Russland, die wie die übrige Schiffsmannschaft in ihrer Kabine lag und schlief.

»Wieder mal – verdammter Leichtsinn«, murmelte er verärgert und verstaute das Gefäß in dem dafür vorgesehenen Fach. Während er das ausgetretene Wasser aufsaugte, kreisten seine Gedanken um die russische Wissenschaftlerin, der er diese Putzaktion zu verdanken hatte.

Andrea war in den letzten Wochen nachlässig geworden. Auf Sam wirkte sie seltsam unruhig und unkonzentriert. Die neunundzwanzigjährige Frau hatte – wie Sam aus sicherer Quelle wusste – die psychologischen Prüfungen nur mit Mühe geschafft. In das Ares-Programm wurde sie nur deshalb aufgenommen, weil die Verantwortlichen nicht auf Favio Elgardo verzichten wollten. Der Spanier war ein überaus talentierter Wissenschaftler und international der führende Experte, wenn es um Atomreaktoren der neuesten Bauart ging. Und darüber hinaus war er mit Andrea verheiratet.

»Was ihrer Teilnahme an der Ares-9 Mission sicher nicht geschadet hat«, brummte Sam leise, während er die Flasche in ihre Halterung einklinkte.

Bisher waren die kleinen Fehler der ansonsten fähigen Wissenschaftlerin glücklicherweise ohne Konsequenzen geblieben. Doch die schwebende Trinkflasche im Mittelrumpf der Magellan war etwas anderes. Die Bordelektronik konnte irreparablen Schaden davontragen, wenn Wasser in die Schaltkreise eindrang. Samuel nahm sich vor, später mit Andrea darüber zu sprechen.

Als er die Klappe mit einem leisen Klicken schloss, hörte er erneut das schabende Geräusch. Diesmal aus Richtung des Maschinenraums, der sich weit hinten, am anderen Ende des Schiffes befand. Sam berührte einen blau leuchtenden Sensor auf seiner Brust.

»Bordingenieur«, befahl er und das Interkom stellte ihn zu Favio Elgardo durch.

»Sam, was gibt es?«, tönte sofort dessen tiefe Stimme aus dem kleinen Gerät.

»Ich weiß nicht«, antwortete Sam irritiert. »Ein leises Kratzen, das ich bislang noch nie gehört habe. Bei dir alles in Ordnung? Irgendwelche ungewöhnliche Geräusche?«

»Sí claro«, drang Favis Stimme ironisch aus dem kleinen Kommunikator. »Geräusche hab ich hier jede Menge. Schließlich heißt das hier nicht umsonst Maschinenraum, weißt du! Wie soll ich hier denn bitte schön ein Kratzen hören?«

Damit hatte er natürlich recht. Der lauteste Ort im ganzen Schiff war eindeutig der, an dem sich der spanische Ingenieur im Moment befand.

»Ja, sicher«, antwortete Sam daher, »hab mich vielleicht auch getäuscht. Entschuldige bitte die Störung.«

Er unterbrach die Verbindung, zuckte noch einmal ratlos mit den Schultern und stieß sich nach einem anmutigen Überschlag wieder in Richtung Cockpit ab. Als er seinen Sicherheitsgurt mit einem leisen Klicken vor der Brust schloss, brach ohne Vorwarnung die Hölle aus. Ein lauter Knall, gefolgt von dem hohen Zischen entweichender Luft, machten Sam nur allzu klar, was los war. Gleichzeitig sprang der Alarm an und die Lichter im Schiff flackerten und flammten dann hell auf.

 

»Warnung: Druckabfall Sektion drei«, dröhnte die unpersönliche Stimme der Bordintelligenz aus den Lautsprechern des Schiffes. »Warnung: Druckabfall Sektion drei.«

Samuels Finger glitten in beeindruckender Geschwindigkeit über Tastaturen, Touchpanels und Schalter, während er verzweifelt herauszufinden versuchte, was los war.

»Sam, was ist passiert?«

Er musste seine Arbeit nicht unterbrechen, um nachzusehen, wem die melodische, aber dennoch befehlsgewohnte Stimme gehörte, die hinter ihm erklang.

»Druckabfall«, wiederholte er unnötigerweise die automatische Ansage, die noch immer in ohrenbetäubender Lautstärke durch alle Abteilungen quäkte. »Keine Ahnung, was passiert ist. Ich tippe auf einen Mikrometeorit, der uns getroffen hat.«

»Wo genau?«, wollte Emilia Triton, die Kommandantin der Magellan, wissen, während sie sich auf ihren Platz schwang und die Sicherheitsgurte einrasten ließ. Sie gab einige Befehle in die Steuerkonsole ein und vor ihnen flammte ein Hologramm auf, das die Magellan in allen Einzelheiten darstellte.

»Habitatsring«, stieß Sam gequält aus. »Verdammt, es hat unser Quartier erwischt.«

Entsetzt starrte er auf das rot blinkende Areal des Hologramms, das die Wohneinheit von Alisca und ihm zeigte. Furcht schloss sich wie eine eisige Faust um seine Brust und hinderte ihn, zu atmen, zu denken oder zu handeln.

Schon vor vielen Jahren hatte er sich in die hochgewachsene Frau mit den glatten blonden Haaren und dem sarkastischen Humor verliebt. Aus einer stürmischen Affäre während der Ausbildung war Liebe geworden und seit elf Jahren waren sie ein Paar. Von panischer Angst um seine Partnerin paralysiert, konnte er nur bewegungsunfähig zu Emilia hinüberstarren. Auch in ihren Augen flackerte die Sorge um die finnische Schiffsärztin Alisca Gustavson auf, doch sie hatte sich – wie immer – unter Kontrolle. Sie aktivierte die Touch-Displays vor sich, berührte den Kommunikator auf ihrer Brust und fing an, den Schiffsstatus zu checken.

»Liss?«, rief sie zeitgleich, »Liss, melde dich. Ist alles in Ordnung mit dir?«

Doch weder aus dem kleinen Lautsprecher des Komgeräts, noch aus der Röhre, die zum Habitatsektor drei führte, kam Antwort. Endlich erwachte auch Sam aus seiner Bewegungslosigkeit und nestelte am Gurtschloss herum.

»Verdammt, ich muss ihr helfen«, fluchte er leise, »was für ein Mist. Ich gehe jetzt da rauf!«

Er schnallte sich ab. Emilia realisierte, was er vorhatte, und hielt ihn mit einer herrischen Bewegung und einem gebieterischen Kommando zurück.

»Bleib auf deiner Position, Samuel«, fuhr sie ihn befehlend an, »ohne dich als Pilot haben wir keine Chance, zu überleben! Sollte Liss rausgekommen sein, dann wird sie es auch zu uns runterschaffen. Und wenn nicht – der Wohnbereich ist hermetisch abgeriegelt und kann erst geöffnet werden, wenn das Leck von außen abgedichtet wurde. Du weißt, was das heißt!«

 

Sam wusste, dass Emilia recht hatte, doch das war ihm egal. Er würde nach seiner Frau sehen und niemand konnte ihn von seinem Vorhaben abbringen. Trotzig schüttelte er den Kopf und stieß sich ab, um nach hinten zu den Aufstiegsröhren zu schweben. In diesem Moment wurde eine der Korrekturdüsen getroffen und aktivierte sich in einem lautlosen Aufflammen. Die plötzliche Beschleunigung erwischte den überraschten Piloten vollkommen unvorbereitet und schleuderte ihn auf die Mittelsäule. Er schlug hart mit dem Kopf gegen ein Display und ihm wurde schwarz vor Augen, während weitere Einschläge das Schiff erschütterten.

»Druckabfall Sektor zwei, Druckabfall Sektor vier, Druckabfall Maschinenraum«, überschlugen sich die Meldungen und gleichzeitig färbten sich die entsprechenden Bereiche des Hologramms rot.

»Verdammt«, stöhnte Sam. Er schüttelte die Benommenheit ab und stieß sich erneut in Richtung der Habitatsröhre drei ab, die zu Aliscas und seinem Quartier führte. Emilia griff im Vorbeischweben nach ihm, konnte ihn aber nicht erreichen.

