Lebenslanges Lernen - Christiane Hof - E-Book

Lebenslanges Lernen E-Book

Christiane Hof

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Beschreibung

Wie kaum ein anderes Konzept beherrscht das ''Lebenslange Lernen'' bildungspolitische Forderungen und pädagogische Programme. Dennoch sucht man nach einer genauen Definition, was mit diesem ''Schlüsselwort'' eigentlich gemeint ist, bislang oft vergeblich. Das Buch gibt zunächst eine detaillierte Beschreibung des Konzepts und fokussiert dabei das Lernen der Menschen über die gesamte Lebensspanne - wobei die Grenzen herkömmlicher Bildungsstrukturen und die Einteilung in strikt aufeinanderfolgende Abschnitte des Bildungsweges durchbrochen werden. Des Weiteren werden empirische Forschungsergebnisse dargestellt, die das Lebenslange Lernen als soziales Phänomen beschreiben. Außerdem wird die Frage nach den individuellen und institutionellen Bedingungen lebenslanger Lernprozesse aufgegriffen sowie Herausforderungen für die Bildungsforschung benannt. Schließlich geht dieser Band auch auf die neuen Berufsfelder und Aufgaben ein, die sich für Pädagoginnen und Pädagogen aus dem Konzept des Lebenslangen Lernens ergeben.

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Grundrisse der Erziehungswissenschaft

Herausgegeben von Jörg Dinkelaker, Merle Hummrich, Wolfgang Meseth, Sascha Neumann und Christiane Thompson

Die Autorin

Prof. Dr. Christiane Hof lehrt an der Goethe-Universität Frankfurt am Main mit den Schwerpunkten Erwachsenenbildung/Weiterbildung.

Christiane Hof

Lebenslanges Lernen

Eine Einführung

2., überarbeitete Auflage

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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2., überarbeitete Auflage 2022

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-042137-0

E-Book-Formate:

pdf:      ISBN 978-3-17-042138-7

epub:   ISBN 978-3-17-042139-4

Vorwort der Herausgebenden

 

 

 

Die »Grundrisse der Erziehungswissenschaft« verfolgen angesichts der zunehmenden Ausdifferenzierung und Pluralisierung von pädagogischen Feldern und wissenschaftlicher Grundlagen den Anspruch einer begrifflich-systematischen Einführung in die Erziehungswissenschaft. Die Reihe führt in erziehungswissenschaftliche Teildisziplinen und Forschungskontexte ein, wobei ihr Bezug zu pädagogisch-professionellen Feldern eine besondere Berücksichtigung erfährt. Im Sinne gesellschafstheoretischer Reflexion greift die Reihe z. B. auch zeitgenössische Schlüsselprobleme der erziehungswissenschaftlichen und pädagogischen Reflexion auf.

Die »Grundrisse der Erziehungswissenschaft« zielen darauf ab, widerstreitende Auffassungen in Forschung, Theoriebildung und Praxis als Teil erziehungswissenschaftlicher Selbstverständigung zu vermitteln und auf gesellschaftliche Wandlungsprozesse, Problemstellungen und Konflikte zurückzubeziehen. Ein Nachdenken über Erziehung, Bildung und Lernen erfordert gleichermaßen eine breite Einbettung in die wissenschaftliche Diskurslandschaft wie in andere gesellschaftliche Kontexte (Politik, Wirtschaft, Religion, Medizin). Indem die »Grundrisse« auch die historische Genese, die epistemologischen Konturen und öffentlichen Geltungsbedingungen erziehungswissenschaftlichen Wissens und pädagogischer Semantiken aufgreifen, eröffnen sie überdies eine kritische Reflexion ihrer Methoden und Wissensformen.

Herausgebende

Jörg Dinkelaker (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg)

Merle Hummrich (Goethe-Universität Frankfurt am Main)

Wolfgang Meseth (Goethe-Universität Frankfurt am Main)

Sascha Neumann (Eberhard Karls Universität Tübingen)

Christiane Thompson (Goethe-Universität Frankfurt am Main)

Vorwort zur zweiten Auflage

 

 

 

Das Thema Lebenslanges Lernen ist schon seit den 1960er Jahren auf der Agenda der Bildungspolitik und wird seit Ende des 20. Jahrhunderts zunehmend in der pädagogischen Praxis wie auch der erziehungswissenschaftlichen Forschung aufgegriffen. Manche sprechen unterdessen auch von der Selbstverständlichkeit des Lebenslangen Lernens. Zugleich aber mehren sich zweifelnde Stimmen, die etwa fragen: »Lifelong Learning Will Be the New Normal – But Are We Ready?« (PEW Trendmagazin).1

In dieser Situation scheint es passend, dass sich die Herausgebenden dieser Reihe und der Verlag dazu entschieden haben, eine aktualisierte Neuauflage des Bandes »Lebenslanges Lernen« zu publizieren.

Ich habe in der Überarbeitung weiterhin das Konzept verfolgt, das Thema in seinen vielfältigen Dimensionen zu beleuchten und dabei neuere Entwicklungen aufzugreifen. Dieser Ansatz soll dazu beitragen, allzu einfache Perspektiven zu vermeiden. So wäre sicherlich verkürzt, die gegenwärtige Aufmerksamkeit, die dem Lebenslangen Lernen gewidmet wird, allein der Digitalisierung zuzuschreiben. Ebenso reicht es wohl nicht, allein die individuellen Kompetenzen für lebenslange Lernprozesse zu fokussieren. Vielmehr gilt es gesellschaftliche, technologische, institutionelle und individuelle Faktoren zu berücksichtigen – und zugleich pädagogische Fantasie und Kreativität in der Unterstützung Lebenslangen Lernens zu ermöglichen.

