Lebensgefühl - Gerry Friedle - E-Book

Lebensgefühl E-Book

Gerry Friedle

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  • Herausgeber: Ecowin
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2021
Beschreibung

DJ Ötzi macht Laune – Gerry Friedle macht Mut Mit seinem Hit »Anton aus Tirol« wurde er über Nacht zum Star. Doch die Karriere als Entertainer und Sänger war ihm nicht vorgezeichnet: Gerry Friedle alias DJ Ötzi begeistert seit über zwanzig Jahren Fans auf der ganzen Welt. Er ist einer der bekanntesten österreichischen Musiker und Performer und brachte es mit »Hey Baby« zu Gold und Platin in England. Aber der Weg zum Erfolg führte ihn durch tiefe Täler und über hohe Gipfel. In seiner exklusiven Autobiografie blickt Gerry Friedle auf seine bewegte Lebensgeschichte zurück. Dieses inspirierende Buch zeigt: Wer schwere Zeiten übersteht, kann gestärkt und mit neuem Lebensmut daraus hervorgehen! - Schwieriger Anfang: Pflegefamilie, Großeltern und Schulkonflikte - Von ganz unten kann es nur noch besser werden: der Weg aus der Obdachlosigkeit - Erste Erfolge: Vom Karaoke-Sieger zum DJ und Entertainer - Chart-Stürmer und Familienmensch: der berühmte Sänger ganz privat - Tolles Geschenk für jeden Musikfan Ehrlich, authentisch und persönlich: eine Künstlerbiografie, die inspiriert Sein Leben war beileibe nicht einfach – aber hat ihn zu dem gemacht, der er heute ist. Auf Konzerten und Veranstaltungen wie der DJ Ötzi Gipfeltour schafft er es, die Leute zu spüren, ihre Stimmung zu erfassen und sie mit seiner Musik, die zwischen Schlager, Dance und Pop liegt, zu begeistern. In seiner Autobiografie gewährt der Star sehr private Einblicke in sein Leben. Er erzählt von der Kraft, die er aus der Liebe seiner Frau Sonja und dem Zusammensein mit Familie und Freunden schöpft, und wie er mit seiner oft schwierigen Vergangenheit abschließen konnte. Wenn er über Hits wie »Ein Stern, der deinen Namen trägt« spricht und seine Verantwortung gegenüber seinen Fans beschreibt, wird seine Leidenschaft für die Musik deutlich. Ein österreichischer Musikstar, der aus dem Tiroler Ötztal die weite Welt eroberte, zeichnet seinen Lebensweg nach: Begleiten Sie Gerry Friedle durch die schönen, stillen und manchmal schwierigen Momente von DJ Ötzis Karriere!

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Seitenzahl: 187

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GERRY FRIEDLE

LEBENSGEFÜHL

Sämtliche Angaben in diesem Werk erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr. Eine Haftung der Autoren bzw. Herausgeber und des Verlages ist ausgeschlossen.

1. Auflage

© 2021 Ecowin Verlag bei Benevento Publishing Salzburg – München, eine Marke der Red Bull Media House GmbH, Wals bei Salzburg

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags, der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen sowie der Übersetzung, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Gesetzt aus der Noe Text

Medieninhaber, Verleger und Herausgeber:

Red Bull Media House GmbH

Oberst-Lepperdinger-Straße 11–15

5071 Wals bei Salzburg, Österreich

Gestaltung: wir sind artisten

Foto außen: Fritz Hauswirth

Fotos Innenteil: privat, Mike Vogl (www.vogl-perspektive.at),

Nolis Vanray, Thomas Reitsamer, Urbi Urbanek, krivograd/ipmedia, Hella und Kai (www.wirmachengluecklich.net), Paul Schirnhofer, Wolfi Felice, Moritz Künster/monsterpics, Electrola/Universal Music, auerimages/Shutterstock.com, wavebreakmedia/Shutterstock.com, OPOLJA/Shutterstock.com

Autorenillustration: © Claudia Meitert / carolineseidler.com

Lektorat: Maria-Christine Leitgeb

ISBN 978-3-7110-0293-8

eISBN 978-3-7110-5319-0

LEBENSGEFÜHL

ICH BIN SO SCHÖN, ICH BIN SO TOLL … WER IST ANTON AUS TIROL?

