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Er ist der, vor dem deine Mutter dich stets gewarnt hat
Seit Gina von ihrer ersten großen Liebe verletzt wurde, will sie nie wieder einem Mann vertrauen. Nur ihr bester Freund Tahoe Roth schafft es, hinter Ginas Fassade zu blicken. Sich auf ihn einzulassen, wäre jedoch mehr als riskant. Denn der attraktive Milliardär ist ein Herzensbrecher, wie er im Buche steht. Und doch existiert in beiden eine Leere, die nur der andere zu füllen vermag — auch wenn der Verstand sie warnt ...
"Heißes Prickeln. Große Dramen. Tiefe Emotionen. Katy Evans liefert alles!" Kylie Scott, Spiegel-Bestseller-Autorin
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Seitenzahl: 374
KATY EVANS
Ladies Man
Wenn du mich loslässt
Roman
Ins Deutsche übertragen von Hans Link
Seit Gina von ihrer ersten großen Liebe betrogen, manipuliert und verletzt wurde, ist ihr Herz in tausend Stücke zerbrochen – und liegt noch immer in Scherben. Dank ihres Exfreunds weiß sie, dass Taten so viel mehr sagen, als es Worte je vermögen. Nie wieder will sie einem Mann bedingungslos vertrauen, und so versteckt sie ihre verletzliche Seele hinter vielen Schichten makellosen Make-ups. Nur ihr Freund Tahoe Roth schafft es, hinter ihre Fassade zu blicken, und bringt Gina damit völlig aus der Fassung. Sich aber tiefer auf Tahoe einzulassen wäre falsch. Sehr falsch! Denn der Milliardär ist ein Herzensbrecher, wie er im Buche steht: groß, blond und sexy wie ein furchtloser Wikinger. Und doch lauert hinter seinen strahlend blauen Augen eine Dunkelheit, die Gina nur allzu gut kennt. In ihnen beiden existiert eine Leere, die nur der andere zu füllen vermag – auch wenn der Verstand sie warnt …
Der Mann, vor dem deine Mutter dich gewarnt hat.
Auf dieses Gefühl, das du nicht ausdrücken, aber auch nicht unterdrücken kannst.
Playlist
»Prayer in C« von Robin Schulz
»Don’t Get Me Wrong« von The Pretenders
»Walk« von Kwabs
»Same Old Love« von Selena Gomez
»Photograph« von Ed Sheeran
»Realize« von Colbie Caillat
»Burning Love« von Elvis Presley
»Waiting« von Dash Berlin, featuring Emma Hewitt
»Resolution« von Matt Corby
Die Nacht der Nächte
Robin Schulz’ »Prayer in C« hallt durch den Club. Es ist ein piekfeiner Laden – übertrieben edel bis ins letzte Detail, fast schon abtörnend. Die Wände sind mit Milchglas verkleidet und von seidig glänzenden Vorhängen aus fallendem Wasser bedeckt. Lange, kaskadenförmige, moderne Kristallkronleuchter hängen von einer mit Strass bedeckten Kuppeldecke herab. Alles ist in unterschiedlichen Blautönen gehalten – hellblaue Drinks in Kristallflöten, blaue, blinkende Lichter, blaugefärbte Springbrunnen.
Hunderte von Gästen hüpfen johlend auf der Tanzfläche herum. Kunstvoll arrangierte Drinks werden auf teuren Tabletts herumgereicht.
Alle feiern den sechsundzwanzigsten Geburtstag ihres Gastgebers. Die Männer sind Tausende von Meilen mit dem Auto gefahren und aus der ganzen Welt hergeflogen, um dabei zu sein. Die Frauen haben ihre Kreditkarten überzogen, um sich für dieses Event zu stylen.
Meine beste Freundin Wynn und ich drängeln uns durch die Menge in Richtung Pool und Bar.
Wir sind wahrscheinlich die Einzigen, die nicht ihr künftiges Erstgeborenes für eine Einladung verkaufen mussten. Wir sind wahrscheinlich auch die Einzigen, die selbst noch in ihren zwei Nummern zu kleinen Kleidern overdressed sind. Aber seit der Club Waves heißt und seine Hauptattraktionen Dutzende von Swimmingpools sind, ist hier eigentlich alles, was über einen knappen Bikini oder sonstigen Hauch von Nichts hinausgeht, »overdressed«.
Ich hätte gedacht, dass unter so vielen spärlich bekleideten Mädels die Stoffmenge meines Outfits Spinner auf Abstand halten würde.
Fehlanzeige.
Ich musste bereits drei Po-Grapscher und einen aufdringlichen Titten-Fummler abwehren.
Wynn quiekt jedes Mal, wenn jemand sie anfasst. Ich nehme an, insgeheim schmeichelt ihr die Aufmerksamkeit, aber ich habe es langsam satt, ständig Hände wegschlagen zu müssen.
Ehrlich, so verbringe ich meine Samstagabende normalerweise nicht. Ein Eimer gesalzenes Light-Popcorn und meine Lieblingsserie im TV – das kommt der Sache schon näher. Bequeme Jeans und kleinere, intimere Treffen sind eher mein Ding.
Aber Wynn befindet sich auf einer Art Entertainment-Kreuzzug, um mich nahezu jeden Tag aufs Neue zu unterhalten, seit Rachel, unsere andere beste Freundin (und meine ehemalige Mitbewohnerin), am vergangenen Wochenende geheiratet hat.
Ich weiß nicht mehr, warum ich mich von Wynn dazu habe überreden lassen, heute Abend ausgerechnet hierher zu kommen, aber mein Herz hämmert, seit wir aufgebrochen sind.
Gott, was mache ich hier bloß?
»Ginaaaaa!« Wynn klingt frustriert, als sie meine Hand drückt und mich vorwärts zieht.
Sie versucht, uns beiden einen Weg durch die Menge zu bahnen. Versucht, mir dabei zu helfen … ihn zu finden. Aber ich würde ihr trotzdem am liebsten meine Hand entreißen und direkt durch den Haupteingang wieder hinausmarschieren, denn … was mache ich hier?
In diesem Moment wird meine Aufmerksamkeit auf die an den Kronleuchtern hängenden nackten Frauen mit blauen, glitzernden Monden auf den Brustwarzen gelenkt. Sie reiben sich gewissermaßen an den Kristallen, winden sich wie Eidechsen und wackeln mit ihren perfekten Ärschen; man sieht nur noch glänzende Körper und entblößte Haut.
Mein Outfit und Make-up fallen hier nicht weiter auf. Warum habe ich Stunden darauf verwandt, mich fertig zu machen? Mein Herz hämmert schnell. Weil ER hier ist. Ich habe seinen Wagen auf dem Parkplatz gesehen – einen weißen Rolls-Royce Ghost, der einerseits vor Geld schreit, während seine total verdreckten Reifen andererseits »Ich scheiß drauf« schreien.
