Liebe, Leben, Lippenstift - Luisa Lenz - E-Book

Liebe, Leben, Lippenstift E-Book

Luisa Lenz

4,8

Beschreibung

Worum geht‘s? Es geht um Menschen aller Couleur. Sie laufen sich über den Weg oder treffen sich in einer urigen Kneipe an der Ecke. Jeder hat jedem etwas zu erzählen. Wie so oft geht es dabei um Liebe, Fügung, Verlorenheit und Wunschdenken. Jeder Blick ist ein besonderer Augenblick, wird zum Intermezzo im täglichen Karneval des Lebens.

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Inhaltsverzeichnis

Mittendrin

Bittere Süße

Bella Italia

Lothar Lothersen

Das Flüstern des Windes

Der Mann an der Bar

Brief

Alles ist nirgendwo gut

Das geflügelte Wort

Einer unter Vielen

Frieda

Der andere Name

Eskapade

Oma sinniert

Sommer in der Altstadtgasse

Mittendrin

Ein skeptischer Blick zum Himmel lässt nichts Gutes erwarten.

In kürzester Zeit hatte sich da oben so einiges zusammen gebraut, ein Unwetter zieht auf.

Rita beschleunigt ihren Gang, sie ist fest verabredet, die Zeit drängt mal wieder und außerdem will sie trockenen Fußes der drohenden Naturgewalt entkommen.

Ungeachtet dessen schickt der Himmel seine Vorboten, präsentiert sich, als wolle er schlagartig explodieren, begnügt sich allerdings mit einem Platzregen. Kurz aber heftig zeigt er seine Stärke, versucht, blitzschnell die Stadtluft von Schadstoffen zu befreien. Was übrig bleibt, ist eine ungemütliche Feuchtigkeit.

Fröstelnd mit hochgezogenen Schultern überquert Rita den trostlos aussehenden Rathausplatz. Deutlich tönen die Glockenschläge der alten Rathausuhr, verhallen auf den nahezu menschenleeren Vorplatz.

Es ist achtzehn Uhr.

Gleich hat sie es geschafft, noch ein paar Schritte, dann wird sie wieder mit den altvertrauten Frauen am runden Tisch sitzen.

Heute ist Stammtischzeit.

Kennengelernt hatten sie sich über ein Inserat, Bella war die Initiatorin, hatte mit ihrem Aufruf «Frau sucht Frauen für gesprächige Stunden am runden Tisch» einen nachhaltigen Erfolg. Viele kamen, einige gingen, andere blieben sitzen, hatten sich an jenem Abend gesucht und gefunden.

Wie immer, werden sich auch heute alle Themen bezüglich Familie, Berufsleben oder Diskussionen übers politische, Aneinanderreihen.

Gleichwohl darf die unergründliche Liebe mit all ihrer Bitterkeit und Süße nicht zu kurz kommen.

In der Altstadtgasse werfen die nostalgischen Straßenlaternen gelbliches Licht auf das nasse Kopfsteinpflaster, weisen den Weg zur urigen Pinte im Fachwerkhaus.

Insider mögen diese Kneipe, genauso Otto, den Wirt mit seiner Eigenart.

Unter anderem ist Usus, dass er zur Mitternachtsstunde seine bronzefarbene Tischglocke schwingt, um die letzte Runde einzuläuten.

Außer dienstags, dienstags ist Ruhetag.

Bevor Rita die schwere Kneipentür aufzieht, inhaliert sie noch einmal frische Luft, atmet tief durch, um anschließend in eine typische Wirtshausatmosphäre einzutauchen.

Verbrauchte Luft, Lachen, Gemurmel, unüberhörbar das Zurechtrücken von Stühlen, ebenso der übliche Klang vom Tresen überfällt sie. Die Geräuschkulisse schwirrt durch die Luft erreicht sie geballt, entweicht durch die geöffnete Tür.

Alte und Junge sitzen zusammen, zumeist sind es Stammgäste, hier und da ein paar zufällige Besucher. Jeder hat jedem irgendetwas zu erzählen.

Hinten in der Ecke sind bereits die Stammtischmädels, sitzen an ihrem angestammten Tisch in der Runde und warten auf Rita.

