Leben ohne Folgen - Roman Graf - E-Book

Leben ohne Folgen E-Book

Roman Graf

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Beschreibung

Ein komischer, berührender Roman über das Scheitern in und an unserer Zeit Die große Liebe ist gefunden, das erste Kind ist unterwegs, bevor steht der Umzug in die Provinz – weg aus der Wahlheimat Berlin. Man hofft auf das vollkommene Glück, aber vollkommen ist nur der Zerfall: Beziehungen rücken in ein anderes Licht, gängige Rollenbilder werden aufgebrochen, aber das Scheitern an den Herausforderungen des Lebens ist unausweichlich. Aus Liebe wird Hass und plötzlich ist die Trennung nah. In verschiedenen literarischen Fragmenten werden Urkonflikte immer wieder neu durchlebt, mit Protagonisten, die sich in der heutigen Leistungsgesellschaft nur schwer zurechtfinden, die sich gleichen, die vielleicht miteinander verwandt sind und deren Leben auf geheimnisvolle Weise verbunden scheinen – beinahe so wie im Werk des großen Schriftstellers Roberto Cotti, der zum Fixstern in diesem literarischen Kosmos des Scheiterns wird. Der Montageroman »Leben ohne Folgen« ist provozierend im Politischen, berührend im Persönlichen und zeigt die Fragilität des Wohlstands. Prallvoll mit Leben oszilliert der Roman zwischen bodenlos Tragischem und absurd Komischem. Überlagerungen, Spiegelungen und Widersprüche fügen sich nach und nach wie Teile eines Puzzles zusammen.

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Roman Graf

Leben ohne Folgen

Roman

Inhalt

Umschlag

Titel

Leben ohne Folgen

Hinweis des Verfassers

Impressum

Die Figuren und Ereignisse in diesem Roman sind fiktiv und frei erfunden – auch die Kohlmeise [zum Text]. Allfällige Ähnlichkeiten mit lebenden Tieren, Personen oder tatsächlichen Ereignissen sind nicht beabsichtigt und entweder Zufall oder »Produkt Ihrer eigenen krankhaften Phantasie« (David Foster Wallace).

für Cosimo

Ich

1

Zeit meines Lebens versuchte ich, meinem Dasein einen Inhalt zu geben – hierin unterschied ich mich nicht von anderen Menschen, deren Streben es war, ihr Leben mit Dingen zu füllen, als wäre es ein Koffer oder ein Kühlschrank. Man konnte dagegen einwenden, die Form, nach der man lebte, sei der Inhalt. Doch ich zog es vor, konkret zu werden, zu handeln und einhundert Schritte von meiner Wohnung zum Supermarkt zurückzulegen, wo ich grüne Bio-Bananen, einen laktosefreien Joghurt und sündhaft teure Himbeeren erwarb.

Von den meisten Menschen unterschied ich mich darin, dass ich keiner Arbeit nachging. Früh – kurz nachdem ich volljährig geworden war – hatte ich Paul Lafargues Das Recht auf Faulheit gelesen und seither lehnte ich Lohnarbeit ab, ja, ich verachtete sie. Während andere, zumindest jene, die einer Lohnarbeit nachgingen, ihrem Dasein mit dieser Tätigkeit einen Inhalt gaben, hatte ich keine solche Tätigkeit; sie war nicht von jener Art, mit der ich die Minuten, Stunden und Tage meines Lebens füllen wollte. Wie soll ich sagen, es war kompliziert. Es gab Inhalte, und es gab Inhalte. Die Freude an jeder Tätigkeit wurde getrübt, sobald man mir Geld anbot; sie erhielt den Ruch der Prostitution – ich aber wollte frei sein, frei, frei, frei!

Nichts wollte ich tun, was eine Erwartung erfüllte, sich in eine Form einfügte. Zum Beispiel der Gang zum Supermarkt, die grünen Bio-Bananen, der laktosefreie Joghurt, die sündhaft teuren Himbeeren: Meine Frau, die gelbe Bananen mit faulen Stellen den heilen grünen vorzog, blickte mich unfreundlich an, Streit lag in der Luft; der laktosefreie Joghurt entglitt meiner Hand, der Plastikbecher fiel zu Boden, platzte und der Inhalt ergoss sich auf eine lahme, perverse Weise über die Küchenfliesen; die sündhaft teuren Himbeeren – sie schimmelten – flogen in den Biomüll. Hatte ich damit meinem Leben an jenem Tag einen Inhalt geben wollen? Nun … Ja!

Ich habe einmal gelesen, beim Schreiben eines Romans solle man mit der Charakterisierung der Hauptfigur beginnen; ich kann, was meine Person angeht, etwas Handfestes, wissenschaftlich Fundiertes anbieten: meine DNA, zumindest einen DNA-Test zu meiner ethnischen Herkunft. Mit dem Gedanken, eigens für ein literarisches Vorhaben einen solchen Test zu machen, schlug ich mich einige Zeit herum. Ich war klar dagegen. Ein Professor vom Max-Planck-Institut sagte in einem Interview, man sei nachher genau so schlau wie vorher. Ich fand, solche Tests befriedigten dasselbe Bedürfnis wie Esoterik, und für mein Horoskop interessierte ich mich schließlich auch nicht. Dann dachte ich: Dieser Professor vom Max-Planck-Institut ist ein Mensch, der am Tag den Sinn solcher Tests in Zweifel zieht und erklärt, dass sich Identität durch Dinge wie Erfahrungen, Eltern und Freundeskreis bilde und nicht durch prozentuale Angaben, die offen ließen, was geschehen und ob es vor fünfhundert oder vor zweitausend Jahren geschehen war; ein Uhr nachts jedoch, wenn er nicht mehr arbeiten und noch nicht einschlafen kann, fragt sich der Professor, weshalb die Menschen massenweise solche DNA-Tests bestellen, obwohl sie wissen, dass sie nachher nicht schlauer sind, und beschließt, spielerisch vorzugehen und selbst einen Test zu machen, aus wissenschaftlicher Neugier, damit er weiß, wovon er spricht – so formuliert er es in seinen Gedanken –, und außerdem wäre es doch interessant, zu wissen, ob die Spur seiner Herkunft beispielsweise nach Asien oder Afrika führt, auch wenn dieses Wissen keinerlei Relevanz hat. Ich dachte: Ein solcher Mensch muss der Professor sein, am Tag zieht er den Test in Zweifel, in der Nacht bestellt er einen Test. Es war wie mit den Ärzten, die vor dem Missbrauch von Medikamenten warnten, aber selber medikamentenabhängig waren, dem Lungenspezialisten, der rauchte, dem Juristen, der illegal eine Putzfrau beschäftigte.

Bald darauf bekam ich Post aus London, sandte ich meine DNA-Probe nach New York, las ich, dass die Firma angeblich in Israel residierte, und ich begann mich zu fragen, ob meine DNA in guten Händen war. Wie konnte ich ausschließen, dass mit ihr Unfug betrieben wurde? Zuerst stellte ich mir vor, wie durch eine Verwechslung auf einmal bewiesen war, dass es sich bei meiner Person um einen seit Jahren gesuchten Mehrfachmörder handelte, dann phantasierte ich, dass ich geklont wurde und mein Klon – so wäre es in der griechischen Mythologie – als Erstes mich umzubringen versuchen würde.

Einige Wochen vergingen, in denen ich hoffte, das Testergebnis würde auch anzeigen, wie viele Neandertaleranteile ich besaß, denn der Neandertaler, so hatte ich einmal gelesen, war verspielter und kreativer als der Homo sapiens gewesen, Eigenschaften, auf die ich Wert legte. Leider machte das Testergebnis diesbezüglich keine Angaben. Ich war: 44,8 % Italiener, 26,1 % Skandinavier, 25,5 % Nord- und Westeuropäer, 2,4 % Iberer, 1,2 % aschkenasischer Jude. Ich war ein einfacher Europäer.

Meine Enttäuschung darüber, dass ich mich von den meisten Europäern nicht unterschied, war so groß, dass ich mir gleich ein Jackett von Brunello Cucinelli kaufte, das sich die meisten Europäer nicht leisten konnten oder wollten. Auch ich konnte es mir nicht leisten, aber ich wollte es.

Ich lebte von den Mieteinnahmen der Eigentumswohnung meiner Großmama, die zusammen mit Großpapa auf einem Friedhof in Zürich unweit der Wohnung ruhte, und ich lebte von meiner Frau. Sie war verbeamtet und vermögend und sagte: »Lorenz, wir führen eine emanzipierte Ehe. Es macht mir nichts aus, wenn du nicht so viel wie ich verdienst, mein Lohn reicht für uns beide.« Sie forderte von mir lediglich, dass ich ein guter Ehemann war, was auch immer das hieß.

