Kritik der Polizei -  - E-Book

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Beschreibung

Die Polizei ist für einige Menschen "Freund und Helfer", andere erleben sie im täglichen Leben als Institution, die unterdrückt, vertreibt oder schikaniert. Im Zuge wachsender gesellschaftlicher Spannungen wird dieser Aspekt immer offensichtlicher. Insbesondere die US-amerikanische Black-Lives-Matter-Bewegung hat das Thema Polizeigewalt auf die Tagesordnung gehoben, aber auch hierzulande scheint die Polizei in eine grundlegende Krise geraten zu sein. Dieser Band versammelt erstmals wichtige Texte zur Polizeikritik von deutschen und internationalen Intellektuellen, Aktivistinnen und Aktivisten. Mit Beiträgen unter anderem von Giorgio Agamben, Rafael Behr, Kendra Briken, Didier Fassin, Sally Hadden und Vanessa Thompson

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Daniel Loick (Hg.)

Kritik der Polizei

Campus Verlag

Frankfurt/New York

Über das Buch

Die meisten Menschen machen im Alltag selten Bekanntschaft mit der Polizei: Höchstens ein gestohlenes Fahrrad, ein Strafzettel oder eine Ruhestörung führen einmal auf die Wache. Das kann unbequem sein, verbreitet ist jedoch die Überzeugung, dass die Polizei die allgemeine Sicherheit garantiert und geltendes Recht durchsetzt. Eine andere Perspektive haben Menschen, die regelmäßig mit der Polizei konfrontiert sind, sei es wegen Kontrollen, Razzien oder Verhaftungen. Spätestens seit den Occupy- Protesten und der Black-Lives-Matter-Bewegung und vor allem auch seit dem G-20-Gipfel in Hamburg scheint die Institution der Polizei in eine Krise geraten zu sein. Im Zuge wachsender gesellschaftlicher Spannungen kommt es häufiger zu Konfrontationen mit der Staatsgewalt. Dieser Band versammelt erstmals wichtige Texte zum Thema Polizeikritik von deutschen und internationalen Intellektuellen und wird in Zukunft unverzichtbar sein, wenn über die Rolle der Polizei diskutiert wird.

Mit Beiträgen unter anderem von Giorgio Agamben, Rafael Behr, Kendra Briken, Didier Fassin, Sally Hadden und Vanessa Thompson.

Vita

Daniel Loick ist Philosoph und Sozialtheoretiker und Fellow am Center for Humanities and Social Change an der Humbolt-Universität in Berlin. Zuletzt erschienen von ihm unter anderem Juridismus. Konturen einer kritischen Theorie des Rechts (2017), Anarchismus zur Einführung (2016) und Kritik der Souveränität (2012).

Inhalt

Daniel Loick: Was ist Polizeikritik?

Geschichte der Polizei

Kritik der Polizei I: Demokratie

Kritik der Polizei II: Subjektivität

Kritik der Polizei III: Sicherheit

Neuere Entwicklungen: Die Polizei im Neoliberalismus

Alternativen zur Polizei

Literatur

Teil I: Geschichte der Polizei

Michel Foucault: Leben und etwas mehr als nur leben: Zur (Vor-)Geschichte der Polizei

Mark Neocleous: Die Polizei in der Nadelfabrik: Adam Smith, die Polizei und der Wohlstand

Sally E. Hadden: Sklavenpatrouillen und die Polizei: Eine verwobene Geschichte der Rassenkontrolle

Giorgio Agamben: Souveräne Polizei

Teil II: Die Polizei gegen die Demokratie

Maximilian Pichl: Polizei und Rechtsstaat: Über das Unvermögen, exekutive Gewalt einzuhegen

Bernd Belina: Wie Polizei Raum und Gesellschaft gestaltet

Didier Fassin: Die Politik des Ermessensspielraums: Der »graue Scheck« und der Polizeistaat

Rafael Behr: »Die Polizei muss … an Robustheit deutlich zulegen«: Zur Renaissance aggressiver Maskulinität in der Polizei

Teil III: Polizei und Rassismus

Autor*innenkollektiv der Berliner Kampagne Ban! Racial Profiling – Gefährliche Orte abschaffen: Ban! Racial Profiling oder Die Lüge von der »anlass- und verdachtsunabhängigen Kontrolle«

Vanessa E. Thompson: »There is no justice, there is just us!«: Ansätze zu einer postkolonial-feministischen Kritik der Polizei am Beispiel von Racial Profiling

Teil IV: Die Polizei im Neoliberalismus

Anna Kern: Die Polizei im Neoliberalismus

Kendra Briken: Policing by numbers: New Police Management und Gewaltmonopol

Jenny Künkel: Lokale Aushandlungen des polizeilichen Auftrags – am Beispiel der Debatten um Gewalt durch »Flüchtlinge« auf dem Berliner Alexanderplatz

Teil V: Jenseits der Polizei

Critical Resistance / INCITE! Women of Color Against Violence*: Statement zu vergeschlechtlichter Gewalt und dem Prison-Industrial-Complex

Melanie Brazzell: Transformative Gerechtigkeit statt Polizei und Gefängnisse: Für einen alternativen Umgang mit sexualisierter Gewalt und Beziehungsgewalt

Kristian Williams: Die Polizei überflüssig machen

Nachweise

Autor*innen

Was ist Polizeikritik?

Daniel Loick

Ende Dezember 2014 organisierte die New Yorker Polizeigewerkschaft einen Bummelstreik. Aus Protest gegen den neugewählten Bürgermeister Bill de Blasio, von dem sie sich zu wenig unterstützt fühlten, weigerten sich die Polizist*innen, Verkehrsdelikte und andere geringfügige Straftaten zu ahnden und beschränkten ihre Aktivitäten auf ein absolutes Minimum. Der Streik reduzierte die Anzahl von Straßenkontrollen, Strafmandaten und Verhaftungen um über 90 Prozent. Doch statt Chaos und Verbrechen hervorzurufen, hatte er den gegenteiligen Effekt: Weder kam es zu einer Zunahme von Kriminalität noch zu einer Abnahme des Sicherheitsgefühls bei den Menschen. Die Abwesenheit der Polizei wurde vielmehr von vielen als Befreiung empfunden (Yee 2015). In einem Kommentar für die Zeitschrift The New Republic beschreibt der Schriftsteller Aurin Squire die Auswirkungen des slowdowns auf die schwarze Bevölkerung: »Die letzten beiden Wochen waren wie ein Urlaub von Angst, Überwachung und Strafe. Vielleicht fühlt es sich so an, nicht die ganze Zeit vorverurteilt und als verdächtige Kriminelle angesehen zu werden. Vielleicht ist das ein wenig so, wie es sich anfühlt, weiß zu sein.« (Squire 2015)

Wie man über die Polizei denkt, hat damit zu tun, welche Erfahrungen man mit ihr gemacht hat. Das wiederum hängt mit der jeweiligen sozialen Position zusammen. Die meisten Menschen kommen selten in Kontakt mit der Polizei, und wenn, dann haben sie sie in der Regel selbst gerufen – etwa wegen einer Ruhestörung oder einer gestohlenen Geldbörse. Sogar wenn man wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung angehalten wird oder ein Knöllchen bekommt, flucht man gern mal über die Wachtmeisterin, kaum aber jemand würde die Notwendigkeit der Institution infrage stellen. Im Gegenteil: Die Polizei erscheint als wichtiger Ansprechpartner für die Regelung sozialer Konflikte und die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung, als »Freund und Helfer« eben. Die Mehrheit der Menschen kann sich mit der polizeilichen Perspektive identifizieren, denn sie kann sich in der Welt, die die Polizei schützt, zu Hause fühlen. Diese Mehrheitsperspektive dominiert auch die öffentliche Diskussion: Für die Lösung gesellschaftlicher Problemlagen wird regelmäßig mehr Polizei gefordert, sei es in Fällen von Drogenkonsum, Jugendkriminalität oder zur Befriedung rivalisierender Fußball-Fangruppen.

Aurin Squires Bericht erinnert jedoch daran, dass es auch eine Minderheitenperspektive gibt – die Perspektive von Menschen, die regelmäßig und ganz andere Erfahrungen mit der Polizei machen. Für viele Menschen of color gehören Polizeikontakte zum alltäglichen Leben: Sie werden viel häufiger als Weiße angehalten und kontrolliert und auch häufiger durch die Polizei beleidigt oder schikaniert. Auch andere Gruppen erleben polizeiliche Interaktionen nicht als schützend, sondern bestenfalls als lästig, schlimmstenfalls als Gefahr für Leib und Leben: Arme Menschen, Wohnungslose und Drogennutzer*innen, die aus den Innenstädten vertrieben werden, Sexarbeiter*innen, die täglich mit Razzien rechnen müssen, oder Geflüchtete mit zum Teil prekärem Aufenthaltsstatus, für die ein Kontakt mit der Polizei stets das Risiko einer Abschiebung mit sich bringt. Die Angehörigen dieser Gruppen können sich mit der polizeilichen Perspektive nicht identifizieren: Die Sicherheit und Ordnung, welche die Polizei garantiert, ist nicht die ihrige – sie selbst erscheinen dieser Ordnung als Probleme, Störenfriede oder Eindringlinge. Die Perspektiven dieser Menschen, obwohl alltäglich und weit verbreitet, verbleiben zumeist unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung; in Talkshows oder Zeitungen kommen sie selten zu Wort. Die differentielle Operationslogik der Polizei zu erkennen, erschüttert somit das vorherrschende Bild von der Polizei als »Freund und Helfer« – sie ist eben Freund und Helfer nur einiger Menschen, aber Feind und Ärgernis anderer.

