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Severin Groebner hat sich Gedanken gemacht. Über die Welt. Sich selbst. Und die Menschen. Auch die, die er nicht so gerne mag. Dieses Buch vereint die besten Glossen und Satiren des bekannten deutschösterreichischen Kabarettisten zu einem Alphabet des modernen Irrsinns. In Zeiten, wo die Orientierungslosen in Gruppen durch die Straßen marschieren und "Oléoléoléolé" schreien, will Groebner helfen. Mit einem Buch für die Sinn- und Unsinnsuchenden. Das "Lexikon der Nichtigkeiten" ist ein klassisches Rundumschlagwerk für alle, die schon immer wissen wollten, was Familie mit Körperflüssigkeiten zu tun hat, warum der Rentner als solcher eine Massenvernichtungswaffe ist oder warum die Wahrheit ansteckender ist als das Ebola-Virus. Von A wie "Architektur", über C wie "Cyberwar" und T wie "Tatortkommissare" bis hin zu Z wie "Zukunftsprognosen": Hier bekommt keiner sein Fett weg, dafür jeder eins auf die Zwölf. Also auch der Autor. Schließlich ist der auch ein Mensch und somit ein … ach, schlagen Sie einfach selbst nach. Unter M.
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Seitenzahl: 186
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Severin Groebners
Ein Rundumschlagwerk für Zeitgenossen
Severin Groebner
wurde 1969 in Wien geboren und lebt in Frankfurt/Main. Seit 1995 als Kabarettist tätig mit über 100 Gastspielen pro Jahr in Deutschland und Österreich, der Schweiz und Südtirol. Regelmäßige TV-Auftritte und zahlreiche Auszeichnungen: u. a. »Deutscher Kabarettpreis«, »Deutscher Kleinkunstpreis«, »Salzburger Stier«, »Österreichischer Kabarettpreis«.
Seit 2012 schreibt er eine wöchentliche Kolumne in der »Wiener Zeitung«. Zudem liefert er regelmäßige Satirebeiträge für Radio Österreich 1, Bayern 2, HR 1, WDR 5 sowie die taz.
Er ist Mitglied der »Lesebühne Ihres Vertrauens« in Frankfurt und der »Letzten Wiener Lesebühne«. 2011 erschien sein erstes Buch »Servus Piefke« (Südwest Verlag).
E-Book-Ausgabe Oktober 2018
© Volker Surmann, Berlin 2018
www.satyr-verlag.de
Cover: Nicolas Mahler
Korrektorat: Jan Freunscht
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über: http://dnb.d-nb.de
Die Marke »Satyr Verlag« ist eingetragen auf den Verlagsgründer Peter Maassen.
E-Book-ISBN: 978-3-947106-16-5
Vorwort, das
Abendland, das
Alter, das
Alkohol, der
Anfang, der
Angst, die
Antworten, die
Arbeit, die
Architektur, die
Bayern, die bzw. das
Beschweren, sich
Body, der (Neudeutsch, ehem. Engl.)
Buchhaltung, die
Burschenschafter, die
Cyberwar, der
Deutschland, das
Dialektik, die
Dinge des Lebens, die
Duell, das
Ego, das
Ehre, die
Empörung, die
Essen, das
Extremsportler, der
fair
Faksimilie, das
Familie, die
Ferne, die
FIFA, die
Flüchtling, der
Förderung, die
Frauen, die
Fußball, der
Geduld, die
Gemütlichkeit, die
Genuss, der
Geschlecht, das männliche
Geschlecht, das weibliche
Gewohnheit, die
Gott, der (seltener die bzw. das)
Gutmensch, der
Hass, der
Heilige, das
Heimat, die
Humor, der
Hund, der
Inhaltsverzeichnis, das
Internet, das
Jahren, Menschen in den besten
Jammern, das
Jugend, die
Kinder, die
Kindliche, das
Klasse, die besitzende
Kolumnist, der
Körper, der
Krieg, der
Krimi, der
Kultur, die
Kunst, die
Land, das
Lautstärke, die
Lesebühne, die
Lichtblick, der
Limit, das
Literat, der
Mann, der richtige
Medien, die sozialen
Mensch, der
Mentalität, die
Mode, die
Moral, die
Nachbar, der
Nation, die
Natürliche, das
Nordsee, die
Österreich, das
Pause, die
Philosoph, der
Politik, die
Populist, der
Porno, der
Preisverleihung, die
Qualität, die
Reisen, das
Religion, die
Rentner, der
Revolution, die
Schmäh, der
Schuld, die
Sex, der
Sommerloch, das
Sport, der
Stadt, die
Sterben, das
Sudern, das
Tatort-Kommissar/in, der/die
Theater, das
Therapeut, der
Twitter (ohne Artikel)
Ungesunde, das
Unkorrektheit, die politische
Verzicht, der
Volk, das
Völkerwanderung, die
Vorsatz, der
Wahrheit, die
Weihnachten, das
Weltuntergang, der
Wienerische, das
Wir, das
Wirtschaft, die
Xenophobie, die
Ypsilon, das
Zeit, die
Zukunft, die
Dank, der
Nachwort, das
Ganz ehrlich: Wer braucht ein Vorwort?