Es ist zwar lange her, dass ich in einem solch gerammelt vollen Club war, aber ich hätte mir denken können, dass ein mega Partylöwe seinen sechsundzwanzigsten Geburtstag stilecht feiern würde.
Sein Name ist Tahoe Roth. Und er ist einfach ein Freund. Das ist der einzige Grund, warum ich hier bin. Weil Freunde nun mal die Geburtstage ihrer Freunde feiern. Oder?
»Hör mal, wir werden einfach zu ihm rübergehen, ›Happy Birthday‹ sagen und dann verschwinden«, rufe ich energisch in Wynns Ohr.
Sie dreht sich um und reißt die Augen auf.
»So früh? Bevor Emmett hier auftaucht? Auf keinen Fall!« Wynn wirft mir einen tadelnden Blick zu und zieht mich energisch weiter. »Du wirst deine Reize spielen lassen, ›Happy Birthday‹ sagen und ihm mitteilen, dass du ein Geschenk hast, das nur für seine Augen bestimmt ist. Dann wirst du ihn für diese Nacht mit nach Hause nehmen – und ihn ein für alle Mal aus deinem System löschen.«
»Ähm … das wäre aber ziemlich hart.«
»Gina! Genau das war der Plan – ihn aus deinem System zu löschen.«
Ich sträube mich. »Nicht wirklich. Du kannst nichts aus deinem System löschen, was gar nicht drin ist!«
Wynn und ich drängen uns zusammen, als sich einige Leute an uns vorbeiquetschen und auf einen der Poolbereiche zusteuern. Zum ungefähr zwölften Mal an diesem Tag bereue ich es, Wynn erzählt zu haben, dass ich nicht weiß, ob ich Tahoe schlagen oder ihn die ganze Nacht vögeln sollte. Seitdem sitzt sie mir im Nacken.
Ich trage sexy Unterwäsche, die ich heute gekauft habe, und denke an seine blauen Augen.
Mein Magen verknotet sich, als mir sein Grübchen in den Sinn kommt.
Und jetzt habe ich eine Panikattacke und frage mich, wie viele Tequilas ich wohl brauchen werde, um das zu tun, wovon ich den ganzen Tag lang fantasiert habe.
»Lass uns Tahoe in den Pool locken – wir müssen ihn irgendwie aus seinen Klamotten holen!«
Das Flüstern kommt von meiner rechten Seite, als ein Mädchen und ihre Freundin sich an uns vorbeischieben und denselben Pool ansteuern wie wir.
»Oooh! Sieh mal! Da ist er!«, ruft Wynn.
Ich schnappe scharf nach Luft und verspüre genau denselben Frust wie immer, wenn ich ihn sehe. Er ist aufreizend. Er ist nervig. Er ist eingebildet. Selbstsüchtig. Egozentrisch. Wirklich, ich habe keine Ahnung, warum wir eigentlich Freunde sind.
Ich stoppe einen vorbeilaufenden Kellner und schnappe mir ein Glas Tequila von seinem Tablett, kippe es in einem einzigen Zug herunter und drehe mich zu Tahoe um. Und der Tequila trägt nichts dazu bei, seine Wirkung auf mich abzumildern.
Er steht dort mit einigen anderen Männern zusammen. Aber Tahoe Roth ist der einzige, den ich sehe.
Sein blondes Haar glänzt im Schein der Lichter. Seine Augen sind von einem elektrisierenden Blau, seine markanten Züge sind unvollkommen, roh. Und sein Ein-Tages-Bart lässt ihn noch urtümlicher, wilder erscheinen. Vikings ist eine meiner Lieblingsserien, und ich muss zugeben, dass er eine verblüffende Ähnlichkeit mit Ragnar hat. Das verschlägt mir den Atem.
Und dann … sein Lächeln, sein Lächeln ist so ansteckend, so mühelos leicht. Noch nie habe ich einen Mann so viel lächeln sehen wie ihn. Es ist ein respektloses Lächeln, ein spöttisches Lächeln, denn tatsächlich scheint Tahoe niemals irgendetwas zu respektieren.
Mein Magen verkrampft sich und es schnürt mir die Kehle zu bei seinem Anblick und seinem wunderschönen Mund, aus dem manchmal versaute Dinge zu hören sind.
Die beiden Stalkerinnen, die ihn ausziehen wollten, kommen näher, und er legt die Arme um beide. Einfach so steht er da, eine Frau in jedem Arm, und ein Stich durchzuckt meine Brust. Ein schrecklicher Stich der Angst, jener Art von Angst, die dich erfasst, wenn du umringt bist von Hunderten von Fremden, die alle weiter tanzen und reden und trinken … während du den Mann anstarrst, der dich in deinen Träumen verfolgt, und du nicht weißt, was du tun sollst.
Was du in Bezug auf ihn tun sollst.
»Gina!« Wynn stupst mich an. »Zieh den Plan durch. Mann, du weißt, dass er eine scharfe Bestie ist. Er hat Ende Oktober Geburtstag, also ist er Skorpion, und Skorpion ist das Symbol für Sex. Und du bist diese erotische, dunkelhaarige Marilyn Monroe, die mit ihrem knappen Kleid und diesen dunkelroten Lippen geradezu nach Sex schreit.«
Ich atme tief ein und versuche, meinen ganzen Mut zusammenzunehmen, doch es gelingt mir nicht, und ich drehe mich halb zurück in die Richtung, aus der wir gekommen sind – bin aber außerstande wegzugehen, weil Wynn mich aufhält.
»Ich kann nicht, Wynn, ich will ihn gar nicht wirklich, ich mag ihn nicht mal«, protestiere ich.
Stirnrunzelnd und sauer auf mich selbst vermeide ich es, IHN anzusehen, als ich einen Mann bemerke, der mich anstarrt. Er ist relativ klein und sieht harmlos aus, daher schenke ich ihm ein schwaches Lächeln und bete, dass er kein enger Freund von Tahoe ist.
Der Mann grinst zurück und kommt auf mich zu. Doch dann löse ich unseren Blickkontakt, als ich Gebrüll von der anderen Seite des Raums höre und mich umdrehe.
»Roth!«
Ein Mädchen unter dem Wasserfall ruft nach ihm, und ich kann es mir nicht verkneifen, noch mal zu ihm hinüberzuschauen. Warum kann ich ihn nicht einfach ignorieren?
Er steht neben Callan Carmichael und zwei älteren Männern, und die beiden Mädchen in seinen Armen ziehen sich bis auf ihre Bikinis aus. Carmichael und Tahoe sind beide einfach nur heiß. Callan hat kupferfarbenes Haar und gehört zum hochgewachsenen, athletischen Typ und dann … Tahoe.
Tahoe, die Bestie.
Er ist von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet, und die blitzenden Lichter betonen seine Bräune; sein Haar wirkt blonder, die Haare im Nacken dunkler. Meine Brustwarzen ziehen sich zusammen, meine Oberschenkel verkrampfen sich.
