Love Studies: Never Kiss a Villain - Andreas Dutter - E-Book

Love Studies: Never Kiss a Villain E-Book

Andreas Dutter

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Beschreibung

Never kiss a villain – selbst wenn es noch so verführerisch scheint  Im ersten Band von Andreas Dutters queerem New-Adult-Liebesroman-Duett »Love Studies« trifft der Überflieger-Doktorand Quentin auf den attraktiven Massimo, der ihm in mehrfacher Hinsicht gefährlich werden könnte …  Zwei Überflieger-Doktoranden mit ehrgeizigen Zielen und ganz viel unerwartetem Herzklopfen Der 24-jährige Überflieger Quentin Wallace ist überglücklich, weil er zusammen mit einem anderen jungen Doktoranden ein besonderes Stipendium ergattert hat: Die beiden dürfen im zauberhaften Obsidian Hill Cottage in Glasgow wohnen, das der Uni vermacht wurde. Außerdem erben sie ein Vermögen – falls sie ihren Doktortitel in der vorgegebenen Zeit erwerben. Für Quentin, der als Vollwaise sein Geschichtsstudium mit diversen Nebenjobs finanzieren musste, ist das Erbe die Chance seines Lebens. Er muss sich unter allen Umständen auf seinen Doktortitel konzentrieren – nur das ist leichter gesagt als getan. Denn der gutaussehende Massimo tritt in sein Leben und lässt nicht locker, bis er Quentin erst zu einem, dann zu immer weiteren Dates überredet hat. Bald merkt Quentin, dass er viel zu oft an Massimo denkt statt an seine Bücher. Er kann nicht ahnen, dass Massimo ebenfalls ein ehrgeiziges Ziel verfolgt … Mitreißende queere Romance! Eine queere Rivals-to-Lovers-Liebesgeschichte von Own-Voice-Autor Andreas Dutter um liebenswerte Nerds an der Uni in Glasgow, die brillant sind in dem, was sie tun, nur vielleicht in Sachen Liebe noch ein wenig Nachhilfe brauchen …  In »Never Date Your Enemy« – dem 2. Liebesroman der New-Adult-Reihe »Love Studies« – muss Quentins Mitbewohner Cormac mehr als eine schwierige Entscheidung treffen.

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Andreas Dutter

Never Kiss a Villain

Love Studies

Roman

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Der 24-jährige Überflieger Quentin Wallace ist überglücklich, weil er zusammen mit einem anderen jungen Doktoranden ein besonderes Stipendium ergattert hat: Die beiden dürfen im zauberhaften Obsidian Hill Cottage in Glasgow wohnen, das der Uni vermacht wurde. Außerdem erben sie ein Vermögen – falls sie ihren Doktortitel in der vorgegebenen Zeit erwerben.

Für Quentin, der als Vollwaise sein Geschichtsstudium mit diversen Nebenjobs finanzieren musste, ist das Erbe die Chance seines Lebens. Er muss sich unter allen Umständen auf seinen Doktortitel konzentrieren – nur das ist leichter gesagt als getan. Denn der gutaussehende Massimo tritt in sein Leben und lässt nicht locker, bis er Quentin erst zu einem, dann zu immer weiteren Dates überredet hat. Bald merkt Quentin, dass er viel zu oft an Massimo denkt statt an seine Bücher. Er kann nicht ahnen, dass Massimo ebenfalls ein ehrgeiziges Ziel verfolgt …

 

 

Weitere Informationen finden Sie unter: www.droemer-knaur.de

Inhaltsübersicht

Widmung

Triggerwarnung – Hinweis

Charakterzeichnungen

The Glasgow Gazette

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Liste sensibler Inhalte / Content Notes

Für all die queeren Menschen, die aufgrund ihrer Queerness Gewalt (sei es physisch oder mental) erfahren haben oder gestorben sind. Für all die Menschen, die sich dennoch dieser Gefahr aussetzen und öffentlich für Gleichberechtigung kämpfen. Für alle, die sich noch nicht sicher genug fühlen, um sie selbst zu sein. Für alle Allys.

Bei manchen Menschen lösen bestimmte Themen ungewollte Reaktionen aus. Deshalb findet ihr am Ende des Buches eine Liste mit sensiblen Inhalten.

 

The Glasgow Gazette

Professor verstirbt in Unibibliothek

Die Studierenden an der University of Glasgow starren die Blumenkränze, Kerzen und Bilder ihres Professors Francesco Romeo Segreto an. Viele betiteln ihn als Lieblingsprofessor. Seine Kollegschaft beschreibt ihn wie folgt: aufopferungsvoll und blitzgescheit.

Seine Aufopferungsbereitschaft darf die University of Glasgow selbst nach seinem Tod noch spüren, denn in seinem Testament hat Professor Segreto auch die Universität bedacht.

Francesco Romeo Segreto hat sich zeit seines Lebens nicht nur als Historiker einen Namen gemacht. Er wird selbst in die Geschichte eingehen. Nicht wegen seines Todes an seinem Lieblingsort, der Unibibliothek, angeblich Schlaganfall. Er hat mit seinem Wissen nicht nur im Fernsehen als Historiker Antworten gegeben, sondern in vielen Demos, Reden und Projekten immer wieder sein Gesicht gezeigt und die Menschen daran erinnert, wie wichtig es ist, aus der Geschichte zu lernen. Und ganz im Sinne dieses Leitsatzes vererbt er der Universität einen Großteil seines Vermögens, da Wissen für ihn stets das höchste Gut gewesen ist.

So steht es im Testament.

Segreto hat nicht nur für die Universität, sondern auch für die Stadt Glasgow einiges erreicht. Angefangen mit seinen Errungenschaften für die historischen Museen der Stadt bis hin zu seiner viral gegangenen Rede.

Wie sein Erbe exakt verteilt werden wird, ist nicht bekannt. Doch wie heißt es so schön? Des einen Freud ist des anderen Leid. Denn: Sosehr sich die Universität auf das Erbe freut, es gibt da den Sohn des Professors. Ob Massimiliano Segreto – in der Stadt besser bekannt als Party-Miliano Scandalo – diesen Verlust einfach hinnehmen wird? Wir werden berichten.

Kapitel 1

Quentin

Ich lehnte mich gegen die Scheibe meines Fensters. Des einzigen Fensters in meiner Wohnung. Es brachte kaum Abkühlung. Denn genau heute musste sich Glasgow dazu entscheiden, uns einen sonnigen, schottischen Tag zu bescheren. Hallo, aufgeheiztes Fenster, bye, Kühle. Okay, das Wetter entschied nicht die Stadt selbst, aber wer interessierte sich schon für Meteorologie? Ich wollte jetzt auf sie sauer sein – die Stadt –, also war ich das auch.

Der feuchte Lappen, den ich mir in den Nacken gedrückt hatte, fühlte sich auch nicht mehr kalt, sondern wie ein lauwarmer Brei an. Danke, Glasgow, dass du heute nicht mal kalt bleiben konntest.

Wieder huschten meine Augen zum Zeitungsartikel vor mir auf dem breiten Fensterbrett.

Verschwommen. Scharf. Verschwommen. Scharf.

Die Buchstaben vermengten sich zu einer tintenschwarzen Schlange. Eine Sekunde später brannten sie sich wieder glasklar in meinen Kopf. Dort hinterließen sie einen Abdruck für die Ewigkeit.

Wieder änderte sich nichts an dem Bericht. Ich überflog ihn täglich, um meinem Gehirn zu sagen: »Du hast dich nicht geirrt. Es ist kein schlechter, extrem makabrer Scherz. Keine Verwechslung.« Trotzdem konnte ich es noch nicht begreifen. Nicht nach der Beerdigung. Nicht nach den Zeitungsartikeln.