Niemand. Alle Leser überblättern es, um endlich zum Anfang der Geschichte vorzudringen. In diesem Fall aber gibt es nicht einmal eine Geschichte.
Natürlich könnte man auf den ersten Seiten des Buches gleich mal ordentlich auf die Pauke hauen: wie gewitzt der Autor doch ist, wie brillant seine Gedanken, wie poetisch seine Bilder, wie hintergründig sein Witz. Und wie glücklich sich der Leser doch schätzen kann, diese Perle der satirischen Kurzprosa in Händen halten zu dürfen. Jawohl, er möge auf die Knie sinken und dem Herrn (oder der Dame oder dem Dings – siehe → Gott) dafür danken, dass es dieses großartige Buch gibt, das alle Fragen beantwortet. Und wenn nicht … dann waren es keine wichtigen Fragen.
Ja, so könnte man durchaus ein Vorwort anlegen.
Wäre aber möglicherweise ein bisschen übertrieben.
Vielmehr (und nicht viel weniger) handelt es sich bei diesem Buch um gesammelte Texte, die der Autor seit Jahren für unterschiedliche Auftraggeber (ORF, BR, HR, Datum, taz, Wiener Zeitung oder sich selbst) produziert hat und nun in einem Akt des künstlerischen und intellektuellen Stillstands wie auch der wirtschaftlichen Not heraus versucht, einer Zweitverwertung zuzuführen. »Restlessen« nennt man das auf → Wienerisch.
Aber immerhin wurde der Autor für einen dieser Texte schon vor den österreichischen Presserat gezerrt. Eine der höchsten Auszeichnungen, die das Land an einen Satiriker zu vergeben hat.
Der Autor selbst nennt sich nämlich gerne so: Satiriker, nicht Presserat.
Was gibt es sonst über ihn zu sagen? Männlich (trotz dieses Vornamens), sich der Verwesung nähernd (weit über 40), heterosexuell (das merkt man!), weiß (genauer gesagt: bleich mit unschönen rötlichen Stellen), Brillenträger, Weintrinker, Biertrinker, Teetrinker (seltener), Klugscheißer, Maulheld, Kabarettist, gebürtiger Wiener (das merkt man auch!), Exwahlmünchner, Neufrankfurter (wie kann man denn nur?!) und – eben – → Kolumnist.
Gut, manche Texte sind natürlich überarbeitet, andere waren schon vorher auf diesem Niveau. Jetzt sind sie alle zusammengequetscht. In Form eines Lexikons.
»Rundumschlagwerk« nennt das der Autor, und das ist – so viel sei schon verraten – nicht der letzte maue Wortwitz, den die Leserschaft erwarten darf. Man legt das Buch also am besten aufs Klo (das ist ja der einzige Platz, wo man wirklich Zeit hat zum Lesen, die Buddenbrooks und die Bibel dagegen stehen ungelesen im Wohnzimmer) und liest ein, zwei oder drei Kapitelchen (je nachdem, wie lang man dort sitzt), und wenn man dann fertig ist, legt man das Buch wieder weg. Oder wenn man sehr anderer Meinung als der Autor ist, kann man die gelesenen Seiten auch gleich herausreißen, zerknüllen und einer hygienischen Zweitverwertung zuführen. Wir haben extra hartes Papier ausgesucht. Sie wissen ja: Satire muss auch ein bisschen wehtun.