Es ist der in den USA entstandenen Black-Lives-Matter-Bewegung zu verdanken, dass dieses Erfahrungswissen marginalisierter Gruppen Eingang in den öffentlichen Diskurs gefunden hat und das Thema Polizei überhaupt auf die Tagesordnung der politischen Debatte gesetzt wurde. Die Namen einiger schwarzer Menschen sind zu Symbolen rassistischer Polizeibrutalität geworden: Sandra Bland, Mike Brown, Eric Garner, Freddie Gray, Aiyana Jones, Tamir Rice, Alton Sterling und unzählige andere. Wenngleich in (quantitativ) geringerem Ausmaß, gibt es auch in Europa zahlreiche Fälle, in denen rassistisches Polizeihandeln den Tod von Menschen of color zur Folge hatte, wie etwa bei Adama Traoré in Paris, der 2016 nach seiner gewaltsamen Festnahme in Polizeigewahrsam ums Leben kam, oder Oury Jalloh, der 2005 in einer Polizeizelle in Dessau verbrannte.1 In jedem dieser Fälle gingen die beteiligten Polizist*innen straffrei aus. Aber Tötungen sind nur die extremsten Beispiele alltäglicher Diskriminierungen, die sich bereits bei weitaus weniger spektakulären Begegnungen geltend machen. Die differentielle Adressierung der Bevölkerung durch die Polizei wird schon daran deutlich, wer im Zug nach dem Ausweis gefragt oder im Bahnhof an die Wand gestellt wird, wessen Taschen kontrolliert werden und wer im Zweifelsfall mit auf die Wache kommen muss, wer geduzt und wer gesiezt wird. Die Black-Lives-Matter-Bewegung und ähnliche soziale Bewegungen in Europa nehmen ihren Ausgangspunkt von dieser Diskriminierungserfahrung; von der Erfahrung also, dass in unseren Gesellschaften einige Leben weniger zählen als andere.

Die gesellschaftstheoretische Analyse und die politische Kritik der Polizei können sich von dieser Erkenntnis ihrer differentiellen Funktionsweise leiten lassen. Von der marginalisierten Perspektive ausgehend, lässt sich nicht nur erschließen, was die Polizei schon jetzt tut, sondern auch, was sie möglicherweise tun wird. Die Polizei versucht naturgemäß, ihre Kompetenzen zu erweitern und rechtliche Einschränkungen loszuwerden. Potenziell sind darum auch die Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft von ähnlichen Repressionen betroffen, unter denen viele Minderheiten schon jetzt leiden. Das wird zum einen bei Ausnahmesituationen wie den Protesten gegen den G20-Gipfel in Hamburg 2017 offensichtlich. Dort kamen rechtliche, technische, architektonische und diskursive Strategien zum Einsatz, die an den sogenannten »Gefahrengebieten« oder »gefährlichen Orten«, in den Rotlicht- oder Drogenszenen, in Flüchtlingsunterkünften und Aufnahmeeinrichtungen bereits erprobt wurden. Zum anderen fließen diese Techniken auch in die regelmäßigen Gesetzesverschärfungen im Bund und in die Novellierungen der Landespolizeigesetze ein: Anlasslose Durchsuchungen, Überwachung der Kommunikation, Vorratsdatenspeicherung, Rasterfahndung, Videoüberwachung, verdachtsunabhängige Festnahmen und langfristige oder sogar unbefristete Inhaftierungen ohne richterlichen Beschluss, wie sie etwa das 2018 geänderte bayerische Polizeiaufgabengesetz erlaubt.

Geschichte der Polizei

Um eine Sache zu kritisieren, ist es wichtig, ihre Geschichte zu kennen: So lässt sich sowohl ihre Relativität als auch ihre Kontinuität verstehen. Die historische Relativität der Polizei beweist, dass sie keine naturgegebene oder unveränderbare Institution ist: Da es sie nicht immer gegeben hat, muss es sie nicht für alle Zukunft geben. Die historische Kontinuität hingegen hilft, grundsätzliche Funktionsweisen zu identifizieren – Charakteristika, die das Wesen der Polizei als solcher ausmachen.

Die Polizei, wie wir sie kennen – als eine Institution von bezahlten Beamten, die mit der Aufgabe der Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols und der Bekämpfung von Kriminalität betraut ist –, ist eine historisch relativ junge Erscheinung. Sie entstand in Europa und den USA innerhalb der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Älter ist die Geschichte des Begriffs der Polizei, der zuvor einen viel umfassenderen Sinn hatte. In seinen Vorlesungen zur Geschichte der Gouvernementalität rekonstruiert Michel Foucault den Beginn des Polizeidiskurses Anfang des 17. Jahrhunderts. Er stellt die Polizei in den Kontext der Entstehung der Sicherheitsdispositive in den europäischen Staaten. Das Konzept der »Sicherheit« antwortet auf die drastische Zunahme sozialer Komplexität, die vor allem durch Urbanisierung und Industrialisierung hervorgerufen wurde. Weil gesellschaftliche Prozesse immer schwieriger politisch zu steuern sind, reichen die rein reaktiven und negativen Machttechniken der feudalen Souveränitätsmacht nicht mehr aus. Der Staat stellt zunehmend auf eine produktive und positive Regulierung des sozialen Lebens um; er beginnt, das Handeln der Menschen aktiv zu kanalisieren und zu lenken. Das Vorbild dieser neuzeitlichen Praxis der Menschenführung erblickt Foucault im christlichen Pastorat mit seiner Metapher des Hirten, der für die gesamte Herde und für jedes einzelne Schaf verantwortlich ist. Wie der Hirte, so kann sich auch der Staat nicht nur auf Verbote und Bestrafungen beschränken, sondern bedarf einer ausgefeilten »Kunst des Führens, Lenkens, Leitens, Anleitens, des In-die-Hand-Nehmens, des Menschen-Manipulierens, […] des Ihnen-Schritt-für-Schritt-Folgens und des Sie-Schritt-für-Schritt-Antreibens« (Foucault 2004: 241; vgl. auch Foucault 2005). Diese Kunst ist die Kunst der Polizei. Sie bildet fortan neben dem militärisch-diplomatischen Komplex ein eigenständiges Ensemble an Machttechniken im Repertoire des Staates. Die Polizei ist zu diesem Zeitpunkt also noch keine Institution, sondern eher eine bestimmte staatliche Perspektive, ein spezifischer Regierungsmodus.

Die Polizei, so resümiert Foucault die neuzeitliche Begriffsgeschichte, repräsentiert die »Gesamtheit der Mittel […], durch die man die Kräfte des Staates erhöhen kann, wobei man zugleich die Ordnung dieses Staates erhält« (Foucault 2004: 451). Anhand einer detaillierten Lektüre des programmatischen Entwurfs zur Bedeutung der Polizei des französischen Autors Turquet de Mayerne von 1611 zeigt Foucault auf, wie weitreichend deren Aufgabengebiet bestimmt ist: Es umfasst nicht nur die (biologischen) »Tatsachen des Lebens«, das heißt Maßnahmen zur Sicherung der Lebensmittel und der Unterkunft, zur Steigerung der Geburtenrate, zum Erhalt der Gesundheit und zum Schutz vor Krankheiten, Hungersnöten und Epidemien, sondern auch alles, was Foucault das »Mehr-als-nur-Leben« nennt, mit den Worten des deutschen Ökonomen und Polizeitheoretikers von Justi: das »Glück der Untertanen«, das wiederum dem Nutzen des Staates dienen soll. Das Einsatzgebiet der Polizei, schlussfolgert Foucault, ist letztlich gleichbedeutend mit dem Bereich der »politischen Ökonomie«: Sie ist zuständig für die Überwachung der Tätigkeiten der Menschen, die Zirkulation der Waren und den Anreiz des Konsums. Die Maßgabe polizeilichen Handelns ist dabei stets die Steigerung der Kräfte des Staates, das heißt die Eliminierung alles Unproduktiven (Foucault, im vorliegenden Band).

Der britische Politikwissenschaftler Mark Neocleous hat Foucaults Analyse aufgegriffen und weitergeführt. In seinem grundlegenden Buch The Fabrication of Social Order knüpft er an Foucaults Erkenntnis an, dass die Polizei ursprünglich keine Institution bezeichnet, sondern eine Regierungsweise, der es um die »legislative und administrative Regulierung des inneren Lebens einer Gemeinschaft« geht, um »allgemeines Wohlergehen und Bedingungen der guten Ordnung zu fördern« (Neocleous 2000: 1). Die Polizei sanktioniert also nicht vor allem Kriminalität als Rechtsbruch, sondern wehrt alle Bedrohungen der gemeinschaftlichen Ordnung ab. Mit der Krise des Feudalismus zeigen die Stände und Kirche sich zunehmend außerstande, die soziale Integration der Menschen zu gewährleisten, weshalb das Problem der Aufrechterhaltung eines geordneten Zusammenlebens zum zentralen Problemfeld des Staates wurde. Im Frühkapitalismus kann sich der absolutistische Machtanspruch souveräner Nationalstaaten, der sich in einem massiven Bedarf an Beamten und Soldaten ausdrückt, nur durch die Steigerung der Staatseinnahmen durch Bevölkerungswachstum und allgemeine Steigerung der Produktivität geltend machen. Geprägt von einer merkantilistischen Ideologie, die umfassende Interventionen in den Wirtschaftskreislauf propagiert, fällt der Polizei ein breites Aufgabespektrum zu, von der Durchsetzung der Kleidungsvorschriften über die Straßenordnung bis zum Erlass von Handelsregeln. Neocleous führt das Beispiel der Getreidepolitik an: Die merkantilistische Wirtschaftspolitik setzt auf eine lückenlose Kontrolle aller Stationen des Wirtschaftskreislaufes, von der Kornernte bis zum Kauf des Brotes. Im Mittelpunkt steht dabei die Idee, den Markt zu beherrschen und die entstehende Ordnung aktiv zu gestalten, wobei eine besondere Rolle der Durchsetzung des Arbeitszwangs, des Verbots der Landstreicherei und der Unterdrückung von Arbeiteraufständen zukommt.

