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Wie erobert man das Herz einer Frau? Wie hält man die Liebe frisch? Und: Welche Liebesstellung ist die beste?In seinem Lehrbuch "Liebeskunst" gibt Ovid Ratschläge. Zwei Drittel davon richten sich an den Mann – hat er sie etwa nötiger? – ein Drittel an die Frau, Tipps zur Schönheitspflege inbegriffen. Auch wenn manches 2000 Jahre später nur noch bedingt zu empfehlen ist: Bis heute wird die "Liebeskunst" eifrig gelesen, nicht nur von Altphilologen.
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Seitenzahl: 291
Ovid
Liebeskunst
Aus dem Lateinischen übersetzt und herausgegeben von Michael von Albrecht
Reclam
Alle Rechte vorbehalten
© 1992, 2016 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
Gesamtherstellung: Reclam, Ditzingen
Made in Germany 2016
RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
www.reclam.de
ISBN 978-3-15-961125-9
Kennt einer in diesem Volk die Liebeskunst nicht, so lese er dieses Gedicht und sei danach ein Meister in der Liebe! Kunst steuert1 Schiffe, die mit Segel und Ruder angetrieben werden, Kunst lenkt leichte Wagen, Kunst muss auch Amor lenken. [5] Automedon ging geschickt mit Wagen und geschmeidigen Zügeln um, Tiphys war auf dem Argonautenschiff Steuermann. Mich hat Venus zum Lehrmeister für den zarten Amor bestellt. So mag ich denn Amors Tiphys und Automedon heißen. Er ist zwar wild, so dass er sich oft gegen mich sträubt, [10] aber er steht noch im Knabenalter, das bildsam ist und sich lenken lässt. Der Sohn der Phillyra2 bildete Achill als Kind im Zitherspiel aus und dämpfte seinen wilden Sinn durch die sanfte Kunst. Er, der so oft die Bundesgenossen, so oft die Feinde erschreckt hat, soll den Greis, so alt er auch war, sehr gefürchtet haben; [15] die Hände, die Hektor zu spüren bekommen sollte, streckte er hin, um Hiebe zu empfangen, wenn der Lehrer es verlangte. Chiron ist der Lehrer für Achill, ich bin es für Amor. Beide Knaben sind wild, beide von Göttinnen geboren. Doch auch des Pflugstiers Nacken bequemt sich unter das schwere Joch, [20] und das stolze Pferd scheuert mit dem Zahn das Gebiß. So wird mir Amor nachgeben, mag er mir mit seinem Bogen die Brust auch noch so tief verwunden, mag er auch seine Fackeln schütteln und schwingen! Je schwerer mich Amor getroffen, je heftiger er mich gebrannt hat, desto besser tauge ich zum Rächer für die mir zugefügte Wunde. [25] Ich will nicht lügen, o Phoebus3, du hättest mir deine Künste verliehen; mich mahnt auch keine Vogelstimme aus der Luft, und Clio und ihre Schwestern4 sind mir nicht erschienen, während ich in deinen Tälern, Ascra, Schafe hütete. Erfahrung ist die Triebfeder dieses Werkes! Gehorcht dem kundigen Seher! [30] Wahres werde ich singen. Mutter Amors, steh mir in meinem Unternehmen bei! Bleibt fern, feine Kopfbinden, Kennzeichen der Sittsamkeit, und du, langer Besatz, der die Füße halb bedeckt! Wir werden sicheren Liebesgenuss und erlaubte Heimlichkeiten besingen, und in meinem Gedicht wird kein Verbrechen gelehrt.
[35] Erstens bemühe dich, einen Gegenstand für deine Liebe zu finden, der du jetzt als Rekrut in der Liebe zum ersten Mal deinen Dienst antrittst. Die nächste Aufgabe ist, das Mädchen deiner Wahl durch Bitten zu erweichen; die dritte, der Liebe lange Dauer zu verleihen. So weit unser Plan. Auf diesem Feld wird unser Wagen seine Spur ziehen, [40] an dieser Wendemarke unser eilendes Rad scharf vorbeistreifen.
Solange es dir freisteht und du am lockeren Zügel überall umherschweifen kannst, erwähle die, zu der du sagen willst: »Du allein gefällst mir.« Sie wird zu dir nicht vom blauen Himmel herabfallen, du musst schon mit eigenen Augen nach einem geeigneten Mädchen Ausschau halten. [45] Der Jäger weiß wohl, wo er für die Hirsche die Netze spannen soll, er weiß wohl, in welchem Tal der zähneknirschende Eber sich aufhält; den Vogelstellern sind die Büsche bekannt; der Mann, der die Angelrute hält, weiß, in welchen Gewässern viele Fische schwimmen; du auch, der du einen Gegenstand für eine dauerhafte Liebe suchst, [50] lerne zuvor, wo Mädchen in großer Zahl zu finden sind! Ich will dir nicht befehlen, auf deiner Suche die Segel dem Wind anzuvertrauen; um fündig zu werden, brauchst du nicht mühsam einen weiten Weg zurückzulegen. Lass doch Perseus seine Andromeda von den schwarzen Indern holen und den Phryger5 die Griechin rauben! [55] Dir wird Rom so viele und so schöne Mädchen geben, dass du sagst: »Diese Stadt hat alles, was es je auf der Welt gegeben hat.« Wie viel Saatfelder Gargara hat, wie viel Reben Methymna, wie viel Fische das Meer, wie viel Vögel das Laub birgt, wie viel Sterne der Himmel, so viele Mädchen hat dein Rom! [60] In der Stadt ihres Aeneas hat seine Mutter ihr Standquartier aufgeschlagen. Lockt dich die früheste, noch heranwachsende Jugend, werden dir wirkliche Mädchen unter die Augen kommen; begehrst du eine junge Frau, werden dir tausend gefallen. Du wirst die Qual der Wahl haben! [65] Und wenn dich vielleicht das reife und weisere Alter erfreut, so wird auch diese Schar, glaube mir nur, mehr als zahlreich sein!
