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Kooperation gilt als zentraler Bestandteil einer inklusiven, leistungsfähigen, sozial gerechten und mit einer erweiterten Verantwortung für Erziehung, Bildung und Betreuung ausgestatteten Grundschule. Für gelingende Kooperation zwischen Fachkräften untereinander und mit außerschulischen Beteiligten müssen jedoch entsprechende Voraussetzungen geschaffen werden. Der Band der Reihe "Grundschule heute" klärt begriffliche Konzeptualisierungen und gibt einen fundierten Einblick in den Diskurs sowie den Forschungsstand zu Kooperation im intra- wie multiprofessionellen Team. Anschließend zeigt er Anlässe und Besonderheiten inner- wie außerschulischer Kooperationsfelder, -formate und -praktiken in der Grundschule auf. Konkrete Hinweise zu Gelingensbedingungen und tragfähigen Kooperationsformaten für eine kooperativ-vernetzte Professionalität in der Grundschule schließen das Buch.
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Seitenzahl: 234
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Cover
Titelei
Vorwort der Herausgeberinnen
1 Einleitung
2 Wie Kooperation verstehen?
2.1 Annäherungen an das Begriffsfeld »Kooperation«
Co-Activity – Cooperation – Coordination – Collaboration
Austausch – Arbeitsteilung – Ko-Konstruktion
Intra-, inter- und multiprofessionelle Kooperation
Exkurs: Multi-, inter- und transprofessionelle Kooperation aus gesundheitswissenschaftlicher Perspektive
Intra- und Interdisziplinäre Kooperation
Interne und externe Kooperation
2.2 Diskursentwicklung: Vom »Individualismus« zur »kooperativen Professionalität«
Das Autonomie-Paritäts-Muster und die zelluläre Organisationsstruktur von Schule
Kooperation und Vernetzung als neuer Ansatz?
Die diskursive Idealisierung von Kooperation zu einem Mythos
2.3 Forschungsbefunde: Kooperationsbereitschaft und faktische Zusammenarbeit
2.4 Kooperationspraxen in der Grundschule: Fallbeispiele aus der qualitativ-rekonstruktiven Forschung
2.5 Fazit
3 Die Grundschule als besonderer Kooperationsort: Schul- und professionstheoretische Grundlegungen
3.1 Historische Entwicklungslinien
Die Gründung der Grundschule
Nationalsozialismus
Restauration in Ost und West
Reform und Emanzipation in der BRD
3.2 Grundschule heute
3.3 Kooperation in der Grundschule
Erste Schule
Gemeinsame Schule
Kindgemäße Schule
Exkurs: Kooperation in der feminisierten Grundschule und in Zeiten des Lehrkräftemangels
3.4 Fazit
4 Anlässe und Kontexte der Kooperation in der Grundschule
4.1 Innerschulische Kooperationsfelder
Unterricht
Schule entwickeln
Inklusion
4.2 Außerschulische Kooperationsfelder
Elternarbeit als Erziehungs- und Bildungspartnerschaft
Transition
Ganztag
Kooperation mit der Kinder- und Jugendhilfe
4.3 Fazit
5 Kooperation fördern
5.1 Gelingensbedingungen einer kollaborativ-vernetzten Professionalität
Kooperation braucht Räume und Zeiten
Kooperation braucht Gegenstände
Kooperation braucht Überzeugungen, Haltungen, Bereitschaften und Kompetenzen
Kooperative Kollegialität als Modus einer professionellen Anerkennungskultur
5.2 Formate und Konzepte zur Gestaltung von schulischer Kooperation
Professionelle Lerngemeinschaften (PLGs)
Lesson Study/Kollegiales Unterrichtscoaching
Kollegiale Fallberatung
Steuergruppen
5.3 Förderung von Kooperation durch Professionalisierung in der Lehrer*innenbildung
5.4 Fazit
6 Ausblick: Pädagogische Interprofessionalität und starke Kollegialität in der Grundschule
Literaturverzeichnis
Grundschule heute
Herausgegeben von Sanna Pohlmann-Rother und Sarah Désirée Lange
Angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Veränderungen thematisiert die Reihe »Grundschule heute« drängende Zukunftsfragen in ihrer Bedeutung für die Disziplin der Grundschulpädagogik und Grundschuldidaktik. Ziel der Reihe ist es, die institutionellen Bedingungen der Grundschule und die Fragen nach zeitgemäßen Bildungsinhalten neu zu bestimmen. Dabei stehen die kindlichen Lebenswelten und die aktuellen und veränderten Aufwachsensbedingungen der Schülerinnen und Schüler im Mittelpunkt.
Eine Übersicht aller lieferbaren und im Buchhandel angekündigten Bände der Reihe finden Sie unter:
https://shop.kohlhammer.de/grundschuleheute
Die Autoren
Prof. Dr. Robert Baar leitet das Arbeitsgebiet Elementar- und Grundschulpädagogik an der Universität Bremen. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Professionalisierung von Lehrkräften, Bildung und Geschlecht, Diversitätssensibler Unterricht, Inklusive Schulentwicklung und Außerschulische Lernorte.