Die vorliegende aktualisierte Neuauflage möchte hierzu einen Beitrag leisten, indem sie die vielfältigen Aspekte des Themas anspricht und Perspektiven zur analytischen und pädagogisch-praktischen Bearbeitung eröffnet. Dabei ist allerdings einschränkend zu sagen, dass aufgrund der Breite und Komplexität des Lebenslangen Lernens manche Lücke bleiben wird. Aber es passt ja zum Thema, dass die Beschäftigung mit dem Lebenslangen Lernen ein lebenslanger und damit auch unabschließbarer Prozess ist.

München/Frankfurt im November 2021

Christiane Hof

1     https://www.pewtrusts.org/de/trend/archive/spring-2020/lifelong-learning-will-be-the-new-normal-but-are-we-ready

Inhalt

 

 

 

Vorwort der Herausgebenden

Vorwort zur zweiten Auflage

Einleitung

1   Systematische und historische Annäherungen an das Lebenslange Lernen

1.1   Diskurs und Phänomen Lebenslanges Lernen

1.2   Historische Veränderungen des Lebenslangen Lernens

1.2.1   Vom individuellen Lernen im Lebenszusammenhang zur Fokussierung des Lernens in Bildungseinrichtungen

1.2.2   Vom Ausbau institutionalisierter Weiterbildung zum Lernen im Lebenslauf

1.3   Gesellschaftliche Hintergründe für die Ausweitung lebenslanger Lernprozesse

1.3.1   Anforderungen einer modernen Wissensgesellschaft

1.3.2   Veränderung der Arbeit in der spätmodernen Gesellschaft

1.3.3   Individualisierung und reflexive Modernisierung als Motor für Lebenslanges Lernen

1.3.4   Beschleunigung des Lebenstempos

1.4   Zusammenfassung und offene Fragen

2   Lebenslanges Lernens als bildungspolitisches Programm

2.1   Die Hinwendung zum Lebenslangen Lernen

2.2   Verstummen und Wandlungen des Diskurses

2.3   Verschiedene bildungspolitische Programme

2.3.1   Vom institutionalisierten Lehren zum individuellen Lernen – die Vorschläge von OECD und UNESCO

2.3.2   Lebenslanges Lernen als Grundlage für die Entwicklung Europas und der Welt: die Konzepte der Europäischen Union und der Weltbank

2.3.3   Perspektiven der Umsetzung Lebenslangen Lernens in Deutschland

2.4.   Zusammenfassung

3   Lebenslanges Lernen als dreifache Ausdehnung des Lernens: Herausforderungen für die pädagogische Gestaltung

3.1   Zeitliche Ausdehnung des Lernens und die Hinwendung zu einer subjektorientierten Bildungsarbeit

3.1.1   Konzepte subjekt- und biografieorientierter Bildungsarbeit

3.1.2   Konzepte zur Förderung selbstgesteuerten Lernens

3.2   Räumliche Ausdehnung des Lernens und die Hinwendung zu vielfältigen Lernorten

3.2.1   Institutionelle Entgrenzung

3.2.2   Ausweitung der Lernformen: Formales, non-formales und informelles Lernen

3.2.3   Gestaltung unterschiedlicher Lernkontexte innerhalb und außerhalb pädagogischer Einrichtungen

3.3   Inhaltliche Ausdehnung des Lernens

3.3.1   Von der Popularisierung zum Doing Knowledge

3.3.2   Von der Wissensvermittlung zur Kompetenzentwicklung

4   Verbreitung und Bedeutung Lebenslangen Lernens – Empirische Befunde

4.1   Lernen in formalen Kontexten

4.2   Lernen jenseits formaler Bildungseinrichtungen

4.3   Lernen im Lebensverlauf

4.4   Auf der Suche nach den Bedingungen Lebenslangen Lernens

4.4.1   Individuelle Voraussetzungen

4.4.2   Soziokulturelle Bedingungen

5   Lebenslanges Lernen als Herausforderung für Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung

5.1   Lebenslanges Lernen als Thema der Erziehungswissenschaft – zwischen kritischer Distanzierung und konstruktiver Weiterentwicklung

5.2   Lernen im Lebenslauf als Bezugspunkt erziehungswissenschaftlicher Theorie

5.2.1   Traditionen und Perspektiven lebenslaufbezogener Erziehungswissenschaft

5.2.2   Perspektiven einer Theorie Lebenslangen Lernens

5.2.3   Offene Fragen und weiterführende Perspektiven

5.3   Lernen im Lebenslauf als Herausforderung für die Bildungsforschung

5.3.1   Analyse von Lernen und Bildung im zeitlichen Verlauf

5.3.2   Analyse Lebenslangen Lernens im Kontext institutioneller Gelegenheiten und Ablaufstrukturen

5.3.3   Analyse Lebenslangen Lernens im gesellschaftlich-historischen Rahmen

6   Lebenslanges Lernen als pädagogisches Handlungs- und Arbeitsfeld

6.1   Professionelles pädagogisches Handeln im Kontext Lebenslangen Lernens

6.1.1   Exkurs: Wofür sind Pädagoginnen und Pädagogen zuständig? Oder: Ein Vorschlag zur professionellen Selbstbegrenzung