Schlendre du nur lässig im Schatten der Säulenhalle des Pompeius6 dahin, wenn die Sonne in das Zeichen des herculischen Löwen getreten ist7, [69] oder dort, wo zu der Stiftung des Sohnes die Mutter die ihre8 hinzugefügt hat, ein Bauwerk, reich an ausländischem Marmor. Vermeide auch nicht die Säulenhalle, die, mit alten Gemälden geschmückt, nach ihrer Gründerin die livianische9 heißt, und auch diejenige10 nicht, in der die Beliden sich befinden, die es wagten, ihren unseligen Vettern den Tod zu bringen (ihr grausamer Vater steht mit gezücktem Schwerte da). [75] Lass dir auch nicht das Fest des Adonis11 entgehen, um den Venus weint, und den geheiligten siebten Tag12, den der syrische Jude feiert! Meide auch nicht den memphitischen Tempel der Göttin in Kuhgestalt13 mit ihren linnenen Gewändern! Sie macht aus vielen Mädchen das, was sie selbst für Iuppiter war. Auch die Marktplätze sind – wer könnte es glauben? – für die Liebe geeignet, [80] und auf dem wortreichen Forum hat so mancher seine Flamme gefunden. Wo beim marmornen Tempel der Venus14 die appische Nymphe Springbrunnen in die Luft schießen lässt, dort wird oft der Rechtsgelehrte von Amor ergriffen, und wer für andere Vorsichtsmaßregeln traf, trifft für sich selbst keine. [85] Dort fehlen oft dem Beredten die passenden Worte, und ein neuer Fall kommt auf ihn zu: Er muss seine eigene Sache vertreten. Über ihn lächelt Venus vom benachbarten Tempel. Wer eben noch Anwalt war, begehrt jetzt, Klient zu sein.
Du aber geh vor allem im Rund des Theaters auf Jagd: [90] Dieses Gebiet ist ergiebiger, als du es in deinen kühnsten Wünschen erhoffst. Dort findest du etwas zum Lieben, etwas zum Spielen, dort findest du, was du einmal berühren und was du festhalten willst. Wie Ameisen in langem Zuge dicht durcheinanderwimmeln, wenn sie ihre gewohnte Speise im körnertragenden Munde befördern, [95] oder wie Bienen, wenn sie ihre geliebten Waldtäler und duftenden Weideplätze erreicht haben, um Blumen und Thymianspitzen schwärmen, so eilen fein herausgeputzte Frauen zu den gut besuchten Spielen. Oft hat die reiche Auswahl mich mit meinem Urteil zögern lassen. Sie kommen, um zu schauen, sie kommen, um sich selbst anschauen zu lassen. [100] Das ist ein gefährlicher Ort für die Keuschheit! Du, Romulus, hast als erster die Spiele aufregend gestaltet, als die geraubten Sabinerinnen die frauenlosen Männer erfreuten! Damals hing weder über dem marmornen Theater ein Sonnensegel, noch war die Bühne von Krokusessenz gerötet. [105] Dort waren einfach Laubbäume aufgestellt, die das waldreiche Palatium hervorgebracht hatte; so kam eine kunstlose Szene zustande. Auf Stufen aus Rasenstücken saß das Volk, und Kränze aus dem nächstbesten Laub bedeckten das struppige Haar. Die Männer schauen zurück, und jeder fasst das Mädchen ins Auge, [110] das er will, und in verschwiegener Brust bewegen sie so manches. Und während zur rohen Melodie des etruskischen Bläsers der Tänzer dreimal mit dem Fuß auf den geebneten Boden stampfte, gab der König mitten im Beifall (der Beifall war damals noch nicht gesteuert) dem Volk das erwünschte15 Zeichen zum Beutemachen. [115] Alsbald springen sie auf, bekunden ihren Willen durch Geschrei und ergreifen mit gieriger Hand von den Jungfrauen Besitz. Wie Tauben, die verängstigte Schar, vor Adlern fliehen und wie das zarte Lamm vor dem Anblick der Wölfe, so fürchteten sie sich vor den Männern, die sich, als gäbe es kein Gesetz, auf sie stürzten. [120] Allen Mädchen wich die Farbe aus den eben noch roten Wangen; denn die Furcht war ein und dieselbe und hatte doch viele Gesichter: Ein Teil rauft sich das Haar, ein Teil bleibt fassungslos sitzen, die eine schweigt betrübt, die andere ruft vergeblich nach der Mutter; diese klagt, jene ist starr vor Entsetzen, diese bleibt, jene flieht. [125] Hinweggeführt werden die geraubten Mädchen als hochzeitliche Beute, und vielen mochte sogar die Furcht gut zu Gesichte stehen. Hatte eine sich allzu sehr gesträubt und sich nicht zur Begleiterin hergeben wollen, hob der Mann sie an seine begehrliche Brust, trug sie fort und sagte: »Was entstellst du deine zarten Augen durch Tränen? [130] Was deiner Mutter dein Vater ist, das werde ich dir sein.« Romulus, du allein verstandest dich darauf, deinen Soldaten Vergünstigungen zu gewähren. Wenn du mir solche Vergünstigungen verschaffst, werde auch ich Soldat. Natürlich bleibt seitdem, da der Brauch inzwischen geheiligt16 ist, das Theater noch heute eine Gefahrenquelle für die Schönen.