Professor Francesco Romeo Segreto war gestorben.

Ich blinzelte mich aus der Todesanzeige meines Professors und legte sie weg, weil mal wieder ein Kopfwehstich durch meinen Nacken hoch in meine Schläfen wanderte.

Beste Idee meines Lebens, mich am Vorabend des einzigen Tages in der Woche, an dem ich nicht zu einem meiner Jobs musste, bis zur Oberkante volllaufen zu lassen. Jetzt konnte ich die freie Zeit weder für meine Uni-Arbeiten nutzen noch mich entspannen. Die Zeit verrann mir zwischen den Fingern, die selbst jetzt noch nach Alkohol rochen, und ich fühlte mich gefangen in einem stickigen Raum, der mein drückendes Unbehagen widerspiegelte.

Das Dröhnen meines Laptops zog meine Aufmerksamkeit auf sich, als sich aus irgendeinem Grund der Bildschirm aus dem Ruhemodus einschaltete. Die Lüftung klang, als lüde ich sämtliche geheime Staatsakten jedes Landes der Welt herunter. Oder als öffnete ich gleichzeitig alle Websites meiner Favoritenliste. In meinem Kopf pochten die passenden mahnenden Worte im Rhythmus des blinkenden Cursors: »Schreib. Endlich. Du. Hast. Kein. Geld. Und. Musst. Das. Studium. Beenden. Damit. Du. Dir. Einen. Richtigen. Job. Suchen. Kannst.« Oh, eines fehlte noch. »Du. Esel.«

Daneben stapelte sich der Berg von Mahnungen und Rechnungen wie in einem RomCom-Film, in dem die Protagonistin Geldsorgen hatte. Ich hoffte, bald käme mein unmoralisches Angebot, das ich annehmen musste, um sie zu bezahlen – die vielen Stunden, die ich mit Nebenjobs verbrachte, reichten jedenfalls nicht dafür. In den letzten Wochen hatte ich öfter eine Ärztin aufgesucht, die schon nur noch darauf wartete, dass ich zusammenbrach. Studium, lernen, an der Kasse stehen, Regale einräumen (nicht im selben Laden), Nachhilfe, bei einem Blumenladen aushelfen … Burn-out, hm, ja, ich lief direkt in seine Arme. Ich sollte ihm einen Namen geben. Vielleicht Donald? Donald van Burn-out. Mein Kopf sprang von einem Gedanken zum nächsten, so viel Chaos herrschte in ihm.

Wieder ging ein Stich durch meinen Kopf. Warum müssen Köpfe so wehtun, wenn wir Alkohol trinken? Wieso hatte ich nicht genug Wasser getrunken vorm Schlafengehen? Weshalb hatte ich mich überhaupt mit diesem Dings … äh, Typen da getroffen? Letzteres verdiente es, dass ich meinen Kopf ein wenig von der Fensterscheibe hob und ihn wieder dagegenknallen ließ.

»Aua!«

Mein Blick fiel wieder auf den Zeitungsartikel.

Segreto war nicht mehr da. Segreto, der mir trotz allem nie angeboten hatte, ihn beim Vornamen zu nennen. Aber irgendwie klang es auch edler, ihn Segreto zu nennen. Niemand war mehr da. Als Vollwaise hatte ich irgendwann begonnen, mein Herz zu verschließen, und vor Professor Segreto war ich der Meinung gewesen, mich an mein Vorhaben halten zu können.

Quentins Herz ≠ Ort für Liebe.

Aber Segreto … Segreto hatte diesen Strich durch das Gleichzeichen wegradiert. Okay, das klang, als wäre da was gelaufen. Das ist es nicht. Er hatte mich in seinen Vorlesungen entdeckt, mein Gespür oder meinen Hang oder – ach, keine Ahnung, was das passende Wort dafür war. Segreto. Der hätte das passende Wort gefunden. Vielleicht … Hingabe! Ja. Hingabe war gut. Der meine Hingabe zur Geschichte entdeckt und gefördert hatte. Wir teilten diese Leidenschaft zur Geschichte sowie Philosophie, und er war zu … Ja, was? War es vermessen zu sagen, er war zu einer Vaterfigur geworden? Ohne Vaterkomplex oder Liebelei mit einem älteren Professor. Ich wusste ja nicht einmal, was ein Vater war. So auf der emotionalen Ebene. Aber er kam meiner Vorstellung eines Dads nahe.

Ich überflog den Artikel erneut und blieb wieder bei Segretos Sohn hängen. Mein erster Gedanke? Ob Segreto mich oder seinen Sohn lieber mochte. Unangebracht und absurd. Selbstverständlich mochte er seinen Sohn lieber als mich. Ob er mich mal erwähnt hatte?

Wie sein Sohn wohl aussah? Okay, Schluss. Der One-Night-Stand-Fehler von gestern reichte für die nächsten Jahrhunderte. Was war denn aus meinem Schwur geworden: Keinen Sex mehr, nur um mein Selbstwertgefühl zu steigern? Natürlich schon, wenn ich es wollte und darauf Lust hatte, aber nicht mehr lediglich aus dem Grund, weil ich dachte, wenn ich mit diesem beliebten Typen Sex hätte, würde das auch mich besser machen. Ich wusste doch eigentlich, dass es nicht langfristig half. Sucht war nie ein Hilfsmittel. Hatte die Geschichte etwa jemals etwas anderes erzählt? Nope. Ich würde ja einen tollen Historiker abgeben.

Nein, keine Selbstwert-pushenden Dates mehr mit irgendwelchen heißen Typen in creepy Hinterzimmern, bei denen ich mich hinterher besser an die schmierigen Vorhänge erinnerte als an den Namen meines Lovers. Und schon gar keine mit dem Sohn meines verstorbenen Doktorvaters. Auch nicht als Fantasie.

Ich konnte die Einsamkeit in meinem Herzen nicht füllen, indem ich, na ja, andere Stellen in meinem Körper oder die Körper anderer füllte.

Mein Handy vibrierte neben mir auf dem Fenstersims. »Oh, danke. Ablenkung, das brauche ich jetzt.« Weg mit den Gedanken an Danielos – ah, das war sein Name gewesen! – verschwitzten Schoß und seinen etwas zu festen Biss in mein Ohrläppchen.

Erleichtert entsperrte ich mein Handy. Was nicht so einfach war. Mein Handy hatte die besten Jahre längst hinter sich. Ich durfte so gut wie keine Bilder oder andere Daten in meinem Speicher mehr haben, damit es nicht heiß lief. Wenn ich meine Geschichtsvideos machte … Nun ja, sagen wir so: Es war gefährlich.

Toll.

Spam-Mail.

Haben Sie Probleme, Sexpartner in Ihrer Umgebung zu finden? Dann …

»Nein!«, schrie ich meinem Handy entgegen – da entdeckte ich darunter eine Mail von gestern Abend. Die hatte ich ja gar nicht geöffnet.

Die Uni?

Lieber Mister Wallace,

 

wir alle trauern noch. Der Verlust unseres sehr geehrten, überaus geschätzten Professors Francesco Romeo Segreto, der die Universität Glasgow nicht nur bereichert hat, sondern ihr …

Blablablabla. War das eine Rundmail an alle? Ich konnte gerade einfach nichts von Segreto lesen. Es schmerzte zu sehr. Vor allem, wenn es sich nur um leere Worthülsen handelte. Selbst auf der Beerdigung hatte nur ein Pressesprecher der Universität gesprochen und dabei kein einziges Wort darüber verloren, wie und wer Segreto wirklich gewesen war. War sein Sohn überhaupt da gewesen? Ich konnte es gar nicht sagen, so sehr hatte ich neben mir gestanden.

