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Mit den spannenden Arztromanen um die "Kurfürstenklinik" präsentiert sich eine neue Serie der Extraklasse! Diese Romane sind erfrischend modern geschrieben, abwechslungsreich gehalten und dabei warmherzig und ergreifend erzählt. Die "Kurfürstenklinik" ist eine Arztromanserie, die das gewisse Etwas hat und medizinisch in jeder Hinsicht seriös recherchiert ist. "Mein letzter Tag bei Ihnen, Herr Dr. Winter!" sagte Miriam Fechner und sah den jungen Notaufnahmechef der Kurfürsten-Klinik in Berlin-Charlottenburg betrübt an. "Ich wäre gern noch länger geblieben, das wissen Sie ja – aber als nächstes werde ich in Ihrer Neurochirurgie eingesetzt. Ich soll das ganze Haus kennenlernen." "Sie waren uns eine große Hilfe, Schwester Miriam", erwiderte Dr. Adrian Winter lächelnd. "Wir sind froh, daß Sie wenigstens eine Zeitlang unser Team verstärkt haben."
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Seitenzahl: 118
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»Das Leben ist so schön, so wunderschö-hön…«, sang Dr. Adrian Winter vergnügt und überaus falsch vor sich hin. Zum Glück konnte ihn niemand hören, denn er saß im Auto und fuhr gemächlich durch Berlin. Tatsächlich, er ließ sich Zeit, denn er hatte es nicht eilig. Er konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern, wann er das zum letzten Mal mit gutem Gewissen hatte sagen können.
Er war Chef der Notaufnahme in der Kurfürsten-Klinik. Sein Alltag wurde von Streß und ewiger Hetze bestimmt, was ihm normalerweise nicht allzuviel ausmachte. Er war fünfunddreißig Jahre alt und kein Mann, der ständig Ruhe brauchte. Aber die letzten Monate waren hart gewesen, und die Woche Urlaub, die jetzt vor ihm lag, war die erste richtige Pause seit langer Zeit.
Dr. Winter sang weiterhin laut und falsch und freute sich wie ein Kind auf diese Woche, in der er zwar nicht verreisen würde, die aber dennoch wie eine Verheißung vor ihm lag.
Er hatte sich so viel vorgenommen, daß seine Zwillingsschwester Esther in spöttisches Gelächter ausgebrochen war, als er ihr davon erzählt hatte. Sollte sie lachen, soviel sie wollte! Jetzt war er jedenfalls auf dem Weg ins Pergamon-Museum – ein Besuch, den er sich schon seit Jahren vorgenommen hatte. Eine Schande, daß er als gebürtiger Berliner so lange nicht mehr dort gewesen war!
Ein noch recht kleiner blonder Junge auf einem Fahrrad zischte rechts an ihm vorüber, und ärgerlich runzelte der Arzt die Stirn. Unverantwortlich, daß es immer noch Eltern gab, die ihre Kinder ohne Helm fahren ließen. Außerdem fuhr der Junge viel zu schnell. Adrian Winter gab ein bißchen mehr Gas und beschloß, ihn an der nächsten Ampel anzusprechen und blieb deshalb direkt hinter ihm. Der Junge war nach seiner Schätzung höchstens zehn Jahre alt.
Esther würde jetzt wieder spöttisch sagen: »Adrian kann es nicht lassen, andere Leute zu bekehren«, dachte er, aber er würde es trotzdem versuchen. Vielleicht war der Junge einsichtig. Und vielleicht konnte er durch ein kurzes Gespräch ein Unglück verhindern.
Wenn er selbst Kinder hätte, würde er jedenfalls dafür sorgen, daß sie sich anders verhielten, das stand fest. Aber er hatte keine Kinder. Er hatte ja noch nicht einmal eine Frau. In der Klinik sagten seine Kolleginnen und Kollegen, er sei mit seiner Arbeit verheiratet, und daran war wohl viel Wahres. Obwohl er sich seit einiger Zeit dabei ertappte, daß er sich ausmalte, wie es wäre, wenn…
Die Ampel vor ihnen wurde gelb, und der junge Arzt lächelte zufrieden. Nun mußte der kleine Raser mit seinem Fahrrad anhalten, und er konnte ihm ins Gewissen reden. »Gleich hab’ ich dich«, dachte er, aber das war ein Irrtum.
Zu seinem Entsetzen hielt der Junge nicht an, sondern fuhr weiter – und zwar noch schneller als zuvor. Er hatte die Ampel eindeutig bei Rot überfahren, und so achtete er eher auf die Autos, die bereits von rechts und links auf ihn zukamen und denen er entwischen mußte, als auf die Straße. Deshalb bemerkte er den Stock nicht, der mitten auf der Fahrbahn lag – ein toter Ast, von einem der umstehenden Bäume auf diese Kreuzung geweht.