»Sam. Komm sofort zurück!«

»Ich lasse Liss nicht einfach hier sterben.«

»Du kannst ihr nicht mehr helfen und du weißt das.«

Störrisch schüttelte der Pilot erneut den Kopf und fing sich an einem der Netze am Rand der Zugangsröhre ab. Doch als er hindurchschlüpfen wollte, knallte ein schweres Schott direkt vor seiner Nase zu. Nur wenige Sekunden später hätte es ihn zerquetscht.

»Habitatsröhre drei versiegelt«, tönte die Bordintelligenz. »Explosive Dekompression in Sektion drei.«

»Nein«, schrie Sam und trommelte mit den Fäusten gegen die schwere Stahlplatte, die ihm den Weg zu seiner Frau versperrte. »Nein, Nein, Nein!«

»Sam«, hörte er wie durch einen roten Nebel die Stimme von Emilia, »Sam, hör auf. Du kannst sie nicht mehr retten. Sie ist tot!«

Sie glitt durch den Rumpf der Magellan auf ihn zu und legte ihm die Hand auf die Schulter, während der Pilot vor seelischer Qual aufstöhnte.

»Wir stecken mitten in einem Meteoritenschwarm und müssen die Abkopplung vornehmen. Nur du kannst uns hier rausfliegen.«

Durch einen dichten Tränenschleier sah Sam nur noch verschwommen. Doch das kalte Schott vor ihm machte ihm unmissverständlich klar, dass er hier nichts mehr ausrichten konnte, und so kehrte er zu seinem Platz zurück.

 

Die automatische Ansage der Magellan fuhr währenddessen fort, immer weitere Areale aufzuzählen, die von Einschlägen betroffen waren. Überall im Schiff knallten schwere Schotte zu und riegelten die beschädigten Sektionen ab.

»Maschinenraum an Brücke«, drang Favis Schrei aus den Lautsprechern. Unterschwellige Panik schwang in der sonst so ruhigen und emotionslosen Stimme mit, in welcher der Bordingenieur üblicherweise sprach. »Wir haben einen Einschlag in der Brennkammer. Der ganze Reaktorraum ist bereits strahlengeflutet und hat sich hermetisch verriegelt. Ich kann hier nicht mehr raus!«

»Oh Gott, nein, Favi!«, schrie die Navigatorin Andrea Leonowski, die in diesem Moment aus einer der Wohnbereichsröhren glitt und sich sofort dem hinteren Teil der Magellan zuwandte. In dem Augenblick, als sie sich kraftvoll abstieß, wurde auch sie von Emilia zurückgerufen.

»Andrea, komm zurück!«, stieß diese befehlend aus. »Wir haben maximal drei Minuten Zeit, bis der Kernreaktor überhitzt und die Magellan in Fetzen reißt. Wir brauchen dich hier, sonst schaffen wir die Landung nicht!«

»Njet«, schrie die Russin in Richtung der Kommandozentrale, »ich lasse Favi nicht sterben. Niemals!«

»Andrea Leonowski«, brüllte Emilia hinter der davonschwebenden Navigatorin her, »das ist ein Befehl. Komm sofort zurück und hilf uns hier. Du kannst nichts mehr für Favi tun. Der Reaktorraum ist automatisch abgeriegelt worden. Wir haben keine Möglichkeit, ihn von außen zu öffnen!«

»Lass es sein, Andrea, du kannst ihm nicht mehr helfen«, stimmte nun auch Sam mit vor Trauer zitternder Stimme zu. »So wenig, wie ich Liss noch retten kann!«

 

Erst jetzt reagierte Andrea. Sie fing sich an einem der Fangnetze ab, die sich durch den gesamten Schiffsrumpf zogen und mit deren Hilfe die Bewegung und vor allem das Abbremsen in der langen, schwerelosen Mittelachse des Schiffes für die Besatzungsmitglieder möglich wurde. Die Maschen des flexiblen Gummigeflechts bremsten sie ab und mit einem halben Salto drehte sie elegant um. Unschlüssig starrte sie in Richtung von Sam und Emilia, als Favio Elgardos Stimme erneut ertönte.

»Sie haben recht«, keuchte er leise. »Für mich ist es längst zu spät. Aber zumindest werde ich keinen langsamen und qualvollen Strahlentod sterben. Der Reaktor implodiert in genau fünfeinhalb Minuten. Bis dahin müsst ihr weit genug weg sein, sonst wird die MLE in Stücke gerissen. Ich versuche, euch noch ein paar Extrasekunden rauszuholen.«

Andrea, die bereits auf dem Rückweg ins Cockpit war, schrie gequält auf.

»Ich kann dich doch nicht einfach sterben lassen«, heulte sie auf. »Ich liebe dich, Favi!«

»Ich liebe dich auch, mi amor!«, kam seine leise Antwort aus dem Maschinenraum, »Und genau deshalb musst du mich zurücklassen. Bring die Mission zu Ende und lass unseren gemeinsamen Traum wahr werden. Ich werde immer bei dir sein, egal was passiert.«

Von Weinkrämpfen geschüttelt zog sich Andrea auf ihren Platz, schnallte sich mechanisch an und kauerte sich schluchzend zusammen. Emilia beugte sich in ihrem Sitz zur Seite und strich der Navigatorin bedauernd über den Arm.

»Für Favi können wir leider nichts mehr tun. Aber du kannst uns retten. Du musst einen Abstiegskurs berechnen, der uns nahe genug an das Basislager heranbringt. Schaffst du das nicht, dann sterben wir genauso wie Favi, nur später!«

»Und deutlich qualvoller«, murmelte Sam.

Es war sicher besser, von der explodierenden Magellan in Sekundenbruchteilen verdampft zu werden, als langsam zu ersticken, weil der Sauerstoff zur Neige ging. Doch daran wollte er im Moment keinen Gedanken verschwenden. Vielmehr musste er sich darauf konzentrieren, die MLE auf den von Andrea berechneten Kurs zu bringen und eine ordentliche Landung hinzulegen. Wenn sie überhaupt rechtzeitig das Abdockmanöver schafften.

»Fertig zum Lösen der Andockklammern!«, rief er und blickte zu Emilia hinüber, während sein Finger über dem roten Auslöser schwebte, der die Schleuse zur Kommandokapsel schließen und die Sprengvorrichtungen aktivieren würde.

Sie sah ihn traurig an, und auch in ihren Augen glitzerten die Tränen. Sam wusste, was in der Frau, die über Leben und Tod entschied, vorging. Von Mortimer Green, dem letzten Crewmitglied, fehlte jede Spur. War er ebenfalls dem Druckabfall in einer der Schiffssektionen zum Opfer gefallen und bereits erstickt?

Emilia und der stets gut gelaunte britische Exobiologe, der durch seine tapsige Art häufig mehr an einen Bären erinnerte als an einen hochintelligenten Wissenschaftler, waren ebenfalls nicht nur Freunde. Daher wunderte Sam sich nicht, dass sie zögerte, den Befehl zur Abtrennung zu geben. Und genau in dem Moment kam Mortimer polternd aus einem der Quartierskorridore gefallen, knallte auf der gegenüberliegenden Seite gegen die Bordwand und schwebte bewusstlos auf sie zu. Doch noch war er zehn Meter zu weit entfernt und würde an Bord des sterbenden Schiffes zurückbleiben, wenn nicht ein Wunder geschah.

»Scheiß drauf«, knurrte Sam, schnallte sich erneut ab und stieß sich in Richtung des ohnmächtigen Biologen ab. Er erwischte ihn am Arm, wurde durch den eigenen Schwung herumgewirbelt und knallte gegen ein vorstehendes Display. Pfeifend entwich die Luft aus seinen Lungen und kurz wurde ihm schwarz vor Augen.

Als er sich wieder unter Kontrolle hatte, zog er Mortimer hinter sich her und schnallte den Mann in dessen Schalenliege an. Dann stieß er sich ab, glitt auf die andere Seite der Zentrale hinüber auf seinen Sitz und aktivierte die Steuerkontrollen.

Ein weiterer Meteoriteneinschlag schüttelte die Magellan durch, doch die Triebwerksanzeigen der MLE glühten weiterhin in beruhigendem grünem Licht.

