Legal - illegal... Mir egal - Alexander Braun - E-Book

Legal - illegal... Mir egal E-Book

Alexander Braun

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Beschreibung

meine guten geschäfte zwischen ost und west. als frührentner zu zeiten der ddr konnte ich im alter von 30 jahren in den westen reisen. der zufall half und das schicksal nahm seinen lauf. es entwickelten sich abenteuerliche begebenheiten, offizieller und vor allem inoffizieller handel zwischen ost und west. 10 aufregende jahre immer mit einem bein im stasi knast.

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Inhaltsverzeichnis
VORWORT
FERIENJOB
DIESEL FÜR DEN WESTLER
KATALYT
FRED UND SEIN AUTO
MEIN SCHÖNES WESTGELD
DER AUFTRAG
UNSER BOOT
EIN NEUER KUMPEL
VEREINSHEIM
IN SACHEN SCHROTT
ZU HAUSE UND AUF REISEN
RENTE IN SICHT
MIT 30 IM RUHESTAND
KUR MAL ANDERS
EIN NEUES KAPITEL
AB JETZT ÄNDERT SICH EINIGES
AB IN DEN URLAUB
EIN ALBTRAUM AUF VIER RÄDERN
VERMITTLER ZWISCHEN OST UND WEST
AB JETZT ZU ZWEIT
SCHROTT P2
NICHT ALLES GELINGT
KARLSRUHE UND ZURÜCK
NOTLÖSUNG. WIEDERMAL
MEINE „ARMUT“
SO EIN THEATER
REIF FÜR DIE INSEL
DIE BUS-STORY
DIE INTERPORT
AB IN DEN NORDEN
OPEL BLITZ LKW
RUHRPOTT
DER NACKTE TRABANT UND ANDERES
ENDLICH WIEDER URLAUB
NEUE KUNDEN – NEUE QUELLEN
GESCHÄFTE IM SPREEWALD
DAS KETTENFAHRZEUG
NEAPEL
DOCH NOCH DIE TRENNUNG
NACHWORT

Alexander Braun

legal, illegal, … mir egal

Meine guten Geschäfte in Ost und West

Brandenburg Buch 2015

© Verlag Brandenburg-Buch 2015  

ISBN 978-3-958494-63-3

www.brandenburg-buch.de

VORWORT

Bald fünfzehn Jahre trage ich diese Idee mit mir herum. Dreimal sollte es losgehen, genauso oft wurde es wieder hingeschmissen. Dann aber waren alle Ausreden aufgebraucht. Der Autor darf schreiben, wie es aus der Feder rinnt, ob Wahrheit oder nicht. Aus der Feder rann es schon, aber nicht eben frei von allem. Ich sag mal so, mein Text wird getragen von stabilen Säulen, auf denen das gesamte Buch basiert. Die Säulen sind realistische Begebenheiten, um die herum sich der Inhalt aufbaut. Auch die zeitliche Abfolge der Geschichten ist nicht erfunden. Meine Schil-derungen sind entstanden aus den Erinnerungen, die nach über dreißig Jahren noch gegenwärtig sind. Auf Ursachen, die über-haupt dazu führten, zwischen zwei Welten zu wandeln, gehe ich nur sehr oberflächlich ein. Das Haschen nach Mitleid ist mir fremd.

Die eigentliche Besonderheit, die es lohnt, überhaupt darüber zu schreiben, sind die Momente, bei denen das Leben urplötzlich die Richtung verändert. Nicht alles war Zufall, ohne ging es aber auch nicht. Ich denke da an Menschen, die mir begegneten, auf die ich offen zuging und von denen ich nie enttäuscht wurde. Auch die Mentalität half Dinge anzupacken, die nur wenige angepackt hätten.

Auf meinen Reisen, die hier auch zum Teil geschildert werden, war ich auf der einen Seite mit Freude dabei, im Innern aber traurig. Nie mit der Familie, den Kindern nur erzählen, wie es hinter dieser grässlichen Mauer so aussieht. Das nur am Rande, vor allem schildere ich Jahre eines Lebens, das voller Ideen und Überraschungen steckte. Beiläufige Begegnungen verursachten große Eigendynamiken, die absolut nicht vorhersehbar waren. Durch einen gewissen Spürsinn, der mich nur selten verließ, gestaltete ich trotz gesundheitlicher Einschränkung die Zukunft positiv. Manches Mal entschied einfach nur das Glück, wobei ich sagen möchte, dass dieser Umstand von mir keinesfalls gepachtet war. Im Gegenteil, ich fand mich im ständigen Kampf mit meinem eigenen Körper. Oft war der Wille Sieger, aber bei weitem nicht immer. Das Leben spielte ein sonderbares Match mit mir. Bis heute schlage ich immer noch jeden Ball ins Feld zurück.

FERIENJOB

1978 war ein böses Jahr mit reichlichen Überraschungen. Da war zunächst keine Rede mehr von arbeiten, in welchen Jobs auch immer. Die Jahre davor waren geprägt von schaffen, schaffen und noch mal schaffen. Nach der normalen Arbeitszeit ging es meist zur zweiten Schicht. Zusammen mit meinem Kumpel stellten wir Zäune auf, bauten auch selbst welche und schraubten an Autos. Kaum ein Wochenende an dem wir nicht versuchten, viel Geld zu verdienen. Viel Geld sammelte sich trotzdem nicht an. Immer wieder wurden neue Wünsche geboren. Je größer die Wünsche wurden, desto intensiver arbeiteten wir an deren Realisierung.

Zu Geld kommt man nicht unbedingt nur durch Arbeit, auch ein wenig Glück ist hilfreich und vor allem willkommen. Das Glück, besser gesagt die entscheidende Gelegenheit zu erkennen und sie beim Schopfe zu fassen, ist ein Glücksfall, der sich oft erst später zeigt. So geschehen während eines Ferienjobs in Dresden. Meine Frau und ich bewarben uns als Betreuer einer Schülergruppe und fuhren mit ihnen zusammen ins Ferienlager. Die 400 Mark pro Kopf im Urlaub zu verdienen war recht verlockend. In unserem Haus sollte eine neue Heizung eingebaut werden, endlich die alten Kachelöfen loswerden. Vier Wochen nach Dresden, dadurch kam das Geld zusammen für die neue Luftheizung. Zum größten Teil von mir selbst gebaut und im Haus installiert.

