Kraken lügen nicht - Wolfgang Grund - E-Book

Kraken lügen nicht E-Book

Wolfgang Grund

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Beschreibung

In seiner ersten Kurzgeschichtensammlung bietet der Autor Wolfgang Grund ein breites Spektrum verschiedenster Genres an. Von Märchen über Science Fiction bis zu Kurzkrimis und Fantasy ist alles dabei. Verbindender Faktor sind Behältnisse und alles was darin ist und darin vorgeht. Über Aquarien, Särge, Cellokästen, Litfaßsäulen und DIXI Clos bis zu Holzkästchen, Ringschachteln und Hot Dog Kostümen. Die Namen gebende Krake beobachtet einen Mord aus seinem Aquarium, Dornröschen, in seinem Glassarg, wird neu interpretiert, der Trick eines Entfesslungskünstlers in seiner Holzkiste wird sabotiert, im Raumschiff NCA 2176 trifft sich eine außerirdische Multikultibesatzung vor einem Gerät zur Treibstoffmaterialisierung und ein Cellokasten reist durch Raum und Zeit, außerdem treiben Schleimpilze in ihren Petrischalen und Siebenschläfer in Lebendfallen ihr Unwesen und vieles mehr. Taucht ein in die verrückten Welten des Autors und lasst euch von dessen Protagonisten verzaubern! Kurz, 24 mal beste Unterhaltung und Kurzweil!

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Inhalt

>Kraken lügen nicht<

>Erwin und Bettina<

>NCA 2176<

>Myxogastria rapaxas rosensis<

>B’barb<

>Der Schriftsteller<

>Klaus hat Ferien<

>Der Große Hudoni<

>Die Schüttlerin<

>Das Zauberkästchen<

>Das Puzzle<

>Der Ring<

>Der Siebenschläfer<

>Die Torte<

>Pier-r<

>Die Mülltaucher<

>Die Litfaßsäule<

>Der gläserne Sarg<

>Das Selbstexperiment<

>Der Beichtstuhl<

>Der Hot Dog mit zwei Enden<

Ende des Hot Dogs Nummer eins

Ende des Hot Dogs Nummer zwei

>Das DIXI Klo<

>Radigunde<

>Der Cellokasten<

<Kraken lügen nicht<

Einst war in Nürnberg ein Krake in einem Aquarium,

der sah, wie ein Mann eine Frau brachte um.

Doch er verstand eigentlich nicht, was er da sah.

Dachte, der sei ihr nur sehr nah.

Den Kraken störte nur, dass er war stumm.

Irgendwann wurde es hell in seinem kleinen Meer. Ein neuer Tag brach an. Er war sich sicher, dieser würde wie jeder andere werden. Sein Leben war insgesamt nicht sehr ereignisreich. Höhepunkt war die tägliche Fütterung und der kurze Moment, wenn sich seine Fütterer mit ihm beschäftigten.

Aber dann war doch etwas anders. Wo blieben seine Muscheln, seine Krebse, seine Garnelen? Warum beachteten seine Fütterer ihn heute nicht? Er hatte Hunger! Missmutig blickten seine Augen mit den rechteckigen Pupillen aus seinem Versteck unter dem roten Stein. Aber da er ja ein vernünftiger, erwachsener Krake war, zeigte er seine schlechte Stimmung nur durch seine graue Färbung. Um seinen Ausdruck der Missbilligung etwas zu unterstützen, ließ er ein schwarzes Punktemuster über seinen Körper laufen.

Sein kleines Meer konnte ihn auch nicht aufheitern. Die Umgebung war nicht gerade abwechslungsreich. Da war sein Versteck aus rotem Stein, ein größeres Holzding, mit dem er überhaupt nichts anfangen konnte und die weißen Steine am Boden. Aber das alles interessierte ihn momentan nicht im Geringsten.

Hunger! Er wollte seine Muscheln, seine Krebse, seine Garnelen. Auch wenn sie in dem durchsichtigen Ding waren, in das seine Fütterer sie immer taten. Aber er hatte längst verstanden, dass er das eine Ende des durchsichtigen Dinges bewegen konnte und so an seine Beute kam.