I WILL LEB’N

ES IST DER MOMENT

ELVIS

MUSS I DENN ZUM STÄDTELE HINAUS

TIAN – FANG NIE AN AUFZUHÖREN

ANTON AUS TIROL

HEY BABY

I WANNA KNOW, IF YOU’LL BE MY GIRL

HEIMAT, FREMDE HEIMAT

EIN STERN UND EIN GANZES STERNENFELD

CAMPUS STELLAE – EIN GANZES STERNENFELD

UHH, AHH

VON HERZEN – EUER DJ

SEI DU SELBST!

MEINE LIFEHACKS

LEBENSGEFÜHL

Mein Leben im Rückblick zu betrachten, ist eine große emotionale Herausforderung. Ich arbeite im Steinbruch der Erinnerungen. Die Steine, die ich dort finde, sind das Material, aus dem ich das Haus meines Lebens gebaut habe. Manche sind porös und schwer zu fassen, andere haben sich zu Szenen oder Gestalten verfestigt, die die Ufer meines Lebensflusses ausmachen oder an ihnen zu stehen gekommen sind und mir von dort aus nachblicken. Die Menschen, die sich hinter den Gestalten verbergen, meine Wegbegleiter, waren, jeder auf seine Weise, wichtig für mich. Jeder Einzelne von ihnen zu der Zeit, zu der er da war. Die Art und Weise, wie sie mir begegnet sind, war für mich Glück bringend und schmerzlich zugleich.

Ich bin nun 50 Jahre alt und mit meinem inneren Kind vereint. Heute weiß ich, dass ich sie alle gebraucht habe, um zu dem Menschen zu werden, der ich bin. Sie alle haben mich gefördert. Sie alle sind Teil meines Lebens. Ich will die schmerzlichen Momente und ihre Verursacher genauso wenig aussparen wie die glücklichen. Auch sie gehören dazu. Ja, vielleicht sind es sogar sie, die maßgeblich für meine Entwicklung waren. Sind es nicht die Widerstände, an denen man wächst, die Krisen, aus denen man gestärkt hervorgeht?

Beim Schreiben meiner Erinnerungen sind mir immer wieder zwei Bilder in den Sinn gekommen. Das eine ist grau und dunkel, in der rechten unteren Ecke kauert ein kleiner, zerzauster Vogel. Auf dem anderen hat ein bunter Paradiesvogel seine Flügel ausgebreitet, um sich in die Lüfte zu erheben. Die beiden Bilder stehen für die Eckpunkte einer langen Serie, die mein Leben zeigt. Hat sich das Grau kontinuierlich aufgehellt? Nein! Immer wieder gab es Phasen, in denen es die anfangs noch zarten bunten Farben wieder zu überdecken drohte. Erst allmählich setzten sie sich durch. War es Glück, dass sie die Oberhand gewannen? Sicher auch. Viel mehr war es jedoch harte Arbeit – und eine große Portion Mut, den ich mir nach und nach aneignen musste, um überleben und wachsen zu können. Stolz bin ich nicht auf das Glück, das mir zuteilwurde, höchstens dankbar dafür, stolz bin ich darauf, dass ich den Mut aufbrachte, meinen Weg zu gehen. Darauf, dass ich es durchgezogen habe, denn mein Weg ist in Wahrheit steinig, manchmal schmal, selten breit und bequem zu gehen. Und so war das von allem Anfang an. Es ist der lange Weg vom gebrochenen Kind zum gefeierten Star.

Immer wieder bin ich gefragt worden, weshalb ich gerade in Zeiten wie diesen, da uns eine Pandemie noch immer fest im Griff hält, ein Buch mit meinen Erinnerungen vorlege. Das ist ganz einfach: Ich möchte Mut machen! Ich möchte zeigen, dass man schwere Zeiten überstehen und gestärkt daraus hervorgehen kann. Wer, wenn nicht ich, könnte das glaubhaft vermitteln?

I BIN SO SCHÖN, ICH BIN SO TOLL …

WER IST ANTON AUS TIROL?

