Leben mit Demenz - Gabriele Knell - E-Book

Leben mit Demenz E-Book

Gabriele Knell

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Beschreibung

In dem Buch "Leben mit Demenz" erzählt die Autorin die Geschichte ihrer demenzkranken Mutter, und sie beschreibt auch ihre eigenen Gefühle, Gedanken und Erfahrungen der vergangenen Jahre. Weiters berichtet sie auch über spannende und ungewöhnliche wissenschaftliche Erkenntnisse über das Gehirn, das Bewusstsein und wie man gesund altern kann.

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Inhaltsverzeichnis

Die Geschichte meiner Mutter

Ideen, Ansätze und Beobachtungen

Mentales Training und geistige Fähigkeiten

Neues aus der Demenzforschung

Nahrungsergänzungsmittel

Quantenphysik und Hirnforschung

(

Quanten)Computer und Gehirn

Ein Dialog zwischen einem Hirnforscher und einem buddhistischen Mönch

Lebensfreude

Heilende Gedanken

Die Geschichte meiner Mutter

Es begann im Spätherbst 2013 als meine Mutter so vergesslich wurde, dass wir 4 Kinder den Eindruck bekommen haben, dass sie nicht mehr die ganze Woche alleine leben kann. Diese Erkenntnis war sehr einschneidend für mich, besonders weil ich in den ersten Jahren ihrer Demenzerkrankung die Hauptarbeit der Betreuung und Unterstützung übernommen habe als Tochter, meine 3 Brüder sind erst mit den Jahren voll eingestiegen in die Betreuung der Mutter. Bereits im Winter 2013/2014 also ziemlich am Anfang hat diese Situation Verzweiflung, Zukunftssorgen und Ängste ausgelöst. Bis heute bin ich manchmal sehr unglücklich, dass die Mama ihre geistigen Fähigkeiten ganz verloren hat im Laufe der vielen Jahre. Ich vermisse jene Mutter, die sie früher war, die Mama, die im Garten gearbeitet hat, voller Lebensfreude und Vitalität war, die an unseren Leben teilgenommen hat, mit der ich mich unterhalten konnte. All diese Erfahrungen sind Vergangenheit, und ich frage mich, wo diese Mutter geblieben ist, wie es möglich ist, seinen Geist zu verlieren und dennoch körperlich voll lebendig zu sein. Der Geist, so scheint es, hat sich aufgelöst, der Körper ist noch da. Sie kann noch reden, essen, trinken, schlafen, niesen, gähnen, sich bewegen, schauen und greifen. Aber sich kann sich nicht mehr bewusst erinnern, sich nicht mehr deutlich mitteilen, man kann sich gar nicht mehr mit ihr unterhalten, sie kann nicht mehr erzählen, wie es ihr geht, was sie denkt.

Aber die Lebensgeschichte meiner Mutter begann natürlich mit ihrer Geburt Anfang der 1930iger Jahre. Sie erlebte also noch den 2. Weltkrieg und die Nachkriegszeit in Österreich, verlor ihre Brüder in jungen Jahren im Krieg, und hat das nie wirklich überwunden. In den Jahren des 2. Weltkriegs war meine Mutter ein kleines Mädchen, das dennoch den Hunger, die Angst und die Kriegstraumata miterlebt musste. Zu allem Übel haben sie und ihre einzige Schwester auch noch als Kleinkinder beide Eltern verloren, so wuchsen sie im Krieg auch noch als Vollwaise auf. Man könnte annehmen, dass die Seele unter all diesen Schicksalsschlägen von beiden Schwestern sehr gelitten hat, so sehr, dass beide zwar sehr robust und körperlich widerstandsfähig sehr alt wurden und werden. Doch beide hat vielleicht nicht zufällig im Alter die Demenz heimgesucht, sie verloren ihr Gedächtnis, die Erinnerungen an ihr Leben, an ihre Geschichte. Die Schwester meiner Mutter, die 8 Jahre älter ist als sie, starb wenige Tage vor ihrem 90.Geburtstag vor einigen Jahren. Meine Mutter lebt noch, sie wird Anfang Juni 2024 91 Jahre alt. Doch ein selbständiges Leben ist ihr nicht mehr vergönnt. Wir 4 Kinder kümmern uns um sie, und ich wünsche mir immer noch, dass es nie zu dieser Demenz gekommen wäre, dass sie noch immer im Bewusstsein ihrer Lebensgeschichte und ihres jetzigen Daseins leben könnte. Ist es ein Verhängnis so aus dem Leben zu scheiden, ohne zu wissen, wer man ist, wer man war und was man im Laufe seines Lebens erlebt hat? Ist es eine Gnade nicht mehr zu wissen, dass man fast sein ganzes Leben schon hinter sich hat und nicht mehr weiß, dass man sterblich ist?

