Küss mich, wenn du kannst - Susan Elizabeth Phillips - E-Book
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Küss mich, wenn du kannst E-Book

Susan Elizabeth Phillips

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Beschreibung

Dieser Kerl ist einfach unausstehlich!

Noch nie hat Annabelle Granger jemand so wütend gemacht wie der arrogante Sportagent Heath Champion. Aber er ist nun einmal Klient ihrer kleinen Partnervermittlung und daher präsentiert Annabelle ihm eine perfekte Braut nach der anderen. Ohne Erfolg, denn Heath hat längst erkannt, welche Frau sein Herz wirklich höher schlagen lässt. Und die ist weniger perfekt, als vielmehr ziemlich streitlustig – und sexy. Doch sein stadtbekannter Charme und sein ungewöhnlich hoher Kussquotient beeindrucken Annabelle nicht im Geringsten. Kurz entschlossen greift Heath zum letzten aller Mittel – er trifft sich mit Annabelles ungewöhnlicher Familie …

Heiße Footballer, starke junge Frauen und viel Romantik! Die »Chicago Stars«-Reihe macht einfach glücklich.

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Seitenzahl: 577

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Buch

Noch nie hat Annabelle Granger jemand so wütend gemacht wie der arrogante Sportagent Heath Champion. Aber er ist nun einmal Klient ihrer kleinen Partnervermittlung und daher präsentiert Annabelle ihm eine perfekte Braut nach der anderen. Ohne Erfolg, denn Heath hat längst erkannt, welche Frau sein Herz wirklich höher schlagen lässt. Und die ist weniger perfekt, als vielmehr ziemlich streitlustig – und sexy. Doch sein stadtbekannter Charme und sein ungewöhnlich hoher Kussquotient beeindrucken Annabelle nicht im Geringsten. Kurz entschlossen greift Heath zum letzten aller Mittel – er trifft sich mit Annabelles ungewöhnlicher Familie …

Autorin

Susan Elizabeth Phillips ist eine der meistgelesenen Autorinnen der Welt. Ihre Romane erobern jedes Mal auf Anhieb die Bestsellerlisten in Deutschland, England und den USA. Die Autorin hat zwei erwachsene Söhne und lebt mit ihrem Mann in der Nähe von Chicago.

Die erfolgreiche »Chicago Stars«-Reihe:

1. Ausgerechnet den?

2. Der und kein anderer

3. Bleib nicht zum Frühstück!

4. Träum weiter, Liebling

5. Verliebt, verrückt, verheiratet

6. Küss mich, wenn du kannst

7. Dieser Mann macht mich verrückt

8. Verliebt bis über alle Sterne

9. Und wenn du mich küsst

Alle Romane sind unabhängig voneinander lesbar.

Susan Elizabeth Phillips

Küss mich, wenn du kannst

Roman

Deutsch von Eva Malsch

Die Originalausgabe erschien 2005 unter dem Titel »Match Me If You Can« bei William Morrow, an imprint of HaperCollinsPublishers, New York.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Copyright © der Originalausgabe 2005 by Susan Elizabeth Phillips

Copyright © 2023 der deutschsprachigen Ausgabe

by Blanvalet Verlag, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: René Stein

Umschlaggestaltung und -motiv: www.buerosued.de

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

LH · Herstellung: DiMo

ISBN: 978-3-641-10757-4V006

www.blanvalet.de

Für unsere Söhne …

und die Frauen, die sie lieben

1

Hätte Annabelle kein regloses Individuum unter »Sherman« gefunden, wäre sie pünktlich im Büro des Python angekommen. Aber unter dem alten Crown Victoria Ford ihrer Nana ragten schmutzige nackte Füße hervor. Wie ihr ein vorsichtiger Blick unter das Auto verriet, gehörten sie dem Obdachlosen, den man in ihrer Wicker-Park-Nachbarschaft einfach nur »Mouse« nannte. Der Mann war geradezu berühmt für seinen Mangel an persönlicher Hygiene und seine Vorliebe für billigen Fusel. Neben seiner Brust, die sich im Rhythmus der Schnarchgeräusche hob und senkte, lag eine leere Flasche Wein mit Schraubverschluss.

Dass Annabelle das Treffen mit dem Python äußerst wichtig nahm, bezeugte ihre Überlegung, ob sie den Wagen irgendwie – mit ein bisschen Hin und Her vielleicht – über Mouse hinwegmanövrieren sollte. Aber dafür war die Parklücke zu schmal. Sie hatte viel Zeit veranschlagt, um sich zurechtzumachen, in die City zu fahren und ihren Elf-Uhr-Termin einzuhalten. Unglücklicherweise kam ständig irgendwas dazwischen, angefangen mit Mr. Bronicki, der sie an der Haustür aufgehalten und sich geweigert hatte, den Weg freizugeben, bevor er seinen Wortschwall losgeworden war. Wie auch immer, vorerst betrachtete sie Mouse nicht als Problem. Er musste einfach nur unter Sherman hervorkriechen.

Behutsam stupste sie seinen Knöchel mit ihrer Fußspitze an. Dabei merkte sie, dass die improvisierte Mischung aus Hershey’s-Schokoladensirup und Elmer’s-Kleister den Kratzer am Absatz ihrer Riemensandalette nur notdürftig verdeckte.

»Mouse?« Er rührte sich nicht. Jetzt stieß sie ihn etwas heftiger an. »Wachen Sie auf, Mouse! Sie müssen da hervorkommen.«

Nichts. Also musste sie drastischere Maßnahmen ergreifen. Sie schnitt eine Grimasse und bückte sich, umfasste zögernd einen schmutzigen Knöchel und rüttelte daran.

»Nun machen Sie schon, Mouse, wachen Sie auf!«

Wäre nicht dieses quiekende Schnarchen gewesen, er hätte tot sein können. Sie rüttelte noch heftiger an ihm.

»Zufällig ist das der wichtigste Tag in meinem Berufsleben, und ich könnte ein bisschen Kooperation Ihrerseits gebrauchen.«

Leider wollte er nicht kooperieren, und so sah sie sich gezwungen, etwas stärkeren Druck auf ihn auszuüben.

Mit zusammengebissenen Zähnen zog sie vorsichtig den Rock des Kostüms aus dotterblumengelber Rohseide hoch, das sie am Vortag bei einem Räumungsverkauf um sechzig Prozent billiger erstanden hatte, und kauerte sich neben die Stoßstange. »Wenn Sie nicht sofort hervorkriechen, rufe ich die Polizei.«

Mouse schnarchte.

Also stemmte sie die Schuhabsätze gegen das Pflaster und riss mit aller Kraft an beiden Knöcheln. Viel zu warm schien die Morgensonne auf ihren Kopf herab. Mouse rutschte gerade weit genug zur Seite, um eine Schulter unter das Chassis zu klemmen, und sie zerrte noch einmal an seinen Füßen. Unter ihrer Jacke heftete sich das ärmellose weiße Top, das sie passend zu Nanas tränenförmigen Perlenohrringen ausgesucht hatte, an der Haut fest. Was mit ihrer Frisur geschehen würde, wollte sie sich gar nicht vorstellen. Es war wirklich kein günstiger Zeitpunkt für die gähnende Leere in ihrer Styling-Gel-Tube. Inständig hoffte sie, der restliche Inhalt der Haarspraydose, die sie unter dem Waschbecken im Bad gefunden hatte, konnte die wirren roten Locken bändigen, die seit jeher der Fluch ihrer Existenz gewesen waren. Das galt ganz besonders in einem schwülen Chicagoer Sommer.

Falls sie Mouse in den nächsten fünf Minuten nicht unter Sherman hervorbefördern könnte, hätte sie ein ernsthaftes Problem. Sie ging zur Fahrerseite und kauerte sich wieder hin, hörte ihre Kniegelenke knacken und spähte in sein erschlafftes Gesicht. »Wachen Sie endlich auf, Mouse! Hier können Sie nicht bleiben!«

Ein schmutziges Lid blinzelte und senkte sich sofort wieder.

»Schauen Sie mich an!« Annabelle bohrte einen Finger in seine Brust. »Wenn Sie rauskommen, gebe ich Ihnen fünf Dollar.«

Nun bewegten sich seine Lippen. Sabbernd würgte er gutturale Laute hervor. »Geh’n Sie weg.«

Sein Mundgeruch trieb ihr Tränen in die Augen. »Wieso sind Sie ausgerechnet heute unter meinem Auto eingeschlafen? Warum nicht unter Mr. Bronickis Karre?« Mr. Bronicki wohnte auf der anderen Seite der Gasse und verbrachte seinen Ruhestand mit Marotten, die Annabelle wahnsinnig machten. Weil ihr die Zeit davonlief, geriet sie allmählich in Panik. »Hätten Sie gern Sex? Wenn Sie sich hervorbemühen würden, könnten wir drüber reden.«

Noch ein Sabbern, noch ein röchelndes Schnarchen. Anscheinend ein hoffnungsloser Fall. Sie sprang auf und rannte zum Haus.

Zehn Minuten später hatte sie Mouse mit einer geöffneten Bierdose hervorgelockt, auch wenn es moralisch sicher nicht ganz korrekt war …

Nachdem sie Sherman aus der Hintergasse zur Straße gesteuert hatte, blieben ihr nurmehr einundzwanzig Minuten, um sich durch den dichten Verkehr bis in den Loop zu schlängeln und einen Parkplatz zu finden. Ihre Beine starrten vor Schmutz, ihr Top war zerknittert, und ein Fingernagel war abgebrochen, als sie die Bierdose geöffnet hatte. Inzwischen spielten die zusätzlichen fünf Pfund, die sich seit Nanas Tod auf ihrer zartknochigen Gestalt angesammelt hatten, keine allzu große Rolle mehr.

Zehn Uhr neununddreißig.