Seine Fütterer hatten ihn aber heute offenbar vergessen. Wie so oft waren der große und der kleine Fütterer im wasserlosen Raum vor dem Ende seines Meeres hin und her gelaufen und hatten Laute ausgestoßen. Dass da kein Wasser war, hatte er herausgefunden, als er sein kleines Meer einmal verlassen hatte, da ihm langweilig war. Keine schöne Erfahrung und schneller Rückzug!

Eigentlich konnte er seine Fütterer nur an ihrer Größe unterscheiden, es gab einen großen und einen kleinen. Jetzt fuchtelten sie im wasserlosen Raum mit ihren Tentakeln herum, machten aber keine Anstalten ihn zu füttern.

Verzweifelt versuchte er auf sich aufmerksam zu machen.

Zuerst wedelte er mit seinen acht Tentakeln. Als das nichts nützte, versuchte er es mit einem genialen Farbenspiel. Er wechselte seine Hautfarbe nach und nach von tiefgrün über schweinchenrosa zu einem strahlenden Weiß und dann wieder zurück. Kein Erfolg! Die Fütterer merkten nichts!

Dann spielte er mit dem Gedanken, sein Meer zu verlassen und zu den Fütterern zu krabbeln. Aber das war ja bekannter Maßen keine gute Idee.

Jetzt wurde er richtig sauer. Er schob vier seiner Tentakel unter seinen roten Versteckstein, um ihn hoch zu wuchten und aus seinem kleinen Meer werfen. Leider hatte er seine Kräfte total überschätzt. Das schwere Ding löste sich nur einige Millimeter von den Bodensteinen und fiel dann wieder darauf zurück.

Er gab auf! Kraken konnten hungern, lange hungern. Bitte, das würde er den verantwortungslosen Fütterern ab jetzt beweisen.

Plötzlich begannen die beiden Fütterer miteinander zu spielen. Der große Fütterer schlug dem kleinen Fütterer gegen sein oberes Teil, wie auch er es mit seinen Futtertieren oft machte, wenn er nicht viel Hunger hatte und etwas Unterhaltung brauchte.

Der kleine Fütterer revanchierte sich, indem er seine beiden Tentakeln gegen den großen Fütterer einsetzte und dabei extrem laute Töne von sich gab. In solchen Momenten wünschte sich der Krake auch Töne produzieren zu können. Das wäre bestimmt spaßig, seine Opfer anzuschreien! Aber ihm würde das nie vergönnt sein. Er hatte es einmal versucht, aber nur Luftblasen erzeugt.

Dann geschah etwas Ungewöhnliches. Der große Fütterer schlang seine Tentakel um den Tentakelansatz des kleineren Fütterers, so wie er es immer mit den Muscheln machte, bevor er sie aufploppen ließ. Das machte immer so ein schönes Geräusch und außerdem wusste er dann, dass es gleich ein Festmahl gab.

Wollte der große Fütterer, den kleinen fressen? Nein, er ließ ihn irgendwann abrupt los und der kleinere Fütterer fiel zu Boden.

Schließlich verschwand der Große aus seinem Blickfeld, ohne ihm etwas zu fressen zu geben. Das war gemein! Der Kleinere blieb einfach am Boden liegen und rührte sich nicht. Anscheinend ruhte er sich aus. Also hatte er keine Chance von ihm etwas zu fressen zu bekommen.

Er wollte gerade wieder in seinem Versteck verschwinden, um ein Schläfchen zu machen, als ein ihm unbekannter Fütterer in den Raum kam. Er gab eine Lautäußerung zum Besten und wedelte mit seinen Tentakeln. Futter war weit und breit natürlich wieder nicht in Sicht.

Dass der neu erschienene Fütterer Norbert Gottmann, Hauptkommissar bei der SOKO Gewaltverbrechen in Nürnberg war, wusste der Krake natürlich nicht. Hinter Gottmann, einem drahtigen Endvierziger, mit bereits leicht ergrautem Haaren und einer eher kleinen Nase, betrat Hauptkommissarin Yara Izny den Raum mit der Leiche. Als gebürtige Iranerin zeigte sie alle markanten Kennzeichen einer Perserin. Sie war hoch gewachsen, schlank, hatte schwarzes, langes Haar und eine markante Nase. Ihr folgte das genaue Gegenteil, Dr. Stefan Brandmeister, der Pathologe, klein und untersetzt mit Halbglatze.