Da ich so großes Mitleid mit meiner Mutter empfinde, weil sie ihre geistigen Fähigkeiten verloren hat, wollte ich ihr unbedingt helfen, ich wollte etwas finden, was auch immer, dass es möglich macht ihre geistigen Fähigkeiten wieder zu erlangen oder wenigstens besser zu machen. Es ist so schade, dass auch die Medizin immer noch völlig machtlos ist, Demenz zu heilen. Manchmal empfinde ich das unendlich frustrierend und traurig. Traurig für die Mama, die nicht mehr weiß, dass sie ein tüchtiger Mensch war, eine starke Frau, die nach dem frühen Tod meines Vaters und ihres Ehemannes die ganze Verantwortung für ihre 4 Kinder alleine sehr gut gemeistert hat, inclusive all der finanziellen Verpflichtungen und der Verantwortung für das Haus und die Wohnung. Aber sie hat vor 37 Jahren als mein Vater und ihr Ehemann starb diesen plötzlichen und unerwarteten Tod als ebenso schockierend und einschneidend erlebt wie wir Kinder. Sie hat einige Zeit das Mittel " Nervenruh" genommen. Einmal hat sie mir auch erzählt, dass sie dieser Tod schlimmer getroffen hat als der Tod ihrer Tante und Adoptivmutter.

Dennoch hat sie die Herausforderungen angenommen und eigentlich den Eindruck vermittelt, dass sie gut mit der neuen Lebenssituation klarkommt. Ich weiß noch, dass ich am Todestag meines Vaters schon in Wien an der Universität war, und am darauffolgenden Tag meine erste Prüfung absolvieren musste. Der Pfarrer ist auch zu ihr gekommen, und hat einen ganz wichtigen Satz zu ihr gesagt, dass sie Kinder sie brauchen. Vielleicht hat ihr dieser Zuspruch auch viel Kraft gegeben. Trotzdem glaube ich aber, dass sie ihr ganzes Leben lang eben zu wenig stolz auf sich war. Meine Mutter war immer viel zu bescheiden und hat sich in weiblicher Zurückhaltung geübt, alles Verhaltensweisen, die in patriarchalischen Gesellschaften von Frauen erwünscht waren und vielleicht auch noch sind. Respekt, Wertschätzung und Anerkennung haben Frauen nicht bekommen. Die Generation von Frauen heute erleben nicht mehr eine solche Frauenverachtung. Frauen, besonders junge Frauen sehe ich in allen Berufen in Positionen und mit Entfaltungsmöglichkeiten, die es für Frauen, die heute alt und sehr alt sind, Frauen der Generation meiner Mutter. Meine Mutter gehörte noch zu jenen Frauen, die gerne bei den Kindern zu Hause geblieben sind. Sie hat ihre Arbeit als Krankenschwester in der Kinderstation des Krankenhauses für uns Kinder nicht gezwungenen Maßen aufgegeben. Sie hat immer gerne gelesen, und hatte ein Talent fürs Gestalten mit den Händen, diese Neigung hat sie bei der Gartenarbeit, beim Handarbeiten und Backen ausgelebt, später nach dem Tod meines Vaters hat sie sich zu dem auch viel der Gestaltung im Haus gewidmet. Für sie war die typisch weibliche Rolle noch selbstverständlich, sie hat sie nie hinterfragt. Das Bewusstsein für den eigenen Selbstwert und dieses positive, starke Selbstbewusstsein ist eigentlich wesentlich für die Entwicklung geistiger Fähigkeiten, die niemals verloren gehen, auch nicht im hohen Alter. Doch ein gesundes Selbstwertgefühl kann man auch in einer nicht emanzipierten Rolle erleben und fühlen. Ich denke, dass das entscheidende Kriterium dafür eigentlich die Selbstakzeptanz und eine innere Zufriedenheit ist. In letzter Zeit denke ich sehr oft an das Buch des Hirnforschers Gerald Hüther, der genau diese Eigenschaften als Schutz vor Demenz gesehen hat. Als ich dieses Buch vor 5 Jahren erstmals gelesen habe, war ich noch nicht überzeugt von dieser These. Aber mit den Jahren, und seit ich mich viel intensiver mit der Demenz meiner Mutter beschäftige, komme ich nicht vorbei an dieser Einschätzung.