Adrian Winter sah genau kommen, was passieren würde. Er riß den Mund auf wie zu einem Schrei, aber es kam kein Laut heraus. Er wollte aufspringen und hinter dem Jungen herlaufen, doch er konnte sich nicht rühren. Ohnmächtig und stumm blieb er hinter dem Steuer sitzen.
Es war ohnehin bereits zu spät, niemand hätte das, was nun geschah, noch verhindern können. Als das Fahrrad mit dem Vorderreifen auf das Hindernis stieß, wurde die schnelle Fahrt jäh gestoppt. In hohem Bogen flog der Junge über den Lenker und landete mit einem dumpfen Aufprall auf der Fahrbahn. Er blieb regungslos liegen.
Ein von rechts heranfahrendes Auto kam in allerletzter Sekunde mit quietschenden Bremsen wenige Zentimeter vor seinem Kopf zum Stehen. Ein anderer Wagen, der von links ebenfalls direkt auf den Jungen zufuhr, konnte ausweichen, denn der Fahrer riß mit aller Gewalt das Steuer herum. Dann aber verlor er die Kontrolle über den Wagen, der nun mit voller Wucht gegen den Betonpfeiler einer Fußgängerbrücke prallte.
Im Nu war die gesamte Kreuzung blockiert.
Dr. Winter erwachte aus seiner Erstarrung, griff nach seinem Arztkoffer, den er immer im Wagen hatte, stieg aus und rannte los. Aber wohin zuerst?
Er entschied sich für den Jungen, der nur wenige Meter vor ihm auf der Straße lag. Beeil dich, beeil dich, hämmerte es in seinem Kopf, doch es kam ihm wirklich so vor, als bewege er sich im Schneckentempo.
Obwohl der Unfall gerade erst passiert war, hatten sich bereits Schaulustige eingefunden, die das Geschehen kommentierten. Sie wichen zur Seite, als der große Mann mit den dunkelblonden Haaren und den braunen Augen energisch sagte: »Lassen Sie mich durch, ich bin Arzt. Bitte, gehen Sie doch zur Seite!«
Adrian Winter sagte das mit so viel Autorität in der Stimme und im Auftreten, daß sie tatsächlich zurückwichen. Er beugte sich zu dem Kind hinunter. Der blonde Junge war sehr blaß und wirkte noch kleiner als zuvor und außerordentlich zerbrechlich. Die dunklen Wimpern lagen wir Halbmonde auf den schmalen Wangen.
»Hallo, Kleiner!« sagte er leise und strich sacht über die Schläfe. Der Junge reagierte nicht.
»Sie hat ihn einfach überfahren«, hörte der Arzt jemanden sagen. »Und jetzt sitzt sie da und rührt sich nicht. Anstatt auszusteigen…«
Adrian zwang sich, nicht mehr zuzuhören. Schneller, schneller, sagte er sich. Du mußt dich beeilen. Er legte einen Finger an die Halsschlagader des Jungen. Der Puls war schwach. Schnell und gründlich tastete er den kleinen Körper ab, drehte ihn vorsichtig auf die Seite und wandte sich dann an eine ältere Frau, die neben ihm stand und einen vernünftigen Eindruck machte. Zumindest hatte sie sich an dem allgemeinen Getuschel bisher nicht beteiligt.
»Bleiben Sie bei ihm und sagen Sie mir, wenn sich an seinem Zustand etwas ändert. Ich muß nach den anderen sehen.«
Sie nickte wortlos und sah ängstlich auf den Jungen. Dann ging sie in die Knie und sprach leise auf ihn ein. Er rührte sich nicht.
Dr. Adrian Winter richtete sich auf und warf einen Blick in das Auto, das direkt vor dem Jungen zum Stehen gekommen war. Sofort wurden die Kommentare wieder lauter.
»Der arme kleine Kerl. Und sie macht sich nicht einmal die Mühe, auszusteigen…«
»Aber es war doch gar nicht ihre Schuld, der Junge ist doch bei Rot über die Ampel gefahren!«
»Was wissen Sie denn schon? Ich hab’s genau gesehen, wie die Frau losgerast ist, direkt auf den Jungen zu.«
»Sie ist ganz durcheinander, das sehen Sie doch!«
»Das wären Sie auch, wenn Sie einen kleinen Jungen überfahren hätten!«
Hör nicht hin, dachte er, während er die Wagentür öffnete. Hör einfach nicht hin.