6.1.2   Implikationen für das pädagogische Arbeitsfeld

6.2   Unterstützung durch professionelle Gestaltung von Lehr-Lern-Prozessen

6.3   Unterstützung durch Konzeption und Gestaltung institutioneller Rahmenbedingungen

6.4   Unterstützung durch Beratung

6.4.1   Formen der Beratung

6.4.2   Beratungskompetenzen

An Stelle eines Schlussworts

Literatur

Einleitung

 

 

 

Eine Beschäftigung mit dem Thema des Lebenslangen Lernens erscheint auf den ersten Blick erklärungsbedürftig – stellt doch das Lebenslange Lernen kein neues Phänomen dar. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Menschen sich im Laufe ihres Lebens schon immer neues Wissen und Fertigkeiten angeeignet haben. So zeigt etwa die Redewendung ›man lernt nie aus‹, dass »die Vorstellung von einem kontinuierlichen und periodisch-situativen Lernen während des ganzen Lebens dem Alltagsbewußtsein geläufig ist« (Dräger 1979, S. 114).

Vor dem Hintergrund dieser Selbstverständlichkeit des Lernens über die gesamte Lebensspanne ist es umso bemerkenswerter, dass diesem Phänomen gegenwärtig eine derartig große Aufmerksamkeit geschenkt wird. Die Hintergründe und Implikationen dieses Diskurses sollen in vorliegender Einführung dargestellt und erörtert werden.

Bei genauerem Hinsehen erweist sich die Situation dabei allerdings als recht unübersichtlich. So verweist das Lebenslange Lernen zum einen auf ein Verb, das den Prozess der Aneignung von Wissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten beschreibt. In dieser Perspektive wird herausgestellt, dass Menschen im Laufe ihres ganzen Lebens lernen. Das Lebenslange Lernen beschreibt hier den Prozess der individuellen Aneignung und Verarbeitung von (neuen) Informationen. Dieses Lernen kann deskriptiv beschrieben und in seinen individuellen, organisatorischen oder gesellschaftlichen Bedingungen untersucht werden – es kann aber auch mit normativen Implikationen versehen werden (vgl. Leicester/Parker 2001). Dann gilt nur die Aneignung solchen Wissens als Lebenslanges Lernen, das als wertvoll angesehen wird.

Für die anderen ist das Lebenslange Lernen ein Substantiv, das als weitreichendes Reformkonzept (vgl. Schuetze 2005a) die Zukunft des Lernens bestimmen wird. Allerdings ist die konkrete Ausgestaltung dieses Verständnisses vom Lebenslangen Lernen als Konzept nicht eindeutig. So verfolgt dieses Konzept für die einen eine sozial-utopische Zielsetzung und verspricht eine gleichere und freiere Gesellschaft, in der Lernen und Wissen eine zentrale Rolle spielen. Für die anderen ist das Lebenslange Lernen nichts anderes als ein Synonym für die Erwachsenen- oder Weiterbildung: »Lebenslanges lernen ist Weiterbildung, bedeutet Weiterlernen, lebenslang oder zumindest berufslebenslang« (Schuetze 2005b, S. 56).

Um Klarheit in diesen doch recht verworrenen Diskurs zu bringen, sollen im Folgenden verschiedene Perspektiven unterschieden und in ihren grundlegenden Ansätzen charakterisiert werden. Dabei gehe ich davon aus, dass das Phänomen des Lebenslangen Lernens, welches nicht nur von Brödel (1998) als anthropologisches Phänomen bezeichnet wird, Mitte des 20. Jahrhunderts zu einem öffentlichen Problem geworden ist. Das heißt, dass es vorher nicht – oder zumindest nicht zentral – als etwas angesehen wurde, das fraglich ist und besonderen Nachdenkens oder Handelns bedurfte. Die Feststellung, dass das Lebenslange Lernen zum Problem geworden ist, impliziert, dass es als Erkenntnis- und als Handlungsproblem angesehen wurde und wird (vgl. zu diesem Ansatz auch Weisser 2002, S. 11).

Fokussiert man das Lebenslange Lernen als Handlungsproblem, dann lassen sich zwei zentrale Perspektiven unterscheiden. Auf der einen Seite stellt sich die bildungspolitische Frage der Gestaltung von sozialen und institutionellen Bedingungen und auf der anderen Seite die pädagogischdidaktische Frage, wie Lernumgebungen zu gestalten sind, damit individuelles Lernen möglich wird.

Der bildungspolitischen Perspektive kommt eine besondere Bedeutung bei der Etablierung des Lebenslangen Lernens im öffentlichen Diskurs zu. Vor allem die Reporte großer internationaler Organisationen orientieren sich seit den 1970er Jahren am Lebenslangen Lernen als Prinzip für die Bewältigung gesellschaftlicher Wandlungsprozesse. Ausgangspunkte der Argumentation sind dabei vor allem die Diagnose einer sich etablierenden Wissens- und Informationsgesellschaft und die Annahme, dass das traditionelle Kompetenz-Vorrats-Modell der Erziehungs- und Bildungssysteme den Anforderungen zukünftiger Lebensverhältnisse nicht mehr genügen könne. Eine Neuorientierung müsse sich am Konzept des Lebenslangen Lernens ausrichten. Die Bildungspolitik möchte hierzu Perspektiven zur Gestaltung von institutionellen Rahmenbedingungen formulieren.