Geistige Fähigkeiten sind kein Selbstläufer, sie entwickeln sich nicht von alleine, die Verbindungen und die Kommunikation von Nervenzellen untereinander ist die Grundvoraussetzung, dass wir diese geistige Persönlichkeit überhaupt entwickeln können. Geistige Fähigkeiten, geistiges Verstehen muss man üben, ständig anwenden und nutzen, sonst gehen sie verloren, vielleicht wie bei Demenz für immer verloren. Man darf sich selber nicht aufgeben, muss zu sich selber stehen, auch wenn es manchmal schwerfällt, die eigene Meinung vertreten, eine eigene Meinung haben. Meiner Einschätzung nach-nach vielen Jahren der Auseinandersetzung mit Demenz-sowohl durch die Erfahrungen und Beobachtungen meiner Mutter als auch mit der Beschäftigung mit wissenschaftlichen Erkenntnissen hat mich zu der Annahme geführt, dass die mentale Ebene, das Denken eines Menschen zentral ist für die geistige Gesundheit. Dies kann kein Medikament ersetzen oder (wieder)herstellen. Chemie und Biologie können natürlich unterstützen, aber sind kein vollwertiger Ersatz für die reine geistige Denkleistung und geistige Arbeit. Geistige Fähigkeiten sind eigenständige Instanzen gegenüber den biochemischen Prozessen im Gehirn und sind nicht nur materieller Natur. Dennoch sind Gedanken materiellen Ursprungs. Geistige Fähigkeiten und das individuelle Denken von Menschen entwickeln ein Eigenleben behaupte ich, unabhängig von den Nervenzellen ist es aber nicht. Negatives Denken wirkt sich negativ auf die Aktivität von Nervenzellen im Gehirn aus, blockiert oder zerstört Nervenzellenverbindungen und Nervenzellenareale. Die Kommunikation wird gestört. Für die geistige Gesundheit braucht es also ein gesundes Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl. Ernährung, Bewegung, wenig Stress, soziale Kontakte alleine können eine Demenz nicht verhindern oder irgendwelche Medikamente. Keine Selbstheilung ohne Selbstliebe, dies ist der Grundgedanke eines Buches von 4 Ärzten, die diese Erkenntnis aus den langjährigen Erfahrungen ihres Medizinerlebens gewonnen haben, sei es auf der Intensivstation, sei es als praktischer Arzt.

Anfang November 2023, bisher war der Herbst wunderschön, warm und sonnig, wir konnten mit der Mama viel hinausfahren auf die Terrasse in die Sonne. Gestern zu Allerheiligen war es auch nochmals sehr schön, die Herbstfarben, rot, gelb, orange, sind momentan sehr prächtig, und einfach ein Genuss fürs Auge und die Seele.

Doch wann immer ich an die Demenzgeschichte meiner Mutter denke, werde ich traurig. Je mehr ich mich mit Hirnforschung beschäftige, umso weniger verstehe ich, dass der Geist und das Gehirn so derartig stark abbauen können, dass man in dem Zustand meiner Mutter kommt. Der Hirnforscher Wolf Singer sagt, dass das Gehirn zu unvorstellbar vielen Möglichkeiten an Netzwerken, Netzwerkverbindungen und Modifikationen dieser neuronalen Netzwerke fähig ist, mehr als es Atome im Universum gibt. Dennoch kann in manchen Fällen das Gehirn und oder der Geist dieses riesige Potenzial gar nicht mehr nutzen, und das verstehe ich einfach nicht. Es muss einen Mechanismus geben, der dieses Potenzial total blockiert, geradezu zerstört. In der Forschung weiß man immer noch nicht, warum Eiweißablagerungen überhaupt wachsen im Gehirn. Noch dazu gibt es Menschen, an Nonnen in einem Kloster wurde dies festgestellt, die solche Eiweißablagerungen zwar aufweisen, aber nicht dement werden. Obwohl die Hirnforschung tatsächlich viele neue Erkenntnisse über die Funktion der Nervenzellen, von Nervenzellenverbindungen, über das Unbewusste und das Bewusstsein gewonnen hat, tappt man immer noch im Dunkel über die wahre Entstehung und Natur der Demenz.

