Liebe am Yangtze
Michael Pick
Copyright © 2023 Michael Pick
All rights reservedThe characters and events portrayed in this book are fictitious. Any similarity to real persons, living or dead, is coincidental and not intended by the author.No part of this book may be reproduced, or stored in a retrieval system, or transmitted in any form or by any means, electronic, mechanical, photocopying, recording, or otherwise, without express written permission of the publisher.CopyrightMichael PickImkenrade 15g23898 Sandesneben
Liebe am Yantzee
Michael Pick
Marcus Fraser legte den Wohnungsschlüssel auf die Mahagonieanrichte im Flur. Das mattsilbrig glänzende Metallstück wirkte wie ein Fremdkörper auf dem zweihundert Jahre alten, mit Bienenwachs gepflegten, Holz. Anerkennend glitt Marcus mit dem Zeigefinger über die Oberfläche. Alexandra besaß einen ausgeprägten Geschmack für antike Möbel. Er bewunderte nicht zum ersten Mal ihre Gabe, Einrichtungsgegenstände aus verschiedenen Jahrhunderten und aus unterschiedlichen Ländern zu kombinieren, dass sie wie ein Ganzes, Zusammengehörendes wirkten.
Regentropfen trommelten gegen die Tür. Gut möglich, dass Marcus nicht in dieses Ensemble passte, aber mit dieser Erklärung hätte er sich nicht ein Mal die Mühe gemacht, den Staub von der Oberfläche zu wedeln. Wenn er in der Vergangenheit etwas gelernt hatte, war es die Tatsache, dass seine Beziehungen mit der Zeit immer komplizierter wurden.
Als Marcus Alexandra von der bevorstehenden Reise nach China berichtete, war es, als hätte er ihrer Beziehung, die ohnehin verzweifelt nach Luft rang, endgültig die Luft abgezogen. Nur war es dieses Mal nicht seine Absicht gewesen. Und nicht er hatte es ausgesprochen; Alexandra war es, die ihm den Laufpass gegeben hatte. Kurz, knapp, fast emotionslos. Es erinnerte ihn an sich selbst.
Den Spiegel im Flur umgab ein Rahmen, wie ihn Marcus als Wandbordüre in einem alten Museum gesehen hatte. Er mochte sein Gesicht. Die griechisch kühne Nase, das dunkle Haar, nicht länger als ein Daumennagel. Grüne, durchdringende Augen, ein wenig kalt manchmal, vielleicht. Mit einem Meter achtzig war er mittelgroß, ausreichend, um nicht gedrungen zu wirken. Eine gute Figur, auch weil er jeden Morgen fünf Kilometer joggte. Arme und Beine nicht zu muskulös: Kraftsport verabscheute er.
Alexandra hatte nie viele Ansprüche an ein Leben mit ihm gestellt, das war ihm entgegen gekommen. Das, was er in allen Beziehungen zuvor getan hatte, musste er bei ihr nicht: sich verstellen. Vielleicht aber hatte sie ihm nicht zeigen wollen, was sie störte. Vielleicht hatte er ihr auch gar nicht so viel bedeutet. Diese Vielleichts wirbelten durch seinen Kopf wie ein Ballon, dem die Luft ausging.
Regentropfen klopften auf das Dach des Minicabs. Der Sitzbezug auf der Rückbank schimmerte karamellfarben; der Wagen roch nach Tannennadeln.
„Zum Flughafen“, rief Marcus dem Fahrer zu.
„Geht klar“, an der Antwort und der Stimme erkannte Marcus, dass der Fahrer eine Frau war.
„Soll ich Ihr Gepäck später holen?“, ihre Frage besaß einen ironischen Unterton.
„Nein, danke. Fahren Sie mich einfach zum Flughafen.“
Aus den Augenwinkeln vernahm Marcus das Kopfschütteln der Taxifahrerin.
Den gesamten Weg zum Flughafen regnete es.
Der Himmel in China war blauer als Marcus sich vorgestellt hatte. Wie ein grauer Golfschläger lag die Start- und Landebahn des Flughafens von Dangan in grüne Reisfelder gebettet.
In Ulan-Bator war er in die Tupolew-Propellermaschine der Air China umgestiegen. In der Kabine lag ein Duft von Hydrauliköl. Die Maschine ratterte, als wolle sie auf diese Weise Zeugnis ablegen, dass sie noch am Leben war. Marcus bewunderte den Chinesen neben sich, der jedes Luftloch teilnahmslos wegsteckte, als gehörte es zu einem Flug auf dieser Strecke, wie die Tasse Tee, die es am Anfang des Fluges gegeben hatte.