Ich, Anton Friedle, geb. am 7. Juli 1949 in Sautens, verh., Discjockey, ständig wohnhaft in Völs, Wolkensteinerstraße 4b, stelle folgenden Antrag und bitte um dessen Bewilligung: Mein a. e. Sohn Gerhard Raffler, geb. am 7. Dezember 1970, seit März 1973 bei meinen Eltern in Ötz Nr. 106 in Pflege, muss im Herbst dieses Jahres die Volksschule in Ötz besuchen. Aus dem Grund, dass mein Sohn Gerhard bei meinen Eltern in Ötz für vermutlich ständig verbleiben wird und das auch ihr Wunsch ist, möchte ich dem Kind meinen Namen geben, und zwar in Form einer einfachen Namensgebung.

Friedle, den Namen, den ich heute trage, den Namen meines Vaters, habe ich erst im Alter von sechs Jahren bekommen. Bis dato hieß ich Raffler, nach meiner Mutter. Mehr als das Faktum, dass wir eine Zeit lang denselben Namen trugen, verband uns jedoch nicht. Und auch meinen Vater, einen gewissen Anton Friedle aus Tirol, lernte ich erst zwei Jahre nach meiner Geburt kennen, und auch dann zeigte er zunächst einmal kein großes Interesse an mir, sondern lieferte mich bei seinen eigenen Eltern, meinen Großeltern, ab. Anfangs musste ich mich, auch was ihn anging, mit dem Namen zufriedengeben.

Bis zu meinem dritten Lebensjahr wurde ich bei einer Pflegefamilie untergebracht. Dorthin, in meine früheste Kindheit, reichen meine ersten Erinnerungen zurück. Es sind schöne Erinnerungen, wobei »Erinnerung« dabei vielleicht zu viel gesagt ist, vielmehr sind es Eindrücke oder Gefühle, die ich mit dieser Zeit verbinde. Allen voran ist da das Gefühl, tatsächlich geliebt worden zu sein.

In meiner Wahrnehmung war meine Pflegefamilie meine richtige Familie. Hier erlebte ich Geborgenheit. Hier hatte ich ein Zuhause. Hier war ich angekommen. Es gab Kinder, die mich als ihren Bruder akzeptierten, eine Großmutter, die mir Märchen erzählte, und allen voran ein Elternpaar, das mich als Kind angenommen hatte. Es wäre zu viel gesagt, dass sich einzelne Situationen oder Gegebenheiten von damals detailgetreu in mein Bewusstsein eingebrannt hätten, dafür war ich einfach zu jung, vielmehr sind es Schlaglichter – ich weiß nicht, wie ich das anders bezeichnen soll –, die das kleine Einfamilienhaus in Waidring im Pillerseetal, den Hügel dahinter, den Bauernhof in der Nachbarschaft oder den Wald, der über Felsenwände bis zur Steinplatte hinaufkriecht, gelegentlich aufleuchten lassen. Ich bin erst unlängst zusammen mit meiner Frau dorthin gefahren: Vieles hat sich als richtig erwiesen …

Ich könnte heute auch nicht mehr sagen, ob ich schon unmittelbar nach meiner Geburt zu der Pflegefamilie gekommen bin oder mich meine leibliche Mutter erst nach ein paar Monaten dort abgegeben hat. Das spielt jedoch keine Rolle für mich. Das hat es damals nicht, und das tut es auch heute nicht. Für mich fühlte es sich an, als wäre ich immer schon dort gewesen, als hätte ich dort und nirgendswo anders hingehört. Die Beziehung, die ich zu Annemarie, meiner Pflegemutter, hatte, war eine sehr innige. Dass es sich bei ihr nicht um meine leibliche Mutter handelte, wusste ich nicht. Ich möchte nicht abstreiten, dass mich womöglich auch meine Mutter geliebt hat. Sie war jedoch sehr jung, als ich auf die Welt kam, kaum 17 Jahre alt, und ich kann mir gut vorstellen, dass sie, ein einfaches Zimmermädchen, schlicht und einfach überfordert war mit der Situation, finanziell, oder weil sie plötzlich ganz allein mit einem Kind – mit mir – dastand. Ich bin nämlich das, was man heute als das Produkt eines One-Night-Stands bezeichnen würde.