Zurück zum Ferienjob in Dresden, wo es ja angeblich auch zum „Glücksfall“ gekommen ist. Abends wenn endlich Ruhe in den Zimmern wurde, setzten sich alle Betreuer zusammen und leerten regelmäßig einen Kasten sächsisches Bier. Schmeckte um einiges besser als unser „Berliner“. An solchen ziemlich geselligen Aben-den kam man sich untereinander näher. Da war die Roswitha, von allen Rosi genannt. Sie hatte den absolut besten Job; sie war unsere Krankenschwester. Außer drei Pflaster auf blutigen Kin-derknien und so mancher Kopfschmerztablette für uns am Mor-gen danach hatte sie nichts zu tun. Ab und an nahm einer sie mit auf Ausflüge, aber am liebsten ging sie mit ins Schwimmbad. Eines Abends saßen wir mit ihr allein beim Bier, und sie erzählte von ihrem Verlobten aus Westberlin.

„Interessant“, meinte ich, „nun ist mir auch klar, woher deine Klamotten sind.“ Sie trug nicht einen einzigen Fummel aus dem Osten. Nur super Modisches vom Kudamm.

„Ja, er kommt fast jede Woche in den Osten.“

„Und auf welche Art?“, fragte ich sie.

„Na immer mit dem Auto, der läuft keinen Meter.“

„Was für einen Wagen fährt er denn?“

„Einen nicht mehr ganz neuen Daimler.“

„Benziner oder Diesel?“, war meine nächste Frage.

„Das weiß ich doch nicht, für mich ist wichtig, dass er fährt und nicht auf halber Strecke liegen bleibt.“

„Na, wenn dein Freund mal mit seinem Auto Probleme hat, dann kommt vorbei, mein Kumpel und ich können bestimmt preisgünstig helfen.“

Der Ferienjob war vorbei, und es ging zurück in die Heimat. Bald schon dachten wir nicht mehr an Rosi; der Alltag gestaltete sich aufregend genug. Ich wusste zwar wo sie wohnte, hatte aber kei-nerlei Veranlassung sie zu besuchen. Telefon hatte ich sowieso nicht, und nach ihrer Telefonnummer fragte ich damals auch nicht. Karl, meinem Kompagnon, erzählte ich von Rosi, und auch er glaubte nicht daran, dass sich da jemals einer melden würde. Der Sommer ging dahin, wir hatten gut zu tun.  

Unsere neueste Einnahmequelle war die Aufarbeitung von Wart-burgkarossen. Dadurch war nur noch selten Zeit, um für die Kom-munale Wohnungsverwaltung, kurz KWV, Zäune aufzustellen. Über Inserate in der „Neuen Zeit“ kauften wir durchgerostete oder verunfallte Wartburgkarossen und arbeiteten sie wieder auf. Ich als Schlosser und er als Tischler ergänzten uns gut und acker-ten oft bis nach 22 Uhr in seiner Doppelgarage. Die wieder auf-gebauten Karossen wurden abermals in der „Neuen Zeit“ angebo-ten. Wir konnten es kaum glauben, die Leute waren verrückt nach diesen Dingern. Es kamen auf eine Karosse manchmal mehr als fünfzig Bittschriften. So muss man das schon ausdrücken, was da in den Karten und Briefen stand.

BESUCH AUS WESTBERLIN

An einem sonnigen Freitag, Karl und ich saßen gerade auf seiner Terrasse in der Nähe der Doppelgarage, als vor dem Zaun ein Mercedes hielt.

„Karl, du bekommst Westbesuch“, scherzte ich und langte wieder zum Kaffeepott. Karl zeigte mir einen Vogel. Trotzdem beobachteten wir weiter, was so vorm Zaun passierte. Nun stieg eine junge Frau aus der Beifahrertür und trat an den Zaun. Ich blökte wie angestochen:

„Rosi, wo kommst du denn her?“ Nun stieg auch ihr Freund aus, und beide kamen zu uns auf die Terrasse. Karl begrüßte die Ankömmlinge umständlich, und ich stellte zumindest Rosi vor. Es war tatsächlich die Krankenschwester vom Ferienlager mit ihrem Freund aus Westberlin. Karl schaute sich interessiert den jungen Mann an. Schnell war klar, er war nicht mehr der allerjüngste. Trotzdem recht ansehnlich, blonde Haare recht gut gepflegt und supermoderne Klamotten. Genauso wie wir Ostler uns einen von Drüben vorstellten und auch schon jede Menge gesehen hatten. Vor allem die Schuhe waren gewöhnungsbedürftig. Mit solchen spitzen Dingern wäre wohl kaum jemand von uns draußen herumgelaufen. Aber egal, Kaffee war schon frisch eingegossen und ein erstes Gespräch kam in Gang. Nachdem wir allmählich miteinander warm wurden, wollte sich Fred unsere Werkstatt ansehen.

„Ihr habt ja eine super Ausrüstung hier“, bemerkte er.

„Alles da, Schweißgeräte, elektrische Säge, Winkelschleifer, Hebelschere und jede Menge Werkzeug. Wir lackieren hier auch.“, fügte ich mit etwas Stolz in der Stimme hinzu.

„Ihr lackiert?“, fragt Fred neugierig.

„Na Autos, beziehungsweise im Moment Karossen.“

„Was für Karossen?“ Der Westler konnte sich nicht recht vor-stellen, was wir meinten. „Mein Mercedes hat zwar auch eine Karosse, ist aber nicht so einfach vom übrigen Fahrwerk zu trennen.“ Gemeinsam gingen wir in die Nachbargarage und zeigten ihm die Karosse, an der wir gerade zugange waren. Nun begriff er, was wir meinten, dass eben zum Beispiel beim Wart-burg, Karosse und Fahrwerk gut voneinander zu trennen waren und man sich nur um diese kümmern konnte.

Wir setzten uns wieder zu Rosi und den Kaffeetassen, plau-derten über dies und das. Nach einer Stunde meinte Fred, er wolle noch tanken und sie müssten allmählich los. „Tankst du im Osten?“, wollten wir wissen. Rosis Freund schaute etwas komisch aus der Wäsche.

„Na klar, was sonst. Jedes mal 25 Ost womit ich nichts an-fangen kann.“

„Na für 25 DM bekommst du deinen Schlitten aber nicht voll.“

„Das ist ja der Jammer, aber besser als nichts.“ Wir schauten uns an und hatten so unsere Gedanken. „Nun müssen wir aber los.“ Sie gingen zum Auto, und wir verabschiedeten uns. Natürlich wollten sie bei Gelegenheit mal wieder vorbeigucken.

„Ihr wohnt hier richtig gut und ruhig.“, das wollte Rosi auf jeden Fall noch loswerden.

