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Mit den spannenden Arztromanen um die "Kurfürstenklinik" präsentiert sich eine neue Serie der Extraklasse! Diese Romane sind erfrischend modern geschrieben, abwechslungsreich gehalten und dabei warmherzig und ergreifend erzählt. Die "Kurfürstenklinik" ist eine Arztromanserie, die das gewisse Etwas hat und medizinisch in jeder Hinsicht seriös recherchiert ist. "Mein letzter Tag bei Ihnen, Herr Dr. Winter!" sagte Miriam Fechner und sah den jungen Notaufnahmechef der Kurfürsten-Klinik in Berlin-Charlottenburg betrübt an. "Ich wäre gern noch länger geblieben, das wissen Sie ja – aber als nächstes werde ich in Ihrer Neurochirurgie eingesetzt. Ich soll das ganze Haus kennenlernen." "Sie waren uns eine große Hilfe, Schwester Miriam", erwiderte Dr. Adrian Winter lächelnd. "Wir sind froh, daß Sie wenigstens eine Zeitlang unser Team verstärkt haben."
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Seitenzahl: 112
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»Eine Stunde noch«, seufzte die Internistin Dr. Julia Martensen nach einem Blick auf die Uhr. »Ich wollte, sie wäre schon um. Ich bin müde heute.«
Der junge Chefarzt Dr. Adrian Winter, der die Notaufnahme der Kurfürsten-Klinik in Berlin leitete und in dieser Woche mit Julia Martensen zusammen Dienst hatte, wollte gerade antworten, als die Flügeltüren der Notaufnahme aufflogen und ein junger Mann hereinstürzte, der ein wimmerndes kleines Mädchen auf den Armen hielt.
»Hilfe!«, rief er und rannte direkt auf die beiden Ärzte zu. »Meine Tochter, bitte, Sie müssen ihr helfen…«
Sie liefen ihm bereits entgegen. Er war groß und schlank, seine blonden Haare trug er ziemlich kurz. Verstörte graue Augen blickten Julia und Adrian an.
»Was ist mit Ihrer Tochter?« fragte Adrian den Mann.
»Ich weiß es nicht«, stammelte dieser. »Sie ist hingefallen, seitdem weint sie und will sich nicht wieder beruhigen. Ich glaube, sie kann nicht mehr laufen.«
Julia und Adrian nahmen ihm das weinende Mädchen ab. Es war ein niedliches, auffallend zartes Kind mit blonden Locken und den gleichen grauen Augen, die auch der Vater hatte. Sie betteten es vorsichtig auf eine Liege.
Während sie mit der Untersuchung begannen, setzte Adrian die Befragung des Vaters fort. »Wie heißt sie?«
»Klara«, sagte der Mann. Er ließ kein Auge von seiner Tochter, und auch die Kleine streckte immer wieder die Ärmchen nach ihrem Vater aus und jammerte: »Papa!«
»Ich bleibe ja hier bei dir, Mäuschen«, sagte er und fragte dann: »Was ist mit ihr?«
»Das wissen wir noch nicht, Herr…«
»Kellermann«, warf der Mann ein. »Ich heiße Richard Kellermann.«
Nun stellte Adrian auch Julia und sich selbst vor, danach fragte er: »Wie alt ist Klara, Herr Kellermann?«
»Sie ist gerade zwei geworden.«
»Und ist so etwas schon einmal vorgekommen? Ich meine, daß Klara hingefallen und dann nicht wieder aufgestanden ist?«
Weder Julia noch Adrian entging das fast unmerkliche Zögern des jungen Mannes. Schließlich sagte er: »Ja, schon. Sie hat sich dabei sogar einmal einen Arm und ein anderes Mal ein Bein gebrochen.«
Adrian sah ihn scharf an, und ihm fiel auf, daß Richard Kellermann seinem Blick auswich. Für ein so kleines Mädchen war es mehr als ungewöhnlich, daß es sich bereits mehrfach etwas gebrochen hatte und das bei offenbar harmlosen Stürzen, wenn es stimmte, was der Vater erzählte.
»Wie ist das genau passiert?« fragte er und bemühte sich, sich sein Mißtrauen nicht anmerken zu lassen.
Richard Kellermann war das Thema sichtlich unangenehm. »Ich weiß es nicht, Herr Doktor. Sie ist einfach gestürzt – sie ist keine Treppe heruntergefallen, das dürfen Sie nicht denken. Ich passe wirklich gut auf sie auf.«
Jetzt glaubte Adrian das Verhalten des Mannes zu verstehen. Offenbar hatte er Angst, man werde ihm vorwerfen, seine Aufsichtspflicht vernachlässigt zu haben. Vielleicht war das ja auch der Fall?
