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Ein Sohn für den Scheich MICHELLE REID Weil sie ihm bisher kein Kind schenken konnte, hat Leona ihre große Liebe Hassan, den Thronfolger des Scheichtums Rahman, verlassen, um den Weg für eine andere Frau an seiner Seite freizumachen. Und auch Hassan denkt, dass es so das Beste ist - bis er das laute Rufen seines Herzens nicht mehr überhören kann. Der Wüstenpalast LYNNE GRAHAM Schon während ihres gemeinsamen Aufenthalts in London wurde Bethany von Prinz Razul heißblütig umworben. Obwohl auch sie sich stark zu ihm hingezogen fühlte, wies sie ihn ab. Zu unterschiedlich erschienen ihr die Welten, in die sie beide nach dem Studium zurückkehren würden. Als eine Geschäftsreise Bethany jetzt in Razuls Heimatland Datar führt, sieht Razul seine Chance gekommen, ihr Herz endlich doch noch für sich zu gewinnen. Der Falke des Nordens SANDRA MARTON Ehe sie weiß, wie ihr geschieht, wird die junge Amerikanerin Joanna Bennett in Marokko entführt. Und ihr Entführer ist nicht irgendwer, sondern Prinz Khalil, genannt der Falke des Nordens. Als Joanna den ersten Schrecken überwunden hat stellt sie fest, dass sie es genießt in einem Palast in der Wüste von einem feurigen Prinzen umworben und verführt zu werden.
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Seitenzahl: 575
Liebesreise in 1001 Nacht
Michelle Reid
Ein Sohn für den Scheich
Aus dem Amerikanischen von Rudolf Mast
Lynne Graham
Der Wüstenpalast
Aus dem Amerikanischen von Susanne Albrecht
Sandra Marton
Der Falke des Nordens
Aus dem Amerikanischen von Inge-Karin Krusch
MIRA® TASCHENBUCH
MIRA® TASCHENBÜCHER
erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,
Valentinskamp 24, 20354 Hamburg
Geschäftsführer: Thomas Beckmann
Copyright dieser Ausgabe © 2014 by MIRA Taschenbuch
in der Harlequin Enterprises GmbH
Titel der englischen Originalausgaben:
The Sheikh’s Chosen Wife
Copyright 2002 © by Michelle Reid
The Desert Bride
Copyright 1996 © by Lynne Graham
Hostage of the Hawk
Copyright 1994 © by Sandra Myles
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
Published by arrangement with
Harlequin Enterprises II B.V., Amsterdam
Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln
Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln
Redaktion: Mareike Müller
Titelabbildung: mauritius images GmbH, Mittenwald
ISBN eBook 978-3-95576-378-7
www.mira-taschenbuch.de
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eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
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Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder
auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich
der gesetzlichen Mehrwertsteuer.
Michelle Reid
Ein Sohn für den Scheich
Aus dem Amerikanischen von Rudolf Mast
Nachdem ihm der Brief aus London übergeben worden war, ging Scheich Hassan ben Khalifa Al-Qadim in sein Büro und legte ihn ungelesen auf den Schreibtisch, wo bereits drei andere Schreiben desselben Absenders lagen.
Ohne sie eines Blickes zu würdigen, ging er weiter zum Fenster und sah hinaus auf die Feigenhaine jenseits der Oase von Al-Qadim, die der Wüste durch künstliche Bewässerung abgetrotzt worden waren.
Doch die mächtigen Dünen am Horizont waren wie eine unausgesprochene Warnung davor, dem Frieden zu trauen. Ein einziger starker Sandsturm könnte die jahrelange Arbeit zunichtemachen und das fruchtbare Land über Nacht wieder in das Ödland verwandeln, das es einst gewesen war.
Weil er um die Unbarmherzigkeit wusste, mit der die Natur die Pläne des Menschen durchkreuzen konnte, hatte Hassan es sich zur Gewohnheit gemacht, vor jeder wichtigen Entscheidung in die Wüste zu reiten, um dort Rat zu suchen.
Die Entscheidung, die nun zu treffen war, duldete jedoch keinen weiteren Aufschub. Dafür hatte er sich bereits zu lange geweigert, mit dem Inhalt der Briefe das Unheil zur Kenntnis zu nehmen, das sich über ihm zusammenbraute.
Inzwischen standen die Zeichen längst auf Sturm, wie Hassan jedes Mal schmerzlich bewusst wurde, wenn er sein Büro verließ und mit den Wünschen und Forderungen seines Vaters, seines Halbbruders und tausend anderer Menschen konfrontiert wurde, die zu Recht von ihm erwarteten, dass er, anstatt den Kopf in den Sand zu stecken, seinen Verpflichtungen als Thronfolger des kleinen Emirats Rahman am Persischen Golf nachkam.
Ehe er seinen Entschluss in die Tat umsetzen und zum Telefonhörer greifen konnte, klopfte es. Auf seine Aufforderung hin öffnete sein Privatsekretär und wichtigster Berater Faysal die Tür. Doch anstatt zu Hassan zu gehen und ihm den Grund für die Störung zu nennen, blieb er auf der Schwelle stehen und wartete, bis der Scheich ihn ausdrücklich dazu aufforderte.
“Was führt dich zu mir?”, erkundigte sich Hassan, dem die an Unterwürfigkeit grenzende Förmlichkeit nicht nur in Momenten wie diesem übertrieben schien.
Erst nach einer respektvollen Verbeugung trat Faysal ein, schloss die Tür hinter sich, durchquerte den Raum und blieb in gebührlichem Abstand vor Hassans Schreibtisch stehen. “Es gibt Neuigkeiten, mein Herr”, erwiderte er und fügte hinzu: “Leider keine guten. Scheich Abdul zieht in seiner Sommerresidenz eine Gruppe Gleichgesinnter zusammen. Laut Auskunft eines Informanten, der sich eingeschleust hat, spitzt sich die Lage bedrohlich zu.”
Zu seiner Verwunderung ging Scheich Hassan mit keinem Wort auf die besorgniserregende Nachricht ein. “Und was weißt du von meiner Frau?”, erkundigte er sich stattdessen.
“Die Prinzessin weilt noch immer in Spanien, mein Herr”, teilte Hassan ihm gewohnt förmlich mit. “Sie unterstützt ihren Vater bei der Vermarktung der neuen Ferienanlage von San Estéban. Nach meinen Informationen überwacht sie derzeit die Einrichtung und Möblierung der Villen, die zum Verkauf stehen.”
Was Hassan nicht überraschte. In seinem Büro fanden sich genügend Beweise für Leonas Ehrgeiz als Innenarchitektin – und das, obwohl sie diesen Beruf nie erlernt hatte.
“Man könnte fast meinen, du wolltest Besucher abschrecken”, hatte ihre Begründung für die Veränderungen gelautet, die sie in Hassans Büro vorgenommen hatte. Dass genau das seine Absicht gewesen war, war ihr nicht einmal in den Sinn gekommen.