Meine Frau hatte, wie man gemeinhin sagte, die Hosen an. Natürlich ging sie einer Lohnarbeit nach; dagegen hatte ich nichts einzuwenden, sie musste selber wissen, womit sie ihre Lebenszeit vertat, und sie schien sich nicht wie ich mit bestimmten Fragen zu quälen, die den Inhalt des Lebens betrafen. Diese Fragen löcherten mich. Wie konnte ich eine Tätigkeit ausführen und ganz bei mir selbst bleiben, ohne das Leben eines Anderen zu beginnen? Ich kaufte, um ein Beispiel zu nennen, eine Pflanze, ich kaufte sie mit Leidenschaft und vollkommener Harmonie mit mir selbst, zu Hause goss ich sie, ohne an etwas anderes als die Pflanze und das Gießen zu denken; einige Tage später jedoch wurde das Gießen zu einer Arbeit, die ich verrichtete, obwohl ich in diesem Moment bereits auf dem Sofa liegen und lesen wollte, das Gießen war ein mechanischer Ablauf ohne inneres Geschehen. In solchen Momenten fühlte ich mich, als ließe ich mein Leben in einer Ecke liegen und führte dasjenige eines Anderen. Ich ärgerte mich. Ich setzte mich auf das Sofa; ich sammelte mich und ging mögliche, zu meinem Wesen passende Tätigkeiten durch, ohne auch nur eine zu finden, die auf Dauer dafür taugte. Während meine Frau an jedem Werktag zur Arbeit in ihr Büro ging, verharrte ich in einem abwägenden, essentiellen Nichtstun – je weniger ich tat, desto schlechter fühlte ich mich. Das Nichtstun führte mich nicht zu mir selbst, es löste mich auf; wie ein Muskel war ich, der ohne Bewegung schwand. In solchen Momenten zog ich los und kaufte etwas. Manchmal dachte ich: Meine ganze Würde hängt an den Jacketts.

2

An jenem Tag, als eine unvorhergesehene Wendung eintrat, warfen die Sonne und der Baum vor meinem Zimmerfenster ein filigranes Schattenspiel auf einen hellen Teil der Wand. Es entstand durch die Äste und einige Blätter und bewegte sich wellenartig, wippend, als wollten die grauen Striche und Flächen fort von der hellen Bühne, dann tänzelten sie zurück. Es waren Minuten vollkommenen Einklangs mit mir selbst; dies wurde mir gerade bewusst, als jemand jäh an meine Zimmertür klopfte.

»Lorenz, wie lange willst du so weitermachen? Suche dir eine Arbeit, verdiene ein wenig Geld; mir wäre das sehr recht.«

»Ich ar-bei-te!«, rief ich und wirbelte meinen linken Arm durch die Luft.

Was war bloß in meine Frau gefahren? Sie wusste, dass ich ein Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens war; niemand sollte für Geld arbeiten müssen, wenn er nicht wollte. Um sie wissen zu lassen, dass ich verärgert war, zog ich mich im Schlafzimmer straßentauglich um, ich nahm das Jackett von Brunello Cucinelli und ging. Dieses Jackett besaß eine besondere Stoffmischung aus Wolle, Leinen und Seide, die genau zu mir passte.

Die Relativitätstheorie hatte ich nie verstanden, jedoch in diesem Zusammenhang von einem Vergleich gelesen, bei dem ein Teelöffel durch einen Schokoladenpudding gezogen wurde, wobei der Löffel ein Subjekt, der Pudding den Raum darstellte: Bewegte sich ein Mensch, ging er wie ich von seinem Zuhause in ein Café, verformte er den Raum, durch den er ging. Wenn ich wie zuvor, als ich wütend geworden war, den linken Arm hob, verformte ich die Welt und veränderte sie. So gesehen war allein die Bewegung des Brustkorbs beim Atmen ein Beitrag zur Weltveränderung, und was war dies anderes als Arbeit!

Im Treppenhaus unten angekommen, öffnete ich die Haustür und stieg über die Frau, die seit einigen Tagen in der wettergeschützten Ecke vor der Tür hauste. Sie saß an die Wand gelehnt und mit ausgestreckten Beinen da, ihr Kopf war direkt unterhalb der Klingeln, sodass man sie ansehen musste, wenn man die Klingeln betätigte. Ihr Gesicht war sepiabraun, die Augen tiefschwarz; ich wusste nicht, woher sie kam, niemals blickte sie mich an, sodass ich mich nicht zu fragen traute.

Auf der anderen Straßenseite lungerten wie so oft einige Männer herum; zwei lagen mit entblößten Oberkörpern in Löffelchenstellung, jedoch einen Unterarm weit voneinander entfernt, auf der kleinen erdigen Fläche unter einem Baum, wo sonst Hunde koteten und pinkelten. Ich dachte an einen autoaggressiven Akt; der nur einen Meter entfernte Plattenboden war sauberer, und in Deutschland, auch in Berlin, auch in Neukölln, gab es Unterkünfte, niemand musste obdachlos sein.

Wieder einmal wurde mir klar, dass es vorbei war mit der Realität und man das Wort nur noch in Anführungszeichen verwenden durfte. Heute trug ich ein Jackett von Brunello Cucinelli, doch schon morgen konnte ich da liegen, den Boden nur nachlässig von Hundekot befreit, liegen beim Baum, an den Hunde und Männer pinkelten. In unserem Viertel pinkelten die Männer überall hin; auf einmal blieb einer stehen, zog schamlos seinen Penis aus der Hose und pinkelte.

Die »Realität« gab es natürlich noch; sie erhielt die Anführungszeichen durch die Vielzahl ihrer sich widersprechenden Erscheinungsformen. Mein Jackett war real. Das Zahlenspiel meiner Kontostände, wenn ich Geld von dort nach hier verschob, sah ich nur auf dem Bildschirm eines Computers, der abbildete, was im Internet geschah, das wiederum ein Werkzeug war, um Zugriff auf meine Konten zu erhalten; es war verwirrend. Ein Kontostand war zudem allein durch seine Exaktheit eine Beleidigung: Du besitzt so und so viel und keinen Cent mehr. Wenn ein reicher Mensch erfuhr, dass er genau neun Millionen Euro und neununddreißig Cent besaß, musste er sich degradiert fühlen; er hatte keine zehn Millionen, war sehr weit davon entfernt, Milliardär zu sein, und musste sogar fürchten, unter die Grenze von neun Millionen zu fallen, von der ihn lächerliche vierzig Cent – ein Brötchen aus dem Supermarkt – trennten. Was fehlte, war die Nachlässigkeit, eine Autorität, die sagte: Wir sprechen nicht mehr von Cents und Euros, du hast so viel, dass wir nicht mehr zählen, dein Vermögen ist unendlich. Auch die Höhe meines Vermögens war schmerzhaft penibel dokumentiert und blieb doch irreal wie ein Gedankenspiel oder ein Traum.

Die großen Veränderungen, die der Menschheit bevorstanden, waren real. Früher war jemand wie ich als Schweizer geboren worden und er starb als Schweizer, er besaß ein Geschlecht und gehörte einer Klasse an; heute war ich Deutscher und hatte keine Gewissheit, als Mann und Angehöriger meiner Klasse zu sterben. Vielleicht würde ich irgendwann eine Frau. Meine Wohnung in Zürich war nicht sicher. Es musste nur ein Krieg ausbrechen, jemand sie besetzen, einige Papiere vernichten. Vieles sprach dafür, das Geld auszugeben für Dinge, die man am Körper tragen konnte: Schuhe, Schmuck, Jacketts.

Unruhe herrschte. Es gab Demonstrationen, Rechtsradikale, das Mittelmeer war voller Ertrunkener. Es war klar, dass Europa afrikanisch wurde; ich fand das nicht schlecht, obwohl ich mir die Konsequenzen nicht ausmalen konnte. Es gab den Klimawandel, Fragen zur künstlichen Intelligenz, Fragen, die Frau und Mann betrafen. Die Veränderungen waren so groß, dass ich meine ganze Zeit brauchte, diese zu verdauen. Ich arbeitete. Meine Frau hatte keine Ahnung.

Das Café Rayuela: Himmel-und-Hölle, das ich manchmal Rayuela, manchmal Himmel-und-Hölle nannte, befand sich nur wenige Schritte entfernt; hier war der Kaffee gut, aber teuer. Die Baristi kamen zumeist aus dem Ausland, aus England, Ungarn oder sonst woher, und wenn sie nicht Deutsch sprachen, dann Englisch. Ich setzte mich stets an den Tischtennistisch in der Mitte des Raumes, auf dem einige große, alte Kakteen standen, die vor noch nicht langer Zeit neu angeschafft worden waren und zum reduzierten industriellen Charakter der Einrichtung passten. Heute stand der große dünne Kaktus gefährlich schief; er hatte sein saftiges Grün verloren, geblieben war ihm ein unscheinbarer Grauton, vielleicht bekam er zu wenig Licht. Auch der Feigenkaktus hatte schlapp gemacht; er ließ seine Ovale bis auf die Tischplatte hängen, die Baristi gaben wohl zu viel Wasser. Zu wenig Licht, zu viel Wasser: Es dauerte gewiss nicht mehr lange, bis die Kakteen entsorgt und durch neue ersetzt wurden.

Wenn ich im Himmel-und-Hölle saß und die Frauen sah, die hierher kamen, um für das Studium zu arbeiten, dachte ich daran, mit ihnen Sex zu haben. Nicht mit allen, doch vier-fünf waren immer dabei, manchmal auch ein Mann. Ich wusste nicht, woher das kam, ich hatte meine Frau noch nie betrogen und gedachte es auch nicht zu tun. Im Übrigen war sie schwanger, meine Frau. Ich fürchtete mich nicht davor, Vater zu werden, obwohl ein Kind meine Freiheit raubte und ich für das Vatersein wahrlich nicht gemacht war; ich sah jedoch etwas anderes: Noch ein Mensch, der seinem Leben einen Inhalt geben musste. Ich wollte ihm dabei helfen, zu gegebener Zeit von den inneren Anstrengungen erzählen, die es bedurfte, um das eigene Leben und nicht dasjenige eines anderen zu leben. Vermutlich gähnte er in diesem Moment, falls er schon gähnen konnte. Oder er trat gegen den Bauch meiner Frau.