Tahoe Roth ist …
Extrem heiß. Er ist einen Meter neunzig groß, und die bestehen aus mindestens zweihundert Pfund Mann. Bei Rachels und Saints Hochzeit hat er selbst in seinem Smoking ungezähmt ausgesehen. Eine geballte Ladung Testosteron. Die Haut um seine Augen herum ist ein wenig gerunzelt, weil er zu viel lächelt, vielleicht auch von zu viel feiern und weil ihm alles andere als Spaß haben scheißegal ist. Seine schwarzen Jeans hängen so tief auf seinen schmalen Hüften, dass »Auf der Stelle vernaschen« noch mal eine völlig neue Bedeutung bekommt.
Die beiden Mädchen, die hinter Tahoe her sind, und die, die gerade noch unter dem Wasserfall war, zerren und johlen und versuchen, ihn dazu zu bewegen, in den Pool zu steigen.
»Hey.«
Erschrocken schaue ich in die freundlichen braunen Augen des Fremden und antworte geistesabwesend »Hey«, während ich ein Spritzen und das Kreischen der Mädels höre. Ich versuche, zum Pool hinüberzusehen, aber eine Gruppe, die zum Anfeuern herbeigekommen ist, versperrt mir die Sicht.
Ein Mann vor mir verlagert leicht das Gewicht von einem Fuß auf den anderen, und ich erhasche doch noch einen Blick auf den Pool. Und in den Pool … wo Tahoe sich gerade das Haar aus dem Gesicht streicht, während sein nasses Hemd an seiner muskulösen Brust klebt. Dann greift er nach den Knöcheln der Mädchen, die am Rand des Pools stehen, und sie quieken und springen weg.
»Ihr drei werdet schon noch kriegen, was ihr verdient«, neckt Tahoe sie spielerisch. Sein respektloses Lächeln lässt sein Grübchen aufblitzen. Während sie kokett kichern, hievt er sich aus dem Wasser, hebt sie hoch und wirft sie hinein, eine nach der anderen, und sie landen mit entzücktem Kreischen im Pool.
Dann springt er hinter ihnen her. Eins der Mädchen taucht auf, um ihm Wasser ins Gesicht zu spritzen, aber mit seinen großen Händen ist er im Vorteil und spritzt noch mehr zurück. Als er das Spiel beendet, bespritzen die Mädchen einfach einander. Er signalisiert einem Pool-Kellner, dass er ihm einen Drink bringen soll, dann schält er sich sein Hemd vom Leib und wirft es beiseite. Er legt die Arme am Rand des Pools ab und lässt den Blick über das Becken wandern, als entscheide er, ob er aussteigen sollte oder nicht.
Schließlich zieht er sich hoch, schlingt sich ein Handtuch um die Taille und lässt seine Jeans fallen. Er steigt aus der Hose, und unsere Blicke treffen sich. Wasserperlen tropfen an seinem Torso hinab, goldbraun und wie aus Stein gemeißelt, wie alles an ihm: sein Sixpack, seine flachen Brustmuskeln, seine kräftigen Arme, selbst die Seiten seiner Waden, die unter dem Handtuch hervorlugen.
Er sieht mich an, und Erkennen blitzt in seinen Augen auf, dann schaut er zu dem Mann, der neben mir steht. Er starrt erst ihn an, dann mich und zieht fragend eine Augenbraue hoch.
Ich stehe hier, bin total heiß auf ihn und nervös zugleich. Er kommt vom Pool direkt auf mich zu und strahlt nichts als Hitze aus. Ein Lächeln zuckt über seine Züge, und ich sehe Erheiterung in seinen Augen angesichts meiner Sprachlosigkeit.
Ich ringe mit mir, was ich als Nächstes tun soll. Ihn umarmen? Oh Gott. Sag einfach Happy Birthday, Gina!
»Komm rüber«, knurrt er leise.
»Wie bitte?«
»Ich hab gesagt, du sollst rüberkommen.«
»Nein«, widerspreche ich stirnrunzelnd.
Er lächelt und legt den Kopf in den Nacken, ein ganz klein wenig schief. »Dann holen sie dich eben.«
»Was?«, frage ich. Ich zittere vor Nervosität.
Er gibt zwei Männern mit schelmischem Blick und in Badehosen ein Zeichen.
Dann tritt er zur Seite, packt mich um die Taille und sagt: »Ich hab sie.« Er legt mich über seine Schulter, wie einen Sack Reis, trägt mich an den Rand des Pools und schaut dann hinter sich, um mich anzugrinsen.
Nein. Er wird jetzt nicht das tun, was ich denke …
»Wag. Es. Bloß. Nicht«, warne ich ihn und klammere mich an seinen nassen Oberkörper.
Noch bevor ich weiß, wie mir geschieht, wirft er mich hinein. Ich habe nicht mal mehr Zeit, den Atem anzuhalten. Im einen Moment bin ich noch trocken, im nächsten platsche ich völlig ungraziös ins Wasser und versinke wie ein Stein.
Als ich prustend wieder an die Oberfläche komme, steht er einfach nur da und grinst.
Dann lässt er sein Handtuch fallen und springt mit einem perfekten Kopfsprung hinein. Er taucht aus dem Wasser auf, und ich bespritze ihn. Ich bin so sauer, dass ich nicht mehr klar sehen kann.
»Das war mein Lieblingskleid, du …«
Er taucht bis zur Nase unter Wasser, während er vor mir her treibt. Seine Augen reflektieren leuchtend hell das Wasser,
Wieder nagt der Frust an mir.
Ich will ihn an seinen nassen Haaren packen und ihn küssen.
Ich will ihn unter Wasser ziehen und küssen.
Ich will ihn mit nach Hause nehmen und küssen.
Ich will, dass er mich mit nach Hause nimmt und mich küsst.
Und dann will ich vergessen, dass ich ihn je geküsst habe, dass ich es je gewollt habe.
»Roth!«, ruft eins der Mädchen von den Stufen des Pools. Sobald Tahoe in ihre Richtung schaut, macht sie eine große Show daraus, sich das Oberteil auszuziehen.
»Sehr hübsch, Baby«, sagt er grinsend und wirft einen ausgiebigen Blick auf ihre Brüste.
Angewidert will ich zum Rand des Pools schwimmen.
Aber mit einem einzigen machtvollen Schwimmzug kommt er mir zuvor.
Er zieht die Brauen hoch, als wir beide die Finger um den Rand des Pools legen, und wieder treffen sich unsere Blicke.
Sein Gesichtsausdruck ist undurchschaubar.
»Na schön, du hast es also geschafft, mich nass zu machen«, sage ich endlich und lasse meinem Zorn freien Lauf. »Aber ich weiß auch schon, wie du es wiedergutmachen kannst.«
Er zieht sich aus dem Pool. Ich tue das Gleiche, und er reicht mir ein Handtuch.