»Bereit zum Abkoppeln«, rief er der dankbar in seine Richtung blickenden Kapitänin zu. »Auf dein Kommando!«

 

 

 

Höllenritt zum Mars

 

Mit lautem Knall explodierten die Haltebolzen und gaben die Landefähre frei, die sich träge von der Spitze der Magellan löste. Langsam fiel das schlanke Schiff dem Mars entgegen, während das Mutterschiff mit dem sich behäbig drehenden Habitatring hinter ihm zurückblieb. Nichts wies von außen auf den sich bereits kurz vor der Explosion befindlichen Reaktor hin, den der zurückgebliebene spanische Ingenieur noch immer verzweifelt zu stabilisieren versuchte.

Favi tippte in fieberhafter Eile auf einem Display im Maschinenraum herum. Das Atmen fiel ihm schwer, denn die Umgebungstemperatur war bereits auf sechzig Grad Celsius angestiegen und kletterte rasend schnell weiter.

»Als ob man vom Inneren eines Ofens aus versuchen würde, die Backtemperatur zu reduzieren«, knurrte er, während seine Finger hoch konzentriert über die Touchkontrollen des Bildschirms wischten. Sein Dosimeter, das die maximal zulässige Strahlenbelastung anzeigte und anklagend vor sich hin piepste, hatte er von seiner Uniformjacke abgerissen und in eine weit entfernte Ecke des Maschinenraums geschleudert. Er brauchte kein Gerät, das ihm sagte, wie stark er schon verstrahlt war. Dass er die nächsten Minuten nicht überleben würde, war sowieso klar. Und ganz sicher würde er nicht an den Folgen der harten Gammastrahlung sterben, die momentan von dem zusammenbrechenden Reaktor freigesetzt wurde. Die Skalenanzeigen auf seinem Monitor überschritten die zulässige Grenze bereits bei Weitem, als ein pfeifendes Geräusch das Aufbrechen des Reaktormantels ankündigte.

»Maldita mierda, elender Rea ...«, fluchte er leise vor sich hin. Bevor er seinen Satz beenden konnte, brach die Abschirmung der Brennkammer endgültig zusammen und der Reaktor explodierte in einem grellen Blitz.

Favio Elgardo kam nicht einmal mehr dazu, die Hände vors Gesicht zu reißen, als er im Bruchteil einer Sekunde aufhörte, zu existieren.

Nur wenig später fegte die Explosionswelle über den Habitatsring hinweg und verdampfte auch die tot in ihrem Quartier liegende Alisca Gustavson, als die Magellan in einem lautlosen grellen Blitz im Weltraum verglühte.

 

Von alledem bekamen die Überlebenden in der Landefähre nichts mehr mit. Diese fiel bereits durch die obersten Schichten der dünnen Marsatmosphäre, während Sam mit der Steuerung kämpfte. Ein rotes Licht, das kurz nach dem Abkoppeln aufgeflammt war, zeigte ihm, dass sie bei dem letzten Meteoritentreffer mehr abbekommen hatten als zunächst vermutet.

»Triebwerk vier hat was abgekriegt«, rief er zu Emilia hinüber, »ich schalte es ab und kompensiere mit den Übrigen.«

Die Kommandantin nickte ihm bestätigend zu und wandte sich mit einer knappen Frage an die Frau, die im Schalensitz neben ihr kauerte: »Sind wir auf Kurs?«

Andrea Leonowski saß tränenüberströmt da und schluchzte vor sich hin. Zu tief saß der Schock über den plötzlichen Verlust ihres Mannes Favi. Ein weiterer scharfer Befehl riss sie endlich aus ihren Gedanken.

»Andrea, konzentrier dich!«, fauchte Emilia Triton sie an, »ohne dich sind wir verloren! Sind wir auf Kurs?«

Die Navigatorin zuckte zusammen und sah aus, als ob sie eben aus einem tiefen Albtraum erwachen würde. Dann wandte sie sich ihren Anzeigen zu und studierte diese mechanisch, bevor sie antwortete.

»Sam, korrigiere den Schub mit den Daten, die ich dir rübergebe«, stieß sie aus und tippte auf ihr Display. Ihre Berechnungen wurden in den Steuerrechner der Landefähre übertragen und Sam gab diese nach kurzer Kontrolle frei.

»Roger!«, bestätigte er, »Korrekturtriebwerke zünden. In drei, zwei eins, jetzt!«

Die MLE schüttelte sich, als die feuernden Feststofftriebwerke sie auf den neuen Kurs zwangen. Doch auch das vierte Triebwerk war nicht komplett ausgefallen. Im selben Moment, in dem die Kurskorrektur beendet war und die Schubdüsen ausgingen, sprang das defekte Aggregat an und versetzte der Fähre einen harten Stoß, der sie wie ein Fausthieb traf und herumriss. Sie trudelte durch die dichter werdende Atmosphäre und Sam wurde durch die plötzlichen Beschleunigungskräfte in seinen Sitz gepresst. Graue Schlieren trieben vor seinen Augen und er war kurz davor ohnmächtig zu werden, während er verzweifelt um die Kontrolle über das störrische Schiff kämpfte. Erst als er das beschädigte Triebwerk endlich abstellen konnte, ließ sich die Landefähre wieder steuern.

Nur Sekunden waren vergangen. Doch die hatten genügt, um das kleine Schiff weit vom ursprünglichen Kurs abzubringen. Es raste durch die unteren Atmosphärenschichten und wurde durch diese abgebremst.

»Wir schaffen es nicht, mit den übrigen Treibstoffreserven!«, stieß Andrea verzweifelt aus, während ihre Finger wie von selbst über Kontrollen und Tastaturen glitten. Fieberhaft berechnete sie, wie weit die MLE von ihrer Route abgewichen war.

»Bring uns einfach so dicht wie möglich an den Korolev ran«, rief Emilia und sah beruhigend zu der angespannten Navigatorin hinüber. »Du bekommst das schon hin.«

 

Mit laut brüllenden Triebwerken jagte das Schiff währenddessen der Marsoberfläche entgegen und schüttelte sich dabei wie ein bockendes Rodeopferd. Sam hatte alle Hände voll zu tun, um dem kleinen Flugkörper seinen Willen aufzuzwingen. Viel zu schnell verringerte sich die Höhenanzeige. Durch das vordere Cockpitfenster konnte er bereits Oberflächenstrukturen ausmachen. Und was er da sah, trug nicht unbedingt zu seiner Beruhigung bei. Sie überquerten einen ausgedehnten, zerklüfteten Gebirgszug, der kaum Möglichkeiten bot, das Schiff sauber zu landen. Während er automatisch die im Training tausendfach geübten Kommandos in die Konsole eingab und die MLE damit aus dem horizontalen Gleitflug in eine aufrechte Position brachte, überlegte er fieberhaft, wo sie sich wohl befinden mochten.

Wie das Landegebiet im Simulator sieht das da unten jedenfalls nicht aus, dachte er panisch, befahl sich aber selbst, ruhig zu bleiben. Erst mal müssen wir sauber runterkommen, dann sehen wir weiter.

Und eine Wahl hatten sie sowieso nicht. Ein schneller Blick auf die Treibstoffanzeigen zeigte ihm, dass die Triebwerke nur noch wenige Sekunden feuern würden. Diese Zeit musste ausreichen, das Schiff sicher herunterzubekommen. Sam arbeitete in fieberhafter Eile. Erneut zündete er die Schubdüsen und ihre Geschwindigkeit nahm schlagartig ab. Der Pilot stöhnte leise auf, als die Gravitationskräfte ihn tief in den Sitz pressten. Schließlich schwebte die Landefähre aufrecht über einem mächtigen, verhältnismäßig ebenen Krater.

Einen besseren Landeplatz werden wir wohl nicht finden, dachte der Pilot, während er mit ruhiger Stimme die bevorstehende Landung verkündete.

»Fünfzig Meter«, rief er mehr zu seiner eigenen Beruhigung, als um die Mitglieder der Crew zu informieren. Ein kurzer Blick hinüber zu Andrea zeigte ihm, dass dies sowieso nichts genutzt hätte. Sowohl die junge Navigatorin, wie auch der Exobiologe hingen schlaff in ihren Sitzen und waren ohnmächtig. Nur Emilia blickte ihn entschlossen an und nickte.

