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Desillusioniert von der Heuchelei beim LAPD, hat Harry Bosch seinen Dienst quittiert. Aber Bosch wäre nicht Bosch, wenn er sich davon abbringen ließe, für die Toten einzustehen: Er hat Akten ungelöster Fälle mitgehen lassen. Besonders der Fall Angella Benton, die vier Jahre zuvor während eines Filmdrehs in Hollywood erwürgt wurde, lässt ihn nicht los. Kurze Zeit nach dem Mord wurden zwei Millionen Dollar am Set geraubt, und die Polizei glaubte, dass mit der Beute ein Ausbildungslager der Al-Kaida finanziert werden sollte. Damals, in der aufgeheizten Atmosphäre nach 9/11, konnte ein solcher Verdacht einen einfachen Mord schon mal vergessen machen ... Bei seinen Nachforschungen gerät Bosch schnell in Konflikt mit seinen alten Kollegen und dem FBI – und selbst ins Fadenkreuz der Ermittler.
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Seitenzahl: 503
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Michael Connelly
Letzte Warnung
Der neunte Fall für Harry Bosch
Aus dem amerikanischen Englisch von Sepp Leeb
Kampa
Dieses ist für:
Noel
Megan
Sam
Devin
Maddie
Michael
Brendan
Connor
Callie
Rachel
Maggie
und
Katie
Im Herzen haben die Dinge kein Ende.
Das hat eine Frau mal zu mir gesagt. Sie behauptete, es sei aus einem Gedicht, an das sie glaube. Ihrer Auffassung nach bedeutete es, wenn man sich etwas zu Herzen nahm, es wirklich in diese rotsamtenen Falten brachte, war es dort immer für einen da. Egal, was passierte, es wartete dort. Sie sagte, das könne eine Person, ein Ort, ein Traum sein. Eine Mission. Etwas, das einem heilig war. Sie sagte, in diesen verborgenen Falten ist alles verbunden. Immer. Es ist alles Teil desselben und wird immer da sein und im gleichen Takt schlagen wie das Herz.
Ich bin zweiundfünfzig Jahre alt, und ich glaube es. Wenn ich nachts einzuschlafen versuche und nicht kann – das ist ein Moment, wenn ich es weiß. Wenn sich alle Pfade zu verknüpfen scheinen und ich die Menschen sehe, die ich geliebt und gehasst und unterstützt und verletzt habe. Ich sehe die Hände, die nach mir greifen. Ich höre das Schlagen des Takts und sehe und verstehe, was ich tun muss. Ich kenne meine Mission, und ich weiß, es gibt weder Abkehr noch Umkehr. Und in diesen Momenten weiß ich, dass die Dinge im Herzen kein Ende haben.
Das Letzte, was ich erwartete, war, dass Alexander Taylor selbst an die Tür kommen würde. Es strafte alles Lügen, was ich über Hollywood wusste. Ich ging davon aus, dass ein Mann, dessen Filme eine Milliarde Dollar eingespielt hatten, niemandem selbst die Tür öffnen würde, sondern rund um die Uhr jemanden in Uniform an seiner Haustür stehen hätte. Und dass mir dieser Türsteher nur Zutritt gewähren würde, nachdem er gewissenhaft meine Personalien und meinen Termin überprüft hätte. Danach würde er mich an einen Butler weiterreichen oder an das fürs Erdgeschoss zuständige Hausmädchen, das mich, mit Schritten so lautlos wie Schneeflocken, den Rest des Weges nach drinnen begleiten würde.
Aber in der Villa in der Bel-Air-Crest-Road gab es nichts von all dem. Das Eingangstor war offen gelassen worden. Und als ich auf dem Rondell vor dem Eingang parkte und an die Tür klopfte, war es der Erfolgsproduzent selbst, der mir öffnete und mich in ein Haus winkte, dessen Dimensionen direkt vom LAX-Terminal für Auslandsflüge übernommen schienen.
Taylor war ein stattlicher Mann. Über eins achtzig groß und mehr als 110 Kilo schwer. Die Pfunde waren allerdings gut verteilt, und seine blauen Augen standen in auffälligem Kontrast zu seinem dicht gelockten braunen Haar. Das Haar auf seinem Kinn verlieh ihm etwas künstlerisch Intellektuelles, obwohl sein Betätigungsfeld sehr wenig mit Kunst zu tun hatte.
Er trug einen gedeckt blauen Jogginganzug, der wahrscheinlich mehr gekostet hatte als alles, was ich anhatte. Ein weißes Handtuch war um seinen Hals geschlungen und in den Kragen gesteckt. Seine Wangen waren gerötet, sein Atem ging mühsam und schwer. Ich hatte ihn bei irgendetwas gestört, und er schien verärgert darüber.
Ich war in meinem besten Anzug gekommen, einem aschgrauen Einreiher, für den ich vor drei Jahren zwölfhundert Dollar gezahlt hatte. Ich hatte ihn über neun Monate nicht mehr getragen und musste den Staub von seinen Schultern bürsten, als ich ihn am Morgen aus dem Schrank nahm. Ich war glatt rasiert, und ich war so motiviert, wie ich es in den Monaten, seit ich den Anzug auf den Kleiderbügel gehängt hatte, nicht mehr gewesen war.
»Kommen Sie rein«, sagte Taylor. »Das Personal hat heute seinen freien Tag, und ich war gerade im Fitnessraum. Zum Glück ist er gleich hier den Flur runter, sonst hätte ich Sie wahrscheinlich gar nicht gehört. Das Haus ist ziemlich groß.«
»Ja, da habe ich wirklich Glück gehabt.«
Er trat zurück ins Haus. Er gab mir nicht die Hand, und das war etwas, woran ich mich von unserer ersten Begegnung vor vier Jahren erinnern konnte. Er ging voran und ließ mich die Haustür schließen.
»Macht es Ihnen was aus, wenn ich auf dem Hometrainer weitermache, während wir uns unterhalten?«
»Nein, kein Problem.«
Wir gingen einen Marmorflur hinunter, und Taylor blieb die ganze Zeit drei Schritte vor mir, als wäre ich Teil seines Gefolges. So fühlte er sich wahrscheinlich am wohlsten, was mir nur recht sein sollte. Es gab mir Zeit, mich umzusehen.
Durch die Fenster auf der linken Seite sah man auf das riesige Grundstück – ein fußballfeldgroßes Rechteck aus sanft gewelltem Grün, das zu einem Gebäude führte, bei dem es sich vermutlich um ein Gäste- oder ein Badehaus oder beides handelte. Davor stand ein Golfcart, und ich konnte Fahrspuren sehen, die über den gepflegten Rasen zum Haupthaus führten. Ich hatte in L.A. schon einiges gesehen, von armseligsten Gettos bis zu Villen auf Berggipfeln. Aber es war das erste Mal, dass ich innerhalb der Stadtgrenzen einen Besitz sah, der so groß war, dass ein Golfcart nötig war, um von einem Ende ans andere zu kommen.
An der rechten Wand hingen gerahmte Plakate der zahlreichen Filme, die Alexander Taylor produziert hatte. Ein paar von ihnen hatte ich gesehen, als sie im Fernsehen kamen, und vom Rest kannte ich die Vorschauen. Größtenteils waren es die Sorte Actionfilme, die sich perfekt in halbminütigen Werbespots zusammenfassen ließen, ohne dass man hinterher das dringende Bedürfnis hatte, sich den ganzen Film anzusehen. Keiner galt auch nur im weitesten Sinn des Wortes als Kunstwerk. Aber in Hollywood waren diese Filme wesentlich wichtiger als Kunst. Sie spielten Geld ein. Und das war alles, was zählte.
Taylor machte einen schwungvollen Bogen nach rechts, und ich folgte ihm in den Fitnessraum, der mich die Idee privater Körperertüchtigung in neuem Licht sehen ließ. An den Wänden waren alle möglichen Kraft- und Ausdauermaschinen aufgereiht. Und in der Mitte befand sich ein, wie es schien, ausgewachsener Boxring. Taylor schwang sich geschmeidig auf einen Hometrainer, drückte ein paar Knöpfe auf dem Display vor ihm und begann zu treten.
An der gegenüberliegenden Wand waren drei große Flachbildschirme angebracht, auf denen konkurrierende 24-Stunden-Nachrichtensender und der Bloomberg-Wirtschaftsbericht liefen. Für den Bloomberg-Bildschirm war der Ton angestellt. Taylor hob eine Fernbedienung und schaltete ihn aus. Das war ein weiteres Entgegenkommen, mit dem ich nicht gerechnet hatte. Als ich mit seiner Sekretärin gesprochen hatte, um mir einen Termin geben zu lassen, hatte sie sich angehört, als könne ich von Glück reden, ein paar Fragen dazwischenschieben zu können, während der Big Boss am Handy hing.
»Kein Partner?«, fragte Taylor. »Ich dachte immer, Sie treten zu zweit auf.«
»Ich arbeite lieber allein.«
Dabei beließ ich es fürs Erste. Ich stand wortlos da, während Taylor auf dem Hometrainer seinen Rhythmus zu finden versuchte. Er war Ende vierzig, sah aber wesentlich jünger aus. Vielleicht genügte dafür, sich mit den Gerätschaften und Apparaturen von Gesundheit und Jugendlichkeit zu umgeben, und zwar egal, ob man sie benutzte oder nicht. Aber vielleicht waren es auch die Gesichtspeelings und Botox-Injektionen.