Doch weil ihr Lächeln unwiderstehlich war, hatte Hassan nicht widersprochen, als sie Bilder und Skulpturen einheimischer Künstler und einen sündhaft teuren Teppich erstanden hatte, der nun große Teile des blauen Marmorfußbodens bedeckte. Auch die Sitzgruppe vor dem Fenster war auf ihren Wunsch hin angeschafft worden. Dort hatten sie gewöhnlich gemeinsam Tee getrunken und den unvergleichlichen Ausblick ebenso genossen wie manch zärtliche Berührung, wie sie zwischen Liebenden üblich war.
Der Ausblick war nach wie vor derselbe. Richtig genießen konnte Hassan ihn jedoch seit jenem Tag nicht mehr, an dem Leona ihn verlassen hatte und der Austausch von Zärtlichkeiten nur noch in seiner Fantasie vorkam.
“Wie viel Zeit bleibt uns deiner Meinung nach, um ihnen das Handwerk zu legen?”, erkundigte er sich, um die Trauer, die ihn zu erfassen drohte, im Keim zu ersticken.
“Ich fürchte, nicht allzu viel”, erwiderte Faysal. “Sie können jeden Tag zuschlagen. Deshalb sollten Sie rasch handeln. Wozu aus einem weiteren Grund Anlass besteht”, fügte er verlegen hinzu. “Mr. Hayes ist zu Ihrer Frau in die Villa gezogen.”
Die bloße Erwähnung dieses Namens reichte, um Hassan aus der Fassung zu bringen. Was immer Leona dazu veranlasst haben mochte, mit Ethan Hayes zusammenzuziehen – die Gefühle ihres Ehemannes waren ihr offenbar völlig gleichgültig.
“Seit wann ist er in San Estéban?”, fragte er, und zu seiner Wut gesellte sich nun auch noch rasende Eifersucht.
“Seit einer guten Woche.”
“Weiß Scheich Abdul auch davon?”
“So wurde berichtet”, antwortete Faysal, dem es sichtlich unangenehm war, seinem Herrn keine andere Auskunft geben zu können.
Hassan traf seine Entscheidung, ohne lange zu zögern. “Sag für die nächsten Wochen alle meine Termine ab”, ordnete er an, “und sorge dafür, dass meine neue Yacht von Cadiz nach San Estéban gebracht und mein Flugzeug startklar gemacht wird. Außerdem soll Rafiq umgehend zu mir kommen.”
“Wie Sie wünschen”, erwiderte Faysal verunsichert. “Was soll ich sagen, falls jemand nach dem Grund für Ihren plötzlichen Aufbruch fragt?”
“Die Wahrheit, selbstverständlich. Dass ich einen längeren Urlaub im Mittelmeer nutze, um mein neues Spielzeug auszuprobieren.”
Faysal wusste ebenso wie der Scheich, dass die kommenden Wochen alles andere als Erholung versprachen. Deshalb überraschte es ihn nicht, als sein Herr verbittert hinzufügte: “Sollte jemand es wagen, auch nur andeutungsweise zu behaupten, dass meine Frau mich betrügt, wird ihm keine Gelegenheit bleiben, es zu bereuen. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?”
Mit einer tiefen Verbeugung gab Faysal zu verstehen, dass er sich der Tragweite der Drohung bewusst war, ehe er sich zurückzog, um die Befehle seines Herrn auszuführen.
Als Hassan wieder allein war, nahm er den ersten der vier Briefe zur Hand, den er als einzigen gelesen hatte. Doch nun galt sein Interesse weniger dem Schreiben selbst als der Telefonnummer, die im Briefkopf vermerkt war. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass er den Anwalt seiner Frau um diese Zeit in seiner Londoner Kanzlei erreichen müsste. Um keine halben Sachen zu machen, ließ er dem ersten Ferngespräch ein zweites folgen und rief auch noch seinen Schwiegervater Victor Frayne an.
Kaum hatte er das Gespräch mit ihm beendet, kam sein Halbbruder Rafiq ins Büro. Wie Faysal trug er das traditionelle weiße Gewand, das ihrer Stellung innerhalb der arabischen Gesellschaft entsprach, doch damit hatten sich die Gemeinsamkeiten auch schon erschöpft. Denn anders als Faysal war Rafiq ein Hüne von Mann, und sein Selbstbewusstsein konnte es mit seiner Statur unbedingt aufnehmen. Dass er nicht anklopfte, bevor er Hassans Büro betrat, bedeutete jedoch nicht, dass er notfalls nicht sein Leben für ihn gegeben hätte.
“Mach die Tür zu”, forderte Hassan ihn auf und wartete, bis Rafiq vor dem Schreibtisch stand. Erst dann stellte er ihm die Frage, derentwegen er ihn hatte kommen lassen. “Wärst du bereit, eine kleine Intrige zu spinnen?”
“Das kommt darauf an, wer ins Netz gehen soll”, erwiderte Rafiq. “Scheich Abdul?”, fragte er hoffnungsvoll.
“Leider nicht. Der kommt später dran”, erwiderte der Scheich verächtlich. “In diesem Fall dachte ich eher an meine entzückende Ehefrau.”
Um mich noch einmal umzuziehen, ist es ohnehin zu spät, dachte Leona, als sie sich im Spiegel betrachtete und das lange rotblonde Haar hochsteckte.
Nicht, dass ihr das beigefarbene Trägerkleid schlecht stand, doch der Schnitt konnte kaum kaschieren, dass sie im Lauf des vergangenen Jahres viel zu dünn geworden war, und ein dunklerer Farbton hätte ihre Haut sicherlich weniger blass erscheinen lassen.
Doch weil Ethan schon ungeduldig auf sie wartete, legte sich Leona schnell die diamantenen Ohrringe und die goldene Armbanduhr an und ging ins Schlafzimmer, um in die flachen Sandaletten zu schlüpfen und die schwarze Seidenstola umzulegen. Für ein Geschäftsessen, bei dem sie lediglich ihren Vater vertreten sollte, war sie damit sicherlich passend gekleidet. Er war in London aufgehalten worden, wo er etwas mit seinem Anwalt zu besprechen hatte. So war Leona die undankbare Aufgabe zugefallen, seinen Geschäftspartner zu begleiten, mit dem er das Architekturbüro “Hayes & Frayne” betrieb.
Noch als sie die Treppe hinunterging, bedauerte sie, dass sie den Abend nicht zu Hause verbringen konnte, wohin sie erst vor einer Stunde zurückgekehrt war. Hinter ihr lag ein langer und arbeitsreicher Tag in der Ferienanlage von San Estéban, und als machte ihr die Hitze Südspaniens nicht schon genug zu schaffen, war in der Villa, die sie derzeit als Musterhaus für potenzielle Käufer einrichtete, die Klimaanlage ausgefallen.
Ethan erwartete sie auf der Veranda. Er hatte sich einen Drink eingegossen und stand am Geländer, von wo aus er den Sonnenuntergang beobachtete. Als er Leona bemerkte, drehte er sich zu ihr um und lächelte anerkennend.