Mittlerweile ist im beschaulichen Stadtkern Feierabend. Manni hat ebenfalls Schluss gemacht, geht zielsicher durch die Seitengasse, wartet wie üblich gegenüber der Kneipe.

Seine Meile ist die Fußgängerzone, wo er heute lange durchgehalten hatte, so lange, bis der starke Regen einsetzte und den Fußgängern lange Beine machte. Ein oder zwei mal in der Woche sieht man ihn dort. Er hält für jedermann sichtbar das aktuelle Exemplar «draußen!» hoch. Manch einer nahm eins mit, rundete auf und gab ihm zwei Euro dafür. Andere Passanten hatten schon darin gelesen, begrüßten ihn per Handschlag und hielten einen Small Talk. Wieder andere verzichteten aufs Blatt, drückten im jedoch spontan eine Spende in die Hand.

Manni ist einer der vielen Langzeitarbeitslosen, der heutige Verdienst sein Zubrot im schmalen Alltag.

Immer freitags rechnet Otto mit ihm, klopft an die Fensterscheibe, winkt den Wartenden herein.

Drinnen legt Manni, die übrig gebliebenen Straßenmagazine zu den bunt bedruckten Werbeflyern aufs Tischchen. Oben drüber hängt die Schiefertafel, worauf das Tagesgericht in weißer Kreide für alle deutlich lesbar geschrieben steht.

Otto begrüßt ihn per Handschlag, spendiert ihm wie immer eine Cola und das Tellergericht nach Art des Hauses. Viel Neues gibt es nicht zu erzählen und bevor Manni den Abend beendet, lässt er das letzte Straßenmagazin liegen. Oben auf findet er ein paar Euros, steckt sie schnell in seine Hosentasche.

Otto ist ein Guter, einer vom alten Schlag, wie man so sagt. In seiner Schublade vom Thekenschrank liegen spezielle Bierdeckel mit speziellen Strichmustern von ebenso speziellen Gästen. Jeweils am Ersten oder sporadisch zwischendurch, sowie es Geld gegeben hat, werden alle Schuldendeckel pflichtgetreu eingelöst.

Die Abende in der Stammkneipe sind immer kurzweilig.

Die gestandenen Frauen haben sich viel zu erzählen, grübeln über Gott und die Welt. Die vertraute Stimmung erlaubt Sonnen- wie auch Schattenseiten infrage zu stellen, gewährt behutsame Blicke in Seelenwelten.

Bella ist heute Abend inspiriert, versucht mit einem Denkanstoß, die Lebensgeister der Mitfrauen in eine neue Richtung zu lenken. Sie erzählt von einer Idee.

«Wir haben in den Jahren diskutiert und lamentiert, über so manche Geschichte geschmunzelt oder waren bewegt. Das sind hervorragende Anregungen und darum wollte ich Euch für ein neues Projekt begeistern.

Wir sollten Einiges schriftlich festhalten. Zum einen, damit uns nichts verloren geht, zum anderen könnten wir unsere Geschichten in einem Sammelband verewigen».

Die Anspannung in den Gesichtern der Frauen ist zu erkennen. Sie haben diesbezüglich keinerlei Erfahrung, zeigen Skepsis gepaart mit Unsicherheit. Aufgeregt diskutieren sie, haben viele Fragen und wollen Vorschläge hören. Nach einem temperamentvollen Ideenaustausch zeigt sich dann doch ein zaghaftes Öffnen.

Mit einem Mal geht ein Raunen durch die Kneipe und die Frauen werden erst einmal vom Thema abgelenkt.

Zur späten Stunde kommt Onkel Willi herein. Der kurios aussehende Mann hebt sich von der Masse ab, sticht ins Auge. Er trägt einen speckigen Cowboyhut, eine bunt gemusterte Jacke und braune Stiefel. Bestimmt war er einmal ein attraktiver Mann, das verrät sein markantes Gesicht, wenngleich das gelebte Leben deutliche Spuren hinterließ. Unter dem verbeulten Lederhut lugt sein grauer Männerzopf. Er sieht etwas mickrig aus und landet kraftlos auf den abgewetzten Jackenkragen.

An der Theke ist noch ein freier Platz. Otto streckt ihm einladend die Hand entgegen, tut einen aus, das Übliche, ein Korn ein Bier.

