10,99 €
»Der Habicht wird Opa. Na, wenn das mal gut geht!« Renate Bergmann »Brigitte und ich bekommen ein Enkelchen – wie ich mich da freue! Aber ich sag Ihnen, die Frauen machen mich wahnsinnig! Erst musste ich eine Wiege drechseln, dann ergaben Mareikes Forschungen im Mütternetzwerk, dass ein Stubenwagen doch praktischer sei. Schwangere und frisch gebackene Mütter hängen nämlich wie eine Sekte in Whatsapp-Gruppen zusammen. Und jeden Nachmittag werden hier Bewerbungsgespräche mit Hebammen geführt. Da erfahre ich einiges über Milchpumpen, Geburtsmethoden und die Vorteile des Stillens. Als ob ich keine Ahnung hätte! Schließlich habe ich Mareike mit großgezogen. Und die hat sich ja prächtig entwickelt. Jedenfalls habe ich den alten Erziehungsratgeber von damals rausgekramt, und ich sag Ihnen, das leuchtet mir alles mehr ein als dieses neumodische Gedöns. Mit ordentlich Mondamin im Brei ist noch jedes Baby satt geworden und hat dann auch mal durchgeschlafen. Das meint auch Mutter Bergmann.« Günter Habicht wird Opa – und weiß alles besser! Freuen Sie sich auf seine Abenteuer mit Kinderwagen, Rassel und Wickeltasche.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Lass das mal den Opa machen!
GÜNTER HABICHT ist 63, früh verrenteter Busfahrer, leidenschaftlicher Kleingärtner und Zeltplatzwart. Er hat zu allem eine Meinung und für ihn zählt, was schwarz auf weiß irgendwo steht. Das gilt aber nicht fürs Internet! Er ist nur Mitglied in der Whatsapp-Familiengruppe »Habichtshorst«, weil er sonst keine Infos mehr über das Enkelkind bekommt. TORSTEN ROHDE, Jahrgang 1974, hat in Brandenburg/Havel Betriebswirtschaft studiert und als Controller gearbeitet. Unter dem Pseudonym Renate Bergmann hat er bereits zahlreiche Bestseller veröffentlicht. Seine neue Serie mit dem Offline-Opa Günter Habicht sprang ebenfalls sofort auf die Bestsellerliste.
»Der Habicht wird Opa. Na, wenn das mal gut geht!« RENATE BERGMANN Günter Habicht, früh pensionierter Busfahrer, ist eigentlich ausgelastet: Auf dem Gehweg geparkte Roller und schludrige Mülltrennung fordern seine volle Aufmerksamkeit. Doch jetzt bekommt er ein Enkelchen – da wird er natürlich helfen, wo er kann! Zumal er, wie immer, alles besser weiß. Freuen Sie sich auf seine Abenteuer mit Kinderwagen, Rassel und Wickeltasche!»Ich habe den Erziehungsratgeber von damals rausgekramt, und ich sag Ihnen, das leuchtet mir alles mehr ein als dieses neumodische Gedöns. Mit ordentlich Mondamin im Brei ist noch jedes Baby satt geworden und hat dann auch mal durchgeschlafen. Das meint auch Mutter Bergmann.«
Günter Habicht
Der Offline-Opa wechselt Windeln
Ullstein
Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein.de
Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2021Umschlaggestaltung: zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © Rudi HurzlmeierAutorenbild: © Rudi HurzlmeierE-Book powerded by pepyrusISBN: 978-3-8437-2825-6
Emojis werden bereitgestellt von openmoji.org unter der Lizenz CC BY-SA 4.0.
Auf einigen Lesegeräten erzeugt das Öffnen dieses E-Books in der aktuellen Formatversion EPUB3 einen Warnhinweis, der auf ein nicht unterstütztes Dateiformat hinweist und vor Darstellungs- und Systemfehlern warnt. Das Öffnen dieses E-Books stellt demgegenüber auf sämtlichen Lesegeräten keine Gefahr dar und ist unbedenklich. Bitte ignorieren Sie etwaige Warnhinweise und wenden sich bei Fragen vertrauensvoll an unseren Verlag! Wir wünschen viel Lesevergnügen.