Bei meiner Pflegefamilie durfte ich das erfahren, was ich für eine Grundvoraussetzung einer glücklichen Kindheit halte: geliebt zu werden und Teil einer intakten Familie zu sein, auch wenn es nicht meine eigene war. Ich war im Himmel – und stürzte in die Hölle. So nahm ich es zumindest wahr. Denn als ich etwa zweieinhalb Jahre alt war, änderte sich mein Leben in einer für mich sehr dramatischen Weise. Damals bekam Anton Friedle, mein leiblicher Vater, einen Bescheid vom Jugendamt, der ihn darüber informierte, dass er einen Sohn hatte – dass es mich gab. Er und ein anderer waren als potenzielle Väter infrage gekommen, er hatte das Rennen gemacht. Sämtliche verbleibende Zweifel an seiner Vaterschaft räumte dann meine Großmutter, die Mutter meines Vaters, aus der Welt, als sie mich zum ersten Mal sah. »Ja, schau dir doch die Hände an! Er hat ja die gleichen Hände wie du!«, soll sie ausgerufen haben. Damit war mein Schicksal besiegelt. Von heute auf morgen gehörte für mich das schöne Gefühl, geliebt zu werden, der Vergangenheit an.

Ich müsste lügen, würde ich behaupten, mich an den Tag meiner Entwurzelung erinnern zu können. Ich denke, mein Vater sagte mir damals auch nicht, dass ich nie mehr zu meiner Pflegefamilie zurückkommen würde, als er mich abholte. Er erzählte mir vielmehr, so die Familienlegende, er würde mir im Nachbarort neue Schuhe kaufen – und das war schon was. Verwöhnt waren wir bei aller Liebe ja nicht gerade. Dass es sich um einen Weg ohne Wiederkehr handeln würde, hatte man mir verschwiegen. Um mich zu schonen? Wahrscheinlich. Vielleicht liegt es daran, dass ich mich an die Fahrt selbst heute nicht mehr erinnern kann. Ich habe das Ausmaß ihrer Schrecklichkeit für mich nicht erkannt. Ich habe nicht erkannt, dass es sich in Wahrheit um eine Entführung handelte. Nichts anderes war es schließlich, wenn auch mit dem Sanctus der Behörden.

Ich habe meine geliebte Pflegemutter bis heute nur einmal wiedergesehen. Als ich ein Kind war und nach ihr fragte, verwehrte man es mir, später, als ich es selbst in der Hand gehabt hätte, traute ich mich nicht mehr. Ich hatte Angst vor dem Schmerz. Zusammen mit ihm verbannte ich sie in die tiefsten Tiefen meines Unterbewusstseins. War sie nicht mehr existent, war auch der Anlass für den Schmerz aus der Welt. Anders hätte ich es nicht geschafft. Ich musste weiterleben.

Von Anfang an stand offenbar fest, dass mich mein Vater nicht selbst großziehen wollte. Er lieferte mich noch am selben Tag bei seinen Eltern ab. Ötz sollte meine neue Heimat werden. Ganz wurde es das nie. Ich hatte meine Wurzeln schon woanders geschlagen. Auch heute noch fühle ich mich in der Gegend um Waidring und St. Johann herum sehr zu Hause, nicht jedoch in Ötz. Allein die unterschiedlichen Landschaftsformen – das liebliche Pillerseetal und das raue, hochgebirgige Ötztal – sind Ausdruck dessen, wie ich mich jeweils an den beiden Orten fühlte: Dort hatte ich Liebe und Geborgenheit erfahren, hier fühlte ich mich abgewiesen und einsam. An die Stelle von Harmonie trat eine innere Angespanntheit, die über Jahre hinweg meine Grundstimmung ausmachen und mich auch später nicht mehr so schnell verlassen sollte. Die Familie, in die ich nun kam, war zwar meine eigene, es fühlte sich für mich jedoch nicht so an, auch später nicht. Man sagt, dass Blut dicker als Wasser sei. Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich das nicht bestätigen. Ich war und blieb ein Kind aus der Fremde.

