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Der Leser wird eingeladen, auf das eigene Herz zu hören, um ein glückliches Leben zu führen. Dies lernt Willi, 40, der todtraurig ist. Die Freundin hat ihn verlassen, die Eltern sind vor Kurzem gestorben. Er lebt allein auf dem Ändlhof und muss die geliebten Milchkühe hergeben, weil er die Arbeit alleine nicht schafft. Da bekommt er Hilfe von unerwarteter Seite, sein zukünftiges Töchterlein greift ein und eine weise Frau hilft Willi sich für alles zu öffnen – den Schmerz, die Liebe, die Leidenschaft. So geht schließlich eine Tür auf und eine liebenswerte kesse junge Frau tritt in sein Leben.
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Seitenzahl: 197
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Maria Theresia Müller
Lioba
Führung der Herzen
Für Mariele und die Bäume.
Danksagung
Ich danke dem Leben für alle Impulse, für alle Inspiration. Ich danke den Menschen auf meinem Weg für ihr Sein und ihre tatkräftige Liebe, die ich erfahren durfte. Besonders danke ich den Menschen und Tieren des Pflegerhofs für ihr Vertrauen. Mögen alle Wesen glücklich sein!
Hallo! Ich bin Lioba, das Kind vom Willi, der wo mein Papa ist. Das ist seine Geschichte. Sie fängt an, da war ich noch gar nicht auf der Welt, das Jahr hieß 1986. Tante Walli sagt, da war ich noch im Himmel. Und in einem russischen Land ist ein Atomkraftwerk in die Luft geflogen.
Ich habe schon viele Bücher gemacht, obwohl ich noch gar nicht in der Schule bin, auf der Hinterseite von Kopien, die meine großen Schwestern weggeschmissen haben. Die meisten handeln von Tieren und es gibt dort viele Zeichnungen. Ich verkaufe sie an meine Tanten und Onkel und verschenke sie an meine Freunde. Außerdem rede ich den ganzen Tag. Das geht meinen Schwestern oft auf die Nerven. Wir sind insgesamt vier Schwestern und ihr könnt euch vorstellen, was los wäre, wenn alle so viel reden würden wie ich. Dann würde nämlich keiner mehr was verstehen. Jede würde was erzählen, aber keine zuhören. Deswegen bin ich sehr froh, dass ihr das lest. Da kann keine Schwester reinquatschen. Ich rede einfach, weil es Spaß macht. Die Wörter purzeln so aus mir heraus. Also wie ich schon gesagt habe, geht es in dieser Geschichte um meinen Papa. Im ersten Teil berichte ich euch, wie er meine Mama kennen gelernt hat und ich werde es euch so erzählen, dass auch ihr es versteht. Weil ihr seid ja wahrscheinlich viel älter als ich. Und die Tante Walli, die schon groß und dick ist, hilft mir dabei. Außerdem hat sie den Papa schon gekannt, wo er noch ein junger Bursche war. Also jetzt geht’s los. Tante Walli erzählt es euch:
Der Willi geht über den Hof in den Kuhstall. Groß ist er, muskulös, voller Kraft. Seit ein paar Wochen fühlt er sich aber ein wenig steif im Rücken und auf seinem Herzen lastet ein großer, schwerer Stein. Zwischen den schwarzen Haaren scheint immer wieder mal ein silbernes durch und in seinem unrasierten Gesicht leuchtet hin und wieder ein heller Bartstoppel auf. Sein Leben lang hat er auf dem Hof gearbeitet, auf dem er aufgewachsen ist. Tagein, tagaus war er nicht um halb sechs aufgestanden wie die anderen Bauern, sondern um halb sieben. Er wollte noch ein Weilchen liegen bleiben, denn er hatte die Abende und Nächte der letzten zehn Jahre damit verbracht, zu lernen, zuerst für das Abendgymnasium und dann für das Studium der Physik. Das hat er schließlich mit einem hervorragenden Diplom in Astrophysik abgeschlossen, obwohl er wesentlich älter war als die meisten anderen Studenten. Jeden Morgen hatte er für das Futter der Kühe gesorgt, während seine Mutter mit dem Melken beschäftigt war. Im Sommer arbeitete Willi bis in die Dunkelheit hinein, damit der Hof am Laufen blieb, reparierte die Maschinen, bearbeitete die Felder, schwitzte und freute sich an der getanen Arbeit.