„Na, beim nächsten Mal zeigen wir euch unsere richtig schönen Ecken, also dann bis bald.“ Wir winkten noch kurz. Rosi und ihr Macker waren kaum um die nächste Ecke, da sprudelte es schon aus uns heraus.

„Das wäre doch was, oder?“

„Na klar“, meinte Karl, „da sollten wir auf jeden Fall dran bleiben.“

„Hast du gesehen, wie er unsere Ausrüstung bestaunt hat, und hast du dir auch sein Auto angesehen?“, fragte ich. „Das sah nicht übel aus, aber er hat schon seine gewissen Stellen.“

„Hab ich auch bemerkt“, meint Karl. In heutiger Zeit hätten wir nun zumindest Rosis Telefonnummer. Aber damals, da blieb nur persönlich bei Rosi in der Stadt vorbei zu schauen und den Kontakt am Laufen zu halten und nicht zu warten, bis sie mal wieder Lust hatten, an den Berliner Stadtrand zu kommen.

Die Karosse vom 353er Wartburg, an der wir gerade arbeiteten, machte uns einige Sorgen. Es mussten neue Schweller einge-schweißt werden, die aber im Handel gerade mal wieder nicht zu kriegen waren. Selbst die besten Verbindungen halfen diesmal nicht. Deshalb bauten wir selbst welche, die auch schon pro-visorisch angeheftet waren. Dabei traten anscheinend Span-nungen auf, die wir einfach nicht in den Griff bekamen. „Wir reißen die Dinger noch mal raus!“, schrie ich zu Karl in die Nachbargarage.

„Bist du verrückt? Diese Arbeit!“

„Egal, wenn nachher die Türen klemmen, wird es viel schlim-mer, dann muss alles nochmal raus oder wir können das ganze Ding gleich auf den Schrott bringen.“ Er ließ sich überreden und flexte die Heftstellen von den Schwellern ab. Nun war wieder alles auf null und passte plötzlich. Keine zwei Stunden und die Dinger saßen. Das schwierigste war wieder mal geschafft, der Rest sollte kein Problem mehr sein.

Wartburg-"Werkstatt"

Gut zwei Wochen später stand die Karosse auf Böcken bereit zum Lackieren. Wir arbeiteten immer noch mit so einem alten Ding von Kompressor, der seine Probleme hatte. Da musste irgend-wann ein vernünftiger her, sonst kriegten wir die Lackierung nicht mehr so hin, um auch einen guten Preis verlangen zu können. Beim Kunden war zuerst das Aussehen wichtig, wenn die Karosse ordentlich glänzte, war das schon die halbe Miete.

Jeder von uns ging noch geregelter Arbeit nach. Karl in einem Forschungsinstitut und ich bei einem Berliner Versorgungs-Betrieb. Beide wollten wir uns umsehen, damit endlich ein neuer Kompressor an Land kam. Die letzte Karosse wurde doch noch notgedrungen mit dem alten Teil lackiert und sah auch ganz passabel aus. Nun nahmen wir uns aber vor, damit nicht mehr Autos zu spritzen.

EIN KOMPRESSOR AUF ABWEGEN

Der Winter war gerade vorbei und bei mir auf Arbeit wurden unsere großen Hallen neu gemalert. Die Farbenkleckser liefen emsig über den Hof und schleppten schwere Eimer, was mich aber nicht weiter interessierte. Zusammen mit einem Kollegen waren wir dabei, draußen ein Geländer aufzubauen. Anschließend sollten die Maler es streichen. Den Tag darauf kam einer von ihnen vorbei und sah sich das Teil an.

„Na, Kollege, greif dir den Pinsel und streich uns unser Geländer!“ Er hatte nur ein müdes Lächeln für uns.

„Das Ding wird gespritzt“, verkündete er mit erhobener Nase.

„Na, das ist ja noch besser, dann leg mal los.“

„Geht nicht, der Kompressor steht hinter der letzten Halle.“

„Dann wirst du wohl doch den Pinsel schwingen müssen“, blökte mein Kollege.

„Da könnt ihr lange warten, irgendwann wird die Maschine frei sein.“

Ein Kompressor steht also im Außenbereich und das noch einige Zeit. Am Nachmittag, es gab nicht viel zu tun, die anderen Kollegen saßen beim Klammern und versuchten die Arbeitszeit rum zu bekommen. Ich schlenderte draußen umher und suchte ganz nebenbei einen Kompressor. Als ich um die letzte Halle herum war, sah ich ihn. Etwa gut 50 Meter entfernt stand das gute Stück und gar nicht weit vom Zaun. Ich ging keinen Schritt näher, sah aber trotzdem genug.

Abends ging es zu Karl um zu berichten.

„Du glaubst es nicht, ein super Kompressor von unseren Malern. Steht Tag und Nacht draußen keine 20 Meter vom Zaun. So eine Gelegenheit kommt nicht so schnell wieder.“

Am Sonntagabend verabredeten wir uns und peilten die Lage. Die abgelegene Straße führte genau am Zaun meiner Arbeitsstelle vorbei. Schon von weitem sahen wir das Objekt unserer Begierde.

„Wie sollen wir das Monstrum über den Zaun bekommen?“, wollte Karl von mir wissen.

„Was heißt hier über, durch den Zaun.“ Zwei große Frage-zeichen in Karls Augen schauten mich an. „Wir drehen einen Draht aus dem Maschendraht raus, schieben den Kompressor durch die Lücke und drehen anschließend den Draht wieder ein. Danach kommt keiner darauf, dass das Teil seinen Weg durch den Zaun genommen hat.“

„Könnte klappen, wann denkst du, ist es am günstigsten?“

„Es kann sein, dass die Kleckser hier bald fertig sind und ob dann der Kompressor noch draußen steht, ist ziemlich ungewiss.“ Langsam begann es zu nieseln, und wir bereuten, nicht gleich unseren Hänger mitgenommen zu haben. „Das wäre heute das richtige Wetter, nicht mal die nächste Laterne scheint bis an den Zaun. Egal, morgen Abend holen wir uns das gute Stück, bevor die Heinis es noch sonst wohin karren.“

Am nächsten Mittag lagen wieder etliche Postkarten und Briefe bei mir im Kasten. Die normale Reaktion auf unsere Anzeige in der Zeitung „Neue Zeit“. Es ging um die Karosse. Wir wollten sie so schnell wie möglich loswerden, um Platz für die nächste zu haben. Zwei Leute aus Berlin wollten noch am selben Tag kom-men, an dem ihre Post bei uns eingetroffen war. Nur dort anrufen und die Kohle war uns sicher.

Gleich nach der Arbeit mit dem Fahrrad zu Karl und beraten, wie wir's machen wollten.