Hinweis zu UrheberrechtenSämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken, deshalb ist die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.
Der Autor / Das Buch
Titelseite
Impressum
Lass das mal den Opa machen!
Social Media
Vorablesen.de
Cover
Titelseite
Inhalt
Lass das mal den Opa machen!
Ja, nun bin ich Großvater!
Nee, nee! Stoppen Sie mal im Kopp den Reklamefilm.
Ich wickle hier nicht im Lehnstuhl goldene Karamellbonbons aus, sondern sitze am Tisch und schreibe die Geschichte auf, wie ich zum Großvater wurde.
Großvater, pah! Wie das schon klingt. So hat Heidi immer zum Alm-Öhi gesagt. Ich bin doch keine hundert Jahre alt und habe auch noch keinen Rauschebart. Meine Frau Brigitte kräht mich schon nach zwei Tagen an, dass der Bart kratzt und ich mich rasieren soll. So siehts aus, ich sag Sie das, wie es ist. Trotzdem klingt Großvater viel schöner als, sagen wir mal, Rentner.
Neben mir im Stubenwagen schnarcht die kleine Wurscht, die meine Tochter vor ein paar Wochen geboren hat.
Unser Jonathan.
Jonathan, nicht »Dschonässen«, obwohl der Vater Amerikaner ist. Da legen wir Wert drauf. Er, also der Ami, und meine Tochter Mareike sind gerade bei einer Wohnungsbesichtigung, und meine Frau muss arbeiten. Erst haben sie alle drei panisch nach Luft geschnappt und große Augen gekriegt, als ich sagte: »Der Opa macht das schon. Ich passe auf den Jungen auf.« So was wie ein Wohnungsbesichtigungstermin ist heutzutage schließlich wie ein Sechser im Lotto, den kann man nicht absagen oder wahllos verschieben! Eine bezahlbare Wohnung in Berlin zu finden, gehört zu den härtesten Prüfungen für junge Familien.
Trotzdem wurde intensiv im Familienrat getagt und ewig hin und her diskutiert, aber was sollten sie auch anderes machen, als zu sagen: »Doch, der Günter hat sich gut geführt. Der war auch früher schon mit Mareike mal ein paar Stunden allein, dem ist durchaus zuzutrauen, einen Nachmittag lang auf den Enkel aufzupassen.«
Mareike hat den Kleinen, bevor sie sich auf den Weg gemacht haben, gefüttert und frisch gewickelt. Ich musste nachweisen, dass ich die Nummern vom Kinderarzt und von allen Familienmitgliedern im Handy gespeichert habe, und dann sind sie los. Mareike hat auch erst viermal angerufen und gefragt, ob alles in Ordnung ist. Das ist für eine Mutter, die zum ersten Mal nach der Geburt von ihrem Baby getrennt ist, völlig im Rahmen.
Eigentlich sollte er durchratzen, der kleine Wurm, aber er findet es viel schöner, von Opa auf dem Arm durch die Wohnung getragen zu werden und zu gucken. Der ist ja schon so weit! Was der alles sieht! So, wie der guckt, weiß der ganz genau, dass das die Mama ist auf dem Foto und wo der Teddy sitzt. Das dauert keine zwei Wochen mehr, dann spricht der seine ersten Worte, ich sag Sie das, wie es ist. Ein ganz schlaues Kind ist das. Na, wie sollte es auch anders kommen bei den Genen. Er wächst noch dazu zweisprachig auf. Es bleibt ihm ja gar nichts anderes übrig, wo der Vater doch nur gebrochen Deutsch spricht. Aber dem Kind gelangt das nur zum Vorteil.