»Ich kann Ihnen drei Meilen geben«, sagte er, als er das Handtuch von seinem Nacken zog und über den Lenker hängte. »Etwa zwanzig Minuten.«
»Das wird genügen.«
Ich machte mich daran, einen Notizblock aus der Innentasche meiner Jacke zu ziehen. Es war ein Spiralblock, und der Draht verfing sich im Futter. Ich kam mir vor wie der letzte Trottel, als ich ihn loszubekommen versuchte, und riss ihn schließlich einfach los. Ich hörte das Futter reißen, überspielte die Verlegenheit aber mit einem Lächeln. Taylor machte es mir leichter, indem er den Blick abwandte und zu einem der stummen Fernsehschirme hochsah.
Ich glaube, es sind die Kleinigkeiten, die ich an meinem früheren Leben vermisse. Mehr als zwanzig Jahre lang hatte ich ein kleines gebundenes Notizbuch in der Jackentasche. Spiralblöcke waren nicht erlaubt – ein gerissener Verteidiger hätte geltend machen können, entlastende Aufzeichnungen seien herausgerissen worden. Gebundene Notizbücher beugten dem vor und schonten außerdem das Jackenfutter.
»Ich bin froh, dass Sie sich bei mir gemeldet haben«, sagte Taylor. »Diese Geschichte mit Angie hat mich nie so ganz losgelassen. Bis heute nicht. Sie war ein anständiges Mädchen, wissen Sie? Und ich dachte die ganze Zeit, bei der Polizei hätte man diese Geschichte einfach einschlafen lassen, weil niemand sich dafür interessieren würde.«
Ich nickte. Als ich mit Taylors Sekretärin telefoniert hatte, hatte ich sehr genau auf meine Wortwahl geachtet. Auch wenn ich sie nicht direkt belogen hatte, hatte ich mich insofern schuldig gemacht, als ich sie zu verschiedenen Annahmen verleitet hatte. Das hatte sich nicht umgehen lassen. Hätte ich ihr erzählt, dass ich ein ehemaliger Cop war, der auf eigene Faust in einem alten Fall ermittelte, hätte sie mich mit ziemlicher Sicherheit nicht in die Nähe des Erfolgsproduzenten gelassen.
»Ähm, bevor wir anfangen, möchte ich etwas klarstellen, was Sie vielleicht falsch verstanden haben. Ich weiß nicht, was Ihnen Ihre Sekretärin erzählt hat, jedenfalls bin ich nicht bei der Polizei. Nicht mehr.«
Taylor setzte kurz mit dem Treten aus, kam aber rasch wieder in seinen alten Rhythmus. Sein Gesicht war gerötet, und er schwitzte stark. Er streckte die Hand nach einem Trinkbecherhalter an der Seite des digitalen Steuerpults aus und entnahm ihm eine Lesebrille sowie eine schmale Karte mit dem Logo seiner Produktionsfirma – ein Quadrat mit einem labyrinthischen Lockenmuster darin –, auf der sich mehrere handschriftliche Vermerke befanden. Er setzte die Brille auf, kniff aber beim Lesen trotzdem die Augen zusammen.
»Das ist aber nicht, was ich hier stehen habe«, sagte er. »Hier steht, um zehn LAPD-Detective Harry Bosch. Das hat Audrey geschrieben. Sie arbeitet achtzehn Jahre für mich – seit ich anfing, im Valley irgendwelchen Videotheken-Schund zu machen. Sie ist sehr tüchtig. Und in der Regel auch sehr gewissenhaft.«
»Na ja, ich war lange bei der Polizei. Aber seit ungefähr einem Jahr nicht mehr. Ich bin pensioniert. Könnte sein, dass ich mich, was das angeht, am Telefon nicht klar genug ausgedrückt habe. An Ihrer Stelle würde ich Audrey keine Vorwürfe machen.«
»Werde ich auch nicht.«
Er blickte auf mich herab und neigte den Kopf so, dass er über die Brille schauen konnte.
»Was kann ich also für Sie tun, Detective – oder sollte ich besser sagen, Mister Bosch? Ich habe noch zweieinhalb Meilen, und dann ist Ihre Zeit um.«
Rechts von Taylor stand eine Drückbank. Ich setzte mich darauf. Ich holte den Stift aus meiner Hemdtasche – diesmal verhakte sich nichts – und machte mich bereit mitzuschreiben.
»Ich weiß nicht, ob Sie sich an mich erinnern können, aber wir haben schon einmal miteinander gesprochen, Mr. Taylor. Als Angella Benton vor vier Jahren vor dem Apartmenthaus, in dem sie wohnte, tot aufgefunden wurde, wurde der Fall zunächst mir zugeteilt. Wir haben uns damals in Ihrem Büro bei Eidolon unterhalten. Auf dem Archway-Gelände. Einer meiner Partner, Kiz Rider, war dabei.«
»Jetzt erinnere ich mich wieder. Diese Schwarze – sie hatte Angie gekannt, sagte sie. Aus dem Fitnessstudio, glaube ich. Ich weiß noch, dass ich damals an sich ein recht gutes Gefühl bei Ihnen beiden hatte. Aber dann waren Sie plötzlich weg. Ich habe nichts mehr von Ihnen …«
»Wir wurden abgelöst. Wir waren bei der Hollywood Division. Nach dem Raubüberfall wenige Tage später wurde uns der Fall entzogen und der Robbery-Homicide-Division zugeteilt, die für Raubüberfälle und Morde zuständig ist.«
Der Hometrainer gab einen leisen Glockenton von sich, und ich nahm an, das war das Zeichen, dass Taylor seine erste Meile zurückgelegt hatte.
»An diese beiden Vögel kann ich mich noch erinnern«, sagte Taylor in verächtlichem Ton. »Einer unfähiger als der andere. Bei ihnen hatte ich kein gutes Gefühl. Ich weiß noch, einer war mehr daran interessiert, bei einem meiner Filme einen Job als technischer Berater zu kriegen, als an dem akuten Fall. Was ist aus ihnen geworden?«
»Einer ist tot, der andere im Ruhestand.«
Dorsey und Cross. Ich hatte beide gekannt. Ungeachtet von Taylors Einschätzung, waren sie tüchtige Ermittler gewesen. Man kam nicht umsonst zur RHD. Ich erzählte Taylor nicht, dass Jack Dorsey und Lawton Cross in Polizistenkreisen als die ultimativen Pechvögel galten. Im Zuge einer Ermittlung, die sie mehrere Monate nach dem Fall Angella Benton zugeteilt bekommen hatten, hatten sie eine Bar in Hollywood aufgesucht, um dort zu Mittag zu essen und sich einen Muntermacher zu genehmigen. Sie hatten mit ihren Schinkensandwiches und Bushmills an einem der Tische gesessen, als das Lokal von einem bewaffneten Räuber überfallen wurde. Wie es aussah, hatte Dorsey, der mit Blick zur Tür gesessen hatte, noch zu seiner Waffe gegriffen. Aber er war zu langsam gewesen. Der Räuber schoss auf ihn, bevor er seine Waffe entsichern konnte, und er war tot, bevor er auf dem Boden landete. Ein auf Cross abgefeuertes Geschoss streifte seinen Kopf, ein zweites traf ihn am Hals und blieb in seiner Wirbelsäule stecken. Als Letzter wurde aus nächster Nähe der Barkeeper exekutiert.
»Und was ist dann aus dem Fall geworden?«, fragte Taylor, allerdings rein rhetorisch und ohne einen Funken Mitgefühl für die Cops. »Nichts mehr ist passiert. Jede Wette, es hat sich nur noch Staub darauf angesammelt, genau wie auf Ihrem billigen Anzug, den Sie aus dem Kleiderschrank hervorgekramt haben, bevor Sie zu mir gefahren sind.«
Ich steckte die Beleidigung weg, weil ich es musste. Ich nickte nur, als gäbe ich ihm recht. Mir war nicht recht klar, ob seine Wut dem nie geahndeten Mord an Angella Benton galt oder dem, was danach passiert war, dem Raubüberfall und dem nächsten Mord und den abgebrochenen Dreharbeiten seines Films.
»Diese zwei Männer haben sechs Monate lang ausschließlich an diesem Fall gearbeitet«, sagte ich. »Danach bekamen sie auch andere Fälle zugeteilt. Es kommen ständig neue Fälle rein, Mr. Taylor. Das ist nicht wie in Ihren Filmen. Ich wäre froh, wenn es so wäre.«
»Ja, es gibt immer andere Fälle«, sagte Taylor. »Das ist immer die bequemste Ausrede. Man schiebt es auf die Arbeitsüberlastung. Inzwischen ist das Mädchen immer noch tot und das Geld immer noch futsch. Wie bedauerlich. Nächster Fall. In die Ablage mit dem alten.«
Ich wartete, um sicherzugehen, dass er fertig war. War er nicht.
»Aber inzwischen sind vier Jahre vergangen, und plötzlich tauchen Sie auf. Wie das, Bosch? Haben Sie Angies Angehörige dazu gebracht, Sie zu engagieren? Ist es das?«
»Nein. Ihre Angehörigen sind alle in Ohio. Ich habe keinen Kontakt mit ihnen aufgenommen.«
»Was ist dann der Grund?«
»Der Fall ist ungelöst, Mr. Taylor. Und mir liegt noch etwas daran. Aber ich habe nicht den Eindruck, dass der Sache wirklich mit … Engagement nachgegangen wird.«
»Mehr nicht?«
Ich schüttelte den Kopf. Dann nickte Taylor sich selbst zu und sagte: »Fünfzigtausend.«
»Wie bitte?«
»Ich zahle Ihnen fünfzigtausend – wenn Sie den Fall lösen. Wenn Sie ihn nicht lösen, gibt es keinen Film.«
»Mr. Taylor, irgendwie scheinen Sie einen falschen Eindruck von mir zu haben. Ich will Ihr Geld nicht, und das Ganze ist auch kein Film. Alles, was ich im Moment will, ist Ihre Hilfe.«
»Jetzt hören Sie mal gut zu. Ich weiß, was eine gute Story ist. Einem Polizisten lässt es keine Ruhe, dass ihm ein Mörder durch die Lappen gegangen ist. Ein universelles Thema, in der Praxis erprobt und wahr. Fünfzigtausend im Voraus, über das, was hinterher noch dazukommt, können wir später reden.«
Ich nahm Block und Stift von der Drückbank und stand auf. Das brachte mich nicht weiter, zumindest nicht in die Richtung, in die ich wollte.