Der Pathologe begann sofort die Leiche zu untersuchen. Sie lag in ihrem schwarzen Trainingsanzug, die blonden Haare wie ein Heiligenschein um ihren Kopf, und mit offenen Augen, die ins Leere starrten, mitten im Raum.

»Na Doc, was wissen Sie denn schon?«, drängte ihn Gottmann nach ein paar Minuten.

»Frau, Ende dreißig, die Gute ist erwürgt worden, sie zeigt alle Merkmale dafür. Wenn man die Totenstarre betrachtet, dürfte der Todeszeitpunkt etwa zwei Stunden her sein! Weiteres nach der Obduktion!«, sagte Brandmeister im Telegrammstil.

»Ist schon klar, das brauchst du jetzt wirklich nicht mehr jedes Mal erwähnen! Und dass das eine Frau ist, hätte ich auch ohne dich erkannt!« Gottmann wirkte leicht angespannt.

»Wissen wir schon, wer Sie ist?«, fragte er Yara.

»Laut Aussage der Putzfrau, Frau Annika Huber, die sie auch gefunden hat, ist es die Herrin des Hauses, Bettina Wablinger. Die Reinigungsfachkraft steht da drüben, die Wasserstoffblonde in den Hot Pants. Die ist völlig alle. Hat anscheinend noch nie eine Leiche live gesehen«, antwortete Yara.

»Irgendwie kommt die mir bekannt vor!«, Gottmann dachte offensichtlich nach und musterte die Frau von oben bis unten.

»Vielleicht putzt sie ja auch bei dir und du hast sie nur nicht erkannt!«, meine Yara spöttisch.

»Lästermaul elendes! Bloß weil ich einmal unsere Chefin, die olle Gruberin, nicht gleich erkannt habe. Das Licht war aber auch grottenschlecht!«, versuchte Gottmann sich zu rechtfertigen.

Aber das alles wurde zweitrangig, als Yara den Kraken entdeckte. Sie stand wie paralysiert vor dem Aquarium und beobachtete fasziniert das Tier.

»Hast du so einen Kraken schon mal live gesehen? Ich meine nicht nur im Fernsehen?«, fragte sie Gottmann. Der stellte sich neben sie und beobachtete weit weniger begeistert das Weichtier.

»Wie der wohl heißt? Kraken sollen ja sehr intelligent sein. Vielleicht hört er sogar auf seinen Namen?«, mutmaßte Yara, »Erinnerst du dich noch an den Kraken Paul? Der hat bei der WM 2010 das Endspiel richtig vorausgesagt. Guck mal, jetzt klebt er mit seinen Tentakeln an der Scheibe fest und ändert seine Farbe! Das mit der Farbe möchte ich auch können. Mal blonde Haare, mal rote, mal braune!«.

Gottmann sah Yara an, als ob sie ihm die Lottozahlen vom nächsten Samstag gesagt hätte.

»Das ist es, Yara ist ein Genie! Aber das verwenden wir erst später!«, murmelte er.

»Er sieht hungrig aus!«, stellte Yara fest, unbeeindruckt von dem Gebrabbel von Gottmann, »Ich schau mal in den Kühlschrank, ob da irgendwas für Kraki liegt.« Zack, schon hatte der Krake einen Namen.

Gottmann war das völlig egal. Er war sowohl mit seiner Haarfarbe zufrieden, genauso wenig interessierte es ihn, ob der Krake hungrig war. Dann wendete er sich der Putzfrau, Frau Huber, zu, musterte sie streng und begann mit ihrer Befragung.

»Haben Sie sich so weit beruhigt, dass ich Ihnen ein paar Fragen stellen kann?«

Frau Huber nickte.

»Wo ist denn der Mann von Frau Wablinger?«, wollte Gottmann wissen.

»Die ist nicht verheiratet. Aber sie hat einen Freund, den Toni Alvarez. Warten Sie, von dem hängt ein Bild am Kühlschrank.« Frau Huber verließ den Raum, Gottmann folgte ihr. Am offenen Kühlschrank trafen sie Yara, die nach Futter für den Kraken suchte.