“Du siehst hinreißend aus”, begrüßte er sie und ging ihr einige Schritte entgegen.
“Vielen Dank”, erwiderte Leona und betrachtete den großen und schlanken Mann, der zu seinem schwarzen Smoking wie üblich keine Krawatte, sondern eine Fliege trug. “Du brauchst dich aber auch nicht zu verstecken.”
Ethan quittierte das Kompliment mit einem schalkhaften Lächeln, für das er ebenso berühmt wie berüchtigt war, weil er damit die Herzen der Frauen im Sturm erobern konnte – wovon er regen Gebrauch machte.
Zu Leonas Erleichterung ließ sie Ethans unbestreitbare Attraktivität jedoch kalt, und dankenswerterweise hatte er nie versucht, daran etwas zu ändern. Was sicherlich daran lag, dass sich in den vielen Jahren, die sie sich bereits kannten, ein freundschaftliches und vertrauensvolles Verhältnis zwischen ihnen entwickelt hatte. Sie mochten und respektierten sich, wie es enge Verwandte taten.
“Möchtest du einen Drink?”, erkundigte sich Ethan.
“Lieber nicht”, lehnte Leona ab, “sonst fange ich spätestens um zehn Uhr an zu gähnen.”
“So spät?”, spottete er im Wissen, dass Leona normalerweise früh ins Bett ging. “Demnächst bittest du mich noch, nach der Party mit dir in eine Nachtdisco zu gehen.”
“Du besuchst Discos?”
“Nicht wenn ich es verhindern kann”, erwiderte Ethan augenzwinkernd. “In meinem Alter ist es nicht so einfach, eine Frau zu finden, die sich von mir auf die Füße treten lässt.”
“So alt bist du doch noch gar nicht”, widersprach Leona amüsiert. “Wenn ich mich richtig erinnere, bist du Mitte der Sechzigerjahre geboren, genau wie Has...”
Ethan sah mit Entsetzen, wie von einer Sekunde auf die andere jede Fröhlichkeit aus Leonas Gesicht wich. Jeder, der näher mit ihr zu tun hatte, wusste, wie schwer das vergangene Jahr für sie gewesen war. Deshalb hatte in dieser Zeit niemand den Namen ihres Mannes in ihrer Gegenwart erwähnt. Nun hatte sie selbst das Gespräch auf ihn gebracht, und auch wenn sie sich nach der ersten Silbe unterbrochen hatte, war ihr deutlich anzusehen, wie sehr die Erinnerung sie aufgewühlt hatte.
“Findest du nicht, dass du diesem Wahnsinn endlich ein Ende setzen solltest?”, fragte Ethan besorgt.
“Das will ich aber nicht”, erwiderte Leona bestimmt und trat ans Geländer.
“Sagt dein Herz dir nicht etwas völlig anderes?”
“Was mein Herz sagt, spielt in diesem Fall keine Rolle.”
“Vielleicht solltest du gerade deshalb auf es hören.”
“Vielleicht solltest du dich lieber um deine eigenen Angelegenheiten kümmern.”
Um zu betonen, wie wenig ihr an seiner Einmischung lag, warf Leona Ethan einen strengen Blick zu, ehe sie sich umdrehte. Sie blickte hinaus aufs Meer, über dem die Sonne unterging und es in schillernde Farben tauchte.
Die Villa, die sie gemeinsam mit ihrem Vater bewohnte und die seit einigen Tagen auch Ethan als Unterkunft diente, befand sich oberhalb der Bucht von San Estéban, einem ehemaligen Fischerdorf, das sich innerhalb weniger Jahre mithilfe einiger finanzkräftiger Investoren in einen paradiesischen Urlaubsort verwandelt hatte. Um den Charakter der Landschaft zu erhalten, waren die luxuriösen Villen, die sich über den Hang erstreckten, im maurischen Stil errichtet worden. Gekrönt wurde die Anlage von einem Sportboothafen, in dem bereits die ersten Yachten vor Anker lagen.
Von hier oben wirkte alles noch friedlicher als ohnehin, und insgeheim wünschte sich Leona, der Anblick könnte ihr helfen, ihre Gefühle wieder unter Kontrolle zu bringen.
Doch die Erfahrung hatte sie gelehrt, dass die Aussicht darauf denkbar gering war. Insgeheim hatte sie sich schon fast damit abgefunden, die Kränkungen und Verletzungen, die sie erlitten hatte, zeitlebens nicht zu verwinden.
“Entschuldige bitte, Leona”, sagte Ethan, als er sah, wie bedrückt sie war. “Ich wollte dir nicht zu nahe treten.”
“Schon gut”, erwiderte sie niedergeschlagen. “Es ist einfach noch zu früh, um darüber zu sprechen.”
“Glaubst du nicht, es wäre besser, wenn du dich jemandem anvertraust? Immerhin ist es ein ganzes Jahr her, seit ...”
Leona schüttelte heftig den Kopf, um Ethan zu verstehen zu geben, dass sie kein Wort mehr darüber hören wollte. So hielt sie es, seit sie nach London zurückgekehrt war und ihrem Vater zur Begründung nur gesagt hatte, dass ihre Ehe mit Scheich Hassan ben Khalifa Al-Qadim nach fünf Jahren gescheitert war.
Victor Frayne hatte nichts unversucht gelassen, den Grund dafür herauszufinden. Dazu war er sogar nach Rahman geflogen. Doch bei seinem Schwiegersohn war er ebenso auf eine Wand des Schweigens gestoßen wie bei seiner Tochter. So hatte er lediglich in Erfahrung bringen können, dass Scheich Hassan unter der Trennung nicht weniger litt als Leona, selbst wenn er seine Gefühle besser verbergen konnte als seine Ehefrau.
“Es ist mir ein einziges Rätsel”, hatte Victor seinem Freund und Geschäftspartner Ethan Hayes eines Tages gestanden, “und ich kann nur hoffen, dass diese unerträgliche Situation ein Ende findet, ehe Leona daran zerbricht.”
Zu seiner Erleichterung hatte Leona eines Tages die Initiative ergriffen und war zu seinem Anwalt gegangen, um ihn zu beauftragen, die Scheidung vorzubereiten.
Warum sie damit zehn Monate gewartet hatte, blieb allen ein Rätsel, zu dessen Lösung Leona nicht das Geringste beitrug. Hingegen wunderte es niemanden, dass sie eine Woche nach dem Besuch beim Anwalt schwer erkrankte und mehrere Wochen das Bett hüten musste.
Mit ihrer Genesung schien auch ihr Lebensmut wieder zurückgekehrt, denn kaum hatte sie sich von der Krankheit erholt, erklärte sie sich bereit, nach San Estéban zu gehen und die Ausgestaltung der Villen zu übernehmen, die ihr Vater und dessen Geschäftspartner in Südspanien bauten.
Die Arbeit schien ihr in jeder Hinsicht zu bekommen, denn auch wenn sie noch blass und geschwächt war, führte sie ein Leben, das von dem jeder anderen neunundzwanzigjährigen Frau nicht zu unterscheiden war.