»Vielen Dank für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit, Mr. Taylor. Wenn ich nicht nach draußen finde, feuere ich eine Leuchtrakete ab.«
Als ich meinen ersten Schritt in Richtung Tür machte, gab der Hometrainer einen zweiten Glockenton von sich. Taylor sagte zu meinem Rücken:
»Jetzt stellen Sie sich nicht so an, Bosch. Kommen Sie zurück und stellen Sie Ihre Fragen. Und ich behalte meine fünfzigtausend, wenn Sie sie nicht wollen.«
Ich drehte mich zu ihm um, blieb aber stehen. Ich klappte den Block wieder auf.
»Beginnen wir mit dem Geld«, sagte ich. »Wer in Ihrer Firma wusste darüber Bescheid? Ich meine, wer kannte die näheren Einzelheiten; wann es zu den Dreharbeiten gebracht werden sollte und wie es geliefert würde? Alles, woran Sie sich erinnern können. Ich fange hier bei null an.«
Angella Benton starb an ihrem vierundzwanzigsten Geburtstag. Ihre zusammengekrümmte Leiche wurde auf den Terrakottafliesen im Eingangsbereich des Apartmenthauses in der Fountain Avenue gefunden, in dem sie wohnte. Ihr Schlüssel steckte im Schloss ihres Briefkastens. Im Briefkasten waren zwei Geburtstagskarten, die ihre Mutter und ihr Vater separat aus Columbus geschickt hatten. Wie sich herausstellte, waren sie nicht geschieden. Sie hatten ihrer einzigen Tochter nur beide persönlich zum Geburtstag gratulieren wollen.
Benton war stranguliert worden. Vor oder nach ihrem Tod, höchstwahrscheinlich danach, war ihre Bluse aufgerissen und ihr BH nach oben gezogen worden, um ihre Brüste zu entblößen. Dann hatte ihr Mörder auf die Leiche masturbiert und eine kleine Menge Ejakulat hinterlassen, die später von der Spurensicherung für eine DNS-Analyse gesichert wurde. Ihre Handtasche wurde entwendet und nicht mehr gefunden.
Als Todeszeitpunkt wurde der Zeitraum zwischen 23 Uhr und Mitternacht angegeben. Gefunden wurde die Leiche von einem anderen Hausbewohner, als dieser um 0.30 Uhr das Haus verließ, um seinen Hund auszuführen.
An diesem Punkt kam ich ins Spiel. Ich war damals als Detective dritten Grades bei der Hollywood Division des Los Angeles Police Department. Ich hatte zwei Partner. Im Zuge eines Modellversuchs, bei dem Möglichkeiten zum schnelleren Abschluss von Ermittlungsverfahren erprobt werden sollten, arbeiteten wir damals zu dritt statt zu zweit. Kizmin Rider und Jerry Edgar und ich wurden um ein Uhr nachts über Pieper verständigt und bekamen den Fall zugeteilt. Wir trafen uns in der Hollywood Division, tankten zwei Crown Vics voll und fuhren zum Tatort. Wir sahen Angella Bentons Leiche zum ersten Mal ungefähr zwei oder drei Stunden nach ihrer Ermordung.
Sie lag seitlich auf den braunen Fliesen, die die Farbe von getrocknetem Blut hatten. Ihre Augen waren offen und vorstehend und entstellten das Gesicht, das einmal schön gewesen war, wie man sehen konnte. Die Hornhäute waren blutunterlaufen. Mir fiel auf, dass ihr entblößter Brustkorb fast flach war. Er sah beinahe knabenhaft aus, und ich dachte, das könnte ihr in einer Stadt, in der körperliche Eigenschaften die inneren Werte oft zu überwiegen schienen, vielleicht peinlich gewesen sein. Es verlieh dem Zerreißen ihrer Bluse und ihres BHs noch aggressivere Züge, so, als ob der Mörder, nicht genug, dass er ihr das Leben genommen hatte, auch noch ihren intimsten wunden Punkt hätte bloßlegen müssen.
Aber es waren ihre Hände, die mir am nachhaltigsten in Erinnerung blieben. Als ihr lebloser Körper auf den Fliesenboden gesunken war, waren sie irgendwie aufeinanderzuliegen gekommen. Sie waren links von ihrem Körper über ihrem Kopf nach oben gerichtet, als streckte sie sie jemandem flehentlich, wie um etwas bettelnd, entgegen. Sie sahen aus wie von einem Renaissancegemälde, wie die Hände von Verdammten, die, um Vergebung bittend, die Arme gen Himmel reckten. Ich habe in nahezu tausend Mordfällen ermittelt, aber nie hat mich die Haltung eines zu Boden gesunkenen Körpers so berührt.
Vielleicht sah ich zu viel in den Unwägbarkeiten ihres Zu-Boden-Fallens. Aber jedes Ermittlungsverfahren ist eine Schlacht in einem nie endenden Krieg. Glauben Sie mir, man braucht jedes Mal etwas, das man mitnehmen kann, wenn man in den Kampf zieht. Etwas, an dem man sich festhalten kann, einen Anreiz, der einen antreibt oder mitreißt. Und in diesem Fall waren es ihre Hände. Ich konnte ihre Hände nicht vergessen. Ich glaubte, dass sie nach mir griffen. Ich glaube das immer noch.
Wir hatten bei unseren Ermittlungen einen guten Start, weil Kizmin Rider das Opfer erkannte. Sie kannte sie, allerdings nur mit dem Vornamen, aus dem Fitnessstudio am El Centro Place, das sie beide besucht hatten. Wegen ihrer berufsbedingt unregelmäßigen Arbeitszeiten bei der Mordkommission konnte sich Rider nicht an einen festen Trainingsplan halten. Je nach ihren Dienstzeiten und je nach dem Fall, an dem sie gerade arbeitete, ging sie an wechselnden Tagen zu wechselnden Zeiten ins Fitnessstudio. Sie war Benton dort immer wieder begegnet, und es hatte sich so ergeben, dass sie sich miteinander unterhielten, wenn sie auf dem Stepper schwitzten.
Rider wusste, dass Benton im Filmgeschäft Fuß zu fassen versuchte, allerdings im Produktionsbereich. Sie arbeitete in Alexander Taylors Produktionsfirma Eidolon als Produktionsassistentin. Je nach Verfügbarkeit von Locations und Personal nutzten Produktionszeitpläne alle vierundzwanzig Stunden des Tages. Das hieß, Benton hatte einen ähnlichen Fitness-Zeitplan wie Rider. Es hieß auch, Benton hatte wenig Zeit für eine Beziehung. Sie hatte Rider erzählt, dass sie im vergangenen Jahr nur mit zwei Männern ausgegangen war und keinen festen Freund hatte.
Trotzdem war es eine oberflächliche Beziehung geblieben, und Rider hatte sich nie außerhalb des Fitnessstudios mit Benton getroffen. Sie waren beide junge schwarze Frauen, die ihren Körper davon abzuhalten versuchten, sie im Stich zu lassen, wenn sie ihrem arbeitsreichen Berufsleben nachgingen und in verschiedenen Welten steile Leitern zu erklimmen versuchten.
Trotzdem bedeutete es für uns einen guten Start. Wir wussten sofort, mit wem wir es zu tun hatten – mit einer soliden und zielstrebigen jungen Frau, die sowohl auf ihre Karriere wie auf ihre Gesundheit achtete. Es schloss eine Reihe von Anhaltspunkten aus, die mit einem anderen Lebensstil zusammenhingen und denen wir sonst zunächst fälschlicherweise nachgegangen wären. Das einzig Negative daran war, dass es für Rider das erste Mal war, dass sie auf jemanden, den sie kannte, als das Opfer eines ihr zugeteilten Mordfalls traf. Mir fiel schon am Tatort auf, dass es ihr einen Dämpfer versetzte. Normalerweise hielt sie verbal nicht hinter dem Berg, wenn sie einen Tatort analysierte und eine ermittlungstechnische Theorie entwickelte. An diesem Tatort war sie still, solange man sie nicht ansprach.
Es gab keine Zeugen des Mordes. Das Vestibül war von der Straße nicht einzusehen und bot dem Täter perfekten Sichtschutz. Er konnte sich dort auf die Lauer legen und sein Opfer überwältigen, ohne fürchten zu müssen, von der Straße gesehen zu werden. Dennoch war das Ganze nicht ohne Risiken. Es hätte jederzeit ein anderer Hausbewohner nach Hause kommen oder das Haus verlassen und Benton und ihren Mörder entdecken können. Hätte der Mann seinen Hund eine Stunde früher ausgeführt, hätte er durchaus in die Ausübung des Verbrechens platzen können. Er hätte Benton retten oder selbst zum Opfer werden können.