Um sich zu vergewissern, fragte er: »Wo ist Klaras Mutter? War sie dabei, als die Kleine gefallen ist, oder waren Sie allein mit ihr?«
Richard Kellermanns blasses Gesicht färbte sich rosa. »Sie… sie hat mich verlassen. Wir sind seit einem Jahr geschieden, ich habe das Sorgerecht für Klara.«
Adrian fragte nicht weiter, seine Annahme schien sich zu bestätigen. Er nickte nur und setzte die Untersuchung des Kindes fort, das sich ein wenig beruhigt hatte. Es wirkte erschöpft.
»Das linke Bein ist gebrochen«, meinte Julia leise.
»Mit der Schulter ist auch etwas nicht in Ordnung«, erwiderte Adrian, ebenfalls mit gedämpfter Stimme. Sie wechselten einen beunruhigten Blick, dann wandte sich Adrian noch einmal an den jungen Vater. »Sagen Sie, Herr Kellermann, sind Sie sicher, daß es ein normaler Sturz war? Wo ist Ihre Tochter denn hingefallen?«
»In der Küche«, antwortete Richard Kellermann mit erstickter Stimme. »Wir haben einen Fliesenboden in der Küche, auf den ist sie gefallen. Ich hatte ihr etwas zu essen gemacht, und sie kam aus dem Wohnzimmer, als ich sie gerufen habe. Sie ist schnell gelaufen, gestolpert und gefallen. Und danach konnte sie nicht mehr aufstehen.«
»Ein Bein ist gebrochen – und ich fürchte, im Schulterbereich hat sie einen weiteren Bruch«, sagte Adrian ruhig.
Richard Kellermann wurde leichenblaß. »Aber das ist doch nicht möglich«, stammelte er. »Ich bin als Kind ständig gefallen und habe mir nie etwas dabei gebrochen.«
Wieder wechselten Julia und Adrian einen Blick, in dem auch Ratlosigkeit mitschwang. Sie waren sich in der Beurteilung von Klaras Vater nicht sicher. Er wirkte völlig aufrichtig, und doch warf seine Geschichte mehr Fragen auf als sie beantwortete.
»Wir müssen sie hierbehalten«, erwiderte Adrian, ohne auf Richard Kellermanns letzte Bemerkung einzugehen. »Sie muß geröntgt werden, und wir müssen die Brüche richten.«
»Kann ich bei ihr bleiben? Bitte! Sie ist ein sehr ängstliches Mädchen, ich möchte sie nicht allein lassen.«
»Ich denke, das wird möglich sein«, meinte Adrian. »Wer ist der behandelnde Kinderarzt? Eine Rücksprache mit ihm könnte Klarheit bringen, warum die Kleine sich offenbar so leicht verletzt.«
Wieder reagierte Richard Kellermann mit einem fast unmerklichen Zögern. Dann sagte er: »Ich war mit dem letzten Arzt nicht zufrieden, bei dem wir waren, und wollte mir deshalb einen neuen suchen.«
»Trotzdem sollten wir mit ihm sprechen«, beharrte Adrian.
»Dr. Münsing«, gab der junge Mann schließlich widerstrebend an.
Adrian machte sich eine Notiz und sagte: »Wir werden das an die Kinderstation weitergeben, dort wird Klara aufgenommen werden. Ich hoffe, Herr Kellermann, wir können hier in der Kurfürsten-Klinik Ihrer Tochter helfen.«
»Das wäre schön«, sagte der andere sehnsüchtig und sah Klara liebevoll an. »Sie ist doch noch viel zu klein, um schon so viel zu leiden.«
Adrians Aufmerksamkeit war aufs Äußerste geschärft, aber er konnte keinen falschen Ton in den Worten des jungen Vaters erkennen, und auch aus seinem Gesicht war nichts als Liebe und Sorge für seine Tochter abzulesen.
Julia begleitete das kleine Mädchen und seinen Vater kurz darauf zum Röntgen und sorgte dafür, daß ihre Kollegen sich um alles Weitere kümmerten. Dann kehrte sie in die Notaufnahme zurück, wo sich allmählich der Schichtwechsel ankündigte: Von allen Seiten strömten Ärztinnen und Ärzte, Schwestern und Pfleger in die Notaufnahme.
»Was hältst du von der Sache?« fragte Julia, als sie eine halbe Stunde später mit Adrian die Klinik verließ.
»Ich weiß es nicht«, antwortete er zögernd. »Im ersten Augenblick habe ich gedacht, daß wir es mit einem Fall von Kindesmißhandlung zu tun hätten.«
Sie nickte. Ihr war es ähnlich ergangen.