Dem Stau bei der Baustelle auf dem Kennedy Expressway durfte sie sich nicht ausliefern, deshalb fuhr sie zur Division. Im Rückspiegel beobachtete sie, wie sich noch ein Löckchen aus der Umklammerung des Haarsprays löste. Auf ihrer Stirn glänzten Schweißtropfen. Um weiteren Straßenbauarbeiten auszuweichen, riskierte sie einen Umweg die Halsted hinab. Während sie Shermans Panzerwagenkarosserie durch den Verkehr bugsierte, rieb sie ihre verschmutzten Beine mit dem feuchten Papiertuch ab, das sie aus ihrer Küche mitgenommen hatte. Warum hatte Nana keinen hübschen kleinen Honda Civic gefahren statt dieses widerlichen grünen Monsters, das Benzin in rauen Mengen schluckte? Mit ihren eins sechzig musste Annabelle auf einem Kissen sitzen, um über das Lenkrad hinwegzuschauen. Um ein Kissen hatte sich Nana nie gekümmert. Aber sie war ja auch kaum gefahren. Nach einem Dutzend Jahren Lebenszeit zeigte Shermans Tacho knapp 63 000 Kilometer an.

Als sie von einem Taxi geschnitten wurde, hieb sie auf die Hupe. Zwischen ihren Brüsten rann der Schweiß hinab. Unbehaglich spähte sie auf ihre Uhr. Zehn vor elf. Sie versuchte sich zu erinnern, ob sie nach der Dusche ein Deo benutzt hatte. Ja, natürlich. Das tat sie immer. Um sicherzugehen, hob sie einen Arm und schnüffelte. Im selben Moment polterte Sherman über ein Schlagloch. Ihr Mund stieß gegen ihren dotterblumengelben Kragen und hinterließ einen rostbraunen Lippenstiftfleck.

Frustriert schrie sie auf und griff über den breiten Beifahrersitz nach ihrer Einkaufstasche, mit dem Erfolg, dass dieses verflixte Ding von der Kante rutschte und in den Grand-Canyon-artigen Fußraum hinabfiel. An der Halsted-Chicago-Kreuzung sprang die Ampel auf Rot um. Annabelles Haare klebten am Nacken, weitere Löckchen machten sich selbstständig, und sie versuchte ihr Glück mit ein bisschen Yoga-Atmung. Da sie erst ein einziges Mal am Kurs teilgenommen hatte, war das nicht sonderlich wirkungsvoll. Wieso um alles in der Welt hatte sich Mouse gerade diesen Tag, der über Annabelles berufliche Zukunft entscheiden würde, aussuchen müssen, um unter ihrem Auto im Delirium zu versinken?

Im Schneckentempo kroch Sherman zum Loop. Noch eine der für Chicago typischen Dauerbaustellen. Dann kam sie am Daley Center vorbei. Für die übliche Tour durch die umliegenden Straßen auf der Suche nach einer Parklücke, in die ihr voluminöser Schlitten passen würde, fehlte ihr die Zeit. Und so fuhr sie in die nächstbeste sündteure Tiefgarage, warf dem Parkwächter den Autoschlüssel zu und stürmte davon.

Fünf nach elf. Kein Grund zur Panik. Sie würde einfach von Mouse erzählen. Das würde der Python sicher verstehen.

Oder auch nicht.

Als sie die Eingangshalle des Bürohochhauses betrat, wehte ihr ein kalter Luftzug von der Klimaanlage entgegen. Acht nach elf. Glücklicherweise war die Liftkabine leer, und Annabelle drückte auf den Knopf für den dreizehnten Stock.

»Lass dich bloß nicht von ihm einschüchtern«, hatte Molly sie am Telefon ermahnt. »Der Python lebt von der Angst seiner Mitmenschen.«

Klar, Molly hatte mit einem traumhaften Ehemann, einem fantastischen Footballspieler, einer grandiosen eigenen Karriere und zwei süßen Kindern leicht reden.

Langsam schlossen sich die Lifttüren. Annabelle sah sich in der Spiegelwand und stöhnte. Mittlerweile hatte sich ihr rohseidenes Kostüm in eine schlappe Masse aus dotterblumengelben Knitterfalten verwandelt, der Rock strotzte an der Seite vor Schmutz. Der Lippenstiftfleck am Revers stach wie ein leuchtender Weihnachtsaufkleber hervor. Am allerschlimmsten war, dass sich ihr Haar Löckchen für Löckchen aus dem Haarspraynetz befreite, das alles belasten und nach unten drücken sollte. Schlaff hingen die Löckchen um ihr Gesicht herum, wie Bettfedern, die man aus dem Fenster geworfen hatte und in einer Seitengasse verrosten ließ.

Immer wenn sie sich über ihr Aussehen ärgerte, das sogar ihre Mutter nur als »nett« bezeichnete, tröstete sie sich normalerweise mit ihren Vorzügen. Mit den schönen honigbraunen Augen, den langen Wimpern und dem hellen, trotz mehrerer Sommersprossen makellosen Teint. Aber diesmal konnte sie mit positivem Denken das Bild, das ihr aus dem Spiegel entgegenstarrte, nicht erträglicher gestalten. Sie strich ein paar Locken hinter die Ohren und glättete den Rock. Bedauerlicherweise glitten die Lifttüren auseinander, bevor sie den Schaden halbwegs zu beheben vermochte.

Neun nach elf.

Dicht vor ihr prangten goldene Lettern auf einer Glaswand: CHAMPION SPORTS MANAGEMENT. Sie eilte über den Teppichboden eines Flurs und öffnete eine Tür mit geschwungener Metallklinke. In der Rezeption standen eine Ledercouch und passende Sessel. Gerahmte Sporttrophäen hingen an den Wänden. Auf einem großen TV-Bildschirm flimmerte fast lautlos ein Basketballspiel. Schmallippig spähte eine Empfangsdame mit kurzem, stahlgrauem Haar über das blaue Metallgestell einer Lesebrille hinweg und begutachtete Annabelles derangierte äußere Erscheinung. »Kann ich Ihnen helfen?«

»Annabelle Granger. Ich habe einen Termin bei dem Py… bei Mr. Champion.«

»Leider haben Sie sich verspätet, Miss Granger.«

»Nur um zehn Minuten.«

»Mehr als diese zehn Minuten konnte Mr. Champion wegen seines randvollen Terminkalenders nicht für Sie erübrigen.«

Damit bestätigte sich Annabelles Verdacht. Er war nur bereit gewesen, sie zu empfangen, weil er ihre Freundin, die Frau seines Spitzenklienten, nicht verärgern wollte. Verzweifelt schaute sie auf die Wanduhr. »Ich bin eigentlich nur neun Minuten zu spät dran. Also habe ich noch eine Minute.«

»Tut mir leid.« Die Rezeptionistin wandte sich wieder zu ihrem Computer und begann zu tippen.

»Nur eine Minute!«, flehte Annabelle. »Mehr verlange ich doch gar nicht!«

»Da kann ich nichts machen.«

Diesen Termin brauchte Annabelle, und zwar jetzt. Sie fuhr herum und stürmte zur getäfelten Tür am anderen Ende des Empfangsraums.

»O nein, Miss Granger!«

Annabelle rannte in einen Mittelgang, wo zwei Büros einander gegenüberlagen. In einem saßen zwei adrette junge Männer, die Designerhemden und Krawatten trugen.

Ohne die beiden zu beachten, steuerte sie eine weitere imposante getäfelte Tür in der Mitte der hinteren Wand an und drehte den Knauf herum. Das Büro des Python wies die Farbe des Geldes auf – lackierte jadegrüne Wände, ein dicker moosgrüner Teppich und in verschiedenen Grünschattierungen gepolsterte Sitzgarnituren, mit blutroten Kissen akzentuiert. Oberhalb der Couch hingen diverse Pressefotos und Sportsouvenirs neben einem rostigen weißen Metallschild, dessen verblasste schwarze Blockbuchstaben BEAU VISTA verkündeten. Die breite Fensterfront ging natürlich zum fernen Lake Michigan hinaus. Der Python thronte hinter einem schnittigen u-förmigen Schreibtisch, dessen Sessel mit der hohen Lehne zur Aussicht gedreht war.

Auf dem Tisch entdeckte Annabelle einen Computer, der dem neuesten Stand der Technik entsprach, einen kleinen Laptop, einen BlackBerry und eine technisch restlos ausgefeilte Telefonkonsole mit genug Tasten, um die Landung eines Jumbojets zu dirigieren.

»Fürs dritte Jahr ist das Geld okay, aber sicher nicht, wenn sie dich zu früh fallen lassen«, entschied der Python mit tiefer, scharfer Midwestern-Stimme. »Ja, es ist ein Risiko, das weiß ich. Andererseits – wenn du nur für ein Jahr unterschreibst, grasen wir den freien Markt ab.« Annabelle musterte ein kraftvolles gebräuntes Handgelenk, eine sportive Armbanduhr, lange Finger, die um den Hörer geschlungen waren. »Letzten Endes ist es deine Entscheidung, Jamal, und ich kann dich nur beraten.«

Hinter ihr flog die Tür auf, und die Empfangsdame rauschte herein. »Tut mir leid, Heath, sie ist mir einfach davongelaufen.«

Ganz langsam schwenkte der Python seinen Sessel herum, und Annabelle zuckte zusammen, als würde sie in den Magen geboxt.

Total cool, mit kantigem Kinn … Alles an ihm strahlte den hartgesottenen Selfmademan aus, einen Grobian, der in der Schule für gute Manieren zweimal durchgefallen war und es beim dritten Anlauf endlich geschafft hatte. Sein dichtes Haar glänzte in einer Farbmischung aus Aktentaschenleder und einer Flasche Budweiser. Eine prägnante, gerade Nase drückte unerschütterliches Selbstvertrauen aus. Durch eine der dunklen Brauen zog sich eine dünne helle Narbe. Markante, wohlgeformte Lippen bezeugten wenig Geduld mit menschlicher Dummheit, Leidenschaft für pausenlose Arbeit und möglicherweise – aber da könnte sie sich täuschen – den Entschluss, noch vor dem fünfzigsten Geburtstag ein Chalet bei St. Tropez zu besitzen. Ohne die etwas unregelmäßigen Züge wäre er unerträglich attraktiv gewesen. So sah er nur atemberaubend gut aus. Warum brauchte so ein Mann eine Heiratsvermittlerin?