Wenn man dann mit allem durch (und vom Buch noch was übrig) ist, stellt man es weg. Oder schenkt es einem Freund. Oder Feind – je nach Gefallen. Oder kann damit wackeligen Möbeln wieder Halt verleihen. Oder Blumen pressen. Oder es um halb vier Uhr früh aus dem vierten Stock auf einen hupenden Autofahrer werfen (das straf- und zivilrechtliche Risiko einer solchen Aktion liegt beim Werfenden). Egal was Sie mit dem Buch machen: Sie haben es schon bezahlt. Have fun!
So oder so, für all das braucht es wirklich eines nicht: ein Vorwort.
Der Autor hätte natürlich einen Kollegen fragen können, ob der ihm ein paar freundliche, salbungsvolle und den Autor lobpreisende Worte (also kurz gesagt: realitätsfernes Geschwafel) verfassen könnte. Ja. Wäre gegangen. Der Typ kennt Menschen, die von Menschen gekannt – und sogar gemocht – werden. Aber was dann? Dann gibt der Kollege zu spät ab, der Verlag kommt in Verzug, Produktionstermine purzeln, das Buch erscheint erst sieben Jahre später, ist veraltet, fällt bei Kritik und Publikum durch, das Künstlerseelchen des Autors ist gekränkt, er beginnt zu trinken, mehr zu trinken, noch mehr, Leberzirrhose, Delirium tremens, und seine letzten Worte gehen an den Kollegen und lauten: »Danke für dein Vorwort.«
Und das ist noch die angenehmste Variante.
Man stelle sich vor, der Kollege schreibt etwas. Etwas Witziges. Extrem Witziges. Dann liest das einer und sagt sich: Na, wenn das Vorwort schon so gut ist, möcht’ ich den Rest auch lesen. Er kauft sich das Buch und ist: enttäuscht. Verärgert. Richtig erbost. Verklagt den Verlag und den Autor. Die beiden zerstreiten sich darüber. Der Verlag geht pleite. Der Autor sowieso. Er beginnt zu trinken, mehr zu trinken, noch mehr, Leberzirrhose, Delirium tremens, und seine letzten Worte gehen wieder an den Kollegen und lauten: »Danke für dein Vorwort.«
Es könnte aber noch schlimmer sein: Der Kollege schreibt ein Vorwort, das gut zu dem Buch passt. Es wird gedruckt. Alles gut. Aber nun steht der Autor in der Schuld des Kollegen. Er muss ihn auf seiner Tour begleiten, in seine Radio- und TV-Shows kommen, sich auf allen Kanälen der → sozialen Medien mit ihm vernetzen. Sie werden die besten Buddys, und die Karriere des Autors nimmt plötzlich ungewohnten Aufschwung. Jetzt hat er selber die Fernseh- und Radioshows. Seine Meinung ist gefragt, sein künstlerisches Urteil wird verlangt, er hetzt von Jurysitzung zu Redaktionsbesprechung, von Studio zu Stadttheater. Das ist scheinbar schön, aber in Wirklichkeit sehr viel Arbeit. Und Stress. Dieser dauernde Druck. Er beginnt zu trinken, mehr zu trinken, noch mehr, Leberzirrhose, Delirium tremens, und kurz bevor es aus mit ihm ist, erscheint der Kollege an seinem Sterbebett und fragt: »Du, ich schreib jetzt noch ein Buch über dich. Daher eine Bitte: Könntest du das Vorwort schreiben?«
Also echt, da macht man das doch lieber gleich selbst.
Liest doch eh keiner.
Severin GroebnerFrankfurt/Main, Juli 2018(nach Diktat eingewiesen)
Das Abendland ist ein Verungnügungspark. Es ist ein Mega-Giga-Jahrmarkt für alle Generationen, ähnlich wie Disneyland oder Legoland. Nur mit dem Unterschied, dass man dieses Freizeitparadies nicht besucht, um fröhlicher zu werden. Im Gegenteil. Im Depripark Abendland herrscht immer extrem schlechte Stimmung. Aussagen wie »Alles super im Abendland!«, »Uns geht es prima hier im Abendland!«, »Abendland Yippiieyeah!« oder auch nur »Abendland – der Morgen danach« sind im Abendland unbekannt. Nein, dieses Endzeitparadies (Werbeslogan: »Abendland – ein Scheißgefühl für die ganze Familie«) ist immer bedroht. Es machen sich paranoide Verstimmungen breit. Vielleicht wegen des abnehmenden Lichts. Es herrscht ein ständiges Halbdunkel, sodass man nichts mehr richtig erkennen kann. Deswegen lässt sich das Abendland auch so schlecht beschreiben. Es gibt ja auch kaum Vergleichbares. »Nachmittagsgegend« kennt man nicht, auch keine »Mittagsorte« oder »Nachtplätzchen«. Einzig das Gegenstück zum Abendland kann man benennen: »Morgenluft«. Aber das hilft auch nicht wirklich weiter. Die kann wieder nur gewittert werden.