Wie der bildungspolitische nimmt auch der pädagogische Diskurs seinen Ausgangspunkt bei einer Beschreibung der gegenwärtigen Erziehungssituation und fordert eine Reform des Erziehungs- und Bildungssystems. Allerdings rückt hier die Frage in den Mittelpunkt, wie Bildungsangebote über die gesamte Lebensspanne pädagogisch gestaltet werden können (vgl. Arnold 2000). Der Fokus wird dabei nicht mehr nur auf Bildungseinrichtungen und die dort stattfindenden formellen, professionell gestalteten Lehr-Lern-Arrangements gerichtet. Vielmehr soll nun auch das Lernen in intermediären Einrichtungen (am Arbeitsplatz, im Museum, im Internet etc.) pädagogisch gestaltet werden.

Betrachtet man demgegenüber das Lebenslange Lernen als Erkenntnisproblem, dann gilt es, die empirischen und theoretischen Zugänge zur Analyse des Phänomens zu untersuchen. Es stellt sich also die Frage, was wir empirisch über lebenslange Lernprozesse wissen und welche Forschungsparadigmen hier zur Anwendung kommen. Die Einbeziehung empirischer Untersuchungen ist besonders wichtig, um die zum Teil sehr normativ geführte Diskussion durch konkrete Forschungsergebnisse zu unterfüttern bzw. zu differenzieren.

Nicht zuletzt gilt es aber auch, die theoretische Diskussion aufzugreifen. Dies betrifft zum einen die Frage der Begriffsbildung und zum anderen die Implikationen, die sich für Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung aus der Hinwendung zum Lebenslangen Lernen ergeben. Anzusprechen sind in diesem Zusammenhang etwa die traditionellen Unterscheidungen zwischen dem Lernen Erwachsener und dem Lernen der Kinder, zwischen Lernen und Arbeiten, zwischen Lernen und Leben. Diese werden im Kontext des Diskurses über das Lebenslange Lernen problematisiert und öffnen den Blick für eine Perspektive, die das Lernen im Lebenslauf in den Mittelpunkt rückt.

Die vorliegende Einführung beleuchtet das Lebenslange Lernen in seinen vielfältigen Dimensionen. Im ersten Kapitel wird herausgearbeitet, dass das Lebenslange Lernen zwar als gleichsam natürliches, mit dem Leben konstitutiv verbundenes Phänomen anzusehen ist, dass diese Selbstverständlichkeit des Lebenslangen Lernens aber mit der Etablierung eines gesellschaftlichen Diskurses zu diesem Thema verloren gegangen ist ( Kap. 1). Nun bildet das Lebenslange Lernen den Gegenstand eines Diskurses, in dem das Lernen des Einzelnen, die Inhalte und Formen, die Ziele und Funktionen sowie die sozialen und institutionellen Kontexte des Lernens beschrieben, konzipiert und normativ gefordert werden. Die Einbettung des Lebenslangen Lernens in den gesellschaftlichen Kontext wird besonders deutlich, wenn es in einer historischen Perspektive beleuchtet wird. Das zweite Kapitel erörtert das Lebenslange Lernen als bildungspolitisches Programm ( Kap. 2) und das dritte Kapitel beschreibt es als Herausforderung für die pädagogische Praxis ( Kap. 3). Im vierten Kapitel werden zentrale empirische Befunde vorgestellt ( Kap. 4) und das fünfte Kapitel befasst sich mit den theoretischen Herausforderungen, die die Hinwendung zum Lebenslangen Lernen für Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung zur Folge hat ( Kap. 5). Im abschließenden sechsten Kapitel geht es darum, (neue) berufliche Tätigkeitsfelder für Pädagoginnen und Pädagogen im Feld des Lebenslangen Lernens aufzuzeigen ( Kap. 6). Auf diese Weise sucht die vorliegende Einführung nicht nur eine Einbettung dieses Phänomens in verschiedene Kontexte, sondern auch einen Beitrag zur Weiterentwicklung der erziehungswissenschaftlichen Diskussion.

1          Systematische und historische Annäherungen an das Lebenslange Lernen

 

 

 

1.1       Diskurs und Phänomen Lebenslanges Lernen

Eine Einführung zum Thema »Lebenslanges Lernen« steht vor der Aufgabe, die zentralen Begriffe definieren zu müssen. Dies erweist sich allerdings im Zusammenhang mit der vorliegenden Thematik als nicht einfach, da sich der Begriff des Lebenslangen Lernens sowohl auf das Phänomen des Lernens bezieht als auch auf den öffentlichen Diskurs über das Lernen. Darüber hinaus sind sowohl das Lernen als auch der Diskurs über das Lernen eingebettet in den je konkreten historisch-gesellschaftlichen Zusammenhang – dies manifestiert sich nicht nur im Wandel des Lernens, sondern auch in einem Wandel des Verständnisses vom Lebenslangen Lernen.

Im Blick auf das Phänomen des Lernens verweist der Begriff des Lebenslangen Lernens darauf, dass Menschen im Verlauf ihres Lebens lernen und dass es sich dabei um ein ganz alltägliches Phänomen handelt. Will man diese Seite des Lebenslangen Lernens beschreiben, dann ist ein umfassendes Lernverständnis erforderlich, welches das Lernen des Menschen über den gesamten Lebenslauf und in seinen verschiedenen Formen wie auch vielfältigen Inhalten umfasst. Der Begriff beschreibt somit alle Formen des Lernens über die gesamte Lebensspanne.