Prof. Dr. Till-Sebastian Idel leitet die Fachgruppe Schulpädagogik und Allgemeine Didaktik an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Wandel von Schule, Unterricht und pädagogischer Professionalität sowie rekonstruktive Forschungsmethoden.
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1. Auflage 2024
Alle Rechte vorbehalten© W. Kohlhammer GmbH, StuttgartGesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:ISBN 978-3-17-037974-9
E-Book-Formate:pdf: ISBN 978-3-17-037975-6epub: ISBN 978-3-17-037976-3
Die aktuellen gesellschaftlichen und häufig globalisierungsbedingten Veränderungen beeinflussen Grundschulen auf mannigfaltige Arten. Angesichts dessen thematisiert die neue Reihe »Grundschule heute« – herausgegeben von Dr. Sanna Pohlmann-Rother (Inhaberin des Lehrstuhls für Grundschulpädagogik und -didaktik an der Universität Würzburg) und Dr. Sarah Désirée Lange (Inhaberin der Professur für Schulpädagogik der Primarstufe an der Technischen Universität Chemnitz) – drängende Zukunftsfragen in ihrer Bedeutung für die Disziplin der Grundschulpädagogik und Grundschuldidaktik. Die gesellschaftlichen und bildungspolitischen Entwicklungen der Gegenwart betreffen Bereiche wie Digitalisierung, Inklusion, Globalisierung, Migration und Flucht und bringen weitreichende neue Herausforderungen für Lehrkräfte, Schulleitungen und für Eltern und ihre Kinder mit sich.
So stellt bspw. der mit den gesellschaftlichen Digitalisierungsprozessen verbundene Anspruch, Schülerinnen und Schüler zu einem selbstbestimmten und reflektierten Umgang mit digitalen Medien zu befähigen, alle Beteiligten vor neue Herausforderungen. Auch Mehrsprachigkeit und Fluchtmigration sind Phänomene gesellschaftlicher Entwicklungen, die gegenwärtig in hohem Maße zur Komplexität professionellen Handelns von Lehrkräften beitragen.
Mit der vorliegenden Reihe soll der grundschulpädagogische Diskurs hinsichtlich der gegenwärtigen und zukünftigen Entwicklungen der Gesellschaft weiterentwickelt werden. Dazu werden in jedem Band neben einer forschungs- und theoriebasierten Auseinandersetzung auch jeweils praktisch umsetzbare Ansätze für die Gestaltung von Unterricht und von grundschulbezogenen Bildungsprozessen herausgearbeitet.
In diesem Zusammenhang werden auch die aktuellen Strukturen und Inhalte der Ausbildung von Grundschullehrkräften hinterfragt. So werden in der Reihe »Grundschule heute« relevante Professionalisierungsfelder identifiziert, mögliche Implikationen für die Rahmenbedingungen der Lehrkräftebildung aufgezeigt und Anforderungen an eine qualitativ hochwertige und zeitgemäße Qualifizierung von Grundschullehrkräften diskutiert.
Zusammenfassend geht es darum, hinsichtlich gegenwärtiger und künftiger Herausforderungen die institutionellen Bedingungen der Grundschule mit dem Anspruch an grundlegende Bildung und die Frage nach zeitgemäßen Bildungsinhalten neu in den Blick zu nehmen. Damit verbunden ist die genaue Betrachtung kindlicher Lebenswelten und die Berücksichtigung aktueller Aufwachsensbedingungen der Schülerinnen und Schüler. Auf Schul- und Unterrichtsebene stellen sich dabei pädagogisch-didaktische Fragen, zu denen auch rahmende Raum-, Zeit- und Organisationsstrukturen gehören. Auf Seiten der Lehrkräfte umfasst dies anspruchsvolle und zum Teil spannungsreiche Aufgaben, die sich beispielsweise in einem reflektierten Umgang mit sprachlicher Vielfalt und Mehrsprachigkeit im Zuge von Migration und Flucht manifestieren oder mit der Forderung nach einem inklusiven Schulsystem verbunden sind.