»Ich bin kein Mädchen für einen One-Night-Stand. Und genau deshalb gebe ich dir jetzt die Chance, die nur wenige andere jemals hatten. Eine Nacht mit mir. Willkommen im Club und Happy Birthday.«
Er runzelt die Stirn, während er sich die Brust abtrocknet. »Ist das eine Art Scherz?«
»Wie bitte?«
Er richtet sich auf und wickelt sich das Handtuch um die Hüften. Seine Lippen zucken sarkastisch. »Wie viele?«
»Was? Wie viele Männer?«
»Genau.«
»Ich … nun, zwei und mein Ex, Paul. Aber das war kein One-Night-Stand; wir waren zwei Jahre zusammen.«
»So oder so ist das nicht annähernd genug Erfahrung für dich, um dich nach einer Nacht mit mir zu erholen.«
Ich blinzele ungläubig. »Oh, wow, du bist ja wirklich von dir überzeugt.«
»Hey.« Er ergreift mein Kinn und zwingt mich, ihm tief – schmerzhaft tief – in die blauen Augen zu schauen. »Du warst bei Saints Hochzeit sehr verletzlich, und ich habe dich in den Armen gehalten, und es hat mir gefallen, aber es war richtig, mich abzuweisen. Du hattest recht, und ich hatte unrecht.«
Ich ziehe die Brauen zusammen und folge ihm, als er mein Kinn loslässt und weitergeht. »Du denkst, ich werde nicht mit dir fertig?«
Er bleibt stehen und ragt über mir auf. Ich stoße den Atem aus.
Seine Augen verdunkeln sich ein wenig.
Ich bin nervös und frage mich, ob ich ihn in der Vergangenheit total falsch eingeschätzt habe.
Aber während wir dastehen, tritt alles andere in den Hintergrund, bis ich nur noch diese blauen Augen sehe. Die Erheiterung darin ist fort und etwas Dunkles und Wachsames lauert in seinem Blick.
»Danke, dass du gekommen bist, Regina«, sagt er.
Seine Worte durchbohren meine Brust wie ein Pfeil.
»Du lehnst mein Geburtstagsgeschenk ab …?«
Er schaut weg, sein Kiefer verkrampft sich und er atmet aus. Er zieht mich von der Menge weg, und ich sehe nacktes Bedauern in seinen Augen aufblitzen. »Ich habe dir nichts Gutes zu bieten, Regina.« Er hält meinen Blick fest und beugt sich vor. Er lächelt dicht an meinem Ohr, und meine Knie verwandeln sich in Gummi. »Dich nass zu sehen war Geschenk genug für mich.«
Er tritt zurück, dann krümmt er einen Finger und bedeutet den Flittchen und den beiden Stalkerinnen, ihm eine Wendeltreppe hinaufzufolgen.
Ich knirsche mit den Zähnen und starre ihm mit einem schmerzenden Knoten im Magen nach. Ich hasse mich selbst dafür, mich in eine so verletzbare Position gebracht zu haben, hasse es, ihn nicht aus meinem System gelöscht zu haben, als ich die Chance dazu hatte. Hasse es, nass zu sein, und dass er mir mein Kleid und meinen Abend ruiniert hat.
Wynn winkt mir zu. Sie steht neben Emmett, ihre Augen voller Sorge.
Ich schenke ihr ein falsches Lächeln.
Tahoe hat Recht, es ist besser, dass ich ihn zurückgewiesen habe, besser, wenn ich mich von ihm fernhalte. Ich bin schon früher verletzt worden, und da ich weiß, dass ich Tahoe schon allein wegen unserer Freundschaft zu Saint und Rachel wiedersehen muss, wäre der Sex ein peinlicher Fehler gewesen, unter dem wir bis in alle Ewigkeit hätten leiden müssen.
Ich will einfach nur trinken und ihn vergessen – vergessen, wie hart sich diese wie aus Stein gemeißelten Muskeln angefühlt haben, vergessen, wie er gerochen hat, nass und warm.
Ich könnte jetzt nach Hause gehen, aber Wynn und Emmett kuscheln sich in einer Nische zusammen, und mir wird klar, dass ich immer noch Sex brauche, einen One-Night-Stand, eine Erinnerung daran, dass ich menschlich und lebendig und weiblich bin.
Als ich mich umdrehe, um den Poolbereich zu verlassen, stoße ich mit dem Mann zusammen, der mich bereits früher am Abend angestarrt hat.
»Hey, bist du okay?«, erkundigt er sich besorgt.
»Oh, es geht mir blendend. Hast du Lust auf einen Drink?«
»Zur Hölle, ja«, antwortet er.
Ich frage ihn nach seinem Namen, und nach einigen Drinks nehme ich ihn – Trent – mit nach Hause.
Wir liegen in meinem Bett. Heiße Lippen auf meinem Hals, Hände auf meinem nackten Fleisch. Ich habe mein Kleid ausgezogen, aber ich trage noch immer meine feuchte Unterwäsche. Ich drehe den Kopf und fühle mich für einen Moment zu Rachels und Saints Hochzeit zurückversetzt …
Nach der kirchlichen Zeremonie und ein paar Drinks schleiche ich mich von der Party weg und gehe einige Minuten lang in Richtung Strand. Ich setze mich hin, starre auf die Wellen und versuche, nicht daran zu denken, wie sehr ich es vermissen werde, mit Rachel zusammenzuwohnen.
Ich spüre etwas in meinem Nacken und weiß, dass ich nicht allein bin. Ich weiß, wer diesen Augenblick mit mir teilt.
Er.
Von allen Menschen auf der Welt, die mich nicht schwach sehen sollen, steht er ganz oben auf der Liste.
Wir sind Freunde. Glaube ich.
Anders kann ich es mir nicht erklären, warum er sich leise neben mich setzt und mir sein Jackett über die Schultern legt.
»Danke«, sage ich und zupfe daran herum. Ich habe das Gefühl, als würde er mich umarmen. Das Jackett riecht nach ihm, und mir wird klar, dass ich noch nie etwas berührt habe, das er berührt hat. Meine Haut kribbelt, und mein Herz schmerzt.
»Warum weinst du?«, fragt er und schaut dabei geradeaus. Das tun wir beide, als wäre ein Blickkontakt zu intim.
Er beugt sich dichter zu mir vor und legt den Arm um mich, und ich fühle mich beschützt.
»Was hast du vor, Tahoe?«
»Ich hab vieles vor.«
Zaghaft bette ich den Kopf an seine Brust. Es fühlt sich so schön an. Schöner, als man das bei einer Mauer aus Muskeln erwarten sollte. »Dann solltest du vielleicht damit beginnen … oder so«, brumme ich.
Seine Stimme kitzelt an den Härchen an meiner Schläfe. »Beginnen? In der Reihenfolge, auf die ich Lust habe?«
Meine Zehen kringeln sich zusammen, als er grinst.
»Ich meine nicht …« Ich schüttele den Kopf.