[135] Lass dir auch nicht das Wettrennen der edlen Pferde entgehen: Viele Vorteile bietet der Zirkus mit seiner Menschenmenge. Du brauchst weder mit Fingerzeichen geheime Mitteilungen zu machen noch durch Winke ein Signal zu empfangen. Dicht neben deiner Dame sollst du ungehindert sitzen; [140] schmiege deine Seite immerfort, so eng du kannst, an die ihre. Und es ist gut, dass die Schranke dich zwingt, zu ihr zu rücken, selbst wenn du es nicht wolltest; das Gesetz des Ortes verlangt, dass du das Mädchen berührst. Hier suche du ein Gespräch anzuknüpfen, das euch verbindet, und alltägliche Worte mögen zuerst erklingen: [145] Dass du mir nur, mein Eifriger, fragst, wessen Pferde jetzt kommen! Und ergreife unverzüglich die Partei dessen, dem ihre Gunst gilt, wer es auch sein mag. Aber wenn der Festzug mit seinen zahlreichen elfenbeinernen Götterbildern aufmarschiert, klatsche unserer lieben Frau Venus hingebungsvoll Beifall. [149] Und wenn zufällig – wie es zu geschehen pflegt – in den Schoß des Mädchens Staub fällt, wirst du ihn mit den Fingern abschütteln müssen. Auch wenn kein Staub fällt, schüttle das Nichts dennoch fort. Jeder Anlass sei für deine Dienstfertigkeit recht. Wenn das Kleid zu tief herabhängt und auf der Erde liegt, so nimm es und heb es beflissen vom unreinen Boden auf. [155] Und als Lohn für deinen Diensteifer wird deinen Augen sofort der Anblick ihrer Beine zuteil – und sie lässt es zu. Schau außerdem zurück und achte darauf, dass kein Hintermann sein Knie gegen ihren zarten Rücken drücke. Kleinigkeiten erobern leichtsinnige Herzen. Für viele hat es sich schon gelohnt, [160] das Polster mit gefälliger Hand zurechtzurücken. Es ist auch nützlich gewesen, mit einem dünnen Schreibtäfelchen als Fächer Wind zu machen und unter den zarten Fuß ein geschwungenes Schemelchen zu stellen. Dies sind die Annäherungsmöglichkeiten, die einer neuen Liebe der Zirkus und die tränenbringende Arena auf dem unruhigen Forum17 bieten werden. [165] In jenem Sand hat oft der Sohn der Venus gekämpft, und wer bei Verwundungen zuschaute, hat nun selbst eine Wunde. Während er noch sprach und die Hand berührte, das Programm verlangte und unter Einsatz eines Pfandes wettete, wer von beiden den Sieg davontragen werde, seufzte er verwundet auf, fühlte das gefiederte Geschoss [170] und war damit selbst in das Spiel einbezogen, das er anschaute.
Wie war es doch, als Caesar kürzlich bei der Vorführung einer Seeschlacht persische und athenische Schiffe kämpfen ließ? Kamen da doch von beiden Meeren18 junge Männer und Mädchen, und in der Stadt war die ganze weite Welt vertreten. [175] Wer fand in jener Menschenmenge keinen Gegenstand für seine Liebe? Wehe, wie viele ließ Liebe zu einer Fremden Folterqualen leiden! Seht, Caesar schickt sich an, die Welteroberung zu vervollständigen. Jetzt, fernster Orient, wirst du unser sein. Parther, du wirst bestraft werden. Freut euch, ihr bestatteten Helden des Crassus [180] und ihr Feldzeichen, denen Barbarenhände Schimpf angetan haben! Der Rächer ist da, lässt trotz seiner Jugend schon den Feldherrn erkennen und übernimmt als Knabe die Führung eines Krieges, der nicht Sache eines Knaben ist. Zählt nicht ängstlich die Geburtstage von Göttern! Caesaren wird Tüchtigkeit vor der Zeit zuteil. [185] Der vom Himmel stammende Geist erhebt sich schneller als das gesetzliche Alter und erträgt schlecht den Verlust, den träges Warten bedeutet. Klein war Hercules und erdrückte doch mit den Händen zwei Schlangen; so machte er schon in der Wiege seinem Vater Iuppiter Ehre. Und du, Bacchus, noch heute ein Knabe, wie klein warst du erst, [190] als das besiegte Indien vor deinen Thyrsusstäben zitterte? Vom Glück gesegnet und jung, wie dein Vater war, wirst du, Knabe, den Krieg beginnen und siegen, jung und vom Glück gesegnet wie er. Solch einen Anfang bist du uns als Träger eines so großen Namens schuldig, jetzt der Erste unter den Jünglingen, später der Erste im Rat der Alten! [195] Da du Brüder hast, räche die Kränkung der Brüder; da du einen Vater hast, schütze die Rechte des Vaters! Des Vaterlandes Vater19, dein Vater hat dir die Waffen angelegt. Der Feind raubt das Königtum gegen den Willen deines Vaters! Du wirst heilige Waffen tragen, er fluchbeladene