Der Mann, der nur durch den Gang von Marcus getrennt saß, war blass wie Aprilschnee. Er schien die einzige Flugbegleiterin, eine attraktive Asiatin, als seine persönliche Assistentin anzusehen. Im Laufe des Fluges hatte er vermutlich den gesamten Vorrat an Lebensmitteln, die sich an Bord befanden, vertilgt.
In diesem Augenblick übergab er sich zum dritten oder vierten Mal. Auch diesmal stand ihm die Flugbegleiterin zur Seite, hielt ihm einen giftgrünen Plastikbeutel unter den Mund und strich ihm mit der anderen Hand sanft über den Rücken. Der Kerl war so korpulent, dass er weder im Sitzen noch im Stehen seine Schuhspitzen sehen konnte. Marcus schätzte ihn auf drei Zentner, eher mehr als weniger. Das das Flugzeug keine Schlagseite besaß, grenzte an ein Wunder. Die Übelkeit hinderte den Mann indes nicht, seinen Nachbarn zwischen zwei Würgereizen um Erdnüsse zu bitten.
Nicht, dass Fraser an jedermann die gleichen Maßstäbe stellte, wie er sie für sein Leben festgelegt hatte. Aber dieser Zeitgenosse hier verhielt sich auf seine Art zugleich abstoßend wie Ekel erregend. Die kurzen Atemzüge zwischen den Spukkrämpfen, dass Rasseln seiner Lungen, das tiefe Glutrot seiner Haut, das Wabbeln der Fettschichten, der sackähnliche Zuschnitt seiner Kleidung, all das baute eine tiefe Schlucht zwischen ihm und Marcus, tiefer und breiter noch, als es der Gang im Flugzeug leisten konnten.
Zu allem Überfluss wandte er sich an Marcus.
„Fliegen macht unglücklich.“
Und einsam, dachte Marcus.
„Warum nutzen Sie kein anderes Verkehrsmittel, wenn Sie das Fliegen nicht vertragen?“
„Haben Sie China schon einmal außerhalb eines Flugzeuges bereist? Die haben hier Autos, da passt allenfalls ein Bein von mir rein. Von den Straßen ganz zu schweigen.“
Unbewusst fiel Marcus Blick auf den linken Oberschenkel seines Gesprächspartners und er stellte sich vor, mit dem Körperteil allein in einem Auto durch China zu fahren. Aber warum sollte jemand so etwas tun?
„Theobald van Dryme“, vor Marcus Gesicht waberte unvermutet eine Hand mit Currywurstfingern.
„Marcus Fraser.“
„Sind Sie Schotte? Fraser ist der Name eines Hochlandclans, nicht wahr? Wissen Sie, ich bin ein großer Fan von Schottland. Grandiose Landschaft, passables Wetter, auf keinen Fall zu warm. Nur das Essen …“
„Ich bin Kanadier. Meine Vorfahren stammten allerdings aus Schottland und kamen vor zweihundert Jahren nach New Dundee in Nova Scotia.“
Unter der Maske der fetten Backen, schien es Marcus plötzlich, saß ein verschlagener Zwerg.
„Ich komme aus Holland. Aus Utrecht. Waren Sie schon einmal in Utrecht?“
Marcus schüttelte den Kopf und hoffte, damit ihre Konversation beendet zu haben. Aber den Dank dafür schuldete er der Durchsage des Kapitäns, der die unmittelbar bevorstehende Landung in Dangan ankündigte.
Die Stewardess half den Fluggästen beim Anlegen der Sicherheitsgurte. Marcus lehnte sich zurück und betrachtete die Frau. In ihrem teerschwarzen, überschulterlangen Haar spiegelte sich die Beleuchtung des Flugzeugs wider. Die knabenhafte Figur machte sich ausgesprochen anschaulich in ihrem grauen Flugbegleiterinkostüm, während die weiße Bluse ihre sonnengebräunte Haut betonte.
„Nicht schlecht, was?“, van Dryme zwinkerte dreist mit dem Auge und warf sein Doppelkinn in Richtung Flugbegleiterin.
Marcus dachte für einen Augenblick, welches Bild die beiden beim Liebesakt geben würden und unwillkürlich fühlte er einen Brechreiz in seinem Hals aufsteigen. Gleichzeitig tat ihm die Frau leid, dass er reflexartig ihren Arm streichelte, als sie an ihm vorüberging. Der skeptische Blick und die hochgezogene linke Augenbraue brachten ihn soweit, dass er sich mit einer Handbewegung entschuldigte, während van Dryme ihn anzüglich angrinste.