Doch dann starben kurz hintereinander seine Eltern. Er hatte plötzlich so viel Arbeit auf dem Hof, dass er das Programmieren am Computer für die Astrophysik kaum mehr schaffen konnte. Er hatte zwar einen fleißigen und netten Helfer, den Toni. Aber dieser Toni war erst neun Jahre alt und er kam auf den Hof, weil er den Willi gern hatte und für sein Leben gern mithalf, beim Kühe füttern, beim Maschinenreparieren, sogar beim Ausmisten.
An diesem heißen Sommertag sind die beiden damit beschäftigt, den verrosteten, alten Heuwender zu ölen. Da fährt Willis Schwester Agathe mit ihrem Rennrad auf den Hof, steigt dynamisch ab und geht mit leuchtendem Gesicht auf die beiden zu. „Ich hab die Green Card! Und eine Stelle im St. Francis Hospital in San Francisco! Ist das nicht der Hammer?“ Willi antwortet gelassen: „Gratuliere! Aber dann werden wir uns nicht mehr oft sehen.“ „Ich komm jedes Jahr im Sommer auf Urlaub. Aber Willi, jetzt ist es wirklich Zeit, den Hof zu verkaufen. Ich brauch das Geld für Amerika. Ich will mir ein neues Leben aufbauen. Und in den USA kauft man Häuser, man mietet nicht.“ „Kommt überhaupt nicht in Frage! Ich bleib hier wohnen.“ „Willi, jetzt sei nicht so stur. Du schaffst doch die Arbeit auf dem Hof überhaupt nicht. Die Landwirtschaft ist doch nur ein Klotz am Bein.“ „Du hast für die Natur noch nie was übrig ghabt. Ich verkaufe nicht.“ „Willst du dich auf einen Rechtsstreit mit mir einlassen? Das Erbe muss zu gleichen Teilen aufgeteilt werden. Und ich brauch das Geld jetzt.“ „Du willst mich zwingen, meine Heimat zu verkaufen?“ „Ja, das werde ich. Früher war der älteste Sohn Hoferbe. Aber damit ist jetzt Schluss. Ich hab auch ein Recht auf den Hof.“ „Des werden mir sehn, wie des ausgeht.“ „Überleg‘s dir im Guten. Ich geb dir eine Woche Zeit! Wenn wir uns nicht einigen, beantrag ich halt a Zwangsversteigerung! Dagegen kannst du überhaupt nichts machen!“
„So ist die Rechtslage?“
„So ist die Rechtslage!“
Damit verlässt Agathe die beiden und lässt Willi mit einem heftigen Gefühl zurück. Er spürt das erste Mal in seinem Leben, wie das ist, wenn es einem den Boden unter den Füßen wegzieht. Auch dem kleinen Toni geht es nicht gut. Ihm wird ganz mulmig bei dem Gedanken, dass der Willi vom Hof weg muss.
Zur gleichen Zeit steigt eine beleibte, ältere Frau aus dem Bus in Egelberg aus, Walburga Lechner, genannt Walli. Sie hat einen Koffer dabei und macht sich auf den Weg entlang der Landstraße Richtung Moosach.
Ja, Moosach, das ist unser Dorf, da wohnen alle, die ich kenne. Es heißt so, weil wir im Dorf sogar einen Bach haben, der hieß früher nicht Bach, sondern Ach und ein Moos haben wir auch, also besser gesagt, ein Moor, wo früher die Leute einen Torf gestochen haben. Das waren ganz arme Leute. Also deswegen heißt unser Dorf Moosach. Schön, oder?