Das Wort Demenz kommt aus dem lateinischen und heisst übersetzt, ohne Geist. Im Endeffekt verlieren Menschen mit Demenz wirklich ihre geistigen Fähigkeiten vollständig. Diese traurige Realität müssen wir jeden Tag an unserer Mutter miterleben, und können gar nichts dagegen tun. Die Ohnmacht von Angehörigen ist leider nicht zu leugnen, und kein leichtes Leben. Unsere Mutter ist noch da und gleichzeitig auch nicht mehr wirklich da. Ihr Geist und ihre Persönlichkeit haben sich anscheinend aufgelöst, sind verschwunden. Durch mentales Training kann man seinen Geist, sein Bewusstsein enorm stärken, so sehr, dass das Alter und der Alterungsprozess dem Geist viel weniger zusetzen kann als es ohne geistiges Training der Fall wäre. Jedenfalls ist es frustrierend der eigenen Mutter nicht helfen zu können, obwohl man sich nichts sehnlicher als das wünscht.

Und dann gibt es wieder Tage wie heute, ein Tag Anfang November-kein typischer nebeliger Tag im Waldviertel-wo ich zufrieden bin, mich glücklich fühle, dass die Sonne scheint, es der Mama gut geht. Angesichts der Tatsache, dass sich mein jüngster Bruder wieder mit dem Coronavirus infiziert hat, und sich folglich seit Tagen in seinem Zimmer abgesondert hat, damit er die Mama nicht anstecken kann, bin ich sehr erleichtert, dass die Mama keine Symptome und Beschwerden entwickelt hat. Ich glaube, da kommt auch nichts mehr, ich bin überzeugt, dass der angepasste Corona Impfstoff, den sie Anfang Oktober erhalten hat, einen guten Schutz bietet. Sie kann aufgrund eines nach einem Sturz erlittenen Knochenrisses im linken Oberschenkelhals, der im Krankenhaus übersehen wurde und folglich durchgebrochen ist seit 3 Jahren nicht mehr gehen kann. Manchmal tut es mir noch sehr leid, dass die Ärztin im Krankenhaus nicht genauer hinsehen wollte, und sie nun nicht mehr gehen kann. Auch in diesem Fall war ihre Demenz ein Nachteil, weil meine Mutter nicht sagen konnte, wo genau sie Schmerzen hat. Sie konnte zwar das linke Bein nicht mehr belasten, aber es war nicht klar, warum eigentlich nicht. Wir haben uns wegen des hohen Risikos einer OP in ihrem Alter dagegen entschieden, noch dazu hat uns der Orthopäde mehrmals versichert, dass sie auch nach einer Operation nicht mehr wieder gehen wird können da sie aufgrund ihrer fortgeschrittenen Demenz keine Rehabilitationsübungen umsetzen kann. Sie sitzt seit damals im Rollstuhl, und ist keinen einzigen Tag gelesen. Eigentlich ist es schon erstaunlich und nicht selbstverständlich, dass sie diese Verletzung überlebt hat, und noch dazu nicht liegen muss. Meine Mutter ist ein Phänomen, sie hat auch eine Corona Infektion ziemlich gut überstanden, sie lag zwar 3 Tage im Krankenhaus, hatte aber keine lebensbedrohlichen Symptome. Ich frage mich oft, woher sie ihre Lebenskraft und ihr Durchhaltevermögen nimmt.

Leider gibt es immer wieder Tage, wo einfach verdammt viel schiefgeht. Die Mama hat am Vormittag erbrochen, vielleicht eine Reaktion auf den neuen Grippeimpfstoff, der für ältere Menschen diesmal stärker dosiert wurde im Vergleich zu den Kindern und Menschen unter 60 Jahren. Man braucht schon verdammt gute Nerven, um nicht zu verzweifeln und ist wegen all der Belastungen leichter gereizt und verärgert.