Während er telefonierte, studierte er ihr Gesicht. Seine Augen zeigten genau das gleiche Grün wie ein Hundert-Dollar-Schein. »Dafür bezahlst du mich, Jamal.« Nachdem er Annabelles schlampiges Erscheinungsbild registriert hatte, warf er der Rezeptionistin einen frostigen Blick zu. »Heute Nachmittag rede ich mit Ray. Nimm dich vor diesem großkotzigen Angebot in Acht. Und sag Audette, ich schicke ihr noch eine Kiste Krug Grande Cuvée«, fügte er hinzu und legte auf.

»Ihr Elf-Uhr-Termin, Heath«, erklärte die Empfangsdame. »Natürlich habe ich ihr gesagt, es sei zu spät für ein Gespräch mit Ihnen.«

Bevor er antwortete, schob er seine Ausgabe der Pro Football Weekly beiseite. Er hatte große Hände mit sauberen, ordentlich geschnittenen Fingernägeln. Trotzdem fiel es Annabelle nicht schwer, sich schwarzes Motoröl auf diesen Händen vorzustellen. Vermutlich kostete seine marineblau gemusterte Krawatte mehr als ihr ganzes Outfit. Das hellblaue Hemd musste maßgeschneidert sein. Sonst würde es nicht so perfekt um die breiten Schultern herum sitzen und sich zur Taille hin dezent verengen.

»Offenbar hört sie schlecht.«

Nun verlagerte er sein Gewicht im Sessel, und das Hemd schmiegte sich an eine imposante muskulöse Brust. Unbehaglich dachte Annabelle an den Biologieunterricht in der High School und erinnerte sich vage an einen Vortrag über Pythons. Die Riesenschlangen pflegten ihre Beute am Stück zu verschlingen, mit dem Kopf voran.

»Soll ich den Sicherheitsbeamten rufen?«, fragte die Empfangsdame.

Die grünen Raubtieraugen simulierten einen K.-o.-Schlag in den Magen, und Annabelle schluckte mühsam. Obwohl er die rauen Kanten abgeschliffen hatte, existierte der Kneipenrandalierer in ihm immer noch. »Nein, ich glaube, ich werde allein mit ihr fertig.«

Plötzlich wurde sie von erotischen Gefühlen erfasst – völlig unpassend und unerwünscht und so deplatziert, dass sie schwankte und gegen einen Sessel stieß. Mit übermäßig selbstbewussten Männern konfrontiert, zeigte sie sich nie von ihrer besten Seite. Und weil sie dieses spezielle Exemplar unbedingt beeindrucken musste, verfluchte sie ihre Ungeschicklichkeit ebenso wie das zerknitterte Kostüm und das Medusenhaar.

Molly hatte ihr zur Aggressivität geraten. »Rücksichtslos hat er sich den Weg an die Spitze erkämpft. Mit einem Klienten nach dem anderen. Totale Angriffslust ist die einzige Emotion, die Heath Champion versteht.« Aber Annabelle war nicht aggressiv veranlagt. Alle Leute, vom Bankbeamten bis zum Taxifahrer, übervorteilten sie. Erst letzte Woche hatte sie ein Neunjähriger abgekanzelt, der sich über Sherman schief gelacht hatte. Sogar ihre eigene Familie – ganz besonders ihre Familie – behandelte sie wie einen Fußabtreter.

Diese Behandlung hatte sie gründlich satt. Die Leute durften sie nicht mehr unterbuttern, und sie wollte sich nie wieder wie eine Lachnummer fühlen. Wenn sie jetzt klein beigab – wohin würde das führen? Sie schaute in die grünen Hundert-Dollar-Augen. Und da wusste sie es – jetzt war der Zeitpunkt gekommen, wo sie ganz tief in ihren Granger-Gen-Pool greifen und endlich mit harten Bandagen kämpfen musste. »Unter meinem Auto lag eine Leiche.« Beinahe stimmte das auch, so besoffen war Mouse den Toten näher als den Lebenden.

Leider wirkte der Python unbeeindruckt. Aber wahrscheinlich trug er die Verantwortung für so viele Leichen, dass ihn ihre Story langweilte.

Annabelle holte tief Luft. »Und dann hat mich dieser ganze bürokratische Kram schrecklich viel Zeit gekostet. Sonst wäre ich pünktlich hierhergekommen. Überpünktlich. Ich bin sehr gewissenhaft. Und professionell …« Prompt ging ihr der Atem aus. »Stört es Sie, wenn ich mich setze?«

»Ja.«

»Danke.« Annabelle sank in den nächstbesten Sessel.

»Hören Sie schlecht?«

»Was?«

Einige Sekunden lang starrte er sie an, bevor er die Empfangsdame entließ. »In den nächsten fünf Minuten keine Anrufe, Sylvia, es sei denn, Phoebe Calebow ist am Apparat.« Die Frau verließ das Büro, und er seufzte resignierend. »Wie ich annehme, sind Sie Mollys Freundin.« Sogar seine Zähne sahen bedrohlich aus – stark, rechteckig und schneeweiß.

»Wir waren zusammen auf dem College.«

»Wenn ich auch nicht unhöflich sein will …« Seine Finger trommelten auf den Schreibtisch. »Fassen Sie sich kurz.«

Machte er Witze? Wo er doch von seinem rüpelhaften Stil geradezu lebte … Sie stellte sich vor, er hätte auf dem College bedauernswerte Computerfreaks aus dem Schlafzimmerfenster baumeln lassen und einer schluchzenden, womöglich schwangeren Freundin ins Gesicht gelacht. Um Selbstbewusstsein zu demonstrieren, richtete sie sich kerzengerade in ihrem Sessel auf. »Ich bin Annabelle Granger von …«

»Ah, die Kupplerin.« Unentwegt trommelten seine Finger auf das Holz.

»Ich würde mich als Ehevermittlerin bezeichnen.«

»Tatsächlich?« Die Dollar-Augen schienen sie zu durchbohren. »Wie Molly mir erzählt hat, wird Ihre Firma ›Myrna die Kupplerin‹ genannt – oder so ähnlich.«

Zu spät fiel ihr ein, dass sie diesen besonderen Punkt bei ihren Gesprächen mit Molly übersehen hatte. »In den Siebzigerjahren gründete meine Großmutter die Agentur ›Marriages by Myrna‹. Sie ist leider vor drei Monaten gestorben. Seither modernisiere ich die Firma, und ich gab ihr einen neuen Namen, ›Perfekt for You‹, um unsere Philosophie zu betonen. Wir bemühen uns um einen individuellen Service für anspruchsvolle Persönlichkeiten in gehobener Stellung.« Verzeih mir, Nana, das musste sein.

»Wie groß ist Ihr Laden?«

Ein Telefon, ein Computer, Nanas staubiger Aktenschrank und ich selbst … »Gerade so groß, dass ich alles unter Kontrolle habe. Ich finde, um flexibel zu bleiben, sollte eine Agentur überschaubar sein.« Hastig fuhr sie fort: »Die Firma gehörte meiner Großmutter, ich bin qualifiziert genug, um sie zu leiten.« Zu diesen Qualifikationen zählten ein Bakkalaureus in Theaterwissenschaft an der Northwestern University – ein Titel, den sie offiziell nie benutzte –, ein kurzfristiger Job bei einer Dotcom-Firma, die pleite ging, eine Partnerschaft in einem erfolglosen Geschenkartikelladen und zuletzt ein Arbeitsplatz in einer Stellenvermittlung, der der prekären Wirtschaftslage zum Opfer gefallen war.

Lässig lehnte er sich in seinem Drehsessel zurück. »Da ich uns beiden Zeit ersparen will, mach ich’s kurz – ich habe bereits einen Vertrag mit Portia Powers.«

Darauf war Annabelle vorbereitet. Portia Powers betrieb Power Matches, das exklusivste Heiratsvermittlungsinstitut von Chicago. Ihren legendären Ruf hatte sie mit einem fabelhaften Service für hohe Alphamännchen erworben, die zu beschäftigt waren, um die gewünschten Traumfrauen zu finden, und reich genug, um exorbitante Honorare zu bezahlen. Nicht zuletzt lebte sie von ihren ausgezeichneten gesellschaftlichen Kontakten. Sie war aggressiv, angeblich skrupellos, was allerdings nur von ihrer Konkurrenz behauptet wurde und vielleicht auch auf professionellem Neid basierte.

Da Annabelle sie nicht kannte, hielt sie sich mit einem Urteil zurück. »Über diesen Vertrag bin ich informiert. Doch das bedeutet keineswegs, dass Sie mich nicht ebenfalls engagieren könnten.«

Heath Champion betrachtete die blinkenden Lämpchen an seiner Telefonkonsole. Zwischen seinen Brauen entstand eine steile Falte, die seine wachsende Irritation bezeugte. »Warum sollte ich mir die Mühe machen?«

»Weil ich wirklich hart für Sie arbeiten würde. Und weil ich Ihnen intelligente, tüchtige Frauen vorstellen möchte, die Sie nicht langweilen werden, sobald der Reiz des Neuen verflogen ist.«

Erstaunt starrte er sie an. »So gut kennen Sie mich?«

»Mr. Champion …« Das konnte unmöglich sein richtiger Name sein, oder? »Offenbar sind Sie es gewöhnt, mit schönen Frauen auszugehen, und darunter waren sicher oft genug solche, die Sie hätten heiraten können. Trotzdem sind Sie immer noch Single. Aus dieser Tatsache schließe ich, dass Sie ein facettenreicheres Glück als nur eine oberflächliche Schönheit suchen.«

»Glauben Sie, dazu wird mir Portia Powers nicht verhelfen?«

Annabelle wollte nicht über die Konkurrenz lästern, wenn sie auch voraussah, dass Portia Powers ihm ausschließlich Models und Schickeria-Mädchen präsentieren würde. »Ich weiß nur, was Perfekt for You zu bieten hat, und das wird Ihnen ganz sicher gefallen.«

»Nicht einmal für Besprechungen mit Power Matches finde ich Zeit. Warum sollte ich mir noch eine Agentur aufhalsen?« Der Python hievte sich aus seinem Sessel hoch. Da er sehr groß war, dauerte es eine Weile.

Seine breiten Schultern hatte sie schon bemerkt. Jetzt sah sie den ganzen Rest seines athletischen Körpers. Falls man Männer, die in Testosteron schwammen, und gefährlichen Sex mochte, wäre er die Nummer eins im gespeicherten Telefonbuch. Nicht, dass Annabelle an ihr eigenes Sexleben dachte. Zumindest hatte sie sich nicht damit befasst, bevor er aufgestanden war.