Dieses Verständnis vom Lebenslangen Lernens wird unterstellt, wenn darauf verweisen wird, dass Menschen sich im Laufe ihres Lebens immer wieder neues Wissen aneignen, neue Probleme lösen und Situationen bewältigen, neue Erfahrungen machen und diese verarbeiten, neue Fähigkeiten und Fertigkeiten erwerben. Die Aussage, dass das Lernen über die gesamte Lebensspanne zu den Grunderfahrungen des Menschen gehört, gilt nicht nur für den modernen Menschen, der sich aufgrund rasanter technischer und sozialer Veränderungen immer wieder an veränderte Situationen anpassen muss. Auch in der Geschichte finden sich vielfach Beispiele für die Allgegenwart lebenslanger Lernprozesse (vgl. Casale/Oelkers/Tröhler 2004, Dräger 1979, Kell 1996, Knoll 2007).

Die Selbstverständlichkeit Lebenslangen Lernens lässt sich zum einen aus der Tatsache erklären, dass Lernen eine biologisch und evolutionär bedingte Notwendigkeit darstellt. Denn – wie die Pädagogische Anthropologie dies formuliert – der Mensch ist als »Mängelwesen« (Gehlen 1986, S. 17) zu begreifen, der seine Lebens- und Handlungsfähigkeit lernend zu erwerben hat. Evolutionstheoretisch betrachtet erfordert ein Überleben die Anpassung des Menschen an die Umwelt. Dies geschieht durch die Aneignung von Fertigkeiten und Kenntnissen. Die Entwicklung neuer Kompetenzen orientiert sich dabei an den Anforderungen und Situationen der unmittelbaren Umwelt. In diesem Sinne ist Lernen ein lebenslang notwendiger Prozess (vgl. Gerlach 2000, S. 157) und ein konstitutiver Teil der sozialen Realität (vgl. Kell 1996, S. 48). Leben ist gleichsam identisch mit Lernen (vgl. Lengrand 1972, Singh 2002, S. 17) – eine Sichtweise, die schon Dewey unter dem Theorem der konstitutiven Verbindung von Bildung und Erfahrung ausgeführt hat (Dewey 1933/1986, 2000).

Darüber hinaus ist das Lebenslange Lernen aber auch Gegenstand des öffentlichen Diskurses. So lässt sich seit den 1970er Jahren und verstärkt seit den 1990er Jahren eine explizite Thematisierung des Lebenslangen Lernens feststellen. In diesem Zusammenhang sind vor allem die bildungspolitischen Konzepte zu nennen, die das Lebenslange Lernen als »neue« Antwort auf den beschleunigten Wandel der Lebensverhältnisse im 20. Jahrhundert »entdeckt« haben. Vor allem die supranationalen Organisationen wie die UNESCO und die OECD haben das Thema auf die Agenda gebracht ( Kap. 2). Lebenslanges Lernen tritt dabei nicht mehr allein als Grundlage menschlichen Lebens auf, sondern erfährt eine strategische und funktionale Zuspitzung. Nun wird die Frage in den Mittelpunkt gerückt, welche Bedeutung dem Lebenslangen Lernen für die Bewältigung gesellschaftlicher Probleme zukommt. Das Thema ist damit nicht das Phänomen des Lernens im Lebenslauf, sondern das Lernen in seiner Funktion für die Gesellschaft oder gesellschaftliche Teilsysteme (zu den Kennzeichen funktionaler Argumentation vgl. Weisser 2002).

Betrachtet man das Lebenslange Lernen als Diskursphänomen, dann rückt die Art und Weise in den Mittelpunkt, in der über das Lernen gesprochen wird. In diesem Zusammenhang ist nicht nur das Aufkommen eines eigenständigen Diskurses zum Lebenslangen Lernen interessant, sondern auch die Tatsache, dass sich das Verständnis vom Lebenslangen Lernen im zeitlichen Verlauf verändert hat.

Beide Dimensionen des Begriffs, das Lebenslange Lernen als Lernphänomen wie auch als Diskursphänomen, müssen in ihrem Zusammenhang und auch in ihrer Einbettung in den historisch gesellschaftlichen Kontext gesehen werden. So wäre es etwa verkürzt, die zunehmende Verbreitung der Idee des Lebenslangen Lernens allein dem politischen Diskurs und der darin fokussierten funktionalen und gegenwärtig vor allem ökonomischen Argumentation zuzuschreiben. Vielmehr ist auch eine (stille) Durchsetzung Lebenslangen Lernens als biografische Realität zu konstatieren, die den politischen Diskurs flankiert (vgl. Field 2006, S. 4). Der eigentliche »Siegeszug des Lebenslangen Lernens« (Nittel/Schöll 2003, S. 3) gründet insofern nicht nur in einer bildungs- oder europapolitischen Programmatik, sondern vor allem auch in der faktischen Durchsetzung dieses Bildungsprinzips (vgl. Brödel 2003, S. 118).

Insgesamt muss die gegenwärtige Bedeutung des Lebenslangen Lernens als zentrales Bildungskonzept im Kontext verschiedener sozialer wie auch konzeptioneller Wandlungsprozesse gesehen werden. Dabei ist zu beachten, dass sich das Verständnis vom Lebenslangen Lernen im Zuge des historischen Ausbaus institutionalisierter Lernmöglichkeiten verändert hat. Darüber hinaus haben verschiedene gesellschaftliche Entwicklungstrends (vgl. Alheit/Dausien 2016, sowie Field 2006) und nicht zuletzt die Fortentwicklung der (Weiter-)Bildungsforschung selbst zu dem »erstaunlichen Paradigmenwechsel« (Alheit/Dausien 2016, S. 2) geführt, der das Lebenslange Lernen nun zu neuem Leben erwachen ließ.