Das Siedlungshaus meiner Großeltern lag etwas außerhalb der kleinen Ortschaft. Sechs Parteien gab es im Haus. Unsere kleine Wohnung lag im ersten Stock. Vom Stiegenhaus kam man in ein kleines Vorzimmer, von dem aus man rechts in die Küche und in ein daran anschließendes Wohnzimmer gelangte. Letzteres wurde von einem großen Fernseher dominiert, der ständig lief. Dann gab es da noch das Schlafzimmer der Großeltern und ein kleines Extrazimmer, das ich beziehen sollte. Dass der Fernseher lief, bedeutete jedoch nicht, dass ich als Kind permanent fernsehen durfte. Da war meine Großmutter streng. Ich fand jedoch bald Mittel und Wege, um das Verbot zu umgehen. In meinem Zimmer stand ein kleiner Ofen. Das Ofenrohr führte direkt durch die Wand ins Wohnzimmer hinüber. Dadurch war ein Loch entstanden, und durch dieses Loch hatte ich einen guten Blick auf den Bildschirm. Ich konnte mich allerdings nicht hinsetzen zum Schauen, dazu war ich zu klein, und das Stehen war ganz schön anstrengend. Bei Moby Dick, daran erinnere ich mich noch ganz genau, habe ich in der Hälfte aufgegeben, weil mir die Beine schon so wehtaten.

Die Wohnung verfügte zusätzlich noch über einen kleinen Balkon, der in den Innenhof ging und bald eine ganz eigene, ich will nicht sagen richtungweisende Bedeutung für mich bekommen sollte. Aber dazu später. Jenes Extrazimmer teilte ich anfangs noch mit meiner Tante, der Schwester meines Vaters. Dass uns das einander nähergebracht hätte, könnte ich jetzt nicht behaupten. Auch sie blieb mir fremd, und ich ihr. Ich gehörte nicht hierher. Damals hätte ich das noch nicht so benennen können, wenn ich jedoch an die Zeit dort zurückdenke, stellt sich bei mir auch heute noch das Gefühl von damals ein. Es ist das Gefühl, dass hier etwas nicht stimmte. Es legte sich wie ein Schatten über meine Seele.

Es liegt mir fern, meine Großeltern verurteilen zu wollen. Sie tragen keine Schuld an meinem Unglück damals. Ich bin sicher, dass sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten das Bestmögliche für mich getan haben, und ich habe sie längst im Lebensbaum so aufgestellt, dass sie ruhen können. Allein die Tatsache, dass sie mich bei sich aufgenommen und an Kindes statt großgezogen haben, rechne ich ihnen hoch an. Wahrscheinlich haben sie mich auch geliebt – auf ihre Weise. Bei allem Guten, das ich damals erfahren durfte, blieb jedoch immer so etwas wie ein bitterer Nachgeschmack. Ihre Liebe war nie ganz frei und uneigennützig. Wieso das so war? Sie waren eben auch nur Menschen und hatten ihre eigene Geschichte. Viel rührte sicher daher, dass ihre Ehe alles andere als perfekt war. Von Liebe war da nicht mehr viel zu spüren.

Vor allem mein Großvater war ein sehr schwieriger Mensch. Ich erlebte ihn damals, als ich ein kleines Kind war, als böse, anders kann ich es einfach nicht sagen. Heute weiß ich, dass ihn wohl sein schweres Leben zu dem gemacht hatte, was er war. Er hatte selbst früh seine Mutter verloren und schon in jungen Jahren viel Verantwortung für seine kleineren Geschwister übernommen. Dann hatte er den Krieg miterlebt und war als gebrochener Mann aus ihm zurückgekehrt. Er machte kein Hehl daraus, dass er mit der Welt fertig war. Seine Verbitterung trat als Härte zutage. Es war nicht so, dass er gewalttätig gewesen wäre, vielmehr war er mental grob. Er strafte mit Verachtung, mit Liebesentzug. Er verbreitete eine Atmosphäre der Angst um sich. Ich konnte nie wirklich durchatmen in seiner Nähe. Und damit war ich nicht allein in Ötz. Als Gendarm – zu dem Zeitpunkt, da ich in die Familie kam, hatte er die Stellung des Postenkommandanten inne – verbreitete er auch im Ort Angst und Schrecken. Er trug gewissermaßen die Gesetzestafeln in den Hosentaschen mit sich herum und hatte den Ruf, nichts, aber auch gar nichts durchgehen zu lassen. Selbst die kleinsten Übertretungen strafte er hart. Ganz Ötz fürchtete ihn. Mein Großvater war the bad guy in dem Geflecht, das meine neue Familie ausmachte. Anders als bei meiner Großmutter wusste ich bei ihm jedoch, woran ich war. Sie hingegen war die Gute, the good guy, zumindest an der Oberfläche. Dass ihre Güte nie ganz altruistisch war, sondern vor allem ihr selbst und ihrem Image diente, war für mich damals schwer zu durchschauen. Wiederum war da nur das Gefühl, dass hier etwas nicht so war, wie es hätte sein sollen, nämlich so, wie ich es für kurze Zeit bei meiner Pflegefamilie hatte erleben dürfen.