Ich bin mir nicht sicher, ob mein Kopfschütteln ihm gilt oder dem dumpfen Pochen, das er zwischen meinen Beinen verursacht. Er riecht nach teurem Eau de Toilette.
Ich schaue zu ihm auf, während er mich geduldig beobachtet. »Saint will, dass ich mich von dir fernhalte.«
All meine Bedenken verfliegen, als er mir sein boshaft teuflisches Grinsen schenkt und sagt: »Aber ich denke nicht, dass ich das tun werde.«
Er zieht mich fester an sich und drückt meinen Kopf hoch. »Zuerst einmal will ich dich einfach ansehen. Dann will ich dich berühren und dann von dir kosten.«
Seine Augen verdunkeln sich. Er mustert mich, um meine Reaktion zu sehen, und sein Lächeln verblasst, als hätte er etwas wahrgenommen, das er nicht sehen will. Er wischt mir die Träne von der Wange und rückt dann ein Stück von mir ab. Seine Nasenflügel beben, und er runzelt die Stirn, tief in Gedanken versunken.
Ich stöhne frustriert auf. »Lass uns etwas anderes machen, als mir beim Weinen zuzuschauen. Irgendwelche Ideen?«
»Jede Menge.«
Er grinst, als er den obersten Knopf seines Hemdes aufknöpft. Mein Herz steht still, während er einen Knopf nach dem anderen öffnet.
»Ich hab einen Witz gemacht.«
»Ich nicht. Komm schon, nackt siehst du bestimmt großartig aus.«
»Aber nur, wenn du die Augen schließt.«
Ich schlüpfe aus meinem Kleid. Er tut so, als wende er sich ab, aber ich spüre, dass er mich ansieht. Ich meide seinen Blick. Oh Gott. Ich hoffe, das Mondlicht ist gnädig!
Warum schert es mich eigentlich, was er denkt?
Ich gehe zum Wasser, so schnell ich kann, und bemerke die Drehung seines Kopfes – er mustert mich unverhohlen. Von oben bis unten. Ich kann seinen Blick spüren.
Ich springe ins Wasser und keuche auf. Es ist eiskalt.
Ich richte mich auf und sehe ihn hineinwaten. Seine Augen schimmern im Mondlicht. Ich spüre seinen Hunger nach mir. Ich warte nur darauf, dass er die Hände ausstreckt und etwas Schmutziges tut. Ich habe zwar vor, ihn aufzuhalten, aber ich will trotzdem, dass er es versucht.
»Warum?«, platze ich heraus.
»Warum was?« Seine Stimme klingt gedämpft vor dem Hintergrund der krachenden Wellen.
»Warum hast du es bei mir noch nie versucht?«
Er lässt sich ins Wasser sinken und schwimmt auf mich zu. »Du bist schon einmal verletzt worden. Ich bin kein Typ, der eine Frau wie dich glücklich machen kann.« Er beißt die Zähne zusammen und schaut in Richtung Party. »Ich kapiere es einfach nicht. Wie man auf diese Weise sein Leben lang einer Frau treu sein kann.«
»Und ich dachte schon, du willst mich«, spotte ich.
Seine Augen verdunkeln sich. Er umfasst mit beiden Händen mein Gesicht und streicht mit dem Daumen über meine Lippen. »Das hier ist zu gut, um es zu versauen.«
Ich ziehe die Brauen zusammen. »Der Kerl am Tisch hinter mir hat mich schon den ganzen Abend lang angestarrt. Ich könnte ihn suchen gehen.«
»Ja, könntest du. Und ich könnte hinter all den Mädchen herjagen, die mich angestarrt haben, und mit ihnen mehr Action haben als mit dir.«
Doch keiner von uns bewegt sich. Nach einer Stunde im Wasser krieche ich auf den Sand und er lässt sich seufzend neben mich fallen.
Wir reden ein wenig, aber größtenteils starren wir einfach zum Himmel empor. Über uns leuchten die Sterne, doch ich bemerke sie kaum. Ich bin mir seines heißen, nassen Körpers nur zwei Zentimeter neben mir allzu bewusst. Und seines Atems, langsam und gleichmäßig, ebenso tröstlich wie verführerisch.
Schließlich landen wir in seinem Zimmer, das näher liegt als meins. Ich schlüpfe in einen plüschigen Hotelbademantel, und er zieht seine Hosen an, bevor er sich zu mir ins Bett legt. Ich kann den Wodka in seinem Atem riechen, als ich den Kopf hebe, um ihn in der Dunkelheit anzusehen. Er ist einfach umwerfend, und jetzt, da wir allein in seinem Zimmer sind, fühlt er sich richtig raubtierhaft an. Ich kann nicht aufhören, seine rauen Gesichtszüge anzustarren. Und er starrt zurück.
Er hat gesagt, er wolle mich ansehen, mich berühren und dann von mir kosten …
»Willst du es?« Seine Stimme klingt schroff und tief, ungleichmäßig rau. Er sieht mich mit einem intensiven Blick an. »Willst du’s?« Er legt mir besitzergreifend eine Hand auf die Hüfte.
In seinen Augen tobt ein Krieg. Er ringt mit sich, ob er weiter gehen soll. Ob er mich vögeln soll.
Willst du mich?, fragt sein Blick.
»Nein«, lüge ich.
Für einen Moment verdunkeln sich seine Augen vor Ungläubigkeit. Dann nickt er und beißt die Zähne zusammen. Er stemmt sich hoch, erhebt sich und zieht ein Hemd an.
»Ruh dich aus, und ruf mich an, falls du irgendetwas brauchst.«
Dann legt er das schnurlose Telefon in Reichweite aufs Bett und geht zur Tür.
Er wird sich mit einem der anderen Mädchen treffen. Ich weiß es. Und ich bleibe in seinem Bett liegen und frage mich, ob der Wodka daran schuld ist, dass es mir etwas ausmacht.
Hände auf meinen Brüsten.
Feuchte Lippen auf meinem Hals.
Finger, die versuchen, mir meinen Slip auszuziehen.
»Warte.«
Ich stoppe seine Hand und beende unsere Knutscherei abrupt. Ich bin drauf und dran, Trent aus meinem Bett zu werfen. Es fühlt sich so was von falsch an. Warum fühlt es sich so falsch an?
»Was zur Hölle ist los? Ich dachte, du willst es auch?«
»Nein, ich …« Oh Gott, warum denn nicht? »Hör mal, du bist ein wirklich netter Kerl, aber ich steh nicht auf One-Night-Stands, nicht wirklich.«
Als er mich ungläubig anschaut, stöhne ich auf und reibe mir die Schläfen. Scheiße. Er wirkt … eine Spur zu betrunken, um meine Worte zu kapieren.
»Du bist betrunken, oder?«, frage ich ihn, und als er mich nur anstarrt, seufze ich. »Du kannst über Nacht hierbleiben, aber … kein Kuscheln oder Knutschen oder auch nur Einatmen meiner Luft, okay?«
Binnen Minuten schläft er ein, aber ich kriege kein Auge zu. Aus Angst, wieder die blauen Augen zu sehen, die ich nicht mehr aus dem Kopf bekomme – die, die in meinen Träumen auftauchen.