Er ging um den Schreibtisch herum und reichte ihr seine Hand. »Netter Versuch, Annabelle. Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben.«

Also gab er ihr keine Chance. Von Anfang an hatte er nur geplant, der Form halber mit ihr zu reden, damit Molly Ruhe gab. Annabelle dachte an all die Energie, die sie in diesen Termin investiert hatte; an die zwanzig Dollar, die sie zahlen musste, um Sherman aus der Parkgarage auszulösen; an die mühselig gesammelten Infos über das supertüchtige vierunddreißigjährige Landei, das jetzt vor ihr stand. Und sie dachte an ihre Hoffnungen, ihre Träume von ihrer einzigartigen, erfolggekrönten Agentur. In ihrem Innern eskalierte jahrelanger Frust wegen lausiger Entscheidungen, Pechsträhnen und verpasster Gelegenheiten.

Wütend ignorierte sie seine Hand und sprang auf. »Wissen Sie noch, wie Sie sich als Underdog gefühlt haben, Mr. Champion? Oder ist es schon zu lange her? Erinnern Sie sich an die Zeiten, als Sie so versessen auf einen Deal waren, dass Sie alles dafür getan hätten? Wie Sie durchs ganze Land gefahren sind, ohne zu schlafen, nur weil Sie einen Heisman-Kandidaten zum Frühstück treffen wollten – einen Jungen, der zum besten College-Footballer des Landes ernannt werden sollte? Stundenlang haben Sie auf dem Parkplatz beim Bears-Trainingsgelände herumgestanden und versucht, die Aufmerksamkeit eines Profis zu gewinnen. Und einmal mussten Sie sich mit hohem Fieber aus dem Bett schleppen, weil Sie unbedingt die Kaution für den Klienten einer anderen Agentur zahlen wollten, der im Knast saß.«

»Wie ich sehe, haben Sie Ihre Hausaufgaben gemacht.« Ungeduldig beobachtete er die blinkenden Telefonlämpchen.

Aber er warf Annabelle nicht raus, und so setzte sie ihre Tirade fort. »Als Sie ein Neuling in der Branche waren, hätte Sie ein Spieler wie Kevin Tucker nicht mit dem Hintern angeguckt. Erinnern Sie sich, was damals in Ihnen vorging? Wenn kein einziger Reporter bei Ihnen anrief, um nach den Quoten zu fragen? Denken Sie nie mehr an die Zeiten, als sämtliche Leute von der National Football League Sie noch nicht beim Vornamen nannten?«

»Falls ich sage, ich erinnere mich dran – werden Sie dann gehen?« Der Python griff nach den Kopfhörern neben der Telefonkonsole.

Die Hände geballt, wünschte sie inbrünstig, sie würde einen leidenschaftlichen Eindruck erwecken, keinen verrückten. »Alles, was ich will, ist eine Chance. So wie Sie damals eine fantastische Möglichkeit bekamen! Als Kevin seinen früheren Agenten feuerte und auf einen wortgewandten Sportfreak baute, der’s aus einem Provinznest im südlichen Illinois bis zur juristischen Fakultät von Harvard gebracht hatte!«

Er ging wieder um den Schreibtisch herum, setzte sich und zog eine dunkle Braue hoch.

»Ein Kid aus der Arbeiterklasse, das im College für sein Stipendium Football spielte und sich auf sein Hirn verließ, um voranzukommen. Ein Junge, der nichts vorzuweisen hatte außer großen Träumen und einer enormen Arbeitsmoral, der …«

»Hören Sie auf, bevor ich in Tränen ausbreche«, unterbrach er sie trocken.

»Geben Sie mir eine Chance. Lassen Sie mich ein Date vermitteln. Nur ein einziges. Wenn Ihnen die Frau nicht gefällt, die ich für Sie aussuche, werde ich Sie nie wieder belästigen. Bitte! Alles würde ich tun.«

Damit hatte sie offenbar sein Interesse geweckt. Er legte die Kopfhörer beiseite, lehnte sich in seinem Sessel zurück und strich mit einem Daumen über seinen Mundwinkel. »Alles?«

Tapfer hielt sie seinem abschätzenden Blick stand. »Was immer nötig ist.«

Erst taxierte er ihr zerzaustes rotes Haar, dann ihre Lippen, die Brüste. »Nun – mir hat’s schon lange keine Frau mehr so richtig besorgt.«

Ihre verkrampften Halsmuskeln entspannten sich. Okay, der Python spielte mit ihr. »Warum tun wir nicht was dagegen, erst mal ganz unverbindlich?« Sie öffnete ihren kunstledernen Shopper und nahm die Mappe mit dem Material heraus, das sie an diesem Morgen bis um fünf Uhr zusammengestellt hatte. »Hier finden Sie genauere Informationen über Perfect for You. Ich habe Angaben über unsere Firmenphilosophie, das Programm und die finanziellen Bedingungen beigelegt.«

Nachdem er sich seinen Spaß mit ihr erlaubt hatte, schlug er einen geschäftsmäßigen Ton an. »Für Philosophien interessiere ich mich nicht, nur für Ergebnisse.«

»Die werden Sie von mir kriegen.«

»Mal sehen.«

Zitternd schöpfte sie Atem. »Heißt das …«

Heath Champion ergriff wieder die Kopfhörer, legte sie um seinen Hals und ließ das Kabel wie den Schwanz einer Schlange vor seinem Hemd baumeln. »Also gut, ich gebe Ihnen eine Chance. Eine einzige. Morgen Abend. Überwältigen Sie mich mit Ihrer besten Kandidatin.«

»Wirklich?« Ihre Knie wurden weich. »Ja? Oh, wundervoll … Aber ich muss ganz genau wissen, wonach Sie suchen.«

»Beweisen Sie mir Ihre Kompetenz«, erwiderte er und schaltete die Kopfhörer ein. »Neun Uhr abends im Sienna’s an der Clark Street. Machen Sie mich mit der Lady bekannt. Danach dürfen Sie nicht verschwinden. Bleiben Sie am Tisch sitzen, kümmern Sie sich um die Konversation. Ich arbeite hart genug. Mit so was will ich mich nicht auch noch belasten.«

»Ich soll dabei sein?«

»Exakt zwanzig Minuten, und dann verschwinden Sie und Ihre Kandidatin wieder.«

»Zwanzig Minuten? Meinen Sie nicht, sie wird das ein bisschen – entwürdigend finden?«

»Wenn sie die Richtige ist, sicher nicht.« Der Python schenkte ihr sein rustikales Lächeln. »Wissen Sie, warum nicht, Miss Granger? Weil die Richtige so verdammt nett und sanftmütig ist, dass sie niemals beleidigt ist. Und jetzt raus mit Ihnen, bevor ich’s mir anders überlege.«

Ohne ein weiteres Wort floh sie aus dem Büro.

Als sie die Toilette von McDonald’s betrat, hatte sie zu zittern aufgehört. Sie vertauschte ihr derangiertes Outfit mit einer Caprihose, einem Tanktop und bequemen Sandalen. Nach den Erfahrungen, die sie soeben gesammelt hatte, sah sie ihre lebenslange Schlangenphobie bestätigt. Natürlich würden die meisten Frauen Heath Champion mit ganz anderen Augen betrachten. Er schwamm im Geld, war erfolgreich, irre attraktiv und deshalb ein Traummann – vorausgesetzt, er erschreckte die Frauen, die mit ihm ausgingen, nicht zu Tode. Und in diesem Punkt hegte sie gewisse Bedenken. Nun musste sie eben einfach die Richtige aufspüren.

Sie bändigte ihre wirren Locken mit zwei Spangen, damit ihr Gesicht frei blieb. Früher hatte sie ihr Haar kurz getragen, um es besser kontrollieren zu können. Aber mit diesem Krauskopf hatte sie wie ein Collegegirl im ersten Studienjahr ausgesehen, nicht wie eine seriöse, berufstätige Frau. Deshalb biss sie in den sauren Apfel und ließ ihre Haare wachsen. Nicht zum ersten Mal wünschte sie sich, sie hätte fünfhundert Dollar für eine professionelle Glättung ihrer widerspenstigen Locken übrig. Aber sie konnte nicht einmal ihre Stromrechnung bezahlen.

Seufzend verstaute sie Nanas Perlenohrringe in einer leeren Altoids-Dose. Dann nahm sie einen Schluck lauwarmes Wasser aus einer der Flaschen, die sie unter Shermans Rücksitz verstaut hatte. Ihr Auto war immer gut bestückt: Snacks und Wasserflaschen; Kleider zum Wechseln; Tampons und Kosmetika; die neuen Perfect-for-You-Broschüren und Visitenkarten; Sachen fürs Fitnesstraining, falls sie Lust dazu hatte, was selten vorkam; und seit Kurzem eine Packung Kondome, sollte einer ihrer neuen Klienten plötzlich verzweifelte Gelüste entwickeln. Allerdings traute sie weder Ernie Marks noch John Nager so impulsive Annäherungsversuche zu. Ernie, ein Grundschuldirektor, konnte gut mit Kindern umgehen, verlor aber die Nerven, sobald er es mit erwachsenen Frauen zu tun bekam. Und der hypochondrische John würde Sex nur ertragen, wenn sich seine Partnerin vorher in der Mayo-Klinik checken ließ.

Eins stand jedenfalls fest. Niemals würde sie Heath Champion ein Kondom aus ihrem Vorrat für Notfälle geben müssen. Verärgert über sich selbst, rümpfte sie die Nase. Höchste Zeit, ihre Antipathie zu überwinden … Mochte er auch anmaßend und autoritär sein, von seinem übermäßigen Reichtum und Erfolg ganz zu schweigen – was machte das schon aus? Er war der Schlüssel zu ihrer Karriere. Wenn Perfect for You Fuß fassen sollte, musste sie eine passende Ehefrau für den Python aus dem Hut zaubern. Sobald sie das schaffte, würde es sich herumsprechen und ihre Agentur zur angesagtesten Heiratsvermittlung von Chicago avancieren. Was sie derzeit nicht war, denn Annabelle hatte nicht nur die Firma ihrer Großmutter geerbt, sondern auch deren restliche Kunden … Obwohl sie ihr Bestes tat, um Nanas Andenken zu ehren, musste sie endlich vorwärtskommen.