Würzburg und Chemnitz, im Juni 2024Sanna Pohlmann-Rother und Sarah Désirée Lange
»Und es gab tatsächlich einmal donnerstags dann Teamsitzung, oder gibt's immer noch, und im Endeffekt hatte ich mir von der Teamsitzung versprochen damals, dass du einfach sagst: ›Okay, was haben wir für ein Thema, setzen wir uns zusammen, mach du mal den Teil, oder besorg du mal den Teil, und nächste Woche machen wir hier einfach einen Mittag und basteln uns das Zeug zusammen, machen's gleich in doppelter Anfertigung, stellen das im Lehrerzimmer hin, und dann haben wir wieder 'ne entspannte Woche, in der wir uns wirklich um die Prozesse in der Klasse kümmern können, aber vom Material her den Rücken frei haben und mal wirklich uns auf die Kinder konzentrieren können.‹
Also, hätte man machen können, das hat aber nicht geklappt. Die Teamsitzungen laufen so ab: Also es gibt vier Lerngruppen, und du bist im ›Team‹ äh, Anführungsstriche, in der Lerngruppe drin, also du bist bis zu acht Personen bei den Teamsitzungen, und das war wirklich so: Wir hauen uns die Kopien um die Ohren, und: ›Wer hat mehr Kopien?‹ Und für mich war das dann im ersten Jahr das Problem. Ich habe mir zu Hause ja Zeug rausgesucht, hatte da schon Schwierigkeiten, mir was Gutes rauszusuchen, und bin mit so einem Berg dann, mit so einem richtig hohen Berg heimgelaufen; und hab dann gedacht: Wozu mach ich das überhaupt? Später habe ich dann gelernt, dass ich das Zeug in die Tonne drück gleich. Also das klingt jetzt ganz makaber, aber das das hat mich gerettet im Prinzip.« (Konrad, Grundschullehrer, ca. 30 Jahre alt)1
Was der junge Grundschullehrer im obenstehenden Interviewausschnitt schildert, kann als Prototyp gescheiterter Kooperation gelesen werden. Einerseits benennt Konrad wichtige Ziele arbeitsteiliger, interkollegialer Zusammenarbeit: Unterricht bzw. Unterrichtseinheiten werden gemeinsam geplant, hierfür notwendige didaktische Materialien zusammengetragen, gesichtet und/oder selbst entwickelt, um zum einen qualitativ hochwertige Lernprozesse initiieren zu können, zum anderen aber auch, um zeitliche Entlastung zu erfahren. Die damit verbundene Zeitersparnis mündet dabei nicht in persönlicher Freizeit, vielmehr wird sie dazu genutzt, sich auf die Lernprozesse der Schüler*innen zu konzentrieren und diese gezielt zu unterstützen. Soweit die Zielsetzung, soweit die Theorie. In der Praxis erlebt Konrad das Gegenteil: Das, von dem er sich Entlastung verspricht, wird für ihn zur massiven Belastung. Statt Zeit einzusparen, verbringt er nun zusätzliche Nachmittage in Teambesprechungen und anschließend damit, eine Unmenge an dort ausgetauschtem Material zu sichten. Das Team, das er gar nicht als solches bezeichnen möchte, setzt sich aus zu vielen Personen zusammen. Der Prozess der Zusammenarbeit erscheint unkoordiniert, er artet in eine Materialschlacht aus, die die Herausforderung, geeignete Unterrichtsmaterialien für einen anspruchsvollen Unterricht zu identifizieren, noch verschärft. Der Grundschullehrer torpediert die Praxis, indem er zwar weiterhin an den institutionalisierten Sitzungen teilnimmt, die Ergebnisse des Austauschs aber ignoriert und sich der entstandenen Materialsammlung sofort entledigt.Dass sich Kooperation zwischen Lehrkräften auch ganz anders gestalten kann, zeigt der Bericht einer anderen Lehrerin:
»Und irgendwann haben wir uns zusammengesetzt und gesagt: ›Leute, wir machen hier genau das Gleiche, warum sprechen wir uns nicht ab?‹ Also ich glaube, das beruht einfach auf guter Kommunikation und zu wissen, man darf auch scheitern. Ich darf dann auch mal sagen: ›Ich hab’ das nicht so gut gemacht‹ oder ›Meine Unterrichtsstunde war einfach nicht gut‹, um es überhaupt optimieren zu können. Wenn jeder immer die Türen schließt und sagt: ›Naja, es war ja alles toll, alles gut‹ und man nie darüber spricht, dann kann man sich auch nicht weiterentwickeln. [...] Und darauf basiert eigentlich unser Konzept, dass wir diese Teamrunden am Dienstag haben, manchmal mit einer Dienstbesprechung, und manchmal auch nicht. Und dann einfach Zeit haben am Nachmittag zu planen, zu strukturieren, über bestimmte Kinder zu sprechen. Manchmal braucht man den Austausch auch einfach so: ›Wie gehe ich jetzt weiter vor? Was kann ich machen? Das und das haben wir gemacht, wo können wir uns noch melden?‹. Und das hilft ungemein für den fachlichen Teil. [...] Dann verfolgen wir das Konzept, dass wir keinen Sprachkurs haben, wo die Kinder rausgenommen werden. Also bei uns findet Förderung nicht extern statt im Sinne von ›Wir nehmen die Kinder aus der Klasse‹, sondern wir machen alles im Klassenverband. Das heißt, wir sind öfter mal eine Person mehr. Aber diese Person ist dann genau für sowas da, um Lesetraining zu machen. Um in Mathe mit einer Gruppe zusammenzusitzen, die vielleicht ein bisschen schwächer ist. [...] Und wir versuchen jeden Tag, die Probleme einfach zu lösen. Das reicht von ganz kleinen Dingen zu ganz großen Dingen, um den Unterricht inklusiv zu machen, Basiszeiten zu optimieren, Freiarbeitsmaterial zu optimieren. Also an vielen Stellen versuchen wir, uns weiterzuentwickeln und das Kind immer wieder in den Fokus zu setzen und die Stärken zu sehen.« (Sara, Seiteneinsteigerin an einer Grundschule, ca. 30 Jahre alt)2