»Wissen Sie was der Krake frisst?«, fragte Yara Frau Huber.

»Ist doch jetzt egal. Der Fall geht vor!«, fuhr sie Gottmann an. Zur Putzfrau gewandt fragte er: »Welches der ganzen Männerfotos hier am Kühlschrank zeigt diesen Alvarez und hatte Frau Wablinger etwas mit einer ganzen Fußballmannschaft?«

»Im Prinzip schon!« Frau Huber lachte laut auf, »Sie war die Trainerin der Altherrenmannschaft des SV Dutzendteich. Und das ist Alvarez.« Sie nahm ein Bild von der Kühlschranktür. Es zeigte einen südländisch aussehenden Mann mit schwarzen Haaren und sportlicher Figur, der in einer Badehose vor einem Swimmingpool stand.

»Den sollten wir auf jeden Fall mal zu einem Gespräch einladen!«, sagte Yara und dann zu Frau Huber, »Und jetzt zu Kraki.«

Frau Huber holte eine Tupperdose aus dem Kühlschrank: »Da sind Muscheln drin, die liebt er.«

»So, nachdem wir alle relevanten Informationen von Ihnen haben, bedanke ich mich erst mal für die gute Zusammenarbeit und nehme sie dann fest. Denn sie sind nicht Annika Huber, sondern Doris Kumpf. Und Sie werden gesucht, weil sie Rentnerinnen mit üblen Tricks abgezogen haben.«, Gottmann war sichtlich stolz auf sich und sein Gedächtnis.

Yara stand mit ihrer Tupperdose etwas ratlos in der Küche: »Norbert, ich bin fertig! Du kannst dir ja sonst nicht mal merken, wie unsere Chefin aussieht und jetzt das!«

»Du hast mich drauf gebracht mit deinen verschiedenen Haarfarben. Frau Kumpf war früher nämlich schwarzhaarig und hatte auch normalerweise sehr dezente Klamotten an!« Gottmann winkte einen Polizisten zu sich und übergab ihm die Frau, »Kollege Bertram vom Betrug hat mir ein Bild von der Dame gezeigt!«

Aber Yara schien ihm gar nicht mehr zu zu hören.

»Ich habe da eine Idee! Kraken sollen doch so intelligent sein wie Hunde. Kraki hat den Mord wahrscheinlich beobachtet. Es wäre doch eine gute Idee ihm Bilder von Alvarez und einigen Fußballern zu zeigen und er verrät uns vielleicht, wer der Mörder ist!«, sagte plötzlich Yara.

»Du spinnst doch! Kraken sind nicht intelligent, die sind genauso blöd wie Fische oder wie Muscheln oder Muränen oder irgendwas, das im Wasser schwimmt.«, antwortete Gottmann.

»Probieren geht über studieren! Du wirst dich noch wundern.«, meinte Yara und nahm das Bild von Alvarez und weitere drei Bilder vom Kühlschrank mit.

Gottmann und Yara kehrten zum Aquarium zurück.

Der Krake merkte sofort, dass, ihm unbekannte, Fütterer außerhalb seines kleinen Meeres herumrannten. Anscheinend waren sie mit sich selbst beschäftigt und wollten ihn nicht füttern. Er schmollte in seinem Versteck und beobachtete mit knurrendem Magen das Treiben im wasserlosen Raum.

Plötzlich war er alarmiert. Zwei der unbekannten Fütterer standen direkt vor seinem kleinen Meer. Einer hatte das lang ersehnte Ding in der Hand, aus dem der große oder der kleine Fütterer immer sein Futter holte. Endlich! Aber warum taten sie nichts? Sie gaben nur unverständliche Geräusche von sich. Warum öffnete keiner das Ding mit seinem Futter?

Statt dessen hielt einer der Fütterer einen kleinen, unbeweglichen Fütterer an sein kleines Meer. Den hatte er noch nie gesehen. Er blieb in Wartestellung. Dann kam der nächste kleine, unbewegte Fütterer. Das war der große Fütterer, den kannte er. Er berührte ihn mit seinem Tentakel, aber der Fütterer bewegte sich trotzdem nicht, er bekam nichts zu fressen.