Warum bloß habe ich ihn in meine Wohnung geschleppt? Kein Mann ist jemals hier gewesen. Das hier war Rachels und mein Heiligtum und nur Malcom Saint hat sich hier hereingewagt – worüber ich nicht allzu glücklich war.
Um fünf Uhr morgens wandere ich im Pyjama durch die Wohnung.
Ich hasse die Stille.
Rachel und ich haben uns seit unserem College-Abschluss dieses Apartment geteilt. Eine Dachterrassenwohnung in einem ehemaligen Industriegebäude. Bemalte, hölzerne Bücherregale trennen den Wohnbereich von der Küche. Jetzt ist es dunkel, aber sobald die Sonne aufgeht, ist der Raum hell und lichtdurchflutet.
Ich schaue zur Decke empor, dann auf den Kalender. Im nächsten Monat markiert ein X den Tag, an dem Wynn zu mir ziehen wird. Ich bin froh darüber. Allein kann ich mir die Miete nicht leisten, und ich will diese Wohnung nicht verlassen. Außerdem mag ich es nicht, allein zu sein.
In den dreiundzwanzig Jahren meines Lebens habe ich mein Zuhause bereits dreimal gewechselt – und immer bin ich diejenige gewesen, die zurückgelassen wurde.
Beim ersten Mal haben meine Eltern mir eröffnet, sie hätten das Haus, in dem ich aufgewachsen war, verkauft, weil »wir noch mal ganz neu anfangen und diesen gewissen Funken in unser Leben zurückholen wollen, jetzt, da du aufs College gehst«. Gleich nachdem der Verkauf abgeschlossen war, brachen sie nach Spanien auf. Ich packte meine Sachen und überreichte dem neuen Besitzer die Schlüssel.
Mein nächstes Zuhause habe ich mit meinem Freund vom College geteilt, Paul. Der Erste, der mich verlassen hat.
Früher war ich in Sachen Männer nicht so zaghaft, bis Paul mich betrogen hat. Das Schlimmste an dem Betrug war, dass ich nicht mal etwas geahnt hatte. Ich war so lange Zeit blind, taub und dumm gewesen.
Paul Addison Moore hat mir gutgetan, aber leider nicht nur mir, sondern gleichzeitig auch zwei anderen Mädchen. Sie wussten beide von mir und gaben sich damit zufrieden, die zweite Geige zu spielen. Ich habe nichts von ihnen gewusst, zwei Jahre lang. Vierundzwanzig Monate und neun Tage, um genau zu sein. Bis ich eines Tages einen Anruf von einem wütenden Mädchen bekam, das mir sagte, sie sei seine Freundin und warte schon seit Monaten darauf, dass er mich – wie versprochen – verlassen würde.
Ich legte einfach auf und erzählte ihm anschließend, dass eine Verrückte angerufen habe.
Er geriet außer sich – und begann plötzlich zu packen.
»Paul?«, fragte ich. »Das war doch ein Scherz. Oder?«
Er schüttelte nur den Kopf.
Weil wir schon spät dran für unsere Kurse waren, ging ich mechanisch ins Bad, um mir die Zähne zu putzen, als ich Schubladen krachen hörte.
»Sie ist übrigens nicht die Einzige, da gibt es noch eine andere«, brüllte er plötzlich aus dem Schlafzimmer.
»Wie bitte?«, fragte ich mit Zahnpasta im Mund und ging zur Tür.
Das Schlafzimmer war leer.
Ich marschierte den Flur entlang, und meine Schritte wurden von Sekunde zu Sekunde schneller. Schließlich fand ich ihn im Wohnzimmer mit seinem Rucksack und einem Koffer.
Ich erstarrte.
»Ich liebe dich nicht, Regina.«
Das war das ungefähr hundertste Mal, dass er das L-Wort zu mir gesagt hatte. Er hatte es gesagt, während er mit mir zusammengelebt und mit mir geschlafen hatte, und wenn er angerufen hatte, nur um mir zu sagen, dass er an mich denkt.
Er stand in der Tür, während mir die Zahnbürste aus dem Mund hing. Ich musste schrecklich ausgesehen haben. Es fühlte sich an, als hätte er mir die Zahnbürste in den Hals gerammt und mein Herz damit erdolcht.
Endlich nahm ich sie mir aus dem Mund und schleuderte sie quer durch den Raum in seine Richtung.
»Du!«, rief ich.
Er hob sie auf und wischte sich die Zahnpasta vom Hemd. »Sehr reif, Gina.«
Ich konnte nicht mit ihm reden, ich konnte nicht atmen.
Ihm zuliebe hatte ich vegetarisch gekocht; ihm zuliebe hatte ich aufgehört, Fleisch zu essen. Auf der Landkarte meiner Zukunft stand sein Name über jedem Land geschrieben. Aber auf Pauls Landkarte war Gina ein Ödland, das man zurückließ.
Ich brach in Tränen aus und vergrub den Kopf in den Händen.
Er sagte nichts mehr. Er ging und schloss die Tür hinter sich. Ich hörte die Räder seines Koffers in der Ferne verklingen. Und nach zwei gemeinsamen Jahren, nach hundert »Ich liebe dichs«, nachdem ich mich zum ersten Mal verliebt hatte, habe ich nie wieder von diesem betrügerischen, verlogenen Arschloch gehört.
Ich bin treu bis zum Gehtnichtmehr. Selbst jetzt noch bin ich ihm auf seltsame Weise treu. Denn nach ihm war ich nie wieder in der Lage zu lieben. Er hat mein Herz gestohlen, die warmen T-Shirts, in denen ich geschlafen habe, mein Vertrauen, meine Hoffnungen. Er hat mir zu viele Narben zugefügt, als dass ich je wieder diese Art von Glück empfinden könnte. Er ist zur Tür hinausgegangen und hat es mir selbst überlassen, mich zu fragen, ob ich einfach zu dumm oder einfach nicht genug gewesen war.
Der nächste Morgen
Als ich nach einer Stunde Schlaf erwache, wandern meine Gedanken sofort wieder zurück zum Abend zuvor. Ich kann kaum glauben, wie abartig luxuriös der Club war. Offenbar bin ich eine der Wenigen gewesen, die nicht total besoffen nach Hause gekommen sind. Ich denke an den betrunkenen Typ, der in meinem Bett schläft, und daran, dass Paul – wenn ich die Sache durchgezogen hätte – nicht länger der letzte Mann gewesen wäre, mit dem ich geschlafen habe.
Und dann denke ich an Tahoe. Gott. Tahoe, die sexy Bestie. Ich hoffe inständig, dass ich ihn nicht wiedersehen muss, zumindest nicht, bis Rachel und Saint aus ihren Flitterwochen zurückkommen. Rachel hat mir in einer kurzen SMS mitgeteilt, dass sie sie um zwei Wochen verlängern.