Der andersartige Stammgast löscht mit einem kurzen danach mit einem kräftigen Zug seinen Durst. Beim letzten Schluck wird es mucksmäuschenstill. Alle Augen richten sich erwartungsvoll auf den Mann, der Heißdurst hatte.

Der Lebenskünstler holt seine Mundharmonika aus der Tasche, umfasst sie wärmend, setzt sie dann zum Musizieren tief zwischen seine Lippen. Zur Einstimmung spielt er mit dem leicht rhythmischen Kippeln einen Mississippiblues, auf einer Skala von klagend bis klagend, mit einer tiefen Melancholie.

Dann jedoch versetzt er die Anwesenden ungehemmt in eine gegensätzliche Stimmung.

Geleitet vom harmonischen Körpereinsatz bringt er fetzige Musikeinlagen aus dem breiten Genre der Countrymusik.

Helle Begeisterung, kräftiger Applaus, lautstarkes Zustimmen und ein weiteres Gedeck vom Wirt sind ihm sicher. Einige Gäste verbinden den nötigen Gang, um ihm ohne Aufheben eine Zuwendung in seine Jackentasche zu stecken, klopfen brüderlich auf seine Schulter, gehen eilends weiter zum stillen Örtchen. Er ist bekannt in Stadt und Land. Beim Musizieren fliegen ihm die Herzen zu. Wer er ist, woher er kommt, wohin er geht, weiß niemand so genau.

Die Zeit fliegt nur so dahin, es ist mal wieder spät geworden. Nach und nach verabschieden sich die Gäste mit einem verstohlenen Gähnen. Die Luft ist verbraucht, die Tische sind abgeräumt, die Kerzen erloschen.

An der Theke stehen noch zwei Männer, halten sich fest am letzten Glas Bier.

Sie müssen loslassen. Otto hatte längst die bronzefarbene Tischglocke geschwungen.

Drei Wochen sind mal wieder vergangen, das Kalenderblatt erinnert:

«Stammtisch bei OTTO».

Die lebenserfahrenen Frauen setzten den Impuls in die Tat um, sind motiviert und stellten sich der Herausforderung.

Sie versuchten aufzuschreiben, was mit Erinnerungen verbunden ist. Allerdings fielen die Eingebungen nicht vom Himmel.

Einzelheiten aus Geschehnissen wollten wieder entdeckt werden, Gedanken im Jetzt benötigten Achtsamkeit, die Fantasie erhielt ihre Chance und die Träume füllten Spielräume.

Geduld, Übung und Zeit bekamen eine neue Wertigkeit.

Jede Begebenheit lässt Wirklichkeit erkennen, stimmt nachdenklich, lässt das Gute gut sein, erlaubt vom Glück zu träumen, strandet mitunter auf dem Boden der Tatsache.

Gestandene Frauen führen Regie, nicht nur am Stammtisch, nahezu täglich, unermüdlich auf eine unnachahmliche Art.

Sie treten auf, ohne Wenn und Aber, haben eine psychische und physische Power, mit der sie die täglichen Ereignisse und deren Aufgaben bewältigen.

Bella ist so eine. Sie sprüht mal wieder vor Energie, ist durch und durch Frau, eine Hübsche, Sympathische, Aufgeschlossene, Moderne, eine rundum Interessante. Sie kann zum Beispiel ohne Punkt und Komma reden, darüber hinaus philosophieren über das Sein oder Nichtsein im momentanen Dasein. Mit gut fünfzig ist sie die Jüngste unter den Stammtischfrauen, darüber hinaus überzeugte Singlefrau, arbeitet seit vielen Jahren in einem Verlagshaus. Im Job muss sie mit Literatur arbeiten, in der Freizeit liebt sie die Literatur.

Seit Jahren engagiert sie sich nach Büroschluss im Frauen-Forum, unterstützt Frauen bei der Wiedereingliederung ins Berufsleben, steht ihnen bei der Realisierung einer Existenzgründung mit Sachverstand zur Seite. Im Laufe ihres Lebens hat sie viele Charaktere kennengelernt, mehr oder weniger von guten und schlechten Schicksalen gehört. Das Wissen darum lässt sie um so mehr mit beiden Beinen fest im Dasein stehen.