Neocleous kontrastiert diese merkantilistische Ideologie der Polizei des 17. und 18. Jahrhunderts mit der liberalen Auffassung, die sich Ende des 18. Jahrhunderts herausgebildet hat und bis heute dominant ist. Der Liberalismus formiert sich zunächst gerade als Polizeikritik: Er definiert die Ökonomie als privaten Bereich, in den der Staat nicht eingreifen sollte. An die Stelle des vertikalen Steuerns der Gesellschaft durch den Staat tritt die Idee des horizontalen Verkehrs voneinander unabhängiger und interessegeleiteter Privateigentümer. Interessanterweise fordern liberale Theoretiker trotzdem keine Abschaffung der Polizei. Vielmehr wird deren Funktion umdefiniert und auf die Durchsetzung des Rechts durch die Abwehr von Gefahren depotenziert. Dies entpolitisiert zugleich die Sphäre der politischen Ökonomie, die nicht mehr als Ergebnis staatlicher Entscheidungen, sondern als Resultat individuell eingegangener Vertragsbeziehungen erscheint. Marx bezeichnete die polizeiliche Sicherheitsvorstellung hellsichtig als »die Versicherung des Egoismus« der bürgerlichen Gesellschaft (Marx 1976[1843]: 366). Das Credo des Liberalismus ist Deregulierung: Die Polizei ist nicht mehr zuständig für die Festsetzung der Brotpreise, sondern nur noch für die Verhinderung des Brotdiebstahls. Diese grundlegende Bedeutungsverschiebung von der Polizei als Ensemble der Maßnahmen zur Herstellung guter Ordnung zur Polizei als exekutive Rechtsdurchsetzung, die sich Ende des 18. Jahrhunderts vollzogen hat, lässt sich exemplarisch im Werk eines der wichtigsten liberalen Denker nachvollziehen, Adam Smith. Während es die ursprüngliche Verwendungsweise des Polizeibegriffs noch erlaubt, eine erhöhte Kriminalität etwa als Ergebnis von steigender Armut zu begreifen, die wiederum Ergebnis einer schlechten Regierung ist, verdeckt der von einem Primat des Individuums ausgehende liberale Polizeibegriff die gesellschaftlichen Ursachen und bekommt das Problem der Armut nur noch als individuelles Laster und als potenzielle Gefahr für die Aufrechterhaltung der Privateigentumsordnung in den Blick (Neocleous, im vorliegenden Band).

Die Polizei als spezifische Institution, wie sie bis heute existiert, hat sich also ironischerweise gerade im Zuge einer Polizeikritik entwickelt. Durch diese Kritik an der staatlichen Programmierung des gesellschaftlichen Lebens wurde das Soziale depolitisiert und damit das Problem der Armut individualisiert. Der Beginn der modernen Polizei ist der Beginn ihrer Begrenzung: Ihre Aufgabe ist die Sicherung der Rahmenbedingungen der kapitalistischen Ökonomie, nicht jedoch einen Eingriff in den Wirtschaftskreislauf. Diese Begrenzung vollzieht sich in Form einer Zentralisierung, Professionalisierung und Entmilitarisierung der Polizei. Vor Beginn des 19. Jahrhunderts hatten Staaten eine Reihe diverser Mittel eingesetzt, um den sozialen Frieden aufrecht zu erhalten: Die allgemeine Moralvermittlung erfolgte durch familiäre und kirchliche Instanzen, Konflikte wurden gegebenenfalls mithilfe unbezahlter Friedensrichter zwischen Privatpersonen geregelt, und zur Aufstandsbekämpfung konnte im Zweifelsfalls das Militär eingesetzt werden. All diese Aufgaben wurden dann in die Institution der Polizei zusammengezogen, wobei es zu beträchtlichen regionalen und nationalen Unterschieden gekommen ist. Zum Vorbild für viele Städte wurde allerdings die Londoner Metropolitan Police, die 1829 vom britischen Innenminister Robert Peel geschaffen wurde. Peel verstand die Polizei erstmals als zivile und politisch neutrale Institution, deren Hauptaufgabe nicht länger in der Bekämpfung von sozialen Unruhen, sondern von individuellen Straftaten bestand. Peel schuf so die erste Polizeibehörde im modernen Sinne; sie war nicht nur weitaus effektiver als die bisherigen informellen und unsystematischen Kontrollen, sondern konnte sich aufgrund ihres nicht-militärischen Auftretens auch einer wachsenden Anerkennung durch die Bevölkerung erfreuen (für umfangreiche Essaysammlungen zur Polizeigeschichte vgl. Emsley 2011; Newburn 2008; für eine kritische Perspektive Williams 2015, Kapitel 2 und 3).

Eine Besonderheit, die auch für das Verständnis der Black-Lives-Matter-Proteste bedeutsam ist, stellt die Geschichte der US-amerikanischen Polizei dar. Während in den Nordstaaten im Wesentlichen das Polizeiverständnis der ehemaligen Kolonialmacht England herrschte und Konstabler, Sheriffs und freiwillige Wachtruppen sich um die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung kümmerten, ist der Ursprung der Polizei in den Südstaaten eng mit der Institution der Sklaverei verknüpft. Wie die Historikerin Sally Hadden in ihrem Standardwerk Slave Patrols darstellt, bestand die größte Sorge weißer Kolonist*innen in den Südstaaten im Ausbrechen von Sklavenrebellionen, insbesondere in den Regionen, in denen Weiße in der Minderheit waren (Hadden 2001). Beeinflusst von Praktiken in den karibischen Kolonien, begannen die Südstaaten im 17. und 18. Jahrhundert mit der Einrichtung von Sklavenpatrouillen, die zunächst auf verpflichtender Basis von der weißen Bevölkerung insgesamt, dann aber durch bezahlte Milizen gestellt wurden. Auf diese Sklavenpatrouillen gehen eine Reihe von Maßnahmen zurück, die in Europa und den Nordstaaten durch die Polizei eingesetzt wurden, wie die Einführung eines Systems von Pässen oder die Befugnis zur Hausdurchsuchung. Hadden weist nach, dass diese Strukturen nach dem Ende des Bürgerkriegs 1865 nicht zerschlagen wurden, sondern zum Teil in die offizielle Polizeistruktur überführt wurde, zum Teil in extralegalen Terrororganisationen wie dem Ku-Klux-Klan weiterexistieren konnten (Hadden, im vorliegenden Band). Beide Institutionen reproduzieren arbeitsteilig das rassistische Vermächtnis der Sklavenpatrouillen, indem sie den Fortbestand der weißen Dominanz absichern. Während die Polizei im frühmodernen Europa, mit Foucault gesprochen, einen biopolitischen Auftrag hatte – das heißt die Aufgabe, das Leben der Bevölkerung zu vermehren und die Macht des Staates zu vergrößern –, so hatte sie in den amerikanischen Südstaaten im selben Zeitraum eher einen thanatopolitischen Auftrag: Die Produktivität der Sklavenhaltergesellschaft lässt sich nur durch das Leiden und den Tod schwarzer Körper erzielen. Entscheidend ist hier die Zentralität der Strukturkategorie race, die die polizeiliche Perspektive in den USA bis in die heutige Zeit hinein prägt.

Die Sklavenpatrouillen der Südstaaten und die Bobbies der Londoner Polizei wirken auf den ersten Blick wie Gegensätze. Doch insbesondere die deutsche Geschichte zeigt, dass sich auch die liberal-rechtsstaatliche Polizei leicht in eine diktatorische Terrorinstanz verwandeln kann. In Preußen hatte sich im Laufe des 19. Jahrhunderts ein rechtsstaatliches Polizeiverständnis durchgesetzt, wonach der Polizei lediglich die Aufgabe der Gefahrenabwehr nach Maßgabe der geltenden Gesetze zukommt. Der Nationalsozialismus ermöglichte es den deutschen Polizeiinstitutionen jedoch, das juristisch vage Schutzgut der »öffentlichen Ordnung« so zu interpretieren, dass daraus umfassende Kompetenzen zur Intervention in alle Lebensbereiche erwachsen. In einem kurzen und polemischen Text erinnert Giorgio Agamben daran, dass die Durchführung der Judenvernichtung essentiell eine polizeiliche Operation war, der kein legislativer Akt und auch kein Führerbefehl vorausgehen musste (Agamben, im vorliegenden Band). Obwohl das Recht zu ihren zentralen Legitimationsbedingungen gehört, kann sich die Polizei von ihren gesetzlichen Schranken emanzipieren und beginnen, selbst als Souverän zu agieren. Der Ausnahmezustand ist in der rechtsstaatlichen Normalität bereits latent angelegt.

Kritik der Polizei I: Demokratie

Die umfassenden Befugnisse zu Eingriffen in die Freiheit und körperliche Integrität von Bürger*innen, welche die Polizei besitzt, leitet sich in demokratischen Rechtsstaaten allein daraus ab, dass diese Staatsgewalt, wie es etwa in Artikel 20 des deutschen Grundgesetzes heißt, »vom Volke ausgeht«. Die polizeiliche Gewalt ist also keine Gewalt eines autoritären Herrschers gegen das Volk, sondern im Gegenteil gerade Ausdruck der politischen Autonomie des Volkes: Durch die Polizei zwingt das Volk nur sich selbst, sich an die demokratisch beschlossenen Gesetze zu halten. Der erste Denker der Volkssouveränität, Jean-Jacques Rousseau, sagt deshalb, es sei richtig, wenn an den Toren der Gefängnisse das Wort »Freiheit« prangt – denn Gefängnisse sind nur eine Einschränkung für diejenigen, die die Freiheit aller einschränken (Rousseau 2003[1762]). Jürgen Habermas hat diesen republikanischen Gedanken aktualisiert, wenn er die von der Polizei repräsentierte Zwangsgewalt als Selbstbindung der Bürger*innen interpretiert, das heißt als Sanktionsmittel, auf die sich die Beteiligten selbst geeinigt haben sollen (Habermas 1992: 58 ff.). Der Zwang soll auf diese Weise auch die Relevanz des demokratischen Prozesses insgesamt sicherstellen: Es ergibt nur Sinn, sich an demokratischen Diskussionen, Wahlen und Abstimmungen zu beteiligen, wenn das Beschlossene dann auch wirklich durchgesetzt wird.