Auch meine Großmutter litt sicher unter der Härte meines Großvaters, unter seiner Lieblosigkeit. Als ich in die Familie kam, war es nur naheliegend, dass sie dieses Manko durch mich zu kompensieren versuchte. Die Liebe, die sie von ihrem Mann nicht bekam, wollte sie nun von mir. Aus dieser Familienkonstellation entließ sie mich auch nicht so schnell. Ich diente dazu, ihr Image im Ort aufzupolieren. Mit einem Mal war sie die Aufopferungsvolle, die auf, ich weiß nicht was alles, verzichtete, um ihren Enkel großzuziehen. Viel später habe ich herausgefunden, dass sie darüber minutiös genau Buch geführt hatte: Zehn Schilling Taschengeld hier, ein neuer Pullover da … Sie gefiel sich in der Rolle, und daher unterband sie auch regelmäßig schüchterne Annäherungsversuche meiner leiblichen Mutter, die es immer wieder gegeben hatte. »Was willst du mit deiner Rabenmutter?«, bekam ich dann zu hören. Das Faktum meiner Existenz hatte ihr eine neue Daseinsberechtigung gegeben. Ihr Leben hatte mit einem Mal wieder einen Sinn – und dafür musste ich herhalten. Ich war das Schutzschild, das sie bislang entbehren hatte müssen, gegen ihren Mann und gegen den ganzen Ort.

Ja und mein Vater? Der kam gelegentlich vorbei. Tunlichst dann, wenn mein Großvater nicht zu Hause war, denn die beiden hatten beileibe kein gutes Verhältnis zueinander. Mein Vater verkörperte, kurz gesagt, all das, was meinem Großvater in seiner Seele zutiefst zuwider war. Er sah gut aus. Er war der Märchenprinz der lokalen Diskotheken, in denen er als DJ jobbte. Meine Mutter war sicher nicht das einzige Mädchen geblieben, dem er als Szeneplatzhirsch den Kopf verdreht hatte. Er war gelernter Friseur, ich glaube jedoch nicht, dass er den Beruf jemals ernsthaft ausgeübt hat. Sex, Drugs und Rock ’n’ Roll. Das war sein Leben. Das war mein Vater. Dazu kam, dass er einen Hang zum Spielen hatte. Das Geld, das er verdiente – und das war gar nicht wenig –, verspielte er regelmäßig wieder. Dann kam er angekrochen und bat meine Großmutter um Unterstützung. Sie ließ ihn nie hängen. Sie entschuldigte alles, was er tat. Mein Großvater wiederum durfte natürlich keinen Wind davon bekommen. Ich selbst durchschaute es lange nicht. Für mich war mein Vater ein cooler Typ, ein Held. Ich bewunderte die großen Autos, die er fuhr. Zumeist waren es dicke Volvos oder Jaguars. Dass sie entweder nur geliehen oder die Raten nicht abbezahlt waren, beziehungsweise dass er darin gelegentlich auch wohnte, wusste ich ja nicht. In den Hosentaschen hatte er zumeist Packen von Geld, große Scheine selbstverständlich. So schnell er sie verdient hatte, so schnell war er sie zumeist auch wieder los. Auch das begriff ich als Kind nicht. Einmal brachte er mir einen Skihelm mit einem Autogramm von Franz Klammer mit. Ich war so stolz darauf. Erst viele Jahre später fand ich per Zufall heraus, dass er die Unterschrift selbst angefertigt hatte. Bis dahin war mein Vater ein Idol für mich, und wie es Idole so an sich haben – unerreichbar. Ich suchte seine Nähe und fand sie nicht. Er war nie da, wenn ich ihn brauchte. Wenn ich krank war, besuchte er mich nicht. Wenn ich Sorgen hatte, tröstete er mich nicht. Wenn ich in der Schule Probleme hatte, interessierte ihn das nicht, und eingestanden wäre er schon gar nicht für mich. Er hatte mich seinen Eltern mit Leib und Seele überantwortet. Mein Leidensdruck war enorm. Versuche, ihm näherzukommen, unterband er. »Wollen wir nicht zumindest Freunde sein?«, fragte ich ihn einmal auf einer Autofahrt von Sautens nach Ötz. »Nein«, antwortete er, »Freundschaft bedeutet Verantwortung.« Dass Vaterschaft eine nicht mindere Verantwortung implizierte, kam ihm wohl nicht einmal in den Sinn. Wie gerne hätte ich damals einen Vater, ja Eltern gehabt wie alle anderen auch.