Ihr Vorwurf war berechtigt. Nichts sprach gegen Einnahmen von einer vermieteten Eigentumswohnung; alles sprach gegen Ausgaben, die höher waren als die Einnahmen. Geld musste her, unser Kind brauchte einen Vater, auf den es stolz sein konnte, und deshalb durfte ich weder meinen Körper noch meine Seele verkaufen. Was ich tat, musste ein inneres Geschehen sein, im Einklang mit meinem Wesen, und dennoch Geld einbringen. Leider war ich weder Künstler noch Schriftsteller; vielleicht schlummerte in mir ein Talent, ich hatte es jedoch versäumt, in jungen Jahren künstlerische oder literarische Fertigkeiten zu erwerben. Was sollte aus mir werden, nun, da in Kürze nicht mehr ich selbst im Mittelpunkt meiner Anstrengungen stand, sondern mein Kind? Im schlimmsten Fall starb ich als einer, dessen wahres Potenzial nie zur Entfaltung gekommen war. Dieser Gedanke war grausam. Einen Moment lang dachte ich an Suizid; eine Selbsttötung war aber genau das Gegenteil von dem, was ich eigentlich wollte.

Rasch schlug ich mein Notizbuch auf. Ich hatte gelesen, dass heute für Kinder oft möglichst kurze, leicht aussprechbare Namen gewählt wurden; solche Namen galten in der Berufswelt als vorteilhaft. In meinem Notizbuch war folgende Liste: Geneviève, Aikaterini, Guglielmina, Bartholomea, Evstathia; Desiderio, Arcadius, Rocamadour, Isidor, Zephyrinus.

Diese Namen waren gute Arbeit. Leider war sie unbezahlt. Ich fügte einen Namen hinzu: Gauthier. Ich war für eine gewagte Entscheidung. Alles oder nichts.

Mehrmals schon hatte mich der Verdacht beschlichen, dass die Leute im Rayuela mein Jackett nicht wahrnahmen oder sich zumindest nichts anmerken ließen; dabei musste es ihnen doch auffallen. Ich ging. Als ich bei einem Sofa vorbeikam, auf dem eine der Frauen saß, mit der ich vorhin in Gedanken Sex gehabt hatte, verlangsamte ich meine Schritte und zog mein Jackett zurecht; sie blickte mich nicht einmal an. Als ich jedoch die Theke passierte und sah, wie viel ein Smoothie kostete, wusste ich, dass die jungen Leute mein Leben lebten: Einnahmen und Ausgaben hingen an einem Glücksrad, das sich unaufhörlich drehte.

Der kurze Weg zur Sonnenallee führte mich an einem deponierten alten Sofa aus zerrissenem Kunstleder vorbei, einem umgekippten Einkaufswagen, dessen in Müllbeutel verpackte Last – Speiseabfälle, verdreckte Kleider, ein Haartrockner – sich auf die Straße ergossen hatte, und einem demolierten Kühlschrank. Gerade wollte ich die Sonnenallee überqueren, als ein junger Mann meinen Weg kreuzte, einen Blick auf mein Jackett warf und mich anspuckte. Ich wischte den Speichel aus dem Gesicht und vom Ärmel des Jacketts und blickte ihn fragend an.

»Was willst du?«, rief er und spreizte die Finger seiner Hand, die mich sofort an den Stern einer Waffe erinnerten.

Warum er mich angespuckt habe, wollte ich wissen.

»Warum? Warum? Bist du dumm? Ich spucke dich an, sooft ich will!«

Er möge dies unterlassen, bat ich und fügte ein wenig didaktisch hinzu, dass andere anzuspucken einem friedlichen Miteinander im Viertel nicht förderlich sei. Weder er noch ich könne wollen, dass dies ein Fall für die Polizei werde.

»Polizei? Hier!«

Erneut flog Spucke in mein Gesicht. Als ich mich wegdrehte, um sie mit dem Handrücken abzuwischen, ohne dass sie dabei den Ärmel des Jacketts beschmutzte, erhielt ich einen Tritt.

Er hatte mit dem Schuh mein Jackett getroffen. Den Schwung des Stoßes nutzend, ging ich gleich über die Straße, ohne mich noch einmal nach dem Mann umzudrehen. Ich lächelte in mich hinein. Dieser Vorfall war besser als die sündhaft teuren schimmeligen Himbeeren und der verschüttete Joghurt zusammen, besser als der Ärger meiner Frau über die grünen Bio-Bananen und besser als ihr Vorwurf wegen meiner angeblichen Untätigkeit.

3

Ich lag auf dem Sofa in meinem Zimmer; durch die geschlossene Balkontür drang der Verkehrslärm der Sonnenallee. Mein linkes Bein fühlte sich schwerer an als das rechte. Der Unterschied war minimal, und doch war er da; es kam mir so vor, als wäre ich nicht im Lot. Je länger ich darüber nachsann, desto klarer wurde mir, dass ich mich oft unausgeglichen fühlte; womöglich war ich seit langem krank, ohne es zu wissen.

»Lorenz?«

»Ja?«

Meine Frau trat ein. »Hast du dir überlegt, was du unternehmen willst? Womit willst du Geld verdienen?«

»Nein!«, rief ich. »Du machst alles kaputt.«

»Was?«

»Alles! Ich war soeben dabei, in Stimmung zu kommen. Ich muss in der richtigen Stimmung sein, um Ideen zu entwickeln.«

»Welche Ideen?« Sie lachte. »Früher hattest du Ideen, doch heute, seit deiner verfrühten Midlifecrisis …«

Sie schwieg eine Weile. Dann sagte sie:

»Lorenz, du gehst jetzt in die Welt hinaus; du machst eine Reise und überlegst dir, was aus dir werden soll, und in drei Monaten, bevor mein Mutterschutz beginnt, kommst du zurück und wirst deinen Beitrag zur Familie leisten und deine Rolle als baldiger Vater ausfüllen.«

Die Formulierungen »Beitrag leisten« und »Rolle ausfüllen« gefielen mir nicht.

»Leo, wie kannst du das sagen? Niemals werde ich eine Rolle ausfüllen, die man mir gibt; niemals einen Beitrag leisten, den man von mir verlangt. Ich werde mein wahres Ich finden und so sein wie ich bin; ich werde geben, was mein Wesen zu geben bereit ist.«

»Nenne es wie du willst. Am Ende zählen die Fakten.«

Ich wirbelte den linken Arm durch die Luft. »Du bist unpoetisch, du bist eine Maschine, du! Wen habe ich da geheiratet? Du … du willst mich nur … zerdrücken!«

»Lorenz, mein Schatz, gib mir einen Kuss und packe deine Sachen. In drei Monaten sehen wir uns wieder.«

Es war ihr Ernst. Sie ging. Ich legte eine Decke über meine Beine und versank in einem melancholischen Schlummer.

Mir träumte, dass ich auf einem Spaziergang in den Alpen einer Ziege begegnete, die unter einem Baum stand und mich ansah. Melke mich!, schien sie zu sagen, nimm mich mit, wir werden ein gutes Team. Ich dachte: Warum nicht? Ziegen sind interessante Tiere, und diese scheint besonders sanftmütig zu sein, sie wird mich begleiten wie ein Hund. Ich dachte: Wo immer ich bin, biete ich Ziegenmilch an; frische Bio-Ziegenmilch, werde ich sagen, hilft bei allem, bei einem schwachen Immunsystem, einem Burnout, bei Kinderwunsch. Doch noch während ich mich mit der Ziege in Richtung Berlin reisen sah, wo ich einen kleinen Laden mit Bio-Ziegenmilchprodukten zu eröffnen gedachte, hörte ich das perfide Gelächter eines unsichtbaren Publikums: Lorenz, wir haben dich veräppelt! Wir haben die Ziege allein deshalb in deinen Traum gezaubert, damit du hereinfällst. Wir hätten auch einen Schimpansen oder einen alten Mähdrescher an den Wegesrand stellen können – in deiner Verzweiflung hättest du aus allem ein Geschäft zu machen versucht.

Ich erwachte mit dem dummen Gefühl, sogar im Traum gescheitert zu sein. Nein, nicht scheitern, aus mir musste etwas werden. Nur was? Das Nachdenken fiel mir schwer; ich hatte einen Kater wie nach einer durchzechten Nacht. Obwohl ich nur selten und nur wenig Alkohol trank, fühlte ich mich oft verkatert; ich wusste nicht, ob ich mehr Ruhe brauchte oder ob der Kater nicht das Resultat von zu viel Ruhe war. Arbeitete ich zu viel oder zu wenig? Zweifelsfrei machte ich mir oft Sorgen, es stand nicht gut um unseren Planeten und mir fehlte zwar nicht der Wille, wohl aber das Werkzeug, ihn zu retten. Ich besaß auch ein schlechtes Gewissen; es war schwierig, meine inneren Bemühungen nach außen sichtbar zu machen.

Was also tun, wo beginnen, was werden? Meine zahlreichen angefangenen, aber nicht zu Ende gebrachten Studien hatten dazu geführt, dass ich ein ziemlich breites Halbwissen besaß, jedoch kein spezifisches Wissen. Ich konnte alles halb und nichts richtig. Vielleicht hätte aus mir ein guter Hausmann werden können, wäre eine Neigung dazu vorhanden gewesen. Ich wusste, dass Leonie diese Lösung nicht schlecht gefunden hätte, ein klassischer Rollentausch: Sie hatte ihre Arbeit im Finanzamt und verdiente das Geld; ich kochte, putzte, kaufte ein, machte die Wäsche, betreute unser Kind, fuhr es in die Kita, holte es von dort ab und verbrachte die späten Nachmittage mit ihm in einem Café, wo ich andere Mütter und Väter mit ihren Kindern traf, die wie ich mit dem Geld des arbeitenden Partners einen Latte macchiato tranken.