Ich habe ihn nach einer halben Stunde Herumtragen wieder hingelegt. Nicht nur, weil er schlafen soll, sondern auch, weil Brigitte jeden Moment von Arbeit kommen könnte. Die macht ständig Überstunden, obwohl sie es nicht mehr müsste. Sie ist in Altersteilzeit, schuftet aber trotzdem in einer Tour in ihrer Kaufhalle – komischerweise jedoch nur, wenn ich zu Hause bin. Aber seit der Kleine da ist, macht sie öfter mal eine Stunde früher Feierabend. Wir rangeln beide ein bisschen um die Zeit mit dem Enkel. Er ist aber auch zu goldig! Und da Brigitte ihn sowieso wieder hochnehmen und umhertragen wird, soll er mal noch ein Stündchen Schlaf haben. Es ist wirklich schwer, sich von ihm zu trennen und ihn in den Stubenwagen zu legen. Dieser Duft – so eine Mischung aus Babypuder und engelhafter Unschuld auf dem kleinen Babyköpfchen – das hat die Natur wirklich geschickt gemacht. Man muss sie einfach lieben, die Kleinen!
Unsere Tochter Mareike war ja schon ausgezogen und hat in einer WG in Ostberlin gewohnt, gleich seinerzeit, als sie ihre Ausbildung zur Polizistin begonnen hat. Irgendwann schleppte dann eine Mitbewohnerin einen Kommilitonen an, meinen jetzt Sozusagen-Schwiegersohn Dennis, und die Dinge nahmen ihren Lauf. Das Ergebnis schnarcht nun leise neben mir im Körbchen. In der WG konnte Mareike, schwanger und allein, wie sie war, nicht bleiben, denn Dennis ging für ein Spezialsemester nach Amerika. Nun, wo Jonathan da und Dennis wieder zurück ist, sitzen wir hier in unseren drei Zimmern. So niedlich und herzerwärmend das auch ist, auf Dauer ist die Wohnsituation nicht auszuhalten. Mit drei Generationen und nur einem Bad auf 64 Quadratmetern, das kann anstrengend sein.
Aber ich bin schon mitten beim Erzählen, und es geht ganz schön durcheinander. Ich fange am besten mal vorne an:
Am Anfang, wenn man in Rente ist, juckt es einen noch. Man glaubt, man käme nicht aus ohne die Arbeit. Der Mensch ist schließlich ein Gewohnheitstier, und wenn man über vierzig Jahre lang zur Schicht gegangen ist und den »großen Gelben«, also den Linienbus, gesteuert hat, geht es gar nicht von heute auf morgen ohne! Wie oft bin ich nachts hochgeschreckt, weil ich Angst hatte, verschlafen zu haben! Aber das gab sich im Laufe der Zeit, denn, wie gesagt: Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Und schneller, als ich dachte, gewöhnte ich mich daran, mich wieder umzudrehen und noch ein Stündchen schlafen zu können. In den ersten Wochen konnte ich es auch gar nicht abwarten, dass die von der Zentrale mich anriefen und ich Vertretung fahren durfte. Was war das für eine Freude! Allein das Zischen, wenn ich die Bustür aufmachte. Dieses Tschschschschsch … Ach, das ist ein herrliches Geräusch! Aber irgendwann habe ich Dosenbier für mich entdeckt und dass es fast genauso zischt, wenn man es öffnet. Das macht das gleiche gute Gefühl und schmeckt auch noch, höhö!
Jedenfalls wurde das immer weniger mit der Busfahrerei. Mir fehlt es auch nicht, man gewöhnt sich irgendwann daran, mehr Zeit für sich, seine Frau, seine ganze Familie und für die Einhaltung der Ordnung in der Umgebung zu haben. Die alten Kollegen sind auch fast alle nicht mehr da, es ist nicht mehr dasselbe. Und es ändert sich ja auch ständig was! Zu meiner Zeit gab es das nicht, dass die Fahrgäste einfach hinten einstiegen. Aber die Sitten sind verlottert: Jeder geht rein und raus, wo er lustig ist. Hinten, in der Mitte oder vorn, alle purzeln aus dem Bus und schieben sich rein, gerade wonach ihnen ist. Und den Fahrausweis zeigt auch kaum noch einer, schon gar nicht unaufgefordert. Das ist nicht mehr meine Welt! Die jungen Kollegen interessiert das auch gar nicht, und das würde mich nur aufregen, müsste ich das jeden Tag miterleben. Ich habe den Test gemacht, ich bin vorn eingestiegen und habe statt des Fahrausweises ein Foto von zwei springenden Delfinen im Sonnenuntergang hingehalten. Der Kerl auf dem Fahrersitz hat genickt.