Eine junge Frau saß am Steuer und rührte sich nicht. Ihre großen Augen waren nach vorn gerichtet, schienen aber nichts wahrzunehmen. Ihre Hände klammerten sich noch immer um das Lenkrad. Sie hatte einen Schock, er sah jedoch, daß sie sonst unverletzt war, und so rannte Adrian Winter weiter zu dem Auto, das gegen den Betonpfeiler geprallt war.
Im Laufen zog er sein Handy aus der Tasche und verständigte den Notruf. Gleich darauf wählte er eine zweite Nummer. Seit der Junge auf die Straße geschleudert worden war, waren noch keine drei Minuten vergangen.
»Moni?« sagte er knapp. »Ein Unfall, kleiner Junge, vielleicht zehn Jahre alt. Ist mit dem Fahrrad böse gestürzt, ohne Helm. Gehirnerschütterung, Prellungen. Trifft in etwa zwanzig Minuten bei euch ein. Außerdem zwei weitere Personen, eine hat einen schweren Schock, über die Verletzungen der anderen kann ich noch nichts sagen.«
Er beendete das Gespräch, ohne eine Erwiderung abzuwarten. In dem Auto, das er nun erreichte, saß ein noch junger Mann und stöhnte laut vor Schmerzen. Gleichzeitig fluchte und schimpfte er wie ein Rohrspatz. Adrian kannte diese Reaktion, es war der Versuch des Mannes, mit den Schmerzen und dem Schock auf seine Weise fertig zu werden.
Auch hier drängten sich bereits die Schaulustigen und kommentierten das Geschehen. Er biß sich heftig auf die Lippen, um nicht wütend dazwischen zu fahren. Er würde sich nie an diese Form der »Anteilnahme« gewöhnen.
»Wieso sind denn die Sanitäter noch nicht da? Das dauert auch immer länger.«
»Ja, und in der Zwischenzeit kann der Mann hier verbluten, weil er den Jungen retten wollte. Ein Skandal ist das!«
Alle starrten in das Auto, keiner hatte bisher einen Versuch gemacht, dem Verletzten zu helfen. Adrian bahnte sich energisch seinen Weg – dieses Mal, ohne ein Wort zu sagen. Es schien ihm, als ließen ihn die Leute eher widerwillig durch. Niemand wollte seinen Platz, von dem aus er gut sehen konnte, freiwillig räumen. Am liebsten hätte er vor Wut laut gebrüllt.
Ein Blick genügte ihm, um festzustellen, daß das rechte Bein des Verletzten übel aussah: offenbar war es mehrfach gebrochen, und die Kniescheibe war bei dem Aufprall schwer verletzt worden. Das Vorderteil des Wagens war völlig eingedrückt, aber es gelang Adrian mit einiger Mühe, die Tür auf der Fahrerseite zu öffnen.
»Fassen Sie mich bloß nicht an!« schrie der Mann.
»Ich bin Arzt«, erwiderte Adrian ruhig. »Wenn ich Sie nicht anfasse, kann ich Ihnen auch nicht helfen.«
»Arzt?« Die Augen des Mannes blickten mißtrauisch. »Wo kommen Sie denn so schnell her?« Er stöhnte erneut vor Schmerzen und konnte nicht weitersprechen.
»Ich habe den Unfall zufällig mit angesehen«, antwortete Adrian ruhig und beugte sich über ihn. Unwillkürlich biß er sich auf die Lippen, der Mann mußte entsetzliche Schmerzen haben. Er konnte hier nicht allzuviel für ihn tun. Das Bein mußte operiert werden, und man konnte nur hoffen, daß er später wieder würde gehen können.
Adrian verstellte den Sitz, so daß der Mann fast lag und das verletzte Bein etwas mehr Platz hatte und nicht länger eingeklemmt war. Der Mann wehrte sich nicht mehr, als der Arzt ihn untersuchte, seine letzten Kräfte hatten ihn verlassen. Nach der Untersuchung gab Adrian ihm eine Spritze, um seine Schmerzen zu lindern. Die Kommentare der Umstehenden hörte er jetzt nicht mehr.