Da ich mich lieber über Rundmails als über mich ärgerte, las ich weiter. Der Text ging generisch weiter. Dann noch Aufzählungen seiner wichtigsten Publikationen und … Moment, was war das? Mit dem Rücken meines Zeigefingers schob ich meine Brille hoch.

Deshalb melden wir uns heute bei Ihnen, Mister Quentin Wallace, um Sie darüber zu informieren, dass Sie eingeladen wurden, einer Testamentsverlesung mit dem Anwalt der Familie Segreto, Doktor Sharma, beizuwohnen. Diese findet, wie von Professor Segreto gewünscht, für alle Studierenden in der Universitätsbibliothek statt. Wo genau, finden Sie im Anhang.

Das fand ich eine nette Geste. Sie wollten wohl für die Transparenz öffentlich verkünden, wofür die Gelder von Segreto verwendet werden sollten. Es freute mich, dass ich als einer von Segretos Top-Studenten eine persönliche Einladung bekommen hatte, um mir das anzuhören. Ich strich über seinen Namen in der Mail, und der Bildschirm dankte es mir mit einem Hochscrollen bis zum Anfang. Seufzend wischte ich mich wieder nach unten.

Wie Sie sicherlich wissen, hat Professor Segreto sein Leben der Universität und der Geschichte gewidmet. Deshalb wollte er auch nach seinem Tod sichergehen, dass Menschen mit seiner Leidenschaft die Welt da draußen nicht vergessen lassen, dass …

»… die Geschichte sich so oft in unserem Leben wiederholt und wir, statt ständig weiterzuwachsen, oft Rückschritte machen«, ergänzte ich den ikonischen Ausspruch wie automatisch. Ich hatte ihn so oft von meinem ehemaligen Professor gehört, dass ich gar nicht anders konnte. Wobei Segreto das nie als gegebenen Fakt sah. Für ihn war es eher eine Mahnung. Dass die Geschichte sich wiederholte, wenn wir als Menschen das nicht einsahen und uns änderten. Geschichte müsste sich nicht wiederholen, lernten wir alle mehrheitlich aus unseren Fehlern.

Es tut uns leid, dass der Termin so kurzfristig zustande kommt. Bei uns hat sich leider ein administrativer Fehler eingeschlichen. Wir hoffen, dass Sie es dennoch möglich machen können, sich zu der Verlesung einzufinden, die am …

Ich überflog die restlichen Worte und sprang auf.

»Woah!« Keine gute Idee, mit Schwindel irgendetwas schnell zu machen.

Aber der Termin war in nicht mal einer Stunde!

Mit meinen Zeigefingern massierte ich meine Schläfen und stellte mich vor den schmalen Ganzkörperspiegel an der Wand neben meinem Fenster.

Konnte ich so gehen?

Also natürlich nicht so, nur in schwarzen, eng anliegenden Shorts. Aber mit diesem Gesicht? Mit den verquollenen Augen unter meiner Brille? Ich wuschelte durch die dunkelsten dunkelbraunen Haare der Welt und entschied, dass das reichen musste.

Kapitel 2

Quentin

Die gläserne Fassade des stattlichen Bibliothekskomplexes empfing mich, als ich die Tür durchschritt. Über dem Eingang prangte das Schild der University Library, dessen Design an ein U-Bahn-Schild erinnerte. Im Inneren herrschte eine angenehme Ruhe. Meine Studenten-ID griffbereit, schritt ich durch das Drehkreuz. Im Aufzug nach oben hatte ich das Gefühl, die blauen Lichter um die runden Knöpfe starrten mich wie Roboteraugen an. Als ahnten sie, warum ich hier war. Ich drückte den Knopf. Ein Ruck schüttelte mich durch, und wir sausten in die Höhe.

Die Türen glitten auf, und ich folgte dem Flur, bis ich den Raum mit der passenden Zimmernummer erreichte und anklopfte. Dahinter hörte ich quietschende Stühle, Räuspern und ein Sorry. Daraufhin öffnete sich langsam die Tür, und ein Mann mit dunkelblauer Krawatte lugte hervor.

»Guten Tag, Sie sind Mister Wallace?«

»Ja, der bin ich.« Wow. Hatte mich Segreto so sehr gemocht? Hatte er so viel über mich erzählt, dass mich alle sofort erkannten? Da fühlte ich mich gleich wie ein Star. Das war … Das …

»Schön, dass Sie da sind. Ich bin Doktor Sharma, der Anwalt von Professor Segreto. Sie sind der Letzte auf der Liste.«

Das war extrem peinlich. Er kannte mich nur, weil ich der Letzte war, der noch fehlte. Nicht weil ich so wichtig war. Was hatte ich mir nur gedacht?

»Freut mich, tut mir leid, dass ich zu spät komme. Mein … Taxi hat einen Platten gehabt.« Das stimmte gar nicht, aber ich hatte den Drang, mich in einem guten Licht zu präsentieren. Leider war das kein Einzelfall. Mir war es so wichtig, von Leuten gemocht zu werden, dass ich seit meiner Kindheit zu kleinen Notlügen griff, um besser dazustehen. Wie auch jetzt. Vielleicht war das auch so ein Heimkinder-Ding. Früher hatten wir uns alle Geschichten überlegt, warum unsere Eltern uns nicht wollten. Wir wussten alle, sie waren gelogen, aber dennoch hatten alle mitgespielt à la »Wow, dein Dad ist ein Superheld und kämpft auf dem Mars für das Universum? Wie krass …«

Doktor Sharma öffnete die Tür weiter, und ich schlüpfte zwischen ihm und dem Rahmen hinein. »Kein Problem. Tut mir leid für die Unannehmlichkeiten.«

»Danke, alles gut.« In dem kleinen Raum saßen einige Leute eng beieinander auf einer dunkelgrünen Couch in U-Form. Selbstverständlich starrten sie alle den Zuspätkommer an. Mich.

»Schön, dann sind wir vollzählig.« Professor Kiprotich, der eng mit Segreto gearbeitet hatte, kratzte sich verlegen an der Glatze und deutete mit seiner Hand auf den freien Platz auf der Couch direkt vor ihm.

Doktor Sharma saß bei Professor Kiprotich, dazwischen ein Kerl, den ich erst jetzt bemerkte. Sie saßen hinter dem Schreibtisch wie eine Jury. Merkwürdig. Der Typ zwischen Sharma und Kiprotich erinnerte mich an jemanden. Warum fand das Treffen jetzt doch in diesem Büro und in kleinem Kreise statt? Sollten nicht alle erfahren, wofür sie die Gelder verwenden würden?

»Schön, dass Sie nun alle anwesend sind. Neben mir sitzt der Sohn unseres verstorbenen, allseits geschätzten Professor Segreto. Massimiliano Segreto.« Die Ankündigung von Kiprotich wirkte kühl.

»Hey.« Seine Begrüßung klang eher nach einem brummenden Hund, der kein Leckerli bekommen hatte. Woher kannte ich ihn? Dann sah er mich an, und seine Augen weiteten sich. Nur für einen Moment, dann wandte er den Blick schnell ab.

Genau wie es auch Professor Segreto getan hat, sobald ihm Mittel für neue Bücher gekürzt worden waren, dachte ich.

An ihn erinnerte dieser Typ mich also. An Segreto selbst. Die treuen Augen. Diese treuen, hellbraunen Augen. Zumindest mit Fantasie und wenn ich den Rest seiner Mimik ausblendete.