Diese demokratietheoretische Begründung der staatlichen Zwangsgewalt wird jedoch durch die historisch belegte Tendenz der Polizei, sich von den sie legitimierenden rechtlichen Normen zu lösen, grundlegend infrage gestellt. »Die Behauptung«, schreibt Walter Benjamin in seiner »Kritik der Gewalt« bereits 1921, »dass die Zwecke der Polizeigewalt mit denen des übrigen Rechts stets identisch oder auch nur verbunden wären, ist durchaus unwahr.« (Benjamin 1991[1921]: 189; vgl. dazu Loick 2012: 171–188) Für dieses Auseinanderfallen der Rechts- und der Polizeizwecke lässt sich eine lange Liste an Beispielen anführen, die von dem intentionalen und expliziten Verfolgen eines eigenen (fast immer: rechten) politischen Programms durch Polizeifunktionäre über individuelle Bereicherung durch Korruption bis hin zu alltäglichen und normalisierten Interaktionen zwischen der Polizei und dem polizeilichen Klientel reichen, in denen Beamte in der Grauzone zwischen Erlaubtem und Unerlaubtem agieren. Die Polizei ist also nicht nur eine exekutive Durchsetzungsinstanz des demokratischen Willens, sondern stellt für die Demokratie immer auch ein Risiko dar.

Es lassen sich strukturelle Gründe identifizieren, aus denen die Polizei immer eine gewisse Eigenständigkeit gegenüber dem geltenden Recht bewahren muss. Der Polizei obliegt es, das allgemeine Gesetz in einer konkreten Situation zur Anwendung zu bringen. Hierfür muss sie sowohl das Recht als auch die Situation eigenständig interpretieren; sie muss vor Ort aufgrund ihrer eigenen Einschätzung und ihres »Erfahrungswissens« entscheiden. Damit aber gestaltet die Polizei die Gesellschaft aktiv mit, in ihr vermischt sich, so Benjamin, ihre rechtserhaltende mit einer eigenständig rechtsetzenden Funktion. Polizist*innen sind, obwohl sie von niemandem gewählt wurden, »Straßenecken-Politiker*innen« (Muir 1977) beziehungsweise »Straßenbürokrat*innen« (Lipsky 1969). Diese eigenständige Definitionsmacht, die ein strukturelles Kennzeichen jeder Polizei ist, wird durch konkrete rechtliche Maßnahmen juristisch legitimiert. Dazu gehören insbesondere Generalklauseln wie die der »Gefahrenabwehr« oder der »öffentlichen Sicherheit«, die der Polizei eine besondere Interpretationshoheit zubilligen, was es auch aussichtslos erscheinen lässt, auf eine stärkere Einhegung der Polizei durch das Recht zu hoffen (Pichl, im vorliegenden Band). Die Polizei drängt im Gegenteil beständig darauf, ihren Ermessensspielraum zu erweitern. Dies kann rechtlich etwa durch eine Ausweitung des Gefahrenbegriff erfolgen, der entweder der Polizei ganz allgemein mehr Kompetenzen einräumt (wie im aktuellen bayerischen Polizeiaufgabengesetz, das der Polizei bei »drohender Gefahr« gravierende Eingriffe in die Grundrechte erlaubt, wie etwa Telefonüberwachungen und die Installation von Spähprogrammen auf dem Computer) oder durch räumlich definierte »Gefahrengebiete« oder »gefährliche Orte«, in denen die Polizei ganz eigenständig etwa verdachtsunabhängige Personenkontrollen durchführen darf (Belina, im vorliegenden Band).

Der französische Anthropologe und Soziologie Didier Fassin hat zwischen 2005 und 2007 für fünfzehn Monate die Polizei bei der Arbeit in einem der Pariser Vororte begleitet. Fassin hat seine Beobachtungen in seiner großen ethnografischen Studie La Force de l’Ordre festgehalten (Fassin 2013). Er verwendet die Metapher des »grauen Schecks«, um den polizeilichen Ermessensspielraum zu beschreiben: Einerseits handeln die Polizisten auf der Streife beständig an der Grenze und oft jenseits der Legalität, andererseits ist genau diese rechtliche Unbestimmtheit notwendig, damit die Polizei die an sie gestellten Erwartungen erfüllen kann (Fassin, im vorliegenden Band). Es bleibt jedoch erklärungsbedürftig, so Fassin weiter, warum die Polizei ihren Ermessensspielraum regelmäßig auf eine bestimmte Weise und nicht anders auslegt. So beschreibt er, wie die Polizeistreife einerseits migrantische Jugendliche systematisch nach kleinen Mengen Haschisch durchsucht, während weiße Studenten auf einer Party offen Gras rauchen können (und dabei von der Polizei nicht nur nicht behelligt, sondern sogar geschützt werden). Würde es nur um die Erfüllung quantitativer Verhaftungsquoten gehen, so könnte die Polizei genauso gut vor Gymnasien (oder in Investmentbanken) nach Drogen suchen. Polizeiarbeit existiert jedoch nicht im luftleeren Raum, die Vorstellungs- und Gefühlswelt der einzelnen Beamten spiegelt vorherrschende gesellschaftliche Stimmungen und Einstellungen wider und ist von breiteren sozialen und kulturellen Prozessen beeinflusst. Zirkulieren in der Gesamtgesellschaft etwa zunehmend Feindbilder, die den islamischen Terror als die größte Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellen oder die in der Migration eine Bedrohung der allgemeinen Sicherheit imaginieren, so begünstigt das ein Selbstverständnis von Polizisten als Kriegern, die mit martialischen Mitteln gegen einen äußeren (häufig rassifizierten) Feind vorgehen müssen (Behr, im vorliegenden Band). Intern trägt diese Phantasie einer Gefahrengemeinschaft zur Kultivierung dessen bei, was der Polizeiwissenschaftler Rafael Behr die inoffizielle »Cop Culture« genannt hat, zumal die unbedingte Loyalität zur persönlichen Nahgruppe ohnehin zur konstitutiven Bedingung der Polizeiarbeit gehört (Behr 2008).

Fassins Beispiel verweist noch auf einen anderen Aspekt, der in Bezug auf das Verhältnis von Demokratie und Polizei relevant ist. Zu den zentralen Grundsätzen einer demokratischen Gesellschaft gehört die Gleichheit der Staatsbürger*innen: Alle sollen gleichermaßen an der kollektiven Willensbildung und Entscheidungsfindung beteiligt sein. Dieses Prinzip wird nicht erst in Situationen bedroht, in denen sich die Polizei gegen die rechtlichen Normen wendet und sich verselbstständigt, sondern schon in der differentiellen Funktionslogik der Polizei im Alltag. Wie Fassin gezeigt hat, wäre es zwar nicht falsch, aber verkürzt, pauschal von einer Zunahme an Repressionen zu sprechen: Verstärkte Repressionen betreffen nur bestimmte Gruppen verstärkt. Der Ausnahmezustand, der in der Polizei angelegt ist, ist insofern nicht (nur) zeitlich zu verstehen (als temporäre Abweichung vom Normalzustand), sondern (auch) räumlich; er ist sozial situiert und besitzt eine spezifische Geografie (Jobard 2013). Die migrantischen Bewohner*innen der Pariser Banlieues etwa (und die unerwünschten Subjekte in unzähligen anderen Stadtvierteln) leben sozusagen permanent in diesem »Ausnahmezustand«. Obwohl sie formal gesehen alle Rechte der demokratischen Teilhabe weiterhin besitzen, untergräbt der alltägliche Polizeikontakt nachhaltig ihr Standing im demokratischen Prozess. Viele Eltern von Kindern of color bereiten diese notgedrungen auf mögliche Interaktionen mit der Polizei vor und raten ihnen, besonders vorsichtig und fügsam zu sein, und zwar selbst wenn sie Zeug*innen oder Opfer ungerechtfertigter Schikanen werden. Die Folgen einer solchen Sozialisation für eine Kultur der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind offensichtlich verheerend (Fassin 2013: 10).

Kritik der Polizei II: Subjektivität

Die Polizei repräsentiert nicht nur einen äußeren Zwang (manifestiert im Schlagstock oder der Dienstwaffe), sondern auch ein Subjektivierungsregime: Sie prägt tiefgreifend, wie sich Menschen in der Welt bewegen, ihren Habitus, ihre Erwartungshaltungen, ihre Psyche und ihre Physis. Louis Althusser hat den Prozess der Subjektwerdung anhand einer polizeilichen Interaktion beschrieben: Ein Mensch läuft auf der Straße und wird von einem Polizisten mit den Worten »He, Sie da!« angerufen. Indem sich der Mensch in dieser Anrufung erkennt und sich umwendet, das heißt die Autorität der Macht anerkennt, wird er zu einem Subjekt und kann an der Gesellschaftsordnung teilnehmen (Althusser 1977: 142). Althusser benutzt den Polizisten hier als Metapher für die Sozialisationsagenturen der bürgerlichen Gesellschaft insgesamt, worunter er auch die Familie oder die Schule zählt. Die Polizei trägt aber zur Subjektformation auch in einem ganz buchstäblichen Sinne bei, und zwar abhängig davon, wie man von der Polizei adressiert wird, ob als Teil der zu schützenden Mehrheitsgesellschaft oder als Fremdkörper, Gefahrenquelle oder gar Feind. Insofern lässt sich hier von einer polizeilichen Produktion von Subjektivität sprechen (Jobard 2001).