Adrian zählte auf, warum er auf diesen Gedanken gekommen war. »Er konnte mich nicht ansehen, als ich ihn gefragt habe, ob so etwas schon vorher passiert ist. Und seine Geschichte klingt nicht glaubwürdig. Außerdem wollte er uns den Namen des behandelnden Arztes nicht nennen. Trotzdem hat er auf mich einen ehrlichen Eindruck gemacht.«
»Auf mich auch«, sagte Julia nachdenklich. »Wobei das leider nichts bedeuten muß. Erinnerst du dich an den Mann, der seine Frau halb tot geprügelt hatte? Dem hätten wir auch fast geglaubt, daß sie einen Unfall hatte…«
»Aber nur fast«, warf Adrian ein. »Es gibt noch etwas, was gegen Herrn Kellermann spricht. Er scheint dauernd die Ärzte zu wechseln, das ist ein typisches Indiz. Ich werde mich morgen erkundigen, was die Rücksprache mit Dr. Münsing ergeben hat. Und ich werde die Kinderstation über unsere Bedenken informieren, obwohl es einen entscheidenden Punkt gibt, der Herrn Kellermann entlastet.«
»Ja«, stimmte Julia zu. »Die Kleine hat keine blauen Flecke, keine Blutergüsse – nichts, das auf Gewaltanwendung schließen läßt. Und sie hat keine Angst vor ihm, das war deutlich zu spüren.«
»Genau«, sagte Adrian. »Und deshalb bin ich geneigt, dem Mann zu glauben. Er kann sie nicht mißhandeln, ohne solche Spuren zu hinterlassen. Wir müssen also nach einer Erklärung für die Brüche suchen.«
»Ja«, meinte Julia bedrückt. »Ich kann nur hoffen, daß wir uns nicht irren. Wenn wir eine falsche Entscheidung treffen, Adrian – das wäre furchtbar. Stell dir vor, er mißhandelt sie, und wir liefern sie ihm wieder aus.«
»Man darf keinen so schwerwiegenden Verdacht aussprechen, wenn man nicht ganz sicher ist«, erwiderte Adrian ruhig. »Früher wurden körperliche Mißhandlungen und sexueller Mißbrauch totgeschwiegen – heute passiert oft das Gegenteil: Manche sind gar zu schnell mit einer Verurteilung bei der Hand und vermuten diese Verbrechen auch dort, wo es keinen Anlaß dazu gibt. Aber ausschließen dürfen wir die Möglichkeit nicht, das ist richtig. Obwohl…« Er schüttelte den Kopf. »Es ist eigentlich nicht möglich, Julia. Wir haben sie doch ganz genau untersucht. Ich habe nicht einen einzigen Bluterguß gefunden.«
»Ich auch nicht«, sagte sie.
Schweigend traten sie in den kühlen Abend hinaus, verabschiedeten sich voneinander und machten sich, jeder tief in Gedanken versunken, auf den Heimweg.
*
»Ich bewundere dich wirklich, Marie«, sagte Stella ten Brink zu ihrer Schwester. »Ich könnte das nicht!«
»Dafür kannst du andere Dinge, die ich nicht kann«, erwiderte Marie Kutscher gelassen und bügelte weiter den Berg Jeans und T-Shirts, den sie vor sich liegen hatte. »Außerdem, wenn Harry nicht wäre, dann ginge das natürlich sowieso alles nicht. Ich mache das schließlich nicht allein!«
»Trotzdem«, meinte Stella. »Das ist doch eine riesige Verantwortung.« Sie sah sich um. »Kann ich irgendwas tun, während du bügelst?«
»Ja, mich unterhalten. Das ist immer so langweilig, weißt du? Aber wenn du mir etwas erzählst, geht die Zeit viel schneller herum.«
»Ich könnte bügeln, während du etwas anderes machst«, schlug Stella halbherzig vor.
Marie brach in schallendes Gelächter aus. »Du?« rief sie. »Entschuldige, daß ich lache, Stella, aber als Hausfrau bist du nun wirklich eine Katastrophe. Nein, nein, bleib mal schön da sitzen und erzähl mir was.«
»Es gibt nichts Neues. Sag du mir lieber, was das wieder für ein Katastrophenfall ist, bei dem du jetzt einspringen sollst.«
Maries Gesicht wurde ernst, was nicht allzu oft vorkam. Sie lachte gern und viel, es gelang ihr meistens, auch in unangenehmen Situationen noch etwas Positives zu entdecken. »Eine alleinerziehende Mutter, die einen schweren Unfall hatte«, antwortete sie, »und es ist niemand da, der ihre zwei kleinen Kinder aufnehmen kann, Stella. Ist das nicht schrecklich? Die Mädchen sind drei und fünf und völlig verstört. Sie werden morgen früh gebracht.«
»Aber du hast doch schon zwei Kinder in Pflege«, meinte Stella. »So viel Platz habt ihr hier ja schließlich auch nicht, seit euer Nils auf der Welt ist.«
»Ach«, meinte Marie unbekümmert, »wir rücken ein bißchen zusammen, dann geht das schon. Wenn ich von einem solchen Notfall höre, soll ich da etwa sagen: ›Tut mir leid, wir nehmen die Kinder nicht?‹ Es ist doch nur für ein paar Wochen, bis die Mutter wieder gesund ist und sich selbst um die Kinder kümmern kann.«
»Wird sie denn wieder gesund«, fragte Stella zweifelnd.