»Mister Segreto hat sich entschlossen, seinen Thailand-Trip für uns zu verschieben, um Sie kennenzulernen.« Wie ich diesen Seitenhieb von Segretos Anwalt liebte.

Massimiliano war also eine sonnengebräunte Schlange mit vom Meerwasser verwuschelten Chaoshaaren. Statt zu antworten, streckte er sein Kinn vor und fuhr mit den Fingern über seinen Dreitagebart, als wollte er damit verhindern, dass ihm unbedacht etwas Unkluges entwich. Schließlich, nach einem Moment der Stille, sagte er leise: »Sehr gerne.«

»Warum sind wir nun hier?« Macy Gumede, eine junge Frau, die letztens einen Vortrag über veraltete Bücher im Lehrplan in Bezug auf trans Personen gehalten hatte. Ihr Charisma auf der Bühne hatte alle eingenommen, so sehr, dass einige Lehrkräfte sich dazu entschieden hatten, ihre Literaturvorschläge anzunehmen, noch bevor dies von oberster Stelle abgesegnet worden war.

»Genau darauf wollte ich nun zu sprechen kommen, Miss Gumede.« Professor Kiprotich drückte seine Finger an den Kuppen aneinander und spreizte sie ein wenig. »Wir wollen Ihre Zeit auch nicht zu lange beanspruchen, es ist nur, nun, wie sage ich das. Eine solche Situation haben wir noch nicht gehabt. Der Universität sind selbstredend schon mal einige Erbschaftsanteile oder Spenden zugekommen. Doch dieses Mal ist es … anders.« Anders? Was meinte er damit? Die Stimme des Professors blieb ruhig. Sie war tief, weich, ein wenig wie eine Hörbuchstimme. Trotzdem schaffte sie es, dass sich nach dem letzten Satz alle Studierenden im Raum aufrichteten. Worum ging es hier eigentlich? Verteilte er nun ein paar Aufgaben für die richtige Veranstaltung, in der sie erzählten, wofür die Gelder verwendet werden sollten?

Ich beugte mich vor. Näher zu ihm. Wollte nichts verpassen.

Der Professor wandte sich zum Anwalt. Beide warfen sich mehrere flüchtige Blicke zu. Jedes Mal, wenn sie aufeinandertrafen, legten sich ihre Stirnen mehr in Falten.

»Das kann Ihnen Doktor Sharma besser erklären.« Mit einer bedeutungsvollen, langsamen Geste richtete er das Wort an ihn.

In der Mitte zwischen ihnen: Massimiliano. Er rutschte etwas tiefer in den Stuhl und legte die Spitze seines kleinen Fingers an seine Unterlippe. Nach und nach schossen mir die Erinnerungen an den Typen von gestern Nacht in den Kopf.

Schluss damit.

Keine. Selbstwert-Dates. Mit. Dem. Sohn. Meines. Toten. Doktorvaters! Auch nicht im Kopf!!

»Worauf Ihr Professor hinauswill, ist, dass Professor Segreto nicht nur eine große Summe an die Universität gespendet hat.« Mehrfach linste der Anwalt auf seine Papiere.

»Sondern?« Ein Typ hinten, am unteren Ende der U-Form, meldete sich zu Wort. Dabei zupfte er seinen schwarzen Rollkragenpullover am Nacken zurecht und strich sich danach über die pastellrosa Haare. »Warum so geheimnisvoll?«

»Professor Segreto hat sich dazu entschlossen, sein geliebtes Obsidian Hill Cottage am Rande Glasgows beim Possil-Loch-See als Wohnsitz an Studierende zu vergeben, die aktuell an ihrer Promotion arbeiten. Die idyllische Lage und die Abgeschiedenheit sollen ihnen helfen, sich mit voller Konzentration ihrer Arbeit zu widmen, und sie darüber hinaus finanziell entlasten. Dabei ist es ihm ein Anliegen gewesen, dass die ausgewählten Personen dasselbe Engagement für die Universität an den Tag legen, wie auch er …«

Massimiliano stieß ein »Pff« aus und verschränkte die Hände hinter seinem Kopf. Und als er mit den Händen einmal kurz seine Haare nach vorn strich, schoss es mir wie ein Blitz durch den Kopf. Wie bei dem Dingsbums von gestern Nacht … ah! Danielo. Als er seine Kapuze aufhatte. Moment. Das … Das war Danielo von gestern Nacht?! Beziehungsweise war Danielo Massimiliano. Das konnte doch nicht wahr sein, oder? Ich guckte zu seinen Händen. Diese großen Hände, die meinen Hintern – Ach, du … Hatte Massimiliano mich deshalb so angesehen? Hatte er mich erkannt? Wir beide hatten – offensichtlich – nicht unsere echten Namen benutzt, waren stockbetrunken, und es war dunkel gewesen, vielleicht checkte er es genauso wenig wie ich im ersten Moment …

Doktor Sharma räusperte sich, und ich zwang mich, meine Aufmerksamkeit wieder ihm zuzuwenden. »… wie auch er sein Leben der Universität gewidmet hat.« Ein mahnender Seitenblick zu Massimiliano folgte. Dieser hob einen Moment beide Augenbrauen und sah weg. »Außerdem, und das möchte ich ebenfalls betonen, sollen diese beiden Plätze an zwei Studierende gehen, die es finanziell gesehen nötig haben.«

Verstand ich das richtig? Wir wurden zu dieser Testamentsverlesung eingeladen, weil wir etwas bekommen sollten?

Die Stimmung wurde unruhig, und bevor jemand unterbrechen konnte, fuhr er fort. »Falls nun die Frage aufkommt, warum wir nicht nur jene beiden eingeladen haben: Professor Segreto war es wichtig, dass mehrere Studierende, die ihn in den letzten Semestern beeindruckt haben, eingeladen werden. Wir haben für alle, die nicht von ihm ausgewählt wurden, Briefe, die Professor Segretos Bewunderung ausdrücken. Doch nicht nur das. Sie sind alle hier, weil Segreto große Stücke auf Sie gehalten hat und weil Sie alle dazu eingeladen sind, sich in den kommenden Semestern auf einen Wohnsitz im Cottage zu bewerben. Denn für Professor Segreto ist es wichtig, dass Lernende gefördert werden. Nur für die jetzige erste Runde sind die beiden Plätze bereits vergeben.«

»Die Chance auf einen Platz?«, meldete sich Bram Toohey zu Wort und fuhr durch seine kurzen blonden Haare. Ich kannte ihn von ein paar Erweiterungsseminaren in Geschichte, die er vor zwei oder drei Semestern belegt hatte. Inzwischen schrieb er offenbar ebenfalls an seiner Doktorarbeit in Geografie. »Na, da bin ich jetzt gespannt.« Er verschränkte seine Arme, was seine trainierten Oberarme zur Geltung brachte, und hob seine Augenbrauen. Gleich danach sah er von Doktor Sharma zu mir und zwinkerte mir zu. »Oder?«

Etwas perplex zuckte ich nur mit den Schultern und merkte, wie mir heiß wurde.

»Mein Dad liebte solche Auftritte und Leute gegeneinander aufzuhetzen«, sagte Massimiliano und erntete dafür entsetzte Blicke von Kiprotich, Sharma und mir. Wie konnte er so über seinen Vater sprechen, der all das ermöglichte?

»Hört sich nach einem vorbildlichen Vater an.« Der Sarkasmus triefte aus Brams Worten, aber seltsamerweise schien Massimo das zu gefallen. Am liebsten hätte ich etwas gesagt, doch ich wollte nicht auffallen und behielt meinen Unmut für mich.