»Bring uns runter«, war alles, was sie sagte.

Sam aktivierte die Landestützen, die mit einem hydraulischen Surren ausfuhren. Gleichzeitig schaltete er auf den Landecomputer um, der die Steuerung der Triebwerke übernahm. Mit mulmigem Gefühl sah Sam, wie die Anzeigen der Treibstofftanks sich rasend schnell verringerten.

»Landestützen sind ausgefahren und verriegelt«, las er die Meldung vor seinen Augen ab. Unnötig eigentlich, denn Emilia hatte die gleichen Daten vor sich auf dem Display. Doch Sam brauchte nun, da er die Kontrollen über die Landefähre dem Bordcomputer übergeben hatte, etwas zu tun.

»Zwanzig Meter«, stieß er daher aus, »Vertikale Geschwindigkeit über Grund bei null Komma zwei. Sieht gut aus, kommen sauber runter!«

Emilia nickte bestätigend.

»Zehn Meter«, zählte Sam weiter mit, »fünf, vier, drei, zwei, ein Meter ... und Landung. Wir sind unten!«

Erleichtert jubelte er die letzten Worte, während die Triebwerke verstummten und sich die Krallen an den drei Landestützen der MLE tief in den Marsstaub gruben.

»Verankerungen sind ausgefahren«, kommentierte er diese vollautomatische Aktion des kleinen Schiffes. »Wir stehen stabil mit nur fünf Prozent Neigung. Alles im grünen Bereich.«

Minutenlang saßen die beiden Astronauten ausgelaugt in ihren Schalensitzen. Die Anspannung fiel langsam von Sam ab und er begann unkontrolliert zu zittern. Ein leises Stöhnen entrang sich seiner Kehle. Erst jetzt konnte er die Trauer über den Verlust seiner geliebten Liss zulassen und Tränen flossen ihm heiß an den Wangen herab.

Der Stokes-Krater

 

Der rote Sand knirschte unter Samuel Winters schweren Stiefeln. Er bückte sich, hob einen Stein auf und betrachtete diesen eingehend. Ein poröses Stück Fels, das sich viel zu leicht anfühlte und in seiner Faust zerbröckelte, als er diese ballte. Staub rieselte zu Boden und Sam wandte sich der Landefähre zu, die zweihundert Meter tiefer im Krater die blassen Strahlen der Sonne reflektierte. Er blieb kurz stehen und ließ seinen Puls zur Ruhe kommen, während er durch sein automatisch abdunkelndes Helmvisier die Umgebung der MLE betrachtete. Nach allen Seiten erstreckte sich der mächtige Trichter, in dem sie vor fünf Stunden gelandet waren. Sie waren irgendwo in der Nähe des Stokes-Kraters runtergegangen. Zumindest, wenn man den Angaben von Andrea glauben durfte, die sich in Bezug auf ihre momentane Position aber alles andere als sicher war. Und genau deshalb hing sie jetzt zehn Meter hinter ihm an der Sicherungsleine und kämpfte sich langsam und vorsichtig den Kraterrand hinauf.

»Wieso haben wir noch gleich keine der automatischen Flugdrohnen losgeschickt, um unsere Position zu ermitteln?«, wollte Sam keuchend wissen, nachdem er die Umgebung eingehend betrachtet hatte.

»Weil der Transponder zu schwer für diese Minihubschrauber ist«, entgegnete Andrea, die schweratmend neben ihm stehen blieb. »Und die brauche ich, um die exakte Position zu bestimmen. Der Stokes war mehr geraten, als auf wissenschaftlicher Basis ermittelt.«

»Aber das sagte ich dir bereits«, fügte sie laut atmend hinzu und stapfte – nachdem sie einen kurzen Blick zum Kraterrand hinaufgeworfen hatte – an Sam vorbei.

»Gleich geschafft«, schnaufte sie, »los komm, ich will endlich wissen, wo wir genau sind.«

Auf der eisigen Ebene des Korolev-Kraters und damit an unserem ursprünglichen Landeplatz sind wir jedenfalls nicht, antwortete Sam in Gedanken. Das ist mal offensichtlich. Und so wie es im Moment aussieht, werden wir da in diesem Leben auch nicht mehr hinkommen!

 

Die steilen Kraterwände machten den Einsatz des Rovers jedenfalls unmöglich. Das schwere, achträdrige Fahrzeug, das in der Lage war, fünfhundert Kilometer und mehr zurückzulegen, stand vollkommen nutzlos neben der Landefähre am Grund des Kraters. Die Automatiksonden hatten in der letzten Stunde das Umgebungsprofil des Trichters vollständig aufgenommen und es gab nur einen engen Durchbruch im Osten durch die steinerne Barriere.

Doch dieses schmale Tal führte leider nicht hinaus, sondern endete an der einhundert Meter hohen, senkrecht ansteigenden Felswand eines Plateaus, das sich direkt neben dem Krater erhob.

Die Aufgabe der beiden Astronauten bestand im Moment vor allem darin, herauszufinden, ob mit Bordmitteln ein Durchgang freigelegt werden konnte, der breit genug war, den Rover passieren zu lassen. Für seismische Untersuchungen am ursprünglichen Landepunkt hatte die MLE mehrere Stangen Plastiksprengstoff geladen, mit dem es vielleicht gelingen konnte, den Weg freizumachen. Dann wäre die Fahrt zur Basisstation im Norden zumindest möglich.

 

»Los, komm hoch hier und schau dir das an«, ertönte die aufgeregte Stimme der Navigatorin in Sams Interkom. »Das ist sagenhaft!«

»Bin ja schon fast da«, entgegnete er und stapfte die letzten Meter hinauf. Oben eröffnete sich ihm ein Panorama, für das sich die Kletterei gelohnt hatte. Nach Osten erstreckte sich unter ihnen der kreisrunde Plateauberg, der den Weg versperrte. Im Westen lag eine scheinbar endlose Steinwüste hinter dem Krater, die nichts außer Geröll zu bieten hatte. Ebenso im Norden. Als Sam sich jedoch umwandte, stockte ihm der Atem.

Im Süden, vier- bis fünfhundert Kilometer entfernt, tobte ein Staubsturm von gigantischen Ausmaßen. Blassrote Wolken türmten sich zu mächtigen Gebilden bis weit in den Himmel. Blitze zuckten zwischen den Schwaden und warfen gespenstische Lichter in den Staubwolken hin und her. Der Sturm wälzte sich wie ein alles verschlingendes Monster über Ebenen, Krater und Hügelketten.

»Hast du schon mal etwas Vergleichbares gesehen?«, fragte Andrea, die das Naturschauspiel staunend betrachtete. Sam schüttelte nur stumm den Kopf, während er wie gebannt Richtung Süden starrte. Erst die Stimme von Emilia Triton riss ihn aus den Gedanken.

»Hey, ihr zwei Entdecker. Vergesst nicht, warum ihr da oben seid. Samuel, du überprüfst bitte die Talsperre auf Schwachstellen.«

»Roger. Bin auf dem Weg.«

Er trabte bis an den Rand des Canyons und begann mit seinen Untersuchungen. Auch Andrea riss sich von dem imposanten Anblick des Staubsturmes los, rammte den Transponder, der bisher in einem Rucksack sicher verstaut gewesen war, in den Boden und aktivierte das antennenförmige Gerät.

»Andrea, läuft die Positionsbestimmung schon?«, erklang erneut die fragende Stimme der Kommandantin.

»Habe sie gerade gestartet«, antwortete die Navigatorin. »Erste Daten kommen rein, Stand-by.«

Sie blickte gespannt auf den kleinen Bildschirm, der mit Klettbändern an ihrem linken Unterarm befestigt war.

»Wir befinden uns im Mare Boreum, ungefähr siebenhundert Kilometer südlich der Basisstation. Nicht so weit ab vom Kurs, wie ich zunächst dachte. Der Stokes ist noch mal vierhundert Kilometer südwestlich von uns.«

Siebenhundert Kilometer, stöhnte Sam in Gedanken, und das nennt sie nicht so weit?