„Wir wollen doch heute den Kompressor holen. Hast du das schon vergessen?“

„Nein, natürlich nicht, aber der kommt doch nicht um 22 Uhr, wenn wir losziehen wollen.“

„Ja schon, ist mir aber trotzdem zu viel auf einmal.“

„Ok, ok, alles bleibt wie besprochen, ich bin auch nicht dafür, die Karosse um die Ecke wegzugeben. Bei jeder Kleinigkeit kommen die wieder angeschissen.“

„Von wo kamen denn die anderen Zuschriften?“, wollte Karl wissen.

„Ich habe alles dabei.“ Es waren noch drei weitere Karten. Zwei aus Leipzig und eine aus dem Vogtland.

„Zeig mal, die will ich lesen.“ Karl überflog den Text und sagte mit einem leichten Grinsen: „Dem sagen wir zu.“

„Warum denn dem?“

„Na lies doch mal, der steht richtig auf dem Schlauch, und wir bekommen seine alte Karosse gratis dazu.“

„Wie soll das denn gehen, sollen wir ihm die gleich um-bauen?“

„Gib mal her!“ Ich las die Karte selber und musste auch schmunzeln. Ein Lastwagenfahrer, der regelmäßig nach Berlin kam und uns gleich seine alte Karosse mitbringen und die von uns aufgearbeitete mit zurück nehmen wollte. „Klingt gut, wie der das wohl machen will? Scheint mit seiner Kutsche ohne große Ladung unterwegs zu sein.“

„Ist doch nicht unser Bier, Hauptsache er hat die Kohle dabei.“

„Ich schreib ihm morgen, dass wir im Geschäft sind und er Bescheid sagen soll, wann die Abholung stattfinden soll. Bis nach-her, nimm 'ne Knüpperzange mit und zwei Bretter zum Herauf-ziehen, tschüss!“

Unsere Frauen wurden immer nur mit minimalen Auskünften versorgt. Nie sagten wir, was genau wir vorhatten, und sie fragten auch nicht mehr. Zu Anfang war das manchmal ziemlich ätzend, alles wollten sie genau wissen. Das hatten wir ihnen aber mal bis ins Kleinste erklärt und nun sahen sie ein, besser nicht alles zu wissen. Dann brauchten unsere Frauen auch keine Angst zu haben etwas auszuplaudern, was nicht für fremde Ohren bestimmt war.

21:30 Uhr begann ich mir Arbeitszeug anzuziehen. Aber kein dreckiges und kaputtes Zeug. Karl meinte, im Knast gibt es die erste Zeit keine Sachen, man müsste mit den eigenen rumlaufen. Bei unseren gelegentlichen Unternehmungen hatte er meist zu-mindest eine gute Jacke mit dabei. Die konnte man sich in U-Haft gut überziehen und sah vernünftig aus. Na ja, seine Sache, ich zog mich nach Anforderung an und wollte übrigens sowieso den Kon-takt mit den Behörden vermeiden. Karl stand im Outfit wie beschrieben vor den Garagen und unser Hänger war auch schon startklar.

„Anhängen und los“, flüsterte ich und Karl koppelte den Hänger geräuschlos an meinen 311er Wartburg an. Er schmiss seine gute Jacke auf den Rücksitz, und ich gab Gas. Das Wetter war ähnlich wie vorige Nacht, auf jeden Fall ordentlich duster. Nach den ersten Bodenwellen war uns das Klappern im Hänger zu laut. Wir verkeilten die beiden Bretter, damit sie nicht mehr herum springen konnten. Keine 15 Minuten waren wir vor Ort. In Sichtweite, aber im Dunkeln stellten wir unser Gespann ab. Erst mal 'ne Weile schauen, aber alles blieb total ruhig. Der Kom-pressor hatte sich gegenüber gestern auch nicht vom Fleck gerührt. Nach 30 Minuten näherten wir uns an einer abgelegenen Stelle dem Zaun. Mit der Zange löste ich einen Draht von den anderen. Karl mit seiner Größe brauchte keine Leiter und drehte ein Segment aus dem Maschendraht nach oben raus. Ruckzuck war der Weg frei, trotzdem hielten wir einige Minuten inne. Kein Geräusch, kein anderes Fahrzeug war zu hören. Also los, in 20 Meter Entfernung stand der Kompressor, den wir so gerne hätten. Als wir bei ihm waren, staunten wir nicht schlecht, wie viel Schlauch angeschlossen war. Karl hatte schon die Kneifzange in Position, um ihn ab zu knipsen.

„Bist du verrückt, das ist doch astreiner Schlauch, den wir auch brauchen!“, zischte ich ihm zu. Ungerührt vom Schein der nächsten Laterne ging ich die gut 25 Meter zum Ende des Schlauches und brachte ihn so lautlos wie möglich Richtung Zaun. Karl zog schon mit dem Teil in dieselbe Richtung. Nun wurde der Hänger in Position gebracht und das gute Stück mittels der beiden Bretter verladen. Eine kleine Plane machte ihn komplett unsichtbar. Danach wurde so schnell es ging der Maschendraht wieder geschlossen, und wir atmeten ordentlich durch. Jetzt noch ungesehen nach Hause, das war's. War aber mindestens so riskant wie das, was wir gerade durchgestanden hatten. Weil die kleine Straße hinter dem beklauten Werk auch zur großen Freude eine Sackgasse war, mussten wir zur Fern-verkehrsstraße zurück und das war nicht ohne Risiko. Die kleine Straße lag in völliger Dunkelheit, und ich fuhr ohne Beleuchtung. Meine Augen gewöhnten sich schnell an das fehlende Licht, und im zweiten Gang erreichten wir bald die große Straße. Einige Minuten warteten wir, bis von beiden Seiten kein Lichtschein zu sehen war. Wieder mal ein Sauglück gehabt. Als der Kompressor hinter den Garagen im Schuppen unter Gerümpel verschwunden war, war’s geschafft. Nächsten Tag sahen wir uns das Ding in Ruhe und von nahem an, ein super Teil. Der brachte locker 6 atü auf Dauer. Damit ließ sich arbeiten, da waren wir uns sicher. Zuvor schilderte ich Karl, was sich auf Arbeit abgespielt hatte. Kriminalpolizei im Werk, die Maler liefen mit roter Omme herum, und ich hielt mich fern von jeglichen Personen. Das ging eine Woche so; man verdächtigte in erster Linie die Maler selbst. Nach dieser Woche sprach keiner mehr darüber, nur die Pinsel-schwinger mussten nun denselben schwingen. Es war kein neuer Kompressor aufgetaucht, auch das neue Geländer mussten sie von Hand pinseln. Ich sag nur: wer sein Arbeitsgerät so leichtsinnig rumstehen lässt, der zieht eben auch mal die Arschkarte.