1.2       Historische Veränderungen des Lebenslangen Lernens

1.2.1     Vom individuellen Lernen im Lebenszusammenhang zur Fokussierung des Lernens in Bildungseinrichtungen

Betrachtet man das Lebenslange Lernen in historischer Perspektive, dann ist es nicht nur als selbstverständliches Phänomen anzusehen, sondern auch in seiner Einbettung in den jeweiligen gesellschaftlichen Kontext zu betrachten. Eine historische Betrachtung fokussiert demzufolge die Rahmenbedingungen des Lebens und des Lernens. Sie eröffnet damit einen differenzierteren Blick auf unterschiedliche Lernformen (vgl. hierzu auch die Arbeiten zur historischen Anthropologie: Casale/Oelkers/Tröhler 2004, Tröhler 2004).

In diesem Zusammenhang ist zu konstatieren, dass Lernen in vormodernen Gesellschaften zumeist eingebunden in den Lebenszusammenhang stattfand (vgl. Dräger 1976). Im Vordergrund stand das sozialisatorische Lernen, welches als unmittelbares Tradieren der Kenntnisse und Fertigkeiten der älteren Generation an die jüngere beschrieben werden kann. Es zeichnet sich dadurch aus, dass in konkreten Alltagssituationen neues Wissen erworben wird. Mit dem Übergang in die Moderne ändert sich die Situation. Durch die Wandlung von einer feudalen, agrarischen Gesellschaft zu einer bürgerlichen, industriellen Gesellschaft wurden die relative Statik und Unveränderlichkeit des sozialen Lebens aufgebrochen. Insbesondere die Entwicklung neuen Wissens und neuer Techniken führten dazu, dass das Lernen durch Imitation und Teilhabe an der Tätigkeit der Älteren nicht mehr ausreichte. Außerdem bewirkten die beginnende Industrialisierung und der Prozess der Verstädterung, dass viele Menschen anderen Berufen nachgingen als ihre Eltern. Entsprechend war es erforderlich, sich neue Kenntnisse und neue Fertigkeiten anzueignen. In dieser Situation entwickelte sich auf der einen Seite ein Bedürfnis der Menschen nach Information und Wissen, auf der anderen Seite etablierten sich verschiedene Lern- und Bildungsangebote. Neben dem Ausbau der Schule und der Einführung der allgemeinen Schulpflicht sind hier diverse Einrichtungen zu nennen, die im 18. und vor allem im 19. Jahrhundert die Selbstbildung der Erwachsenen unterstützen wollten (vgl. Dräger 1984, Hein 2003).

Im Zuge der Etablierung und zunehmenden Ausweitung institutionalisierter Bildungsangebote im 19. Jahrhundert veränderte sich nicht nur die quantitative Anzahl der Lernmöglichkeiten, sondern auch die Qualität des Lernens. Denn zunehmend findet Lernen nun auch außerhalb des konkreten Lebensvollzugs in einer abgetrennten Lernsituation statt. Dies impliziert das Vorhandensein eines oder einer Lehrenden, der bzw. die sich durch einen Wissens- oder Kompetenzvorsprung auszeichnet und dem Adressaten bzw. der Adressatin, der oder die durch entsprechende Wissens- oder Kompetenzdefizite charakterisiert ist, durch geeignete Aktivitäten (Vortragen, Vormachen, Arrangieren, Beraten etc.) zu Lernen und Bildung verhelfen will. Ausgangspunkt des Lernens in einem solchen pädagogischen Arrangement (vgl. hierzu auch Prange/Strobel-Eisele 2015) ist demnach die Hierarchie zwischen einem oder einer Wissenden und einem oder einer weniger Wissenden. Ziel ist die Aufhebung dieser Differenz. Wenn der bzw. die Lernende den Stand des oder der Lehrenden erreicht hat, dann werde er oder sie in der Lage sein, das eigene Leben selbst zu gestalten.

Mit der Entstehung einer Vielzahl von Bildungsinstitutionen, die Angebote zur Bildung Erwachsener machten, vollzog sich somit nicht nur der Ausbau der Erwachsenen- und Weiterbildung als Teil des Bildungssystems, sondern fand auch eine Fokussierung auf das organisierte Lernen statt. Damit verschwand zwar nicht das sozialisatorische Lernen, welches durch unmittelbare Teilhabe an der nun veränderten Kultur und Lebenswelt gekennzeichnet ist, wohl aber veränderte sich die Vorstellung von der relevanten Form des Lernens. So wurde das Augenmerk nun in erster Linie auf organisierte Bildungsangebote gerichtet. Dieser institutionenzentrierte Blick auf die Erwachsenenbildung (Kade/Nittel/Seitter 2007) unterstützte damit (unfreiwillig) die »Generalisierung eines lehrbezogenen Lernbezugs« (Kade/Seitter 2007a, S. 139, im Original hervorgehoben). Lernen erscheint damit als Ergebnis von Lehren und Erwachsenenbildung gilt als Fortsetzung schulisch strukturierten Lernens (vgl. Dräger 1976, S. 69). Dies führt zu einer Ausweitung der ehemals altersmäßig begrenzten Schülerrolle auf den gesamten Lebenslauf eines Individuums – eine Entwicklung, die mit der Wende von der Erwachsenen- zur Weiterbildung dazu führt, dass Erziehungs- und Bildungsangebote nicht mehr auf einzelne Lebensphasen beschränkt, sondern als lebenslang notwendig erachtet werden.