Pfeile; [200] vor deinen Feldzeichen werden Recht und frommer Sinn stehen. Das Recht entscheidet gegen die Parther, mögen nun auch die Waffen gegen sie entscheiden! Möge mein Feldherr Macht und Reichtum des Orients Latium einverleiben! Vater Mars und Vater Caesar, schenkt ihm bei seinem Aufbruch euren göttlichen Beistand, denn einer von euch ist schon ein Gott, der andere wird es werden. [205] Siehe, ich prophezeie es, du wirst siegen, und ich werde meine Gelübde durch Verse einlösen, und wir werden dich in großem Stil zu besingen haben. Du wirst auftreten und das Heer mit meinen Worten ermahnen (o mögen meine Worte nicht hinter deinem Mut zurückbleiben!). Und ich werde künden, wie die Parther Rücken an Rücken flohen und die Römer Brust an Brust vormarschierten, [210] und von den Pfeilen, die der Feind rückwärts vom fliehenden Ross abschießt. O Parther, der du fliehst, um zu siegen, was bleibt dir, wenn du besiegt wirst? Parther, dein Kriegsglück steht schon jetzt unter einem bösen Vorzeichen. Also wird der Tag kommen, an dem du, Herrlichster auf Erden, ganz in Gold mit vier schneeweißen Rossen einherfahren wirst. [215] Vorausgehen werden Fürsten, den Hals mit Ketten beschwert, damit sie sich nicht wie früher durch die Flucht in Sicherheit bringen können. Froh werden junge Männer zuschauen und junge Mädchen in ihrer Mitte, und allen wird dieser Tag das Herz höher schlagen lassen. Fragt dann eine von ihnen nach den Namen der Könige, [220] nach Landschaften, Bergen, Gewässern, die im Triumphzug mitgeführt werden, so gib auf alles eine Antwort – und nicht nur, wenn eine fragt. Auch was du nicht weißt, berichte, als wäre es dir wohlbekannt: »Das ist der Euphrat, die Stirn mit Schilfrohr gekrönt. Der, dem das Haar bläulich herabhängt, wird der Tigris sein. [225] Diese Leute halte für Armenier! Das ist das von Danaë stammende Persien20; diese Stadt lag in den achaemenischen Tälern21; der oder jener sind Fürsten.« Und dann magst du Namen nennen, die richtigen, wenn du sie weißt, andernfalls wenigstens passende.
Auch Gastmähler mit gedeckten Tischen eröffnen dir einen Zugang; [230] außer dem Wein gibt es noch mehr, was du dort holen kannst. Oft hat der purpurne Amor dort mit seinen zarten Armen die Hörner des bereitstehenden Bacchus an sich gezogen und gepresst; und hat erst der Wein die durstigen Flügel Cupidos durchtränkt, bleibt er schwerfällig an dem Platz stehen, den er sich erobert hat. [235] Er schüttelt zwar schnell das feuchte Gefieder aus, doch ist es gefährlich, die Brust auch nur leicht von Amor besprengen zu lassen. Wein macht das Herz bereit und für die Glut der Leidenschaft empfänglich; durch viel unvermischten Rebensaft entflieht die Sorge und löst sich auf. Dann kommt das Lachen, dann spielt der Arme plötzlich den Stier, [240] dann schwinden Schmerz, Sorgen und Runzeln von der Stirn; dann öffnet die in unserer Zeit so seltene Einfalt die Herzen, da der Gott alle Künstelei verjagt. Dort haben oft Mädchen die Herzen junger Männer geraubt, und Venus im Wein war Feuer im Feuer. [245] Hier traue du nicht allzu sehr der trügerischen Lampe! Der Beurteilung von Schönheit schaden Nacht und Wein. Bei Tageslicht und unter freiem Himmel hat Paris die Göttinnen geprüft, als er zu Venus sagte: »Du, Venus, besiegst beide.« Bei Nacht bleiben die Mängel verborgen, man ist nachsichtig gegenüber jeglichem Fehler, [250] und die Dämmerstunde macht jede beliebige Frau schön. Geht es um Edelsteine, purpurgefärbte Wolle, schöne Gesichter und körperliche Vorzüge, so ziehe das Tageslicht zu Rate!
Was soll ich dir noch Versammlungsorte von Frauen aufzählen, die für deine Jagd geeignet sind? Die Zahl der Sandkörner wird geringer sein. [255] Was soll ich noch Baiae nennen, den Strand, der Baiae umsäumt, und das Wasser, das vom heißen Schwefel dampft? Einer, der von hier eine Wunde im Herzen nach Hause trug, hat gesagt: »Dieses Wasser war nicht so heilsam, wie man behauptet.« Siehe, da ist der Tempel der Diana im Walde vor der Stadt22 und die Königswürde, die mit frevlerischer Hand durch das Schwert23 erworben wurde! [261] Diese Diana, mag sie auch eine Jungfrau sein und Cupidos Geschosse verabscheuen, hat doch dem Volk viele Liebeswunden geschlagen und wird es weiterhin tun.