Wenn aber im Abendland Morgenluft gewittert wird, dann muss es gleich wieder gerettet werden. Denn es ist etwas sehr Fragiles. Die Attraktionen sind alle schon in die Jahre gekommen. Der Rost frisst sich durch Kruppstahl. Der Autoscooter läuft mit Diesel, der → Populist bietet hier seine Tickets feil, und aus den Lautsprechern wird in knatterndem Sound regelmäßig vorm »Untergang des Abendlandes« gewarnt. Es herrscht eine »Jetzt oder nie«-Stimmung.
Kommt aber mal der TÜV oder das Technische Hilfswerk und möchte sich ein klares Bild vom Zustand des Abendlands machen, lässt man sie nicht rein. Praktische Hilfe will man nicht. Die Betreiber bestehen darauf, alles selbst zu machen, nach dem Handbuch »Früher«. DEM Standardwerk aus der Ratgeberreihe »Die Welt für Dummies«.
Man sieht, in diesem spätnachmittäglichen Gebilde ist einiges schwieriger als anderswo. Vielleicht erklärt sich seine Eigenartigkeit aber auch durch das Publikum, das das Abendland anzieht. Hauptsächlich → Rentner durchstreifen die Gassen voller geschlossener Pommesbuden und Geisterbahnen mit den angeblich »schaurigsten Asylanten der Welt«. Die paar Jungen, die sich hierher verirren, rennen alle ins Spiegelkabinett »Identity«, betrachten sich selbst aus allen Winkeln und glauben deshalb, den Durchblick zu haben.
Die einzige wirkliche Attraktion des Abendlandes ist seine Beleuchtung. Nirgendwo sonst auf der Welt geht die Sonne dauernd gerade unter. Das ist wahrlich schön und verbreitet mit seinem orange-güldenen Glanz ein melancholisches Gefühl. Und in diesem Licht sieht auch das kaputteste Fahrgeschäft noch richtig erhaben aus. Und dazu kommt noch der geheime Special Effect des Abendlands: Wenn die Sonne so tief steht, werfen natürlich auch Zwerge ganz lange Schatten.
Deshalb ist das Abendland stets so gut besucht.
Das Alter ist weise oder mild.
Bleibt denen ja auch nichts anderes übrig, diesen Saudeppen von gestern.
Alkohol ist ein Spiel. Ein Gesellschaftsspiel. Und damit eine weitverbreitete Freizeitbeschäftigung.
Wenn man etwa »ein Bier trinken« geht, ist das eine gesellschaftlich anerkannte Tätigkeit. Außer es handelt sich um alkoholfreies Bier. Das wäre Schummelei.
Geht man dagegen eine Limonade, einen Ingwertee oder ein Glas Wasser trinken, dann ist das langweilige, biologisch notwendige Flüssigkeitszufuhr.
Aber nicht nur die hohe soziale Komponente ist Anreiz mitzuspielen. Auch die anderen Verlockungen des Spiels sind groß: Man wird eloquent, witzig, gut aussehend und hat vor niemandem mehr Angst. Oder anders gesagt: Man wird offensichtlich nicht schlauer davon.
Aber solange man spielt, merkt man das nicht, da das Spiel Alkohol behauptet, das echte Leben zu sein. Das einzige richtige. Womöglich die → Wahrheit.
Am nächsten Tag allerdings zahlt man alles zurück. Dann ist man still, uninspiriert, sieht aus wie ausgekotzt, fürchtet sich davor, das Haus zu verlassen, und ist der sicheren Überzeugung, gleich sterben zu müssen.
Die schnellste Möglichkeit, dieser »Katharsis anhaltender tragischer eigener Reue« (kurz KATER) zu entfliehen, ist, sofort weiterzuspielen.
Das ist aber nicht zu empfehlen. Denn am Schluss spielt der Spieler das Spiel so intensiv, dass er gar keine Mitspieler mehr braucht. So spielen langjährige Spieler Alkohol dann auch oft allein zu Haus, schon zum Frühstück oder während des Autofahrens.