Sara macht diametral andere Erfahrungen als Konrad mit Kooperation an der Schule, an der sie seit einiger Zeit als Seiteneinsteigerin tätig ist. Von Anfang an spricht sie von einem »Wir«, ein »Ich«, wie es Konrad häufig verwendet, kommt in der Passage gar nicht erst vor. Sie sieht sich als Teil eines Teams, zu dessen Entstehen ebenfalls eine bewusste Initiative notwendig war: Die Aufgaben, die bei allen Beteiligten vergleichbar sind, sowie das Hinarbeiten auf gemeinsame Ziele führen zur bewussten Entscheidung, sich wöchentlich in Teamrunden zusammenzufinden. Auch hier stellt die gemeinsame Unterrichtsplanung ein wichtiges Feld kooperativen Handelns dar, dies allerdings gleichberechtigt neben einer allgemeinen Strukturierung bzw. Organisation des Unterrichtsgeschehens sowie dem Austausch über bestimmte Kinder. Ziel ist es, die individuellen wie gemeinschaftlich vorhandenen berufsbezogenen Kompetenzen im Rahmen einer Professionellen Lerngemeinschaft weiterzuentwickeln, um die Lernprozesse der Schüler*innen differenziert und stärkenorientiert zu unterstützen. Die junge Lehrerin betont dabei auch Voraussetzungen für gelingende Kooperation: Austausch, Kommunikation, der Wille, sich weiterzuentwickeln sowie Vertrauen, das einschließt, eigenes professionsbezogenes Scheitern einzugestehen und im Team öffentlich zu machen. Es geht bei den geschilderten Kooperationsanlässen durchaus auch um arbeitsteilige Verfahren und die Aufteilung von Zuständigkeiten, dennoch steht die ko-konstruktive Weiterentwicklung der Schule und des Unterrichts zum Wohle der Kinder im Mittelpunkt der Zusammenarbeit.
Beide Interviewpartner*innen berichten von institutionalisierten Formen der Kooperation, die an ihren Schulen bestehen und die die Weiterentwicklung der Organisation und des Unterrichts fokussieren. Eine Besonderheit ist, dass in beiden Sequenzen, so unterschiedlich sie auch sein mögen, die Schüler*innen bzw. deren Lernprozesse ins Zentrum gerückt werden. Es geht zwar sehr wohl auch um fachlichen Austausch und Arbeitserleichterung, dennoch bleibt immer das Kind als Subjekt Ziel des kooperativen Handelns. Ob dies ein Spezifikum von Kooperation in der Grundschule darstellt, kann – vor dem Hintergrund hierzu nur unzureichend vorliegender empirischer Daten – an dieser Stelle nur als vage These formuliert werden.
Unabhängig von einer spezifischen Schulart stellt die Ständige Konferenz der Kultusminister gleich zu Beginn der von ihr verfassten, alle Phasen der Lehrer*innenbildung stark prägenden Standards für die Lehrerbildung: Bildungswissenschaften fest, dass »die Fähigkeit und Bereitschaft« von Lehrkräften »zur Kooperation mit anderen Professionen und Einrichtungen« (KMK 2019, 2) vor dem Hintergrund gesellschaftlicher wie schulischer Entwicklungen zunehmend Bedeutung erhalte. Entsprechend wird unter dem Kompetenzbereich ›Erziehen‹ darauf verwiesen, dass Lehrkräfte »die Möglichkeiten der Kooperation mit anderen Professionen und Einrichtungen« (ebd., 9) nutzen sollen, um »Benachteiligungen, Beeinträchtigungen sowie Barrieren« zu erkennen und »Unterstützung und Präventionsmaßnahmen« (ebd.) zu realisieren. Auf die Notwendigkeit der Kooperation mit verschiedenen Personenkreisen wird an späterer Stelle noch einmal im Rahmen der Ausführungen zum Kompetenzbereich ›Beurteilen‹ hingewiesen. Hier wird die Zusammenarbeit mit inner- wie außerschulischen Kooperationspartner*innen als Voraussetzung dafür bezeichnet, der Trias Diagnostik – Förderung – Beratung gerecht zu werden (ebd., 11). Schließlich sollen Lehrkräfte im Rahmen des Kompetenzbereichs ›Innovieren‹ »Kooperationsstrukturen im schulischen und außerschulischen Bereich« kennen sowie »schulische Projekte und Vorhaben kooperativ [...] planen und [um]setzen« (ebd., 14).
An verschiedenen Stellen werden wir in diesem Band noch genauer beleuchten, ob die Bedeutung, die die Standards für die Lehrkräftebildung der Zusammenarbeit für die Gestaltung von Schule und Unterricht zuschreiben, unter einer pädagogischen, Unterrichts- wie Schulentwicklungsprozesse einbeziehenden Perspektive untermauert werden kann. Empirische Belege für einen direkten Zusammenhang zwischen Kooperation und einem sich daraus ableitbaren Mehr an Bildungsgerechtigkeit, Innovationsbereitschaft oder Diagnosekompetenz lassen sich angesichts der Komplexität des hierfür potenziell verantwortlichen Ursachengefüges zunächst nicht finden. Auf der Grundlage von Studienergebnissen können aber Aussagen darüber getroffen werden, wie Kooperationsprozesse im schulischen Alltag gestaltet werden und welcher Mehrwert sich aus der Zusammenarbeit für die Beteiligten ergibt.