Ethan hatte die Hoffnung, eine Antwort zu bekommen, längst aufgegeben. Um Leona etwas aufzuheitern, ging er zu ihr und küsste sie auf die Stirn. “Bist du startklar?”, erkundigte er sich mit einem aufmunternden Lächeln.
Leona nickte zustimmend, und um den Eindruck zu erwecken, als freute sie sich auf den Abend, hakte sie sich bei Ethan unter und ließ sich von ihm zu der wartenden Limousine führen, die er mitsamt Chauffeur gemietet hatte.
“Vorhin ist die Yacht eingelaufen, auf der wir eingeladen sind”, teilte Ethan ihr mit, als sie im Fond des Wagens saßen, der sie zum Hafen bringen sollte. “Sie ist beeindruckend. Arm ist dieser Petronades jedenfalls nicht.”
Zumindest die letzte Bemerkung war schamlos untertrieben, denn Leandros Petronades war der größte Investor in San Estéban. Das Abendessen gab er für einen exklusiven Kreis finanzkräftiger Interessenten. Um ihnen den Kaufentschluss zu erleichtern, hatte er die Besichtigung der Anlage mit einer kleinen Seereise an Bord seiner luxuriösen Yacht verbunden.
“Zumindest muss sie ziemlich groß sein”, erwiderte Leona. “Sonst könnte er nicht so viele Gäste beherbergen.”
“Klein ist sie wirklich nicht, doch kurz danach ist eine andere Yacht eingetroffen, die gut doppelt so groß ist.”
“Etwa ein Kreuzfahrtschiff?”, erkundigte sich Leona in der Hoffnung, die Ferienanlage von San Estéban könnte bereits vor ihrer Fertigstellung eine Sehenswürdigkeit sein.
“So groß nun auch wieder nicht. Ich nehme an, dass sie einem reichen Freund von Petronades gehört, den er als Investor ködern will.”
Ein weiterer Investor könnte nicht schaden, dachte Leona, zumal es nicht Hassan sein würde. Der besaß weder eine Yacht, noch hatte er ihres Wissens je in eines der Projekte seines Schwiegervaters investiert.
So beruhigend dieser Gedanke war, sosehr ärgerte sie sich darüber, dass ihr schon zum zweiten Mal an diesem Abend der Name ihres Ehemannes in den Sinn gekommen war. Dabei bestand nicht der geringste Anlass, sich mit solch unerfreulichen Erinnerungen herumzuärgern.
Entsprechend erleichtert war sie, als der Wagen vor der langen Mole hielt, an dessen Ende Leonardos Yacht festgemacht hatte. Denn inzwischen war sie entschlossen, den Abend nicht als notwendiges Übel zu betrachten, sondern ihn zu genießen. Wer weiß, vielleicht würde sie Ethan tatsächlich noch bitten, mit ihr tanzen zu gehen.
Es war lange her, dass sie ausgelassen gefeiert hatte. Die Ehe mit einem Araber hatte gewisse Einschränkungen mit sich gebracht, die jedoch nicht alle auf den besonderen Regeln beruhten, die in diesen Ländern für verheiratete Frauen galten.
Denn Leona hatte nicht nur einen Araber, sondern den ältesten Sohn und Thronfolger des Herrschers von Rahman geheiratet, einem kleinen, aber dank seiner Ölvorkommen reichen Golfemirat. Mit der Heirat hatte sie Rang und Titel einer Prinzessin erhalten, was neben allerhand Privilegien auch bedeutete, dass allem, was sie sagte und tat, eine ungeahnte Wichtigkeit zukam. Deshalb hatte sie sich angewöhnt, jedes Wort auf die Goldwaage zu legen und sich genau zu überlegen, wo sie hingehen konnte und wo nicht – erst recht allein.
An dieser Gewohnheit hatte sie auch im vergangenen Jahr festgehalten. Um den Spekulationen darüber keine Nahrung zu geben, warum sie ohne ihren Mann nach London zurückgekehrt war, hatte sie überaus zurückgezogen gelebt.
Selbst aus größerer Entfernung war ihr Ziel deutlich zu erkennen, denn Petronades’ schneeweiße Yacht war hell erleuchtet. Wie Ethan gesagt hatte, wurde sie jedoch von einer anderen überragt, die wie ein Schatten an der Mole lag, die Ethan und Leona nun entlanggingen. An Deck war kein Licht zu erkennen, und der schwarze Rumpf ließ es wie ein Geisterschiff wirken.
“Nicht übel”, meinte Ethan anerkennend, als sie sich dem schwimmenden Palast näherten.
Doch Leona sah sich außerstande, seine Begeisterung zu teilen. Ohne sagen zu können, warum, hatte sie die dunkle Vorahnung, dass sie im dunklen Schatten, den die riesige Yacht warf, etwas Bedrohliches erwartete.
Sie sollte sich nicht getäuscht haben. Gerade als sie Ethan ihre Sorge mitteilen wollte, drang ein Flüstern an ihr Ohr. Auch Ethan schien es gehört zu haben, denn wie sie blieb er unvermittelt stehen.
Im selben Moment löste sich ein Schatten aus der Dunkelheit und trat auf sie zu. Ehe einer von ihnen reagieren konnten, folgten dem ersten weitere Schatten, bis sie schließlich von vermummten Gestalten umzingelt waren.
“Was wollen Sie von uns?”, fragte Leona ängstlich, auch wenn sie die Antwort bereits zu kennen glaubte. Wenn ihr Instinkt nicht trog, handelte es sich bei den Männern um Araber, und was sie von ihr wollten, war nur allzu offensichtlich.
Mit der Angst, entführt zu werden, lebte sie seit jenem Tag, an dem sie Hassans Frau geworden war. Sie war Engländerin und hatte einen Araber geheiratet, der nicht nur Thronfolger eines Emirates in einer von Krisen geschüttelten Region war, sondern darüber hinaus einer der reichsten Männer der Welt. Aus ihrer Entführung könnten Extremisten und Fanatiker also gleich doppelt Kapital für ihre menschenverachtenden Ziele schlagen.
Bislang war diese Drohung zu abstrakt gewesen, um sich gegen sie zu schützen, und die Entschlossenheit in den Gesichtern der Männer verriet, dass es nun zu spät dafür war.
Ethan dachte offenbar anders darüber, denn er legte schützend den Arm um Leona. “Hab keine Angst”, versuchte er sie zu beruhigen. “Ich lenke sie ab, damit du dich in Sicherheit bringen kannst.”
Ehe sie widersprechen konnte, stürzte er sich auf die beiden Männer, die direkt vor ihm standen. Da er das Überraschungsmoment auf seiner Seite hatte, gelang es ihm tatsächlich, seine Gegner zu Fall zu bringen und eine kleine Lücke in dem Ring aufzureißen, der Leona umgab.
Doch sie zögerte zu lange, und als sie endlich den Mut für einen Fluchtversuch aufbrachte, hatte sich der Kreis der Angreifer bereits wieder geschlossen.