Doch ich weiß, dass es viele Menschen gibt in diesem Land, die einerseits unter der enormen Verteuerung besonders von den Energiekosten leiden, und auch gleichzeitig pflegende Angehörige sind. Das Leben kann manchmal außerordentlich frustrierend sein. Und dennoch trotz all dieser Belastungen und Widrigkeiten des Lebens will ich einfach positiv und zuversichtlich sein, vielleicht auch gerade deswegen. Es kommt nämlich irgendwann der Punkt, an dem man der ganzen Belastungen und Schwierigkeiten überdrüssig wird, und man will trotzdem fröhlich und optimistisch sein und auch so in die Zukunft blicken. Ich will mich einfach nicht unterkriegen lassen egal, was auch an Unannehmlichkeiten, Ungerechtigkeiten daherkommen und einem treffen. Das wichtigste ist für mich, dass ich nach Lösungen suche, und ganz sicher nicht kampflos aufgeben werde. Ich erinnere mich an die ganz junge Frau, die ich einmal war am Anfang meines Jusstudiums. Ich war fest entschlossen, dieses Studium durchzuziehen und positiv zu beenden. Es war ein harter Kampf, da es viele Hürden gab für uns Studierende, weil es sehr viele Jusstudierende gab, ein Massenstudium eben. Und daher sind auch viele gescheitert. Ich habe es durchgezogen, obwohl ich nach 1,2 Jahren Studium wusste, dass ich nicht in einem juristischen Beruf arbeiten will. Einen Abschluss zu haben, hat sich gelohnt. Ich glaube, es lohnt sich immer im Leben, nicht aufzugeben, auch wenn es aussichtslos erscheint. Erst wenn man wirklich alles versucht hat, und alle Möglichkeiten ausgeschöpft wurden, und das Interesse erloschen ist, lohnt es sich nicht mehr. Irgendwann wird es auch Energieverschwendung und ein Kampf gegen Windmühlen, wie im Don Quichote. Die Demenzkrankheit der Mama scheint eigentlich, ein solcher aussichtsloser Kampf zu sein. Es scheint so, als ob ihr Gehirn sich unwiderruflich in ein frühes Kindheitsstadium rückentwickelt hat, und eine Umkehr nicht mehr möglich scheint. Ich bedauere das sehr, und hätte mir für sie und für uns Kinder eine andere Entwicklung gewünscht und erhofft. Es ist Ende November und allmählich wird es finster, obwohl es erst halb 5 am Nachmittag ist.

Heute am Vormittag habe ich der Mama Musik am CD-Player vorgespielt, Trompetenmusik, Panflöte, und andere Instrumentalmusik, ich dachte, dass sie diese Musik positiv stimmt und aktiviert, da sie ein paar Mal auf einen Trompeter im Fernsehen so aktiv reagiert hat. Doch diesmal ist es ihr leider nicht gutgegangen, und sie musste erbrechen. Das war am Vormittag, nun ist der Nachmittag schon fortgeschritten, und sie musste sich nicht mehr übergeben. Was auch immer es war, wir wissen es nicht. Hauptsache, es geht ihr seit Stunden wieder besser, aber sie wirkt heute sehr müde.

Wahrscheinlich hat sie die Impfung doch nicht gut vertragen.

" Das Leben ist für keinen von uns leicht, doch man muss Selbstvertrauen haben, und daran glauben, dass man für eine bestimmte Sache begabt ist, und diese Sache muss man erreichen, koste es, was es wolle. " Das waren die Worte von Marie Curie, der berühmten Nobelpreisträgerin für Chemie und Physik, bevor sie Pierre Curie begegnet ist, und lange bevor sie die gemeinsamen, großen wissenschaftlichen Entdeckungen gemacht haben. Die Entdeckung von Plutonium und Radium. Meine Lebensgeschichte ist natürlich und besonders eng verbundenen mit der Lebensgeschichte meiner Mutter. Was ist ein eigenes Leben? Hat die Mama noch ein eigenes Leben? Habe ich nicht noch viel mehr von meinem eigenen Leben als sie? Ich kann noch selber entscheiden, was ich machen will, was ich sage und denke, meine Mutter kann nicht mehr gehen, kann nicht mehr sagen, was sie essen, trinken will, wann sie essen will. Sie kann nicht mehr lesen oder sonstige Dinge machen, sie sitzt nur noch da, isst, trinkt, schläft, schaut oder redet vor sich hin. Das war es auch schon. Wir entscheiden für sie, weil sie das nicht mehr kann. Es gab eine Zeit vor über 12, 13 Jahren, da hat sie oft betont, dass sie schon so vergesslich ist. Manche Leute haben das gar nicht so ernst genommen, und sogar gelacht. Ich weiß auch noch, dass sie etwas später eine Phase hatte, in der sie manchmal davon gesprochen hat, dass sie wert los ist. Da war ich schon erschrocken, und habe versucht sie wieder auf zu bauen. Im Herbst 2013 war sie dann bei einem Neurologen, als sie hin und wieder Schwierigkeiten mit der räumlichen Orientierung hatte, und nicht mehr sofort nach Hause fand.