Mit diesem Band möchten wir das Thema Kooperation in der Grundschule auf umfassende Weise darstellen, indem wir Konzepte, Diskurse und Modelle vorstellen, erläutern und vor dem Hintergrund der Forschungslage sowie (grund-)schulpädagogischer Überlegungen einer kritischen Revision unterziehen. Hierzu gehen wir in Kapitel 2 zunächst ausführlich und auf einer allgemeineren, theoriegeleiteten Basis auf die Erwartungen und Hoffnungen ein, die sich hinter der Idee ›Kooperation‹ im schulischen Kontext verbergen und die sich auch in den KMK-Standards widerspiegeln. Bevor wir hierzu die Entwicklungen des schulpädagogischen Diskurses nachzeichnen, nehmen wir vorab eine Begriffsdifferenzierung vor, indem wir u. a. die sich im Papier der Kultusminister*innen andeutenden unterschiedlichen Kooperationsformen (wie intern/extern oder intra-/inter-/multiprofessionell) genauer beschreiben und voneinander abgrenzen. Schließlich werden anhand ausgewählter Befunde der quantitativen wie qualitativen Kooperationsforschung Erkenntnisse zu Kooperationsbereitschaft und faktischer Zusammenarbeit in der Grundschule aufgefächert (▸ Kap. 2). In Kapitel 3 widmen wir uns dann den schul- und professionstheoretischen Grundlegungen zur Frage, welche Besonderheiten Grundschule als Kooperationsfeld aufweist. Neben einem historischen Rückblick unter der Perspektive, wann und an welchen Stellen ein spezifischer Kooperationsbedarf markiert wurde, wird Grundschule, so wie sie sich heute darstellt, als Kooperationsfeld in ihrer Zielsetzung beschrieben. Auf dieser Grundlage diskutieren wir anschließend in einem Exkurs, wie Feminisierung und Lehrkräftemangel das Kooperationsgeschehen an Grundschulen beeinflussen (▸ Kap. 3). Die Frage, was Kooperation in der Grundschule ausmacht, vertiefen wir in Kapitel 4, in dem wir einzelne inner- wie außerschulische Kooperationsanlässe und -kontexte ausführlich beschreiben (▸ Kap. 4). Mit dem 5. Kapitel möchten wir auf der Grundlage der vorhergehenden Ausführungen aufzeigen, wie ein kooperativ-vernetztes professionelles Handeln an Grundschulen gelingen kann. Die Darstellung verschiedener Formate und konkreter, praxisbewährter Konzepte stehen dabei genauso im Fokus wie Hinweise dazu, inwieweit die Lehrer*innenbildung einen Beitrag leisten kann (▸ Kap. 5). Einen knappgehaltenen Ausblick wagen wir abschließend in Kapitel 6 (▸ Kap. 6).Die folgende Abbildung fasst den beschriebenen Aufbau des Bandes zusammen und benennt die Zielsetzung der einzelnen Kapitel.
Abb. 1:Aufbau des Buches (eigene Darstellung)
1Das der dargestellten Passage zugrundeliegende Interview wurde im Rahmen einer Studie zum beruflichen Habitus männlicher Grundschullehrer geführt. Eine ausführliche Fallanalyse findet sich bei Baar (2010).
2Der Interviewauszug stammt aus dem Projekt Inklusive Schulentwicklung Bremerhaven/Seiteneinsteiger*innen. Genauere Informationen zum Projekt und zu den Daten finden sich bei Baar & Mladenovska (2023a).
Kooperation ist in den letzten 20 Jahren zu einem überaus prominenten Thema der Schulreform und -entwicklung und der sie begleitenden Forschung avanciert. Zur Orientierung wollen wir in diesem Kapitel einen knappen Einblick in den Diskussions- und Forschungsstand geben.
Über Fragen der beruflichen Zusammenarbeit und ihre Auswirkungen in der Arbeitswelt wurden bereits früh in den 1980er und 1990er Jahren Studien zu Organisation und Management in Unternehmen und der öffentlichen Verwaltung durchgeführt. Diese Forschung ist vor allem organisationspsychologisch, arbeitssoziologisch oder betriebswirtschaftlich ausgerichtet. In der schulbezogenen Kooperationsforschung wird darauf Bezug genommen und die Diskussionen und Studien werden auf das Feld der Arbeit in Schule übertragen (z. B. sehr prominent durch Bezugnahme auf die arbeitspsychologische Definition von Spieß 2004 durch Gräsel et al. 2006). Mittlerweile liegen einige einschlägige Sammelbände, Überblicksveröffentlichungen, Themenschwerpunkte in Fachzeitschriften und Handbuchartikel aus dem Umfeld der Schul- und Bildungsforschung vor, die Orientierung zur Forschungslage bieten (Fabel-Lamla & Gräsel 2022; Hochfeld & Rothland, 2022; Gollub et al. 2021; Idel et al. 2019; Friedrich Jahrsheft 2018; Massenkeil & Rothland 2016; Keller-Schneider et al. 2013; Baum et al. 2012; Huber & Ahlgrimm 2012; Terhart & Klieme 2006).