Die Walli geht in der Sommerhitze, sie trägt goldene Ohrringe und ist mit einem lila Kleid mit orangen Blumen und einem lila Kopftuch bekleidet. Es geht ihr so einiges durch den Sinn, vor allem, ob sich noch jemand an sie erinnern würde. Denn zehn Jahre war sie nicht in Moosach gewesen und ihre Freundin Maria, die auf dem Ändlhof wohnte, ist schon ein Jahr tot. Den ersten Menschen, den sie am Dorfeingang sieht, kennt sie noch nicht, der alte Gaisenhauser Alois. Er sitzt auf einer Bank vor seinem Haus und schnitzt. Als er Walli sieht, mit ihren weiblichen Rundungen und dem großen Dekolletee, pfeift er durch die Zähne. Walli prüft ihn missbilligend und meint: „Bei uns sagt man Grüß Gott.“ Da nimmt der Alois die Holzmaske, an der er schnitzt, vors Gesicht und sagt mit dunkler Stimme: „Grüß Gott!“ Walli lacht herzlich und der Alois auch. Ihm wird innerlich ganz warm und er tut etwas, was er sonst eigentlich nie tut, er fragt, ob er ihren Koffer tragen solle. Walli willigt ein und so gehen sie ein Stück gemeinsam durchs Dorf. „Wohin willst du denn?“
„Zum Ändlhof“
„Nimmt der Willi jetzt Sommerfrischler auf?“
„Freilich, zur Sommerfrische tät ich auch gern kommen.“ Kurz vor dem Hof nimmt sie Alois den Koffer aus der Hand mit den Worten „Dank dir schön, des war der Ausgleich fürs Pfeifen.“ Der Alois möchte gerne ihren Namen wissen, aber Walli lässt ihn ohne Antwort stehen. Sie geht die letzten Meter allein. Alois sieht ihr gebannt nach. Was für ein Prachtweib, denkt er, da fühl ich mich gleich wieder jung. Walli dreht sich um, als hätte sie das gehört, geht dann schnurstracks über die Bachbrücke auf den Ändlhof, und bleibt vor dem Heuwender stehen, mit dem Willi und Toni beschäftigt sind. „Griaß eich!“, sagt sie. Willi sieht auf, wischt sich den Schweiß von der Stirn und fragt: „Tante Walli, oder?“ Er erinnert sich an das Gesicht. „Ja, ich bin die Walli.“ Sie schüttelt herzlich Willis verschmierte Hand und lächelt dem Toni zu. „Wir haben uns lange nicht gesehen“, sagt Willi. „Mogst einen Kaffee?“ „Ja“, sagt Walli und ihr fällt ein Stein vom Herzen, dass sie so warmherzig empfangen wird. Willi kocht einen starken Kaffee und einen Kakao für Toni. Dann sitzen die drei auf der Bank vor dem Haus und ruhen sich ein wenig aus. „Bist du wegen der Mama gekommen?“ fragt Willi. Walli schüttelt den Kopf, räuspert sich und sagt etwas zittrig: „Mein Pfarrherr hat mich rausgeschmissen. Ich hab meine Stellung verloren. Und jetzt weiß ich nicht, wohin.“ „Brauchst ein Nachtquartier? Du kannst ruhig ein paar Tage bleiben.“ Walli ist sehr erleichtert. „Willi, des is des größte Geschenk, was du mir machen kannst. – Zur Beerdigung von deiner Mama hab ich nicht frei gekriegt und jetzt hat er mich fristlos entlassen.“
Ja, die Tante Walli. Sie ist die Tante vom Papa und von mir und meinen Schwestern und von der Mama und eigentlich sagen alle im Dorf „Tante“ zu ihr. Aber sie ist gar nicht unsere echte Tante. Niemand weiß, woher sie gekommen ist. Mein Papa sagt, sie ist schon lange auf unserem Hof. Und wenn ich sie frage, „Du, Tante Walli, warum hast du keine Familie?“ Dann streicht sie über ihren großen Bauch, der ist wirklich groß, wir haben nämlich mal die Hundeleine von meiner Freundin Pauline herumgelegt und die hat nicht gereicht. Und dann sagt sie: „Ja mei!“
„Wenn du willst, kannst im Hollerhäusl wohnen. Da sind zwar noch Sachen von der Mama drin, aber es ist gemütlich und für eine Person ist alles da.“ Willi zeigt auf das kleine Austragshäusl neben der Scheune. „Und der Toni kann dir beim Auspacken helfen. Stimmt`s?“ Toni nickt eifrig. Walli ist so glücklich, eine Herberge gefunden zu haben. Im Lindenbaum vor ihnen rauschen die Blätter, der Bach plätschert. Und Walli hat Leute, die ihr helfen wollen. „Wenn du nix dagegen hast, helf ich dir heut aufd Nacht im Kuhstall“, meint Walli. Willi ist einverstanden. „Was Besseres kann mir momentan nicht passieren als jemand, der mir mit den Kühen hilft. I woaß manchmal nicht mehr ein noch aus und die Arbeit für die Uni hab ich auch noch.“
Mein Papa schreibt nämlich Programme, nein, keine Fernsehprogramme, Computerprogramme, die dann der Stivi, also eigentlich heißt er Stephan, in seine Teleskope einbaut und dann können die an der Unität Sterne anschauen und erforschen, wo Planeten sind und so was. Das ist echt toll. Und der Papa hilft dem Stivi dabei, der ist nämlich ein Professor und verdient einen Haufen Geld. Trotzdem hat er nicht alles, was er will. Zum Beispiel hat er keine Frau und das nervt ihn.