Während sie ihre Hände einseifte, versuchte sie, ihren aktuellen geschäftlichen Standort zu bestimmen. In verwirrender Vielfalt schossen Heiratsvermittlungen aus dem Boden. Der Aufstieg des billigen Online-Datings zwang viele Firmen, die wie ihre eigene von Büros aus operierten, zur Aufgabe. Andere rackerten sich ab, um irgendwo eine Nische zu finden. Sie boten Speeddating, Dates zum Lunch und Abenteuer-Trips an. Oder sie arrangierten Dinnerpartys für Singles, Absolventen renommierter Universitäten und Mitglieder bestimmter Sekten. Ein paar vom Schicksal verwöhnte Agenturen wie Power Matches reüssierten mit »Millionär-Services«, akzeptierten nur männliche Kunden und stellten ihnen gegen ein horrendes Honorar bildschöne Frauen vor.

Von solchen Unternehmen sollte sich Perfect for You abgrenzen. Annabelle wollte eine Vermittlung für elitäre Chicagoer Singles leiten, männliche und weibliche, die ernsthafte Beziehungen anstrebten und glaubten, ein altmodischer individueller Service wäre immer noch die beste Methode, dieses Ziel zu erreichen. Ein paar Klienten hatte sie schon, darunter Ernie und John, aber es waren zu wenige, um profitabel zu arbeiten. Und solange ihre Qualifikation nicht erwiesen war, konnte sie keine höheren Honorare verlangen. Das wäre erst möglich, wenn sie die »Richtige« für Heath Champion auftrieb und das Interesse zahlungskräftiger Prominenz weckte. Aber – warum war es ihm misslungen, selber eine Ehefrau zu finden?

Darüber würde sie später nachdenken. Jetzt musste sie an die Arbeit gehen. Diesen Nachmittag hatte sie wie üblich im Loop verbringen wollen, um durch die Cafés zu bummeln – den idealen Tummelplatz einer potenziellen Klientel oder passender Partner beziehungsweise Partnerinnen für ihre bereits vorhandene Kundschaft. Doch nun musste sie möglichst schnell eine Kandidatin aufstöbern, die den Python vom Hocker hauen würde.

Während sie über den Parkplatz zu ihrem Auto ging, flimmerte die Hitze über dem Asphalt. Die Luft roch nach Bratfett und allgemeiner Erschöpfung. Schon jetzt, Anfang Juni, hatte Chicago seinen ersten »Ozone Action Day« proklamiert.

Kurz entschlossen warf sie das hoffnungslos zerknitterte und verschmutzte gelbe Kostüm in eine Mülltonne, damit sie es nie mehr anschauen musste. Als sie in den stickig heißen Sherman kletterte, klingelte ihr Handy. »Annabelle«, meldete sie sich.

»Hallo, Annabelle, ich habe wunderbare Neuigkeiten.«

Frustriert legte sie ihre Stirn ans Lenkrad. Ausgerechnet jetzt, da sie gedacht hatte, das schlimmste Erlebnis dieses Tages läge bereits hinter ihr … »Hi, Mom.«

»Vor einer Stunde hat dein Vater mit Doug telefoniert. Dein Bruder wurde offiziell zum Vizepräsidenten ernannt. Heute Morgen haben sie’s bekannt gegeben.«

»O Gott, das ist ja großartig!« Annabelle verströmte ekstatische Begeisterung, quoll geradezu über vor heller Freude und Entzücken.

Die übersinnliche Wahrnehmung ihrer Mutter registrierte ihr ironisches Getue. »Natürlich ist das großartig!«, fauchte sie. »Also wirklich, Annabelle – keine Ahnung, warum du so missgünstig bist. Um dieses Ziel zu erreichen, hat Doug hart genug gearbeitet. Nichts wurde ihm geschenkt.«

Abgesehen von Eltern, die ihn vergöttert hatten, einer erstklassigen Collegeausbildung und einem großzügigen Scheck nach dem Studienabschluss, damit er erst einmal über die Runden gekommen war …

Genau das Gleiche, was Annabelle auch bekommen hatte.

»Erst fünfunddreißig«, fuhr Kate Granger fort, »und schon Vizepräsident einer der bedeutendsten Buchhaltungsfirmen in Südkalifornien.«

»Ja, er ist erstaunlich.« Annabelle hob ihre Stirn vom glühend heißen Lenkrad, bevor sie mit dem Kainsmal gebrandmarkt wurde.

»Am Wochenende gibt Candace eine Pool-Party, um Dougs Beförderung zu feiern. Dazu wird Johnny Depp erwartet.«

Irgendwie konnte sich Annabelle Johnny Depp nicht auf einer Pool-Party ihrer Schwägerin vorstellen. Doch sie war nicht dumm genug, um ihre Skepsis zu bekunden. »Wow! Wie eindrucksvoll!«

»Nun versucht sie, sich zwischen einer South-Pacific- und einer Western-Dekoration zu entscheiden.«

»Da sie eine ausgezeichnete Gastgeberin ist, würde sie beides mit Bravour meistern.«

Wieder einmal triumphierten Kate Grangers Fähigkeiten, hinter ihre Stirn blicken zu können. »Bitte, Annabelle, bemüh dich doch, deine Abneigung gegen Candace zu überwinden. Nichts ist so wichtig wie eine Familie. Und Doug betet sie an. So wie wir alle. Sie ist ja auch eine fabelhafte Mutter.«

Unter Annabelles Haaransatz bildeten sich Schweißperlen. »Wie kommt Jamison mit seinem Töpfchen-Training voran?« Nicht Jimmy, Jamie, Jim oder sonst was. Einfach Jamison.

»Oh, er ist so klug. Es ist nur noch eine Frage der Zeit. Wie ich gestehen muss, hatte ich anfangs meine Zweifel an diesen erzieherischen CDs. Aber er hat einen verblüffenden Wortschatz für seine drei Jahre!«

»Sagt er immer noch Arschloch?«

»Also wirklich, Annabelle, das ist nicht komisch.«

In früheren Zeiten hatte Mom ein bisschen Humor besessen, damals wäre es komisch gewesen. Aber jetzt, mit zweiundsechzig, kam sie nicht allzu gut mit ihrem Ruhestand zurecht. Obwohl Annabelles Eltern ein spektakuläres Haus am Strand von Naples, Florida, gekauft hatten, sehnte sich Kate nach St. Louis zurück. Rastlos und gelangweilt investierte sie die ganze Energie, die früher einer phänomenalen Bankerkarriere gegolten hatte, in ihre drei erwachsenen Kinder. Vor allem in Annabelle, ihren einzigen Fehlschlag.

»Wie gehts Dad?«, fragte Annabelle und hoffte, das Unvermeidliche hinauszuzögern.

»Was glaubst du denn? Vormittags spielt er achtzehn Löcher, den ganzen Nachmittag sieht er den Golf-Channel. Seit Monaten schlägt er keine einzige medizinische Fachzeitschrift auf. Eigentlich sollte man meinen, nach einer vierzigjährigen Tätigkeit als Chirurg wäre er ein bisschen neugierig. Aber für Medizin interessiert er sich nur, wenn er mit deinem Bruder redet.«

Damit begann das zweite Kapitel der außergewöhnlichen Saga, die sich um die Granger-Wunderzwillinge drehte. Dieses bewegende Kapitel handelte von Dr. Adam Granger, dem prominenten Herzchirurgen aus St. Louis. Annabelle griff nach ihrer Wasserflasche und wünschte, sie hätte sie in weiser Voraussicht mit beruhigendem Pfirsichwodka gefüllt. »Hör mal, Mom, hier ist der Verkehr wahnsinnig dicht, und ich fürchte, ich muss mein Handy abschalten.«

»So stolz ist dein Vater auf Adam. Der Junge hat soeben einen weiteren Artikel über thorakale und kardiovaskuläre Chirurgie veröffentlicht. Gestern haben wir die Andersons bei der karibischen Nacht im Club getroffen. Da musste ich deinem Vater unter dem Tisch gegen das Schienbein treten, damit er endlich mit seiner Schwärmerei aufhörte. Die Kinder der Andersons sind ja so eine schreckliche Enttäuschung.«

Wie Annabelle.

Jetzt holte ihre Mutter zum Todesstoß aus. »Hast du das Anmeldeformular für die Berufsschule bekommen?«

Da sie dieses Formular mit dem Kurierdienst FedEx abgeschickt und die Ankunft zweifellos auf ihrem Computer gecheckt hatte, war die Frage rhetorischer Natur. In Annabelles Kopf begann es zu dröhnen. »Mutter …«

»So darfst du dich nicht länger treiben lassen – da ein Job, dort eine Beziehung. Diesen schrecklichen Reinfall mit Rob will ich gar nicht erwähnen. Hätten wir dir bloß das Studiengeld gestrichen, als du so versessen auf das Hauptfach Theaterwissenschaft warst! Was für grandiose berufliche Aussichten hast du dir damit eröffnet! Nun bist du einunddreißig, aber du bist eine Granger. Du hättest schon längst was aus dir und deinem Leben machen müssen.«

Annabelle wollte sich nicht provozieren lassen. Aber zuerst Mouse und Heath Champion, dann die Erwähnung Robs und die Angst, ihre Mutter könnte recht haben – das alles war zu viel, und so verlor sie die Beherrschung. »Um in der Granger-Familie was zu gelten, gibts nur zwei Möglichkeiten, nicht wahr? Medizin oder Finanzen.«

»Fang nicht schon wieder damit an. Was ich meine, weißt du sehr gut. Die grässliche Heiratsvermittlung hat jahrelang keinen Profit abgeworfen. Diese Agentur hat Mutter nur gegründet, um sich in das Leben anderer Leute einzumischen. Du wirst nicht jünger, Annabelle. Und ich sehe nicht tatenlos zu, wie du noch mehr von deinem Leben vergeudest, statt wieder zu studieren und dich auf die Zukunft vorzubereiten.«

»Das will ich nicht …«

»In Mathematik warst du immer gut. Sicher wärst du eine ausgezeichnete Buchhalterin. Und wie ich bereits sagte – wir bezahlen dir das Studium.«

»Nein, ich möchte keine Buchhalterin werden! Und ich brauche die Unterstützung meiner Eltern nicht.«

»Dass du in Nanas Haus wohnst, zählt also nichts?«

Das war der K.-o.-Schlag, und Annabelles Wangen glühten. Ihre Mutter hatte Nanas Wicker-Park-Haus geerbt. Vorgeblich wohnte Annabelle darin, um »Vandalen fernzuhalten«, doch in Wirklichkeit, weil Kate ihre Tochter nicht »in gefährlichen Slums« wissen wollte.