Zunächst stellen wir vor dem Hintergrund unterschiedlicher Begriffsvariationen und damit verbundener Bedeutungsakzentuierungen die Ausdifferenzierungen des Kooperationsbegriffs dar (▸ Kap. 2.1). Anschließend geben wir einen kritischen Einblick in den Kooperationsdiskurs und die dort verhandelte Diskussion um eine als notwendig erachtete Veränderung von schulpädagogischer Professionalität weg vom sog. »Lehrerindividualismus« hin zu mehr Kooperation und Vernetzung (▸ Kap. 2.2). Danach fassen wir die wichtigsten Befunde der neueren Kooperationsforschung der letzten beiden Jahrzehnte über das faktische Ausmaß und die Intensität von beruflicher Zusammenarbeit in Schule sowie über die tatsächlich feststellbaren Wirkungen auf die Qualität und Entwicklung von Schule und Unterricht, die Kompetenzen, Belastungen und das Wohlbefinden der Lehrkräfte und die Lernleistungen der Schüler*innen zusammen.3 Wo es die Befundlage ermöglicht, nehmen wir dabei besonderen Bezug auf das Kooperationsfeld Grundschule und versuchen, die Befunde nach dem jeweiligen Setting der Kooperation zu unterscheiden (▸ Kap. 2.3). Am Ende des Kapitels wollen wir an exemplarischen Untersuchungen den Fokus auf Kooperation in der Grundschule richten (▸ Kap. 2.4). Dafür stützen wir uns auf Daten aus qualitativ-rekonstruktiven Studien, weil diese uns näher an die Prozesse und den Vollzug der Kooperationspraxis selbst heranführen.
Was meint Kooperation im Allgemeinen? Etymologisch leitet sich der Begriff vom lateinischen Substantiv cooperatio für Zusammen- und Mitwirkung bzw. vom Verb cooperari her. Als allgemeinste Begriffsdefinition kann man auf die knappe Bezeichnung des amerikanischen Soziologen Richard Sennett zurückgreifen: Er versteht Zusammenarbeit »nüchtern [...] als Austausch, von dem alle Beteiligten profitieren« (Sennett 2012, 17). Bereits in dieser sehr kurzen und übergreifenden Definition wird die normative Implikation einer jeglichen Kooperationserwartung deutlich. Im Unterschied zu einer bloßen Interaktion, in der sich Akteur*innen zwar aneinander orientieren müssen, aber auch ohne eine gemeinsame Zielsetzung aufeinander beziehen können, wird vom Zusammenwirken im Modus der Kooperation erwartet, dass nicht nur für einzelne, sondern mindestens für alle unmittelbar an der Kooperation Beteiligten ein Mehrwert aus dem Zusammenhandeln entstehen soll. Dazu müssen gemeinsame Ziele verfolgt werden – ansonsten entzöge man der Kooperation die soziale Grundlage des wechselseitigen Übereinkommens, dass sie für alle von Nutzen sein soll. Dies erfordert verständigungsorientiertes Handeln, weshalb Kooperation schlicht und wiederum sehr grundlegend sozialtheoretisch als gelingende zielbezogene »Kommunikation unter Anwesenden« (Kieserling 1999) verstanden werden kann.
Auf das Feld der Schule bezogen heißt dies, dass mindestens die Pädagog*innen, die miteinander arbeiten, und möglichst auch die ihnen anvertrauten Kinder, Eltern, andere Dritte bzw. das gesamte System von der Kooperation profitieren. Hierzu müssen sie sich darüber klar werden, worin ihre gemeinsame Zielsetzung im jeweiligen Kooperationsverhältnis genauer besteht. Wir werden auf diese Erwartungen und Ansprüche an Kooperation und die Frage, wie man zu geteilten Zielsetzungen angesichts auch durchaus unterschiedlicher pädagogischer Berufskulturen, Orientierungen und Interessen gelangt, noch zurückkommen. Zunächst möchten wir aber das Begriffsfeld zur Bestimmung von Kooperationsverhältnissen skizzieren. Nicht immer sind die Unterscheidungen trennscharf. Mit den Begriffen werden unterschiedliche Akzente gesetzt und unterschiedliche Dimensionen von Zusammenarbeit betont, um bestimmte Sachverhalte und Bedingungen von Kooperation zu verstehen.
In der sozialwissenschaftlichen und schulpädagogischen Diskussion über Kooperation hat sich ein vielfältiges Repertoire an Begriffen herausgebildet, mit denen der Sachverhalt eines an überindividuellen Zielen orientierten Zusammenwirkens weiter unterschieden wird. Zuallererst betrifft dies die Frage der Kooperationsintensivität und die Stärke der Verbindung zwischen den kooperierenden Akteur*innen. Um unterschiedlich enge Formen der Zusammenarbeit zu kennzeichnen, wird in der anglo-amerikanischen Diskussion bereits in den 1990er Jahren auf einem Kontinuum zwischen den Formen der Co-Activity, Cooperation, Coordination und Collaboration unterschieden, wobei Koaktivität und Kooperation eher schmale Formen und Koordination und Kollaboration entsprechend dichtere Formen des Zusammenwirkens beschreiben (Marvin 1990, für die Zusammenarbeit in der schulischen Inklusion). Collaboration gilt hier als am höchsten entwickelte Form der beruflichen Zusammenarbeit.