Er schickte sie zu einer Magnetresonanzuntersuchung ihres Gehirns. Die Diagnose war eine vaskuläre Markencephalopathie, ins Deutsche übersetzt heisst das eine Arterienverkalkung im Marklager des Gehirns, woraufhin ihr der Neurologe ein Medikament verschrieben hat, das sie aber nicht gut vertragen hat, und welches sie auch nicht mehr nehmen wollte. Ihre Vergesslichkeit wurde nicht besser, stattdessen stellte sich noch eine Verwirrtheit ein. Damals war ich nicht glücklich, dass sie das Medikament abgesetzt hat. Da sie sich immer für die gesundheitliche Wirkung von Heilkräutern interessiert hat, hat sie auch einige Bücher darüber zu Hause, ich habe mir gedacht, vielleicht finde ich darin einen Tipp, was man gegen diese Arterienverkalkung im Kopf machen kann, die zu so einer Vergesslichkeit führt. Ich bin fündig geworden, und seit dieser Zeit gebe wir ihr jeden Morgen eine kleine Kanne mit Ehrenpreistee, den man in Bioläden bekommt. Dieser Tee soll die Durchblutung fördern, den Cholesterinspiegel senken, und auch die Verdauung anregen. Letztere funktioniert bei ihr tatsächlich sehr gut.

Wie sehr und ob ihr Gehirn auch profitiert hat, ist schwer zu sagen, jedenfalls konnte dieser Tee die beginnende Demenz nicht stoppen.

Anfang Jänner 2024:

10,11 Jahre kümmere ich mich schon um die Mama, damals Ende 2013 Anfang 2014 war uns Kindern klar, dass wir die Mama nicht mehr länger als 1,2 Tage alleine lassen können in unserem Haus im Waldviertel, da ihre Vergesslichkeit und ihre Verwirrtheit leider so sehr zugenommen hatten, dass sie manchmal nicht mehr wusste, dass sie zu Hause war.

Erstaunlicherweise aber konnte sie sich lange Zeit noch an unsere Wohnadresse erinnern und wann sie Geburtstag hat.

Auch etliche andere Erinnerungen hatte sie ständig auf Anfrage parat gehabt damals vor 10,11 Jahren. Doch heute weiß sie gar nichts mehr. Leider, ich habe lange Zeit gehofft, dass eine Verbesserung ihrer geistigen Verfassung möglich ist, sein muss. Aber diese Hoffnung habe ich mittlerweile begraben, allerdings denke ich immer noch, dass es schade ist, dass sie ihr Leben vergessen hat, sie ihre früheren Aktivitäten nicht mehr ausüben kann, dass ich mich mit ihr nicht mehr unterhalten kann, nicht mehr über vieles im Leben reden kann. Diese Zeiten sind für immer vorbei. Erfreulich erlebe ich die Tatsache, dass sie bald 91 Jahre alt wird, schön, dass sie noch bei uns ist, dass es ihr halbwegs gut geht. Mit Ausnahme ihres Gehirns geht es ihr gesundheitlich ganz gut.