Doktor Sharma fuhr mit seinem Finger über das Papier und sah nur kurz auf. »Ähm, also. Es war so der Wunsch von Professor Segreto. Aber das mit dem Cottage ist nicht alles. Professor Segreto hinterlässt den ersten beiden Studierenden im Obsidian Hill Cottage ein Vermögen. Also den zweien, die er für dieses erste Stipendium ausgewählt hat. Die Jahre danach liegt es in der Hand der Universität, wer die Plätze im Cottage bekommt, dann natürlich ohne zusätzliches Erbe oder andere finanzielle Stipendien.«

»Was denn für ein Vermögen?« Bram Toohey wiederholte das Wort, und ich war mir nun sicher, es mir nicht eingebildet zu haben. Ja, verdammt noch mal, was für ein Vermögen?

Doktor Sharma holte Luft. »Die ersten beiden dieses Jahr haben die Chance auf ein Vermögen von dreihunderttausend Pfund, wenn sie ihre Doktorarbeit in der von Professor Segreto vorgegebenen Frist bis Anfang September abgeben. Die genauen Daten bekommen Sie per Mail. Professor Segreto hat, für den Fall seines Ablebens, genau vorgegeben, wie viele Wochen nach der Testamentsverlesung Sie Zeit haben.« Wenn Segreto das alles so genau festgelegt hatte, musste er gewusst haben, dass er nicht mehr lange zu leben hatte. Traurig, dass er das mit sich selbst ausgemacht hatte.

»Dreihundernsnd?« Das Wort quietschte der Rollenkragentyp am hinteren Ende der Couch blitzschnell hervor und verschluckte dabei in seinem Schock die letzten Buchstaben.

War das mein unmoralisches RomCom-Geldangebot, das ich nicht ausschlagen konnte, falls ich es bekam? Shiiiit.

Wir guckten uns alle an. Stillschweigend versicherten wir uns, alle dasselbe vernommen zu haben.

»Ganz konkret haben entweder beide, einer von ihnen oder niemand die Chance auf das Erbe. Schaffen es beide bis zum Schluss, teilen sie sich das Erbe, schafft es einer, bekommt es diese Person, schaffen es beide nicht, geht alles an Professor Segretos Sohn zurück.«

Massimiliano kommentierte das mit einem unnötig langen Luftausstoßen. Er hatte wahrlich kein Gesicht, das seine Emotionen verbergen konnte. Genau diese unbändigen Emotionen hatten mich mit ihm im Bett beinahe zum Durchdrehen gebracht. Mist. Wie konnte das nur passieren?

Ich schluckte. Schluckte meine Fassungslosigkeit, meinen Drang, aufzuspringen und im Kreis zu gehen, und all meine Hoffnungen, die mit dieser Nachricht einhergingen, hinunter. Noch nie in meinem ganzen Leben war ich so nahe an so einer Summe gewesen. Niemals hätte ich gedacht, mit meinem Hang zur Geschichte und dem Lernen auch nur in Verbindung mit so einer Summe zu stehen. Mir wurde schwindelig. Ich lehnte mich zurück. Beugte mich wieder vor. Stützte meine Ellbogen an meinen Oberschenkeln ab. Nahm sie wieder runter. Knetete meine Hände durch. Ich musste die Fassung bewahren.

Wenn ich eines nicht wollte, dann, zu bedürftig zu wirken. Aber das war ich. Sehr sogar. Die Regale mit den unzähligen Mappen und Postern von Uni-Festen verschwammen vor mir, verzerrten sich, bis ich mich wieder in die Klarheit zurückblinzelte. So klar, wie es mit meiner Sehschwäche ging.

»Aber wie wurde das entschieden?« Stimmt, daran hatte ich noch nicht gedacht. Nastja Robnik allerdings schon. Sie studierte ein Semester weniger hier als ich und schrieb auch schon an ihrer Doktorarbeit.

»Kann ja schon mal verraten, dass ich nichts mitzuentscheiden habe.« Massimiliano schenkte uns ein Giftlächeln. Nach und nach versteinerte seine Miene und verharrte in seinem angepissten Zustand. Bis er mich ansah. Als unsere Blicke sich trafen, wanderten seine Augen einige Sekunden an mir hinab, blieben in meinem Schoß hängen, huschten wieder hoch und dann … Dann zwinkerte dieser ... dieser ... dieser Arsch mir zu. Natürlich erkannte er mich. Mist.

»Da sprechen Sie einen wichtigen Punkt an.« Professor Segretos Anwalt lehnte sich zurück und legte das Papier beiseite.

»Das würde ich aber auch gerne wissen.« Bram Toohey wirkte genauso gereizt, wie ihn alle beschrieben. Er war öfter mal in Prügeleien verwickelt, er war ebenso gefährlich wie intelligent. Ihn mochte und schätzte Segreto auch? Hatte er jemanden von ihnen lieber gehabt als mich?

»Natürlich, Mister Toohey …«

»Bram reicht«, unterbrach er ihn.

»Also … Das hat Professor Segreto entschieden. Wie er selbst schrieb: anhand von Leistungen und weil hier mit die jüngsten Doktoratsanwärter und -anwärterinnen der Universität sitzen. Ferner haben Sie alle innerhalb Ihrer Institute Beiträge geleistet, die für die Universität wichtig sind, und nutzen Ihre Studien auch außerhalb, um damit die Werte der Universität zu vertreten. Und Sie alle haben irgendwie mal mit Professor Segreto zusammengearbeitet. Sei es direkt mit ihm als Professor, in anderen Kursen oder in anderen Angelegenheiten, und er ist von Ihnen beeindruckt gewesen.«

»Und wer sind nun die Glücklichen?«, hakte Bram nach. »Und vor allem: Wer bekommt nur diese Briefe und die Chance auf einen Platz im Cottage?« Er setzte sich aufrecht hin und sah dabei kurz zu mir. Lange hielt unser Blickkontakt nicht, und er setzte sich vor an den Rand der Couch.

»Dazu kommen wir jetzt, und ich finde nicht, dass es angemessen ist, sich über Briefe der Wertschätzung und die Aussicht auf einen Platz im Obsidian Hill Cottage von Professor Segreto derartig zu äußern. Schließlich war er nicht verpflichtet, überhaupt etwas der Universität oder deren Studierenden zu vermachen.« Professor Kiprotich nickte dem Anwalt zu, fortzufahren.

»Bei all diesen Punkten gibt es eine Person unter Ihnen, die dabei ganz klar hervorsticht.« Bitte, lieber Doktor Sharma, sagen Sie meinen Namen – schickte ich als Stoßgebet ins Universum.

»Mister Cormac Glenn.« Merkwürdig, aus Doktor Sharmas Mund klang Quentin Wallace ganz anders, als ich es gewohnt war. Oh, warte, weil das gar nicht ich war. Shit.

Obwohl ich hier auf dieser Couch, vor allen, meine Fassung bewahren wollte, sackten meine Schultern nach unten. Meine Mimik hatte ich einigermaßen unter Kontrolle, sodass der schmale Strich, zu dem mein Mund geworden war, gerade noch so nach oben ging. Es fühlte sich an, als hob ich zwei Felsen an meinen Mundwinkeln an, damit sie ein wenig Freude zeigten.

Wir alle im Raum suchten nach diesem Cormac. Es war Mister Rollkragenpullover. Sein Mund stand leicht offen, und er deutete auf sich. »I-ich?« Er hob seine Augenbrauen unterschiedlich hoch an, bis eine witzig-verdutzte Welle auf seiner Stirn zu sehen war. »Ich?«, wiederholte er und strich sich eine blassrosa Strähne aus dem Gesicht.