Anomalien. Einen großen Teil der Arbeit machte die Beschäftigung mit den Anomalien aus. Die Umstände der Tat deuteten auf einen spontanen Gelegenheitsüberfall hin. Der Mörder war Benton gefolgt und hatte den Moment abgepasst, in dem sie von der Straße nicht mehr zu sehen war. Es gab allerdings auch Verschiedenes, was darauf hindeutete, dass der Täter mit den Örtlichkeiten vertraut gewesen war und sich dort wie ein Jäger, der einen Köder ausgelegt hat und auf seine Beute wartet, auf die Lauer gelegt hatte.
Anomalien. Angella Benton war lediglich eins fünfundsechzig groß, aber sie war eine kräftige junge Frau. Rider war über ihr Trainingsprogramm im Bild und kannte ihre Kraft und Ausdauer aus erster Hand. Trotzdem gab es keinerlei Anzeichen eines Kampfs. Fingernagelabschabungen förderten weder Hautpartikel noch Blut einer anderen Person zutage. Hatte sie ihren Mörder gekannt? Warum hatte sie sich nicht gewehrt? Die Masturbation und das Aufreißen der Bluse deuteten auf ein psycho-sexuelles Tatmotiv hin, auf eine allein begangene Tat. Aber der Umstand, dass Benton nicht um ihr Leben gekämpft hatte, deutete darauf hin, dass sie sehr schnell vollständig überwältigt worden war. Hatte es mehr als einen Täter gegeben?
In den ersten 24 Stunden hatten wir uns darauf konzentriert, Beweismaterial zu sammeln, Angehörige zu benachrichtigen und erste Vernehmungen derjenigen Personen durchzuführen, bei denen eine direkte Verbindung zum Tatort bestand. In den zweiten 24 Stunden begannen wir mit dem Sichten des gesammelten Materials und machten uns daran, uns mit den Anomalien zu beschäftigen und zu versuchen, sie wie Walnüsse aufzuknacken. Bis zum Ende des zweiten Tages waren wir zu dem Schluss gelangt, dass es sich um einen sogenannten inszenierten Tatort handelte. Das heißt, um einen Tatort, der vom Täter bewusst so gewählt und gestaltet worden war, dass er die Ermittler bezüglich des Charakters der Tat zu falschen Schlüssen verleitete. Wir kamen zu der Überzeugung, dass wir es mit einem Mörder zu tun hatten, der sich für klüger hielt als uns und uns auf die Fährte »Sexualmord eines Psychopathen« locken wollte, obwohl es bei der Tat um etwas völlig anderes ging.
Das Element, das uns in diese Richtung wies, war das auf der Leiche gefundene Sperma. Beim Betrachten der Fotos vom Tatort fiel mir auf, dass die Linie, in der die Spermatropfen über den Brustkorb des Opfers verteilt waren, auf eine Flugbahn hindeutete. Allerdings waren die einzelnen Tropfen rund. Was den Beweischarakter von Blutspritzern angeht, weiß jeder Ermittlungsbeamte, dass runde Tropfen entstehen, wenn Blut senkrecht auf eine Oberfläche tropft. Ellipsenförmige Tropfen bilden sich, wenn Blut in einer schrägen Flugbahn auf eine Oberfläche spritzt. Wir erkundigten uns bei unserem Experten für Blutspritzer, ob die Normen für Blutspuren auch für andere Körperflüssigkeiten galten. Die Bestätigung, dass das zutraf, knackte eine Anomalie für uns auf. Wir stellten daraufhin die Theorie auf, dass der oder die Täter das Sperma mit hoher Wahrscheinlichkeit absichtlich auf der Leiche angebracht hatten. Möglicherweise war es sogar an den Tatort gebracht und dann zur gezielten Irreführung auf die Leiche getröpfelt worden.
Unsere Ermittlungen begannen in eine neue Richtung zu zielen. Wir betrachteten den Mord nicht mehr als eine Tat, bei der das Opfer rein zufällig in das Jagdrevier eines Raubtiers geraten war. Angella Benton war das Jagdrevier. Es war irgendetwas an ihren Lebensumständen gewesen, das den Mörder angelockt hatte.
Wir nahmen ihr Privat- und Berufsleben unter die Lupe, suchten nach diesem verborgenen Element, das den Plan, sie umzubringen, ins Leben gerufen hatte. Irgendjemand hatte ihren Tod gewollt und sich für raffiniert genug gehalten, den Mord als die Tat eines Psychopathen tarnen zu können. Während wir nach außen hin die Medienmaschinerie mit der Lustmördertheorie fütterten, begannen wir insgeheim anderswo zu suchen.
Am dritten Tag unserer Ermittlungen übernahm Edgar die Obduktion und den stetig anwachsenden Schreibkram, während Rider und ich Außendienst machten. Wir verbrachten zwölf Stunden in den Büros von Eidolon Productions auf dem Gelände von Archway Pictures in der Melrose Avenue. Alexander Taylors Filmherstellungsmaschine nahm fast ein Drittel der Büroflächen auf dem Archway-Gelände ein. Es gab über fünfzig Angestellte. Aufgrund ihres Jobs als Produktionsassistentin hatte Angella Benton mit allen von ihnen zu tun gehabt. Die PAs bilden die Basis der hierarchischen Hollywood-Pyramide. Benton war das Mädchen für alles gewesen, der Laufbursche. Sie hatte kein eigenes Büro gehabt, nur einen Schreibtisch in der fensterlosen Poststelle. Aber das machte nichts, weil sie immer auf Achse war, unterwegs zwischen den Büros auf dem Archway-Gelände und den Produktionen draußen. Zum damaligen Zeitpunkt hatte Eidolon an verschiedenen Locations in und um Los Angeles zwei Kinofilme und einen Fernsehfilm gedreht. Jede dieser Produktionen war, für sich genommen, eine eigene kleine Stadt, eine Zeltstadt, die fast jeden Abend abgebrochen wurde und von einer Location zur nächsten weiterzog. Eine Stadt mit weiteren hundert und mehr Personen, die mit Angella Benton zu tun gehabt haben könnten und vernommen werden mussten.
Was uns an Arbeit bevorstand, war entmutigend. Wir baten um Hilfe – zusätzliche Leute, die bei den Vernehmungen hätten helfen können. Der Lieutenant konnte niemanden erübrigen. Rider und ich brauchten schon für die Vernehmungen in der Firmenzentrale auf dem Archway-Gelände einen ganzen Tag. Und das war das einzige Mal, bei dem ich mit Alexander Taylor sprach. Rider und ich bekamen eine halbe Stunde mit ihm, und das Gespräch war unergiebig. Er kannte Benton natürlich, aber nicht gut. Während sie ganz unten in der Pyramide war, bildete er die Spitze. Ihre Kontakte waren sowohl selten als auch flüchtig gewesen. Dazu kam, dass sie noch keine sechs Monate bei Eidolon und er nicht derjenige gewesen war, der sie eingestellt hatte.
Wir konnten an diesem ersten Tag keinen einzigen Treffer verzeichnen. Das heißt, kein Vernehmungsgespräch, das wir führten, ergab für die Ermittlungen eine neue Richtung oder einen neuen Brennpunkt. Wir rannten gegen eine Wand. Niemand, mit dem wir sprachen, konnte sich vorstellen, weshalb jemand Angella Benton umgebracht haben könnte.
Wir beschlossen, uns am nächsten Tag aufzuteilen. Jeder von uns sollte einen anderen Drehort aufsuchen, um Vernehmungsgespräche zu führen. Edgar übernahm die Fernsehproduktion draußen in Valencia. Es war eine Familienkomödie über ein Paar mit einem Einzelkind, das seine Eltern mit allen Mitteln davon abzubringen versucht, weitere Kinder zu bekommen. Rider übernahm die Filmproduktion, die von Santa Monica, wo sie wohnte, am schnellsten zu erreichen war. Es war die Geschichte eines Mannes, der einen anonymen Gruß zum Valentinstag an eine hübsche Kollegin als den seinen ausgibt, worauf das Wissen, dass ihre daraus resultierende Liebschaft auf einer Lüge fußt, in ihm zu wuchern beginnt wie ein Krebsgeschwür. Ich bekam die zweite Filmproduktion, die in Hollywood gedreht wurde. Es war eine actionbetonte Story über einen Einbrecher, der einen Koffer mit zwei Millionen Dollar klaut, ohne zu wissen, dass das Geld der Mafia gehört.
Als Detective dritten Grades war ich der Leiter des Teams. Als solcher traf ich die Entscheidung, weder Taylor noch sonst jemanden in seiner Firma davon in Kenntnis zu setzen, dass Mitglieder meines Ermittlungsteams bei den Dreharbeiten erscheinen würden. Ich wollte nicht, dass man dort bereits über unser Kommen informiert wäre. Wir teilten die Sets unter uns auf und rückten am nächsten Morgen unangekündigt an, um uns kraft unserer Dienstmarken Zutritt zu verschaffen.
Was am nächsten Morgen kurz nach meinem Eintreffen am Set geschah, ist ausführlich dokumentiert. Wenn ich hin und wieder an unser damaliges Vorgehen bei den Ermittlungen zurückdenke, wünsche ich mir, ich wäre einen Tag früher an den Set gekommen. Ich glaube, ich hätte von der bevorstehenden Geldlieferung erfahren und Lunte gerochen. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass wir bei den Ermittlungen korrekt vorgingen. Wir unternahmen die richtigen Schritte, und wir unternahmen sie zum richtigen Zeitpunkt. In der Hinsicht hatte ich mir nichts vorzuwerfen.