Letztlich ist der Ausgang des Spiels aber immer von vorneherein klar: Denn es gibt bei diesem Spiel stets nur einen Gewinner, den Alkohol.
Und einen ewigen Verlierer: den Spieler.
Aller Anfang ist schwer, sagt man.
Allem Anfang wohnt ein Zauber inne, sagt man aber auch.
Insofern ist der Anfang ein schwerer Zauber.
Aber wer kann schon zaubern?
Angst ist eine ernste Angelegenheit. Denn sie macht süchtig. Und auch bei der Angst gibt es, wie bei allen Suchtgiften, eine Einstiegsdroge: die ehrliche Besorgnis. Und die wird dann geteilt. Auf Facebook etwa. So wird die Angst dann weitergereicht von Mensch zu Mensch, von Profil zu Profil, und sie wird immer mehr und mehr. Die Ängste breiten sich aus. Viral.
Da hilft es nichts, diesen Menschen zu sagen: »Ja, wir verstehen dich. Aber wir werden das schon hinkriegen.« Da fühlen die sich nicht ernst genommen. Denn das ist der Kick der Droge Angst: »Ich werde ernst genommen. Das ist wichtig.«
Denn so hebt sich der Bedeutungsspiegel im Blut, während der Sauerstoffspiegel gleichzeitig sinkt. Der Krankheitsverlauf ist einer Kohlenmonoxidvergiftung ähnlich. Das Hirn wird mehr und mehr unterversorgt, aber das stört den Süchtigen nicht. Im Gegenteil: Wird er erst mal ernst genommen, breitet sich erst dieses angenehme Unwohlsein in ihm aus. Von Befürchtungen umsorgt, ja aufgehoben, im Bund mit anderen Gleichgesinnten, mit denen er sich in der Behaglichkeit seines Zuhauses noch mehr fürchten kann.
Und dann erzählt man sich gegenseitig, was noch alles Schlimmes möglich wär’. Und es wird immer schlimmer und schlimmer, und wenn einem gar nichts mehr einfällt, dann erfindet man eben was. Hauptsache, es gruselt einen ordentlich. Denn wie bei jeder Droge ist auch ein Vergnügen dabei. Wohlige Schauer jagen einem den Rücken hinunter, die angenehme Besorgnis wird zum geilen Nervenkitzel, bis man gar nicht mehr aufhören kann. Neuer Stoff muss her, noch düsterer muss die Zukunft werden, noch grausamer die längst fälligen Gegenmaßnahmen. Denn jetzt hat sich die Angst schon längst in Angstlust gewandelt. Und weiter in Angstsucht. Der Angstabhängige verlangt nach dem immer noch größeren Kick. Schlimmer, böser, bedrohlicher muss es sein. Jaaa!
Da reicht nicht mehr die Angst um den Arbeitsplatz, es muss auch Haus und Herd bedroht sein, am besten die → Kultur, die Tradition, das → Abendland, die Identität! Es kommen nicht Schwierigkeiten auf einen zu, nicht Probleme, die man mit kluger Organisation in den Griff kriegen könnte … Nein, die totale Vernichtung droht! Die Apokalypse! Das Ende der Welt!
Deshalb muss man auch sofort zur allerhärtesten Abwehr greifen. Warum? Weil man recht hat. Und warum hat man recht? Weil man Angst hat!
Geiler Stoff.
Und es stimmt ja auch! Alle Bekannten und Freunde sind ja derselben Meinung. Denn alle, die eine andere Meinung gehabt haben und gesagt haben: »Na ja, man kann es aber auch so sehen …«, sind sofort angebrüllt worden, dass sie naiv seien (und am besten schreiben wir das ganz groß: NAIV!!!) und manipuliert und total verblödet! Und dann haben sie sich entfreundet. Was ja nur beweist, wie recht sie haben. Und deswegen dürfen die Angstabhängigen alles fordern. Auch das am besten in Großbuchstaben. ALLES! SOFORT!!! RADIKAL!!!
Vernunft, Empathie und Menschlichkeit werden in Grund und Boden getrampelt, weil die Ängstlichen, die Panischen, die Sich-dauernd-in-die-Hosen-Scheißenden vor lauter Angst kein Erbarmen kennen.
Insofern muss man eigentlich nur vor einem wirklich Angst haben: vor der Angst der Mitmenschen.
Antworten sind die Fragen von morgen.