Nee, das ist nicht mehr meine Welt!
Wenn Not am Mann ist, bin ich immer da, das wissen die im Personalbüro. Die können mich immer anrufen, und ich springe ein. Auf mich ist Verlass. Aber ich bringe mich nicht mehr in Erinnerung bei denen. Ein Günter Habicht drängt sich nicht auf. Wenn die mich brauchen und haben wollen, melden die sich schon.
Man muss ehrlicherweise auch eingestehen, dass man nicht mehr der Jüngste ist. Es soll auch nicht so enden, dass sie hinter meinem Bus hergucken wie hinter Opa Kurt mit seinem Toyota, wenn ich durch die Straßen fahre. Opa Kurt ist 87 und geht am Stock, und er sieht so schlecht, dass er letzten Winter erst zu Hause in der Garage gemerkt hat, dass er die falsche Frau im Edeka auf den Beifahrersitz gesetzt und mitgenommen hat. Seine Ilse hat vielleicht geschimpft! Jedenfalls, als sie mit dem Taxi zu Hause war. Aber gut, mit diesen Masken in der Corona-Zeit waren es auch wirklich erschwerte Bedingungen.
Mir geht es gut als Rentner. Ich habe mein Einkommen. Die Rente ist nicht üppig, aber dafür ist sie schon auf dem Konto, bevor ich aufgestanden bin, das sage ich oft. Und den Tag habe ich bisher immer so rumgekriegt, dass ich nie Langeweile hatte. Es kommt immer darauf an, was man draus macht!
Erst recht, wo ich nun bald Großvater werde, sind meine Tage ausgefüllt und spannend.
Letztes Weihnachten hat unsere Tochter Mareike uns erzählt, dass sie schwanger ist. Da bin ich, das gebe ich zu, sofort in den »Oh Gott, eine Teenager-Schwangerschaft, wir kriegen das aber irgendwie hin«-Modus gefallen. Während ich noch das Bild von meinem kleinen Mädchen mit Zahnlücke und Zöpfen auf meiner Kaffeetasse anguckte und mich fragte, wo die Zeit hin ist, holte mich Brigitte mit zwei Sätzen in die Wirklichkeit zurück. »Sie wird dreißig, Günter. Und sie ist verbeamtete Polizistin.« Wir fanden uns in dieser Realität auch sehr schnell zurecht, alle beide, und freuten uns, Großeltern zu werden. Ich konnte es kaum abwarten, ein Opa zu sein, der dem Enkel einen Geldschein zusteckt und dabei so gütig guckt wie ein Mafiaboss! Das musste sich doch wunderbar anfühlen, auch wenn man genau weiß, dass die Blagen es für Brausepulver oder Pfeffischnaps verballern, je nach Alter.
Ein paar Wochen nach der freudigen Verkündung war Mareike bei uns auf Besuch. Sie nagte gerade an einem schrumpeligen, ungespritzten Apfel, von denen sie sich in letzter Zeit fast nur noch ernährte, als sie quasi nebenher eine Bemerkung fallen ließ, die mein ganzes Frührentnerleben, wie ich es mir nun mühsam antrainiert hatte, wieder auf den Kopf stellte.
Während sie die Apfelkerne aus dem Mund polkte, sagte sie: »Ich muss mir ja nun auch überlegen, ob ich in der WG bleibe mit dem Kind, wenn Dennis im nächsten Semester nach Amerika geht. Vielleicht nehme ich mir lieber eine eigene kleine Wohnung.«
Ich legte die Zeitung, in der ich gerade das Fernsehprogramm studiert hatte, beiseite, und auch Brigitte kam, das Geschirrhandtuch über der Schulter, in die Wohnstube gestürzt.
»Was soll das heißen, Mareike?«, fragte ich zugegeben ein bisschen unpräzise.