Ich suchte Massimilianos Blick. Er hing ebenfalls an Cormac. Nur konnte ich nicht einschätzen, was er dachte. Bisher war seine Mimik wie ein Stummfilm, die alles sagte, was ich wissen musste. Doch jetzt, was … Was trieb ihn um? Er blinzelte nicht mehr. Seine Augen hingen an Cormac, als versuchte er, in seinen Kopf zu stieren.

»Ja, Mister Glenn. Professor Segreto hat geschrieben …« Doktor Sharma musste nun doch wieder seine Unterlagen fassen. Er murmelte den Text rasch vor sich hin, bis er die Stelle fand. »… dass Sie mit dreiundzwanzig Rekorde brechen, Ihr meteorologisches Wissen und Ihre Forschungen bahnbrechend sind. Sie arbeiten beim lokalen Nachrichtensender, haben Auslandsjahre gemacht, in London im führenden Zentrum, das für die Wetteraufzeichnung in England zuständig ist, geholfen und, und, und. Er schreibt auch, ich soll nicht vor allen auf Ihre Finanzen eingehen, aber Sie sollten sich an all Ihre gemeinsamen Gespräche erinnern.«

Cormacs Brust blähte sich auf. Immer mehr. So tief holte er Luft. Statt etwas zu sagen, nickte er und blies die Luft langsam durch seine Nase raus. »Danke.«

»Beschleunigen wir das etwas.« Professor Kiprotichs Vorschlag klang gut. Vor allem, wenn ich Brams böses Funkeln in den Augen sah, seitdem Cormacs Name gefallen war.

»Bitte«, stimmte Massimiliano zu.

»Selbstverständlich, Professor Kiprotich. Also. In Abstimmung mit den Unterlagen von Professor Segreto ist der zweite Name auf der Liste: Quentin Wallace.«

Kapitel 3

Massimo

Ein paar Sekunden musste ich mich noch zusammenreißen. Ein paar Wege noch entlanglaufen. Dann, aber dann würde ich so was von austicken. Meine Arme verkrampften sich, so viel Überwindung kostete es mich, die Tür hinter mir nicht zuzuknallen. Die Studierenden um mich heizten meine Nerven zusätzlich auf. Sie, mit ihren beschissenen Umhängetaschen, Coffee-to-go-Bechern und Bücher in fester Umarmung vor ihren beigen Outfits umhertragend. Ich stellte mir vor, mit was für einer Bewunderung mein Dad sie jeden Tag auf dem Weg zur nächsten Vorlesung bestaunt hatte. Und wie er im stillen Kämmerlein die Volldeppen ausgewählt hatte, die mein Erbe bekamen. Meines! Ja, ich durfte unser Haus behalten und meinen Pflichtanteil, aber nicht das Familiencottage, und das Vermögen schmerzte auch. Wenn ich mir bloß vorstellte, was damit alles an dringend benötigten Dingen in den Tierheimen angeschafft werden könnte, mit denen ich zusammenarbeitete! Wie viele Hunde es von der Straße retten könnte, statt dass es ein paar selbstgerechten Studierenden in den Rachen gestopft wurde … Ich musste mich bei irgendjemandem abreagieren, also zerrte ich mein Handy aus der Tasche und wischte das Bild von meinem Hund Salaì zur Seite.

Hey Wlada, bist du in der Stadt? Bräuchte jemanden zum Reden. Wie sieht es heute um 20 Uhr aus? Im Cilian – biadh glasraichs?

Ich steckte das Handy wieder weg und stapfte weiter. Früher hatte ich diesen Ort gemocht. Gemeinsam hatten meine Mom und ich Dad hier besucht, wir hatten mit ihm zu Mittag gegessen, und er hatte mir Tausende Geschichten über die Universität von Glasgow erzählt. Ich hatte an seinen Lippen gehangen und mir vorgestellt, wie wir eines Tages gemeinsam die Uni besuchten. Ich als Student und er als Professor.

Nun, das hatte sich nicht so entwickelt wie erhofft. Mit einem gedanklichen Augenrollen kommentierte ich innerlich jeden einzelnen Fakt über die Universität, der mir gerade durch den Kopf schoss. Während ich durch die alten Kreuzgänge des Innenhofs schlenderte und meine Blicke über die gewölbten, offenen Bogengänge und majestätischen Säulen schweifen ließ, spürte ich, wie sich in mir alles zusammenzog. Ich hasste die umherschwebende Präsenz meines Dads und die Erinnerungen an ihn. Warum musste ich überhaupt hier sein? Hatten sie gehofft, ich würde bei der Verlesung den großzügigen Gönner raushängen lassen und mich über die triefäugige Dankbarkeit freuen, während sie mein Erbe einstrichen – das einzig Gute, was Dad mir noch hätte zukommen lassen können, nachdem es mit väterlicher Liebe ja nicht weit her gewesen war? Von wegen! Während ich mir auf die Zunge gebissen hatte, um nicht ausfallend zu werden, war mir vor allem eines klar geworden: Ich würde dieses Geld nicht aufgeben, und wenn die beiden es nur bekamen, solange sie ihre Frist einhielten, dann würde ich dafür sorgen, dass das nicht geschah. Wie ich das Cottage zurückbekam, darüber musste ich mir noch mal Gedanken machen, aber das Vermögen würde im September auf mein Konto fließen. Ach, Cazzo! Warum musste ich mir darüber überhaupt Gedanken machen? Konnte Dad nicht wenigstens nach seinem Tod aufhören, mich zu demütigen? Ich hätte einfach in Thailand bleiben sollen, wo sie meine Arbeit wenigstens zu schätzen wussten. Unter meinen Fingernägeln spürte ich noch den Phantomdruck feiner Sandkörnchen am Strand. Zumindest hatte ich dank meiner Arbeit in Thailand die Beerdigung meines Dads verpasst. Ich hatte zwar gelogen, als ich gesagt hatte, ich bekäme so bald keinen Flug, aber ich hätte nicht dabei sein wollen.

»Scheiß drauf«, flüsterte ich mir zu und verließ die Uni.

Vor den Toren des Campus lag die viktorianische Wohngegend im West End – wieder so ein Begriff, den Dad mir eingebläut hatte, trotzdem fühlte ich mich hier draußen gleich mehrere Zentner leichter. An einem schwarzen Zaun mit goldenen Spitzen legte ich meine Finger bei einem der Gitterstäbe an und ließ sie im Gehen darüberrattern. Eine dumpfe Melodie entstand und verpasste mir Kindheits-Vibes. Die von der guten Sorte dieses Mal. Entlang der University-Gardens-Straße zog sich eine ewig lange bunte Linie parkender Autos, unter denen auch ich einen Parkplatz ergattert hatte.

In meinem schwarzen Ford Focus Titanium X schnallte ich mich an, richtete meinen Spiegel und machte das Radio an. Es verband sich mit meinem Handy und spielte Mad World von Alexz Johnson. Die Gesichter der Erbschleichenden im Büro erschienen wie geisterhafte Fratzen vor mir an der Autoscheibe. Sie wollten mich bestehlen. Letzter Wille hin, letzter Wille her. Warum wollte mein Dad mir meine Zukunft rauben? Er wusste … Er kannte mich. Warum sollte ich seinen Willen respektieren, wenn er meinem auch nie nur ein Fünkchen Achtung geschenkt hatte?

»Fuck.« Meine aufgestauten Aggressionen entluden sich, und ich schlug auf das Lenkrad ein.