Als der Anführer langsam auf sie zukam, drohte ihr das Herz stehen zu bleiben. Er strahlte eine Kraft und Verwegenheit aus, die sie das Schlimmste befürchten ließ.
Doch als er näher kam, wusste sie, dass sie das Opfer einer ganz besonderen Entführung war, mit der die Täter weder politische noch finanzielle Forderungen durchsetzen wollten. Um sich zu irren, war ihr der entschlossene Blick des großen, schlanken und athletischen Mannes zu vertraut, der nun unmittelbar vor ihr stand.
“Hassan”, nannte sie ängstlich seinen Namen.
Die Verbeugung, mit der er seine Frau begrüßte, war an Hochmut kaum zu überbieten – außer von der Formulierung, die er anfügte.
“Allerdings”, sagte er mit schneidendem Sarkasmus. “Schön, dass du deinen Ehemann noch erkennst.”
“Was willst du von mir?”, fragte Leona entsetzt, auch wenn die Angst ihr die Kehle zuzuschnüren drohte. Ehe Hassan etwas erwidern konnte, wurde seine Aufmerksamkeit von einem erneuten Tumult in Beschlag genommen, der sich hinter seinem Rücken abspielte. Während Ethan von zwei Männern überwältigt wurde, rief er verzweifelt nach Leona. Er konnte noch nicht wissen, um wen es sich bei den Angreifern tatsächlich handelte.
“Ruf deine Männer zurück!”, verlangte Leona.
“Sei still!”, befahl Hassan und umklammerte ihr Handgelenk. Dann forderte er seine Männer auf, sich zurückzuziehen. Was sie zwar taten, jedoch nicht, ohne einen verängstigten Ethan mitzuschleifen.
“Wohin bringen sie ihn?”, wollte Leona wissen.
Hassan hielt es nicht für nötig, ihr eine Antwort zu geben. Stattdessen winkte er einen seiner Männer zu sich, der, wie Leona sehr bald feststellen konnte, ihr fast so vertraut war wie ihr Mann.
“Rafiq”, sagte sie verwundert, doch Hassan unterband jedes weitere Wort, indem er Leona den Arm um die Taille legte und sie an sich zog. Die unerwartete körperliche Nähe löste Gefühle in ihr aus, derer sie sich angesichts der Lage, in der sie sich befand, fast schämte. Es war, als ließe sie die Erinnerung an die unvergleichliche Zärtlichkeit, die dieser Mann ihr geschenkt hatte, allen Kummer und Schmerz vergessen, die er ihr in der Vergangenheit zugefügt hatte und mit ihrer Entführung erneut zufügte.
Dass es sich tatsächlich um eine Entführung handelte, bewies die Tatsache, dass Rafiq ihr unvermittelt eine schwarze Kapuze über den Kopf zog und sie so unsanft vorwärts stieß, dass sie ihre Sandaletten verlor.
“Was hast du mit mir vor?”, fragte sie ängstlich.
“Dich entführen”, bestätigte Hassan mit erschreckender Deutlichkeit. “Wenn du klug bist, fügst du dich in dein Schicksal. Ansonsten sehe ich mich gezwungen ...”
Auch wenn er den Satz nicht beendete, wusste Leona, was ihr blühte, wenn sie sich ihrem Ehemann widersetzte. Er sah in ihr einen Gegenstand aus seinem Besitz, der ihm verloren gegangen war und den er sich nun zurückholte.
“Das werde ich dir nie verzeihen”, sagte sie drohend. Zur Antwort versetzte er ihr einen Stoß, der sie fast aus dem Gleichgewicht brachte.
“Fall nicht ins Wasser!”, rief Hassan ihr zu. Leona wollte ihm bereits die passende Antwort geben, als sie unter den Fußsohlen spürte, dass sich der Bodenbelag unvermittelt veränderte.
“Wo sind wir?”, fragte sie.
“Auf der Gangway zu meiner Yacht”, antwortete Hassan.
“Hast du etwa ein neues Spielzeug?”, fragte sie spöttisch und wusste im selben Moment, dass das “Geisterschiff”, wie sie es noch vor wenigen Minuten bezeichnet hatte, niemand anderem als Hassan gehörte.
“Pass lieber auf, wo du hintrittst”, warnte er sie.
Was leichter gesagt als getan war, denn durch die schwarze Kapuze konnte Leona nicht einmal die Hand vor Augen erkennen, geschweige denn eine schmale Gangway sicher passieren.
Instinktiv streckte sie die Hand aus, um Halt zu finden. Doch das Wissen um die Gefahr hatte sie so ängstlich gemacht, dass sie mehr taumelte als zielstrebig ging.
Als sie schon befürchten musste, beim nächsten Schritt ins Hafenbecken zu fallen und zu ertrinken, spürte sie zwei starke Arme, die sie umfassten und hochhoben.
Ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass Hassan sie erst in diese Lage gebracht hatte, schmiegte sich Leona erleichtert an ihn und genoss das Gefühl der Sicherheit, das ihr seine Nähe verlieh.
Das änderte sich jedoch schlagartig, nachdem er sie quer über das Deck und schließlich eine kleine Treppe hinunter ins Innere der Yacht gebracht hatte.
Kaum stand sie wieder auf den eigenen Beinen, verwandelte sich die Angst, die sie durchlitten hatte, in rasende Wut. Entschlossen riss sie sich die Kapuze vom Kopf und suchte nach ihren Entführern Hassan und Rafiq.
Sie standen vor der geöffneten Tür zum Niedergang und sahen fast aus wie Zwillinge, denn beide trugen einen schwarzen Umhang, der mit einer Schärpe in der Taille zusammengehalten wurde. Darüber hinaus strahlten die dunklen Gesichter dieselbe unerschütterliche Selbstsicherheit aus, die in diesem Moment allerdings unerträglich arrogant wirkte.
Woher nehmen sie bloß das Recht, mich so zu behandeln? fragte sich Leona, und ihr Zorn war so groß, dass sie auf die beiden zuging, ohne sich lange zu besinnen.
Ihr Haar hing ihr wirr über die Schultern, und wie die Sandaletten hatte sie auch die Stola irgendwo verloren. Ihrer Entschiedenheit tat das jedoch keinen Abbruch. Die Hände in die Hüften gestemmt, stellte sie sich vor die beiden Männer. Nach Anzeichen von Reue oder Schuldbewusstsein in ihren Gesichtern suchte sie allerdings vergeblich.
“Ich will sofort zu Ethan”, forderte sie so nachdrücklich, dass den beiden keine Gelegenheit blieb, ihre Verwunderung zu verbergen. Vor allem Hassan war deutlich anzusehen, wie sehr ihn Leonas Forderung verletzte.
Er presste die Lippen zusammen, was seinen Gesichtszügen eine Strenge verlieh, die selbst Rafiq nicht unbeeindruckt ließ. Auf Hassans stummen Wink hin zog er sich zurück und schloss die Tür hinter sich, ehe er an Deck ging.