 

Der Rover war nur für Fahrten bis fünfhundert Kilometer ausgelegt. Selbst wenn sie aus diesem verdammten Krater herauskamen, war keineswegs sicher, dass sie die lange Reise schafften. Und davor stand zunächst die Herausforderung, den Talausgang in der Kraterwand freizubekommen. Was von seiner aktuellen Position aus gar nicht so einfach aussah. Insgesamt keine rosigen Aussichten.

»Samuel, wie sieht es bei dir aus?«, wollte Emilia von ihm wissen.

»Stand-by, bin noch bei der Auswertung.«

»Roger, wir warten.«

Sam musterte den Canyon eingehend mit dem Fernglas. An der südlichen Felswand entdeckte er schließlich eine Stelle, an der es vielleicht möglich war, durchzubrechen. Allerdings bezweifelte er, dass ihre Sprengsätze mit den Felsmassen dort unten fertig wurden. Und ob der Rover anschließend fähig war, die Geröllfelder, die durch die Sprengungen entstehen würden, zu überqueren, war ebenfalls fragwürdig. Doch eine andere Möglichkeit gab es nicht. Der Sauerstoffvorrat der Landefähre, des Rovers und der Anzüge, die sie dabeihatten, würde ungefähr vier Wochen ausreichen. Eine Rettungsmission konnten sie vergessen, die würde erst in knapp sechs Monaten auf dem Mars ankommen. Und das auch nur, wenn sie sofort starteten.

 

Was Sam augenblicklich ebenfalls infrage stellte. Schon die Ares-9 Expedition war nur mit einem gigantischen Aufwand möglich gewesen. Und ihr Misserfolg hatte ziemlich sicher die Einstellung aller folgenden Marsmissionen zur Folge. Dazu kam, dass das Kontrollzentrum auf der Erde bislang gar nicht wusste, dass die Mission gescheitert war, da die Sendeantennen der MLE bei der Abtrennung von der Magellan stark beschädigt worden waren. Die Empfangsanlage im Rover war zu schwach, um ein Signal Richtung Heimat zu schicken. Vielleicht gelang es ja, wenn sie unterwegs waren. Hier in diesem Trichter jedenfalls war jegliche Kommunikation mit der Erde zum Scheitern verurteilt.

»Und ob wir aus dem verdammten Krater je rauskommen, steht im Moment noch in den Sternen«, murmelte er leise vor sich hin, während er das Fernglas absetzte.

»Was hast du gesagt?«, kam es fragend von Emilia.

Mist, er hatte vergessen, das Interkom auszuschalten. »Nichts, nichts«, beeilte er sich zu sagen, »hab nur laut vor mich hingedacht. Es wird nicht einfach werden, aber ich sehe eine Möglichkeit, den Weg für den Rover frei zu sprengen.«

 

 

 

Die Sprengung

 

Knapp achtundvierzig Stunden später war es soweit. Mithilfe des schweren Bohrgeräts, das sie mit dem Rover bis zum Ende des Kratereinschnitts geschafft hatten, waren zwanzig tiefe Löcher entstanden. Wenn Emilias Berechnungen stimmten, waren diese so platziert, dass die folgende Sprengung den Felsvorsprung zum Einsturz bringen würde, der ihnen den Weg zur Basis versperrte.

Die Anzugkühlung arbeitete auf höchster Stufe, dennoch schwitzte Sam. Und das nicht nur, weil die Arbeit so anstrengend war. Er aktivierte die Sprechverbindung und sah zu Mortimer hinüber, der auf sein Kommando wartete. Der Biologe hatte bei der Kalkulation der richtigen Sprengstoffmenge und deren Platzierung geholfen. Falls er dabei Fehler gemacht hatte, würde der Misserfolg zumindest nicht lange an ihnen nagen. Denn dann endete ihre Expedition zum Mars in wenigen Wochen, wenn der Sauerstoff ausging.

»Vorsicht! Sonst blasen wir nicht nur diesen Felsvorsprung weg, sondern uns gleich mit.«

Langsam bückte er sich und griff nach dem gut zwei Meter langen Stab aus Plastiksprengstoff, dessen Sprengkraft mit Sicherheit ausreichte, um Mortimer und ihn in Sekundenbruchteilen zu verdampfen. Ursprünglich war das Zeug für die seismischen Vermessungen am Korolev-Trichter bestimmt gewesen. Doch Sam verzichtete gerne auf präzise Untersuchungen des dortigen Höhlensystems, wenn sie mit dem C4 eine Chance hatten, aus diesem verdammten Krater hier herauszukommen.

»Auf drei heben wir das Ding an.«

»Mann, mach dich locker«, brummte der Exobiologe gutmütig. »Das Zeug ist ohne Zünder vollkommen ungefährlich. Du könntest Fußball damit spielen und nichts würde passieren.«

»Ich bin trotzdem lieber vorsichtig«, gab Sam zurück, »und ich trete nicht gerne nach Dingen, die vielleicht explodieren könnten. Ok, na dann: Drei, zwei, eins und los!«

Zumindest theoretisch sollte es hinhauen, dachte er, während sie die Sprengpatrone in das letzte Bohrloch schoben und er den Zünder in die weiche Masse steckte.

»Geschafft«, schnaufte er erleichtert und klopfte dem britischen Wissenschaftler mit der behandschuhten Hand auf die Schulter, »das war die letzte Ladung.«

Er blickte in Richtung des Rovers, der weit hinter ihnen in der Schlucht stand und in dem Emilia und Andrea auf sie warteten.

»Lass uns hier verschwinden, solange die Sicht gut ist. Wir ziehen uns zum Rover zurück und aktivieren die Zünder von dort aus.«

Es wurde höchste Zeit, dass sie hier wegkamen. Als Sam sechs Stunden zuvor zum zweiten Mal den Steilhang erklommen hatte, um eine Kamera aufzustellen, welche die Sprengung von oben aufzeichnen sollte, war er bei dem Anblick, der sich ihm im Süden bot, erschrocken zusammengezuckt.

Der Staubsturm, der am Vortag noch viele hundert Kilometer entfernt gewesen war, hatte sich in erschreckender Geschwindigkeit genähert und schien zudem an Intensität gewonnen zu haben. Dutzende Blitze durchzuckten nun gleichzeitig die brodelnden Wolkenmassen, die sich wie die Glutlawine eines gigantischen Vulkanausbruchs über die Ebenen wälzte.

Sollte dieser Moloch sie vor ihrem Aufbruch erreichen, dann war ihre Reise in den Norden zu Ende, bevor sie begonnen hatte. Sicher boten die Kraterwände einen gewissen Schutz, doch wenn dieses Staubmonster wochenlang über ihnen tobte, wurde eine Flucht unmöglich. Die elektrostatisch aufgeladenen Wolken würden ihre Scanner und Richtantennen blockieren und der Staub die Solarzellen lahmlegen. Im Zentrum eines solchen Sturmes war die Sicht so gering, dass sie blind und nur nach Gefühl navigieren müssten. Jeder Abhang, jeder Stein und jedes Loch konnten da für den Rover ein tödliches Hindernis darstellen.

»Ich habe noch nie so eine Felsformation gesehen«, drang Mortimers Stimme aus den Helmlautsprechern und riss ihn aus den Gedanken. »Das ist schon imposant, findest du nicht?«

Der englische Wissenschaftler war dicht an die Steilwand herangegangen, die ihnen den Weg aus dem Krater versperrte. Er berührte mit den Händen die nahezu senkrechte Wand, die von hier aus beinahe wie eine Talsperre auf der Erde wirkte.

»Ja schon. Aber wir sollten jetzt wirklich los. Ich habe keine Lust darauf, noch hier zu sein, wenn der Sandsturm uns erreicht!«

Sam klopfte dem Exobiologen erneut auf die Schulter und trabte auf den Rover zu. Von dort würden sie die Zündvorrichtung betätigen. Und dann würde sich entscheiden, ob ihr Abenteuer auf dem Mars weiterging oder nicht.