Mit dem neuen Gerät wurden die Lackierarbeiten immer besser. Mit 6 bar kam richtig was raus aus der Spritzpistole. Und es ging auch viel schneller als mit unserem alten Kompressor. Übrigens, das mit dem Vogtländer hatte super geklappt. Wir hatten wieder eine Karosse zum Basteln, und die Kriegskasse war ebenfalls gut gefüllt.

DIESEL FÜR DEN WESTLER

Einige Monate vergingen und siehe da Rosi nebst Freund schauten wieder mal vorbei. Wir hatten beide nicht vergessen, aber sie waren auch nicht direkt momentan. Diesmal gestalteten sich unsere Gespräche viel spezieller. Fred hat seine Freundin gleich bei meiner Frau abgesetzt und kam allein in unsere Werkstatt. Eigentlich waren die Fronten zwischen ihm und uns vollkommen klar. Er wollte irgendwelche Leistungen von uns und wir eigentlich nur eins, Westgeld. So dachten wir, wie er dachte würde sich bald rausstellen. Nur, um mit uns mal wieder zu quatschen, war er bestimmt nicht bis hier raus gekommen. Fred druckste zu Anfang ganz schön rum; wir halfen aber schnell und wollten wissen, ob es was zu tun geben könnte. Nun wurde er lebendig.

„Na auf jeden Fall, ich könnte 60 Liter Diesel gebrauchen. Bei Rosi kann ich nicht ständig Geld tauschen.“ Unsere nächste Frage war nach seinem Kurs, den er uns berechnen wollte.

„Ist ja auch egal“, mischte sich Karl ein, „wir holen jetzt erst mal 60 Liter von der nächsten Tankstelle. Da wird man sich schon einig.“ Kurzer Hand packte er drei Zwanziger in seinen Koffer-raum und brauste los. Derweil machten wir Nägel mit Köpfen. Es wurden 30 Pfennige West für den Liter Diesel ausgehandelt. Damit kam er um einiges billiger davon, als würde er im Westen tanken.

„Könnt ihr es so etwa zweimal im Monat für mich organi-sieren und 60 Liter zu stehen haben?“

„60 Liter kannst du auch jede Woche holen“, prahlte ich. Derweil standen auch schon die vollen drei Kanister auf dem Hof.

„Ist das auch Diesel?“, Karl verdrehte die Augen, und Fred hob die linke Hand als eine Geste der Entschuldigung.

„Nun drück mal rückwärts aufs Gelände, und wir schmeißen dir die Dinger in den Kofferraum.“

„Ja gleich, ich wollte aber noch mehr mit euch bereden.“

„Immer raus damit, wir sind ganz Ohr.“

„Mein Auto“, fing Fred etwas kleinlaut an, „mein Auto hat so winzige Stellen.“

„Dein Mercedes hat Stellen“, wobei Karl das Wort Stellen ewig lang zog. „Und was heißt das?“, wollten wir nun wissen.

„Na, ich wollte fragen, ob ich nicht bei der nächsten Dieselfuhre ein paar kleine Ausbesserungen hier vornehmen kann.“

„Was soll das denn sein?“, wollten wir wissen. „Na, an so kleinen Stellen am Lack müsste was gemacht werden.“ Wir wechselten kurz unsere Blicke und meinten, er solle doch mal zeigen, was ihn so bedrückt. Fred zeigte und Karl wollte gleich mit dem Schraubenzier die Nagelprobe machen. Im letzten Moment konnte ich ihn noch davon abhalten. Bei den Roststellen zum Beispiel unterm Gummi der Frontscheibe wäre der Schrauben-zieher hundertprozentig durchs Blech gerauscht. Das war aber beileibe nicht die einzige kleine Stelle an der Karre.

„Und was willst du da genau machen?“ Wir waren echt neu-gierig, was er selbst da wohl leisten wolle. Freds Miene heiterte sich schlagartig auf.

„Es gibt bei uns so Tinkturen und Pasten, womit man solche Stellen behandeln kann“, verkündete er mit Stolz in der Stimme.“

„Na, dann bring die mal mit und versuch dein Glück.“

Es vergingen etwa drei Monate und der Dieselhandel kam gut ins Laufen. Immer wenn der Daimler vorfuhr, standen drei volle Kanister bereit. Er brachte auch schon eigene mit, die wir nur umzufüllen brauchten. Inzwischen war uns die Handelsspanne nicht mehr akzeptabel. Immer mussten wir unser eigenes Geld zum Diesel Tanken nehmen, um an Westgeld zu kommen. Wir suchten nach Alternativen und fanden sie. Außerhalb gab es die eine oder andere Baustelle, Kiesgrube oder Lkw Abstellplätze. Überall Maschinen oder Fahrzeuge, die auf Diesel angewiesen waren. Wir kundschafteten Möglichkeiten aus und schlugen bei Nacht und Nebel zu. Zwei solche „Raubzüge“ möchte ich mal als Beispiel für viele andere etwas näher schildern. Es kam auch ab und zu vor, dass ich mit Frau und Kind am Wochenende ein wenig ins Umland spazieren fuhr. Immer mit offenen Augen nach potenziellen Quellen für Diesel oder auch Schrott. Den sammelten wir auch und zwar sehr intensiv. Davon aber etwas später. Auf so einer Wochenend-Spritztour besuchte ich mit Familie eine Mühle gut 30 km östlich von Berlin. Ein Stück weg von der Hauptstraße sah ich ein umzäuntes kleines Lager. Zurzeit wurde die Straße zur Mühle repariert, und in der Umzäunung lagerten Baggerteile und einige Fässer. Das registrierte ich beim Vorbeifahren, ohne das die Familie was merkte. Die Straßenarbeiten hatten gerade erst begonnen, da würde die Baustelle wohl noch einige Zeit bestehen. Gleich am nächsten Tag stand ich bei Karl auf der Matte.