Allein ich wollte es nicht, wollte kein Hausmann werden. Gewisse Dinge gehörten abgeschafft: Hausfrauen und Hausmänner, die Arbeiterklasse, das Patriarchat; ersatzlos gestrichen gehörte all das.

Ich erhob mich vom Sofa, trat auf den Balkon und atmete die frische Luft ein. Dies, das Leben hier draußen, war für die nächsten Wochen mein Schicksal.

Auf der Straße unter dem Balkon zog eine Menschenmenge vorbei, eine Demonstration, von der das Radio berichtet hatte; sie nannten sich besorgte Bürger, waren jedoch Rechtsradikale. Ich sah ihnen dabei zu, wie sie vorbeizogen. Dann ging ich in den Flur, nahm ein Stück Pappe, das zur Entsorgung bereitlag, und beschriftete es mit einem breiten grünen Stift: München den Marokkanern! Aleppo den Berlinern! Neukölln den Schweden!

Ich stieg das Treppenhaus hinunter. Die Frau im Hauseingang war verschwunden, ebenso die unter den Bäumen und auf den Gehsteigen liegenden Männer. Ich stellte mich auf der Straße an den Rand des Menschenzuges, hielt den Pappkarton in die Luft und rief: »München den Marokkanern! Aleppo den Berlinern! Neukölln den Schweden!«

Ich rief auch »Paris den Belarussen!«, »Leipzig den Senegalesen!«, »Teheran den Katalanen!« – bis ein Mann durch die Menschenmenge hindurch auf mich zu kam.

Eine flache Hand traf meine Wange mit einer Wucht, dass es laut klatschte. Vor das glattrasierte Gesicht des Mannes schob sich seine behaarte Faust, die er mir entgegenhielt.

»Bitte bedenken Sie«, sagte ich, »dass ich durch Ihren Faustschlag sterben könnte. Ist es das wert?«

»Fresse!«

Ich nickte.

Die Ohrfeige schmerzte. Ich ging zurück in die Wohnung, um mich zu behandeln. Meine Verwunderung war groß, als ich in den Spiegel blickte: Nicht einmal rot war die Wange, und doch war da dieser brennende Schmerz.

Ich behandelte die Wange mit einem Kühlelement aus dem Gefrierfach, legte mich auf das Sofa und dachte darüber nach, wohin ich gehen wollte; weit weg musste ich gehen, weiter, als Leonie für möglich hielt, sodass sie mich wirklich vermisste: nach Südamerika, Afrika oder in den Fernen Osten.

4

Ich konnte nicht abreisen, ohne mich von Jean Mason zu verabschieden, einem Freund, der ein richtiger Schriftsteller war, und ich konnte mich nicht von Jean verabschieden, ohne noch einmal bei Brunello Cucinelli hineingesehen zu haben. Mir schien, dass Jean Wert auf gute Kleidung legte – in seinen Büchern trugen die Figuren oft exklusive Kleider –; bei meiner Hose jedoch löste sich allmählich der Stoff auf.

Ich fuhr zum Kurfürstendamm, ging zu Brunello Cucinelli und sah gleich diesen Pullover mit Rundhalsausschnitt, aus Kaschmir, mit Rippenstrick; er kostete so viel, wie Lohnarbeiter in einem Monat verdienten. Ich dachte an den Mann, der mich geohrfeigt hatte. Ich wollte ihm begegnen – mit Pullover und Jackett von Brunello Cucinelli – und an ihm vorbeigehen, nichts weiter. Nichts sagen, nichts tun. Ganz auf die stille Wirkung der Kleider vertrauen. War ich fertig? Nun, nicht eines Pullovers, einer Hose wegen war ich hier, und es gab eine schicke Hose mit doppelten Bundfalten aus Wollflanell in Nadelstreifenbouclé, die perfekt zum Pullover passte.

Hose und Pullover zusammen waren sehr teuer. Meine Kreditkarte regelte das – doch irgendwann würde sie solche Dinge nicht mehr regeln können. Die Vorräte auf meinem Konto schwanden langsam, aber unaufhörlich dahin wie das Eis der Antarktis. Monat für Monat waren meine Ausgaben höher als die Einnahmen, ich beutete mich auf ähnliche Weise aus wie die Menschen die Natur; die Menschheit und ich gingen sehenden Auges auf den eigenen Untergang zu.

Als ich aus dem Laden heraus und wieder auf die Straße trat, wurde mir klar, dass ich Pullover und Hose in Wahrheit nicht wegen Jean oder des rechtsradikalen Demonstranten gekauft hatte, sondern aus Protest gegen meine drohende Verarmung. Dieser Protest war teuer und verschnellerte die Verarmung, ein Teufelskreis, in den ich da geraten war. Ich wollte zu Jean, der Rat wusste und mich zudem auf andere Gedanken bringen würde. Aber die neue Hose hatte ich im Laden gelassen, sie musste noch zum Schneider, der die Beine kürzte, und ohne die neue Hose wollte ich nicht zu Jean. Also sandte ich ihm eine Kurznachricht mit der Frage, ob wir uns statt heute auch übermorgen treffen konnten – Das passe ihm, antwortete er. Bestimmt war er froh. Er saß immer an der Arbeit, und alles, was von außen kam, störte ihn.

Wir verstanden uns gut. Immer wieder spürte ich, dass auch mich alles störte, was von außen kam; mein Inneres war unaufhörlich bedroht, dieses filigrane Innere, in dem ich den Funken meiner Leidenschaft suchte, der mich antreiben und etwas Großes erschaffen lassen würde. Das Problem war, dass das Innen und das Außen nicht klar getrennt werden konnten; manches lag außen, ich zählte es aber zu meinem Inneren, das Schattenspiel an meiner Zimmerwand etwa, anderes war in meinem Inneren, störte jedoch, beispielsweise der Drang zu Übersprungshandlungen, also der Kleiderkauf, das Herunterwirtschaften.

Im Herunterwirtschaften war ich grandios. »Gib mir ein Unternehmen, und ich wirtschafte es herunter!«, konnte ich jedem Firmenbesitzer sagen, der keine Lust mehr hatte, die an ihn herangetragenen Erwartungen von Aktionären, Mitarbeitern und Kunden zu erfüllen. Der Grund hierfür war mein Hang zum Idealismus: Bei mir erhielte jeder Mitarbeiter ein bedingungsloses Grundeinkommen, freie Wahl, was Arbeitszeit und -weise betraf, und einen Kündigungsschutz auf Lebenszeit. Ich wusste, dass dann alle bei meiner Firma arbeiten wollten, aber niemand in sie investieren oder ihre Produkte kaufen würde. Die Firma ginge also Pleite, doch die Idee bliebe bestehen – und das war es doch, was zählte.

Am übernächsten Tag fuhr ich mit der neuen Hose und dem neuen Pullover zu Jean, der am anderen Stadtende wohnte, gut zu erreichen mit der Ringbahn. Bei jedem Schritt spürte ich die Qualität der Kleidung; ich hatte ein neues, erhabenes Lebensgefühl und eine Einsicht: Wenn alle Menschen, auch die ärmsten, solche Kleider trügen, wäre die Welt besser.

Jean begrüßte mich in einem Jogginganzug, der aussah, als trüge er ihn schon lange am Schreibtisch und im Bett. Sein inzwischen alter Windhund blieb im Körbchen; er blickte mich kurz an und gähnte. Jean war, was man einen Nerd nannte; soviel ich wusste, verließ er die Wohnung nur selten. Er verbrachte die Zeit vor dem Computer, einem kleinen Notebook, das nicht gut für die Augen war, im Lesesessel oder im Bett, wo er mit Bleistift seine Manuskripte mit Anmerkungen versah.

Als ich durch die winzige Wohnung ging – ein Zimmer, der Schreibtisch neben dem Bett, das Bett neben dem Lesesessel, der Lesesessel neben dem Esstisch, der an die Küchenzeile grenzte –, sah ich auf einer Kommode verschiedene weiße Stapel: Manuskripte.

Er könne mir nur Wasser oder Milch anbieten, sagte Jean.

»Wasser ist prima. Arbeitest du gerade viel?«

Er machte eine nachlässige Handbewegung.

»Immer. Man muss dem Leben etwas abringen.«

»Erzähle!«

»Na ja. Es geht bergab.«

»Wie?«

»Das erste Buch ist das erfolgreichste. Dann geht es bergab.«

Er brachte ein Glas mit Wasser und fuhr fort:

»Das ist hart, aber ich glaube nicht an unendliches Wachstum. Wir müssen uns einschränken, in allem.«

»Ja.«

»Jede Generation wird es schwerer haben als die vorherige, jeder Mensch wird es mit zunehmendem Alter schwerer haben.«

Wir schwiegen beide. Dann sagte er:

»Meine Literatur dokumentiert meinen Niedergang.«

»Immerhin.«

»Ich bin nun vierzig Jahre alt, so alt wie du. Seit zwanzig Jahren befindet sich mein Körper in seinem Niedergang, und ich habe, wenn ich weit komme, noch vierzig Jahre vor mir.«

»Ich spüre diese Zersetzung auch. Am schlimmsten ist, dass ich, wie ich fürchte, meinem Leben nie einen Inhalt gegeben habe; es ist sozusagen nichts da, was zersetzt werden könnte, und dennoch spüre ich die Zersetzung.«

»Andere zeugen Kinder.«

»Wie?«

»Die Leute sehen keine Zukunft, deshalb zeugen sie Kinder.«

»Aber du hast doch auch zwei?«

»Ja – im Grunde sind sie eine Irritation. Mein Leben braucht Irritationen, genau so wie meine Literatur.«

»Wo leben sie?«

»Hier. Wir schlafen alle in diesem Bett. Zwischen meinen Büchern sind ihre Bücher, zwischen meinen Manuskripten liegen ihre Zeichnungen … Gerade sind sie in der Kita.«

»Übrigens: Leonie ist schwanger.«

Er hielt inne.