 

»Wir sind wieder zurück«, schnaufte er unnötigerweise und nahm seinen Helm ab, als die Innenschleuse des Rovers grünes Licht anzeigte. Mortimer und er begaben sich in das Vorderteil des bulligen Fahrzeugs. Wenn die Sprengung erfolgreich verlief, wollten sie sich sofort auf die lange und gefährliche Reise zu ihrer Basis im Korolev-Krater machen.

»Lös den Zünder aus, wann immer du so weit bist«, kam das Kommando von Emilia. Die Anspannung in ihrer Stimme war deutlich herauszuhören.

»Verstanden«, gab Sam zurück und blickte zu der Stelle, an der die Sprengsätze auf sein Signal warteten.

»Das ist für dich, Liss«, flüsterte er und betätigte den Zünder. Im selben Moment erhob sich eine rote Staubwolke in atemberaubender Geschwindigkeit und fegte die Kraterwände hinauf. Ein tiefes Grollen rollte durch die Schlucht und die Druckwelle brachte den schweren Rover gefährlich ins Schwanken. Sam klammerte sich reflexartig an den Armlehnen seines Sitzes fest, während die Staubwolken über ihr Fahrzeug hinweg tosten und allen die Sicht raubten.

»Hat es funktioniert?«, drang die fragende Stimme von Mortimer zu ihm durch. »Sam, hat es funktioniert?«

Der Pilot überprüfte die Fahrzeugsensoren, doch der aufgewirbelte Staub war so dicht, dass er keine verlässlichen Daten bekam.

»Weiß noch nicht«, krächzte er und sah abwechselnd zwischen den Anzeigen und der Frontscheibe des Rovers hin und her.

»Gerade werden die ersten Einzelheiten sichtbar. Ich überspiele die Aufnahmen der Krater-Kamera auf den Hauptbildschirm.«

 

Emilia Triton saß angespannt auf dem Fahrersitz des Rovers. Genau wie Mortimer Green und Andrea Leonowski wartete sie gebannt auf die ersten Bilder der Kamera. Sie wusste, dass die folgenden Sekunden über Tod und Leben entschieden. Aber auf das, was der Pilot kurz darauf durchgab, war keiner von ihnen gefasst.

»Verdammt, das gibt es doch gar nicht!«, hallte sein verblüffter Schrei durch das Fahrzeug. »Das ist absolut unglaublich!«

»Ist die Barriere zerstört?«, fragte Emilia unbeeindruckt von seinem Ausbruch nach. »Können wir den Trichter verlassen?«

»Seht es euch am besten selbst an«, antwortete Sam. »Ich übertrage die Kameradaten jetzt!«

Der Hauptbildschirm flackerte auf und zeigte das Hochplateau, das sie bereits von ihren Exkursionen kannten. Auf dem Tafelberg zuckten grüne und rote Blitze hin und her. Staubwolken wirbelten kilometerhoch in die Atmosphäre. Der gesamte Plateauberg schien abzurutschen und darunter kam eine linsenförmige Struktur aus dunklem Metall zum Vorschein, die ganz offensichtlich nicht natürlichen Ursprungs war. Die Felsmassen glitten über die Kanten des gigantischen Objekts und polterten mit den Steilhängen aus rotem Fels zu Tal. Doch statt sich hier zu unüberwindlichen Geröllhalden aufzutürmen, verschwand die Lawine aus Felsen und Sand einfach spurlos am Fuß des Plateauberges, als hätte es sie nie gegeben.

Währenddessen bebte der Boden unter dem Rover ohne Unterlass. Das schwere Fahrzeug wurde wie ein Spielzeug durchgeschüttelt. Die Erschütterungen schleuderten Mortimer aus seinem Sitz und warfen ihn zu Boden. Doch niemand beachtete den Exobiologen, der sich fluchend auf seinen Platz zurück kämpfte.

Als die Staubwolken sich endlich legten, breitete sich dort, wo vorher Felsmassen den Ausgang aus dem Canyon versperrt hatten, eine vollkommen glatte Ebene vor der verblüfften Ares-9 Crew aus.

Und dahinter ragte etwas so Fremdartiges in den blassroten Marshimmel, das keiner von ihnen je für möglich gehalten hätte.

Der Koloss

 

Wie ein Vorplatz aus Marmor, dachte Sam, nur dass dieses Material hier offensichtlich alles auflöst, was damit in Berührung kommt.

Er stocherte mit dem Sensorstab vorsichtig in der Oberfläche der weißglänzenden Substanz und beobachtete geschockt, wie das Ende seiner vier Meter langen Carbonlanze widerstandslos in das fremdartige Material eintauchte. Nicht einmal Rauch stieg auf und als er den Stab wieder herauszog, fehlte von dem Sensor, den er an der Spitze angebracht hatte, jede Spur. Alles, was mit diesem schimmernden Zeug in Berührung kam, wurde augenblicklich desintegriert.

»Das ist absolut irre«, flüsterte er, während er die vollkommen glatte Schnittstelle der Lanze mit einem Testspatel antippte. Argwöhnisch betrachtete er das Stäbchen in seiner Hand, bevor er es an Mortimer weiterreichte. Auf dem zähen Kunststoffmaterial war nichts zu sehen.

»Hmm, überaus interessant!«, brummte der Exobiologe, der neben Sam stand und kurz vom Display seines tragbaren Massenspektrometers aufsah, nachdem er das Teststäbchen in eine dafür vorgesehene Öffnung gesteckt hatte. »Es ist wohl keine Säure.«

»Und kannst du auch sagen, worum es sich handelt«, wollte Sam mit säuerlichem Unterton in der Stimme wissen, »oder weißt du nur, was es nicht ist?«

Mortimer zuckte mit den Achseln und wandte sich wieder seinem Spektrometer zu. Minutenlang tippte er auf dem kleinen Gerät herum, während er unverständliches Zeug murmelte. Schließlich sah er Sam ratlos an.

»Nichts, das uns bisher bekannt ist. Ich kann noch nicht einmal sagen, dass es sich um ein fremdes Material handelt, denn die Spektralanalyse zeigt nicht das Geringste an. Vielleicht ist es eine Art Energiefeld. Doch sicher bin ich mir nicht, dazu fehlen einfach die Daten!«

»Jedenfalls hält es uns davon ab, den Krater zu verlassen«, meinte Sam, »und es hindert uns auch daran, diese absolut fantastische Entdeckung da vor uns genauer zu untersuchen. Verdammt, ich würde meinen linken Arm dafür geben, an diesen grauen Koloss näher heranzukommen und herauszufinden, worum es sich bei diesem Ding handelt!«

Frustriert bückte er sich nach einem kleinen Felsbrocken und warf ihn in das materievernichtende Feld hinein. Durch die geringe Marsschwerkraft flog der Stein erstaunlich langsam und verschwand schließlich in der elfenbeinfarbenen Fläche, als würde er in eine Wolke eintauchen.

»Hier kommen wir nicht weiter«, meinte Mortimer und klappte kopfschüttelnd das Spektrometer zu. »Das ist frustrierend und faszinierend gleichzeitig.«

Er wandte sich ab und trabte zum Rover hinüber, den sie in sicherer Entfernung zu der materieverschlingenden Fläche im Canyon geparkt hatten. Doch schon nach wenigen Schritten blieb der Exobiologe erneut stehen.

»Ich bekomme ein Geräusch über die Außenmikrofone rein.«

»Bestätigt«, brummte Sam, »ich höre es auch. Klingt wie eine der Drohnen, die Andrea losgeschickt hat.«

Er legte den Kopf in den Nacken, wobei er seinen ganzen Körper nach hinten bog um mit dem klobigen Raumanzug den Himmel absuchen zu können. Im selben Moment schoss ein viermotoriger Flugkörper über den Rand des Artefakts und flog durch den Canyon auf die Kratermitte zu.

»Los, lass uns zu Emilia und Andrea in die MLE zurückkehren«, rief Mortimer aufgeregt. »Bestimmt hat die Drohne interessante Neuigkeiten aufgezeichnet.«

»Roger, bestätige. Wir gehen zurück.«

Sam starrte an der vollkommen glatten Wand hinauf, die steil vor ihm aufragte, während ein beklemmendes Gefühl in ihm aufstieg.