Genau in dem Moment, als Willi von seiner Arbeit an der Uni erzählt, läutet das Telefon. Willi geht hin und dran ist Stivi, genannt Stivi Wonder, weil er eine sehr schnelle Karriere gemacht hat und der jüngste Professor für Astrophysik ist, den es an der Universität gibt. Er hat gerade seine Professur bekommen und ist euphorisch bei der Arbeit. „In einer Woche brauch ich dein Programm“, sagt er. Willi denkt, den muss ich unbedingt einbremsen. Und antwortet: „Du kriegst das Programm in zwei Wochen. Versprochen.“ Stivi ist zufrieden und legt sofort wieder auf. Willi und er arbeiten mit einem ganzen Team an einem neuen 80 cm Teleskop für den Wendelstein.
Auf unserem Wendelstein kann man nämlich im ganzen Deutschland am besten sehen. Es gibt noch andere Teleskope, aber wir haben das beste Wetter zum Sterneanschauen. Und deswegen bauen der Stivi und der Papa immer bessere Teleskope, damit wir den ganzen Himmel anschauen können und herausfinden, was dort so los ist. Komischerweise haben sie noch keine Engel entdeckt, die müssen ja auch irgendwo da rumfliegen. Aber dafür braucht man wahrscheinlich spezielle Engel-Teleskope. Ich finde, sie sollten mal so was bauen.
Willi ist sehr zufrieden, noch eine Woche länger für das Programm und Tante Walli als Hilfskraft für den Hof zu haben. Er macht sich wieder an die Arbeit mit dem Heuwender und schickt Toni mit Walli ins Hollerhäusl.
Im Hollerhäusl lüftet Walli erst einmal die beiden Räume, die Küche und die Stube. In der Stube steht ein Bett, in dem Willis Mutter geschlafen hat, als er mit seiner Freundin Susanne im Haupthaus wohnte. Walli ist gerührt, die Sachen ihrer Freundin zu sehen. Sie streicht zärtlich über das Bett, den Tisch. Dann öffnet sie den Schrank und legt achtsam die Wäsche ihrer verstorbenen Freundin auf eine Seite, damit Platz ist für ihre Sachen. Sie stellt ihren Koffer auf das Bett und sagt zu Toni: „Magst mir helfen? Dann mach den Koffer bittschön auf!“ Toni nickt eifrig und öffnet den Koffer. Er gibt ihr die Sachen in die Hand und Walli legt alles fein säuberlich in den Schrank. Dabei unterhalten sie sich ein bisschen. Walli fragt ihn: „Wo wohnst du denn?“ Toni erzählt: „Ich wohn mit meiner Mama unterhalb vom Milliberg. Meine Mama arbeitet ganz viel und mein Papa ist schon lange fort gegangen. Des is ganz blöd, weil die anderen Kinder im Dorf mich deswegen immer hänseln. Die sagen, ich bin kein richtiges Kind, weil ich keinen Papa hab. Am liebsten würd ich dann was kaputt machen, so eine Wut hab ich im Bauch.“ Walli meint darauf: „Das versteh ich. Schau mal, meine Lieblingstasse hat einen Sprung gekriegt. Willst du sie vielleicht kaputt machen?“ Toni nimmt die Tasse in die Hand und überlegt. Walli sagt sanft: „Toni, jeder ist genau so richtig wie er ist. Und in jeder Familie gibt es komische Sachen. Du kannst ja nix dafür, dass dein Vater gegangen ist.“ Toni: „Du meinst also, ich bin richtig?“ Walli: „Freilich, du bist genau richtig.“ Toni: „Gott sei Dank. Ich hab denkt, ich bin irgendwie falsch wegen meim Papa.“ Er ruft laut: „Ich bin richtig!“ und haut die Tasse auf den Boden. Die Tasse zerbricht in viele kleine Scherben. Walli lacht und meint: „So, sehr gut. Und jetzt nimmst Schaufel und Besen und kehrst alles zusammen.