Er war gerade fertig, als der erste Rettungswagen eintraf. Dr. Winter winkte die Sanitäter zu sich und begrüßte sie mit einem Kopfnicken. Leise gab er ihnen die nötigen Informationen. »Die Kurfürsten-Klinik ist vorgewarnt«, sagte er. »Fahrt sofort los, den Mann hat’s am schlimmsten erwischt! Ich komme nach, sobald ich kann.«
Daraufhin ließ er sie allein und lief zurück zu dem Jungen, neben dem noch immer die Frau kniete, die er darum gebeten hatte, bei ihm zu bleiben. Nach wie vor standen viele Leute herum, gafften und regten sich über den Unfall auf, ohne auch nur das geringste zu tun. Einige Autofahrer, die es eilig hatten und weiterfahren wollten, hatten bereits angefangen zu streiten – das Übliche, dachte der engagierte junge Arzt resigniert. Aber in diesem Augenblick kam zum Glück die Polizei, sie würde die Kreuzung in kurzer Zeit geräumt haben.
»Er hat sich die ganze Zeit nicht bewegt«, sagte die Frau, die die Hand des Jungen hielt, leise. »Er wird doch nicht sterben?« Ihre Stimme klang ängstlich.
Beruhigend schüttelte Adrian den Kopf. »Nein, er hat eine Gehirnerschütterung, sicher wacht er bald auf. Ich würde sagen, er hat Glück im Unglück gehabt.«
Adrian richtete sich ein wenig auf und stellte fest, daß die Fahrerin des Autos, das gerade noch rechtzeitig zum Stehen gekommen war, noch immer regungslos hinter dem Steuer saß. Ihre Augen waren weit aufgerissen, und sie war mindestens so blaß wie das Kind.
In diesem Augenblick bahnten sich die Sanitäter des zweiten Rettungswagens energisch ihren Weg durch die Menge, und Dr. Winter atmete erleichtert auf.
Sie begrüßten einander mit knappem Nicken, er gab auch ihnen die nötigen Informationen und sagte dann: »Gebt dem Jungen eine Infusion zur Stabilisierung des Kreislaufs und bringt ihn in die Kurfürsten-Klinik, die wissen bereits Bescheid. Er hat eine Gehirnerschütterung, einige Prellungen, aber soweit ich sehe, keine inneren Verletzungen. Aber wartet noch einen Augenblick, ihr müßt noch jemanden mitnehmen.« Er machte eine Kopfbewegung zu dem Auto hin, vor dem der Junge lag.
Die Sanitäter folgten seinem Blick und verstanden, was er meinte. »Okay, Dr. Winter«, sagte einer von ihnen, ein älterer Mann, den Adrian schon lange kannte. »Wir bringen nur schnell den Kleinen schon mal in den Wagen.«
Sie betteten den Jungen vorsichtig auf die Trage und schnallten ihn fest. Gleich darauf liefen sie im Eiltempo mit ihm zu dem wartenden Rettungswagen.
Adrian richtete sich auf und ging zur Fahrerseite des Autos, in dem die Frau noch immer regungslos saß. Die Schaulustigen zerstreuten sich allmählich, denn die Polizeibeamten hatten sich unverzüglich an die Arbeit gemacht und energisch durchgegriffen. Die Namen von Zeugen wurden aufgenommen, alle anderen gebeten, die Straße freizumachen. Es würde nicht mehr lange dauern, bis der Verkehr wieder floß, als sei nichts geschehen.
Adrian öffnete die Tür des Wagens, aber die junge Frau hinter dem Steuer rührte sich noch immer nicht. Sie hatte lange blonde Haare, die ihr im Augenblick so weit ins Gesicht gefallen waren, daß er kaum ihr Profil sehen konnte. Er beugte sich hinunter und sagte mit sehr sanfter Stimme, um sie nicht zu erschrecken: »Hallo, ich bin Dr. Adrian Winter. Bitte steigen Sie jetzt aus dem Wagen.«
Sie schien ihn nicht gehört zu haben, denn sie reagierte überhaupt nicht. Vorsichtig streckte er eine Hand aus und legte sie an ihre Schläfe. Sie zuckte ein wenig zusammen, sonst jedoch bewegte sie sich auch jetzt nicht. Ihre Haut fühlte sich kühl und feucht an, es war offensichtlich, daß sie einen Schock erlitten hatte. »Bitte, steigen Sie jetzt aus«, sagte er behutsam.
Jetzt endlich wandte sie den Kopf und sah ihn an. Sie hatte große, veilchenfarbene Augen, und unwillkürlich schluckte er. Es kam ihm so vor, als habe er noch nie so schöne Augen gesehen. Sie verliehen ihrem Gesicht einen eigenartigen Reiz, dem man sich nur schwer entziehen konnte.
»Was haben Sie gesagt?« Ihre Stimme war leise und kaum verständlich.
»Steigen Sie bitte aus«, wiederholte er ruhig. »Sie müssen in ein Krankenhaus und dort behandelt werden.«