Aber nach diesem Vormittag des vierten Ermittlungstages gehörte der Fall nicht mehr mir. Die Robbery-Homicide-Division schaltete sich ein und riss ihn sich unter den Nagel. So kamen Jack Dorsey und Lawton Cross ins Spiel. Es war alles geboten, was die RHD an einem Fall schätzt; Kino, Geld, Mord. Aber die beiden kamen mit ihren Ermittlungen nicht weiter, wandten sich schließlich anderen Fällen zu und gingen dann auf ein Schinkensandwich und einen Schnaps ins Nat’s, wo sie mehr serviert bekamen, als sie bestellt hatten. Mehr oder weniger starb der Fall mit Dorsey. Cross überlebte, erholte sich aber nicht mehr von den Folgen seiner Verletzungen. Er erwachte ohne jede Erinnerung an die Schießerei und ohne jedes Gefühl unterhalb seines Halses aus einem sechswöchigen Koma. Das Atmen musste eine Maschine für ihn übernehmen, und viele bei der Polizei waren der Meinung, dass er es schlechter getroffen hatte als Dorsey, weil er zwar überlebt hatte, aber nicht mehr wirklich lebte.
In der Zwischenzeit setzte der Fall Angella Benton Staub an. Alles, was Dorsey und Cross angefasst hatten, war von ihrem Pech infiziert. Verhext. Niemand nahm sich des Benton-Falls mehr an. Alle sechs Monate holte jemand von der RHD die Akte heraus und pustete den Staub weg, schrieb das Datum und »keine neuen Erkenntnisse« in das Ermittlungslog und stellte den Ordner bis zum nächsten Mal an seinen Platz zurück. Das ist, was man beim LAPD angemessenes Engagement nennt.
Vier Jahre vergingen, und ich hatte nach acht Monaten Rentnerdasein den Lebensstil eines Jazzmusikers angenommen. Ich blieb nachts lange auf, starrte an die Wände und trank zu viel Rotwein. Dann bekam ich den Anruf. Es war Lawton Cross. Endlich war auch zu ihm durchgedrungen, dass ich meinen Job an den Nagel gehängt hatte. Er ließ seine Frau anrufen, und dann musste sie ihm das Telefon halten, damit er mit mir sprechen konnte.
»Harry, denkst du noch manchmal an Angella Benton?«
»Ständig«, sagte ich.
»Ich auch, Harry. Mein Erinnerungsvermögen ist wieder zurückgekehrt, und ich denke oft über diesen Fall nach.«
Mehr war nicht nötig. Als ich das letzte Mal aus dem Stationsgebäude der Hollywood Division gegangen war, hatte ich geglaubt, ich hätte genug, ich sei um meine letzte Leiche herumgegangen und hätte zum letzten Mal jemanden verhört, von dem ich wusste, dass er log. Aber abgesichert hatte ich mich trotzdem. Ich hatte eine Schachtel mit Akten mitgenommen – Kopien offener Fälle aus zwölf Jahren bei der Mordkommission der Hollywood Division.
In dieser Schachtel war auch Angella Bentons Akte gewesen. Ich musste den Ordner nicht aufschlagen, um mich an die Einzelheiten zu erinnern, um mir vor Augen zu führen, wie ihre Leiche auf dem Fliesenboden ausgesehen hatte, so wehrlos und geschändet. Es versetzte mir immer noch einen Stich ins Herz. Es ging mir gewaltig gegen den Strich, dass sie in dem Spektakel danach völlig untergegangen war, dass ihr Leben erst wichtig wurde, nachdem zwei Millionen Dollar geraubt worden waren.
Ich hatte den Fall nicht zum Abschluss gebracht. Bevor ich dazu Gelegenheit fand, wurde er mir von oberster Stelle entzogen. So war das beim LAPD. Aber das war damals gewesen, und das hier war jetzt. Lawton Cross’ Anruf änderte das alles in mir. Er beendete meinen verlängerten Urlaub. Er verschaffte mir einen Job.
Ich hatte keine Dienstmarke mehr, aber ich hatte noch alle möglichen Angewohnheiten und Instinkte, die von der Marke kamen. Wie ein ehemaliger Raucher, dessen Hand nach dem Kick, der nicht mehr dort ist, in seine Hemdtasche greift, ertappte ich mich immer wieder dabei, dass ich auf die eine oder andere Weise nach dem Trost meiner Dienstmarke griff. Fast dreißig Jahre meines Lebens war ich Teil einer Organisation gewesen, die Abschottung von der Außenwelt propagierte und eine »Wir gegen sie«-Einstellung kultivierte. Ich war Teil des Kults der blauen Religion gewesen, und jetzt war ich raus, exkommuniziert, Teil der Außenwelt. Ich hatte keine Dienstmarke. Ich gehörte nicht mehr zu uns. Ich war einer von ihnen.
Es hatte in den Monaten seither nicht einen Tag gegeben, an dem ich meinen Entschluss, den Dienst zu quittieren, nicht abwechselnd bereute und guthieß. Es war eine Phase, in der meine Hauptbeschäftigung darin bestand, die Dienstmarke und das, wofür sie stand, von meiner eigenen, persönlichen Mission abzukoppeln. Die meiste Zeit hatte ich geglaubt, die zwei seien untrennbar miteinander verbunden, ich könne das eine nicht ohne das andere haben. Aber dann kam im Lauf der Wochen und Monate die Erkenntnis, dass eine Identität stärker war, dass sie die Oberhand gewann. Meine Mission blieb intakt. Ob nun mit oder ohne Dienstmarke, meine Aufgabe in dieser Welt war, für die Toten einzutreten.
Als ich nach dem Telefongespräch mit Lawton Cross auflegte, wusste ich, dass ich bereit war und dass es Zeit war, wieder für sie einzutreten. Ich ging zum Schrank im Flur und holte die Schachtel heraus, die die staubigen Akten und die Stimmen der Toten enthielt. Sie sprachen in Erinnerungen zu mir. In Tatortansichten. Am besten von ihnen allen konnte ich mich an Angella Benton erinnern. Ich erinnerte mich an ihre auf den Terrakottafliesen zusammengekrümmte Leiche, an ihre Hände, die sie nach mir auszustrecken schien.
Und schon hatte ich meine Mission.
Am Morgen nach dem Tag, an dem ich mit Alexander Taylor gesprochen hatte, saß ich in meinem Haus im Woodrow Wilson Drive am Esszimmertisch. In der Küche stand eine Kanne mit heißem Kaffee. Ich hatte den 5-Disc-Wechsler mit CDs geladen, die einiges von Art Peppers letzten Einspielungen als Sideman enthielten. Und ich hatte die Dokumente und Fotos aus der Akte Angella Benton vor mir ausgebreitet.
Die Akte war nicht vollständig, weil die RHD den Fall in einem Moment übernommen hatte, als die Ermittlungen in eine ganz bestimmte Richtung zu zielen begannen und viele Berichte noch nicht geschrieben waren. Sie war nur ein Einstieg. Aber nachdem mittlerweile fast vier Jahre zwischen mir und dem Verbrechen lagen, war sie alles, was ich hatte. Die Akte und die Liste mit den Namen, die mir Alexander Taylor am Tag zuvor genannt hatte.
Während ich mich für einen Tag rüstete, an dem ich Namen ausfindig machen und Gesprächstermine vereinbaren wollte, wurde mein Blick auf den kleinen Stoß Zeitungsausschnitte gelenkt, deren Ränder vergilbt waren, als sie in der Akte weggepackt gewesen waren. Ich griff nach ihnen und begann, sie durchzusehen.
Ursprünglich war Angella Bentons Ermordung nur für eine kurze Meldung in der Los Angeles Times gut gewesen. Ich erinnerte mich, wie sehr mich das frustriert hatte. Wir brauchten Zeugen. Nicht nur für die Tat selbst, sondern möglichst auch für das Auto des Mörders oder seinen Fluchtweg. Wir mussten herausfinden, was das Opfer getan hatte, bevor es überfallen worden war. Es war ihr Geburtstag gewesen. Wo und mit wem hatte sie den Abend verbracht, bevor sie nach Hause gekommen war? Eine der besten Möglichkeiten, Hinweise aus der Bevölkerung zu bekommen, waren Zeitungsberichte. Weil aber die Times nur eine kurze Meldung gebracht hatte, die außerdem am Ende des zweiten Teils versteckt gewesen war, erhielten wir von der Bevölkerung fast keine Unterstützung. Als ich die zuständige Reporterin anrief, um meinem Ärger darüber Luft zu machen, musste ich mir sagen lassen, eine Umfrage habe ergeben, die Leser hätten die Nase voll von Zeitungen, die nur über Todesfälle und Tragödien berichteten. Die Reporterin erklärte mir, die Rubrik für Verbrechensmeldungen werde immer kleiner und es gebe nichts, was sie dagegen tun könne. Zum Trost schrieb sie für die Ausgabe des folgenden Tages eine zweite Meldung, die den Hinweis enthielt, die Polizei sei bei der Aufklärung des Falls auf die Unterstützung der Bevölkerung angewiesen. Die Meldung war allerdings noch kürzer als die erste und noch tiefer im Innern der Zeitung versteckt. Wir bekamen nicht einen Anruf aus der Bevölkerung.
Das änderte sich drei Tage später von Grund auf, als es der Fall auf die erste Seite schaffte und alle Fernsehsender sich daraufstürzten. Ich griff nach dem ersten Bericht von einer Titelseite, den ich ausgeschnitten hatte, und las ihn noch einmal.