»Dass ich noch nicht weiß, ob ich mir eine kleine Wohnung nehme oder ob ich in der WG bleibe, Papa, das habe ich doch gerade gesagt.« Mein Kind bedachte mich mit einem Blick, der sagte: »Du wirst alt, ich spreche ab jetzt lauter und langsamer.«
»Was ist mit dem Amerikaner? Was macht der im nächsten Semester?«
»Der Amerikaner, lieber Papa, heißt Dennis, und er ist der Vater deines Enkels. Du könntest dir den Namen also mal merken«, raunzte sie mich unwirsch an. »Er muss für sein Studium unbedingt dieses Spezialsemester machen in Texas, das lässt sich nicht ändern, und das steht seit Jahren fest.«
»In Texas? Wo sie einfach so Maschinengewehre kaufen können?«, fiel Brigitte erschrocken ein.
»Mama, bitte!«
Brigitte war trotz Ermahnung nicht wirklich beruhigt, aber das interessierte Mareike nicht groß.
Mir war klar: Der Erzeuger wollte sich aus dem Staub machen. Spezialstudium, Fachsemester, pah! Als ob es hier nicht genug zu lernen gäbe! Erst einem Mädchen ein Kind machen und dann abhauen, so was haben wir gerne. Dem würde ich die Wacht am Rhein ansagen oder meinetwegen auch die Wacht am Mississippi.
Moment, jetzt muss ich das Wort erst mal angucken, ob das richtig geschrieben ist.
Mit »Mississippi« ist es wie mit »Philipp«, ich weiß nie, wie viele »p« da reingehen. Beim Mississippi kommen noch die »s« dazu, was es noch schwerer macht … aber es müsste stimmen.
Es ist ja heute undenkbar, dass eine Ausbildung oder ein Studium individuell und auf den eigenen Lebensentwurf zugeschnitten erfolgt. Lesen, lernen, prüfen; zack, zack, zack – alles ist stromlinienförmig getrimmt auf Tempo und darauf, dass man der Wirtschaft so schnell wie möglich neue Leute zuführt. Da wird gar nicht mehr von Menschen gesprochen, sondern von Ressourcen. Die Personalabteilung bei uns im Verkehrsverbund heißt heute »HRM«. Ich dachte mir schon, dass das was Englisches ist, das ist ja üblich. Man kann ja in manchen Cafés in Berlin nicht mal mehr ein Tafelwasser bestellen, das heißt jetzt »Table Water«. Die tun ja auch alle dicke mit ihren Berufsbezeichnungen! Englisch muss es sein, und wenn nicht das, dann aber auf jeden Fall hochtrabend. Meine Güte, da kriegt man Visitenkarten zu sehen, dass man sich das Lachen verkneifen muss. »Senior Vice President« heißt eigentlich nichts anderes als »Urlaubsvertretung, wenn der Chef nicht im Haus ist«. Ich sammle solche witzigen Spinnereien mittlerweile und mache mir einen Spaß daraus, auch andere ein bisschen damit zu foppen. Als ich mit meinem Kumpel Erbse in Bad Klageberg war, weil er da im Kurheim einen Auftritt hatte, fragte mich die Assistant-Direction-Vice-Adviser-Marketing-Dame, also die Sekretärin, was meine Frau beruflich mache. »Sie ist Fonds-Managerin«, sagte ich, ohne mit der Wimper zu zucken, und habe nicht mal gelogen dabei. Schließlich hatte sie mir am Telefon eine Stunde vorher noch erzählt, dass sie heute in ihrem Supermarkt das Regal mit der Hühnerbrühe neu sortieren wolle.