Die französische Kampagne Stop le contrôl au faciès (Schluss mit den Gesichtskontrollen) hat 2016 eine Fotoserie gestartet, in der jeweils ein weißer Mensch und eine Person of color gemeinsam abgebildet sind.2 Beide halten ein Schild, auf der die Anzahl der Polizeikontrollen genannt ist, denen sie sich unterziehen mussten. Ein Schild zeigt beispielsweise die 18-jährigen Bramo, Haxi und Selimo, die in diesem Jahr bereits 70-mal kontrolliert worden waren, und den 56-jährigen Gilles, der in seinem ganzen Leben noch nie kontrolliert wurde. Diese Kampagne macht klar, dass die polizeiliche Subjektivierung differenziell funktioniert: Die Polizei produziert unterschiedliche Formen von Subjekten (Thompson, im vorliegenden Band). Eines der wichtigsten Instrumente dieser differenziellen Subjektivierung ist dabei das Racial Profiling. Es bezeichnet ein diskriminierendes Verhalten von Sicherheitsbehörden, bei dem Menschen aufgrund von äußeren Merkmalen rassifiziert und als verdächtig eingeschätzt werden. Diese Praxis verstößt gegen verfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsätze (in Deutschland etwa gegen Artikel 3 des Grundgesetzes, der festlegt, dass niemand »wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat, seiner Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden« darf), gehört aber dennoch zum festen Bestandteil des polizeilichen Agierens. Die Berliner Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP Berlin), die sich unter anderem um die Dokumentation rassistischer Übergriffe durch die Polizei bemüht,3 spricht treffend von einem »alltäglichen Ausnahmezustand« (Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt 2016).

Die grundsätzliche Aufgabe der Gefahrenabwehr, verstärkt etwa durch die gesetzliche Befugnis zu verdachtsunabhängigen Personenkontrollen sowie Sonderbefugnissen aus dem Terrorabwehr- oder Aufenthaltsrecht, stellt die Interpretation dieses Auftrags der Polizei selbst anheim. In einer von rassistischen Diskursen geprägten Gesellschaft ist das polizeiliche »Erfahrungswissen«, das das Racial Profiling rechtfertigen soll, selbst von Vorurteilen imprägniert, die in einer Kultur der kollegialen Loyalität auch immer weiter tradiert werden (Mohrfeldt 2016). Aus diesem Grund kann es trotz der gesetzlichen Grundlagen, die formal gesehen für alle gleich sind, zu institutioneller Diskriminierung kommen, die man als institutionellen Rassismus bezeichnen kann (Ban! Racial Profiling, im vorliegenden Band). Diese Diskriminierungserfahrung hat für die Betroffenen beträchtliche psychosoziale Folgen, zumal ihnen der Rechtsweg als Beschwerdemöglichkeit faktisch meist nicht offen steht; sie reichen von einer Meidung der betreffenden Orte bis hin zu gravierenden posttraumatischen Belastungsstörungen (Louw u. a. 2016; für den amerikanischen Kontext Henning 2016). Die Gesellschaft weist ihnen trotz ihrer strafrechtlichen Unschuld immer schon eine Schuld zu und macht diese zum zentralen Merkmal ihrer Existenz, eine gewaltförmige Stigmatisierung, die auch das gesamte Umfeld einer Person erfassen kann (Thompson und Ban! Racial Profiling, im vorliegenden Band).

Die Strukturkategorie race ist allerdings nicht die einzige Achse, anhand derer sich die Adressierung durch die Polizei ausdifferenziert. Auch zum Beispiel das Geschlecht spielt für die Interaktionen mit der Polizei eine zentrale Rolle (wobei beide Kategorien – und andere Identitätskategorien wie die Klasse oder sexuelle Orientierung – miteinander verknüpft sind). Die US-amerikanische Kampagne Say Her Name bemüht sich darum, die öffentliche Aufmerksamkeit für Polizeigewalt insbesondere gegen Frauen of color zu erhöhen. Selbst wenn über Polizeigewalt gesprochen wird, dominieren häufig die Schicksale von Männern die Debatte: Obwohl auch schwarze Frauen weit überdurchschnittlich häufig durch Polizeihandlungen ums Leben kommen, spielen ihre Geschichten zumeist keine Rolle. Dies führt aber zu einer Vernachlässigung spezifisch (hetero-)sexistischer Diskriminierungserfahrungen, wie etwa Gewalt gegen Mütter und caretaker, sexualisierte Gewalt oder homophobe und transphobe Gewalt (African American Policy Forum 2015). Eine Gruppe, die besonders oft von polizeilichen Repressionen betroffen ist, sind Sexarbeiterinnen, die häufig mit physischer und verbaler Gewalt, der Entwertung ihrer Zeugenschaft vor Gericht und gegebenenfalls dem Verlust ihrer Aufenthaltsberechtigung, Sorgeberechtigung für Kinder oder dem Zugang zu Sozialprogrammen rechnen müssen (Ritchie 2017, hier insbesondere Kapitel 7). Obwohl die Ausübung der Prostitution in Deutschland zulässig ist, finden auch hier in Bordellen regelmäßig Razzien statt (häufig zur Kontrolle der Aufenthaltsgenehmigung), die von den Sexarbeiterinnen selbst als reine Schikane erlebt werden (Doña Carmen 2018).

Es wäre allerdings falsch zu glauben, die polizeiliche Anrufung würde nur die negativ von Polizeigewalt Betroffenen affizieren. Die Polizei prägt auch diejenigen, die von ihr in der Regel nichts zu befürchten haben – insofern sind sie ebenfalls »Betroffene«. Kontrollen und Durchsuchungen etwa haben eine expressive Funktion: Sie demonstrieren nicht nur, dass etwas gegen Kriminalität getan wird, sondern suggerieren, dass bestimmte Orte oder bestimmte Subjekte überhaupt gefährlich sind. Durch das diskriminierende Vorgehen signalisiert die Polizei der Mehrheitsgesellschaft, dass sie auf ihrer Seite steht – und dass es diese Seiten überhaupt gibt. Diese Signalwirkung wird durch die medialen Diskurse, die nicht selten moralische Paniken erst erzeugen, angeheizt und verstärkt (Hall u. a. 1978). Auch Prägungen wie diese sind tiefgreifend, sie beeinflussen das Selbst- und Weltverhältnis auf grundlegende Weise. Die Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft wissen nicht nur, dass sie sich in Polizeipräsenz ungehindert bewegen können, sondern auch, dass sie Zugang zu den polizeilichen Zwangsmitteln haben, um ihre Ordnung zu schützen. Dies erlaubt es ihnen, die Deutungen der Polizei zu akzeptieren und fabriziert eine emotionale Investition in die Polizei. Sie identifizieren sich mit der Polizei, was zum Beispiel dazu führt, dass sie in ihrem Alltag selbst eine polizeiliche Perspektive einnehmen und »verdächtige« Störungen oder Anomalitäten registrieren und melden (Guenther 2018). Man kann diese Perspektive eine ideologische nennen; in ihr täuschen sich die Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft nicht nur über das Ausmaß und die Ursachen von Kriminalität und Unrecht, sie verlernen auch systematisch die Möglichkeit zur Empathie und Verantwortungsübernahme mit weniger privilegierten Menschen.

Kritik der Polizei III: Sicherheit

Den zentralen Topos einer polizeilichen Weltwahrnehmung stellt die Sicherheit dar. Die Idee des Staates als Sicherheitsgarant ist ideengeschichtlich einer demokratischen Staatsbegründung vorangegangen; so soll etwa für Thomas Hobbes die Monopolisierung der Gewalt vor allem dazu dienen, den »Krieg aller gegen alle« zu beenden und das soziale Leben zu befrieden (Hobbes 1994[1642]: 69). Diese Vorstellung hat bis heute nicht nur juristisch in Form des polizei- und ordnungsrechtlichen Gefahrenbegriffs überlebt, sondern auch in den alltäglichen Polizeirechtfertigungen: Die meisten Menschen würden wohl sagen, dass die Polizei vor allem dafür da ist, die allgemeine Sicherheit aufrechtzuerhalten, etwa indem sie Gewalttaten verhindert oder zumindest im Nachhinein ahndet. Dabei wird der Begriff der Sicherheit in der Regel vorausgesetzt. Eine kritische Perspektive auf die Polizei kann hier ansetzen und nachfragen: Um wessen und welche Form von Sicherheit geht es, und wie soll sie realisiert werden?