Dem strafenden Blick, mit dem Hassan sie ansah, konnte Leona ausweichen, doch das Schweigen, in das er sich hüllte, war beinahe unerträglich.
Diesen Mann hatte sie nicht nur geliebt, sondern in der tiefen Überzeugung, dass nichts und niemand sie je auseinanderbringen könnte, hatte sie fünf Jahre lang als seine Ehefrau mit ihm zusammengelebt. Doch nun konnte sie sich nicht einmal dazu überwinden, ihn anzusehen, weil nicht auszuschließen war, dass sich die mühsam unterdrückten Hassgefühle, die sie gegen ihn hegte, augenblicklich Bahn brechen und sie in einen tiefen Abgrund stürzen würden.
“In deinem eigenen Interesse schlage ich vor, dass du den Namen dieses Mannes in meiner Gegenwart nicht mehr erwähnst.”
Kaum hatte Hassan die unverhohlene Drohung ausgesprochen, löste er sich aus seiner Erstarrung und kam bedrohlich auf Leona zu. Doch ehe sie reagieren konnte, ging er achtlos an ihr vorbei zu einem hölzernen Tresen auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes.
“Dann hättest du deine Leute nicht auf ihn hetzen dürfen”, rief sie ihm empört nach, um sich nicht eingestehen zu müssen, wie sehr sie die anmutigen Bewegungen des großen und athletischen Mannes noch immer faszinierten, der in diesem Moment einen Schrank öffnete, in dem sich eine reich ausgestattete Bar befand.
“Deine Sorge ist völlig unbegründet”, erwiderte Hassan verbittert. “Niemand hat Ethan ein Haar gekrümmt – auch wenn er eine ordentliche Abreibung verdient hätte.”
“Weil er mich beschützen wollte?”
“Dieses Recht hat einzig und allein dein Ehemann”, widersprach Hassan, während er eine Flasche Mineralwasser aus dem Kühlschrank nahm. “Und das bin immer noch ich.”
Leona konnte nicht entscheiden, ob ihr eher zum Lachen oder zum Weinen zumute war. “Deine Überheblichkeit hat unter unserer Trennung offenbar nicht gelitten”, sagte sie schließlich verächtlich.
“Deine Widerspenstigkeit aber auch nicht”, erwiderte er aufgebracht und stellte die Flasche krachend auf dem Tresen ab.
Als er sich zu Leona umdrehte, konnte sie deutlich erkennen, dass seine Wut es mit ihrer unbedingt aufnehmen konnte. Sein Gesicht war wie versteinert, und im Blick der dunklen Augen lag ein bedrohliches Funkeln.
“Wie kommst du eigentlich dazu, mir Vorhaltungen zu machen?”, fragte sie empört. “Ich habe nichts getan, was dir das Recht ...”
“Ach so?”, unterbrach er sie sarkastisch und kam langsam auf sie zu. “Dann erklär mir doch bitte, warum du mich bei unserem ersten Wiedersehen nach mehr als einem Jahr mit der Forderung begrüßt, einen anderen Mann sehen zu wollen.”
Je näher er ihr kam, desto deutlicher konnte Leona erkennen, wie sich sein Gesichtsausdruck veränderte und die Wut allmählich von Trauer und Ratlosigkeit abgelöst wurde, die sie zutiefst rührten.
“Ich verstehe nicht, worauf du hinauswillst”, antwortete sie verunsichert, weil Hassan sich ihr bis auf wenige Zentimeter genähert hatte.
“Du weißt doch, welche Strafe in Rahman darauf steht, wenn eine Frau ihren Ehemann hintergeht und mit einem anderen zusammenlebt”, erklärte er drohend.
“Willst du damit etwa unterstellen, dass Ethan und ich ...?”
“Schläfst du denn nicht mit ihm?”, sprach Hassan schonungslos aus, was beim Namen zu nennen Leona nicht übers Herz gebracht hatte.
“Nein”, entgegnete sie ebenso bestimmt wie entrüstet.
“Erwartest du von mir, dass ich dir das glaube?”
Hassan schien Leona keine Beleidigung und Kränkung ersparen zu wollen. “Das musst du schon selbst entscheiden.” Um sich zu revanchieren, wich sie einer klaren Antwort aus.
“Das fiele mir sicherlich leichter, wenn du mir einen Beweis liefern würdest”, erwiderte er unversöhnlich.
“Du solltest mich gut genug kennen, um zu wissen, dass ich mit Ethan weder geschlafen habe noch je schlafen werde”, wandte Leona bestürzt ein, weil Hassan von seinem ungeheuerlichen Verdacht nicht abzubringen war. “Wenn du ehrlich bist, musst du zugeben, dass du das ganz genau weißt.”
Hassans Reaktion löste in Leona widersprüchliche Gefühle aus. Denn auch wenn sein Blick sie hoffen ließ, dass er endlich bereit war, ihr zu glauben, verletzte sie das herablassende Lächeln, das seine Lippen umspielte, nicht weniger als seine verbalen Anschuldigungen.
“Selbst wenn ich dir glauben sollte, wird das Problem nicht geringer”, sagte er unvermindert misstrauisch. “Es dürfte nicht leicht sein, den Menschen in Rahman begreiflich zu machen, dass ich an der Treue meiner Ehefrau nicht zweifle, obwohl sie mit einem fremden Mann unter einem Dach lebt.”
“Dann solltest du ihnen sagen, dass mein Vater Nacht für Nacht als Aufpasser in der Nähe war”, riet Leona ihm gekränkt. “Wenn er heute nicht in London aufgehalten worden wäre ...”
“... hätte dich niemand davor bewahren können, einen unverzeihlichen Fehler zu begehen”, fiel Hassan ihr ins Wort. “Du hast also allen Grund, mir dankbar zu sein”, fügte er hinzu und ging zurück zur Bar.
Die Unverfrorenheit, mit der Hassan die Dinge auslegte, wie es ihm passte, überraschte selbst Leona. “Ist dir eigentlich schon aufgefallen, dass man niemanden vor etwas bewahren muss, was er gar nicht tun will?”, fragte sie entgeistert.
“Sicher ist sicher”, erwiderte Hassan sarkastisch, während er eine Flasche Weißwein aus dem Kühlschrank holte und den Korkenzieher ansetzte. “Zumal wir auf diese Weise endlich Gelegenheit haben, uns aus der Krise zu manövrieren, in der wir stecken.”
Hassan schien offenbar noch nicht bemerkt zu haben, dass ihre Ehe nicht in einer “Krise” steckte, sondern endgültig gescheitert war. “Solltest du damit meinen, dass ich zu dir zurückkomme, muss ich dich enttäuschen”, teilte sie ihm unmissverständlich mit. “Nichts ist ausgeschlossener als das.”
Um sich nicht anhören zu müssen, dass ihr eine solche Entscheidung als Frau nicht zustand, wandte sie sich um und tat, als interessierte sie die Zukunft ihrer Ehe weitaus weniger als der Raum, in dem sie sich befand.
