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Maître Pierre-François Chaumont, ein brillanter Pariser Anwalt, ist leidenschaftlicher Kunstsammler und lässt sich keine Auktion entgehen. Von einem alten Ölgemälde kann er eines Tages den Blick nicht mehr abwenden: Der dargestellte Mann mit gepuderter Perücke ähnelt ihm wie sein Spiegelbild! Das Porträt soll seine Sammlung krönen und er ersteigert es, aber schon bald wandelt sich das Glücksgefühl in Paranoia, denn Pierre-François fürchtet, verrückt geworden zu sein: Niemand seiner Familie oder Freunde sieht die frappierende Ähnlichkeit. Mithilfe des Wappens findet er jedoch die Familie des Porträtierten - ein altes Adelsgeschlecht, das seit Jahrhunderten auf Schloss Mandragore in der Bourgogne lebt. Heimlich reist Pierre-François dorthin und erlebt eine weitere Überraschung: Jeder scheint ihn zu kennen! Man hält ihn für den seit Jahrzehnten verschollenen Grafen, und Pierre-François belässt es dabei - er kann der Versuchung nicht widerstehen, einfach eine neue Identität anzunehmen und ein neues Leben anzufangen … Antoine Laurain erzählt in seinem Debüt von der Suche nach Identität, sich selbst und dem Glück, und von der Faszination für schöne und alte Dinge, die ihre eigenen Geschichten haben.
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Seitenzahl: 20
Antoine Laurain
Das Bild aus meinem Traum
XXL-LESEPROBE
Roman
Aus dem Französischen von Sina de Malafosse
Atlantik
Am Rande eines Feldes gelegen, fensterlos, ohne funktionierendes Licht. Die etwa Hundert Quadratmeter große Lagerhalle ist aus Blech, im Sommer erwärmen sich die Metallplatten in der Sonne, und die Temperaturen sind kaum noch auszuhalten. Um im Innern für Licht zu sorgen, könnte man eine Lampe an eine der Steckdosen anschließen, aber ich bevorzuge Kerzen.
Ich zünde die zwanzig, die ich in willkürlicher Anordnung aufgestellt habe, eine nach der anderen an. Anschließend rauche ich eine Zigarette und schenke mir ein Glas Whisky ein, das ist mein Ritual. Hinter einem Fass mit Industrieöl habe ich einen exzellenten, noch jungen Bowmore versteckt. Wie alle guten Whiskysorten schmeckt er nach Leder und Torf und ist, anders als diese widerlichen bernsteinfarbenen Cognacs, klar wie Hühnerbrühe. Ich serviere ihn mir in einem Silberbecher im Louis-quinze-Stil, der mich immer, wenn ich vorbeikomme, auf einer alten Holzbank erwartet.
Die großen Blechplatten sind nie gestrichen worden und haben geduldig Rost angesetzt, bis sie diesen besonderen Farbton angenommen haben, den Künstler als »gebranntes Siena« bezeichnen. Ein so kräftiges Braun, dass es fast rot wirkt.
Ich komme ein- bis zweimal im Monat hierher und bleibe zwei Stunden, um meine Sammlung zu bewundern, wie ich es einst in meinem Arbeitszimmer getan habe. Tabakdosen aus Gold oder Schildpatt, schmiedeeiserne Schlüssel mit Griffen in Form von Delphinen oder Chimären, durchsichtige kugelförmige Briefbeschwerer, die für immer ihre vielfarbigen Einsprengsel umschließen, fluoreszierende Salzflakons, geformt aus diesem gelben, Uranglas genannten Kristall, Madonnen mit Elfenbeinschnitzereien aus Dieppe, Haute-Époque-Becher aus Vermeil, und so vieles mehr. Sie sind auf einer ehemaligen Werkbank angeordnet, wo ich auch ein Regal mit mehreren Fächern aufgebaut habe. In jedes von ihnen habe ich ebenfalls kleine Dinge gestellt, es sind vierundzwanzig. Es erinnert mich ein wenig an die Adventskalender, die ich als Kind hatte. Hinter jedem Türchen gab es ein kleines Fach mit einer Überraschung aus Plastik. Tag für Tag, Überraschung um Überraschung rückte Weihnachten, der große Geschenkeabend, näher.
Alle Geschenke, die ich mir im Laufe meines Sammlerlebens gemacht habe, sind hier vereint. Hier in meinem Kuriositätenkabinett, vor den Blicken anderer verborgen, so wie es solch ein geheimer Ort voller fabelhafter Dinge, die eifersüchtig von ihrem einzigen Herrn bewacht werden, zu sein hat. Mit seiner Lage am Feldrand ist es das merkwürdigste aller Kuriositätenkabinette. Mitten im Burgund, da, wo nicht einmal Handys klingeln.