Oder die Freundin von Oma Berchmann, die den Pflegedienst für ihren Mann braucht. Pflegerin darf man ja auch nicht mehr sagen, da fühlen die sich abfällig bezeichnet und nicht wertgeschätzt. Obwohl es gar nicht böse gemeint ist! Aber bitte, ein Günter Habicht lernt gern dazu und sagt Fachpflegerin, wie sie es sich wünscht. Die hat jedenfalls bei dieser Mechthild geklingelt, und der Enkel hat aufgemacht. »Ich bin die Fachpflegefrau für den Opa, mein Junge. Sag doch mal der Oma Bescheid, dass ich da bin!« Und was macht die kleine Rübe? Brüllt so laut bei offener Tür durch das Haus, dass alle es hören können: »OMA! Komm mal! Die Flachlegefrau für Opa ist da!«
Na, und so was bei uns im Kiez, noch dazu, wo Oma Bergmann mit ihrer Freundin Gertrud auf dem Balkon saß und Bienenstich in sich reinschaufelte. Erst haben sie pikiert gekichert wie zwei verschämte Jungfrauen, aber später machte die Geschichte doch die Runde durch den ganzen Kiez. Hinter vorgehaltener Hand, aber geratscht ist geratscht. Höhö!
Jedenfalls sind den Leuten die aufschneiderischen englischen Titel und Begriffe schon selbst zu kompliziert, und sie kürzen es verschämt ab. »HRM« heißt Human Ressource Management. Verwaltung menschlicher Ressourcen. Pah! Das klingt doch schon verächtlich und als wäre man nur noch eine Nummer. Eine Zahl, ein Rädchen im Getriebe! Das Abi wurde um ein Jahr vorgezogen, zum Bund müssen sie nicht mehr, also sind sie zwei Jahre früher fertig und können als passgenaues Bauteil in die Mühlen der Wirtschaft eingesetzt werden. Da ist keine Zeit für: »Huch, ich habe meine Freundin geschwängert und kümmere mich anstandshalber um sie.« Wer aussteigt, bleibt zurück und muss auf den nächsten Bus warten, und der hieß im Falle von Dennis »Auslandssemester« und fuhr frühestens im nächsten Jahr wieder.
Dehnungsfugen sind eine feine Sache, jeder Handwerker kennt das: An Übergängen zwischen bestimmten Materialien gibt man den Flächen ein bisschen Ausgleichsplatz. Das Leben, in dem die Jungschen mit Wissen druckbetankt werden, kennt aber keine Dehnungsfugen. Es gibt keine Zeit für Experimente, keine Zeit, etwas über sich und das wirkliche Leben rauszufinden oder gar Zeit, sich um seine Familie zu kümmern. Man muss mitmarschieren und Takt halten, sonst fällt man hinten runter oder gilt als gescheitert.
Mareike erzählte uns noch viel über verfallende Stipendien und Regelstudienzeiten und dass es eine wirklich einmalige Chance sei, dieses Halbjahr gleich mit einem Praktikum zu verbinden, eine Gelegenheit, die nicht so schnell wiederkomme. Ich war traurig, dass meine eigene Tochter die Dinge als so unabänderlich ansah und dass sie dem ganzen Prozedere klaglos zustimmte. So sind die jungen Leute heute, getrimmt für die Wirtschaft, keine Zeit für die Familie und schon gar nicht für die Gesellschaft!
Andererseits war ich auch stolz auf meine Tochter. Wir hatten sie zu einer vernünftigen, starken jungen Frau erzogen, die ihren Platz im Leben gefunden hatte und die ihren Weg ging. Wir hatten ihr Werte mitgegeben, die ihr ein Gerüst und Rückhalt boten, sich in dieser Welt zurechtzufinden. Mehr kann man als Eltern doch nicht erreichen, alles andere müssen die Kinder selber tun. Man muss auch wissen, wann man sich zurückzuhalten hat.
Mit guten Ratschlägen ist es nämlich so eine Sache. Sie sind ein bisschen wie das Gefühl, das aufgeblasene Schwimmflügel verursachen, wenn sie über die trockenen Kinderärmchen gezerrt werden. Noch schlimmer als guter Rat ist ja eigentlich nur gut gemeinter Rat, und wenn man das weiß, hat man als Eltern erwachsener Kinder meist ganz zerbissene Lippen.
Wir hatten trotz dieser Grundsätze eine heiße Diskussion an diesem Abend. Der Amerikaner – also, Dennis – würde in drei Wochen seine Koffer packen und sich aus dem Staub machen, und er würde Frau und ungeborenes Kind hier zurücklassen.