“ Toni geht in die Küche, holt sich die Utensilien und bringt den Scherbenhaufen in Ordnung. Dann kümmern sie sich wieder um Wallis Koffer. Sie sind inzwischen am Grund des Koffers angekommen und Toni schöpft einen Verdacht. Denn als er Walli das letzte Kleidungsstück in die Hand gibt, sieht er mehrere interessante Gegenstände. Es liegen ganz unten im Koffer ein Kruzifix, eine Marienstatue, ein kleines goldenes Gefäß, ein Stein mit Zacken und ein kleines schwarzes Säckchen. Toni wundert sich, er sieht Walli an, die er sympathisch findet, sieht wieder die Gegenstände an. Er hat mal gehört, dass es früher Hexen und Zauberer gab. Könnte es sein, dass es immer noch welche gibt?
Es gibt nämlich gute und böse Hexen. Und früher haben sie alle Hexen umgebracht. Aber die Tante Walli sagt, jeder kann ein bisschen hexen. Die Hexerei steckt nämlich im Bauch und ich hab schon oft meinen Bauch gerieben, damit ich eine gute Hexe werde.
Als Toni Walli den Stein geben will, ruft sie schnell. „Nicht anfassen! Den Kristall brauch ich erst später, wenn ich da herin geputzt hab.“ Toni zuckt vor Schreck mit seiner Hand zurück. „Du kannst jetzt ruhig wieder Spielen gehen. Den Rest schaff ich alleine.“ Er möchte zu gern wissen, wozu diese Gegenstände sind. Ein Kreuz und die heilige Maria kennt er, aber einen Stein, den man nicht anfassen darf? Und was wohl in dem schwarzen Säckchen ist? „Ich geh dann mal heim zu meiner Mama“, sagt er und verschwindet.
Doch der letzte Satz ist glatt gelogen. Toni geht nicht nach Hause zu seiner Mama, sondern erst einmal in sein Lieblingslager, das er sich in einer dichten Schneebeerenhecke eingerichtet hat. Zu gerne würde er wissen, was es mit dem Stein auf sich hat. Er rupft ein paar Blätter von einem Holunder ab, hält sie vor seinen Kopf und schleicht sich so getarnt wieder aufs Hollerhäusl zu. Vorsichtig lugt er durchs Fenster und beobachtet Walli. Diese wischt Staub und dann putzt sie die Zimmer mit einem alten Putzlumpen. Bei sich hat Toni den Entschluss gefasst, herauszufinden, ob Walli zaubern kann.
Willi ist derweil mit seinem Computerprogramm beschäftigt. Die Zeit vergeht für ihn wie im Flug. Als er Hunger bekommt, schneidet er sich ein paar Scheiben Brot ab, nimmt ein Stück Käse in die Hand und setzt sich auf die Hausbank in die Sonne, um zu essen. Der Bach plätschert. Die Blumenbeete vor ihm sind voll von Unkraut, die Wäscheleine zwischen den Obstbäumen ist abgerissen und das Türchen zum Blumengarten, das nicht richtig schließt, quietscht in seinen Angeln. Willi betrachtet alles in Ruhe: Da hab ich wohl noch ein paar Aufgaben, denkt er sich und lächelt, bei mir ist halt nicht so aufgeräumt wie auf den anderen Höfen. Nach dem letzten Bissen Brot geht er hinauf in sein Schlafzimmer und legte sich eine halbe Stunde ins Bett. Dann telefoniert er mit der Raiffeisenbank Steinhofen und macht einen Termin für einen Kredit. Wenn Agathe unbedingt ihr Erbe braucht, dann muss er sie auszahlen. Ob er aber einen weiteren Kredit bekommt, ist unsicher, denn er hat schon für sein Studium Geld aufgenommen und zahlt im Monat 550 Mark zurück. Er grübelt ein bisschen über seine Geldsituation und macht sich wieder ans Programmieren.