»Es ist vermutlich ein Junge. Was ich dich fragen wollte …«

Plötzlich sagte er:

»Er wird vielleicht den Beginn des zweiundzwanzigsten Jahrhunderts miterleben, kommt wahrscheinlich in einen Krieg; Hochwasser, Stürme, extreme Dürren, Hungersnot – das alles droht ihm. Ihr solltet ihm Schokolade geben. Hast du gewusst, dass es in zwanzig oder dreißig Jahren keine Schokolade mehr geben wird? Ich habe da was gelesen, ich glaube, man kann sie nicht ökologisch produzieren.«

»Was ich dich fragen wollte, also …«

»Er hat die größten Überlebenschancen, wenn er viele Sprachen kann. Wer weiß, wo er in fünfzig Jahren leben wird.«

»Eine multilinguale Kita wäre das Beste.«

»Da ist etwas, ein Schreibimpuls. Verzeih … Ich muss …«

Ich trank das Glas Wasser aus und wandte mich zur Tür.

»Jean«, sagte ich, »eigentlich bin ich gekommen, um mich zu verabschieden. Ich werde für einige Wochen verreisen, ich muss herausfinden, was aus mir werden soll. Leonie will, dass ich Geld verdiene und ein guter Vater werde.«

»Du hättest nicht heiraten sollen. Ich könnte keine Frau oder eine Freundin mehr haben; ich kann nur arbeiten, wenn ich allein bin.«

»Wie hältst du das aus? Nein, ich würde nicht allein sein wollen. Ich freue mich auf das Kind. Ich fürchte nur, dass ich kein guter Vater sein werde.«

»Weshalb?«

»Ich sitze da und denke nach, komme aber zu nichts; was wird nur mein Sohn einmal von mir halten? Er wird sagen, ich sei bloß eine Last, eine Last für alle.«

»Du kannst deinem Kind ein bestimmtes Lebensgefühl vermitteln, eines, das frei ist von Zwängen. Du weißt schon: Karriere, Geld … Wenn ich dich sehe, denke ich, du bist der geborene Bohemien.«

»Aber das ist doch das Problem.«

»Du musst akzeptieren, dass du ein Bohemien bist und es als ein Geschenk begreifen. Du kannst dein Kind lehren, ein freier Mensch zu werden. Ein Mensch, der so frei ist wie nur möglich, der genießen kann und gleichzeitig versucht, weder Mensch noch Natur zu schädigen. Als Bohemien bist du ein großes Vorbild für dein Kind, nicht viele Kinder haben ein solches Vorbild als Mutter oder Vater.«

5

Ich war also für das Schöne, Gute und Freie zuständig und meine Frau für das Geld, das Praktische und Pragmatische.

Diese Losung, so gut sie sich anhörte, wollte mir nicht recht gefallen. Sie war zu einfach. Ich hatte Jean zu fragen vergessen, wie ich den Teufelskreis durchbrechen könnte, in den ich geraten war und der dazu führte, dass mein Vermögen immer schneller schwand, wie das Eis in der Antarktis, und der Pegel meiner Sorgen immer schneller stieg, irgendwann bis an meinen Hals.

Aus einem Trotz heraus, endlich etwas erschaffen zu müssen, setzte ich mich hin und schrieb vier Seiten, denen ich den Titel Vier Seiten gab. Mir wurde klar, dass mir etwas Bedeutendes gelungen war, die vier Seiten waren nämlich nicht beschrieben, lediglich der Titel stand auf der ersten. Die Augen eines Lesers aber würden den unsichtbaren, ungeschriebenen Zeilen folgen, im Bewusstsein, dass der Text fehlte und dass er, da er fehlte, existieren musste, so, als wäre er geschrieben und anschließend vom Blatt entfernt worden oder als hätte ihn jemand gestohlen.

Dieses kleine Werk war existenziell und zugleich schwerelos, es war pointiert und zugleich offen. Die Offenheit, also die Freiheit gefiel mir am besten daran. Es war vollendet und gehörte veröffentlicht; ich fragte mich, wie viel Geld ich dafür verlangen konnte, wie viel Ruhm es mir einbrächte und, im Anschluss daran, wie viel Geld zusätzlich durch eine weltweite Verbreitung und unzählige Würdigungen hereinkäme.

Dies nun, obwohl ich Geld erhielt, war keine Prostitution. Ich hatte das Werk aus freien Stücken erschaffen, bevor mir jemand Geld anbot, deshalb war es keine Lohnarbeit; Ruhm und Reichtum kamen erst danach, sozusagen ungewollt. Dieser Ablauf, und das war wichtig, musste ein Leben lang beibehalten werden.

Ich suhlte mich noch ein wenig in diesen Vorstellungen, wie Jean es nach Fertigstellung eines Werkes vielleicht auch tat, bis ich müde wurde und mich schlafen legte. Ich träumte heftig. Irgendetwas mit einer Kuh; sie sah mich an als wollte sie sagen, nimm mich mit.

Ich wachte auf, schlief wieder ein, wachte auf. So ging es einige Tage. Die Sonne schien unvermindert; unvermindert unterhielt mich das Schattenspiel an der Wand. In diesem Jahr war es ab Anfang April mit dem feuchten Wetter zu Ende gewesen, seither schien die Sonne, abgesehen von einigen bewölkten Tagen ohne Regen und kurzen, heftigen Gewittern, die zwar etwas Wasser brachten, viel zu wenig jedoch, und dieses Wenige floss über die ausgetrocknete Erde, erreichte Straßen und verschwand durch Kanaldeckel, statt die Pflanzen zu wässern. Bereits im Juni hatten die Bäume die Blätter hängen lassen, seltsame Verfärbungen waren zu sehen gewesen, die sich von den üblichen Verfärbungen im Herbst unterschieden, und an manchen Orten waren die Symptome noch deutlicher: Dort sahen die Bäume aus wie Zimmerpflanzen, die man nicht gegossen hatte, sie waren verdurstet. Auch Kiefern, die mit Trockenheit gut zurechtkamen und sonst ihre Nadeln selbst über den Winter behielten, standen bis auf einige letzte braune nackt da. Die Bewohner wurden von der Stadt angewiesen, die Bäume vor dem Haus zu wässern.

Inzwischen war Herbst, aber das Sommerwetter hielt an; noch immer kein Regen, dafür blauer Himmel und Sonnenschein. Ich begriff, dass wir nicht länger von der Zukunft sprechen sollten; das, wovor viele sich fürchteten, war schon da, die neue Zeit hatte begonnen.

Was konnte ein Mensch tun, ohne dabei Schaden anzurichten? Ein Blick in die Geschichte der Menschheit genügte mir, um zu sagen: Nichts; nichts durfte der Mensch tun. Er war dazu veranlagt, alles zu unterwerfen. Tiere waren ausgerottet oder verjagt, sie fürchteten sich vor den Menschen und versteckten sich; aus der Natur war eine Kulturlandschaft geworden.

Weshalb wollte ich meinem Leben einen Inhalt geben, wenn es doch vielleicht besser war, nur der Form nach zu leben, ohne etwas zu tun, was einen Schaden verursachte? Ich schrieb vier Seiten, ohne sie zu beschreiben; ich zeigte den Weg für ein Leben auf, das keine Spuren hinterließ.

6

Der Abschied stand bevor. Da ich Reisen ohne viel Gepäck bevorzugte (und es mochte, kurz vor Mitternacht bei einem Hotel nach einem Zimmer und einer Einwegzahnbürste zu fragen), hatte ich lediglich einen kleinen, handlichen Koffer gepackt, der sich dank seiner vier Räder so leicht transportieren ließ, dass er, sobald ich ihn nicht mehr festhielt, von selbst weiterreiste und mir, hätte ich einen Sinn für solche Launen gehabt, den Weg wies. Der Koffer enthielt Unterwäsche, zwei Hemden, Hose und Pullover von Brunello Cucinelli (achtsam zusammengefaltet), ein dünnes Notebook, keine Zahnbürste, dafür Bücher (Gogol, Svevo, Nabokov, Roberto Cotti und das neueste Werk meines Freundes Jean), weshalb er doch recht schwer war.

Der Abschied. »Mein Froschkönig«, sagte Leonie, »pass auf dich auf!« Sie warf mich hinaus.