Der nie verheilte gebrochene linke Oberschenkelhals macht ihr keine sichtbaren Probleme, sie braucht nur eine geringe Dosis des Schmerzmittels. Das ist natürlich gut, aber sie kann auch nicht sagen, ob sie Schmerzen hat oder nicht. Ihr Verhalten zeigt keine Hinweise auf Schmerzen, sie wirkt oft sehr entspannt. Nur wenn der Magen- und Darm sich melden und aktiv werden, spürt sie das. Wenn ihr also schlecht ist, und wenn der Darm sich entleert. Ansonsten wirkt sie wirklich tief entspannt. Diese Form des Vergessens bringt es mit sich, dass sie sich keine Sorgen machen kann über Vergangenes und Zukünftiges. Sie lebt in der Gegenwart, sie lebt einfach in den Tag hinein, sie sitzt den ganzen Tag da, ist eben einfach nur da. Wir in unserer hektischen Leistungsgesellschaft mit unzähligen Terminen, Projekten, Aktivitäten und der ständigen Erreichbarkeit durchs Smartphone kennen solche entspannte, gedankenlose, reine Daseinszustände ohne Aktivität und Planung praktisch gar nicht mehr. Wir sind ständig am planen, kommunizieren und konsumieren von Nachrichten, Informationen und Wissen. Dieser Zustand des reinen Seins ist uns längst fremd geworden. Eine Hirnforscherin hat in ihrem Buch" Bewegt dich und dein Gehirn sagt Danke" geschrieben, dass unser Gehirn viel Energie verbraucht durch viel Stress und ständiges Arbeiten.

Im Alter fehlt dann diese Energie, und die Gehirnzellen sterben ab. Also sollten wir eigentlich einen anderen Lebenswandel führen, viel, viel entspannter sein, uns wenig Stress aussetzen in unserem Denken, und diese Hyperaktivität deutlich herunterfahren. Handys, Tablet oder Laptop oft abschalten und einfach an nichts Bestimmtes denken. Die Gedanken einfach nur kommen und gehen lassen, und einfach nur Sein.

Schön finde ich, dass wir Kinder für sie da sein können, jetzt in ihrem hohen Alter, wo sie intensive Betreuung braucht. Der Gedanke an das Ende ist dennoch schmerzhaft. Leider ist das Leben so, das Alter ist noch nicht abgeschafft, und unsterblich sind wir Menschen auch immer noch nicht.

Dennoch frage ich mich immer noch, was der Auslöser ihrer Demenz war. In dem Buch" Gesundheit ist kein Zufall" von Peter Spork findet man interessante, neue wissenschaftlich Erkenntnisse über das eher neue Wissenschaftsgebiet der Epigenetik. Ich habe zwar schon über Epigenetik einiges gelesen und erfahren, aber neu war mir in diesem Buch, dass epigenetische Muster, das sind Genaktivierungsmuster durch die biochemische Umgebung der Gene, diese ein und ausschalten, aktivierbar und inaktivierbar machen können oder auch verstärken und abschwächen können. RNA, Enzyme, Acetyl und -Methylgruppen sind jene biochemischen Substanzen, die direkt auf die Gene wirken. Zellen haben ein epigenetisches Gedächtnis, sie merken sich von Beginn des Lebens an, selbst schon im Mutterleib, welchen Einflüssen wir ausgesetzt sind und wie wir uns verhalten und gelebt haben.

Wir sind also nicht nur von unseren Genen und unseren Erfahrungen unseres Lebens geprägt, sondern diese Prägung wirkt sich über epigenetische Muster auf die Gene aus.

Unsere Vorfahren, also auch unsere Großeltern vererben uns durch das Epigenom ihre Lebensweise, ihre Ernährung, ihre Gesundheit oder Krankheit. Es sind also nicht nur die Gene, sondern die Kombination von Umwelt, Lebensbedingungen und Gene, die über unser Gesundsein und Kranksein bestimmen. Der aktuelle Lebensstil alleine und unsere Gene prägen uns nicht. Diese wissenschaftlichen Kenntnisse haben mich inspiriert über die Familie meiner Mutter nachzudenken.