Die Frage »Wessen Sicherheit?« verweist darauf, dass sich die differentielle Funktionsweise der Polizei auch in Bezug auf ihre Schutzfunktion auswirkt: Einige können hoffen, von der Polizei beschützt zu werden, während andere die Polizei nicht nur nicht als Schutz, sondern sogar als Bedrohung wahrnehmen (Brazzell 2018). Der Schriftsteller James Baldwin veröffentlichte 1966 in der Zeitschrift The Nation einen »Bericht aus dem besetzten Gebiet«, in dem er die willkürliche Polizeibrutalität schildert, der Schwarze in den amerikanischen Städten ausgesetzt sind. Der Begriff der Besetzung bezeichnet präzise das Verhältnis der schwarzen Bevölkerung zur Polizei: Sie wird gerade nicht als Agent der eigenen Sicherheit erlebt, sondern als schiere Repression. »Polizisten«, schreibt er, »sind einfach die bezahlten Feinde dieser Bevölkerung. Sie sind da, um die Schwarzen in ihre Schranken zu weisen und um weiße Geschäftsinteressen zu schützen, eine andere Funktion haben sie nicht.« (Baldwin 1966). Die Black-Lives-Matter-Bewegung hat darauf hingewiesen, dass sich an dieser räumlichen Segregation seit den 1960er Jahren nicht viel geändert hat. Armut durch ökonomische Benachteiligung, Gentrifizierung, eine verfehlte Drogenpolitik und die mediale Stigmatisierung von Menschen of color als Gewalttäter*innen wirken zusammen und haben Stadtteile entstehen lassen, in denen die Polizei eher wie eine Besatzungsmacht denn als Partner der lokalen Bevölkerung agiert (Taylor 2107, Kapitel 4). Wenn auch aufgrund anderer historischer Ursachen und mit lokal spezifischen Dynamiken, gibt es auch in Europa proletarisch und migrantisch geprägte Stadtviertel, in denen die Polizei vor allem als Bedrohung des sozialen Lebens wahrgenommen wird; dies gilt nicht nur für die Pariser Banlieues oder die Londoner Vorstädte, sondern auch für Viertel in Berlin, Hamburg oder Duisburg (vgl. exemplarisch für Neukölln Samour 2018). Die Angehörigen marginalisierter Communities müssen also zum einen davon ausgehen, dass die Polizei an ihrer Stigmatisierung, Kriminalisierung und Schikanierung mitwirkt, zum anderen können sie von ihr im Zweifelsfall auch selbst kein Schutz erwarten: Bei den tagelangen rassistischen Pogromen in Rostock-Lichtenhagen 1992 schritten die anwesenden Polizeibeamten ebenso wenig ein wie bei der Hetzjagd auf Migrant*innen durch Neonazis in Chemnitz im Sommer 2018.

Aber auch aus Perspektive der Mehrheitsgesellschaft ist der polizeiliche Sicherheitsbegriff nicht unproblematisch. Es wurde unzählige Male bemerkt, dass im öffentlichen Diskurs nur bestimmte Probleme als Sicherheitsfragen lesbar werden, während andere normalisiert werden und einen Status ähnlich dem von Naturkatastrophen erhalten: Obwohl es in Deutschland weitaus mehr Opfer von Verkehrsunfällen als von Terrorattacken gibt, dominiert der Terror- und nicht der Verkehrssicherheitsdiskurs die Medien und die öffentliche Debatte. Sicherheit wird vorwiegend als polizei- und strafrechtlicher, nicht als sozialer Begriff verstanden (Brazzell, im vorliegenden Band). Diese konzeptuelle Vorentscheidung hat zum einen problematische Implikationen: So basiert der hegemoniale Sicherheitsbegriff auf einer Idee von »Schutz«, die eine asymmetrische Beziehung zwischen Beschützenden und Beschützten voraussetzt – eine Einteilung, die maskulinistisch konnotiert ist (Young 2003). Zum anderen herrscht zwischen einem polizeilichen und einem sozialen Verständnis von Sicherheit ein Verhältnis der Konkurrenz: Der technische und personelle Ausbau der Polizei und der Gefängnisse geht auf Kosten sozialer Absicherung. In seiner groß angelegten Studie Bestrafen der Armen zeigt der französische Soziologie Loïc Wacquant, dass seit Beginn der ideologischen Dominanz des Neoliberalismus in den 1970er Jahren die Intensivierung der Strafverfolgung mit einem Abbau wohlfahrtsstaatlicher Absicherung einhergeht (Wacquant 2003). Der Staat verteilt seine Ressourcen von den sozialen zu den polizeilichen Sicherungsfunktionen um. Mit anderen Worten: Die Stärkung der Polizei führt zu einer Abnahme von (sozialer) Sicherheit – was wiederum die reale Vermehrung von Phänomenen begünstigt, die dann als erhöhte »Kriminalität« lesbar werden.

Selbst wenn man den Begriff der Sicherheit auf eine Abwehr von Kriminalität beschränkt und auch das Konkurrenzverhältnis zur sozialen Sicherheit außer Acht lässt, lässt sich zudem in Zweifel ziehen, ob die Polizei hierfür das beste Mittel ist. Hierauf zielt die Frage nach dem Wie der polizeilichen Sicherheitsproduktion. Repressive Mittel scheitern häufig als Methoden der sozialen Integration und der Vermeidung von Devianz, weil sie selbst auf gewaltförmigen Interaktionsmustern basieren und die Entwicklung alternativer Konfliktschlichtungstechniken blockieren. So rekrutiert sich die Polizei auf der einen Seite aus einem gewaltaffinen Milieu, das innerhalb der Organisation auch weiter kultiviert wird und auf diese nicht begrenzbar ist. Studien über die US-amerikanische Polizei belegen zum Beispiel, dass Polizisten zwei- bis viermal häufiger zu häuslicher Gewalt neigen als der Durchschnitt der Bevölkerung (Friedersdorf 2014). Auf der anderen Seite haben Zwangslösungen auch bei der polizeilichen Klientel den Effekt einer weiteren Entfremdung von den herrschenden Normen. Diesen Doppeleffekt einerseits auf die Angehörigen von Verbünden mit Gewaltlizenz, andererseits auf deren Gegenüber kann man sich anhand einer Parallele zum Militär klarmachen: Einerseits führt die Einübung von Gewalt zu einer Verrohung der Verhaltensweisen und Charakterdispositionen der Mitglieder der Organisation, andererseits wirken diese auch auf andere wie eine permanente Drohung (Loick 2016). Integrative und partizipative Modelle versprechen demgegenüber eine größere Akzeptanz der geltenden Regeln durch die Bürger*innen und auch eine effektivere Kriminalprävention.

Neuere Entwicklungen: Die Polizei im Neoliberalismus

Unter dem Stichwort »Polizei im Neoliberalismus« lässt sich eine Reihe von Entwicklungen rubrizieren, die die Polizei in den letzten 30 bis 40 Jahren kennzeichneten. Hierzu zählt erstens eine zunehmende Privatisierung der gesellschaftlichen Sicherheitsfunktionen; das Polizieren in Innenstädten oder anderen öffentlichen Plätzen wird immer mehr von privaten Sicherheitsdiensten statt von der Polizei übernommen (Briken/Eick 2017). Zweitens ist die Polizei mittlerweile auch selbst betriebswirtschaftlichen Organisationsprinzipien unterworfen und handelt wie ein privates Unternehmen; hierzu zählen etwa die Orientierung an Leistungsvorgaben und Performancemarkern (Briken 2014). Drittens hat sich die Binnenstruktur der Polizei wesentlich verändert, so ist zum Beispiel bei der deutschen Polizei der prozentuale Anteil von Frauen und der von Menschen mit Migrationshintergrund bei Neueinstellungen in den letzten Jahren signifikant angestiegen (Hunold u. a. 2010; Pfeil 2006). Viertens hat sich das Aufgabenspektrum der Polizei verändert und ausdifferenziert; so nimmt sie inzwischen auch sozialarbeiterische und therapeutische Aufgaben wahr und muss daher mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen kooperieren, wie etwa Frauenhäusern oder der Drogenhilfe (Kern 2014). Fünftens geht dies mit dem Versuch einher, etwa in Form von »Runden Tischen« oder »Präventionsräten« lokale Akteure in die Polizeiarbeit einzubinden; ein Modell, das unter dem Stichwort community policing bekannt geworden ist (Pütter 2006). Sechstens ermöglichen neue Technologien, die eine Überwachung des öffentlichen Raums ebenso erlauben wie ein Ausspionieren von Computern und Telefonen, sowie der Einsatz smarter architektonischer und stadtplanerischer Methoden die Entstehung subtiler und oft unbemerkbarer Lenkungs- und Stratifikationsstrategien (Belina 2006).

All diese Entwicklungen sind heterogen und lassen sich schwer auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Sie widersprechen sich zum Teil und koexistieren zudem mit einer auch weiterhin vorherrschenden Kriegermännlichkeit, Militarisierung und Autoritarisierung. Die konkrete Gestalt und das Auftreten der Polizei sind nicht nur lokal spezifisch, sondern auch funktional ausdifferenziert. Die genannten Tendenzen lassen sich daher nicht auf eine einzige gesellschaftliche Ursache zurückführen. Zum Teil sind sie Resultat veränderter ökonomischer Verhältnisse und politischer Kräfteverhältnisse. So lässt sich das neoliberale Sicherheitsregime in Abgrenzung zur fordistischen Sicherheitsproduktion der 1950er und 60er Jahre als eine Umstellung von einem repressiven auf ein präventives Paradigma beschreiben, das die Bürger*innen als Kund*innen von Sicherheitsdienstleistungen adressiert, dabei aber zugleich auf der Exklusion des prekarisierten »Rests« beruht (Kern, im vorliegenden Band). Im Öffentlichen Dienst schlägt sich die neoliberale Regierungsweise in Form eines betriebswirtschaftlichen Managements nieder, das auf einer Verschärfung quantitativer Leistungsvorgaben, der Einführung von unternehmensähnlichen Leitungs- und controlling-Mechanismen und neuen Legitimationsstrategien durch Statistik beruhen (Briken, im vorliegenden Band). Zum Teil sind die genannten Entwicklungen jedoch auch Ergebnis sozialer Kämpfe und politischer Erfolge. Durch die groß angelegte Polizeireformen, awareness-Trainings und Sensibilisierungsmaßnahmen, den Einsatz von communicator-Einheiten und deeskalativen Vorgehensweisen oder eine diversity-orientierte Einstellungspolitik hat die Polizei versucht, auf veränderte gesellschaftliche Bedingungen zu antworten. Nicht zuletzt der große Druck aus dem Bürger- und Menschenrechtsspektrum hat sie dazu gedrängt, als deren parlamentarischer Arm sich in Westdeutschland insbesondere die Partei der Grünen verstand. Wenigstens punktuell hat dieser Druck auch reale Verbesserungen bewirkt, indem das polizeiliche Handeln zivilisiert und einer zumindest basalen demokratischen Kontrolle unterworfen wurde. So lässt sich beispielsweise feststellen, dass etwa die Berliner Polizei in der Debatte um angebliche Kriminalität durch Flüchtlinge mittlerweile die ungewohnte Rolle eines entdramatisierenden Akteurs spielt – wenn auch weiterhin innerhalb eines rassistisch imprägnierten Kontrolldiskurses (Künkel, im vorliegenden Band).