Bislang hatten Hassans Anschuldigungen all ihre Aufmerksamkeit in Anspruch genommen, und so war sie davon ausgegangen, dass sie sich im Salon der Yacht befanden.
Doch als sie das riesige Bett entdeckte, das eine Längsseite des Zimmers einnahm, wurde ihr klar, dass es sich bei dem luxuriös ausgestatteten Raum um die Eignerkabine handelte.
Am meisten jedoch empörte sie, die beiden Polstersessel sehen zu müssen, die zusammen mit einem Mahagonitischchen vor einem großen Fenster standen und aufs Haar jenen glichen, die auf ihren Wunsch hin für Hassans Arbeitszimmer im Palast angeschafft worden waren.
Auch wenn Leona ihm den Rücken zugewandt hatte, blieb Hassan nicht verborgen, dass ihr die Sessel aufgefallen waren. Sie stand reglos da, als wäre ihr der Schreck in die Glieder gefahren, und hätte sie nicht das betörende Trägerkleid getragen, hätte man sie für das Werk eines Bildhauers halten können.
Einen Moment war Hassan versucht, zu ihr zu gehen und sie in die Arme zu nehmen. Doch weil er ahnte, wie sie darauf reagieren würde, beließ er es dabei, ihr die Weißweinschorle zu bringen, die er für sie gemixt hatte.
“Du hast abgenommen”, sagte er so unvermittelt, dass Leona regelrecht erschrak.
“Ich hatte die Grippe”, erklärte sie verlegen.
“Um sich von einer Virusgrippe zu erholen, braucht der Körper nur wenige Tage”, erwiderte Hassan. “Deine Erkrankung liegt jedoch schon Wochen zurück”, fügte er hinzu, auch wenn er damit preisgab, dass er über alles informiert war, was Leona in den letzten Monaten widerfahren war.
Offensichtlich hatte sie etwas Derartiges vermutet, denn sie reagierte keineswegs überrascht. “Ich wusste gar nicht, dass du dich in medizinischen Fragen so gut auskennst”, erwiderte sie sarkastisch, weil Hassan in all den Jahren, die sie sich kannten, nie krank gewesen war.
“Als dein Ehemann brauche ich kein Arzt zu sein, um zu wissen, dass du dazu neigst, auf seelischen Kummer körperlich ...”
“Ich hatte keinen Kummer, sondern war krank!”, fiel Leona ihm entrüstet ins Wort.
“Das warst du in der Tat”, erwiderte Hassan ungerührt und hielt ihr das Glas entgegen. “Krank vor Sehnsucht nach mir. Warum gibst du nicht einfach zu, wie sehr du mich vermisst hast?”
Wortlos nahm Leona ihm den kühlen Wein ab und trank einen Schluck, um der Versuchung zu widerstehen, Hassan eine passende Antwort zu geben.
Die unerschütterliche Selbstsicherheit, von der außer seiner haltlosen Unterstellung auch der erwartungsvolle Blick zeugte, mit dem er sie ansah, ließ sie jedoch unschwer erahnen, was Hassan mit der Entführung wirklich bezweckte.
Der plötzliche Stimmungswechsel seiner Frau rührte Hassan so sehr, dass er versucht war, sie augenblicklich in die Arme zu nehmen und an sich zu ziehen.
Doch um den besorgten Ehemann zu spielen, war dies wahrlich nicht der richtige Zeitpunkt. Leona würde sich die körperliche Nähe ebenso bestimmt verbitten wie in den Wochen vor jenem unglückseligen Tag, an dem sie ihn verlassen hatte.
Ein ganzes Jahr lag das nun zurück, doch schmerzlicher als die Erinnerung daran war die Gewissheit, dass sie, ohne es zu wissen, nicht vor ihrem Ehemann, sondern vor sich selbst davongelaufen war.
“Könnte es sein, dass du die Party nur erfunden hast, um mich in den Hafen zu locken?”, fragte Leona unvermittelt.
Hassan musste unwillkürlich lächeln, denn auch wenn er Leona besser als jeder andere kannte, überraschte ihn ihr Scharfsinn jedes Mal aufs Neue.
“Die Party findet in diesem Moment tatsächlich statt”, erwiderte er und fügte einschränkend hinzu: “Daran, dass dein Vater kurzfristig verhindert war, bin ich allerdings nicht ganz unschuldig.”
Seine Ehrlichkeit wurde damit belohnt, dass Leona ihn zum ersten Mal, seit sie sich die Kapuze vom Kopf gerissen hatte, direkt ansah – mit einem Blick jedoch, der ihr Befremden deutlich verriet. “Ich denke, du hast das ganze Theater nur veranstaltet, weil er heute Nacht nicht als Aufpasser zur Verfügung ge...”
“Das stimmt auch”, fiel Hassan ihr ins Wort, um nicht zugeben zu müssen, dass er seinen Schwiegervater als Helfershelfer eingespannt hatte. “Für unser unverhofftes Wiedersehen gibt es allerdings noch weitere Gründe, Liebling”, fügte er besänftigend hinzu, “aber ich möchte nicht die Zeit damit vergeuden, darüber ausgerechnet jetzt ...”
“Ich muss leider darauf bestehen”, unterbrach Leona ihn. Dass er es wagte, sie “Liebling” zu nennen, wog schwer genug. Schlimmer jedoch war, dass sich offensichtlich auch ihr eigener Vater gegen sie verschworen und mit seinem Schwiegersohn verbündet hatte.
“Ein andermal”, wies Hassan ihr Ansinnen zurück. “Erst möchte ich genießen, dass du endlich wieder dort bist, wo du hingehörst – in meiner Nähe.”
“Hast du schon vergessen, dass ich nicht freiwillig hier bin?”, hielt Leona ihm wütend entgegen.
“Ehrlich gesagt, interessiert mich das nur am Rande”, gestand er mit einem Lächeln, das Leona ins Herz schnitt. “Du weißt doch, dass wir Araber romantisch veranlagt sind. Und was könnte romantischer sein als eine dramatische Liebesgeschichte, in der die beiden Hauptfiguren erst durch die Hölle gehen müssen, um am Ende wieder zueinanderzufinden?”
Als Hassan sah, dass Leona Tränen in die Augen traten, wurde ihm schlagartig bewusst, dass er zu weit gegangen war. Immerhin gelang es ihm, ihr das Glas aus der Hand zu nehmen, ehe sie es zu Boden fallen lassen konnte.
“Unsere Ehe erinnert mich eher an eine Tragödie als an eine Romanze”, sagte sie schließlich niedergeschlagen.
“Eine Tragödie ist unsere Ehe nur, weil du geradezu versessen darauf bist, eine daraus zu machen”, widersprach Hassan und stellte das Glas ab. Doch seinem Versuch, sie in die Arme zu nehmen, kam Leona zuvor, indem sie einige Schritte zurückwich.
“Und warum hasse ich dann alles, was mit dir zusammenhängt?”, fragte sie verbittert.