Bis hierher schreibt dir Thalia24, die auf ungleichen Rädern25 fährt, vor, wo du dir den Gegenstand deiner Liebe aussuchen und wo du die Netze spannen sollst. [265] Jetzt gehe ich daran zu sagen, mit welchen Kunstgriffen das Mädchen, das dir gefallen hat, gefangen werden muss, eine Aufgabe, die besondere Kunstfertigkeit verlangt. Wer ihr auch seid, ihr Männer allerorten, merkt auf mit gelehrigem Sinn und lauscht als andächtiges Volk meinen Verheißungen!
Zuerst durchdringe dich die Zuversicht, dass alle [270] erobert werden können. Du wirst sie fangen, spanne nur die Netze aus! Eher können im Frühjahr die Vögel schweigen, im Sommer die Zikaden, eher kann der arkadische Jagdhund vor dem Hasen fliehen als eine Frau einem jungen Manne widerstehen, wenn er sie schmeichelnd in Versuchung führt; auch eine, von der man glauben könnte, sie wolle nicht, wird wollen. [275] Und wie dem Mann die heimliche Venus willkommen ist, so ist sie es dem Mädchen; der Mann kann es nur schlecht verbergen, die Begierde der Frau ist besser versteckt. Gesetzt, wir Männer würden uns einig, bei keiner den ersten Schritt zu tun, so ist die Frau schon besiegt und wird die Rolle der Werbenden spielen. Auf den schwellenden Wiesen muht dem Stier sein Weibchen zu, [280] und den behuften Hengst wiehert immer die Stute an. Mäßiger ist in uns die Begierde und nicht so rasend; die Glut des Mannes hat ihre natürliche Grenze. Was soll ich Byblis erwähnen, die in verbotener Liebe zum Bruder entbrannt war und sich für ihren Frevel tapfer mit dem Strang bestrafte? [285] Myrrha liebte den Vater, aber nicht, wie eine Tochter es soll, und ist jetzt unter Rinde verborgen, die sie ringsum beengt. Mit den Tränen, die sie ihrem duftenden Baum entströmen lässt, salben wir uns, und der Tropfen trägt immer noch den Namen der Frau, die ihn geweint hat.
Es war einmal in den schattigen Tälern am Fuße des waldigen Ida [290] ein schneeweißer Stier, der Stolz der Herde. Mitten zwischen den Hörnern war er mit einem feinen schwarzen Mal gezeichnet. Er hatte nur diesen einzigen Flecken, alles übrige war weiß wie Milch. Ihn wünschten die Kühe von Cnossus und von Cydonea auf ihrem Rücken zu tragen. [295] Pasiphaë freute sich, die ehebrecherische Geliebte eines Stiers zu werden; eifersüchtig hasste sie die schönen Rinder. Ich singe von bekannten Dingen; dies kann nicht einmal Kreta mit seinen hundert Städten leugnen, mag es auch noch so lügnerisch sein. Selbst soll sie dem Stier frisches Laub und besonders zartes Gras [300] mit ungeübter Hand geschnitten haben. Sie begleitet die Zugtiere auf die Weide, und die Rücksicht auf ihren Ehemann hält sie nicht vom Aufbruch zurück. So war Minos von einem Rind aus dem Felde geschlagen. Was nützt es dir, Pasiphaë, wertvolle Kleider anzulegen? Dein Ehebrecher hat keinen Sinn für Kostbarkeiten. [305] Was nützt dir der Spiegel, wenn du zum Vieh auf die Bergweide strebst? Wozu ordnest du (höchst überflüssig!) so oft dein Haar? Glaube doch deinem Spiegel, wenn er dir sagt, dass du keine Kuh bist! Ach, wie gerne wolltest du, dass an deiner Stirne Hörner gewachsen wären! Gefällt dir Minos, so suche keinen Ehebrecher; [310] willst du aber lieber deinen Mann betrügen, so betrüge ihn mit einem Mann! Die Königin verlässt ihr Ehegemach und stürzt in Wald und Berge wie eine Bacchantin, die vom aonischen Gott26 besessen ist. Ach, wie oft sah sie eine Kuh mit scheelem Blick an und sprach: »Warum gefällt diese Hergelaufene meinem Geliebten? [315] Sieh nur, wie sie vor ihm im zarten Grase herumhüpft! Ich zweifle nicht, die Törin meint, das stehe ihr gut.« Sprach’s und ließ sie stracks aus der riesigen Herde hinwegführen, unverdient unters krumme Joch zerren oder vor dem Altar bei einer eigens ausgedachten Opferhandlung niederstrecken [320] und hielt die Eingeweide ihrer Nebenbuhlerin in schadenfroher Hand. Wie oft versöhnte sie Gottheiten durch Schlachtung von Rivalinnen, packte die Eingeweide und sprach: »Jetzt geht und gefallt meinem Liebsten.« Und bald wünscht sie, Europa27 zu werden, bald Io28, denn die eine war eine Kuh, und die andre ritt auf einem Stier. [325] Schließlich schwängerte sie der Herr der Herde, getäuscht durch eine Kuh aus Ahornholz29. Und bald war durch die Geburt der Erzeuger offenbar geworden.