Walli indes ist nun bereit, ihr neues Heim einzuweihen. Sie setzt sich ruhig hin, nimmt den Kristall in die Hand und murmelt ein Gebet. Toni beobachtet gespannt, wie sie mit dem Stein in der Hand spricht. Leider kann er nicht verstehen, was sie sagt, aber es sind sicher Zaubersprüche, denkt er sich. Es läuft ihm ein Schauer über den Rücken. Dann beobachtet er, wie sie ein schwarzes, rundes Stück Kohle anzündet und in das goldene Gefäß legt. Sie öffnet das kleine schwarze Säckchen. Heraus kommen kleine, gelbliche Bröckchen, die sie auf die glühende Kohle legt. Das muss ein Zauberpulver sein, denkt Toni. Rauch dringt aus dem Gefäß. Walli geht Richtung Fenster, da kriegt es Toni jedoch mit der Angst zu tun, er duckt sich und hält die Luft an. Nach einer Weile rennt er so schnell er kann Richtung Milliberg, er will nach Hause. Für ihn ist klar, dass Walli kein normaler Mensch ist. Auf der Hauptstraße kommt ihm Simmerl entgegen, der Oberbursch von der Burschenschaft im Dorf. „Servus!“ grüßen sich die beiden. Simmerl fragt: „Und? Warst wieder beim Willi aufm Hof?“
„Ja, da is jemand Neues einzogn, ins Hollerhäusl.“
„Oha. Wer is nacha einzogn?“
„Ich glaub, die Frau is a Hex.“
„Na, Mahlzeit. So jemand hat uns im Dorf noch gfehlt. Bist du sicher?“
„Schaus dir halt selber an! Ich muss jetzt heim.“ Toni rennt schnell weiter und lässt den grübelnden Simmerl stehen. Simmerl geht mit forschem Schritt auf den Änd-lhof zu. Als erstes nähert er sich dem Hollerhäusl und schaut durchs Fenster. Drin sieht er Walli, wie sie mit dem Kristall in der Hand redet. Es ist aber niemand da, mit dem sie reden könnte. Auch Simmerl läuft es eiskalt den Buckel hinunter. Eine Hexe als Nachbarin, das hat ihm gerade noch gefehlt. Schnell macht er sich auf den Weg ins Haupthaus, um mit Willi zu reden.
Willi steht in der Küche, deren Wände vom Holzofen schon ganz grau geworden sind und kocht sich eine Kartoffelsuppe. Simmerl tritt ein, ohne anzuklopfen und sagt: „Servus Willi, wer isn da bei dir einzogn?“ „Servus“, sagt er gelassen. Des is die Lechner Walli, a Freindin vo meina Mutter.“
„Aha. Und die is in Ordnung?“
„Freili is die in Ordnung, auf die Walli is Verlass.“
„Sei vorsichtig, Willi, bei so alte Weiber weiß man nie.“
„Also was du bloß hast. Für die Walli leg ich meine Hand ins Feuer.“
„Des wer ma ja segn. Der Toni sagt, sie war vielleicht a Hex. So was können wir im Dorf net brauchen.“
„Der Toni is a Kind und du bist a erwachsener Mo, so ein Schmarrn. Die Walli is doch koa Hex net.“
„Pass auf, Willi! I moans im Guadn.“
Willi denkt an seine Kühe und spürt die Trauer in seinem Herzen.