Und noch mal. Und noch mal. Und noch mal.

»Du Arschloch!« Wie konntest du mich alleine lassen, bevor wir uns vertrag… Nein, bevor du eingesehen hättest, wie allein du mich gelassen hast! Wie scheiße du zu mir warst? Bevor du deswegen bei mir zu Kreuze gekrochen wärst und wir doch noch irgendwie zueinandergefunden hätten?

Diese Gedanken nagten unaufhörlich an mir, drängten sich in meine Seele und schienen sich im Inneren meines Wesens zu verfangen. Als ob sie in einem ständigen Kreislauf verweilten, ohne jemals einen Ausweg zu finden. Es war, als ob die Energie, die sie mit sich brachten, in meinem Körper gefangen wäre ohne Hoffnung auf Entkommen. Ich hatte das unheilsame Gefühl, dass mein Körper jeden Moment vor Anspannung explodieren würde.

Bevor das geschehen konnte, lenkte mein Handy mich ab.

Eine Nachricht von Wlada.

Das klingt ziemlich runterziehend. Darauf habe ich gerade so gar keine Lust, mein Lieber. Wir sind in Bali, komm doch lieber vorbei und feiere mit uns. Aber bitte gut gelaunt. Oder such dir noch mal ’nen heißen Kerl so wie gestern Nacht. Wie ich immer sag: Lächle und gönn dir was Schönes.

Lächle, und alles sollte sich bessern? Ich rollte mit den Augen. Wlada eben. Dann schrieb ich halt jemand anderem. Ich wechselte zu meinen Kontakten und scrollte sie durch. Und scrollte. Und scrollte. Die Oberflächlichkeit meiner Kontaktliste war keine Neuheit für mich. Trotzdem schmerzte es. Da war einfach fucking niemand mehr. Niemand!

Obwohl … Doch.

Ich rief Abby an.

Es klingelte. Und während ich darauf wartete, dass Abby abnahm, sickerte ein anderer Teil von Wladas Nachricht zunehmend durch all die Wolken von Wutgedanken zu mir durch.

Ein heißer Typ wie gestern Nacht?

Unweigerlich sah ich sein Gesicht vor mir.

Quentin. Oder sollte ich sagen, Josh? Der Typ, mit dem ich vor der Testamentsverlesung noch einen One-Night-Stand gehabt hatte, als wär nicht alles schon kompliziert genug? Fuck. Im wahrsten Sinne des Wortes. Ich hatte ihn gefickt. Wir uns gegenseitig.

Fuck indeed.

Da suchte ich extra unbedeutenden Sex, gab mich als jemand anders aus, um nicht Mister Scandalo zu sein, und jetzt … hatte ich es ausgerechnet mit dem Erbanwärter getrieben. Es klingelte noch immer. Leider half es aber nicht, die Gedanken an die Nacht mit ihm aus meinem Kopf zu drängen. Ich erinnerte mich an Jo…, äh, Quentins Körper unter mir. Meine Hand in seinem Nacken und wie wir es in dem alten Zimmer über einer Bar, das ich gemietet hatte, getrieben hatten, nachdem wir uns über eine App betrunken getextet hatten. Im Rausch des Feierns waren wir aus der Partynacht ausgebrochen und hatten uns getroffen. Wie um alles in der Welt hätte ich damit rechnen sollen, dass das so endete?

Ja, ich fand ihn heiß. Verdammt heiß.

Und ich musste ihn leider hassen und sein Leben zerstören. Troppo drammatico. Meine italienische Spezialität.

»Ja?« Das Klingeln wurde zu einem Wort.

»Ja?«, wiederholte ich.

»Du hast mich angerufen, mein Lieber.« Oh, Abby! Ich sah sie vor mir, wie ihre Zornesfalte tiefer wurde und sie mich mit ihrer rechten hochgezogenen Augenbraue ansah. Dazu die Haare in alle Richtungen abstehend, weil sie morgens sofort aus dem Bett rollte und sich als Erstes um ihre Tiere kümmerte, bevor sie auch nur eine Sekunde an sich dachte.

»Stimmt, sorry, ich bin etwas neben der Spur.«

»Verstehe ich, tut mir leid, dass ich nach dem Tod deines Dads nicht so viel Zeit für dich gehabt habe. Bei mir in der Tiervilla geht es drunter und drüber … Ich hab den Zuschuss für das neue Gehege nicht bekommen, dann muss der Traktor in die Reparatur und, ja, keine Ahnung, gerade brennt die Hütte. Aber damit will ich dich nicht belasten, du hast genug zu tun. Ich sollte für dich da sein und …«

»Nein!«, unterbrach ich sie. Sie sollte, nein, sie durfte sich nicht schuldig oder verantwortlich fühlen. »Ich …« Ihre Tiervilla war einer meiner Lieblingsorte in Schottland. Sie hatte mir vor fast zehn Jahren, als ich zum ersten Mal freiwillig bei Abby ausgeholfen hatte, mehr über das Leben beigebracht als meine Eltern jemals. »Ich wollte nur deine Stimme hören. Das mit dem Anbau bekommen wir hin, ja?«

Noch während ich die Worte aussprach, wurde mir bewusst, dass ich in Zukunft mit solchen Versprechen wohl etwas vorsichtiger sein musste. Ich half Abby und anderen Tierpflegestellen wie ihrer seit Jahren mit dem Geld meiner Familie aus – ohne es an die große Glocke zu hängen. Die Öffentlichkeit ahnte nichts davon, dass ich mich weltweit in Tierheimen engagierte. Das war mein ganz eigenes, privates Ding. Nicht mal Abby selbst hatte ich gesagt, dass viele der Spenden, die ich angeblich bei meinen Kontakten für ihre Villa einwarb, in Wahrheit aus dem Privatvermögen meiner Familie stammten. In diesem Moment allerdings wurde mir mit einem Mal klar, dass meine Ressourcen für diese Art von Hilfe mit Dads letztem Willen so begrenzt waren wie nie zuvor. Würde ich sie ausgerechnet jetzt im Stich lassen müssen? Das konnte doch wohl nicht wahr sein!

»Das ist lieb, Massi, aber ehrlich gesagt bin ich diesmal nicht so optimistisch. Die Bank hasst mich offenbar, und um alles über die regelmäßigen Spenden aufzufangen, ist die Summe zu groß. Die Leute brauchen ihr Geld selbst, aber die Tiere … Ich kann sie doch nicht ihrem Schicksal überlassen oder weggeben und …« Sie schluckte. »Ach, egal. Du hast recht. Uns fällt schon was ein.« Sie erlaubte sich nicht, lange Trübsal zu blasen, und räusperte sich ihre starke, toughe Stimme zurück.

»Moment, das klingt, als gäbe es da noch etwas.« Nervös trommelte ich mit meinen Fingern gegen das Lenkrad.

»Na ja, ich wollte dich nicht belasten, aber die Bank will mir bald eine letzte Frist setzen, und ich weiß nicht, wie bald die sein wird. Dann …«

»Eine Frist!?« Meine Stimme war nur noch ein Krächzen.

»Nein, sie lassen das für mich fallen. Natürlich eine Frist.« Sie atmete laut aus. »Sorry, bin mit den Nerven am Ende. Es geht hier um meine Tiere, um ihr Leben.«

Wie viele verkorkste Zufälle konnte es eigentlich geben? Bald würde das verdammte Erbe wieder auf mein Konto fließen. Ich musste unter allen Umständen dafür sorgen, damit ich Abby und allen anderen weiterhin helfen konnte. Die Tiere und alle, die sich um mich kümmerten, waren in den letzten Jahren mein einziger Halt gewesen. Sie alle verließen sich auf mich. Sie wussten zwar nicht, dass ich es war, viele ahnten nicht einmal, dass ich eine reiche Familie hatte, aber ich fühlte mich für sie alle verantwortlich.