Wer in ihrer Familie hatte noch Demenz und in welchen Umgebungen haben diese Verwandten gelebt. Die Schwester meiner Mutter ist ebenfalls mit über 80 Jahren an Altersdemenz erkrankt, sie hatte also dasselbe" Schicksal" ereilt wie meiner Mutter. Die Mutter meiner Mutter hingegen starb leider sehr früh, meine Mutter war damals noch ein kleines Kind von 3 Jahren, und ich weiß von Erzählungen anderer, dass meine Mutter darüber sehr traurig war, dass sie viel geweint hat. Sicherlich hat diese Lebenserfahrung ihre Schwester und meine Mutter stark geprägt, denn beide waren dann Vollwaise, weil der Vater noch früher starb, noch bevor meine Mutter auf die Welt kam. Allerdings haben beide Schwestern einen anderen Lebensweg eingeschlagen, sie wuchsen beide in anderen Pflegefamilien auf, und haben andere Berufe ergriffen und während meine Mutter eine eigene Familie mit 4 Kindern aufbaute, hatte die Schwester meiner Mutter keine eigenen Kinder. Ein weiterer großer Unterschied ist die Tatsache, dass meine Mutter am Land aufgewachsen und geblieben ist, ihre Schwester hingegen hat bald das Landleben verlassen und ging noch in jungen Jahren in die Großstadt, dort ist sie auch gestorben im hohen Alter von 89 Jahren. Die auffallendste Gemeinsamkeit der beiden Schwestern ist also der tragische Beginn ihrer Leben durch den frühen Tod der Eltern. Ansonsten gibt es keinerlei gemeinsame Lebenserfahrungen und ein gemeinsames Umfeld. Gestern habe ich mir ganz spontan gedacht, als sie wieder einmal mit Übelkeit und Erbrechen zu kämpfen hatte und im Zuge der Auseinandersetzung mit ihrer Familiengeschichte, dass sie nicht leiden sollte. Ich hatte auf einmal den Eindruck, dass sie ein Muster hat, eine Art psychologisches Muster, ein Leidensmuster. Denn in den vergangenen Jahren kamen zur Demenz noch einige Brüche hinzu, davon ein unverheilter, der nicht mehr heilen kann, und seit einiger Zeit diese Übelkeit. Die Mama hat also eine Leidensgeschichte, in der sie steckt, und als eine plötzliche Eingebung habe ich mir gedacht, dass hinter all dem körperlichen Leiden wohl ein seelisches steht. Da ich selber zu jener Generation von Menschen gehöre, die keinen Krieg miterlebt haben, kann ich mir gar nicht vorstellen, wie schlimm es für ein Kind sein muss, während eines Krieges aufzuwachsen. Wahrscheinlich begann diese Leidensgeschichte, als sie als kleines Mädchen den Krieg miterleben musste und noch dazu als Vollwaise, ohne Eltern.

Als der 2. Weltkrieg begann war sie 6 Jahre jung, und kam schon in die Schule. Der Krieg dauerte 6 Jahre lang, sie hat also in diesem Alter sicher schon bewusst mitbekommen, welche Leiden, Einschränkungen und Schwierigkeiten dieser Krieg für das Leben im Alltag bedeutet hat. Traumata können auch unbewusst weiterleben, und damals gab es noch nicht die Möglichkeit für Kinder, diese Traumata psychologisch aufzuarbeiten. Viele haben später gar nicht mehr davon geredet, und schlimme Erfahrungen im Krieg reden wollen, doch solche leidvollen Erfahrungen leben Unbewusst weiter, sie bleiben im Körper gespeichert. Ich habe ihr gesagt, dass sie nicht immer leiden muss, sie hat das Recht, ihr Leben zu genießen, sich wohlzufühlen, sie muss sich nicht für irgendetwas selber bestrafen und leiden. Es scheint mir, als ginge es bei ihr nicht nur um die Demenz, also um geistige Fähigkeiten, die sie verloren hat, sondern als stünde viel tiefer und weiter gefasst eine seelische Leidensgeschichte dahinter.

Vielleicht ist es ja auch so, dass man im Alter nicht nur die Rechnung präsentiert bekommt für einen ungesunden Lebensstil, sondern auch ungelöste innere Konflikte und Belastungen scheinen sich eben nicht im Laufe des Lebens einfach aufzulösen wie von selbst. Die Zellen haben nicht nur ein Gedächtnis für das Körperliche, sondern vielleicht auch für die unverdauten Lebenserfahrungen. Der Körper trägt alles mit sich, die Seele und den Geist. Die Epigenetik hält uns den Spiegel hin, und darin sehen wir nicht nur, wer wir heute sind, sondern auch wer wir waren, was uns geprägt hat, die Vergangenheit.