»Ja, die Ärzte sind zuversichtlich. Allerdings ist es möglich«, gab Marie jetzt zu, »daß es vielleicht ein bißchen länger dauert als ein paar Wochen.«
Wieder sagte Stella wie schon zuvor: »Ich könnte das nicht!«
Marie und ihr Mann Harald, der allgemein nur Harry genannt wurde, waren »Notfall-Eltern« – jedenfalls nannten sie selbst sich so. Der richtige Begriff dafür hieß »Bereitschaftspflege-Eltern«, aber Marie hatte ganz richtig festgestellt, daß sich darunter kein Mensch etwas vorstellen konnte.
Die Kutschers nahmen Kinder für eine begrenzte Zeit in Pflege, wenn die leiblichen Eltern sich aus den verschiedensten Gründen nicht um sie kümmern konnten.
»Es geht der Frau schon viel besser, seit sie weiß, daß die beiden Mädchen für die nächste Zeit gut untergebracht sind«, erzählte Marie weiter. »Und ich bin froh, daß wir helfen können. Du weißt ja, je mehr Kinder um mich herum sind, desto besser geht es mir.«
»Ja«, sagte Stella lächelnd, »das weiß ich.«
Marie stellte das Bügeleisen für einen Augenblick beiseite und sah ihre jüngere Schwester nachdenklich an. Die beiden Frauen sahen einander ähnlich: Beide hatten braune Locken, braune Augen und eine lustige Stupsnase. Nur war Marie ein wenig fülliger als Stella, die selbst aber auch nicht gertenschlank war.
»Wir sind schon rund auf die Welt gekommen!« pflegte Marie zu sagen. »Wir waren von Anfang an so geplant«, wobei sie in letzter Zeit gelegentlich hinzufügte: »Allerdings vielleicht doch nicht ganz so rund, wie ich es im Augenblick bin.« Doch solange Harry ihr versicherte, daß er jedes ihrer Pfunde liebte, sah sie keinen Anlaß, sich beim Essen über Gebühr einzuschränken.
So ähnlich die beiden Schwestern einander rein äußerlich waren, so sehr unterschieden sie sich ansonsten voneinander. Stella war eher still, und sie konnte gut allein sein, während Marie meistens laut und fröhlich war und richtig aufblühte, wenn um sie herum Chaos herrschte. Vor drei Jahren hatte sie Harry, einen Zahntechniker, geheiratet, der ein überaus schweigsamer Mann war. Ihn hatte Maries fröhliches Temperament geradezu magisch angezogen, die beiden verstanden sich großartig. Und er hatte auch nichts einzuwenden gehabt, Pflegekinder auf Zeit aufzunehmen. Er war bereit, alles zu tun, was Marie glücklich machte.
Stella lebte allein, und manchmal beneidete sie Marie um ihr quirliges Familienleben. Wenn es allerdings im Hause Kutscher gar zu hoch herging, kehrte sie gern in ihre stille, gemütliche kleine Wohnung zurück. Stella arbeitete als Archivarin in einer großen Bibliothek, und sie sagte manchmal, halb im Scherz, halb ernsthaft, sie sei eher mit Büchern als mit Menschen befreundet. Sie hätte gern selbst eine Familie gegründet, aber sie hatte den richtigen Mann noch nicht gefunden.
Vor zwei Jahren war ihr kleiner Neffe Nils auf die Welt gekommen, und Stella war seine Patentante geworden. Nils schien eher Marie nachzuschlagen als seinem schweigsamen Vater. Er plapperte bereits fröhlich vor sich hin und freute sich über jedes Kind, das vorübergehend zur Familie gehörte.
Im Augenblick waren bereits zwei kleine Jungen bei Marie und Harry. Die Eltern der Kinder waren alkoholabhängig und machten eine Therapie in einer Spezialklinik. Beim Sozialamt war man voller Hoffnung, daß sie durchhalten würden und sich bald wieder um ihre Söhne kümmern konnten.