“Die Antwort musst du dir schon selbst geben”, erwiderte er mit unerschütterlicher Selbstsicherheit. “Ich weiß nur, dass du mich nicht hasst. Ganz im Gegenteil”, fügte er bedeutungsschwer hinzu.
Der Blick, mit dem ihr Ehemann sie ansah, hatte etwas ungeheuer Bedrohliches, doch Leona konnte nicht länger ausschließen, dass nicht Hassan ihr Angst machte, sondern die Befürchtung, er könnte die Wahrheit gesagt haben.
“Dann hätte ich dich wohl kaum verlassen”, wandte sie ein, um ihn und sich selbst an den Tag ihrer Trennung zu erinnern.
“Die vielen Briefe, die du mir seitdem geschrieben hast, beweisen, wie sehr du diesen Schritt bereust”, erwiderte er.
“Wenn du schon beim ersten Brief in die Scheidung eingewilligt hättest, hätte ich dir nicht so oft schreiben müssen”, hielt sie ihm entgegen, auch wenn sie die Tränen nicht länger zurückhalten konnte.
Hassans Widerspruch blieb ihr trotzdem nicht erspart. “Um in die Scheidung einzuwilligen, hast du mir zwischen den Zeilen viel zu deutlich zu verstehen gegeben, dass du dir etwas ganz anderes wünschst.”
“Dass ich weiterhin mit dir verheiratet sein will, kannst du meinen Briefen kaum entnommen haben.”
“Dann scheint die Suche nach einem Ausweg aus der Krise schwieriger zu werden, als ich angenommen habe”, erwiderte Hassan. “Denn ich will sehr wohl weiterhin mit dir verheiratet sein, und zwar nicht nur auf dem Papier.”
So abschreckend sein an Arroganz grenzender Stolz auch war, wusste Leona aus leidvoller Erfahrung, dass sie ihm nicht das Geringste entgegenzusetzen hatte. Schlimmer noch, lag darin ein wesentlicher Teil der Anziehungskraft, die dieser faszinierende Mann seit jeher auf sie ausgeübt hatte.
Umso wichtiger war es, dass sie sich von ihrem Verstand und nicht von ihren Gefühlen leiten ließ, denn die sagten ihr unmissverständlich, wie recht Hassan hatte. Sie liebte ihn immer noch, und wenn sie ihm gegenüber jetzt die leiseste Schwäche zeigte, wäre es um sie geschehen.
Als könnte er Gedanken lesen, streckte er in diesem Moment die Hand aus und strich Leona zärtlich die Tränen vom Gesicht. Die leise Berührung drohte sie aus der Fassung zu bringen, und instinktiv hob sie den Arm, um sich Hassan im wahrsten Sinn des Wortes vom Leib zu halten.
Doch sie erreichte genau das Gegenteil. Ehe sie sich’s versah, hatte er ihr die Arme um den Nacken gelegt und zog sie so fest an sich, dass sie sich unwillkürlich auf seiner Brust abstützte.
Selbst durch den Stoff des Umhanges, den er noch immer trug, meinte sie Hassans Kraft und Entschlossenheit zu spüren, die ihr so unendlich vertraut waren. “Lass mich los”, forderte sie atemlos und sah flehend zu ihm auf.
“Siehst du endlich ein, dass ich recht habe?” Hassans Lächeln war das eines Siegers. “Oder muss ich dich erst küssen, um dich zu überzeugen?”
“Untersteh dich!”, warnte sie ihn in der bangen Gewissheit, dass die Berührung seiner Lippen sie willenlos machen würde.
Hassan schien die Warnung in den Wind schlagen zu wollen, denn er beugte sich mit einem triumphierenden Lächeln zu Leona hinunter. Offenbar war er der Ansicht, besser als sie zu wissen, was sie sich wünschte.
Das Schlimme daran war, dass es den Tatsachen entsprach. Deshalb suchte sie händeringend nach einer Möglichkeit, ihn in letzter Sekunde von seinem Vorhaben abzubringen.
“Gibt es auf der Yacht eigentlich noch mehr solche Luxuskabinen?”, fragte sie in einem Akt der Verzweiflung. “Oder hast du vorsichtshalber zwei gekauft? Schließlich hast du auch zwei Ehefrauen.”
Augenblicklich ließ Hassan von ihr ab und sah sie entgeistert an. Entsprechend ängstlich erwartete Leona seine Reaktion. Er war für sein aufbrausendes Temperament berüchtigt, und dass sie in all den Jahren davon verschont geblieben war, schloss nicht aus, dass sein Zorn sie nun mit aller Wucht traf.
Zu ihrem Erstaunen blieb er jedoch vergleichsweise gefasst – äußerlich zumindest, denn es konnte kein Zweifel daran bestehen, dass es in seinem Innern brodelte. “Solltest du damit andeuten wollen, dass ich meine Frauen ungleich behandle, muss ich dich enttäuschen”, erwiderte er mit aristokratischer Würde. “Für Männer meines Standes verbietet sich das.”
Leona hatte die Antwort provoziert und deshalb kein Recht, sich zu beschweren. Trotzdem traf sie die kaum verhohlene Wahrheit mit einer Wucht, die sie selbst nicht für möglich gehalten hatte.
“Dann hast du die andere also wirklich geheiratet?”, vergewisserte sie sich, selbst wenn ihr die Antwort in aller Schmerzlichkeit bewusst war.
Ohne Hassan Zeit und Gelegenheit zu geben, etwas zu erwidern, wandte sie sich um und lief los. Wohin, wusste sie selbst nicht, und die Tränen, die sich nicht mehr zurückhalten ließen, trübten ihren Blick. Doch ihr einziger Wunsch war, den Mann nicht mehr sehen zu müssen, der sie mehr verletzt hatte als je ein Mensch zuvor.
Leonas Fluchtversuch kam so plötzlich, dass Hassan ihn nicht verhindern konnte. Erst als sie schon die Treppe hinaufrannte, löste sich seine Erstarrung.
Noch ehe er ihr folgen konnte, zerriss ein Schrei die nächtliche Stille. Dann hörte er Rafiq, der Leona etwas zurief, dann das Geräusch eines Körpers, der hart aufschlug.
Vor kaum einer halben Stunde hatte Hassan im letzten Moment verhindern können, dass Leona über Bord fiel. Nun waren sowohl er als auch Rafiq zu spät gekommen.
Das Tragische jedoch war, dass sie nicht ins Hafenbecken gefallen, sondern über eine Leine gestolpert und kopfüber den Niedergang zum Maschinenraum hinabgestürzt war.
Während der Schiffsarzt die Patientin untersuchte, lief Hassan unruhig in seiner privaten Kabine, in die sie Leona gebracht hatten, auf und ab.
“Gebrochen scheint nichts zu sein”, hörte er mit Erleichterung die erste Diagnose, “und Kopfverletzungen hat Ihre Frau auch nicht erlitten.”
“Und warum ist sie dann bewusstlos?” Der Tonfall war aggressiver als beabsichtigt, doch inzwischen hatte sich derartig viel Angst um Leona in ihm aufgestaut, dass sie sich ungewollt Bahn brach.
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