Arbeit ist eine Gottheit. Die einzige. Die absolute. Niemals darfst du sie lästern durch Müßiggang. Sie will Opfer, und du bekommst dafür die Bestätigung, ein wertvoller Mensch zu sein. Denn wer arbeitet, ist gut, wer nicht arbeitet, ist verflucht. Das ist das Wort der elendigen Arbeit, und sie muss es wissen, denn Arbeit ist ja Arbeit, und nur durch viel Arbeit ist Arbeit erst Arbeit geworden.
Vergiss nie: Je öfter und je mehr du arbeitest, desto besser wirst du.
Darum sei immer für deinen Gott da, geh im Urlaub ans Handy, ruf die E-Mails auf dem Klo ab, stell deinen Posteingangs-signalton so laut, dass du bei jeder Benachrichtigung glaubst, ein Hochseetanker teste gerade sein Nebelhorn. Neben dir. Denn du zählst nicht. Nur die Arbeit zählt.
Diene nicht deiner Arbeit, sei deine Arbeit.
Lebe für die Firma, sauf dich an mit Effizienzsteigerung, atme die Leistungsbilanzen, lass dir die Firmenphilosophie auf den Unterarm tätowieren. Und in deine DNA. Und auch den Namen vom Chef. Und von dessen Chef. Und von dessen Frau. Und deren Hund. Denn bei jeder Betriebsfeier sitzt er am Ende der Tafel und sie zu seiner Rechten und zu seiner Linken der blöde Hund. Schließlich hast du ja auch was davon. Denn mit der Arbeit kannst du alles legitimieren. Absolut alles. Du darfst laut im Zug in dein Handy brüllen, es wird keiner was sagen, solange du das für deine Arbeit brauchst. Du kannst Auto fahren wie ein Wildschwein mit Tollwut, drängeln, rücksichtslos die Lichthupe benutzen, mit 230 alle rechts überholen, alles okay – wenn du ganz dringend zu einem wichtigen beruflichen Termin musst. Du darfst Freunde und Familie vernachlässigen und deinen Partner wie ein Stück Dreck behandeln, wenn du aufgrund des Jobs keine andere Wahl hast, wird dir niemand einen Strick daraus drehen. Hätte Uli Hoeneß seinerzeit gesagt, er habe all seine Millionen nur deshalb in der Schweiz schwarz gebunkert, weil er das für seine Arbeit als FC-Bayern-Präsident gebraucht hat, wäre er straffrei ausgegangen. Vielleicht hätte er noch ein Trinkgeld vom Richter bekommen.
Denn nichts und niemand darf den Gläubigen bei der Arbeit stören. Sie ist sein Shangri-La, sein Paradies, sein Schlaraffenland. Freilich fliegen einem hier keine gebratenen Tauben in den Mund. Dafür wird fleißig an Flugrobotern gebastelt, die rohes Fleisch während des Transports bereits mit der Abwärme ihres Motors grillen, um es anschließend auf einem Teller zu platzieren und noch einen Patzen Barbecuesoße draufzuscheißen, damit der Kulinarik auch Genüge getan wird. Und sollte es sich herausstellen, dass dann zwar das alles gut funktioniert, nur leider überhaupt nicht schmeckt, so sagt der eine Gläubige dann dem anderen: »Egal, aber gute Arbeit!« Und schon ist alles gut.
Denn siehe: Das ist die Kraft und die Herrlichkeit und die Absicherung deines Kontoüberziehungsrahmens durch Arbeit. Amen!
Und jetzt: Weitermachen!!!
Gerne sagt man ja: Es stehen Fragen im Raum. Die Architektur nimmt diese Fragen beim Wort und steht dann da. Und kaum errichtet, stellt sie an jeden Betrachter wiederum eine Frage: Was bin ich? Warum gibt es mich? Was ist der Sinn meiner Existenz? Wozu?
Oft kann nur die Zeit die richtige Antwort geben. Manchmal auch eine tragische.
Der Völkerbundpalast in Genf zum Beispiel. Das Gebäude wurde 1936 eröffnet, und drei Jahre später war der Zweite Weltkrieg da. Heute ist es Sitz des UN-Hochkommissariats der Menschenrechte. Wer sich die Lage der Menschenrechte weltweit ansieht, wird bemerken: Dieses Gebäude hat kein Glück.
Oder das gigantische »Haus des Volkes« des rumänischen Diktators Ceauçescu in Bukarest. Dieses größte Verwaltungsgebäude Europas war noch im Bau, da wurde der Diktator schon von seinen Landsleuten an die Wand gestellt.