Dieser Fokus auf das Lernen in Bildungseinrichtungen wird auch in der internationalen bildungspolitischen Diskussion der 1970er Jahre aufgegriffen. Insbesondere der englischsprachige Begriff der »lifelong education« bringt die Forderung nach einer Ausweitung institutionalisierter Bildungsangebote über die gesamte Lebensspanne gut zum Ausdruck. So schreibt etwa der UNESCO-Bericht über Ziele und Zukunft unserer Erziehungsprogramme: »Es geht auch nicht mehr darum, punktuell und ein für alle mal Wissen zu erwerben, sondern sich darauf einzustellen, während des ganzen Lebens ein sich ständig entwickeltes Wissen zu erarbeiten und ›leben zu lernen‹.« (Faure 1973, S. 22). Bildung – verstanden als Teilnahme an organisierten Lehr-Lern-Arrangements – ist in diesem Verständnis nicht auf einzelne Lebensphasen begrenzt und kann auch nicht irgendwann abgeschlossen sein, sondern weitet sich auf das ganze Leben aus. Insofern wird auch von »permanenter Erziehung« gesprochen.

1.2.2     Vom Ausbau institutionalisierter Weiterbildung zum Lernen im Lebenslauf

Das Konzept permanenter Erziehung ging davon aus, dass die Teilnahme an Bildungsorganisationen mit ihren curricular strukturierten, die Aneignung systematischen Wissens anstrebenden Bildungsgängen eine Vermittlung von Handlungsfähigkeit für alle Menschen ermöglicht. Nun gab es allerdings vielfache Anzeichen dafür, dass dieses Ziel nicht im erhofften Ausmaß erreicht wird. Genannt seien die theoretischen Einsichten (Illich 1971/2003) und empirischen Befunde, die darlegen, dass eine schlichte Ausdehnung der »Beschulung« nicht zu einer Verbesserung der Lernfähigkeit und Lernbereitschaft führt. So belegen eine Reihe von jüngeren empirischen Studien vor allem in Großbritannien, dass der quantitative Ausbau von Weiterbildungsangeboten ohne die drastische Veränderung der Rahmenbedingungen und der Qualität des Lernprozesses bei einer Mehrzahl der Betroffenen zu Motivationsverlust und zu einer instrumentellen Einstellung zum Lernen führt, die keineswegs das eigengesteuerte Weiterlernen in späteren Lebensphasen fördert, sondern eher unterdrückt (vgl. Alheit/Dausien 2016, S. 9).

Vor dem Hintergrund dieser Einsichten verstärkten sich die Bemühungen um eine Veränderung organisierter Lehr-Lern-Arrangements ( Kap. 3). Den Anknüpfungspunkt hierfür bildete ein Verständnis vom Lernen, das dieses nicht auf formale Lernprozesse einschränkt, sondern die Bildung Erwachsener auch außerhalb organisierter Erwachsenenbildung einbezieht (vgl. Geißler/Kade 1982).

So hatte schon die OECD 1973 zwischen Education und Learning unterschieden und herausgestellt, dass mit Education alle Formen des »organised and structured learning confined to an intentionally created situation« (OECD 1973, S. 17) gemeint sind. Dagegen wird Learning definiert als »essential characteristic of the living organism, nessecary for its survival and evolution« (OECD 1973, S. 17).

Zunehmend wird nun angesprochen, dass Lernen nicht nur in pädagogisch arrangierten Erziehungssituationen stattfindet. Damit wird die Aufforderung verbunden, dass auch die pädagogische Gestaltung von Lernprozessen sich an den Merkmalen des alltäglichen Lernens zu orientieren habe – eine Aufforderung, die man zwar schon in den 1970er Jahren in den bildungspolitischen Papieren lesen kann, die aber erst Mitte der 1990er Jahre Eingang in den deutschen pädagogischen Diskurs gefunden hat (Dohmen 1996). Auch in den bildungspolitischen Programmen der 1990er Jahre wird explizit nicht mehr der Ausbau institutionalisierter Bildungsangebote, sondern die Entwicklung der individuellen Lernkompetenz gefordert (OECD 1996a, Delors 1996). An die Stelle der permanenten Erziehung rückt also das Lebenslange Lernen. Dieses finde nicht nur in formalen Bildungseinrichtungen, sondern auch außerhalb pädagogisch gestalteter Settings – und damit in Form von informellem Lernen – statt. Entsprechend liege die Verantwortung für das Lernen nicht allein bei den Lehrenden, sondern insbesondere bei den Lernenden selbst.