»Okay!«, fauchte Annabelle. »Soll ich ausziehen?« Um Himmels willen, jetzt führte sie sich wie eine Fünfzehnjährige auf. Warum ließ sie sich immer wieder von ihrer Mutter herausfordern?

Bevor sie einen Rückzieher machen konnte, begann Kate im gleichen übertrieben geduldigen, mütterlichen Ton zu sprechen wie damals, als die achtjährige Annabelle gedroht hatte, sie würde von zu Hause weglaufen, wenn ihre Brüder nicht aufhören würden, sie »Kartoffel« zu nennen. »Ich will doch nur, dass du Buchführung lernst. Sicher wird dir Doug einen Job verschaffen.«

»Nein, ich will keine Buchhalterin werden!«

»Und was hast du vor, Annabelle? Verrat es mir doch. Glaubst du, es macht mir Spaß, dauernd an dir rumzunörgeln? Wenn du mir nur ein einziges Mal erklären würdest …«

»Ich möchte mein eigenes Geschäft führen.« Annabelles Stimme klang sogar in ihren eigenen Ohren weinerlich.

»Das hast du versucht, erinnerst du dich? Dieser Geschenkartikelladen. Und dann die grauenvolle Dotcom-Firma. Davor haben Doug und ich dich gewarnt. Schließlich diese schäbige Stellenvermittlung! Nirgendwo hast du es ausgehalten.«

»Jetzt bist du unfair, die Stellenvermittlung ist pleitegegangen.«

»Ebenso der Geschenkartikelladen und die Dotcom-Firma. Meinst du, es ist reiner Zufall, dass jeder Betrieb bankrottgeht, für den du arbeitest? Das passiert nur, weil du dich in Tagträumen vergräbst, statt der Realität ins Auge zu blicken. Genauso wie die Illusion von deiner schauspielerischen Karriere.«

Annabelle sank noch tiefer in den Fahrersitz. Eine Zeit lang war sie eine gute Schauspielerin gewesen, hatte Nebenrollen in Collegeaufführungen übernommen und sogar Regie geführt. Doch nach dem zweiten Studienjahr hatte sie gemerkt, dass ihre Leidenschaft nicht dem Theater gehörte. Es war nur eine Flucht in eine Welt gewesen, wo sie nicht Doug und Adam Grangers stümperhafte kleine Schwester sein musste.

»Bedenk auch, was mit Rob passiert ist!«, fuhr Kate fort. »Das war doch wirklich das Allerletzte … Schon gut, lassen wir das. Worauf es ankommt – du glaubst tatsächlich an diesen New-Age-Unsinn, man müsste sich irgendwas nur inbrünstig wünschen und bekäme es dann. Aber so funktioniert das Leben nicht. Wunschträume genügen nicht. Nur pragmatische Menschen sind erfolgreich, weil sie Pläne schmieden, die auf der Realität beruhen.«

»Ich will keine Buchhalterin werden!«, schrie Annabelle jetzt.

Diesem Gefühlsausbruch folgte ein langes, missbilligendes Schweigen. Sie wusste genau, was ihre Mutter jetzt dachte. Dass Annabelle wieder einmal Annabelle war – hypernervös, übertrieben dramatisch, untauglich, das schwarze Schaf der Familie.

Nichts auf dieser Welt konnte sie so sehr aufregen wie ihre Mutter. Außer ihrem Vater. Und ihren Brüdern.

»Hör endlich auf, deine Zeit zu vertrödeln und an deinem Leben herumzupfuschen«, lautete ein Satz aus der letzten E-Mail von Adam, dem phänomenalen Superdoktor, wobei er natürlich gewissenhaft die restlichen Familienmitglieder sowie zwei Tanten und drei Vettern ins CC gesetzt hatte.

»Jetzt bist du einunddreißig«, hatte ihr Doug, der phänomenale Superbuchhalter, zum letzten Geburtstag geschrieben. »Mit einunddreißig habe ich zweihundert Riesen im Jahr verdient.«

Ihr Vater, der phänomenale Ex-Superchirurg, ging die Sache etwas anders an. »Gestern habe ich bei der Nummer vier einen Schlag unter Par gespielt. Ja, allmählich kann ich ganz gut einlochen. Übrigens, Annabelle – inzwischen müsstest du zu dir selbst gefunden haben.«

Nur Nana Myrna hatte ihr beigestanden. »Wenn es an der Zeit ist, wirst du zu dir selbst finden, Schätzchen.«

Wie schmerzlich Annabelle ihre Großmutter vermisste, die ebenfalls ein schwarzes Schaf gewesen war …

»Heutzutage boomt die Buchhaltungsbranche«, fügte Kate Granger hinzu. »Sie wächst geradezu sprunghaft.«

»Genauso wie mein Geschäft«, konterte Annabelle in einem Anfall wahnwitziger Selbstzerstörung. »Heute habe ich einen sehr wichtigen Klienten an Land gezogen.«

»Wen?«

»Natürlich darf ich seinen Namen nicht verraten, das weißt du.«

»Ist er unter siebzig?«

Annabelle ermahnte sich, nicht auf den Köder hereinzufallen. Aber sie war nicht umsonst zur unangefochtenen Familienkatastrophe gekürt worden. »Er ist vierunddreißig. Ein Multimillionär. Ganz vorn im Rampenlicht.«

»Warum um alles in der Welt hat er dich engagiert?«

»Weil ich die Beste bin!«, stieß Annabelle zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Deshalb!«

»Nun, warten wir’s ab.« Kates Stimme nahm einen sanften Klang an, und die Spitze des mütterlichen Messers bohrte sich mitten in die Wunde. »Natürlich merke ich, wie sehr ich dich ärgere, Baby. Aber nur, weil ich dich liebe, ich wünsche mir so sehr, du würdest dein Potenzial endlich nutzen.«

»Das weiß ich«, meinte Annabelle und seufzte. »Ich liebe dich auch.«

Schließlich fand das Gespräch ein Ende. Annabelle verstaute ihr Handy in der Tasche, schlug die Autotür zu und rammte den Zündschlüssel ins Schloss. Vielleicht wären die Worte ihrer Mutter weniger schmerzlich gewesen, wenn sie nicht den Nagel auf den Kopf getroffen hätten.

Während sie im Rückwärtsgang aus der Parklücke fuhr, starrte sie in den Rückspiegel und murmelte das Lieblingswort des kleinen Jamison vor sich hin. Zweimal.

2

Wie ein angeberischer Filmstar betrat Dean Robillard den Club. Er hatte einen Sportmantel aus Leinen um die Schultern drapiert, glitzernde Diamanten steckten in den Ohrläppchen. Eine Oakley-Brille schützte die malibublauen Augen. Mit seinem bronzenen Teint, dem markigen Dreitagebart und den glänzenden, kunstvoll gegelten blonden Surfer-Haaren war er L.A.s Geschenk an die City von Chicago. Dankbar für die Ablenkung grinste Heath. Der Junge hatte Stil. In der Windy City wurde er schmerzlich vermisst.

»Kennst du Dean?« Die Blondine, die sich an Heath’ rechten Arm drückte, beobachtete hingerissen, wie Robillard die Menschenmenge mit einem Lächeln faszinierte, das nach einem roten Teppich schrie. Um die fetzige Discomusik im Waterworks zu übertönen, wo die Privatparty stattfand, musste sie fast schreien. Auch wenn die Sox in Cleveland spielten und die Bulls noch nicht heimgekehrt waren, hatten sich doch die anderen Mannschaften aus der Stadt in geballter Formation eingefunden, hauptsächlich Spieler von den Stars und den Bears, ebenso die Außenfeldspieler von den Cubs, einige Blackhawks und ein Torwart von Chicago Fire. Dazu kamen mehrere Schauspieler, ein Rockstar und dutzendweise Frauen, eine schöner als die andere, die sexy Beute der Reichen und Schönen.

»Klar kennt er Dean.« Die Brünette an seiner anderen Seite warf der Blondine einen herablassenden Blick zu. »In dieser Stadt kennt Heath jeden Footballspieler. Nicht wahr, Schätzchen?« Verstohlen schob sie eine Hand zur Innenseite seines Schenkels. Aber er ignorierte seinen Ständer, wie immer, seit er für die eheliche Treue trainierte.

Dieses Training war die reine Hölle.

Er erinnerte sich, wie er seine jetzige Position erreicht hatte – indem er planmäßig vorgegangen war. Mit dem nächsten Schritt strebte er das Ziel an, vor seinem fünfunddreißigsten Geburtstag zu heiraten. Seine Frau sollte das ultimative Symbol seiner Leistungen darstellen und endgültig beweisen, dass er den Beau-Vista-Wohnwagenpark für immer verlassen hatte.

»Ja, ich kenne ihn«, bestätigte er und verschwieg, wie gern er ihn etwas besser kennen würde.

Während Robillard den Raum durchquerte, teilte sich die Menge und machte dem ehemaligen Southern-Cal-Spieler Platz. Derzeit wurde er von den Stars umworben, die einen erstklassigen offensiven Rückraumspieler brauchten, weil Kevin Tucker am Ende der nächsten Saison seine Spikes an den Nagel hängen wollte. Um Dean Robillards Herkunft rankten sich dunkle Geschichten, und der Quarterback gab typischerweise nur vage Antworten, wenn ihn irgendjemand auszuhorchen versuchte. Auch Heath hatte einige Nachforschungen angestellt und interessante Gerüchte ausgegraben, die er aber für sich behielt. Sogar die Zagorski-Brüder, die am anderen Ende der Bar zwei Brünette anbaggerten, merkten schließlich, dass etwas vorging, und reckten die Hälse. Innerhalb weniger Sekunden stolperten sie über ihre vier Prada-Halbschuhe auf Dean zu, um sich bei ihm einzuschmeicheln.