Sie liebt nicht nur Bücher, sie liebt auch dynamische Malereien, für sie, ein erholsamer Ausgleich zum facettenreichen Alltag.

Zum Malen bevorzugt sie Acrylfarben. Anschließend setzt sie ihre Ideen temperamentvoll um, indem sie kontrastreich mit ausdruckstarker Spachteltechnik experimentiert.

Die fertigen Darstellungen fordern mitunter den Betrachter. Oft braucht er ein tolerantes Kunstverständnis, um in der künstlerischen Verfremdung ein Wesentliches zu erkennen.

Bella ist ein Genießertyp, steht zur vollschlanken Figur mit auffallend weiblichen Kurven. Sie schätzt ihre Unabhängigkeit, lebt und liebt leidenschaftlich. Alles in allem ist sie keine Kostverächterin. Was Bella glaubt, haben zu müssen, nimmt sie sich vom Leben, erwartet nichts von anderen, nichts, was sie selbst hätte regeln können.

Karin, einst eine gut aussehende, modisch aufgeschlossene Frau, hatte als Sekretärin einen tollen Job in einer Anwaltskanzlei. Heute sitzt sie still am Tisch, sieht blass aus. Die Mütze im Chemostil hat sie zu Hause gelassen, trägt zum ersten Mal eine Perücke, welche speziell von einer geprüften Zweithaarspezialistin angefertigt wurde. Für Karin ist die neue Haarpracht gewöhnungsbedürftig, wie auch für die Mitmenschen. In den letzten Monaten ist sie für die Frauenrunde wie ein Sorgenkind. Karin hofft vor jedem Arztbesuch auf bessere Tumorwerte.

Nach einer Vorsorgeuntersuchung erhielt sie die Hiobsbotschaft Lungenkrebs. Von da an begleiten sie folgenschwere Gedanken, stets zugegen, nicht mehr loslassen.

Kann sein, sagt sie immer wieder, dass eine familiäre Vorbelastung ihr Schicksal ist.

Kann sein, denn der Vater war Lohnarbeiter in einem Zementwerk.

Kann sein, damals trugen die gefährdeten Werktätigen keinen Mundschutz. Regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen wurden versäumt. Der Vater starb vor vielen Jahren an Krebs, der ursprüngliche Tumor wurde nicht gefunden.

Karins Ehemann ist liebevoll jedoch irgendwie hilflos, versucht, sich unermüdlich einzubringen. Beide müssen realisieren, mit dem negativen Verlauf der Wahrscheinlichkeit umzugehen.

Die Kinder sind anders betroffen. Ein jedes verkraftet den Schicksalsschlag auf seine Art, mit einem trostlosen Wissen um das leidvolle Dahinschwinden der Mutter.

Gezeichnet von der Krankheit gibt Karin nicht auf, beansprucht jede nur denkbare Lebenshilfe, klammert sich an alle Strohhalme dieser Welt. Sie kommt nicht mehr regelmäßig. Ist sie jedoch mit von der Partie, dann genießt sie wie alle Frauen, wieder einmal unter Frauen zu sein.

Monika hingegen ist eine in sich ruhende Frau, so oder so. Sie ist zweifache Großmutter, hat seit über dreißig Jahren einen gutmütigen Mann an ihrer Seite. Das Eheleben ist christlich mit sozialem Engagement. Sie ist gelernte Köchin, arbeitete viele Jahre in der Kantine einer Behörde, gab den Job für die Familie auf. Thema Nummer eins ist und bleibt die Großfamilie. Die alleinerziehende Tochter hat ein Kind, ist berufstätig und bewohnt die Einliegerwohnung im Elternhaus. Monika übernimmt den geregelten Tagesablauf für die Familienmitglieder und hat ohne erkennbare Ermüdungserscheinungen alles im Griff. Das stete Bewusstsein, wie eine (Groß)mutter unentbehrlich zu sein, lässt die eigenen Belange in den Hintergrund treten, denn sie erscheint in letzter Zeit etwas hausbacken.

Die pflegeleichte Bobfrisur, der zeitlose und praktische Kleidungsstil wie auch die bequemen Schuhe sehen eher bieder aus. Der modische Akzent ging verloren, stattdessen setzte sie an anderer Stelle Prioritäten.