Der Titel des OECD-Berichts »Lifelong Learning for All« bringt die Veränderung zum Ausdruck, die der Diskurs über das Lebenslange Lernen nimmt: An die Stelle einer Ausweitung institutionalisierter Lernangebote tritt nun die Hinwendung zum Lernen als individueller Tätigkeit. So betont der Bericht »the intrinsic as opposed to instrumental value of education and learning« (OECD 1996a, S. 89). Damit einhergehend wird herausgestellt »the promotion in learners of the personal characteristics required for subsequent learning, including the motivation and capacity to engage in self-managed, independent learning« (ebd., S. 89). Insgesamt geht dies mit einem neuen Lernverständnis einher:

»›Learning as consumption‹ is an imperfect term to describe learning activities that contribute directly to the quality of life rather than aiming mainly to enhance economic potential. The essential difference between learning as consumption and learning als investment is the time perspective. If the education activity is being undertaken with a view to immediate satisfaction, then learning is a consumptive activity. If the learning activity is undertaken with the aim of increasing utility or satisfaction in the future, then the investment motive determines the choice for education.« (ebd., S. 90)

Innerhalb der OECD wird vom lifelong learning als »attitude« gesprochen (ebd., S. 90). Zu dieser Haltung gehören aber nicht nur die Fähigkeit und Bereitschaft zum Weiter-Lernen, sondern auch die Fähigkeit, mit der Vielfalt an Informationen umzugehen. Außerdem bedürfe es der Kompetenz, Problemsituationen zu analysieren und Lösungsvorschläge zu entwickeln. Diese Fähigkeiten habe sich das Individuum vor dem Hintergrund seiner individuellen Voraussetzungen und der konkreten sozialen Anforderungen selbst anzueignen. Da das Lebenslange Lernen als »continuation of conscious learning throughout the lifespan« (ebd., S. 89) nicht nur für die einzelnen Lernenden, sondern auch für die ökonomische, politische und soziale Weiterentwicklung wichtig ist – und da die Möglichkeiten der Teilhabe an lebenslangen Lernprozessen sozial ungleich verteilt sind ( Kap. 4) –, ist es erforderlich, dass hierbei auch staatliche und ökonomische Organisationen Unterstützung leisten. Ziel müsse es sein, die sozio-ökonomischen, institutionellen und individuell-dispositionalen Barrieren zum Lebenslangen Lernen abzubauen (vgl. ebd., S. 92ff.). Insgesamt thematisiert der Bericht allerdings nicht die pädagogische Gestaltung von Lernen, sondern die Formen und die Ziele Lebenslangen Lernens als individuelle Aufgabe.

Dieser Wechsel von education zum learning wird in den 1990er Jahren auch von den anderen supranationalen Organisationen vollzogen ( Kap. 2). Lernen wird nun nicht mehr auf pädagogisch strukturierte Lernangebote in Bildungseinrichtungen begrenzt, sondern in seinen vielfältigen Institutionalisierungsformen ernst genommen.

»Lebenslanges Lernen umfasst alles formale, nicht-formale und informelle Lernen an verschiedenen Lernorten von der frühen Kindheit bis einschließlich der Phase des Ruhestands. Dabei wird ›Lernen‹ verstanden als konstruktives Verarbeiten von Informationen und Erfahrungen zu Kenntnissen, Einsichten und Kompetenzen« (BLK 2004, S. 13).

Im Mittelpunkt steht somit »jede zielgerichtete Lerntätigkeit, die einer kontinuierlichen Verbesserung von Kenntnissen, Fähigkeiten und Kompetenzen dient« (Memorandum 2000, S. 3).

Insgesamt zeigt sich auch hier deutlich, dass nun die Selbststeuerung der Lernenden betont wird (vgl. Tuijnman/Boström 2002, S. 102). Außerdem wird Lebenslanges Lernen unter der Perspektive der Kontinuität betrachtet: »Beim lebenslangen Lernen werden sämtliche Lernaktivitäten als ein nahtloses, ›von der Wiege bis zum Grab‹ reichendes Kontinuum gesehen.« (Memorandum 2000, S. 9). Damit aber – so lässt sich an dieser Stelle zusammenfassen – ist das Lernen im Lebenslauf zum Bezugspunkt der Rede vom Lebenslangen Lernen avanciert.

Der Perspektivenwechsel, der mit dem terminologischen Übergang von Education zu Learning einhergeht, manifestiert sich auch in den vorrangigen Themen des Diskurses. So geht es nicht mehr in erster Linie um die Schaffung von Rahmenbedingungen für die pädagogische Gestaltung institutionalisierter Lehr-Lern-Prozesse. Stattdessen wird die ganze Gesellschaft in ihrer Verantwortlichkeit für das Lebenslange Lernen angesprochen. Dies führt zur Thematisierung der vielfältigen Formen des Lernens. Auch werden traditionelle Unterscheidungen des pädagogischen Diskurses abgewertet. So soll die Differenz zwischen Lernen und Arbeiten ebenso eingeebnet werden wie die Unterscheidung zwischen Erstausbildung und Weiterbildung, sozialisatorischem Lernen im sozialen Umfeld und systematischem Lernen in Bildungseinrichtungen. Auch sollen der Arbeitsplatz als Bildungsumfeld erkannt und die Kooperation von Bildungssystem und Wirtschaftsunternehmen ausgebaut werden. Nicht zuletzt werden Kultureinrichtungen und Medien als »wirksame Mittel der außerschulischen Weiterbildung oder Erwachsenenbildung anerkannt.« (Memorandum 2000, S. 94). Insgesamt geht die Forderung nach Lebenslangem Lernen also mit einer Entgrenzung einher: »Bildung ist nicht mehr räumlich oder zeitlich begrenzt und kann so selbst zu einer Dimension des Lebens werden.« (ebd., S. 95).

1.3       Gesellschaftliche Hintergründe für die Ausweitung lebenslanger Lernprozesse