Hätte die Kreterin30 sich der Liebe zu Thyestes enthalten (und was macht es schon aus, auf einen einzigen Mann zu verzichten!), so hätte Phoebus seinen Weg nicht in der Mitte unterbrochen, seinen Wagen nicht umkehren lassen und wäre nicht mit den Rossen zurück zur Morgenröte gefahren. [331] Dem Nisus stahl seine Tochter31 die purpurnen Haare, dafür umgeben ihren Unterleib rasende Hunde. Der Atride32, der zu Lande dem Mars und zu Wasser dem Neptun entrann, fiel – o Grauen! – seiner Gattin zum Opfer. [335] Wer hat nicht über die Verbrennung der ephyraeischen Crëusa33 geweint und über die Mutter, blutig vom Mord an den Söhnen? Amyntors Sohn Phoenix34 hat mit leeren Augenhöhlen geweint, den Hippolytus35 habt ihr, rasende Rosse, zerrissen. Was stichst du, Phineus36, deinen schuldlosen Söhnen die Augen aus? [340] Diese Strafe wird sich gegen dein eigenes Haupt kehren.
All dies hat weibliche Leidenschaft bewirkt. Sie ist heftiger als die unsrige und steht dem Wahnsinn näher. Also wohlan, trage keine Bedenken, dir Hoffnung auf alle Frauen zu machen; von vielen wird kaum eine dir einen Korb geben. [345] Die sich verschenken und die sich verweigern, freuen sich immerhin, dass man um sie warb. Magst du auch enttäuscht werden, so ist eine Zurückweisung doch gefahrlos; aber warum solltest du enttäuscht werden, wo doch ein neues Vergnügen willkommen ist und Fremdes das Herz mehr einnimmt als Eigenes! Fruchtbarer ist die Saat stets auf fremden Äckern, [350] und des Nachbarn Vieh hat ein pralleres Euter.
Doch lass es dir vorher angelegen sein, die Dienerin des Mädchens, das du erobern willst, kennenzulernen. Sie wird dir den Zugang erleichtern. Sieh zu, dass sie die engste Beraterin deiner Dame und eine völlig zuverlässige Mitwisserin für verschwiegene Scherze sei. [355] Bestich diese durch Versprechungen und durch Bitten. Was du erstrebst, wirst du leicht bekommen, wenn sie es will. Sie wird den Zeitpunkt auswählen (auch Ärzte achten ja auf die rechte Zeit), da das Herz ihrer Gebieterin zugänglich und leicht zu erobern ist. [359] Ihr Herz wird dann leicht zu erobern sein, wenn es sich in freudiger Stimmung entfaltet wie die Saat auf fettem Boden. Während das Herz sich freut und kein Schmerz es bedrückt, ist es von selbst aufgeschlossen; dann schleicht sich Venus mit schmeichelnder Kunst heran. Damals, als es traurig war, wurde Troia mit Waffen verteidigt; als es fröhlich war, nahm es das Pferd auf, das Soldaten gebären sollte. [365] Dann auch muss man sie in Versuchung führen, wenn sie betrübt ist, weil eine Rivalin ihr Kummer bereitet. Dann wirst du ihr dazu verhelfen, sich zu rächen. Möge die Magd sie, wenn sie ihr früh am Morgen das Haar kämmt, aufhetzen, gleichsam dem Segel mit dem Ruder nachhelfen und still für sich seufzend murmeln: [370] »Aber ich glaube, du brächtest es ja wohl doch nicht fertig, ihm mit gleicher Münze heimzuzahlen.« Dann möge sie von dir erzählen, überzeugende Worte hinzufügen und schwören, du sterbest vor wahnsinniger Liebe. Aber beeile dich, damit nicht das Segel schlaff herabfällt und der günstige Wind sich legt. Wie das zerbrechliche Eis schmilzt auch der Zorn mit der Zeit.
[375] Fragst du, ob es nützlich sei, auch die Dienerin selbst zu verführen? Erlaubst du dir dies, so gehst du ein großes Risiko ein. Die eine wird nach dem Liebesgenuss eifriger, die andere träger, die eine macht dich ihrer Herrin zum Geschenk, die andere will dich für sich. Der Ausgang ist ungewiss; mag auch der Zufall deinem Wagnis günstig sein, [380] so rate ich dir doch, Abstand zu halten. Ich will nicht über abschüssiges Gelände und spitze Berggipfel wandern, und kein junger Mann wird unter meiner Führung betrogen sein. Erregt sie aber, während sie Briefchen überbringt und in Empfang nimmt, durch ihre Gestalt und nicht nur durch ihre Beflissenheit dein Wohlgefallen, [385] so sieh zu, dass du zuerst die Herrin gewinnst; dann lass die andre als Begleiterin folgen. Du darfst beim Venusdienst nicht mit der Magd beginnen. Dies eine lass dir gesagt sein, wenn man der Kunst überhaupt den geringsten Glauben schenken kann und wenn der stürmische Wind meine Worte nicht übers Meer davonträgt: Entweder versuch es erst gar nicht oder führe es zu Ende! Du schaltest sie als Verräterin aus, [390] wenn sie einmal selbst mitschuldig ist. Es nützt nichts, wenn ein Vogel mit Leim an den Flügeln entflieht. Es ist nicht gut, wenn der Eber aus dem weitmaschigen Garn loskommt; der vom Haken verletzte Fisch soll hängen bleiben, wenn er einmal angebissen hat. [394] Hast du eine Frau in Versuchung geführt, so lass nicht locker und weiche nicht von der Stelle, es sei denn als Sieger. Aber halte es streng geheim! Denn wenn deine Spionin streng geheim gehalten wird, so wird dir jederzeit bekannt sein, was deine Freundin tut.