Ich steige vom Sofa und gehe in die Küche, wo ich mein Handy einschalte. Ich habe eine Nachricht von Wynn.
»Weißt du, der Kerl, den du mit nach Hause genommen hast – Emmett kennt ihn. Wie ist es gelaufen? Erzähl mir alles! Außerdem muss ich mit dir reden. Ruf mich an, okay?«
Ich öffne den Kühlschrank, nehme meine frischen Kaffeebohnen heraus, mahle sie und wähle Wynns Nummer, während ich darauf warte, dass mein Kaffee fertig wird. »Hey, was liegt an?«
»Gina. Emmett hat mich gefragt, ob ich bei ihm einziehen will.«
Ich erstarre, während ich meinen mit KÜNSTLER beschrifteten Kaffeebecher aus dem Schrank hole. Ich stelle ihn leise auf die Theke. »Was soll das heißen?«
»Nun, du weißt ja, dass ich auf Rachels und Saints Hochzeit total Angst hatte, schwanger zu sein. Was mich dazu gebracht hat, darüber nachzudenken, nun ja, wie ernst die Sache ist. Emmett hat ebenfalls ein wenig nachgedacht, und … bam! Er will, dass ich bei ihm einziehe!«, kreischt sie.
Und was ist mit mir?, will ich am liebsten fragen. Aber so selbstsüchtig kann ich nicht sein. Ich meine, doch, kann ich schon, aber Wynn ist meine Freundin. Wynn hat sich ihr ganzes Leben lang gewünscht, Mr Right zu finden. Ich glaube, sie hat sich immer vorgestellt, als Erste von uns dreien zu heiraten, und stattdessen war es nun Rachel, die eigentlich nichts anderes wollte als Karriere machen. Warum also sollte Wynn sich mit der jungen Version der alten Jungfer abgeben, die für immer Single bleiben wird? Warum sollte sie meinetwegen ihrem Freund, dem Chefkoch, ein Nein geben? Kommt nicht infrage.
Aber weil ich plötzlich Angst habe, dass Emmett Wynn genauso wehtun wird wie Paul mir, sage ich: »Bist du dir sicher, dass das der richtige Schritt ist, Wynn? Ihr seid jetzt seit … wann zusammen?«
»Seit einem Jahr! Hör mal Gina, ich fühle mich furchtbar, weil ich jetzt doch nicht bei dir einziehe, obwohl ich es dir definitiv versprochen hatte. Also … wie wär’s, wenn ich dir bei der Miete helfe? Wenn ich bei Emmett wohne, muss ich meine eigene Miete ja nicht länger zahlen.«
»Vergiss es, Wynn.«
»Aber ich musste Rachel versprechen, dass ich bei dir einziehen würde. Sie wird alles andere als erfreut darüber sein, wenn sie davon erfährt. Sie wird ebenfalls deine Miete zahlen wollen.«
»Niemand zahlt meine Miete, okay? Außer der Person, die hier wohnt, und das bin ich!«, sage ich.
Aber während ich mit meinem Handy am Ohr dastehe und meine wunderschöne Wohnung betrachte, weiß ich, dass ich sie mir bald nicht mehr werde leisten können. »Das läuft schon alles«, ergänze ich noch, weil ich zu erschöpft bin, um mich jetzt mit der neuen Sorge herumzuschlagen, dass ich wahrscheinlich eine neue Wohnung finden muss. Ich verspreche, dass wir uns noch diese Woche treffen und lege auf.
In diesem Moment wird die Tür knarrend geöffnet. Ich drehe mich um und sehe den Mann, den ich mit nach Hause gebracht habe – Trent –, voll bekleidet und abmarschbereit dastehen. Ich lächele ihn an, ein bedauerndes Lächeln, dann hole ich einen weiteren Kaffeebecher hervor und eine Packung Kopfschmerztabletten. Ich trage beides zum Tisch und schiebe die Tabletten und den zusätzlichen Becher auf den leeren Platz gegenüber von meinem.
»Gott, danke«, murmelt er erleichtert. Er nimmt sich eine Tablette heraus. »Wie schlimm war ich?«
»So betrunken warst du also?« Ich lache. »Keine Sorge. Es ist nichts passiert.«
»Ach du Scheiße, gleich so schlimm?«
»Es war ganz allein meine Schuld. Kalte Füße nach einer langen Phase der … Abstinenz.«
»Ahh.« Er nippt an seinem Kaffee. »Ich war gestern Abend nicht mal eingeladen. Für solche Partys würde ich niemals eine Einladung kriegen. Die hab ich mir ergaunert.«
»Ach ja?« Ich lache.
»Wie bist du an die Einladung gekommen? Halt, ich weiß es. Weil du unglaublich heiß bist.«
»Hahaha. Ähm, nein. Ich bin nicht halb so heiß wie die anderen Mädels dort. Ich kenne nur den Typ, der Geburtstag hatte. Unsere besten Freunde haben gerade geheiratet, also …«
»Wow, da bist du aber mit hohen Tieren befreundet.«
Wir unterhalten uns noch sehr nett. Ich erfahre, dass Trent Geschäfte mit Emmett macht – er beliefert ihn mit einigen Zutaten fürs Restaurant –, und allmählich bedauere ich es, dass die Sache gestern Nacht nicht anders gelaufen ist, denn er ist süß und ein ehrlicher Typ. Warum kann man seine Gefühle nicht dorthin lenken, wo man sie haben will? Warum sitze ich hier und rede mit Trent, während ich die ganze Zeit über diesen dumpfen Schmerz in meiner Brust spüre, weil Tahoe mich zurückgewiesen hat?
An diesem Nachmittag muss ich im Kaufhaus arbeiten. Mein freier Tag ist nicht der Sonntag, sondern für gewöhnlich der Montag oder der Dienstag, wenn die Verkaufszahlen geringer sind.
Ich finde es immer noch total abartig, wie teuer alles ist, was wir verkaufen. Unsere Kunden bestehen aus den Reichen Chicagos. Der Laden ist immer makellos und niemals wirklich gerammelt voll, außer bei unserem jährlichen Ausverkauf, der alle anlockt, und sei es auch nur, um unsere perfekte Feiertagsdeko oder die Menge an eleganten Artikeln zu betrachten. Die Sonderverkäufe zum Black Friday und zu Weihnachten sind aber noch ein paar Monate entfernt, und es kommen nur eine Handvoll Kunden, denen ich Kosmetikartikel verkaufen kann. Also habe ich Zeit, mir Sorgen um meine Lebenssituation zu machen und mich zu fragen, ob ich a) im Internet eine Annonce schalten und nach einem Mitbewohner suchen sollte oder ob ich b) doch umziehe.
Der Gedanke ans Umziehen berauscht mich nicht gerade, aber der Gedanke an einen fremden Mitbewohner berauscht mich noch weniger. Ich bin dreiundzwanzig, bald vierundzwanzig, und damit zu alt für eine WG dieser Art.