„Du, es gibt da ein kleines Lager mit sehr hübschen Fässern drin.“

„Etwa Dieselfässer?“

„Na was sonst. Da arbeiten einige Bagger an einer Straße mitten durch den Wald.“

Wir warteten auf eine verregnete Nacht, die sich für unsere Züge am besten eignete. Gewappnet mit einigen 20-Liter-Kanistern, selbst gebautem Fassschlüssel, Fasspumpe und Absaugschlauch ging es mit meinem 311er Richtung Mühlenstraße. Das Auto hatte ich nach dem Neuaufbau in sehr gedeckten Farben lackiert. Es war im Dunkeln so gut wie unsichtbar. Dort angekommen ließen wir meinen Wartburg erst mal ein gutes Stück abseits stehen und peilten zu Fuß die Lage. Die kleine Straße zur Mühle lag in völliger Finsternis. Die Augen gewöhnten sich schnell an die Dunkelheit, und das Lager war unverändert mit Baggerteilen und mindestens drei Fässern. Die lieben Bauarbeiter konnten sich scheinbar nicht vorstellen, dass es jemand auf ihren Diesel abge-sehen haben könnte. Ich kletterte mit Hilfe von Karl über den Zaun, und er reichte mir die Kanister. Vorher schnupperte ich an den Fässern um sicher zu sein, dass es auch wirklich Diesel war. Verschluss aufschrauben und schon senkte sich die Fasspumpe lautlos durchs Spundloch. Nun begann ich langsam, den Diesel in unsere Kanister zu pumpen. Den Saugschlauch konnte man leider nicht zum Einsatz bringen, da alle drei Fässer auf dem Boden lagerten. Es gab auch „Lagerstätten“, bei denen die „Dieselquelle“ einfacher sprudelte. Zum Beispiel wenn die Fässer auf einem Fassständer lagerten oder der Diesel in einem schönen Bagger-tank schwamm. Da hieß es nur, Schlauch rein, gekonnt ansaugen und im Nu waren unsere Kanister voll. Bei ganz blauäugigen Bau-leitern luden wir auch schon mal ein ganzes Fass in den Wart-burg. Kein Problem, so holten wir auch des Öfteren unseren Kata-lyt. Aber dazu komme ich noch gesondert.

Nachdem vier Kanister vollgepumpt waren, brauchte ich eine Pause. Karl lagerte die vollen ein Stück abseits am Waldrand. Es ging also immer nur um einen einzigen Kanister, den man uns hätte nachweisen können. Ab und zu sahen wir Scheinwerfer auf der großen Straße. Aber kein einziges Auto fuhr in unsere Richtung. Das Fass bekamen wir nicht leer, da Mangel an Kanistern. Alles zusammen sammeln, Fass gut verschließen, über den Zaun und ihn wieder geradebiegen. Karl holten mein Auto, ohne Licht versteht sich. Kanister rein Decke drüber und ab die Post nach Hause. Schöner sauberer Diesel, der gutes Westgeld brachte.

Mein zweites Beispiel möchte ich schildern, als wir uns eine Kiesgrube vornahmen. Durch Zufall bemerkte ich, wieder Mal während einer Wochenend-Tour, dass ein LKW mit Kies beladen aus einem Waldweg kam. Sofort witterte ich kommerzielle Mög-lichkeiten. Nach Absprache mit Karl rüsteten wir uns eines späten Abends zur Fahrt Richtung Osten. Den Waldweg merkte ich mir genau, kurz nach einem Ort ging es links in den Wald. Ein richtiger Wald war das gar nicht, nur zur Straße hin waren es etwa 100 Meter mit Bäumen, dann fingen schon die ersten freien Flächen an. Es war stockdunkel, und wir fuhren ohne Schein-werfer. Nur mit Standlicht tastete ich mich voran. Wenn Kies-laster beladen werden müssen, muss mindestens ein Bagger vor-handen sein, so unsere Theorie. Es gab tatsächlich dort ein solches Teil, den wir fast bei diesen schlechten Sichtbedingungen gerammt hätten. Karl sagte kein Wort, aber er haute mir seinen Ellenbogen in die Seite. Ich trat auf die Bremse, keinen Meter zu früh. Licht aus und raus aus dem Wagen. Es war kein Riese von Bagger, aber immerhin. Ich rieb mir die Hände und flüsterte:

„Der hat bestimmt einen schönen dicken Tank.” Karls Grinsen konnte ich in der Dunkelheit nur ahnen. Vorsichtig schlichen wir herum und suchten den Tank. Plötzlich zischte Karl von der anderen Seite. Ich ging zu ihm, und wir standen vor dem Baggertank und einem prächtigen Vorhängeschloss.

„Siehst du, blöde sind die noch lange nicht.“

„Nun mal ruhig Blut, der Platz ist groß, hier wird schon noch was sein für uns.“ Im selben Moment bemerkte ich den langen Arm vom Bagger und war erfreut, als ich sah, was er unter seiner Schaufel versteckt hatte. „Karl, komm her, hier ist ein Fass unter der Schaufel! Das ist sein Treibstoff, den er ordentlich vor Diebstahl schützen wollte.“ Ich kniete mich neben der Schaufel auf den Boden und fuhr mit dem Arm unter dieselbe. Genau in der Mitte fühlte ich das Spundloch vom Dieselfass. Diesel war da, wir waren vor Ort und kein Mensch weit und breit, ohne Suppe fahren wir hier nicht weg. Es dauerte gut eine Stunde bis der Fassdeckel aufgeschraubt war. Ich verbog mir fast den Arm, aber unserem Spezialwerkzeug hatte der Verschluss nichts entgegen zu setzen. Derweil grub Karl eine Grube für die Kanister. Bei diesem Sachverhalt kam nämlich der Saugschlauch in Aktion. Binnen einer halben Stunde leerten wir das leider nicht ganz volle Fass. Deckel zuschrauben, Ordnung musste sein, und ab nach Hause.

Der Rückweg war bei uns meistens viel weiter als die Hin Tour. Wir mieden die großen Hauptstraßen und fuhren sicher-heitshalber so manchen Umweg. Wenn wir aber doch mal ange-halten wurden, dann musste eine Erklärung parat sein. Mein Spruch war da zumeist: „Das entscheiden wir je nach Situation.” Es kam sehr darauf an, mit wem man es zu tun bekam. Wie normale Menschen auch, so sind auch Polizisten sehr verschie-den. Eine Möglichkeit war, das Märchen von der Dieselheizung in meiner so kalten Garage aufzutischen. Auf unseren Zügen durch so manche Nacht wurden wir zum Glück nicht ein einziges Mal von den Ordnungshütern belästigt.

KATALYT

Schon Jahre zuvor, als Karl und ich nur gute Bekannte im gleichen Ort waren, bemerkte ich, dass er mit vielen kleinen Kanistern hantierte. Karl war auch einer der ersten, der ein Auto besaß. Aber warum immer diese vielen Kanister. Und außerdem stank es fürchterlich, wenn er morgens mit seinem Trabi vom Hof fuhr.