Heath nahm noch einen Schluck Bier und ließ die beiden gewähren, er war kein bisschen erstaunt über das Interesse der Zagorskis an Robillard. Vor fünf Tagen hatte der Agent des Quarterbacks bei einer Bergtour einen tödlichen Unfall erlitten. Im Moment wurde Dean von niemandem gemanagt – ein Zustand, den die Zagorski-Brüder und alle anderen Agenten in den Staaten zu ändern hofften. Die Zagorskis betrieben die »Z-Group«, die einzige Sportmanagement-Firma in Chicago, die Heath’ Agentur Konkurrenz machte. Diese beiden Typen hasste er abgrundtief, vor allem wegen ihrer mangelnden moralischen Grundsätze, aber nicht zuletzt auch deshalb, weil sie ihm vor fünf Jahren einen Spieler aus der Stammelf für die erste Runde weggeschnappt hatten. Auf den wäre er damals angewiesen gewesen. Um sich zu rächen, hatte er ihnen Rocco Jefferson ausgespannt, was ihm nicht allzu schwer gefallen war. Die Zagorskis versprachen ihren Klienten das Blaue vom Himmel herunter, hielten aber nur selten ihr Wort.

Was seinen Beruf betraf, gab er sich keinen Illusionen hin. Während der letzten zehn Jahre war das Sportmanagement korrupter geworden als die Manipulationen rings um einen Hahnenkampf. In vielen Staaten glich die Lizenzvergabe einem schlechten Witz. Jeder miese kleine Schwindler konnte Visitenkarten drucken und sich Sportagent nennen. Dann fielen leichtgläubige Collegeathleten auf ihn herein, besonders die Jungs, die in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen waren. Solche Drecksäcke schoben den Kids Geld unterm Tisch zu, köderten sie mit Autos und teurem Schmuck, setzten Callgirls auf sie an und zahlten jedem, der ihnen die Unterschrift eines renommierten Sportlers verschaffte, eine »Belohnung«. Mittlerweile hatten mehrere seriöse Agenten das Handtuch geworfen, weil sie glaubten, sie wären nicht wettbewerbsfähig, wenn sie ehrlich blieben. Aber Heath ließ sich nicht ausbooten. Trotz der anrüchigen Aura, die wie eine düstere Wolke über der Branche hing, liebte er seinen Job. Wenn er einen neuen Klienten unter Vertrag nahm, genoss er immer noch diesen unvergleichlichen Adrenalinstoß. Es gefiel ihm herauszufinden, wie weit er innerhalb der Regeln gehen durfte. Das konnte er am besten – die Gesetze zu seinen Gunsten auslegen, ohne sie zu verletzen. Er würde niemals einen Klienten betrügen.

Er beobachtete, wie Robillard den Kopf senkte, um dem Gefasel der Zagorskis zu lauschen. Deshalb sorgte sich Heath nicht. Mochte Robillard auch ein Glamourboy aus L.A. sein – dumm war er nicht. Er wusste, dass es alle Agenten dieses Landes auf ihn abgesehen hatten. Heute Abend würde er sich noch nicht entscheiden.

Nun steuerte ein Sexkätzchen, mit dem Heath während seiner Collegezeiten im Footballtrainingslager ein paarmal geschlafen hatte, auf ihn zu und ließ die Haare flattern. Unter dem hautengen Top zeichneten sich die harten Brustwarzen wie überreife Kirschen ab. »Ich führe gerade eine Meinungsumfrage durch. Falls du in deinem restlichen Leben nur mehr auf eine einzige Art und Weise Sex machen dürftest – welche wäre es? Nach dem bisherigen Ergebnis steht’s drei zu eins für Oralsex.«

»Und wenn ich einfach nur die heterosexuelle Spielart vorziehe?«

Alle drei Frauen lachten schallend, als hätten sie noch nie etwas so Komisches gehört. Okay, dann war er eben der King aller Stand-up-Comedians.

Allmählich wurde die Atmosphäre hitziger. Auf der Tanzfläche rannten einige Mädchen durch die Fontänen, die dem Waterworks seinen Namen gaben. Die Kleider schmiegten sich an die Körper und betonten alle Kurven und Vertiefungen. Bei seiner Ankunft in der City hatte Heath die Club-Szene geliebt, die Musik und die Drinks, die schönen Frauen, den freizügigen Sex. Aber seit er dreißig geworden war, fühlte er sich übersättigt. Obwohl ihn diese Welt inzwischen abstieß, musste er sich mittendrin herumtreiben, weil das ein wichtiger Teil seiner Geschäfte war; er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal zu einem christlichen Zeitpunkt allein im Bett gelegen hatte.

»Heath, alter Knabe!«

Lächelnd schaute er Sean Palmer entgegen. Der Chicago-Bears-Neuling war ein attraktiver Junge, hoch gewachsen und muskulös, mit kantigem Kinn und spitzbübischen braunen Augen. Freundschaftlich vollführten sie eine der zahlreichen komplizierten Praktiken des Händedrucks, die Heath im Lauf der Jahre eingeübt hatte und schon längst meisterhaft beherrschte.

»Wie gehts dem Python heute Abend?«, fragte Sean.

»Kein Grund zur Klage.« Um den Ohio-State-Außenverteidiger unter Vertrag zu nehmen, hatte Heath hartes Holz gebohrt. Als Sean letzten April die Bears im entscheidenden neunten Spiel zum Sieg geführt hatte, war das einer der perfekten Momente gewesen, für die sich die ganze Scheiße lohnte. Sean trainierte eifrig, entstammte einer wundervollen Familie, und Heath würde sein Bestes tun, damit der fabelhafte Fullback nicht in Schwierigkeiten geriet.

Mit einer knappen Geste bedeutete er den Frauen, dass er mit Sean unter vier Augen sprechen wollte. Nachdem sie verschwunden waren, schaute der Junge nur sekundenlang enttäuscht drein. Wie alle Leute im Club interessierte er sich hauptsächlich für Robillard. »Warum läufst du nicht rüber und küsst seinen mageren weißen Arsch, so wie alle anderen?«

»Weil ich nur in meiner Privatsphäre Ärsche küsse.«

»Robillard ist ziemlich gerissen. Diesmal wird er sich Zeit lassen, bis er einen neuen Agenten anheuert.«

»Kann ich ihm nicht verübeln. Immerhin hat er eine grandiose Zukunft vor sich.«

»Soll ich mich mit ihm unterhalten?«

»Klar.« Heath unterdrückte ein Grinsen. Auf die Empfehlung eines Grünschnabels würde Robillard pfeifen. Nur Kevin Tuckers Meinung würde ihn interessieren, und nicht einmal das stand fest. Dean vergötterte und hasste den Superstar abwechselnd – momentan Letzteres, weil Kevin die vergangene Saison ohne Blessuren überstanden hatte. Deshalb war Dean gezwungen worden, ein weiteres Jahr auf der Bank zu sitzen.

»Was höre ich über deinen Verzicht auf das schöne Geschlecht? Davon reden heute Abend alle Ladys. Die fühlen sich vernachlässigt, wenn du verstehst, was ich meine.«

Natürlich war es sinnlos, einem Zweiundzwanzigjährigen mit frisch gedruckten Dollarscheinen in jeder Tasche zu erklären, die Jagd nach solchen Abenteuern würde ihn mittlerweile anöden. »Ich war sehr beschäftigt.«

»Zu beschäftigt für Muschis?« Sean blinzelte so verdattert, dass Heath lachen musste.

Irgendwie hatte der Junge recht. Wohin Heath auch schaute – überall quollen pralle Brüste aus tiefen Dekolletés, winzige Röcke umspannten süße kleine Ärsche. Aber er wünschte sich mehr als Sex – den kostbarsten Preis: eine kultivierte, schöne, liebenswerte Ehefrau, mit dem Silberlöffel im Mund geboren. In den Stürmen seines Lebens sollte sie für Ruhe sorgen und ihm den Rücken freihalten, seine rauen Kanten abschleifen.

Diese Frau würde ihm das Gefühl geben, er hätte alle seine Träume verwirklicht – abgesehen von dem Wunsch, bei den Dallas Cowboys zu spielen. Belustigt erinnerte er sich an die Wunschfantasien seiner Kindheit. Die hatte er fallen lassen müssen, ebenso wie den Plan seiner Teenagerzeit, jede Nacht einen anderen Pornostar zu bumsen. Mit einem Footballstipendium war er auf die Universität von Illinois gegangen, und er hatte die ganzen vier Jahre im ersten Team gespielt. Aber schon vor dem Studienabschluss hatte er die Tatsache akzeptiert, dass er niemals gut genug wäre, um sich mit den Profis zu messen. Wie ihm schon damals klar geworden war, musste er sich einer Branche widmen, in der er die absolute Spitze erreichen könnte. Und so lenkte er seine Wunschträume in eine andere Richtung. Bei seiner Aufnahmeprüfung für die juristische Fakultät bekam er erstklassige Noten, und ein einflussreicher Absolvent der University of Illinois verschaffte ihm einen Studienplatz in Harvard. Heath hatte gelernt, sein Gehirn und seine Raffinesse zu nutzen, seine Fähigkeit, sich so zu geben, dass er überall hinpasste – in eine Mietskaserne, einen Umkleideraum für Footballspieler, aufs Deck einer Privatyacht.

Wenn er auch kein Geheimnis aus seinen ländlichen Wurzeln machte – wenn nötig, prahlte er sogar damit –, so zeigte er doch niemandem, wie viel Erde immer noch an seinen Sohlen klebte. Er trug die teuersten Klamotten, fuhr die schnittigsten Autos, wohnte in den vornehmsten Gegenden. Mit edlen Weinen kannte er sich aus, obwohl er sie nur selten trank. Genauso viel verstand er von den schönen Künsten, allerdings nur im akademischen Sinn, nicht im ästhetischen. Und er brauchte kein Lexikon, um ein Fischbesteck zu identifizieren.