TÖDLICHESCHÜSSEBEIDREHARBEITEN
EINTOTERUNDEINVERLETZTERBEIEINER
HOLLYWOOD-PRODUKTIONMITECHTENRÄUBERN
Von Keisha Russell
Redaktionsmitglied der Times
Freitagvormittag wurde aus einer Hollywood-Illusion tödliche Wirklichkeit, als sich Polizisten und Wachmänner mit bewaffneten Räubern einen Schusswechsel lieferten. Die Täter konnten mit zwei Millionen Dollar Bargeld entkommen, die bei den Dreharbeiten eines Spielfilms verwendet wurden. Bei der Schießerei wurden zwei Angestellte der Bank, die das Geld zur Verfügung gestellt hatte, getroffen, einer von ihnen tödlich.
Die bewaffneten Räuber eröffneten ohne Vorwarnung das Feuer auf die Wachmänner und einen echten Polizisten, der sich zufällig am Set aufhielt, und konnten mit dem Geld entkommen. Laut Aussagen der Polizei deutet die Tatsache, dass sich in dem später aufgefundenen Fluchtfahrzeug Blutspuren befanden, darauf hin, dass auch mindestens einer der Räuber bei dem Schusswechsel von einer Kugel getroffen worden war.
Brenda Barstow, die Hauptdarstellerin des Films, hatte sich zum Zeitpunkt des Schusswechsels in einem Wohnwagen in der Nähe aufgehalten. Sie blieb unverletzt und bekam nichts von der Schießerei mit.
Einem Polizeisprecher zufolge ereignete sich der Zwischenfall kurz vor 10 Uhr vormittags vor einem Bungalow in der Selma Avenue, nachdem ein gepanzerter Geldtransporter zwei Millionen Dollar Bargeld an den Set geliefert hatte. Sie sollten in Szenen verwendet werden, die im Innern des Hauses gedreht wurden. Es heißt, der Set war zu diesem Zeitpunkt streng bewacht, aber die genaue Anzahl der bewaffneten Wachmänner und Polizisten wurde nicht bekannt gegeben.
Bei dem tödlich getroffenen Mann handelt es sich um den 43-jährigen Raymond Vaughn, Sicherheitsdirektor von BankLA, dem Geldinstitut, das die Geldscheine an den Set geliefert hatte. Ebenfalls von einer Kugel getroffen wurde Linus Simonson, 27, ein weiterer BankLA-Mitarbeiter. Er erlitt eine Schussverletzung am Unterleib und wurde ins Cedars-Sinai Medical Center eingeliefert, wo sein Zustand am Freitagabend als stabil bezeichnet wurde.
Laut Aussagen von LAPD-Detective Jack Dorsey sprangen drei schwer bewaffnete Männer aus einem in der Nähe geparkten Lieferwagen, als das Geld aus dem Geldtransporter geholt wurde. Ein vierter Mann wartete am Steuer des Lieferwagens. Die bewaffneten Männer stürmten auf die Sicherheitsbeamten zu und entrissen ihnen die vier Behälter mit den Geldscheinen. Als sie sich danach mit ihrer Beute zu ihrem Lieferwagen zurückzogen, eröffnete einer von ihnen das Feuer.
»Und dann war plötzlich der Teufel los«, sagte Dorsey. »Das Ganze artete in eine ausgewachsene Schießerei aus.«
Am Freitag war noch unklar, warum es zu den Schüssen kam. Augenzeugen erklärten der Polizei gegenüber, das Sicherheitspersonal auf dem Gelände hätte den Räubern keinerlei Widerstand geleistet.
»Soweit wir das sagen können, eröffneten sie einfach das Feuer«, sagte Detective Lawton Cross.
Laut Aussagen der Polizei erwiderten mehrere Sicherheitsbeamte das Feuer. Sie wurden unterstützt von mindestens zwei nicht im Dienst befindlichen Streifenpolizisten, die am Set als Wachmänner angestellt waren, sowie einem Detective, der sich im Zuge eines anscheinend nicht mit dem Vorfall in Zusammenhang stehenden Ermittlungsverfahrens in einem der Wohnwagen am Set aufhielt.
Schätzungen der Polizei zufolge wurden bei dem heftigen Schusswechsel über hundert Schüsse abgegeben.
Dennoch dauerte die Schießerei laut Aussagen von Augenzeugen nicht länger als eine Minute. Es gelang den Räubern, sich in den Lieferwagen zu flüchten und darin zu entkommen. Das von Kugeln durchsiebte Fluchtfahrzeug wurde später auf dem Sunset Boulevard gefunden, wo es die Täter nicht weit von der Auffahrt zum Hollywood Freeway zurückgelassen hatten. Polizeiliche Nachforschungen ergaben, dass der Lieferwagen am Abend zuvor vom Werkhof eines Filmstudios gestohlen worden war. Aus den in dem Fahrzeug entdeckten Blutspuren schlossen die mit den Ermittlungen betrauten Polizisten, dass auch einer der Räuber bei der Schießerei getroffen worden war.
»Zum gegenwärtigen Zeitpunkt haben wir noch keinen der Verdächtigen identifizieren können«, erklärte Detective Dorsey. »Wir sind jedoch dabei, verschiedenen Spuren nachzugehen, von denen wir glauben, dass sie die Ermittlungen voranbringen werden.«
Die tödlichen Schüsse brachten eine gehörige Portion raue Wirklichkeit in das Lager der Filmemacher.
»Zuerst dachte ich, es wären die Typen von der Requisite, die ein paar Platzpatronen abfeuerten«, sagte Sean O’Malley, einer der an dem Filmprojekt beteiligten Produktionsassistenten. »Ich hielt das Ganze für einen Scherz. Doch dann hörte ich aufgeregte Rufe, wir sollten uns auf den Boden werfen, und es begannen Kugeln in das Haus einzuschlagen. An diesem Punkt wurde mir klar, dass es echte waren. Ich warf mich nur noch auf den Boden und fing an zu beten. Mann, ging mir vielleicht die Muffe.«
Ich erinnerte mich an die Unwirklichkeit der Situation damals. Die Schreie, der Pulverdampf, der nach der Schießerei über allem hing. Überall Leute auf dem Boden und ich keine Ahnung, ob sie getroffen waren oder nur in Deckung gingen. Lange stand niemand auf, auch nicht, als das Fluchtfahrzeug längst weg war.
Ich las den Artikel zu Ende.
Der bislang noch titellose Film handelt von einer Diebin, die in Las Vegas einen Koffer mit 2 Millionen Dollar stiehlt, die der Mafia gehören, und sich mit dem Geld nach Los Angeles absetzt. Laut Aussagen von Experten ist es äußerst ungewöhnlich, bei Dreharbeiten echtes Geld zu verwenden, aber Wolfgang Haus, der Regisseur des Films, bestand auf der Verwendung von echten Geldscheinen, weil die in dem Haus in der Selma Avenue gedrehten Szenen eine Reihe von Nahaufnahmen der von Barstow gespielten Diebin und des Geldes enthielten.
Haus erklärte, laut Drehbuch sollte die Diebin das Geld auf ein Bett kippen und sich dann darin wälzen und es vor Freude in die Luft werfen. In einer anderen Szene sollte die Diebin in einer mit Geld gefüllten Badewanne Deckung suchen. Haus zufolge wäre Falschgeld im fertigen Film sofort als solches zu erkennen gewesen.
»Ich hätte es unmöglich anders machen können«, erklärte der deutsche Filmemacher. »Meine Filme setzen auf Genauigkeit und Authentizität. Würde ich Monopoly-Geld verwenden, wäre der Film eine Lüge, und jeder sähe es.«
Die Produktionsfirma, Eidolon Productions, beauftragte eine Bank, das Geld und die dazu gehörige Phalanx von Wachmännern für einen Tag zur Verfügung zu stellen, äußerten Detectives des LAPD gegenüber Journalisten. Der gepanzerte Geldtransporter sollte während der Dreharbeiten am Set bleiben und das Geld unmittelbar nach Abdrehen der betreffenden Szenen wieder zurückbringen. Es wurde in Bündeln zu 250 Hundertdollarscheinen geliefert.
Alexander Taylor, der Inhaber der Produktionsfirma, lehnte es ab, einen Kommentar zu dem Überfall abzugeben oder auch zu der Entscheidung, bei den Dreharbeiten echtes Geld zu verwenden. Unklar blieb, ob das Geld gegen Diebstahl versichert war.
Die Polizei äußerte sich nicht zu der Frage, weshalb sich Detective Bosch am Set befand, als die Schießerei begann. Allerdings erklärten verschiedene Quellen der Times gegenüber, Bosch habe im Mordfall Angella Benton ermittelt, die vier Tage zuvor in Hollywood erwürgt worden war. Benton, 24, war bei Eidolon Pictures beschäftigt, und die Polizei geht mittlerweile der Frage nach, ob ein Zusammenhang zwischen ihrer Ermordung und dem bewaffneten Raubüberfall besteht.
In einer von ihrer Pressesprecherin veröffentlichten Erklärung sagte Brenda Barstow: »Ich bin zutiefst bestürzt über den Vorfall, und ich bin in Gedanken bei der Familie des Mannes, der bei der Schießerei ums Leben kam.«
Ein BankLA-Sprecher erklärte, Raymond Vaughn sei sieben Jahre bei der Bank beschäftigt gewesen. Davor sei er in New York und Pennsylvania im Polizeidienst tätig gewesen. Simonson, der verwundete Bankmitarbeiter, ist ein Assistent des Vizepräsidenten der Bank, Gordon Scaggs, der für die Bereitstellung des Geldes für die Dreharbeiten verantwortlich war. Scaggs war bislang für eine Stellungnahme nicht erreichbar.