Aber halt, endlich kam etwas durchs Wasser herunter geschwebt, es war eine Muschel! Er griff sie mit einem seiner Tentakel und führte sie zu seinem Schnabel. Kracks!, war sie offen und dann auch schon verspeist.

Dann kamen weitere kleine, unbewegliche Fütterer. Wieder berührte er nur den großen Fütterer, dafür gab es dann eine Muschel. Das Spiel konnte er den ganzen Tag spielen. Aber es passierte nur noch einmal. Er war zwar noch nicht ganz satt, aber fürs erste reichte es. Zufrieden zog er sich in sein Versteck zurück.

»Na, das ist doch eindeutig. Der Krake hat Herrn Alvarez identifiziert! Ist er nicht toll, der kleine Kraki!«, Yara war total begeistert, »Weil, wie jeder weiß, Kraken lügen nicht!«

»So ein Blödsinn! Der hat vielleicht sein Herrchen erkannt, mehr nicht. Du spinnst doch! Außerdem weiß doch jeder, dass Dänen nicht lügen! Das hat schon der Komiker Otto festgestellt! Aber, um das zu wissen, bist du vielleicht noch zu jung.«

»Vielleicht können wir beim Verhör von Herrn Alvarez behaupten, dass wir einen Zeugen des Mordes haben. Gelogen wäre es sicher nicht!«, versuchte Yara Kraki zu verteidigen.

»Ich bin der Meinung, dass das grenzwertig ist. Was wissen Kraken schon von Mord und Mördern?«, Gottmann war überhaupt nicht überzeugt von der Taktik.

>Erwin und Bettina<

Einst liebte Erwin Bettina,

doch Walter war auch noch da.

Der versuchte alles sie zu gewinnen.

Das Glück schien Erwin durch die Finger zu rinnen.

Schrödingers Katze musste ihm helfen, das lag nah.

»Alles Gute zum fünften Hochzeitstag, mein Liebster!«, flüsterte Bettina noch im Halbschlaf. Sie räkelte sich wohlig in den Laken, öffnete dann die Augen und wandte sich Erwin zu. Ihr kurzes, blondes Haar war verstrubbelt und ihre blauen Augen noch etwas orientierungslos.

»Bist du schon länger wach?«, fragte sie erstaunt, als sie Erwin neben sich im Bett sitzen sah.

Erwin antwortete nicht. Er saß wie eine Statue an das gepolsterte Kopfteil des Bettes gelehnt. Sein nackter, nicht sehr trainierter Oberkörper lag noch im Halbdunkel, genauso wie seine schwarzen Haare, die schon von einigen grauen durchsetzt waren und erste Anzeichen von Geheimratsecken zeigten. Er starrte durch seine altmodischen runden Brillengläser ins Leere.

»Du und deine Gasmaskenbrille!«, ulke Bettina immer.

»Schatz?«, Bettina versuchte ihn mit einem Kuss aus seiner Dornröschenstarre zu lösen.

»Hast du eigentlich schon einmal von Schrödingers Katze gehört?«, fragte Erwin völlig unzusammenhängend.

Bettina gähnte. Das war bestimmt wieder so was Physikalisches. Da schaltete sie immer ihr Gehirn auf Durchzug. Manchmal brach einfach der Physikprofessor bei Erwin durch. Trotzdem war sie stolz auf ihn, der mit seinen 29 Jahren einer der jüngsten Professoren Bayerns war.

»Schrödinger? Ist das einer deiner verkalkten Physiker oder meinst du den Klavierspieler aus den >Peanuts<?«, fragte Bettina wenig interessiert.

»Du kennst die >Peanuts<?, fragte Erwin erstaunt und wartete aber nicht auf eine Antwort. Er fuhr fort: »Stimmt, der Schrödinger war ein Physiker! Ob er verkalkt war, sei dahingestellt. Auf jeden Fall hat der schon im Jahr 1935 ein Gedankenexperiment gemacht.«

Bettina machte Anstalten aufzustehen.

»Ich mache Frühstück bis du zum Punkt gekommen bist.« Bettina hatte an ihrem Hochzeitstag keine Lust auf Physik. Sie war schon halb aus dem Bett.