[399] Derjenige täuscht sich, der glaubt, nur die fleißigen Ackerbauern und die Seefahrer müssten auf den rechten Zeitpunkt achten. Nicht immer darf man die Saat der Ceres den trügerischen Äckern, nicht immer das hohle Schiff dem grünlichen Wasser anvertrauen: So ist es auch nicht immer gefahrlos, nach zarten Mädchen zu angeln; oft wird, wenn man sich Zeit lässt, das Gleiche besser gelingen. [405] Wenn der Geburtstag oder die Kalenden37 nahe sind, die Venus mit Freuden auf den Monat des Mars folgen lässt, oder der Zirkus nicht wie vorher mit kleinen Figuren38 geschmückt ist, sondern die Schätze von Königen zur Schau stellt, dann verschiebe dein Werk; dann herrscht für dich düsterer Winter, dann bedrohen dich die Plejaden39, [410] dann taucht das Sternbild des zarten Böckleins40 ins Meerwasser. Dann ist es gut, nichts zu unternehmen. Wer sich jetzt auf die hohe See wagt, bekommt mit Mühe die treibenden Planken seines zerschmetterten Schiffes zu fassen. Anfangen darfst du jedoch an dem Tag41, als trauervoll der Alliafluss von Latinerwunden blutig war, [415] oder an dem geschäftsfreien siebten Tag, den der Jude regelmäßig feiert. Streng tabu sei für dich hingegen der Geburtstag der Freundin. Der Termin, an dem man etwas schenken muss, sei für dich ein schwarzer Tag!
Magst du der Gefahr auch gut aus dem Wege gegangen sein, dein Mädchen wird dich dennoch plündern; eine Frau findet schon einen Kunstgriff, wie sie einen leidenschaftlichen Liebhaber rupfen kann. [421] Ein locker gegürteter Händler wird zu deiner kauflustigen Dame kommen, und du wirst dabeisitzen, wenn er seine Waren auspackt. Sie wird dich auffordern, diese zu besichtigen, so dass du als Sachverständiger erscheinst; dann wird sie dir einen Kuss geben und dich schließlich bitten zu kaufen. [425] Sie wird schwören, sich damit auf viele Jahre zufriedenzugeben, und sagen, jetzt brauche sie es dringend, jetzt kaufe man günstig. Wirst du vorschützen, du habest kein Geld dabei, um zu bezahlen, so fordert sie einen Scheck – und du bedauerst, dass du schreiben gelernt hast. Was dann, wenn sie durch einen angeblichen Geburtstagskuchen Geschenke erpresst [430] und, sooft sie etwas braucht, Geburtstag feiert? Was dann, wenn sie todtraurig über einen erlogenen Schaden weint und erdichtet, ein Edelstein sei ihr vom Ohr gefallen? Vieles erbitten sie leihweise, wollen es aber nicht zurückgeben. Du trägst den Verlust, und dein Schaden wird dir nicht einmal gedankt. [435] Um die gottlosen Künste der Dirnen aufzuzählen, würden mir keine zehn Münder mit ebenso vielen Zungen reichen.
Wachs, hineingegossen in geglättete Täfelchen42, möge zunächst das unbekannte Gewässer erkunden; lass ein Wachstäfelchen als deines Herzens Mitwisser den ersten Schritt tun. Lass es deine Schmeicheleien und aufgezeichnete Liebesworte überbringen. Füge auch reichlich Bitten hinzu, wer du auch sein magst! [441] Achill schenkte dem Priamus auf seine Bitte hin Hektors Leichnam; selbst der zürnende Gott lässt sich durch eine bittende Stimme erweichen. Versprich nur recht viel – denn was kosten schon Versprechungen? Reich an Versprechungen kann jeder Beliebige sein. [445] Hoffnung hält, hat sie einmal Glauben gefunden, lange Zeit vor; sie ist zwar eine trügerische, aber eine zweckdienliche Göttin. Hast du einmal etwas gegeben, so wird man dich mit gutem Grund sitzen lassen können; sie wird das Erhaltene mitnehmen und nichts verloren haben. Aber was du nicht gegeben hast, bei dem erwecke stets den Eindruck, als wolltest du es geben: [450] So hat ein unfruchtbarer Acker oft den Besitzer getäuscht. So lässt der Spieler nicht ab zu verlieren, um nicht zu verlieren, und der Würfel ruft die gierigen Hände immer wieder zu sich zurück. Das tut not, das ist deine Aufgabe: ohne Vorleistung zur Vereinigung zu gelangen. Um nicht umsonst gegeben zu haben, was sie gab, wird sie es weiterhin geben.