Ich hatte keine Lust, mit der S-Bahn auf direktem Wege zum Hauptbahnhof zu fahren und von dort meine Reise anzutreten (hatte ich ein Ticket?, wusste ich wohin?), sondern schlenderte, den Koffer vor mir her schiebend, am Kanal entlang Richtung Kreuzberg. Wie im Herbst üblich, stand die Sonne tief und strahlte mir direkt ins Gesicht; die heruntergefallenen Blätter waren von der Sonne goldig und rostig gefärbt und knackten, wenn ich auf sie trat; ein beachtlicher Haufen Hundekot entfaltete einen warmen Geruch, der dem hochsommerlichen aus der Kanalisation in nichts nachstand. In Sichtweite lagen ein metallenes Bettgestell und aufgeschlitzt die dazugehörende Matratze, linkerseits Müllbeutel, an denen eine Krähe pickte, und auf einem niedrigen Geländer, an das sonst Hunde pinkelten, trocknete eine Familie frisch gewaschene T-Shirts und Hosen. Das knorrige Geäst der Bäume, die weltlich und träge auf die winterliche Erstarrung warteten, fest mit dem Stamm im Boden verankert, verwandelte sich in unaufhörlich und frech den Himmel kitzelnde Krallen, und darunter ging ich mit meinem vorauseilenden Koffer. Ich fühlte mich glücklich, frei wie ein kleines Tier, ein Käfer, der nicht an das Morgen dachte und auf wundersame Weise von den Krallen verschont blieb. Ja, das war ich in diesem Moment, ein Unbeschwerter, ein glücklicher Niemand, der nichts zu tun und nichts zu sein hatte.

7

Wer hatte einen Menschen, eine Frau oder einen Mann, der einen von allen Pflichten entband und gehen ließ, gehen ließ mit einer Bank- und einer Kreditkarte, gehen ließ trotz der Erwartung eines Kindes, gerade deswegen gehen ließ, der einen vor diesem einschneidenden Ereignis großzügig mit einer bedingungslosen Freiheit beschenkte? Ich hatte einen solchen Menschen. Ich wusste, dass mich fast alle auf der Welt darum beneideten, weshalb mich eine Schwermut ergriff: Konnte ich das mir zugefallene Glück in seiner ganzen Dimension fassen, es genießen und damit umgehen? War das Glück, eine Frau wie Leonie zu haben, war ein solches Glück, dessen ich mir Tag für Tag bewusst sein würde, denn auszuhalten?

Die vage Ahnung, dass es sich nicht um Glück handelte, sondern um einen goldenen Käfig, der seine Stäbe um mich zu schließen begann, bedrückte mich. Ich setzte mich, noch immer am Kanal, auf eine Bank, auf die freie Fläche zwischen einem kleinen und einem großen Stück Vogelkot. Geschah mir Gutes oder war ich in eine unheilvolle Falle getappt? Es war richtig, wegzugehen, eine Reise zu machen. Eine Last lag auf mir, die daraus bestand, dass man mir die Last abgenommen hatte, ohne dass sie dadurch verschwand, im Gegenteil, durch ihr Fehlen wog sie noch schwerer; ich konnte sie nur abwerfen, indem ich ging. Fühlte ich mich Leonie gegenüber schuldig? Vielleicht. Doch sogar die Einnahmen aus meiner vermieteten Eigentumswohnung, die ich zu Beginn als ein unverhofftes Geschenk begriffen hatte, das mich von finanziellen Sorgen weitgehend befreite, empfand ich inzwischen als Last. Die Regelmäßigkeit, mit der das Geld Monat für Monat eintraf, ohne dass ich einen Finger rührte, ermüdete, beschämte, verärgerte mich. Die unendliche Wiederkehr des Monat für Monat gespendeten Geldsegens machte mich zornig. Dabei war ich für das bedingungslose Grundeinkommen; dies nun war mein Grundeinkommen. Es war erniedrigend. Das junge Pärchen mit dem Baby, das in der Wohnung lebte, ahnte nicht, dass die Mieteinnahmen nicht ein kleiner Teil meines steigenden Reichtums waren, sondern meine gesamten Einkünfte bildeten, und ich in Wirklichkeit weit stärker von dem Pärchen abhängig war als es von mir. Dies also war die Last – dass ich von den Brosamen anderer lebte, die mir Monat für Monat mit einer Zuverlässigkeit zugeworfen wurden, die für mich nicht länger hinnehmbar war.

Die eigentliche Beleidigung, unter der ich litt, war natürlich das Geld an sich. Das Geld als Zahlungsmittel, als ein Wert, von dem ich abhängig war, der Angaben über mein Leben, über mich als Menschen machte. Es kränkte mein empfindsames Ich. Aus diesem Grund verachtete ich es; ich wollte es loswerden.

Als ich auf der Bank saß, zwischen den weißen Hinterlassenschaften der Vögel, umgeben von Müll und Hundekot, und auf einen Altbau aus der Gründerzeit blickte, dessen trübe Fassade von der Sonne in ein helles und warmes Gelb verwandelt war, dachte ich, dass eine Reise in den nahe liegenden Süden, vielleicht nach Italien, mir guttäte und Leonie von einem Aufenthalt im Fernen Osten oder in Afrika zu schreiben genügte; klüger allerdings schien es mir, mich gar nicht zu melden.

Da ich der langen Wege in Berlin müde war, nahm ich ein wenige Schritte entferntes Hotel in Kreuzberg, kein richtiges Hotel, gab es doch nicht einmal Frühstück; das Zimmer war winzig und das einzige Fenster besaß keine Aussicht: Die heruntergekommene Fassade des Nachbargebäudes war so nah, dass ich sie beinahe berühren konnte. Aber das Zimmer hatte einen Fernseher und eine kostenlose Internetverbindung. Das Nachttischchen, ein klappriges Ding aus Blech, vielleicht aus den Fünfzigern, brachte mich auf eine Idee.

8

Wenig später lockten mich im Internet Bilder eines schlichten Beistelltisches von Marcel Breuer aus Stahlrohr und Tischlerplatte, deren grüner Lack abblätterte, wie es bei bald hundertjährigem Gebrauch nicht verwunderte, und der achthundert Euro kostete. Dies war viel Geld für ein Tischchen, das mit etwas Glück bei einem unwissenden Trödler für zwanzig Euro zu haben war; doch gerade die Höhe des Preises wirkte unwiderstehlich. Wie konnte jemand ein Tischchen entwerfen, das aus nicht mehr als zwei gebogenen Stahlrohren und einem Brett bestand und nach hundert Jahren und völlig abgeranzt diesen Wert besaß, obwohl ein ganzes Volk von Möbeldesignern seit Jahrzehnten neue Tischchen in allen möglichen Formen erschuf?

So kam es, dass ich mich am nächsten Tag, nach einem kleinen Frühstück im nahegelegenen Café, mit einem freundlichen Herrn in dessen Laden traf, der alle Zeit der Welt zu haben schien und mir gleich mehrere Breuer-Tischchen präsentierte, ein kleines mit einer schwarz gebeizten Oberfläche, ein größeres orange lackiertes, ein längliches in Weiß und auch ein grün lackiertes. Am meisten gefiel mir, dass sie sich nicht in den Vordergrund drängten, sondern jene angenehme Beiläufigkeit besaßen, die wahre Größe auszeichnete. Das grüne gab es auch noch mit anderen Maßen, so, dass man das größere im rechten Winkel über das kleinere stellen konnte. Hatte es Sinn, gleich beide zu kaufen? Wurde der Preis dann besser? Um die Eindrücke sacken zu lassen, ging ich ein wenig im Ladengeschäft umher, alle Gedanken fielen von mir ab, ich versuchte zu schauen, ohne etwas zu sehen, um dann ganz frisch und frei das richtige Tischchen auszuwählen oder beide zu nehmen, ich tat also nichts, ging nur umher, folgte sozusagen meinen Füßen, die mich zu einem Sofa führten und stehenblieben. Vor mir leuchtete eine leichte, schmale, mit gelbem Stoff bezogene Stahlrohrcouch, die auch als Tagesbett in Gebrauch genommen werden konnte, ein wirklich originelles Sofa. Als ich mich darauf setzte, war es genau so wie erwartet: nicht zu weich, der Rücken gut gestützt, ideal als Arbeitssofa. Ein Gefühl sagte mir, dass mich auf diesem Sofa jene Inspiration erfassen würde, auf die ich so lange schon wartete und die meinem Leben einen Sinn gab; ja, ich musste die Inspiration einfangen oder, genauer, mich von ihr fangen lassen, und dazu brauchte ich dieses Sofa. Sofa und Beistelltisch passten so gut zusammen, dass ich mir das eine ohne das andere nicht mehr vorstellen konnte.

»Herr Sankiewitz«, sagte ich zu dem freundlichen Mann, »dieses Sofa, ist es noch zu haben? Ich überlege mir, welcher Breuer-Tisch am besten dazu passt.«

Ich ging weiter durch den Laden in einem Taumel aus Glück und Entsetzen über meine eigene Unvernunft. Wie viel Geld besaß ich noch? Sicherlich genug, auch wenn es im Schwinden war wie das Eis in der Antarktis. Aber wollte ich es nicht eigentlich loswerden? War es anmaßend, in Leonies Wohnung, die ich für Monate verließ, ungefragt neue Möbel zu stellen? Wie viel Platz war noch? Unser Zuhause war bereits vollgestellt, irgendeine Ecke, irgendeine Lücke jedoch fand sich immer, und ein Baby brauchte nicht viel Platz.

Als ich auf diese Weise nachdenkend durch den Laden ging, bogen meine Füße auf einmal nach links ab und blieben stehen. Ich sah einen kleinen Kleiderschrank, einen sogenannten Kabinettschrank aus den Dreißigerjahren, dessen gebogene Stahlrohrfüße geradezu nach den gebogenen Stahlrohren von Beistelltisch und Sofa verlangten. Nein! Der Schrank kostete über dreitausend Euro, fast so viel wie das Sofa. Nein, nein, nein – aber es musste sein! Von allem gefiel mir der Schrank am besten, in ihm konnte ich meine Arbeit aufbewahren – und ich würde wieder arbeiten, so wie früher –, aufbewahren mit Stil, so wie es ihr, meiner Arbeit, entsprach.