Für eine Kritik der Polizei ist die Heterogenität und Ambivalenz der beschriebenen Entwicklungen aus zwei Gründen bedeutsam. Zum einen machen sie klar, dass die Beschreibung der Polizei als ausführendem Organ der gesellschaftlichen »Machtelite« – so etwa der Arbeitskreis Junger Kriminologen noch 1975 – der ausdifferenzierten Gestalt und Rolle der zeitgenössischen Polizei analytisch nicht mehr Rechnung trägt. Zum anderen hat sich historisch gezeigt, dass auch die Umsetzung ursprünglich kritischer Forderungen paradoxe Effekte haben kann. Gerade im Kontext des neoliberalen Umbaus der Gesamtgesellschaft werden häufig progressive Reformvorschläge integriert, die sich auf ironische Weise umkehren. So wurde die ursprünglich fortschrittliche Idee von größerer Bürgernähe durch die Polizei aufgegriffen und in ein Marketinginstrument verwandelt, ohne wirklich mit einer Verbesserung der Partizipationsmöglichkeiten der lokalen Gemeinschaften einherzugehen (Lyons 2007). Auch dass sich die Polizei mittlerweile für häusliche und sexualisierte Gewalt zuständig fühlt, lässt sich einerseits als feministische Errungenschaft beschreiben, kann aber andererseits dazu beitragen, die Kontrolle marginalisierter Stadtviertel durch die Polizei zu intensivieren und so gerade besonders prekäre Frauen einer noch stärkeren Bedrohung auszusetzen (Law 2014). Bei der Entwicklung von Reformperspektiven gilt es also stets, in Bezug auf eine mögliche Kooptierung durch bestehende Herrschaftsverhältnisse eine besondere Wachsamkeit walten zu lassen.

Alternativen zur Polizei

Ein Blick auf die Geschichte der Polizei bringt sowohl historische und nationale Unterschiede als auch Kontinuitäten und Gemeinsamkeiten ans Licht. Je nach gesellschaftlichem Kontext, kann die Polizei unterschiedliche Funktionen erfüllen, die sich entweder als biopolitisch oder als thanatopolitisch beschreiben lassen: Sie kann entweder eingesetzt werden, um die Größe und die Produktivität der Bevölkerung zu erhöhen, um auf diese Weise die Kräfte des Staates zu vermehren, oder sie kann die Versklavung, Tötung oder sogar systematische Vernichtung von Bevölkerungsteilen organisieren. Zwischen diesen beiden historischen Fällen herrscht ein Verhältnis der Latenz: Die Polizei neigt als Institution dazu, die sie legitimierenden rechtlichen Schranken abzuwerfen und zur gesellschaftlichen Dominante zu werden. Der Ausnahmezustand ist im Normalzustand bereits angelegt. Zu den geschichtlichen Kontinuitäten und Gemeinsamkeiten der Polizei gehört ihre differenzielle Funktionsweise: Sie adressiert sich an einige Teile der Bevölkerung anders als an andere. Während sie die Ordnung der einen schützt, behandelt sie die anderen als deren Bedrohung. Wenn es ein transhistorisches und transnationales »Wesen« der Polizei gibt, dann ist es dies: Überall und zu jeder Zeit meiden die Armen den Schutzmann. Der Normalzustand der einen ist der alltägliche Ausnahmezustand der anderen.

Informiert von diesen historischen Lektionen, lässt sich eine Kritik der Polizei in drei Dimensionen formulieren:

Die Polizei ist ein strukturelles Risiko für die Demokratie. Dies ist zum einen deshalb der Fall, weil selbst liberale Rechtsstaaten regelmäßig daran scheitern, die Polizei auf ihre Rolle als exekutive Rechtsdurchsetzung zu beschränken und sie dazu tendiert, eigenständige Zwecke zu verfolgen. Zum anderen untergräbt sie systematisch den Status einiger Staatsbürger*innen als gleiche Teilnehmer*innen des demokratischen Diskurses.

Die Polizei ist ein differentielles Subjektivierungsregime. Polizeiliche Anrufung prägt grundlegend die Subjektivität der Menschen, aber auf unterschiedliche Weise. Einen Teil der Bevölkerung adressiert sie stets als potenzielle Kriminelle, was gravierendes psychosoziales Leid mit sich bringen kann. Einem anderen Teil bietet sie sich als Verteidigung einer imaginären Ordnungsvorstellung an, was diesem eine affektiv verankerte Identifikation mit der polizeilichen Perspektive erlaubt. Diese Differenzierung untergräbt die Möglichkeit gegenseitiger Empathie und Verantwortungsübernahme.

Die Polizei ist ein Unsicherheitsfaktor. Dies ist erstens für gesellschaftlich marginalisierte Subjekte der Fall, die Polizeipräsenz häufig als Bedrohung erleben; zweitens, weil die Dominanz einer polizeilichen Sicherheitsvorstellung zum Abbau sozialer Absicherung führt; und drittens, weil Gewaltmittel wenig geeignet sind, kriminelle Devianz einzudämmen und zudem die Entwicklung alternativer Konfliktschlichtungsmedien behindern.

All das wirft die Frage auf: Gibt es tragfähige Alternativen zur Polizei oder wenigstens Möglichkeiten, ihre negativen Effekte einzudämmen? Wie bei allen politischen Fragen, so lässt sich auch auf die Polizei sowohl eine reformistische als auch eine abolitionistische Perspektive entwickeln. Seitens des linksliberalen und grünalternativen Parteienspektrums sowie Bürgerrechts- und Menschenrechtsgruppen sind eine Reihe von Reformen vorgeschlagen worden, um die Polizei einer stärkeren rechtsstaatlichen und demokratischen Kontrolle zu unterwerfen. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat hierfür etwa eine Reihe konkreter Empfehlungen ausgesprochen.4 Dazu gehört zuerst die flächendeckende Einführung einer Kennzeichnungspflicht für Polizist*innen, die in Deutschland noch immer nicht in allen Bundesländern herrscht, um gewalttätige Beamte identifizieren und zur Rechenschaft ziehen zu können. Es bedarf einer unabhängigen Meldestelle und Ermittlungsinstanz, sodass die Polizei bei Anzeigen von Fehlverhalten nicht länger gegen sich selbst ermitteln muss. Auch die Videoaufzeichnung von Bereichen in Polizeiwachen, in denen sich Inhaftierte aufhalten, könnten unter geeigneten Bedingungen ein Weg sein, Misshandlungen in Gewahrsam zu vermindern.

In Bezug auf einige andere Reformideen sind seitens der Kritiker*innen der Polizei allerdings auch grundlegende Vorbehalte formuliert worden. Die Erfahrungen mit der Entwicklung der Polizei im Neoliberalismus zeigen, dass einige progressive Forderungen sich als ineffektiv erweisen oder sogar eine gegenteilige als die gewünschte Wirkung entfalten können. In seinem Buch The End of Policing demontiert der amerikanische Soziologe Alex Vitale detailliert einige der gängigen Vorschläge, die zur Veränderung der Polizei zirkulieren (Vitale 2017, Kapitel 1). So zeigt etwa die Praxis, dass ein höherer Anteil von Menschen of color bei der Polizei nicht zu einem Abbau rassistischer Vorurteile führt. Schwarze Polizist*innen übernehmen häufig die Vorurteile ihrer mehrheitlich weißen Kolleg*innen und wenden ebenso häufig Praktiken des Racial Profiling an. Das community policing setzt auf die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Repräsentant*innen der lokalen Gemeinden, bezieht dabei aber gerade die am meisten von Repression Betroffenen nicht mit ein. Juristische Kontrollmechanismen laufen häufig ins Leere, nicht nur weil die ermittelnden Instanzen wie die Staatsanwaltschaften selbst auf die Zusammenarbeit mit der Polizei angewiesen sind, sondern auch weil Polizist*innen meistens die Möglichkeit haben, sich bei Fehlverhalten gegenseitig zu decken. Technische Lösungen wie die Ausrüstung der Polizei mit Bodycams haben sich als ebenso ineffektiv erwiesen, insbesondere wenn die Polizist*innen die Möglichkeit haben, die Kameras ein- und auszuschalten. Die allermeisten der dramatischen Todesfälle der letzten Jahre sind zweifelsfrei auf Video dokumentiert, meist jedoch ohne nennenswerte Konsequenzen für die entsprechenden Beamten. Aus dieser ernüchternden Bilanz lässt sich der Schluss ziehen, insbesondere alle Reformen abzulehnen, die der Polizei mehr finanzielle Mittel zuweisen. Es muss im Gegenteil darum gehen, die Macht und den Einfluss der Polizei zurückzudrängen und materielle Ressourcen auf andere gesellschaftliche Akteure umzuverteilen. Dies beinhaltet zum einen die rechtliche Entkriminalisierung vieler Straftatbestände (Drogendelikte und sogenannter Quality-of-life-Delikte wie das Alkoholtrinken in der Öffentlichkeit) und die Entmilitarisierung und Entwaffnung der Polizeikräfte, zum anderen die Stärkung der politischen, sozialen und kulturellen Teilhabemöglichkeiten marginalisierter Communities.