„Sag amal, Simmerl, dadsd du mir meine Kia abkaufen. I geb die Milchwirtschaft auf. Alloa is des net zum Schaffen.“
„Ja, des passt guat. In zwei Wochen, wenn mei neuer Stall fertig ist, kannt is holen.“
„Du kannst die Kia jederzeit anschauen. Gehst einfach in Stall eini. Und dann red ma übern Preis.“
„So mach mas. Und dann sollten mir zwei mal in Ruhe euern ganzen Hof und die Felder anschauen. Die Agathe hat mir gsagt, ihr verkaufts alles und ich hab Interesse.“
„Ich verkauf net.“
„Die Agathe hat gsagt, du musst.“
„Da is des letzte Wort noch nicht gesprochen. Wir müssen uns einigen. Ohne meine Zustimmung geht da nix.“ „Na ja, dann schau ma mal, wie des nausgeht. Ich möchte auf jeden Fall vergrößern. Wachse oder weiche! So schauts aus mit der Landwirtschaft in diesen Zeiten.“ „Und ich soll weichen?“
„Willi, sei doch vernünftig! Du hast doch einen anständigen Beruf. Es wird zu deinem Guten sein, wenn du verkaufst. Also was ich noch sagen wollt: Kimmst heit mit zum Volkstanz in Egelberg?“
Willi brummt: „Mei, Simmerl, ich bin müd. Du weißt doch, dass ich nicht so gern fort geh.“ Simmerl schaut in den Kochtopf, sieht auf die wässrige Brühe und meint: „Wenn du allerweil so ein Zeug isst, kömma dich bald aufm Friedhof besuchen. Willi, du brauchst wieder a Frau. Oder du machst an Kochkurs!“ Willi antwortet schnell: „Du Gscheidhaferl, weißt ja nicht einmal den Unterschied zwischen Majoran und Thymian. Ich koch, was mir schmeckt.“ Der Simmerl lacht: „Hast auch wieder recht. Also, wennsd mogst. Mir san heit aufd Nacht in Egelberg.“ Dann verabschiedet sich Simmerl und Willi rührt im Kochtopf. Auf der Eckbank liegt seine Gitarre. Er liebt es, abends am Küchentisch zu sitzen, die Gitarre zu spielen und eins zu werden mit dem warmen Klang. Wenn er ein neues Stück übt und die Melodie irgendwann wie von alleine und leicht die ganze Küche durchdringt, dann ist es gar nicht mehr schlimm, dass er sich von so vielem hat trennen müssen, von der Freundin, dem Vater, der Mutter.
Walli geht über den Hof zu Willi in die Küche: „Ich war dann fertig im Hollerhäusl. Was kann ich denn für dich machen?“ Willi antwortet: „Setz dich einfach. Mogst aa a Suppn?“ Er klagt ihr sein Leid. In den letzten zwei Jahren sind die Eltern gestorben und seit dem Tod seiner Mutter kann er nichts mehr richtig fertig bringen, weder die Arbeit für die Uni noch die Arbeit auf dem Hof. Und dann hat ihn vor drei Monaten auch noch seine Freundin Susanne verlassen. „Die Susanne is Pharmazeutin. Sie hat alles sehr genau genommen und ihr Beruf is ihr das Wichtigste. Sie wollte immer, dass ich den Hof aufgeb und mich voll auf die Astronomie konzentrier. Sie wollte, dass ich Karriere mach und dass wir uns in München a Wohnung nehmen. Bis zu meim Geburtstag im März hat sie mir Zeit gebn: Entweder der Hof oder sie. Und ich hab dann im März a neue Sämaschin kauft. Des war das Ende. Sie hat mir die Teekanne vor die Füße geschmissen, die ich ihr geschenkt hab und geschrien: „Mit dir bringts keine Frau zu was.“ Walli wirft ein: „Und des glaubst du?“ Willi: „Schau dich doch um, wies bei mir ausschaut. Es is anscheinend mei Schicksal, dass ich allein bleib. Und ich hab auch gar kein rechten Schwung mehr für die Arbeit.“ Walli entgegnet: „Du hast a Depression.“ „Vielleicht hast du Recht. Und jetzt will die Agathe auch noch, dass wir den Hof verkaufen. Sie will mit dem Geld nach Amerika.“ „Des is hart. Du hast doch dein ganzes Leben hier gewohnt.“ „Ja. Was soll ich machen? Sie hat ein Recht auf ihre Hälfte und des Amerika kann ich ihr nicht ausreden. Sie will unbedingt zu die Amerikaner.“ „Die Amerikaner san lockerer drauf als wir. Ich kann des schon verstehen. Könnt ihr des Erbe nicht aufteilen?“