Mareike in ihrer Naivität sah darin überhaupt kein Problem. Mit dem Argument »Ich bin nicht krank, ich bin nur schwanger« bügelte sie alle Einwände von Brigitte und mir weg. Meine Frau und ich waren uns unabgesprochen einig, dass eins ein Ding der Unmöglichkeit war: dass das Mädchen da in ihrer WG allein vor sich hin wohnen würde, mit fremden Leuten unter einem Dach, die mal da waren und mal nicht, aber auf keinen Fall vertrauenswürdig. So weit kommt’s noch! »Gute Freundinnen« hin oder her, die feiern da Partys bis in die Puppen und bringen fremde Männer über Nacht mit, die morgens dann das Bad blockieren, wenn Mareike dringend rausmuss. Ich werde langsam alt und vergesse viel, aber dass Brigitte in der Schwangerschaft ständig pullern musste wie eine blasenverkühlte Pennälerin, daran erinnere ich mich noch genau. Wenn die mal nicht auch Drogen nehmen, diese Kerle. Wer weiß das schon? Und selbst wenn nicht, wenn es drauf ankommt, sind die Mitbewohnerinnen sowieso im Kino oder haben Spätschicht, und Mareike würde mit Presswehen alleine in der Wohnung sitzen. Noch dazu da drüben, in Marzahn. So kurz vor Polen! Wer weiß überhaupt, wie die Krankenhausversorgung da ist. Nee, nee, nee, das kam gar nicht infrage.
Dass die Knallcharge nach Amerika abschwirrte, schien Brigitte nicht groß zu wundern. Die regte sich gar nicht auf, das ist meist ein Zeichen, dass sie das längst gewusst hat. »Das müssen wir Vati nicht sagen, der erfährt das noch früh genug« ist der meistgeflüsterte Satz zwischen meinen beiden Frauen, also zwischen Brigitte und Mareike. Die denken, ich bin taub wie ein Türknauf. Aber ich höre wie ein Luchs, und wenn Frauen tuscheln, spitze ich erst recht die Ohren. Die haben nämlich meist einen Grund! Wenn sie nicht wollen, dass wir Männer das hören, gehen die zu zweit pinkeln oder flüstern. Gut, auf den Lokus gehe ich nicht hinterher, aber wenn sie tuscheln, horche ich auf. Meist versteht man nichts, sie nuscheln und zischen nämlich sehr. Aber »Das muss Vati nicht wissen«, das höre ich oft raus.
Wie dem auch sei, es ging mir ein bisschen gegen den Strich, dass gar nicht mehr lange darüber gesprochen wurde, was für eine unglaubliche Frechheit es war, dass der Am…, der Dennis mein schwangeres Kind hier sitzen ließ. Das war ein Fakt, der einfach so hingenommen wurde. Es ging nun hauptsächlich darum, und da waren Brigitte und ich uns einig, dass Mareike selbstverständlich zu uns ziehen würde.
Also, erst mal.
Bis zur Geburt und bis der Herr vielleicht mal wieder nach Hause käme. Ich traute dem nicht über den Weg. Wenn der erst mal an seinem Mississippi (ich weiß jetzt, wie es geht, höhö!) saß und seine Angel in andere Gewässer … man kennt das doch. Aus den Augen, aus dem Sinn. Nach dem Krieg haben viele GIs auch unsere deutschen Frolleins geschwängert und sich dann verdrückt.
Mareike war mit ihrem Bioapfel bis auf den Griepsch durch und griff nach dem nächsten. Amüsiert hörte sie sich an, was Brigitte und ich vortrugen, und fragte dann, ob wir sie noch alle hätten.
OB WIR SIE NOCH ALLE HÄTTEN.
Frechheit. Man sorgt sich und bietet Hilfe an, und … und was ist die undankbare Antwort der verwöhnten Brut?
»HABT IHR SIE NOCH ALLE?«
Sie fand die Vorstellung, in ihr altes Kinderzimmer zu ziehen, offenbar nicht so reizvoll wie wir.