»Ich würde zu gerne wissen, worum es sich bei dir handelt«, murmelte er. Dann wandte er sich endgültig ab und folgte Mortimer in den Rover.

 

Kurze Zeit später saßen sie nebeneinander im Kontrollraum der MLE und analysierten mit Emilia und Andrea die Daten der Drohne. Fasziniert beobachteten die vier Astronauten, wie sich die dreidimensionale Karte aufbaute. Auf dem Hologramm, das sich mitten in der Kommandosektion langsam vervollständigte, waren das dunkelgraue Objekt, der Kraterrand und die nach Osten verlaufende Passage zu sehen, die Mortimer und er eben noch erkundet hatten. Die glatten Wände des Bauwerks dahinter reckten sich fast senkrecht in die Höhe, wo sie in eine flache, leicht gewölbte Kuppel übergingen. Nirgends waren Kanten oder Öffnungen zu erkennen. Das Ding wirkte wie aus einem Stück gegossen. Nur das mächtige Dach war von scheinbar zufällig verlaufenden Rinnen überzogen, die dem Objekt das Aussehen einer riesigen Schildkröte gaben.

 

»Jedenfalls hat die Sprengung funktioniert und die Barriere ist weg«, überlegte Emilia. »Doch das wird uns wohl nicht viel nützen, oder?«

»Das ist richtig«, bestätigte Sam. »Die Spitze meiner Sondierungslanze wurde rückstandslos aufgelöst. Und so, wie die Felsen am Boden einfach verschwunden sind, würde ich lieber nicht mit dem Rover darüber fahren wollen. Das müssen doch Tausende Tonnen von Gestein gewesen sein, die dort die Hänge hinabgestürzt sind.«

»Ungefähr hundertfünfzig Megatonnen«, erwiderte Mortimer. Als Emilia ihn ungläubig anstarrte, fügte er fast entschuldigend hinzu: »Ist aber nur eine grobe Schätzung!«

»Wir brauchen mehr Informationen«, murmelte Sam. »Wie lang noch, bis sämtliche Daten der Drohne übertragen sind?«

»Zwei Minuten«, antwortete Andrea. »Die letzten Werte werden gerade transferiert.«

Sie tippte auf ein Touchpanel und das Bild des grauschwarzen Kolosses, der nun vollständig zwischen ihnen rotierte, wurde von Gitterlinien, Entfernungsangaben und Vektoren überzogen.

»Verdammt, ist das ein Monstrum! Ziemlich genau einhundert Meter hoch«, stieß Sam verblüfft aus, als er die Anzeigen mechanisch ablas, »zwölf Kilometer breit, von der Form her ein mittig durchgeschnittenes Ellipsoid mit einer Erhebung im Zentrum. Könnte das vielleicht so etwas wie die Zentrale sein?«

»Hm, faszinierend«, murmelte Mortimer, »erinnert mich an die Abbildungen von Ufos, findet ihr nicht auch? Ob die Struktur sich unter der Oberfläche wohl fortsetzt? Und seht euch nur diesen erstaunlichen materieauflösenden Streifen davor an. Der ist vollkommen eben und überall exakt zweihundert Meter breit. Das ist absolut fantastisch!«

 

Während die holografische Aufnahme weiterhin träge rotierte, blickte Sam zu einem der seitlichen Bullaugen der MLE hinaus. Ihre einzige Hoffnung lag hinter der Ebene, auf der zwanzig Rover nebeneinander fahren konnten. Eigentlich war der Weg frei, doch sie hatten alle gesehen, was mit Materie passierte, die das weiß schimmernde Band berührte.

Die Dämmerung senkte sich langsam herab und am Ende des wie mit einem Messer in den Kraterrand geschnittenen Canyons konnte er das gigantische graue Objekt sehen, dessen Kanten im Licht der untergehenden Sonne blutrot leuchteten. Sandwirbel des herannahenden Sturmes ließen das Ding noch unwirklicher aussehen, als es sowieso schon war.

Wie ein riesenhaftes lauerndes Urzeitwesen kauerte der Koloss vor dem Krater. Sam war nie ein ängstlicher Mensch gewesen, aber in diesem Moment kroch ihm die Angst wie ein kalter Schauer den Rücken hinab und raubte ihm den Atem.

Als würde es nur darauf warten, bis wir uns herauswagen, dachte er, um uns dann alle zu verschlingen.

 

»Drohnen zwei und drei kehren zurück.«

Andreas Stimme riss ihn aus seinen düsteren Gedanken. Sie deutete auf die Monitore, welche die Umgebung um die Landefähre zeigten. »Wollen wir hoffen, dass uns deren Aufzeichnungen weiterbringen.«

Die Navigatorin hatte die robusten Flugmaschinen vor Stunden auf den Weg geschickt. Sie waren darauf programmiert, das gigantische Konstrukt in einer Höhe von zwei Metern zu umrunden und anschließend zur Landefähre zurückzukehren. Leider waren die Übertragungen bereits abgebrochen, als die Drohnen die Grenze des Vorplatzes überflogen. Erst als sie erneut über diese unsichtbare Barriere zur MLE zurückkehrten, setzten die Datenströme wieder ein.

»Hoffentlich haben ihre internen Speicher etwas aufgezeichnet, das uns hilft«, hoffte Mortimer und kletterte zur Luftschleuse hinunter, in die Sam die beiden Fluggeräte steuerte, nachdem er die Kontrolle übernommen hatte.

»Warte, ich komme mit und helfe dir!«, rief Andrea dem Exobiologen hinterher. Auch sie verschwand durch die schmale Luke in den unteren Bereich der Landefähre und ließ Emilia und Sam allein in der Kommandozentrale der MLE zurück. Als der Pilot das Zischen der Luftschleuse hörte, die sich hinter den beiden Wissenschaftlern schloss, wandte er sich an die Kommandantin.

»Sag mal, Emilia, kommt Andrea nur mir komisch vor, seit wir auf dem Mars gelandet sind?«

»Was meinst du?«

»Na ja, gestern konnte ich sie gerade noch davon abhalten, die Handüberbrückung der Hauptschleuse zu aktivieren, obwohl die Innentür geöffnet war. Das hätte uns alle das Leben gekostet. Und vorher habe ich sie dabei beobachtet, wie sie die Antriebszellen der MLE herausgenommen und untersucht hat.«

»Wie bitte?«, fuhr Emilia auf. »Und warum erzählst du mir das nicht gleich?«

»Ich dachte eben, sie ist noch durcheinander wegen Favi. Immerhin waren die beiden seit fast zehn Jahren zusammen.«

»Beinahe so lange wie du und Alisca«, gab Emilia leise zurück, »doch du hast dich unter Kontrolle, weil du weißt, dass unser Leben hier an einem seidenen Faden hängt. Jede Unachtsamkeit kann in einer Katastrophe enden.«

Der Name seiner Frau fuhr Sam wie ein Messerstich durchs Herz. In den letzten Tagen hatte er sich selbst verboten, an Liss zu denken, um handlungsfähig zu bleiben. Doch Emilia hatte recht: Er konnte sich momentan keine Trauer leisten, wenn sie hier alle mit heiler Haut herauskommen wollten. Und natürlich galt das ebenso für den Rest der Besatzung. Auch für die Navigatorin, ohne die sie nie den Weg zur Basis im Norden finden würden.

»Ja, du hast recht«, erwiderte er traurig. »Wir müssen auf Andrea aufpassen. Sie darf keine Fehler machen, so sehr der Verlust auch schmerzt.«

Emilia nickte. »Ich rede mit ihr, sobald sie wieder zurück ist. Sie wird verstehen, dass wir erst trauern können, wenn die Sicherheit der Basisstation erreicht ist.«

Vorausgesetzt, dass wir das überhaupt schaffen, dachte Sam.

 

Gleichzeitig arbeiteten Mortimer und Andrea zehn Meter tiefer in der Luftschleuse an den beiden Flugdrohnen, die sicher gelandet waren. Der Exobiologe beugte sich gerade über eins der Fluggeräte und entnahm diesem vorsichtig die Speicherkarte mit den Flugdaten.