„Sag mal“, fragte ich ihn, „was fährst du bloß für ein stinkendes Gemisch in deiner Pappe?“

„Katalyt“, verkündete er mit einem überlegenen Blick auf mich runter. Er musste immer nach unten schauen, wenn er sich mit jemandem unterhielt. Kein Wunder bei zwei Meter Körper-größe. Wenn wir uns sahen, ertrug ich den Mief seines Autos und ansonsten glaubte ich fest, wenn ich mal selbst eins besitze, fahre ich nur richtiges Benzin. Von dieser Jauche geht doch wohl der Motor ruckzuck im Eimer. Dieses Katalyt wurde entweder zum Betreiben von Benzinheizungen oder auch für Reinigungszwecke gebraucht. Das man es auch als Fahrbenzin nutzte, war in rechtlicher Hinsicht Steuerhinterziehung. Alle wussten es, keiner kümmerte sich darum.

Der Tag kam, wir arbeiteten wie schon beschrieben einige Zeit nach Feierabend und an so manchem Wochenende zusammen. Wir wollten uns was leisten, der Lohn von der normalen Arbeit reichte für den Lebensunterhalt. Extrawünsche waren nur durch eisernes Sparen und langen Atem zu erfüllen. Mit nebenbei Scharwerken konnte man die Zeit um einiges verkürzen. Erschwe-rend kam hinzu, dass ich zusammen mit meiner Liebsten unser Haus abzahlen musste. Da war die Kohle noch knapper. Der Tag kam, und ich spielte mit dem Gedanken, mir ein Auto zu beschaffen. Die Familie wurde inzwischen größer und ein fahr-barer Untersatz musste her. Ein gebrauchter 311er Wartburg wurde das Objekt meiner Begierde. Vorn rechts war der Kotflügel verbogen, und auch sein Rahmen sah sehr komisch aus. Bei Karl auf dem Hof wurde geschraubt, geschweißt, der Rahmen ge-wechselt und anschließend bekam das gute Stück eine neue Lackierung. Susanne, meine Frau lästerte über die ausgesuchte Farbkombination. Auch der Lack selber war gewöhnungsbe-dürftig. Wie manche Menschen Apfelsinenhaut hatten, so hatte mein Auto eben auch welche. Für mich war es ein super Auto, und das Geläster der anderen ging mir am A... vorbei. Er ließ mich nie im Stich. Dafür brauchte er aber sehr viel Pflege. Das war im Osten sowieso selbstverständlich bei fast allen Vehikeln, die so unterwegs waren. Nun komme ich aber zum Wichtigsten, die Karre brauchte ordentlich Sprit. Natürlich bekam er gutes Benzin von der Tankstelle. Das war teuer, es half aber nichts. Meine Frau fuhr jetzt nicht mehr mit dem Bus zur Arbeit, sondern natürlich mit unserem Schmuckstück. Karl grinste öfter, wenn die Rede von teurem Benzin war. Eines Tages überwand ich mich und füllte Katalyt in den 311er. Komisch, er sprang an wie immer, er fuhr uns dahin, wohin wir wollten, und das Portemonnaie atmete erleichtert auf.

Immer wieder hörte ich von meinem Kumpel abenteuerliche Ge-schichten über die Beschaffung des superbilligen Sprits. Auf dem Weg zu seiner Arbeit fuhr er fast regelmäßig an einer ganz besonderen Tankstelle vorbei. Dort bekam er je nach Laune des dort beschäftigten Warts mal 5 Liter, auch mal 10 oder sogar 15 Liter Katalyt. War die Laune miserabel, was er oft schon von weitem sah, gab es gar nichts. Manchmal eine ganze Woche nichts. Diese Quelle war zu dünn für jetzt zwei Katalytfresser. Da mussten andere ergiebigere angebohrt werden, das war wohl klar. Aber wo gab es weitere Tankstellen, die auch Kata führten? Wir bekamen einen Tipp. Da gab es an der Spree eine Wassertank-stelle, was ganz selten im Osten vorkam. Wir fuhren hin und fühlten vor. Wir versprachen gut zu zahlen und kamen langsam aber sicher in die „Kundenkartei“. Die Chefin fasste allmählich Vertrauen, und dann bekamen wir ziemlich regelmäßig ein Fass mit 200 Liter feinstem Katalyt. Das rollten wir mit Hilfe von zwei Brettern komplett in meinen 311er Kombi. Damit verwandelten sich der alten Wartburg jedes Mal in eine rollende Benzinbombe. Nun war aber unser Jagdinstinkt geweckt. Es gab bestimmt noch weitere Quellen, die angebohrt werden wollten. Zum Beispiel eine Drogerie, auch nicht weit von der Stadtgrenze. Auch da arbeiteten wir uns mit viel Geduld und gutem Geld in die Abnehmerliste.

Wo ich schon mal beim Thema bin, Mitte der 80er Jahre baute man uns fast vor der Nase eine Katalyt-Tankstelle. Das war der Hammer, nur noch zwei Kilometer fahren und wir hatten die Suppe. Aber halt, so einfach war’s auch nicht. Die ersten paar Monate bekamen wir wie alle anderen lediglich 5 Liter pro Tag. Ganz korrekt waren sie, die Kumpels der neuen Tanke. Intensive Einzelgespräche überzeugten. Ab und an ein kleines Präsent, wir gaben uns alle Mühe. Die Chance war riesig, so nahe an unseren wichtigsten Brennstoff zu kommen. Nach geraumer Zeit bekamen wir 20 Liter oder sogar auch mal noch mehr Kata. Wir zahlten 50 Pfennige pro Liter statt 30 Pfennige. Auch dieser ökonomische Hebel half uns in die Stammkundenliste zu hieven. Zur Sicherheit entwickelte sich eine Geheimsprache zwischen Kunde und Tankwart. Ab und an bekamen die Kollegen Besuch von der Obrigkeit. Einer der Warte stellte dann unauffällig einen Straßenkegel auf eine Tanksäule. Nun wussten alle Profi-Abholer Bescheid. Die Tankwarte durften nur noch 5 Liter abgeben. Auch mir passierte es, dass ich unaufmerksam war und den Kegel übersah. Als der Wart sah, dass ich in Begriff war, den ersten 20 Liter Kanister aus dem Kofferraum zu holen, rollte er mit den Augen. Ich verstand sofort, holte brav meinen Vorzeige-5er raus und zog ohne zu murren mit der lächerlichen Menge von dannen. Aber trotzdem, mit den schweren Fasstransporten war nun Schluss. Die Fässer standen ab jetzt zu Hause, und wir sorgten nur noch dafür, dass immer genug Kata vorrätig war.