»Wie gefällt dir eigentlich mein neues Spitzennegligee?«, erwähnte sie nebenbei und schob ihre Brüste etwas heraus. Sie hatte die Nachtwäsche extra für ihren Hochzeitstag gekauft und von Erwin noch keinerlei Reaktion darauf bekommen.

»Du bleibst jetzt hier und hörst dir das an und dein Nachthemd ist toll! Aber ohne Schrödinger hätte ich dich wahrscheinlich nie geheiratet!«, postulierte Erwin und packte Bettina am Arm, »Oder genauer, ich hätte mich nicht dazu überwinden können, dir den Antrag zu machen!«

»Na gut!«, sagte Bettina resignierend und fiel ins Bett zurück. Dass seine Physikbegeisterung Einfluss auf den Beginn ihrer Ehe gehabt hatte, erstaunte sie doch etwas und machte sie gleichzeitig neugierig.

Erwin hüstelte und begann: »Bei dem Gedankenexperiment von Schrödinger geht es um Folgendes: In einer verschlossenen Kiste ist radioaktives Material, ein Hammer, eine Ampulle mit Gift und eine Katze.«

»Diese Zusammenstellung wollte ich auch schon immer in einer Kiste aufbewahren!« Bettina gluckste vor Lachen.

»Diesen Scherz verzeihe ich dir nur, weil wir heute Hochzeitstag haben. Herzlichen Glückwunsch übrigens, meine Liebste! Geschenk gibt’s später, aber nur, wenn du jetzt konzentriert zuhörst« forderte Erwin.

»Was bekomme ich...« hob Bettina an.

»Ruhe jetzt, Fragen erst, wenn ich fertig bin!«

»...ich denn für ein Geschenk?«, murmelte Bettina resigniert.

Erwin ließ sich davon nicht beirren und fuhr fort: »Also das Ganze funktioniert folgendermaßen. Wenn ein Atom im radioaktiven Material zerfällt, wird der Hammer aktiviert, zerschlägt die Ampulle mit dem Gift und Zack, ist die Katze tot. Da aber niemand sagen kann, wann ein Atom zerfällt, weiß man auch nicht, ob die Katze im Moment tot ist oder noch lebt.«, Erwin sah Bettina an.

»Hä, wozu ist das nun gut und was hat es mit uns zu tun?«, wollte Bettina wissen. Ihr fielen die Augen wieder zu.

»Das hat erst mal mit der Quantenmechanik zu tun. Dort gibt es sogenannte Zwischenzustände. Aber darum geht es hier gar nicht. Es geht darum, dass damals vor fünf Jahren mein Heiratsantrag Schrödingers Katze war«, dozierte Erwin mit erhobener Stimme.

»Hä, jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr. Ich wusste nicht, dass eine Katze für unsere Hochzeit verantwortlich ist. Ich bin übrigen allergisch! Falls das die Vorbereitung darauf sein sollte, dass du mir zum Hochzeitstag eine Katze schenken willst, vergiss es gleich wieder!«, zischte Bettina entrüstet und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Blödsinn und nicht zielführend! Also zurück in der Zeit, damals hatten wir Schluss gemacht, nein, eigentlich hast du mich ziemlich unsanft abserviert, wegen diesem Walter Boregard, dieser hohlen Nuss! Und ich habe dich so geliebt!« Erwin schien wirklich aufgewühlte bei der Erinnerung daran.

»Ja, Walter, der war cool«, schwärmte Bettina. »Einen Body hatte der! Naja, an deinen Intellekt kam er vielleicht nicht ran, aber darauf war ich damals auch nicht fokussiert! Was der heute wohl macht?«

Erwin räusperte sich ärgerlich.

»Wahrscheinlich putzt er Klos auf Malle! Dass du mich damals einfach so stehen gelassen hast und mit wehenden Fahnen zu Walter gewechselt bist, habe ich dir übrigens nie verziehen! Aber vielleicht lag es ja auch ein bisschen an mir. Ich wollte dir damals eigentlich einen Heiratsantrag machen, aber offenbar hatte ich den richtigen Zeitpunkt irgendwie verpasst. Anschließend war ich zu feige etwas zu unternehmen. Dann hat mich aus heiterem Himmel mein bester Freund Bernd angerufen und mir gesteckt, dass Walter dir einen Heiratsantrag machen wollte.« Erwin verstummte. Offenbar wühlte ihn die Erinnerung immer noch ziemlich auf. Es entstand eine Pause, beide starrten in das Dämmerlicht im Schlafzimmer.