Martha, meine Chefin, ruft mich zu sich. »Gina, lass uns das neu arrangieren, Pink Ecstasy in Kombination mit Orange Flame gefällt mir nicht.«
Martha sorgt immer dafür, dass der Laden tipptopp ist. Ich arbeite gern hier, denn es macht mich glücklich, mit schönen, gut gekleideten Menschen zusammen zu sein. In diesem Laden weint niemand. Niemand muss sich unwohl fühlen, wenn er hier ist. Alle sind glückselig und verlassen den Laden mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht – ebenso breit wie unser Lächeln. Alle sagen danke, und das war’s. Ich habe sogar einige Stammkunden. Als ich also einen Besuch von Mrs Darynda Kessler bekomme, die mir mitteilt, dass sie jetzt zwar keine Zeit habe, aber hofft, ich wäre später, kurz vor ihrem großen Event, für ihr Make-up verfügbar, nutze ich die Chance, meinen Arbeitsplatz zu erweitern.
»Ich würde liebend gern zu Ihnen kommen und Sie zuhause schminken.«
»Das wäre ein Traum! Niemand kennt mein Gesicht besser als Sie. Wie wäre es heute Abend um sieben?«
»Ich habe um sechs Uhr Feierabend, daher passt sieben gut.«
Ich bin erleichtert über die zusätzliche Arbeit. Das wird mich von der vergangenen Nacht ablenken. Und es wird mir helfen, meine Miete zu bezahlen, bis mein Mietvertrag ausläuft und ich sowieso umziehen muss. Ich schreibe mir ihre Adresse auf und bestätige ihr noch mal, dass ich nach meiner Schicht zu ihr kommen werde.
Erst als ich auf dem Weg zu Darynda bin, erkenne ich die Adresse. Sie wohnt im selben Haus wie Tahoe. Als ich die Lobby betrete, packt mich unwillkürlich eine gewisse Nervosität. Ich war schon früher hier, mit Rachel und Wynn. Aber niemals allein. Von seiner Wohnung weiß ich nur noch, dass sie viel zu groß für eine Person ist. Und wenn ich an ihn denke, stelle ich ihn mir immer auf dem Wohnzimmersofa vor, wo ich ihn zuletzt gesehen habe, als er sich mit einer White-Sox-Cap und in einem White-Sox-T-Shirt ein White-Sox-Spiel angesehen hat.
Ich steige in den Aufzug und drücke auf Mrs Kesslers Stockwerk. In diesem Moment schlüpfen noch zwei Mädchen herein, beide jung und schön, und sagen dem Liftmann, der diskret in der Ecke steht, dass sie in SEIN Stockwerk wollen. Er nickt und zieht eine Schlüsselkarte durch.
»Ich könnte auf der Stelle sterben«, sagt die eine, als die Türen sich schließen.
»Oh Gott, ich weiß. Ist meine Frisur okay?«
»Deine Frisur ist großartig. Was ist mit meinem Make-up?«
Ich versuche, mir keine Meinung über sie aufgrund ihres Make-ups zu bilden, was ziemlich schwer ist, weil sie es bei ihren Augen total übertrieben hat. Ich sollte sie wirklich nicht verurteilen. Unser Make-up ist schließlich unsere Maske. Gutes Make-up kann müde Augen vertuschen, sogar traurige Augen, sodass niemand etwas davon bemerken wird. Trotzdem sieht sie wunderschön aus, und ich muss mich dazu zwingen, den Gedanken wegzuschieben, dass dasder Grund ist, warum er mein Geburtstagsgeschenk abgelehnt hat.
Mein Stockwerk kommt als Erstes, und sie richten sich noch immer aufgeregt ihr Haar, so wie sich Frauen eben aufgeregt ihr Haar richten, wenn sie einen extrem heißen Typen treffen, den sie in Zukunft unbedingt wiedersehen wollen.
Ich erinnere mich an meinen letzten Besuch in seiner Wohnung.
Wir haben uns dieses Spiel der White Sox angesehen.
Er ist einer der glühendsten Fans, die ich mir vorstellen kann. Immer wieder hat er sich seine verschwitzten Handflächen an seinen Jeans abgewischt, und als sie gewonnen haben, hat er wie ein Irrer gebrüllt. Ich musste lachen, weil es so witzig war, und dann hat er mich angesehen und gegrinst. Und dann … hat er mich plötzlich angesehen wie vorher den Fernseher, so intensiv.
Saint und Rachel sind schließlich gegangen, und Wynn hat mir mit den Augen bedeutet, dass wir ebenfalls verschwinden sollten. Doch dann hat Tahoe Callan ein Zeichen gegeben, und schon bald war Wynn in ein Gespräch mit Callan verwickelt, und Tahoe hat mich gefragt, ob er mir etwas zeigen dürfe.
Er hat mich in einen riesigen Raum mit allen möglichen Fanartikeln geführt.
»Wow.«
Von den White Sox signierte Bälle füllten ein Regal, während sich an der gegenüberliegenden Wand eine Lacrosse-Ausrüstung befand.
»Du bist Lacrosse-Fan?«
»Habe ich in der Highschool und im College gespielt. Ich spiele immer noch zweimal im Monat.«
Die blonde Bestie war viel zu sehr auf mich konzentriert. Mit diesem verdammten Grübchen hat er mich praktisch wahnsinnig gemacht.
»Ich habe mir Lacrosse noch nie wirklich angesehen.«
»Dann solltest du mal zu einem Spiel kommen.«
Gott, dieses Grübchen.
Ich begann, dieses winzige Loch in seiner Wange zu hassen, obwohl es sich ziemlich gut anfühlte, es vor mir zu sehen, so gut, dass meine Zehen kribbelten. »Okay«, antwortete ich achselzuckend. »Ich werde mir mal eines ansehen.«
Von da an schickte er mir zweimal im Monat eine SMS, jedes Mal, wenn ein Spiel stattfand:
Spiel heute Abend. Komm mich besuchen.
Oder:
Maues Spiel heute Abend. Ich brauche eine Glücksbringerin.
Oder:
Maues Spiel. Heute kriegt der Gegner einen Arschtritt verpasst, es wird dir Spaß machen.
Und ich habe immer irgendeine lahme Ausrede gefunden.
Als ich nach Hause komme, bin ich reif fürs Bett, finde jedoch keine Ruhe. Aber eine schlaflose Nacht hilft tatsächlich bei der Seelenerforschung. Am nächsten Morgen bin ich entschlossen, Wynn anzurufen und sie um Trents Nummer zu bitten.
Als Paul mit mir Schluss gemacht hat, hielt ich es für unmöglich, jemals wieder ein anderes menschliches Wesen so zu vermissen, wie ich ihn vermisst habe. So will ich mich nie wieder fühlen. Aber ich bin bereit, weiterzuziehen. Ich will mir selbst noch eine Chance geben.