FRED UND SEIN AUTO

Mein Gesundheitszustand wurde einfach nicht besser. Ab und an war Krankenhaus angesagt, und unsere gemeinsame Arbeit ruhte. Auch Karl war nicht der gesündeste. Wir unterhielten uns, und plötzlich konnte er sich nicht mehr auf den Beinen halten. Seine Pumpe schaffte kurzzeitig nicht, den langen Kerl mit ausreichend Blut zu versorgen. Da lag er dann so zwei Minuten mit verdrehten Augen am Fußboden. Nach so einer Attacke stand Karl wieder auf und erinnerte sich an nichts. Na ja, so hat jeder sein Päckchen zu tragen. Wenn wir uns zur Arbeit trafen, dann waren wir auch „fit“, außer eben manchmal die zwei Minuten.

In der Zwischenzeit war Fred einige Male bei uns und nicht nur zum Tanken. Er brachte sich jedes Mal seine kleinen Wunder-mittel mit und behandelte voller Inbrunst die Roststellen seines Daimlers. Wir ließen ihn in Ruhe basteln und staunten ab und zu darüber, mit welchem Zeug er wieder hantierte.

„Hallo Fred, wofür ist denn diese Tube?“

„Das ist Rostumwandler“, antwortete er mit viel Überzeugung in der Stimme.

„Der wandelt also rostiges Autoblech in Schwedenstahl um“, wollte ich wissen.

„Na hier schau doch selbst, die Stelle behandelte ich vor 14 Tagen. Siehst du da etwa noch Rost?”

„Mensch, das Zeug ist ja wirklich Klasse“, heuchelte ich Fred ins Gesicht. Er war stolz auf seine Erfolge bei der Verschönerung vom Mercedes. Die abgetrockneten Roststellen sollte nun wieder mit frischer Farbe bedeckt werden. Dafür holte er aus dem Kofferraum ein Mini-Tübchen inklusive Mini-Pinsel. Wir grinsten uns an und gingen wieder an die eigene Arbeit. Es verging gut ein Monat, und der Daimler war rundherum von Fred aufgefrischt.

„Na Jungs, was sagt ihr?“, wollte er wissen. „Keine einzige Roststelle zu sehen.“

„Du sagst es, kein Rost mehr“, meinte Karl, „ aber er ist ziemlich gescheckt.“

„Gescheckt!?“, rief Fred verzweifelt in den Garten. „Wieso denn gescheckt?“

„Na, weil deine Reparaturfarbe nicht mit dem übrigen Lack übereinstimmt.“ Fred setzte sich in seinen Hobel und brauste von dannen. Auweia, wir hatten ihn wohl ins Mark getroffen. Da hätten wir wohl lieber das Maul gehalten. Den Rest des Nach-mittags sprachen Karl und ich nur noch das Nötigste. Als ich abends nach Hause fuhr, sagte ich noch:

„Der beruhigt sich wieder, du wirst sehen, in zwei Wochen steht er brav auf der Matte.“

Unsere Sorge war zwar begründet, aber Fred wollte billigen Diesel. Pünktlich nach zwei Wochen fuhr er vor und holte seine leeren Kanister aus dem Kofferraum. Kein Wort mehr von uns oder ihm über den schicken Benz.

MEIN SCHÖNES WESTGELD

Nach und nach sammelte sich Westgeld in meinem Haushalt an. Abgesehen von gelegentlichen Intershop-Besuchen von meiner Frau und mir waren doch schon ein paar Blaue zusammen-gekommen. Es entwickelten sich so mancherlei Begehrlichkeiten. So fuhren wir jedes Jahr in den Urlaub. Oft an die Ostsee, wo meine Holde herkam, aber auch sehr gern nach Ungarn. Die dortigen Thermalbäder waren einmalig und nicht nur für meinen geplagten Rücken. Nun hatten wir auch Westgeld in den Fingern, worauf die Ungarn dermaßen scharf waren. Es lebte sich viel angenehmer dort, wenn man nicht mit jedem Forint rechnen musste. Insgesamt sind wir fünfmal durch Ungarn gereist. Dreimal vor der Wende und auch zweimal danach. Einmal im Herbst '89. Wir waren auf einen Wohnwagen angemeldet. Warte-zeit waren etwa fünf Jahre, die waren 1987 um. Neben kleineren Fahrten fuhren wir auch ins gelobte Ungarn mit dem Camper. Zu dieser Zeit besaß ich einen Wartburg Tourist und auch ein Westauto. Dazu aber später. Den Wartburg erhielt ich 1981 und holte ihn im Autohaus in Rummelsburg ab. Mit einer normalen Anmeldung wäre ich noch lange nicht an der Reihe gewesen. Da unsere Tochter aber in eine Behinderteneinrichtung ging, erhiel-ten wir das Auto vorzeitig.

Um auf das angesparte Westgeld zurück zu kommen - es wurde in einer kleinen Büchse im Wohnzimmer aufbewahrt. Klara, unsere Tochter, war und ist noch heute eine Naschkatze. Irgendwie tat es ihr die bunte Blechbüchse an. Ich kam eines späten Nachmittags nach Hause und Susanne, meine Frau, empfing mich mit Tränen in den Augen.

„Was ist los, wieso flennst du?“ Sie holte aus ihrer linken Schürzentasche ein Knäuel Papier.

„Schau mal, unsere Westkohle!“, mehr bekam sie nicht raus.

„Erzähl mal, wer hat die geschreddert? War's etwa Klara mit ihrem Reißfimmel?“

„Na wenn du es schon weißt, brauch ich ja nichts mehr zu erzählen.“ Klara nahm wohl an, dass da was zu naschen drin wäre. War aber nicht, das Geld ließ sich aber gut in Stücke reißen. Schön verteilt lag es auf dem Teppich in der Stube.

„Und wo warst du solange?“

„Im Keller Wäsche waschen; ich kann sie doch nicht am Rockzipfel mit mir rumschleppen.“

„Beruhige dich, es ist nur Geld, darüber haben wir noch nie gestritten.“ Auch bei Westgeld fangen wir damit nicht an. Ich glaube, nächste Woche kommen Rosi und Fred, mal horchen, was die zu unserem Pech sagen.“ Sie kamen tatsächlich und Fred schaute sich die Schnipsel genauer an.

„Was meinst du, nimmt das noch eine Bank zurück?“ Fred fing an zu sortieren. Nach einer halben Stunde wurden die Scheine wieder sichtbar. Es fehlte kein einziges Teil.

„Ich nehme die Schnipsel mal mit zu meiner Bank und schildere die Umstände. Mal sehen ob ihr Glück habt.“