Die Dreharbeiten wurden vorläufig eingestellt. Am Freitag stand noch nicht fest, wann die nächste Klappe fallen wird und ob bei der Fortsetzung der Dreharbeiten erneut echtes Geld verwendet wird.
Ich überflog einen begleitenden Artikel, der sich vor allem damit beschäftigte, wie ungewöhnlich es war, bei Dreharbeiten echtes Geld – und das in solchen Mengen – zu verwenden, und zwar ungeachtet des Umfangs der Sicherheitsvorkehrungen. In dem Bericht hieß es, aufgrund der schieren Menge der Geldscheine seien für den Transport vier Geldsäcke nötig gewesen. Außerdem wurde völlig zu Recht darauf hingewiesen, es sei unwahrscheinlich, dass jemals die ganzen zwei Millionen Dollar in einer einzigen Kameraeinstellung zu sehen seien. Trotzdem waren die Produzenten der Forderung des Regisseurs nachgekommen, nicht nur echtes Geld zu verwenden, sondern aus Gründen der Authentizität auch die gesamten zwei Millionen. Allerdings ließen die in dem Artikel zitierten, aber nicht namentlich genannten Insider und Hollywood-Kenner anklingen, dass es dabei nicht um Geld oder Authentizität oder gar Kunst gegangen sei. Es sei einfach eine Machtfrage gewesen. Wolfgang Haus machte es, weil er es konnte. Der Regisseur konnte eine lückenlose Reihe von Filmen vorweisen, von denen jeder über 200 Millionen eingespielt hatte. In vier kurzen Jahren war er von einem kleinen Independentfilmer zu einer wichtigen Hollywoodgröße aufgestiegen. Indem er zwei Millionen Dollar in echten Scheinen für das Drehen relativ unspektakulärer Szenen verlangte, machte er seinen neu gewonnenen Einfluss geltend. Er hatte die Macht, zwei Millionen zu verlangen und an den Set geliefert zu bekommen. Lediglich ein weiteres Beispiel von Hollywood-Habgier. Nur kam diesmal noch Mord dazu.
Ich ging weiter zu einer Meldung, die zwei Tage nach dem Raubüberfall erschienen war. Es war ein Neuaufguss der Meldungen vom ersten Tag mit wenig neuen Informationen über den Stand der Ermittlungen. Es gab keine Festnahmen und keine Verdächtigen. Die bemerkenswerteste neue Information war, dass Warner Bros., das Studio, das den Film finanzierte, den Geldhahn zugedreht und das Projekt sieben Tage nach Drehbeginn eingestellt hatte, nachdem Hauptdarstellerin Brenda Barstow aus Sicherheitsgründen ausgestiegen war. In dem Bericht wurden namentlich nicht genannte Quellen aus dem Produktionsteam angeführt, die andeuteten, Barstow habe sich in Wirklichkeit aus anderen Gründen zurückgezogen und eine ihre persönliche Sicherheit betreffende Vertragsklausel lediglich als Vorwand benutzt. Diese anderen Gründe waren zum einen ihre Auffassung, die Produktion stehe unter einem schlechten Stern, der sich auch auf den Kassenerfolg des Films auswirken könne, sowie ihre Unzufriedenheit mit der endgültigen Drehbuchfassung, die erst fertiggestellt worden war, nachdem sie ihren Vertrag unterzeichnet hatte.
Zum Schluss kam der Artikel noch einmal auf den Stand der Ermittlungen zurück und wies darauf hin, dass neben dem Raubüberfall und der Schießerei auch der Mord an Angella Benton Gegenstand des Verfahrens sei und die Robbery-Homicide-Division den Fall von der Hollywood Division übernommen habe. Ich sah, dass im unteren Teil des Zeitungsausschnitts ein Absatz eingekreist war. Höchstwahrscheinlich vier Jahre zuvor von mir.
Quellen bestätigten der Times, dass die Nummern der bei dem Überfall geraubten Geldscheine zum Teil registriert waren. Die Spur dieser Scheine zu verfolgen, stellt nach Ansicht der Ermittlungsbeamten gegenwärtig die beste Chance dar, die Verdächtigen zu identifizieren und festzunehmen.
Ich konnte mich nicht erinnern, den Absatz vier Jahre zuvor eingekreist zu haben, und fragte mich, warum ich es getan hatte – als der Artikel erschien, war mir der Fall bereits entzogen worden. Ich nahm an, dass ich mich damals unabhängig davon, ob ich noch für ihn zuständig war, weiter für den Fall interessiert hatte und wissen wollte, ob die Quelle der Reporterin eine zutreffende Information gegeben hatte oder lediglich hoffte, die Räuber würden in Panik geraten, wenn sie in der Zeitung lasen, die Geldscheine könnten unter Umständen mit ihnen in Verbindung gebracht werden. Vielleicht hätte es dazu geführt, dass sie länger auf dem Geld sitzen blieben, und somit die Chancen seiner vollständigen Wiederbeschaffung erhöht.
Wunschdenken. Inzwischen spielte es keine Rolle mehr. Ich faltete die Zeitungsausschnitte zusammen und legte sie beiseite. Ich dachte über besagten Tag in diesem Haus nach. Die Zeitungsmeldungen waren nur eine Blaupause, so weit entfernt von der Realität wie eine Luftaufnahme. Als versuchte man sich vorzustellen, wie es 1967 in Vietnam war, indem man sich abends Walter Cronkite im Fernseher anschaute. Die Geschichten übermittelten nichts von der Konfusion, dem Geruch von Blut und Angst, dem sengenden Ansturm von Adrenalin, das in die Röhren schwappte wie Fallschirmjäger, die über Feindesland von der Rampe einer C-130 sprangen, »Hopp! Hopp! Hopp!«.
Ich war damals in einem Wohnwagen gewesen, der in der Selma Avenue stand. Ich sprach gerade mit Wolfgang Haus, dem Regisseur des Films, über Angella Benton. Ich suchte nach irgendetwas, woran ich mich hätte festhalten können. Ihre Hände ließen mich nicht mehr los, und in diesem Wohnwagen kam mir plötzlich der Gedanke, auch die Hände könnten Teil der bewussten Inszenierung des Tatorts gewesen sein. Inszeniert von einem Regisseur. Ich setzte Haus unter Druck, rückte ihm auf die Pelle, wollte wissen, wo er sich in fraglicher Nacht aufgehalten hatte. Und dann klopfte es, und die Tür ging auf, und alles änderte sich.
»Wolfgang«, sagte ein Mann mit einer Baseballmütze. »Der Panzerwagen mit dem Geld ist hier.«
Ich sah Haus an.
»Welches Geld?«
Und dann fiel der Groschen.
Jetzt blicke ich auf die Erinnerung zurück und sehe alles in Zeitlupe. Ich sehe den ganzen Ablauf, jede Einzelheit. Ich kam aus dem Wohnwagen des Regisseurs und sah zwei Häuser weiter den roten Geldtransporter mitten auf der Straße stehen. Die Hecktür war offen, und ein Mann in einer Uniform reichte zwei anderen Männern Geldsäcke nach draußen. Zwei Männer in Anzügen, einer wesentlich älter als der andere, standen dabei und beobachteten alles.
Als sich die Geldträger dem Haus zuwandten, ging die Seitentür eines auf der anderen Straßenseite geparkten Lieferwagens auf, und drei Männer in Skimasken kamen heraus. Durch die offene Tür des Lieferwagens sah ich einen vierten Mann am Steuer sitzen. Meine Hand fuhr unter meine Jacke zu der Schusswaffe an meiner Hüfte, aber ich behielt sie dort. Die Situation war zu unberechenbar. Zu viele Menschen, und sie befanden sich im potenziellen Schussfeld. Ich ließ den Dingen ihren Lauf.
Die Räuber näherten sich den Geldträgern von hinten, überrumpelten sie und nahmen ihnen ohne einen Schuss die Säcke ab. Aber als sie sich dann auf die Straße und zum Lieferwagen zurückzogen, geschah das Unerklärliche. Der Mann, der ihnen Deckung bieten sollte und keinen Geldsack trug, blieb stehen, spreizte die Beine und hob mit beiden Händen seine Waffe. Ich konnte es mir nicht erklären. Was hatte er gesehen? Wo war die Bedrohung? Wer hatte eine falsche Bewegung gemacht? Der Mann eröffnete das Feuer, und der ältere Mann im Anzug, der die Hände gehoben hatte und keine Bedrohung war, fiel rücklings auf die Straße.
In weniger als einer Sekunde brach ein heftiges Feuergefecht los. Der Wachmann im Geldtransporter, die Sicherheitsbeamten und die nicht im Dienst befindlichen Cops im Garten vor dem Haus, sie alle eröffneten das Feuer. Ich zog meine Waffe und rannte über den Rasen auf den gepanzerten Geldtransporter zu.
»Runter! Alles runter!«
Während sich Mitglieder des Filmteams und Techniker flach auf den Boden warfen, rannte ich weiter. Ich hörte, wie jemand zu kreischen anfing und der Motor des Lieferwagens aufheulte. In meine Nase drang der stechende Geruch von verbrauchtem Schießpulver. Bis ich freies Schussfeld hatte, hatten die Räuber den Lieferwagen erreicht. Einer warf seine Geldsäcke durch die offene Tür, dann drehte er sich um und zog zwei Pistolen aus seinem Gürtel.