»Guter Mann«, sagte ich zu dem freundlichen Herrn, »ich werde nicht mehr weiter durch Ihren Laden gehen. Ich nehme diesen Schrank hier und das Sofa dort und diese beiden, nein, nicht jene … diese Beistelltische. Hier, meine Kreditkarte, bitte liefern Sie schnell, ich brauche die Stücke dringend.«

Gerade wollte ich das Ladengeschäft verlassen, als mir etwas Ockerfarbenes auffiel, eine kleine Kommode mit abgerundeten Seitenkanten. Ich drehte mich nach dem Mann um und fragte, von wem sie sei.

»Das ist ein hoch seltenes Sideboard von einem tschechischen Möbeldesigner. Sein Name ist Jindřich Halabala. Kennen Sie ihn?«

Ich war wie verzaubert. Halabala. Das klang erlesen, artistisch, spielerisch. Ich wusste gleich: Ein Ästhet mit Leidenschaft besaß zwar etwas von Breuer, sein Herz jedoch schlug für Halabala.

»Nein, ich kenne ihn nicht, das heißt, ich lerne ihn gerade kennen. Sagen Sie mir, was für ein Holz ist das?« Der Ockerton wies dunkle Reste von Jahresringen auf, wie mit Tusche gezeichnet.

»Geflammte Birke.«

Geflammte Birke. Allein der Begriff hatte es in sich. Und die wie mit Tusche gezeichneten Reste von Jahresringen sahen tatsächlich aus wie Flammen. Mit einem Schlag wusste ich ohne jeden Zweifel, dass ich nicht glücklich würde, wenn ich ohne Halabala ginge. Ich musste ihn haben.

Mit Schrecken sah ich, dass dieses kleine Sideboard noch teurer als das Sofa war – doch was blieb mir anderes übrig, als die Kreditkarte erneut zu zücken und mit einem Gefühl beginnender Ohnmacht zu zahlen, was zu zahlen war. Nachdem ich dies erledigt hatte, beschloss ich, in ein Café zu gehen und gründlich über meine fatale Vorliebe für sündhaft Teures nachzudenken. Ich trank einen Espresso, damit die Gedanken klar wurden, und bestellte ein Glas Gewürztraminer, der für die nötige Ruhe und Sinnlichkeit sorgte. Ich verachtete Geld; Geld auf dem Konto war kalt, ein hundert Jahre altes Tischchen hingegen war warm. Trotzdem war meine Neigung ruinös und toxisch wie jene eines Drogenabhängigen. Obendrein war sie dekadent und – ich sah, wie hinter der Fensterfront auf der Straße eine Frau um Geld bettelte, vielleicht war sie aus Syrien geflohen – gegenüber dem weit überwiegenden Teil der Menschheit respektlos.

Am schlimmsten aber war nicht ihre frivole, gefährliche, dionysische Tendenz, ihr verderbter, autoaggressiver Zug, ihr chimärenhaftes Wesen – nein, am schlimmsten war, dass dieses Phantasma meine ganze kreative Energie auf sich zog und verhinderte, dass ich mich um meine Arbeit kümmerte, statt sie mit Konsumverhalten zu kompromittieren. Denn sie für ein paar Möbel links liegen zu lassen, das war kompromittierend.

Als ich den Gewürztraminer trank, ein Schluck davon meinen Gaumen hinunterfloss, ließ ich den Blick durch das Café schweifen und sah eine sonderbare junge Frau, eine Dame mit einem schwarzen Hut und schwarzen Handschuhen, die auf der Bank an der Wand saß, allein an einem kleinen Zweiertisch. Der Hut war extraordinär; er erinnerte von der Form her an einen Suppenteller mit niedrigem Rand (den sie mit dem Rand nach oben trug), war aus locker geflochtenem Bast, der ein zartes Schachbrettmuster auf ihr Gesicht warf; er balancierte schräg auf ihrem Kopf und wurde von einer Schnur gehalten. Als sie sich nach der Tasche umdrehte, sah ich, dass auf dem Hutteller drei rote Origamiblüten lagen. Spitzenhandschuhe waren es, die diese Dame, kaum fünfundzwanzig Jahre alt, trug; als sie mit ihren eleganten schwarzen Fingern nach der Kaffeetasse griff, rutschte ich auf meinem Stuhl nach vorn bis zur Kante, als wäre ich gerade aufgewacht.

Weniger Hut und Handschuhe jedoch, vielmehr der zarte Hals und die ebenmäßige Rundung des Kinns zogen mich in ihren Bann. Die Form der unteren Wangenpartie war von höchster Vollendung und ließ mich – obwohl dieser Vergleich unpassend war – an die Bauhausmöbel denken, deren Biegungen derjenigen der Dame doch sehr ähnlich waren. Auch schien die Frau ganz dieser Zeit zu entstammen. Ich musste sie ansprechen.

»Gnädige Dame«, sagte ich wie ein Schauspieler in einem historischen Film, als ich vor ihr stand, froh, dass ich das Jackett von Brunello Cucinelli trug, »es ist nicht schön, Damen mit Blumen zu vergleichen, denn Blumen gibt es von der gleichen Sorte viele; falls es jedoch eine Blume geben sollte, deren Schönheit atemberaubend ist und die nur ein einziges Mal vorkommt, dann müsste sie Ihren Namen tragen.«

Ich hatte mich entschieden, sie zu siezen, obwohl sie noch sehr jung und es in Berlin üblich war, sich zu duzen. Sie gab mir ihren warmen, braunen Blick.

»Dichter«, sagte ich, als wollte ich erklären, wie ich auf meine wortreiche Anrede gekommen war. »Ich hoffe, Sie langweilen sich hier nicht?«

»Nun nicht mehr, Herr Dichter. Mein Name ist Charlotte Raven. Wollen Sie mir Gesellschaft leisten?«

Ich verstand dies als Aufforderung, mich zu setzen.

»Dichter bin ich von Beruf. Mein Name ist Lorenz Zweifel.«

»Ach, Sie haben einen … Beruf. Was schreiben Sie denn?«

»Ich drücke es so aus, tatsächlich handelt es sich weniger um einen Beruf als um eine Berufung. Sie müssen wissen, dass ich Lohnarbeit verachte. Was schreibe ich? Nun ja, zur Zeit … Ein großer Teil meiner Arbeit besteht darin, mich inspirieren zu lassen.«

»Wie schön! Ich finde Menschen langweilig, die einen Beruf ausüben. Sie lassen sich also inspirieren. Sehr schön ist das. Ich tue das auch, ich male.«

»Was für ein Glück für Sie. Malen wollte ich auch immer, leider fehlt mir dafür jedes Talent. Was verwenden Sie, Öl?«

»Aquarell.«

Ich konnte sie mir nicht bei der Arbeit an einem Bild vorstellen, was zweifelsfrei an ihrer Kleidung lag; hätte sie jedoch mit einem Arbeitsoverall vor mir gesessen, das voluminöse dunkle Haar zusammengebunden, hätte ich sie mit etwas Phantasie sogar bei der Gartenarbeit sehen können.

»Ach, die Zeit«, sagte sie bedauernd. »Wollen Sie mich nicht besuchen kommen? Ich wohne außerhalb Berlins auf Schloss Raven. Hier …«

Ich hielt eine Visitenkarte in den Händen, sah sie zur Tür hinausgehen und in einen kleinen, gelben Rennwagen steigen. War das etwa ein alter Lamborghini?

Sie fuhr los. Das Kastanienbraun ihres Haars flatterte über dem Gelb des Rennwagens – so wehte sie davon. Wer wusste, ob ich sie jemals wiedersah. Die Lücke, die sie hinterließ, wurde vom Ladengeschäft auf der anderen Straßenseite geschlossen, bei dem ich die Möbel gekauft hatte und vor dem nun ein Lieferwagen mit offenen Türen parkte. Herr Sankiewitz bugsierte eigenhändig einige gut verpackte Stücke hinein. Es schien zu laufen.

9

Mich trennten erst wenige hundert Meter, wenige Stunden von Leonie, und ich dachte bereits an eine andere Frau. Was war ich nur für ein Mensch. Besaß ich keine Haltung, war ich nicht zu Treue und Aufrichtigkeit fähig? Was für ein Vater würde ich werden?

Ich war im Hotelzimmer und lag zugedeckt im Bett, obwohl es erst zwanzig Uhr war. Welches Bein war schwerer? Wog der linke Arm mehr als der rechte? Je stärker ich mich auf mein Gleichgewicht konzentrierte, desto unsicherer schien mir die Matratze, auf der ich lag wie auf einem Schwimmbrett; ich drohte zu kentern, meine linke Körperhälfte zog nach unten, kippte in den Abgrund schwarzen Meerwassers – oder entglitt ich in den Schlaf? Gegen einen guten Traum hatte ich nichts einzuwenden, meine aber waren nicht gut, sie waren voller Ziegen und Kühe, die von einer unsichtbaren Macht hereingezaubert worden waren, um mich vom Weg abzubringen und zu erniedrigen.

Morgen wollte ich ausschlafen, bis die Putzfrau an die Tür klopfte. Seltsam, dass die meisten Menschen sich im Bett am sichersten fühlten; solange ich im Bett lag, träumte ich zwar schlecht und schlug mich mit meiner Empfindsamkeit herum, konnte jedoch nichts Verhängnisvolles tun, weder Möbel kaufen noch meine Frau betrügen. Allerdings wusste ich, dass ich sie ohnehin nicht betrügen würde.