»Lass uns hoffen, dass wir darin etwas entdecken, das uns hilft, zur Basis am Korolev zu kommen. Ich bin gespannt, ob wir ...«, rief er und wandte sich dabei zu Andrea um, die bisher wortlos hinter im gewartet hatte. Seine Augen weiteten sich ungläubig und er riss die Hände schützend vors Gesicht. Doch es war zu spät, denn in diesem Moment traf ihn eine der Energiezellen aus der Landefähre, die die Navigatorin lautlos aus ihrem Schacht gezogen hatte.

Mortimers Kopf wurde durch den Aufprall nach hinten geschleudert und er knallte hart gegen die geöffnete innere Schleusentür. Mit einem erstaunten Ausdruck im Gesicht rutschte er zu Boden.

»Ich will ohne Favi nicht zur Basis«, keifte sie den Bewusstlosen an, »und ihr sollt das genauso wenig schaffen. Ihr habt ihn auf der Magellan sterben lassen. Das verzeihe ich euch nie!«

 

»Äußere Schleusentür der Landefähre wird geöffnet«, verkündete die Computerstimme der MLE. Emilia und Sam sahen sich erstaunt an, bevor beide denselben Gedanken hatten.

»Andrea!«

»Kannst du das unterbrechen?«, rief der Pilot. Doch Emilia schüttelte den Kopf.

»Keine Chance, das geht nur in der Schleuse.«

»Verdammt! Los, schnell, lass uns nachsehen.«

Die beiden hasteten aus der Zentrale. Sam glitt hinter Emilia die Leiter hinab, ohne mit den Füßen die Sprossen zu berühren. Die Reibungshitze an seinen Händen ließ ihn aufstöhnen. Doch Brandblasen waren im Moment seine geringste Sorge. Unten angekommen rüttelte er an der Schleusentür, aber sie war blockiert. Durch das kleine Bullauge konnte er Andrea sehen, die gerade die Außentür öffnete.

»Verdammt, wir kommen zu spät«, fluchte er. »Sie hat die Luke bereits geöffnet. Ich kann sie von hier aus nicht mehr aufhalten!«

Emilia beugte sich über den bewusstlosen Exobiologen und tastete ihn mit geübten Griffen nach Verletzungen ab.

»Morti, was ist passiert? Mensch, komm zu dir und erzähl uns, was los ist«, rief sie und tätschelte dem besinnungslosen Wissenschaftler das Gesicht. Er zuckte zusammen, kam langsam wieder zu sich und setzte sich leise stöhnend auf.

»Emi? ... Ich weiß nicht ... Andrea ... Sie hat mich niedergeschlagen?!«

 

»Äußere Schleusentür geöffnet, äußere Schleusentür geöffnet«, dröhnte die automatische Ansage mechanisch durch das Schiff, während Sam frustriert gegen das Bullauge hämmerte. Die Navigatorin kletterte die Außenleiter hinab und verschwand aus seinem Sichtfeld. Er rammte die Faust auf die Sprechtaste des Interkoms und brüllte hinein.

»Andrea, was zum Teufel tust du da?«

Sekunden vergingen, dann knackte es in den Lautsprechern.

»Ihr habt meinen geliebten Favi sterben lassen!«, kreischte die irre Stimme der Navigatorin durch die MLE. »Dafür werdet ihr alle zahlen. Ihr werdet niemals bis zur Basisstation kommen.«

»Sie ist verrückt geworden«, flüsterte Sam fassungslos. Dann fiel sein Blick auf die Energiezellen. Vier davon steckten in ihren Schächten und blinkten in beruhigendem Blau. Die fünfte Aufnahme war leer. Sam wurde blass, als ihm aufging, was die Navigatorin vorhatte.

»Verflucht, sie will den Rover sprengen.«

»Wie soll das gehen?«

Emilia blickte ihn verständnislos an.

»Die Batterie! Verstehst du denn nicht? Sie wird das verdammte Ding dort einsetzen. Die Energiezelle der MLE ist viel zu stark und nicht für das Fahrzeug ausgelegt. Andrea wird die Elektronik im Rover überlasten und ihn zur Überladung bringen. Damit sprengt sie sich und womöglich auch uns in Stücke.«

Emilia wurde blass und ließ Mortimer, der sich gerade stöhnend aufrichtete, sanft gegen eine Wand gleiten. Sie sprang auf und riss einen der Druckanzüge, die neben der Schleuse hingen, an sich.

»Das kann ich nicht zulassen!«

»Und ich lasse nicht zu, dass du dich in Gefahr bringst«, entgegnete Sam. »Wenn sie den Rover wirklich sprengt, kommst du auf jeden Fall zu spät. Und draußen bist du lediglich durch die dünne Haut des Anzugs vor der Explosion geschützt. Hier drin haben wir wenigstens eine Überlebenschance!«

»Verflucht noch mal«, schimpfte Emilia frustriert, »diese Irre wird unsere einzige Möglichkeit, zur Basis zu kommen, zerstören.«

Doch sie wusste, dass Sam recht hatte. Draußen war sie der Detonation schutzlos ausgeliefert. Bis sie selbst die Schleuse verlassen konnte, hatte die russische Navigatorin ihren Plan längst in die Tat umgesetzt. Sie fasste einen Entschluss und zeigte auf die Druckanzüge, die neben der Luftschleuse hingen.

»Los, sofort anziehen. Und dann ab nach oben in die Schalensitze. Bei einem Druckabfall sind wir dort auf jeden Fall am besten geschützt!«

 

Zwanzig Meter entfernt öffnete Andrea Leonowski die Innenschleuse des Rovers und kletterte in das geräumige Fahrzeug. Sie verzichtete darauf, den Anzug abzulegen. Nur den Helm löste sie mit einer leichten Rechtsdrehung aus der Halskrause und warf ihn achtlos zur Seite. Dass dabei die Visierscheibe zersplitterte, kümmerte sie nicht. Sie würde ihn sowieso nicht mehr benötigen.

Die Navigatorin drehte alle Sauerstoffventile im Rover auf und während diese zischend ihren Inhalt ins Innere des hermetisch abgeschlossenen Fahrzeugs entließen, rammte sie die Energiezelle aus der Landefähre in den Ersatzsockel neben der aufgeladenen Roverbatterie. Dann schwang sie sich auf den Fahrersitz.

Sie aktivierte sämtliche Energiesysteme, ließ die Bordheizung, die Antriebsaggregate und alle elektrischen Systeme des Gefährtes auf höchster Leistung laufen, ohne dabei jedoch die Bremsen zu lösen. Die Elektromotoren heulten gequält auf. Im Rover wurde es schnell unerträglich heiß.

Ein letztes Mal drückte Andrea Leonowski die Sprechtaste des Interkoms und ihre Stimme schallte erneut durch die Lautsprecher der Landefähre, in der sich die verbliebenen drei Crewmitglieder in der Kommandozentrale auf ihren Liegen festgeschnallt hatten.

»Fahrt alle zur Hölle!«

In diesem Moment erreichte die Temperatur der Energiezelle die kritische Grenze. Die überladenen Systeme sprühten knisternde Funken, entzündeten das hochexplosive Sauerstoffgemisch, und der Rover verwandelte sich in einen donnernden Feuerball, der sich rasch ausdehnte und über die Landefähre hinweg brandete. Die Wucht der Detonation war so stark, dass eine der Landestützen wie ein Strohhalm wegknickte. Das massive Teleskopbein brach mit einem lauten Knirschen, die Fähre neigte sich wie in Zeitlupe zur Seite und prallte schließlich auf den Kraterboden, wo sie die Überreste des Rovers unter sich begrub.

 

Das Licht der LED-Beleuchtung flackerte gespenstisch durch die nebelige Kommandozentrale, als Sam stöhnend zu sich kam. Alles stand auf dem Kopf und verwundert sah er sich in dem vollkommen zerstörten Raumschiff um.

Überall waren Geräte aus ihren Halterungen geschleudert worden und lagen nun verstreut herum. Leitungen hingen abgerissen aus den Wänden und der Hauptsäule. Links unter ihm züngelte ein Elektrobrand, den die automatische Feuerlöschanlage nicht vollständig erstickt hatte.