Diese nach dem Kriterium zunehmender Intensität der Zusammenarbeit vorgenommenen Begriffsdifferenzierungen sind nicht gleichbedeutend in den deutschsprachigen Diskurs aufgenommen worden. Dort ist das Begriffsverständnis aus den folgenden Gründen ein anderes: Der Begriff Kollaboration wird nur sehr zurückhaltend verwendet, weil er historisch die staatliche, politische, alltägliche und auch private Zusammenarbeit zwischen Franzosen und der nationalsozialistischen Besatzungsmacht Deutschland während des zweiten Weltkriegs bezeichnet. Er besitzt also eine starke negative Konnotation. Wenn er genannt wird, dann i. d. R. mit Verweis auf diese politisch-geschichtliche Belastung und mit der Positionierung, ihn genau deswegen nicht zu gebrauchen und stattdessen durch Kooperation zu ersetzen (z. B. bei Klopsch & Sliwka 2021a, 10, FN 1). Entsprechend wird in der deutschsprachigen Kooperationsforschung nicht selten unter Kooperation ein starker und voraussetzungsreicher Begriff von Zusammenarbeit verstanden, die in vielen Veröffentlichungen und im Reformdiskurs oft mit der besonders intensiven Form der »Teamarbeit« gleichgesetzt wird. Damit begegnet der Begriff Kooperation zugleich als Oberbegriff und als eine spezifische, nämlich intensive Form der Zusammenarbeit (gleichbedeutend mit der amerikanischen Bezeichnung »Collaboration« und gewissermaßen die oben genannte internationale Begrifflichkeit umkehrend). Kooperation wird in der letzteren Lesart dann als eine spezifische Form des Zusammenwirkens enggeführt. Koordination hingegen wird – der englischsprachigen Unterscheidung entgegengesetzt – eher als schwache Form von Zusammenarbeit verstanden. Als Gegenpol zu einem Verständnis intensiver Kooperation steht Koordination für Formen der wechselseitigen Abstimmung auf organisationaler Ebene etwa durch die Schulleitung, die nicht zwingend mit Absprachen auf der Ebene der Professionellen selbst verbunden sein muss (so etwa im multiprofessionellen Kooperationsfeld der Ganztagsschule, Dizinger & Böhm-Kasper 2019, 827).
Bereits hier wird deutlich, wie wichtig es ist, das Begriffsverständnis offenzulegen. Man muss klarmachen, worüber man spricht und auf welcher Ebene der Begriffsbildung man sich bewegt: Ist in der Verwendung der Oberbegriff Kooperation gemeint, der ganz unterschiedlich gelagerte Formen der Kooperation einschließt? Oder steht der Begriff für eine intensive Zusammenarbeit als eine besondere Spielart des Zusammenwirkens? Und welche anderen Formen sind dann davon zu differenzieren und wie zu beurteilen?
Viele Studien folgen einer arbeits- bzw. organisationspsychologischen Bestimmung von Spieß (2004), die durch die Studien der Forschungsgruppe um Cornelia Gräsel in der schulbezogenen Kooperationsforschung aufgegriffen und prominent gemacht wurde. Spies definiert Kooperation als Oberbegriff wie folgt:
»Kooperation ist gekennzeichnet durch den Bezug auf andere, auf gemeinsam zu erreichende Ziele bzw. Aufgaben, sie ist intentional, kommunikativ und bedarf des Vertrauens. Sie setzt eine gewisse Autonomie voraus und ist der Reziprozität verpflichtet« (Spieß 2004, 199).
In dieser Definition – die gut anschlussfähig an die einleitenden Überlegungen oben ist – werden zwei zentrale Aspekte angesprochen: Vertrauen und Autonomie. Kooperation ist nach dieser Lesart mit einer Einengung der individuellen Gestaltungsautonomie verbunden, und je enger die Kooperation ist, desto mehr müssen sich die Kooperierenden wertschätzend anerkennen und einander vertrauen können. Daraus resultieren nach Spieß auch Konfliktpotenziale (der Titel ihres Aufsatzes lautet daher auch »Kooperation und Konflikt«): Wer eng kooperiert, gerät in Abhängigkeit von den anderen und wird im eigenen Handlungsspielraum womöglich beschnitten. Insofern kann Kooperation auch zu Spannungen führen, mit Konflikten ist zu rechnen und im Ernstfall muss man kompetent mit ihnen umzugehen wissen.