Oder das Gebäude der Europäischen Zentralbank in Frankfurt. Vor Kurzem erst fertig geworden, und schon ist die Währung … Nein, noch nicht.
Andererseits muss die Frage, die so ein Gebäude stellt, nicht zwangsläufig auch beantwortet werden. Manchmal müssen sich Generationen über Generationen mit möglichen architektonischen Antworten herumschlagen. Wenn man etwa über ein Gebäude sehr lange nachdenkt. Bestes Beispiel: Der Wiener Stephansdom.
Der steht mitten in der Stadt, und geht man um ihn herum und wirft dann einen Blick auf den Nordturm, dann sieht man: He! Das Ding ist ja noch gar nicht fertig!
Und dann denkt man, man könnte ihn ja mal fertig bauen: Aber wie? Und von wem? Und wer dann wieder alles mitredet und -streitet … Nein, eigentlich will das niemand. Aber darüber nachdenken wird man ja noch dürfen.
Dann gibt es da noch die knallharten finanziellen Fragen, die Architektur aufwirft.
Wenn man etwa sehr lange für ein Gebäude zahlt. Deutschland ist da zurzeit führend. Man nehme nur den Berliner Flughafen oder Stuttgart 21. Dafür werden noch Generationen bluten. Das heißt dann »Nachhaltigkeit«.
Aber auch in Wien gibt es Gebäude mit Langzeitwirkung. In der neuen Wirtschaftsuniversität im Prater stürzen seit der Eröffnung gerne schwere Platten von der Decke. Das hat auf seine Art auch eine sehr nachhaltige Wirkung, vor allem für jene, die drunter stehen, wenn so ein Ding gerade runterkommt.
Vielleicht soll das aber auch ein kleiner Gedankenanstoß für all die angehenden Betriebswirte sein, die ja gerne vom »freien Spiel der Kräfte« fabulieren.
Beständigere Formen der Architektur finden sich dort, wo man sie am wenigsten erwarten würde: im Nahen Osten.
Die Pyramiden von Gizeh zum Beispiel: umweltfreundlich (keinerlei CO2-Ausstoß), finanziell erträglich (so gut wie keine Wartungskosten) und trotzdem von hoher wirtschaftlicher und symbolischer Bedeutung (touristisch als Landmarke absolut perfekt einsetzbar). Eine architektonische Investition, die sich wirklich gelohnt hat.
In unseren Breiten hat sich dagegen eine ganz andere und ganz eigene Form der architektonischen Nachhaltigkeit entwickelt. Schlendert man etwa in Mitteleuropa durch die diversen Gewerbegebiete und Einkaufszentren, fällt einem sofort der Dichter Robert Gernhardt ein, der einst schrieb: »Dich will ich loben, Hässliches, du hast so was Verlässliches.«
Bayern ist schön.
Auch wenn es für den Österreicher zunächst ein Paradoxon darstellt:
So spricht der Bayer zwar eine verständliche Sprache (also kein Hochdeutsch), behauptet aber standhaft, ein »Deitscha« zu sein. Also ein Piefke. Das ist verwirrend. Dieses Misstrauen verwandelt sich aber sofort in eine unzertrennliche Bruderschaft voll Liebe und Respekt, sollte zu dem Bayern und dem Österreicher noch ein Berliner, Hamburger oder Kölner dazustoßen und meinen, »dat wir doch alle ausm selben Stall kommen«. Da weiß der Bayer wie der Österreicher sofort, wer hier nicht dazugehört.
Neben zahlreichen Gemeinsamkeiten (der bayrische »Zipfeklatscher« ist zum Beispiel das, was im → Wienerischen liebevoll »Peidlpracker« genannt wird) gibt es dennoch gravierende Mentalitätsunterschiede: In München gilt zum Beispiel: »Wer ko, der ko.« In Wien allerdings: »Wer was ko, der ko mi mal.«
Geografisch bildet die nördliche Grenze Bayerns in etwa der Fluss Main (benannt nach dem liebsten Possessivpronomen der örtlichen Bevölkerung), im Süden die Alpen. Deren höchste Erhebung in Bayern ist die – seit einem Kooperationsvertrag zwischen der bayrischen Landesregierung und der deutschen Lokführergewerkschaft so benannte – Zugspitze. Laut Durchsagen am Bahnsteig befindet sich dort meist die erste Klasse.