Er kam nicht dazu, einen Schuss abzugeben. Ich drückte ab und sah, wie er rückwärts in den Lieferwagen flog. Dann sprangen die anderen hinein, und als der Wagen unter lautem Reifenquietschen losfuhr, ragten die Füße des Verletzten aus der noch offenen Seitentür hervor. Ich beobachtete, wie der Lieferwagen um die Ecke bog und in Richtung Sunset Boulevard und Freeway davonjagte. An Verfolgung war nicht zu denken. Mein Crown Vic war mehr als einen Block weiter geparkt.
Stattdessen machte ich mein Handy an und gab den Überfall durch. Ich sagte ihnen, sie sollten mehrere Krankenwagen und jede Menge Leute schicken. Ich gab die Richtung an, die der Lieferwagen eingeschlagen hatte, und sagte ihnen, dass sie zum Freeway fahren sollten.
Während der ganzen Zeit hatte das Geschrei im Hintergrund nicht aufgehört. Ich machte das Handy wieder aus und ging zu dem schreienden Mann. Es war der jüngere der beiden Männer im Anzug. Er lag auf der Seite und hielt sich mit der Hand die linke Hüfte. Zwischen seinen Fingern sickerte Blut hervor. Sowohl der Tag als auch der Anzug waren ihm gründlich versaut worden, aber ich wusste, er würde es überstehen.
»Ich bin getroffen worden!«, brüllte er, während er sich auf dem Boden wand. »Scheiße, ich bin getroffen worden!«
Als ich aus der Erinnerung an meinen Esszimmertisch zurückkam, begann Art Pepper gerade, mit Jack Sheldon an der Trompete, »You’d Be So Nice To Come Home To« zu spielen. Ich hatte mindestens zwei oder drei Pepper-Versionen des Cole-Porter-Standards auf CD. In jeder davon attackierte er den Song, riss ihm sämtliche Eingeweide heraus. Anders konnte er einfach nicht spielen, und es war diese Unerbittlichkeit, was ich am meisten an ihm mochte. Sie war das, was ich mit ihm gemeinsam zu haben hoffte.
Ich schlug meinen Notizblock auf einer frischen Seite auf und wollte mir gerade eine Notiz zu etwas machen, was ich in meiner Erinnerung an die Schießerei gesehen hatte, als es klopfte.
Ich stand auf und ging den Flur hinunter und spähte durch den Spion. Dann ging ich rasch ins Esszimmer zurück und nahm ein Tischtuch aus dem Geschirrschrank. Das Tischtuch war nie benutzt worden. Es war von meiner Frau gekauft und für den Fall, dass wir mal jemanden einladen würden, in den Geschirrschrank gelegt worden. Aber wir luden nie jemanden ein. Ich hatte die Frau nicht mehr, aber das Tischtuch konnte ich jetzt gut gebrauchen. Es klopfte noch einmal. Lauter diesmal. Ich deckte rasch die Fotos und Dokumente zu und kehrte an die Tür zurück.
Kiz Rider kehrte mir den Rücken zu und schaute auf die Straße, als ich die Tür öffnete.
»Tut mir leid, Kiz. Ich war hinten auf der Terrasse und habe das erste Klopfen nicht gehört. Komm rein.«
Sie ging an mir vorbei und den kurzen Flur hinunter zum Wohn- und Essbereich.
»Woher weißt du dann, dass ich zweimal geklopft habe?«, fragte sie, als sie an mir vorbeiging.
»Ich, äh, dachte einfach, das Klopfen, das ich gehört habe, war so laut, dass es nur bedeuten konnte, wer an der Tür ist, muss …«
»Schon gut, schon gut, Harry, ich habe verstanden.«
Ich hatte sie fast acht Monate nicht mehr gesehen. Seit meiner Abschiedsfeier, die sie organisiert hatte. Sie hatte dafür die Bar des Musso’s gemietet und die ganze Hollywood Division eingeladen.
Sie betrat das Esszimmer, und ich sah ihren Blick über das zerknitterte Tischtuch wandern. Es war klar, dass ich etwas verbarg, und ich bereute sofort, es getan zu haben.
Sie trug ein anthrazitgraues Kostüm, dessen Rock bis unters Knie reichte. Das Outfit überraschte mich. In neunzig Prozent der Fälle, die wir als Partner zusammengearbeitet hatten, hatte sie schwarze Jeans, einen Blazer und eine weiße Bluse getragen. Das gestattete ihr Bewegungsfreiheit und notfalls konnte sie damit sogar laufen. Im Kostüm sah sie eher wie die Zweigstellenleiterin einer Bank aus und nicht wie ein Detective des Morddezernats.
Den Blick immer noch auf den Tisch gerichtet, sagte sie: »Oh, Harry, wie schön du den Tisch immer deckst. Was gibt’s zum Mittagessen?«
»Entschuldige. Ich wusste nicht, wer an der Tür war, und deshalb habe ich rasch das Tischtuch über ein paar Sachen geworfen, die ich gerade rausgeholt hatte.«
Sie wandte sich mir zu.
»Was für Sachen, Harry?«
»Nichts Besonderes. Nur ein alter Fall. Aber erzähl doch, wie geht’s dir so bei der RHD? Besser als das letzte Mal, als wir uns gesehen haben?«
Sie war ein Jahr, bevor ich meinen Dienst quittiert hatte, nach Downtown befördert worden. Sie hatte Probleme mit ihrem neuen Partner und anderen Kollegen gehabt und mir ihr Leid geklagt. Ich war immer eine Art Mentor für sie gewesen, und das war auch nach ihrer Versetzung zur RHD so geblieben. Aber als ich es dann vorzog, den Dienst zu quittieren, statt mich zur RHD versetzen zu lassen, wo wir wieder Partner geworden wären, war damit Schluss gewesen. Ich wusste, dass sie das verletzt hatte. Dass sie meine Abschiedsfeier organisiert hatte, war eine nette Geste gewesen, aber von ihrer Seite auch das Lebewohl.
»Die RHD? Aus der Sache mit der RHD wurde nichts.«
»Wie bitte? Was soll das heißen?«
Ich war aufrichtig überrascht. Rider war der fähigste und intuitivste Partner gewesen, mit dem ich jemals zusammengearbeitet hatte. Sie war wie geschaffen für die Mission. Die Polizei brauchte mehr Leute wie sie. Ich war ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass sie in der Lage wäre, sich auf das Leben in der anspruchsvollsten Abteilung der Polizei einzustellen und gute Arbeit zu leisten.
»Ich habe mich im Sommer versetzen lassen. Jetzt bin ich im Büro des Chief.«
»Soll das ein Witz sein? O Mann …«
Ich war baff. Offensichtlich hatte sie sich dafür entschieden, Karriere zu machen. Wenn sie als Adjutantin des Polizeichefs arbeitete, zog man sie für einen Posten im Führungsstab heran. Daran war nichts auszusetzen. Ich wusste, Rider war ehrgeiziger als die meisten anderen Cops. Aber das Morddezernat war eine Berufung, kein Beruf. Ich hatte immer gedacht, sie würde das verstehen und akzeptieren. Sie hatte den Ruf gehört.
»Kiz, ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich hätte es nur besser gefunden …«
»Was, wenn ich mit dir darüber gesprochen hätte? Du hast die Brocken hingeworfen, Harry, oder hast du das schon wieder vergessen? Was hättest du mir geraten? Mich bei der RHD durchzubeißen, obwohl du selbst den Schwanz eingezogen hast?«
»Für mich war es was anderes, Kiz. Ich hatte zu viel Widerstand aufgebaut. Aufgestaut. Ich schleppte zu viel Ballast mit mir rum. Bei dir war das anders. Du warst der Star, Kiz.«
»Na schön, Sterne erlöschen. Der Dienst im zweiten Stock war mir zu kleinkariert, zu sehr von politischem Kalkül bestimmt. Deshalb habe ich mich anders orientiert. Vor Kurzem habe ich das Lieutenantsexamen gemacht. Und der Chief ist in Ordnung. Er will Dinge durchsetzen, hinter denen ich voll und ganz stehe und bei denen ich ihn unterstützen will. Komischerweise spielen im fünften Stock politische Erwägungen eine wesentlich geringere Rolle. Dabei möchte man doch meinen, es wäre genau umgekehrt.«
Es hörte sich an, als versuchte sie mehr sich selbst zu überzeugen als mich. Mich überkam ein Gefühl von Schuld und Versagen, und ich konnte nichts anderes tun, als zu nicken. Wenn ich bei der Polizei geblieben wäre und die Stelle bei der RHD angenommen hätte, wäre auch sie geblieben. Ich ging ins Wohnzimmer und ließ mich auf die Couch plumpsen. Sie folgte mir, blieb aber stehen.
Ich streckte die Hand aus, um die Musik leiser zu drehen, aber nur ein bisschen. Ich mochte den Song. Ich schaute durch die Schiebetür über das Sonnendeck auf das Bergpanorama auf der anderen Seite des Valley. Der Smog war nicht stärker als an den meisten Tagen. Aber irgendwie schien der bedeckte Himmel gut zu passen, als Pepper zur Klarinette griff, um Lee Konitz bei »The Shadow of Your Smile« zu begleiten. Der Nummer haftete etwas traurig Wehmütiges an, dem sich, glaube ich, auch Rider nicht entziehen konnte. Sie hörte schweigend zu.
Ich hatte die CDs von einem Bekannten namens Quentin McKinzie bekommen. McKinzie war ein alter Jazzer, der Pepper gekannt und Jahrzehnte früher im Shelly Manne’s und im Donte’s und einigen der anderen längst eingegangenen Jazz Clubs gespielt hatte, die mit dem Aufkommen des West Coast Sound in Hollywood entstanden waren. McKinzie hatte mir geraten, die CD