»Dass es damals einen Zweikampf um meine Hand gab, habe ich gar nicht gewusst«, sagte dann Bettina mit einem gewissen Stolz.

»Aber der Walter hatte auch ganz schöne Muckis und war als Quarterback in der Mannschaft von den >Bulls Erlangen< von Frauen heiß begehrt«, stellte Bettina dann fest, nachdem sie von Erwin nichts hörte.

»Das mag sein!«, antwortete Erwin knapp, man hörte eine gewisse Verärgerung aus seiner Stimme, »Viel wichtiger war, dass ich zum Zeitpunkt des Anrufs von Bernd etwa 100 Kilometer von deinem Standort in Erlangen entfernt war! Kurz entschlossen habe ich Bernd angewiesen, dich im Auge zu behalten, beziehungsweise dieses Arschloch von Walter. Er sollte ihn davon abhalten dir einen Antrag zu machen, bis ich vor Ort war.«

Erwin machte eine Kunstpause. »Ich habe dann sofort alles in der Regensburger Uni liegen und stehen lassen, mich in mein Auto gesetzt und bin los gefahren. Etwa 30 Minuten später und 40 Kilometer näher an deiner Behausung rief mich Bernd wieder an.

Er berichtete mir, dass Walter aufgetaucht war und er ihn nicht aufhalten hatte können.

»Du hast ja schon angemerkt, dass Walter ganz schöne Muckis hatte und Bernd war ein schmächtiger Physikstudent!«, stellte Erwin fest, »Ich sagte zu Bernd, Schrödingers Katze, du verstehst.«

Seine Antwort war kurz und ergreifend: »Da hilft es nur, die Kiste aufzumachen und nach zu sehen!«

»Hä, wie ist das jetzt wieder gemeint?«, ließ sich Bettina vernehmen.

Aber Erwin ging nicht darauf ein: »Wenn du mir bis jetzt zugehört hättest, wüsstest du, um was es geht!«

»Aber Bernd hatte Recht, das hat mich angespornt! Die letzten 60 Kilometer habe ich im Blindflug genommen. Was um mich herum geschah habe ich gar nicht wahrgenommen. Bernd stand immer noch vor dem Haus, in dem du damals wohntest, und hat mich immer wieder angerufen und mir mitgeteilt, wie die Sache stand. Ob ihr schon im siebten Himmel schwebend das Haus verlassen hättet oder ekstatische Schreie aus deinem gekippten Fenster drangen. Aber alles blieb ruhig. Die Katze war offenbar noch am Leben oder tot, beziehungsweise der Antrag gemacht oder nicht, niemand wusste es so genau, wie von Schrödinger voraus gesagt. Ich erreichte abgehetzt, vor Schweiß triefend und schon fast in eine Depression abgerutscht mit meinem alten VW Käfer dein Haus.« Erwin verstummte kurz und schnappte nach Luft. Offenbar durchlebte er die letzten Sekunden seiner Fahrt noch einmal.

»Das nimmt dich ja immer noch ganz schön mit, wenn ich das damals nur geahnt hätte!«, sagte Bettina erschrocken.

»Als ich an deinem Haus ankam stand Bernd stocksteif neben der Haustür. Ich hab ihn beiseite geschoben und Sturm geklingelt. Damit habe ich die Büchse der Pandora beziehungsweise die Kiste von Schrödingers Katze geöffnet.«

»Stimmt, du hast ganz schön abgehetzt gewirkt, als ich aufmachte«, kicherte Bettina.

Erwin fuhr fort: »Du weißt, ich bin auf die Knie gefallen und habe gestottert: >Bin ich zu spät, bist du schon verlobt?<«

»Stimmt, der Brilli war Klasse!«, bestätigte Bettina die Erzählung.