Abolitionistische Polizeikritiken treten für die grundsätzliche Abschaffung oder Überwindung der Polizei ein. Der Begriff des Abolitionismus stellt sich in die Tradition des Kampfs um die Abschaffung der Sklaverei im 19. Jahrhundert und wird heute vor allem von US-amerikanischen Gruppen verwendet, die sich für die Abschaffung von Gefängnissen einsetzen, er lässt sich aber auch auf die Polizei übertragen.5 Abolitionist*innen betonen, dass es ihnen nicht einfach darum geht, dass eine Institution wegfällt, die jetzt existiert. Die Abschaffung der Polizei soll vielmehr mit einer Neuerfindung und Stärkung von neuen Institutionen einhergehen: medizinische Versorgung, materielle Absicherung, Bildung, soziales Wohnen und vor allem die formale und ökonomische Macht zur kollektiven Gestaltung der eigenen Lebensumstände (Davis 2003, Kapitel 6). Der Kritik der Polizei situiert sich also als Teil eines breiteren sozialtransformativen Kampfes. Der abolitionistische Ansatz verknüpft dabei die drei Dimensionen der Demokratie, der Subjektivität und der Sicherheit miteinander: Abolitionist*innen gehen davon aus, dass radikale demokratische Selbstbestimmung nicht nur empathische und verantwortungsbewusste Subjektivitäten erzeugt, sondern auch eine auf Kommunikation und Aushandlung basierende soziale Integration ermöglicht, die nicht länger auf Zwangsmittel zurückgreifen muss (Loick 2012: 300–310; Loick 2017: 323–329).

Polizeiabolitionistische Gruppen adressieren ihre Forderungen meist nicht an den Staat, sondern versuchen bereits innerhalb der bestehenden Gesellschaft die Keimzellen alternativer Gemeinschaftsformen aufzubauen. Individuell kann das zum Beispiel mit dem Vorsatz einhergehen, bei Problemen nicht selbst die Polizei zu rufen (Rose 2016), kollektiv geht es darum, alternative Möglichkeiten zur Konfliktschlichtung und einen besseren Umgang mit schädigendem Verhalten zu entwickeln. Geschichtlich gibt es zahlreiche Beispiele für Bewegungen, denen es gelungen ist, allgemeine Sicherheit vollkommen ohne Polizei herzustellen und aufrechtzuerhalten; sie reichen von temporären Streiksituationen über die (durchaus bewaffneten) Community-defense-Taktiken der Black Panther bis hin zu Modellen der Volksjustiz in Südafrika und Irland (Williams, im vorliegenden Band). Besonders avancierte Konzepte stammen dabei von feministischen Initiativen, insbesondere von Gruppen von Feministinnen of color. Dabei spielt es auch eine Rolle, dass Frauen als besonders häufig von Gewalt Betroffene nicht bis »nach der Revolution« warten wollten, um sich in ihrem Alltag sicher fühlen zu können. »Wir rufen emanzipatorische soziale Bewegungen dazu auf, Strategien und Analysen zu entwickeln, die sowohl staatliche als auch interpersonelle Gewalt adressieren, insbesondere Gewalt gegen Frauen.« – so beginnt das 2001 verabschiedete gemeinsame Statement der gefängniskritischen Gruppe Critical Resistance und der feministischen Gruppe INCITE! Women of Color Against Violence*, das als ein Meilenstein in der Entwicklung solcher Modelle gelten muss (im vorliegenden Band). Der erste Satz benennt bereits die doppelte Frontstellung der hier formulierten Gewaltkritik: Den beiden Initiativen geht es darum, sowohl die (meistens durch Männer ausgeübte) Gewalt in den als auch die (meistens durch Polizei und Gefängnisse ausgeübte) Gewalt gegen die eigenen Communities zu überwinden. Grundlegend sind dabei die Konzepte Transformative Justice und Community Accountability, die darauf basieren, kollektive Unterstützung für die gewaltbetroffene Person zu organisieren, dabei allerdings auch nach Wegen zu suchen, die gewaltausübende Person zur Verantwortungsübernahme zu bewegen, ohne auf den staatlichen Gewaltapparat zurückgreifen zu müssen (Brazzell, im vorliegenden Band).

Trotz allem: Die Vorstellung, die Polizei abzuschaffen, hat etwas Beängstigendes. Diese Angst ist nicht von vornherein unberechtigt. Es gab geschichtliche Situationen, die noch schlimmer waren als das staatliche Gewaltmonopol, und es gibt biographische Situationen, in denen man es in Anspruch nehmen würde. Polizei oder anarchische Barbarei sind aber nicht die einzigen beiden Optionen. Eine emanzipatorische Polizeikritik will alternative – tragfähige, aber nicht länger zwangsbasierte – Wege erarbeiten, gemeinsam ausgehandelte Regeln umzusetzen, interpersonelle Konflikte zu schlichten und Sicherheit für alle zu garantieren. Sie zielt also auf die Eröffnung von Perspektiven ab, die über eine polizeiliche Rechtsdurchsetzung hinausweisen – nicht hinter sie zurückfallen. Sie ist das theoretische Pendant der so ohnmächtigen wie einfachen Losung, mit der Demonstrierende häufig auf die Schlagstöcke der Polizei antworten: Keine Gewalt.

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Teil I: Geschichte der Polizei

Leben und etwas mehr als nur leben: Zur (Vor-)Geschichte der Polizei

Michel Foucault

Nun stellt sich aber die Frage: Worum genau kümmert sich die Polizei, wenn es wahr ist, dass ihr allgemeines Ziel die Steigerung der Kräfte des Staates unter solchen Bedingungen ist, dass die Ordnung dieses Staates nicht nur nicht beeinträchtigt, sondern verstärkt wird? Ich werde einen Text betrachten, den ich schon erwähnt habe, einen sehr frühen Text, weil er ganz vom Anfang des 17. Jahrhunderts stammt und eine Utopie genau dessen ist, was die Deutschen ohne weiteres einen Polizeistaat genannt hätten, ein Wort, das den Franzosen fehlte. Diese Utopie eines Polizeistaats aus dem Jahre 1611 wurde von jemandem namens Turquet de Mayerne redigiert, und in diesem Text, dessen Titel La monarchie aristodémocratique ist, definiert Turquet de Mayerne die Polizei als »alles, was« – ich habe Ihnen diesen Text schon zitiert – »dem Gemeinwesen Zierde, Form und Glanz verleihen soll«. Es ist »die Ordnung von allem, was man [im] Gemeinwesen] sehen kann.« Daher ist die Polizei in dieser Hinsicht nichts anderes als die ganze Regierungskunst. Die Regierungskunst und die Ausübung der Polizei sind für Turquet de Mayerne ein und dasselbe. Wenn man nun aber wissen will, wie man die Polizei wirklich ausübt, so sagt Turquet de Mayerne: In jeder Regierung sollte es vier große Ämter und vier große Beamte geben: den Kanzler, der sich um die Gerechtigkeit kümmert, den Kronfeldherrn, der sich um die Armee kümmert, und den Superintendanten, der sich um die Finanzen kümmert – diese Institutionen existieren schon –, hinzu kommt ein vierter großer Beamter, der der »Inspektor und großer Reformer der Polizei ist.« Was sollte dessen Rolle sein? Sie würde darin bestehen, im Volk »eine [und hier zitiere ich ihn, M.F.] einzigartige Praxis der Bescheidenheit, der Nächstenliebe, der Treue, des Fleißes und des guten Haushalts zu unterhalten. Ich werde gleich darauf zurückkommen.

Wer wird nun den Befehlen dieses großen Beamten, der auf derselben Stufe wie der Kanzler steht und keinen Oberaufseher kennt, dieses Inspektors der Polizei in den verschiedenen Regionen und Provinzen des Landes unterstehen? Von diesem allgemeinen Polizeiinspektor hängen in jeder Provinz vier Dienststellen ab, die also direkte Abkömmlinge, direkte Untergebene des Inspektors der Polizei sind. Die erste trägt den Namen Polizeidienststelle im eigentlichen Sinne. Wofür ist diese Polizeidienststelle zuständig? Erstens für die Erziehung der Kinder und der Jugend. Diese Polizeidienststelle wird darüber wachen müssen, dass die Kinder schreiben und lesen lernen, sagt Turquet de Mayerne. Es handelt sich um alles, was notwendig ist, um alle Funktionen im Königreich zu erfüllen, was also dafür notwendig ist, im Königreich eine Funktion auszuüben. Die Kinder sollen natürlich auch Frömmigkeit lernen, und schließlich sollen sie lernen, mit Waffen umzugehen. Diese Polizeidienststelle, die sich also mit der Erziehung der Kinder und der Jugend befasst, wird sich auch um den Beruf jedes einzelnen kümmern müssen. Das bedeutet, dass, wenn einmal die Ausbildung beendet ist und der junge Mensch ins Alter von 25 Jahren kommt, er auf der Polizeidienststelle vorstellig werden muss. Und dort muss er dann sagen, welche Art von Beruf er in seinem Leben ausüben möchte, ob er nun reich sei oder nicht, ob er sich bereichern oder einfach nur Gefallen an etwas finden will. Jedenfalls muss er sagen, was er tun will. Dann wird er mit seiner Berufswahl, seiner Wahl einer Lebensweise ein für alle Mal in ein Register eingeschrieben. Und jene, die sich zufällig nicht in eine der Rubriken eintragen lassen wollen – ich lasse die Frage beiseite, welche Rubriken angeboten werden –, sollten nicht im Rang von Staatsbürgern gehalten werden, sondern sollten »als Abschaum des Volkes, als ehrlose Landstreicher« betrachtet werden. Soviel zu den Polizeidienststellen.