[455] So gehe denn ein Briefchen hin, in schmeichelnden Worten verfasst, es erforsche ihren Sinn und erprobe als erstes den Weg: So haben Schriftzeichen, die auf einem Apfel zu ihr kamen, Cydippe getäuscht, und ohne es zu wissen, wurde das Mädchen durch ihre eigenen Worte gefangen. Lerne die edlen Künste, ich ermahne dich, römische Jugend, [460] nicht nur, um ängstliche Angeklagte zu schützen! Wie das Volk, der gestrenge Richter und der erlesene Senat, so wird auch das Mädchen, durch Beredsamkeit überwunden, sich ergeben. Aber deine Kraft bleibe verborgen, trage deine Redekunst nicht zur Schau und nimm dich vor gesuchten Worten in Acht. [465] Wer – außer einem Wahnsinnigen – deklamiert vor der zärtlichen Freundin? Oft war Geschriebenes ein triftiger Grund für Hass. Deine Rede sei glaubwürdig, deine Worte vertraut, aber schmeichelnd, so dass du persönlich mit ihr zu sprechen scheinst.
Nimmt sie das Geschriebene nicht an und schickt es ungelesen zurück, [470] so hoffe, sie werde es noch lesen, und bleibe deinem Vorsatz treu. Mit der Zeit kommen störrische Jungstiere vor den Pflug, mit der Zeit lernen Pferde, sich den geschmeidigen Zaum gefallen zu lassen. Ständiger Gebrauch scheuert einen eisernen Ring durch, ständiger Kampf mit der Scholle richtet die krumme Pflugschar zugrunde. [475] Was ist härter als Stein, was weicher als Wasser? Trotzdem höhlt das weiche Wasser den harten Stein. Sogar Penelope wirst du mit der Zeit besiegen – bleibe nur beharrlich! Du siehst: Troia fiel zwar spät, aber es fiel. Hat sie es gelesen und will sie nicht antworten, so zwinge sie nicht dazu; [480] sorg nur dafür, dass sie von dir immer neue Schmeicheleien zu lesen bekommt. Hat sie erst einmal lesen wollen, wird sie auch auf das Gelesene antworten wollen; diese Dinge kommen schrittweise, in ihrem natürlichen Rhythmus. Vielleicht wird zu dir sogar zuerst ein abweisender Brief kommen, mit der Bitte, sie nicht mehr zu belästigen. [485] Doch worum sie bittet, das befürchtet sie; worum sie nicht bittet, das wünscht sie: nämlich, du mögest beharren. Lass nicht locker, und du wirst endlich deinen Wunsch erfüllt bekommen.
Lässt sie sich liegend auf einem Polster herumtragen, so tritt verstohlen zur Sänfte deiner Dame, und damit kein lästiger Lauscher deine Worte vernimmt, verbirg sie, [490] soweit du kannst, listig unter doppeldeutigen Zeichen. Oder wenn sie unbeschäftigt in der weiträumigen Säulenhalle spazierengeht, so halte auch du dich dort auf, geh bald voraus, bald folge ihr nach, bald beeile dich, bald schlendre langsam dahin. [495] Schäme dich auch nicht, an einigen zwischen euch liegenden Säulen entlangzugehen oder auch Seite an Seite mit ihr zu wandeln. Sie soll auch ja nicht ohne dich in all ihrer Schönheit im Halbrund des Theaters sitzen. Das beste Schauspiel für dich wird sie auf ihren eigenen Schultern mitbringen. Nach ihr wirst du dich umschauen dürfen. Sie wirst du bewundern dürfen. Rede viel mit den Augenbrauen, viel durch Zeichen. [500] Klatsche Beifall, wenn der Mime eine Mädchenrolle tanzt, und sei jedem Liebhaber gewogen, der dargestellt wird. Steht sie auf, so steh auf; solange sie sitzt, bleib sitzen. Verliere deine Zeit je nach der Laune deiner Dame.
[505] Aber finde kein Gefallen daran, das Haar mit der Brennschere zu kräuseln, und reibe dir die Schenkel nicht mit rauem Bimsstein glatt. Überlass das den Eunuchen43, die heulend Mutter Cybele mit phrygischen Melodien ansingen. [509] Nachlässige Schönheit steht Männern. Theseus, der nie an der Schläfe eine einzige Haarnadel trug, war doch hinreißend für Ariadne. Phaedra liebte den Hippolytus; dabei war er ungepflegt. Die Göttin liebte den Waldmenschen Adonis. Durch Sauberkeit errege dein Körper Wohlgefallen, lass ihn auf dem Marsfeld bräunen. Die Toga sei gut passend und ohne Flecken. [515] Die Zunge am Schuh stehe nicht vor,44 die Zähne seien frei von Belag, und der Fuß schwimme nicht schlotternd in zu weitem Leder. Der Haarschnitt entstelle nicht deine Frisur zu Stacheln, Haar und Bart seien von kundiger Hand geschnitten. Lass die Nägel nicht vorstehen, lass sie sauber sein, [520] und aus den Nasenlöchern stehe dir kein Härchen hervor. Auch soll der Mund nicht übel riechen, der Atem nicht widerlich sein, und unter der Achsel soll nicht der stinkende Bock, der Herr der Ziegenherde, hausen. Alles Übrige überlass den lockeren Mädchen oder Leuten, die keine rechten Männer sind und um Männer buhlen.
[525] Doch wohlan, Bacchus ruft seinen Seher: Auch er unterstützt die Liebenden und ist der Flamme gewogen, die ihn selbst erwärmt. Das Mädchen von Cnossus45