»Den hatte ich schon lange vorher gekauft. Zu meiner Überraschung hat dich mein Antrag nicht überrascht. Du hast nur mit dem Kopf gewackelt und dann schnell >Ja!< gerufen. In meiner Glückseligkeit habe ich gar nicht nach Walter gefragt. Ich hab ihn einfach total aus meinem Gehirn getilgt. Und von einer Katze war auch nichts zu sehen.«

Bettina legte ihre Hand auf Erwins heißen Arm.

»Würde es dich sehr überraschen, wenn ich dir jetzt beichte, dass es in der Kiste nie eine Katze gegeben hat?«, fragte sie zuckersüß.

»Wie meinst du das? Schrödingers Katze funktioniert nur mit eben dieser!«, stotterte Erwin erstaunt.

»Denk nach! Dein überlegener Physiker Geist und deine brillante Intelligenz sollten auch das Rätsel von Bettinas unsichtbarer Katze lösen können«, meinte Bettina spöttisch.

Es entstand eine längere Pause, während Erwin nachdachte.

»Jetzt weiß ich es!«, rief er mit Triumph in der Stimme, »Es ging nie um Schrödingers Katze, sondern um die Heisenbergsche Unschärferelation, die aussagt, dass man nie zwei Eigenschaften eines Teilchen gleichzeitig bestimmen kann. So zum Beispiel den Ort und den Impuls. Das Teilchen war Walter. Bestimmen konnte man den Ort, er war nicht bei dir, unsicher war der Impuls, der ihn zu dir geführt hätte, um einen Antrag zu machen. Kurz physikalisch gesagt!«, meinte Erwin mit einem Lachen in seiner Stimme.

»Kurz gesagt was?«, fragte Bettina zärtlich.

»Kurz gesagt, du und dieser Schuft von Bernd, ihr habt mich reingelegt. Walter war nie bei dir, geschweige, dass er dir einen Heiratsantrag machen wollte. So einfach ist angewandte Physik und so effektiv!«, triumphierte Erwin.

»Dank Schrödingers Katze sind wir deshalb seit fünf Jahren verheiratet!«, schloss Bettina das Gespräch ab und stupste Erwin in die Seite. »Lass uns frühstücken!«

»Ich mach Rührei mit Kaviar«, verkündet Erwin gelöst. Sein Verdacht war also doch richtig gewesen, aber das war jetzt egal. Bestimmt würde Bettina sein Geschenk, eine Besichtigung des Teilchenbeschleunigers in Genf am Valentinstag gefallen. Die hatte er zusätzlich zum Skiurlaub in den nahen Alpen geplant. Erwin drückte auf die Fernbedienung der Rollos und schwang seine Beine aus dem Bett.

Bettina zog ihr Negligee zurecht und schwor im nächsten Leben Experimentalphysikerin zu werden.

>NCA 2176<

Im All ist man selten allein,

aber ohne Treibstoff sollte man trotzdem nie sein.

Doch den Sprit zu klauen,

darauf sollte man auch nicht bauen.

Sonst fällt man schnell auf eine Falle rein.

Logbuch des leichten Kreuzers NCA 2176, Sternzeit: 34:11-56:91, Erdzeit: Mittwoch 22.10.2560 15:32 Uhr, Eintrag >NCA2176<

Kaptain Sepp Oberbichler, Navigator Porgoo, Waffeningenier K'ten, Schiffsärztin B'barb und Bordingenier M'bape auf dem Rückflug vom Mond Pier-r mit einer Ladung Pier-r. Momentan in Schwierigkeiten wegen verstärktem Auftreten von >M-mor#M-mor< Schiffen.

Der leichte Kreuzer NCA 2176 klebte an dem Meteoriten, wie die Blattlaus an der Blattunterseite einer >Ha#schi< Staude.

Seine Insassen nannten das Raumschiff auch scherzhaft >Margeton<, so hieß eine Laus ähnliche Spezies auf dem Planeten >Margo<, besser bekannt als >Attila 4 B<. Dessen Bewohner unterhielten sich mit knarrenden Lauten, die wie >marrrrgo< klangen. Sie waren fast zwei Meter groß und fraßen alles, was nicht bei eins auf den gummiartigen >Pleboen<, dem Hauptgewächs auf >Margo<, war.

Aber dieses spezifische Wissen würde sie nicht aus der beschissenen Lage bringen, in der sich der Kreuzer befand.