Ich wusste es, weil mein Vater meine Mutter und somit auch mich betrogen hatte. Er betrog sie bereits, als ich in ihrem Bauch erste Purzelbäume schlug. Noch vor meiner Geburt machte er sich davon, er wanderte in die USA aus und ließ Mutter und einen Schuldenberg zurück. Die Gedanken daran waren mir unerträglich, und dennoch kamen sie im Laufe meines Lebens immer wieder, sie begleiteten es, sie bestimmten es; oft lag ich stundenlang auf dem Sofa oder auf dem Bett nur für diese Gedanken, statt zu arbeiten, wie Leonie es gerne gesehen hätte.

Vater starb früh, noch bevor ich die Möglichkeit gehabt hätte, ihn in Alaska aufzusuchen und kennenzulernen. Er hatte, wie ich später erfuhr, den Winter fernab der Zivilisation in einer Hütte verbracht; ein Einheimischer, der mit einem kleinen Flugzeug anreiste und auf dem zugefrorenen See vor der Hütte landete, versorgte ihn mit Lebensmitteln. Der Mann hatte einen Verkehrsunfall; als er wieder zu sich kam und sagen konnte, dass da draußen noch ein Schweizer war und wartete, war es zu spät.

Immer war es zu spät. Oder zu früh. Ich war zu jung gewesen, um jene abenteuerlichen Reisen zu unternehmen, die mir vorschwebten und mich aus der Schweizer Arbeiterstadt wegführten, in der Mutter und ich lebten. Es war zu spät, um eine Schwester oder einen Bruder zu bekommen; es war zu spät, um eine glückliche Kindheit zu verleben; es war zu spät, um Vater noch kennenlernen zu können.

Früher, als ich noch Ideen gehabt hatte, wie Leonie sagte, war es mir aus Gründen, die ich nicht mehr nachvollziehen konnte, ein Anliegen gewesen, meinem Vater ein neues, aber völlig anderes Leben einzuhauchen. Es ging dabei nämlich, und dies verlieh meinem Vorhaben etwas Unehrenhaftes, in keiner Weise um meinen Vater, sondern allein um mich, der ich einen Vater haben wollte, einen liebevollen, besorgten, gebildeten Vater. Ein Mädchen, in das ich mit zwölf Jahren verliebt gewesen war, hatte einen einfühlsamen, harmlosen, vielleicht sogar tölpelhaften, vor allem aber liebevollen Vater gehabt. Ich hatte ihn sehr gemocht.

Vater und Sohn

q)

Der alleinstehende Reisende, dessen Leben kinderlos geblieben war, der als Einziger im leeren, unaufhaltsam nach Westen rasenden Waggon saß und sich im richtigen Zug wähnte, war niemand anderer als Eugen Niggli.

In glückliche Gedanken versunken, sah er auf den ersten Blick nicht schlecht aus: Sein Gesicht leuchtete erwartungsfroh, das bereits ergraute Haar war zu einem ordentlichen Scheitel gekämmt und der dünnlippige Mund unterhalb des Schnauzes schien zu lächeln. Die beige Manchesterstoffhose war jedoch aus der Mode gekommen und von der Art, wie sie von alten Männern getragen wurde; sie entblößte ein Stück milchweißes, abgeledertes Schienbein, das in einer dicken Wollsocke verschwand, deren Farbkombination einem Risotto mit Erbsen glich.

Traf man Niggli stehend an, verschwand die Socke unter der Hose, doch nun war offensichtlich, dass er höchstens einen Meter fünfundsechzig groß war; außerdem wog er, was er jedoch für sich behielt, lediglich siebenundvierzig Kilogramm.

Dr. Eugen Niggli, Schweizer, genauer: geboren in Bern, aufgewachsen im Umland, abgesehen von einem zwei Jahre dauernden Abstecher nach Zürich und dem jetzigen, Leipziger Ankerplatz sein ganzes Leben wohnhaft in Bern, Studium der Linguistik und der Germanistik, Verfasser einiger wissenschaftlicher Arbeiten sowie des Rechtschreibhandbuchs Berndeutsch heute aus dem Jahre 1997, weniger aus praktischen als aus idealistischen Gründen als einer der Letzten eines aussterbenden Völkchens promoviert in Schweizer Literatur, war bis zum heutigen Tag über den Doktortitel nicht hinausgekommen: Um den vakant gewordenen Lehrstuhl für Schweizer Literatur, der ihm die Würden eines Professorentitels eingebracht hätte, hatte er sich gerade bewerben wollen, als er erfuhr, dass dieser nicht mehr besetzt wurde – und andere Bewerbungen waren erfolglos geblieben. Zuletzt war er längere Zeit arbeitslos gewesen. Unter dem Druck des Arbeitsamtes gezwungen, in zwei mögliche Richtungen flexibler zu werden, entweder sich beruflich neu zu orientieren oder seine Suche auf den gesamten deutschsprachigen Raum, ja, sogar auf fremdsprachige Länder auszudehnen, hatte er, W. G. Sebald folgend, sich in England beworben; zunehmend verzweifelt, hatte er über eine überarbeitete Neuauflage seines geliebten, in versteckter Weise revolutionären, jedoch seit geraumer Zeit vergriffenen, also verramschten Berndeutsch heute nachgedacht, aber da er den Druck selber hätte finanzieren oder ein entsprechendes Gesuch um einen Druckkostenzuschuss bei Stadt oder Kanton stellen müssen und die finanziellen Einnahmen durch die erste Ausgabe keineswegs ergiebig gewesen waren, hatte er die Idee wieder verworfen. Dank eines Wunders, wie er es nannte, lebte er seit sechs Monaten in Leipzig, wo er an der Universität im Rahmen einer Schwangerschaftsvertretung ein zweisemestriges Seminar zum Thema Schweizer Literaturgeschichte halten durfte.

Eugen Niggli war auf dem Weg von Leipzig nach Berlin – es war Februar, die Semesterferien hatten begonnen, ein idealer Zeitpunkt für sein Vorhaben –, um bei einer Pflegestelle den Hund abzuholen, für den er sich entschieden hatte. Nach und nach war ihm bewusst geworden, dass er gerne ein Kind gehabt hätte und ein Hund dieses Fehlen vielleicht ein Stück weit kompensieren konnte.

So weit fort von der Heimat, in der ihn allerdings nicht mehr viel gehalten hatte, sollte der Hund sein treuer Begleiter werden. Es handelte sich um einen Galgo aus Spanien, der von einer Hilfsorganisation für Galgos nach Deutschland gebracht worden war: ein sandfarbener Rüde mit weißen Füßen, einer weißen Spitze am Ende der Rute und einer schwarzen Maske, als hätte er die Nase zu tief in einen Topf mit schwarzer Tinte gesteckt. Er war zwei Jahre alt und in Spanien für die Jagd untauglich gewesen, weshalb der Besitzer ihn zusammen mit anderen untauglichen oder zu alten Hunden in den Wald gebracht hatte, um ihn an einem Baum zu erhängen. Irgendwie schaffte er es zu entwischen; er wurde auf einer Straße umherirrend aufgelesen. Gemäß Angabe der Hilfsorganisation besaß der Hund ein ruhiges und liebevolles Wesen; er hatte keine der sonst üblichen Mittelmeerkrankheiten.

Niggli hatte keinen jungen Hund gewollt, schon gar keinen Welpen, ein solcher hätte ihn, wie er fürchtete, überfordert. Allerdings schien das Bild, das er besaß und das den Hund mit einem leicht zur Seite gekippten, neugierig in die Kamera blickenden Kopf zeigte, zu verraten, dass es sich um ein jung gebliebenes Schlitzohr handelte. Schaute Niggli das Bild an, stieg seine Laune. Letzte Nacht hatte er kaum einschlafen können, so sehr hatte er sich auf den neuen Mitbewohner gefreut.

Um Geld zu sparen, schließlich brauchte er für die Rückfahrt neben seiner eigenen auch eine Fahrkarte für den Hund, hatte er nicht einen Intercity-Express genommen, sondern eine günstigere Verbindung mit Regionalbahnen herausgesucht, was jedoch zur Folge hatte, dass die Strecke nicht eine Stunde und zwanzig Minuten dauerte, sondern fast drei Stunden. Durch den Umweg würde er allerdings mehr von Deutschland sehen, und Zeit hatte er genug.

Nach zwanzig Minuten Reise erklärte ein hilfsbereiter Schaffner dem armen, verwirrten Niggli, dass er im falschen Zug saß: Er fuhr nach Halle.

»Abär …«, fragte Niggli mit schweizerischem Akzent, »ich komme trotzdäm nach Bärlin, odär?«

Er erhielt zur Antwort, dass ihn dieser Zug in die falsche Richtung bringe: nach Westen statt nach Norden. Von Halle aus könne er nach Berlin fahren. Aber er brauche eine neue Fahrkarte, die jetzige sei in jenem Zug nicht gültig.

»Ein neues Billet?«

Er begann zu ahnen, dass er nun mehr Geld verlor, als wenn er gleich mit dem Intercity-Express gefahren wäre, und fing wie immer bei Aufregung oder Verwirrung, einer Gogol’schen Figur verwandt, damit an, ohne auf den Punkt zu kommen, Umstandswörter aneinanderzureihen: »Abär im Grunde … das ist ja eigäntlich … sozusagen … also wirklich! Ich wollte … ich dachte …«

Ob er ab Halle den ICE nehme, wollte der Schaffner wissen.

Niggli fragte, wie viel der ICE und wie viel die Regionalbahn koste.