Die Studien der Forschungsgruppe um Gräsel, in denen vor allem die kollegiale Kooperation unter Lehrkräften in Entwicklungsprozessen untersucht wird, nehmen diese übergreifende Modellierung von Kooperation als aufgabenbezogene Zusammenarbeit auf und unterscheiden entlang der Kooperationsintensität drei Formen des Zusammenwirkens (Fussangel & Gräsel 2011, 672; ▸ Abb. 2). In der Form des Austauschs (z. B. von Unterrichtsmaterialien) wird wenig persönliche Autonomie beschnitten, es bedarf nur eines geringen Vertrauens, es muss wenig Zeit investiert werden und man braucht für diese Zusammenarbeit nicht unbedingt eine sehr spezifische gemeinsame Zielsetzung. Die Form der Arbeitsteilung (z. B. in einer Konzeptgruppe in der Schulentwicklung) erfordert dagegen eine gemeinsame Verständigung über Ziele, eine Abstimmung von Arbeitsschritten und Teilaufgaben und eine entsprechende Verlässlichkeit darüber, dass diese von den Kooperierenden auch zuverlässig erledigt werden. Dabei wird mehr Gestaltungsautonomie der Einzelnen preisgegeben. Die dritte Form der Zusammenarbeit – als Ko-Konstruktion bezeichnet (etwa im Co-Teaching) – ist die intensivste. Sie erfordert nach Fussangel und Gräsel eine Orientierung an gemeinsamen Inhalten und Standards und auch an entsprechend geteilten pädagogischen Orientierungen; die Vertrauensinvestition und die Einschränkung der eigenen Gestaltungsautonomie sind hoch.
Abb. 2:Formen der Kooperation nach Fussangel und Gräsel (2011) (eigene Darstellung)
Mitunter werden die in der Abbildung gleichrangig nebeneinanderstehenden Formen als Niveaustufen von Kooperation bezeichnet. Eine solche »theoriearchitektonische« Bezeichnung kann auch so verstanden werden, dass eine höhere Stufe eine bessere und per se eine entsprechende Ausweitung der Kooperation anzustreben sei. Dem wird durch ein normatives Verständnis von Kooperation Vorschub geleistet. Dann lassen sich aber nicht mehr Fragen danach stellen, welche Kooperationsformen jeweils für die spezifische Aufgabenstellung der Zusammenarbeit geeignet sind. Ein Mehr an Kooperation muss nicht unbedingt besser sein. Die unterschiedlichen Kooperationsformen besitzen ihre jeweilige Berechtigung in unterschiedlichen Funktionalitäten für unterschiedliche Kooperationsanlässe. Es kommt also auf den Kontext und die Zielsetzung der Kooperation an.
In aktuellen Studien wurden die Modellierungen einer weiteren empirischen Überprüfung unterzogen, wodurch die Frage geklärt werden kann, in welchem Bereich wie kooperiert wird. Hartmann et al. (2021) entwickeln ein zweidimensionales Konstrukt, in dem Inhaltsbezüge (unterrichtsnahe oder eher schulbezogene Entwicklungsarbeit) mit Kooperationsformen (Austausch und Ko-Konstruktion) verbunden werden. Sie kommen zum Schluss,
»dass Kooperationsaktivitäten [...] von Lehrkräften [...] nicht primär als Austausch vs. Kokonstruktion wahrgenommen [werden], sondern [...] in den spezifischen Inhaltsbereichen der Unterrichts- oder Schulentwicklung situiert [sind], in denen jeweils unaufwändigere Austausch- sowie zeitintensivere Kokonstruktionsformen parallel existieren können, aber nicht müssen« (340).
Sie stellen fest, dass relativ selten ko-konstruktiv mit inhaltlichem Bezug auf Unterricht kooperiert wird, obwohl doch die Unterrichtstätigkeit den Kern der Arbeit von Lehrkräften darstellt. Die ko-konstruktive Schulentwicklung scheint nach den Forscher*innen »bereits stärker implementiert zu sein« (ebd.). Die auch als »High-Cost-Kooperation« bezeichnete Ko-Konstruktion wird also im Nahbereich des eigenen Handelns eher gemieden, dort wird sich eher auf eine »Low-Cost-Kooperation« beschränkt, die wenig Involvement fordert und mit nur geringen Autonomieeinbußen einhergeht.
Wir führen damit an dieser Stelle bereits einen Generalbefund der Kooperationsforschung der letzten beiden Jahrzehnte an, der vielfach zu Kritik am Entwicklungsstand von Schule und an der Haltung von Lehrkräften geführt hat: Kooperation ist seltener und weniger intensiv, je stärker man sich dem Unterrichtsgeschehen nähert. Oder umgekehrt: Kooperation als dichte Zusammenarbeit wird umso wahrscheinlicher, je eher es um Fragen geht, die weiter weg vom Handlungsbereich des selbstverantwortlichen Unterrichts liegen. Auch wenn man von Wechselwirkungen der Ebenen von Schule und Unterricht bzw. Schul- und Unterrichtsentwicklung ausgehen kann, wird dieser Befund aus der Perspektive einer engagierten Schulreform als grundlegendes Problem der Veränderung von Schule markiert. Die empirischen Befunde werden wir unten auffächern. Zuvor wollen wir unsere Annäherungen an das Phänomen Kooperation noch durch weitere wichtige Unterscheidungen vervollständigen, die mehr begriffliche Ordnung in das vielfältige Kooperationsfeld Schule bringen. Hervorgehoben werden mit diesen Begriffen die jeweiligen Akteursbezüge, d. h. wer hier überhaupt mit wem in Bezug auf welchen Bereich im Kooperationsfeld Schule zusammenarbeitet.4
Als intraprofessionelle