»Was für Probleme du hast, weiß ich«, bemerkte Sean boshaft. »Hier laufen nur Hasen rum, die für Mr. Elite zu wenig Klasse haben. Ihr feinen Typen bevorzugt Frauen, die sich große Monogramme von Luxusmarken auf den Hintern tätowieren lassen.«

»Ja, damit sie mit dem großen, luxuriösen Harvard-H auf meinem Arsch harmonieren.«

Als Sean zu lachen anfing, kamen die Frauen zurück. Sie wollten wissen, was so komisch war. Vor ein paar Jahren hätte Heath ihre raubtierhafte Sinnlichkeit genossen. Schon in seiner frühen Jugend hatte er eine starke Anziehungskraft auf das weibliche Geschlecht ausgeübt. Mit dreizehn war er von einer Freundin seines Vaters verführt worden. Jetzt wusste er, dass es sexueller Missbrauch gewesen war. Aber das hatte er damals nicht verstanden. In kalter Panik, vor lauter Angst, sein Dad würde es herausfinden, hatte er sich übergeben – eine von vielen schmutzigen Episoden seiner Kindheit.

Die meisten dieser Erinnerungen hatte er bewältigt, und die restlichen würden erlöschen, sobald er die richtige Frau fand. Oder wenn sie ihm von Portia Powers präsentiert wurde. Im letzten Jahr war er selber auf die Suche gegangen und eines Besseren belehrt worden, denn seine Traumfrau mied die Clubs und Sportsbars, wo er seine sogenannte Freizeit verbrachte. Trotzdem wäre er niemals auf den Gedanken gekommen, eine Heiratsvermittlerin zu engagieren, hätte er nicht jenen hymnischen Artikel über Portia in einer Chicagoer Zeitschrift gelesen. Mit ihren eindrucksvollen Kontakten und ihrer fantastischen Erfolgsbilanz hatte sie genau das zu bieten, was er brauchte – und was Annabelle Granger nicht aufweisen konnte.

Kurz nach ein Uhr morgens tauchte Dean Robillard endlich an Heath’ Seite auf. Trotz der gedämpften Beleuchtung im Club trug der Junge immer noch seine Oakleys. Aber er hatte den Sportmantel abgelegt, und das ärmellose T-Shirt aus weißer Seide entblößte den Heiligen Gral aller Footballer – muskulöse breite Schultern, die Haut noch nicht von arthroskopischer Chirurgie verunstaltet. Eine Hüfte an den leeren Barhocker neben Heath gelehnt, streckte er ein Bein aus, um sein Gleichgewicht zu halten. Dabei lenkte er den Blick auf einen braunen Captoe-Lederstiefel. Dolce & Gabbana, hatte Heath eine der Frauen verkünden hören.

»Okay, Champion, jetzt sind Sie dran. Los, kriechen Sie mir in den Hintern.«

»Darf ich Ihnen mein Beileid aussprechen?« Heath stützte einen Ellbogen auf die Theke. »Welch ein schwerer Verlust … Zweifellos war McGruder ein ausgezeichneter Agent.«

»Der hat Sie wie die Pest gehasst.«

»So wie ich ihn. Trotzdem war er sehr tüchtig, allzu viele von unserer Sorte sind nicht mehr übrig.« Heath musterte den Quarterback etwas genauer. »Scheiße, Robillard, haben Sie Ihre Haare bleichen lassen?«

»Nur ein paar Strähnchen. Gefallen sie Ihnen?«

»Wenn Sie noch hübscher wären, würde ich Sie um ein Rendezvous bitten.«

Robillard grinste. »Da müssten Sie Schlange stehen.«

Natürlich wussten beide, dass es um etwas anderes ging.

»Okay, Champion, ich mag Sie«, fuhr der Athlet fort. »Ich will Ihnen nichts vormachen. Sie sind aus dem Rennen. Wenn ich mir einen Agenten aussuchen würde, der ganz oben auf Phoebe Calebows Scheißliste steht, hätte ich doch eine Schraube locker.«

»Auf dieser Liste stehe ich nur, weil Phoebe ein Miststück ist.« Was nicht ganz stimmte. Aber dieser Zeitpunkt eignete sich nicht für genauere Angaben über Heath’ komplizierte Beziehung zur Besitzerin der Chicago Stars. »Phoebe hat nun mal was dagegen, dass ich nicht vor ihr zu Kreuze krieche wie alle anderen. Fragen Sie doch Kevin, ob er irgendwelche Klagen hat.«

»Zufällig ist Kevin mit Phoebes Schwester verheiratet, was ich leider nicht bin. Also lässt sich seine Situation nicht mit meiner vergleichen. Offen gestanden, ich habe Mrs. Calebow schon auf die Palme gebracht, ohne das auch nur annähernd beabsichtigt zu haben. Wenn ich Sie mit ins Boot nehme, würde ich alles noch schlimmer machen.«

Wieder einmal stand Heath’ gestörte Beziehung zu Phoebe seinen Wünschen im Weg. Sosehr er sich auch um eine Versöhnung bemühte – seine früheren Fehler wurden unentwegt hochgespült und holten ihn ein. Den Stress, den das bewirkte, zeigte er nicht. Auch jetzt zuckte er lässig die Achseln. »Tun Sie, was Sie für richtig halten.«

»Ihr Typen seid alle Blutsauger«, fauchte Dean verbittert. »Zwei bis drei Prozent knöpft ihr uns ab. Und was tut ihr dafür? Ihr schiebt ein bisschen Papierkram hin und her. Ziemlich mieser Deal! Wie oft im Leben haben Sie eigentlich schon geschwitzt?«

»Sicher nicht so oft wie Sie, weil ich zu beschäftigt war, um meine A-Zensuren im Vertragsrecht einzuheimsen.« Robillard grinste, und Heath grinste zurück. »Damit wir uns richtig verstehen – wenn ich die ganz großen Werbeverträge für meine Klienten herausschlage, kriege ich viel mehr als drei Prozent.«

Der Quarterback verzog keine Miene. »Übrigens, die Zagorskis haben mir Nike garantiert. Können Sie das auch?«

»Was ich nicht in der Tasche habe, garantiere ich niemals«, erwiderte Heath und nippte an seinem Bier. »Ich bescheiße meine Klienten nicht – zumindest nicht, wenn’s um was Wichtiges geht. Außerdem pflege ich sie weder zu bestehlen noch zu belügen oder hinter ihrem Rücken schlecht über sie zu reden. In diesem Geschäft gibt’s keinen Agenten, der so hart arbeitet wie ich. Keinen einzigen. Das ist alles, was ich anzubieten habe.« Er glitt vom Barhocker und knallte einen Hundertdollarschein auf die Theke. »Falls Sie drüber reden wollen, wissen Sie, wo Sie mich finden.«

Als er nach Hause kam, ging er zur Kommode im Schlafzimmer und nahm die verschmierte Einladungskarte aus einem Schubfach. Die verwahrte er zur Erinnerung an den schmerzhaften, herzzerreißenden Moment auf, als er das Kuvert geöffnet hatte. Damals war er dreiundzwanzig gewesen.

Sie sind herzlich eingeladen zur

Hochzeit von

Julie Ames Shelton

und

Heath D. Campione

Zur Silberhochzeit von

Victoria und Douglas Pierce Shelton III

und

Zur goldenen Hochzeit von

Mildred und Douglas Pierce Shelton II

Valentinstag

18 Uhr

The Manor

East Hampton, New York

Die Organisatoren der Hochzeit hatten ihm die Einladung versehentlich geschickt, ohne zu ahnen, dass er der Bräutigam war. Das sprach Bände. Zum ersten Mal erkannte er, was diese Heirat bedeutete – sie war nur ein Rädchen im gut geölten Getriebe der Familie Shelton. Alles, was ihm ein Gefühl der Sicherheit gegeben hatte, löste sich in nichts auf. Natürlich war es zu schön gewesen, um wahr zu sein, dass Julie Shelton einen jungen Mann liebte, der Klärbehälter reinigte, um sein Jurastudium zu verdienen.

»Warum regst du dich so auf?«, fragte sie, als er sie zur Rede stellte. »Dieses Datum hat sich einfach ergeben. Eigentlich müsstest du dich freuen, weil wir unsere Traditionen fortsetzen. Meiner Familie bringt es Glück, am Valentinstag zu heiraten.«

»Das ist nicht irgendein Valentinstag«, wandte er ein. »Goldene und Silberne Hochzeit … Wo hättest du einen Bräutigam hergenommen, wenn ich nicht planmäßig auf der Bildfläche erschienen wäre?«

»Aber du bist nun mal da gewesen. Darin sehe ich kein Problem.«

Er flehte sie inständig an, das Datum zu ändern, doch sie weigerte sich.

»Wenn du mich liebst, solltest du dich nach meinen Wünschen richten.«

O ja, er liebte sie – während sie ihn nur aus praktischen Gründen zu schätzen wusste, was er nach mehreren schlaflosen Nächten erkannte.

Die Hochzeit am Valentinstag fand dennoch statt. Ein Freund sprang in die Bresche, den Julie seit ihrer frühen Jugend kannte. Um seinen Kummer zu verwinden, brauchte Heath ein paar Monate. Zwei Jahre später ließ sich das Paar scheiden und bereitete der Familientradition der Sheltons ein trauriges Ende. Trotzdem hatte er keine Genugtuung empfunden.

Julie war nicht der erste Mensch gewesen, dem er sein Herz geschenkt hatte. In seiner Kindheit hatte er alle Leute geliebt – angefangen mit seinem trunksüchtigen Vater. Danach vergötterte er sämtliche Frauen, die der Alte nach Hause brachte. Eine nach der anderen stieg in den verbeulten Wohnwagen. Bei jeder erwartete Heath, sie wäre die Richtige, ihm die verstorbene Mutter zu ersetzen.

Mit den Frauen klappte es nicht. Deshalb liebte er streunende Hunde, die auf dem nahen Highway überfahren wurden; die alte Hexe im benachbarten Wohnwagen, die ihn anschrie, wenn sein Ball zu dicht bei ihrem winzigen, in einem Traktorreifen grünenden Garten landete; seine Lehrer in der Schule, die eigene Kinder hatten und kein weiteres wollten.

Doch es war die bittere Erfahrung mit Julie, nach der er die wichtige Lektion gelernt hatte, die er niemals vergessen würde. Um sein emotionales Überleben zu sichern, durfte er sich nicht verlieben.