Die Voraussetzungen für mein Aufwachsen waren jedoch andere. Eigenschaften wie Verantwortungsbewusstsein, Ehrlichkeit oder Verlässlichkeit habe ich von meinen Eltern bei Gott nicht gelernt. Sie alle musste ich mir später im Alleingang aneignen – wie vieles andere auch.

Das erste Mal, dass mein Vater eine Art Interesse für mich zeigte, war, als ich Jahre später mit einem Berg Schulden dastand. Das war rund zwei Jahre vor meinem Durchbruch. Ich verdiente damals zwar ausgesprochen gut als DJ, wahrscheinlich wesentlich mehr als er, konnte mit Geld jedoch so gut wie gar nicht umgehen. Ich könnte gar nicht mehr sagen, wofür ich es konkret ausgegeben habe. Es war mehr die Achtlosigkeit, mit der ich damit umging, die mich in diese Lage gebracht hatte. Ich hatte meine eigenen Gesetze, parkte, wo ich wollte, fuhr so schnell, wie ich es für angemessen fand, und so weiter. Ich hatte es mir zur Angewohnheit gemacht, die Strafmandate, die reihenweise ins Haus flatterten, einfach nicht aufzumachen, geschweige denn zu bezahlen. Ich warf sie einfach weg. Ich hatte und habe großen Respekt vor der Polizei – das ist wohl ein großväterliches Erbe –, nicht aber vor Briefen welchen Absenders auch immer. Zu meiner Verteidigung könnte ich auch anführen, dass mich nicht alle Briefe erreicht haben. Das war tatsächlich so. Ich arbeitete als DJ einmal dort und einmal da, ich hatte zwar eine feste Adresse in Ötz, verbrachte dort jedoch kaum ein Viertel des Jahres.

Als mir dann das Wasser bis zum Hals stand, bat ich jedenfalls meinen Vater um Hilfe, ausgerechnet ihn, und blitzte zu meiner Verwunderung auch nicht ab bei ihm. Zum ersten Mal, seit ich ihn kennengelernt hatte. Er bot mir an, Ordnung in mein Leben bringen zu wollen. Woher das plötzliche Interesse an meiner Person? Die Sorge? Bislang kannte ich ihn noch vom Hörensagen. Ich denke, dass das der Zeitpunkt war, an dem er sich nach und nach mit mir zu identifizieren begann – und die Identifikation war gewissermaßen nahtlos. Er war DJ, ich war DJ, er hatte Schulden, nun hatte auch ich welche. Das rief ihn auf den Plan. Auf einmal gab es einen Punkt, an dem er einhaken konnte: Er sah sich selbst in mir. Der verlorene Sohn war endlich heimgekehrt und wurde mit offenen Armen empfangen. Was wir teilten und was uns womöglich noch dazu vereinte, war die Missachtung vonseiten seines Vaters, meines Großvaters. Für ihn waren wir beide Loser – und damit austauschbar.

Damals, als ich in der Klemme saß, half mir mein Vater, weil er mich in sich sah. Das war der Moment, der nach und nach eine Dynamik in Gang setzte, die sich beinahe bis zu seinem Tod nicht mehr aufhalten ließ. Denn umso erfolgreicher ich wurde, desto mehr identifizierte er sich mit mir. Er lebte mein Leben mit oder nach. Er wusste bis ins kleinste Detail über jeden meiner Schritte Bescheid. Bald war er nicht mehr nur mein Vater, bald war er ich selbst …