»Massimo?« Ihre Stimme erinnerte mich daran, dass sie immer noch dran war.

»Ja, sorry.«

»Hast du nicht im April noch gemeint, du hättest wahrscheinlich einen Spender, kannst du den nicht fragen?«

Natürlich hatte ich den gehabt, und zwar mich! Aber jetzt hatte ich nichts mehr zum Spenden. »Klar«, sagte ich trotzdem. »Den bekomme ich überzeugt. Wir schaffen das!«

Lange kam keine Reaktion von ihr. »Bestimmt. Müssen wir ja. Für die Tiere.«

Ich nickte, eher für mich, Abby konnte es ja nicht sehen. »Für die Tiere. Ich komme bald mal raus, ja?«

»Klar, und dann … Hey! Stellt das wieder hin. Diese Hunde. Ich, ich …« Sie hatte aufgelegt.

Ich lachte kurz auf und steckte das Handy weg. Der Nachklang des Lachens schmeckte bitter. Nein, diese Frau durfte ihre Villa nicht verlieren. Das würde ich einfach nicht zulassen.

Mein Griff zum Autoschlüssel bestätigte meine innerliche Angespanntheit. Ich hielt den Schlüssel so fest in der Hand, dass es mir schwerfiel, ihn im Zündschloss zu drehen.

Das Geräusch des anspringenden Motors brachte mich endlich ein wenig runter. Die letzten Tage schon war ich ziellos, laut Musik hörend durch Glasgow gefahren. Vom Norden über den Clyde-Fluss in den Süden zum West End und zum East End, um meine Gedanken von Dad abzulenken. Es würde auch heute funktionieren.

Spoiler: Tat es nicht. Stattdessen fuhr ich an den Ort, an dem mir ein Vergessen am allerwenigsten gelingen würde.

 

»Komm, Salaì.« Erneut klatschte ich in die Hände. »Guck mich nicht so an. Ich hebe dich nicht über die Pfütze.«

Dieser Cockerspaniel konnte einem das Leben wirklich schwer machen. Ich hätte ihn doch nicht holen sollen. »Hopp. Hopp.«

Salaì bellte einmal und hob den Kopf, als wäre er empört über meine Bitte. Seine Schlappohren wackelten dabei, und ich liebte es, wie die welligen Locken seines Fells im Wind mittanzten.

»Salaì, bitte.« Mein flehender Unterton verriet ihm ohnehin, dass er bald gewonnen hätte.

Was ich an Glasgow nicht vermisst hatte? Dass sich hier gefühlt vier Jahreszeiten an einem Tag abspielten. Heute Morgen war es nebelig und windig gewesen, auf dem Weg zum Auto kam die Sonne raus, bei der Fahrt hierher schüttete es wie aus Eimern, und jetzt erfüllte das schottische Grau den Himmel. Fehlte nur noch Schnee, aber der kam zum Glück im Juni nicht. Die vierte Jahreszeit am Tag machte dann erst der September voll.

»Da legt der sich auch noch hin.« Meine Schultern gingen nach unten, und ich hüpfte über die Pfütze zu ihm. »Komm, Sturkopf.« Aus den Knien heraus hob ich ihn hoch, und sobald wir über die Pfütze gekommen waren, sprang er selbst von meinem Arm und tapste voraus.

»Glaub nicht, ich vergesse das!«

Endlich erreichten wir das Ende des unebenen Weges, und sobald wir um die Ecke der verwilderten Bäume kamen, erblickte ich es.

Das Obsidian Hill Cottage meiner Familie. Noch. Bald gehörte es der Universität von Glasgow. Ich musste an Quentin denken. Wie war sein voller Name gewesen? Quentin Wallace? Meine Schritte verlangsamten sich, während ich mir sein Gesicht in Erinnerung rief.

Er sah eigentlich ziemlich niedlich aus. Niedlicher als im Schummerlicht der Nacht, als er unter mir gelegen hatte. Da war er verflucht heiß gewesen. Seine unbeholfene Art, als sein Name genannt wurde, war allerdings wieder sehr niedlich.

Aber nicht, wenn er im Begriff war, mir einen Teil meines Erbes zu stehlen. Da war er weder niedlich noch heiß, sondern abstoßend hässlich.

Es war offenbar Zeit, wieder am Wetterrad zu drehen und das Grau durch ein paar Wolkenbrüche mit Sonnenschein zu vertreiben. Das goldene Licht erhellte die Weite. Das Grün der Graslandschaft wirkte satter. Und ein einziger Strahl umhüllte das Cottage. Ich nahm die morsche Brücke über den Fluss und hörte das Knacken des Holzes. Ein Luftstrom brauste durch die Felder zu mir, wirbelte meine Haare auf, blies Salaì durch das kupferne Fell, und ich saugte den Windstoß tief ein. Lange behielt ich diese reine, kühle Luft in mir, fühlte, wie sie mich von innen heraus erfrischte, und stieß sie wieder aus.

Salaì lief voraus. War ein heller Tupfer in der Landschaft und sprang vor dem Holztor auf und ab. Bei jedem Schritt, den ich näher kam, schlang ich fester und fester meine Arme um mich. Nicht weil mir kalt war. Immerhin war ich ein halber Glaswegian. Nein, es waren die Erinnerungen. Lebhafte, halb transparente Gedankenspiele aus längst vergangenen Zeiten liefen flackernd vor meinem inneren Auge ab.

Meine Eltern, die im Vorgarten zu Musik tanzten. Der Gänseblümchenrock meiner Mutter wirbelte hoch. Ich lief Schmetterlingen hinterher. Und überall standen Staffeleien mit Moms Bildern. Sie fing dauernd neue an, weil sie nie zufrieden war, nur um auch diese wieder halb fertig stehen zu lassen. Dazwischen Bücherstapel meines Dads. Irgendwo: ich. Aber nicht an dritter Stelle, irgendwo nach ihren Leidenschaften, der Geschichte, der Architektur, Geld, Kunst und Co. Nein, hier im Cottage war ich endlich gleich wichtig wie die Passionen meiner Eltern, genauso selig treibend, träumend irgendwo wie alles andere.

Vor der hüfthohen Steinmauer blieb ich stehen, strich über die chaotisch angeordneten Brocken. Das Moos, das sich an einigen Stellen angesiedelt hatte, fühlte sich an wie ein feuchter Schwamm unter meinen Fingerspitzen. Nur etwa einen Fußbreit entfernt lag die alte Holztür, deren rostigen Riegel ich zur Seite schob. Obwohl die Erinnerungen an die Berührungen meiner Eltern, die das Tor so oft geöffnet hatten, längst vom Wetter abgewaschen und mit den Jahren verblasst waren, spürte ich noch immer die Wärme ihrer Hände darauf.

Sobald ich die Tür geöffnet hatte, huschte Salaì zwischen meinen Beinen hindurch hinein. Zweimal geblinzelt, und die verschwommenen Gestalten der Vergangenheit verpufften. Weg war das Bild von früher. Der Kiesweg bis zur hellblauen Tür war geharkt, und die … Moment. Die Blumen am Rand wankten leicht im Wind? Hä? Wie konnte das sein? Eigentlich hätte es viel unordentlicher sein müssen.

Die Büsche um den Vorgarten waren rundlich getrimmt. Wie damals. Die Fenster nicht voller Wasserflecken, Schmutz oder innen verstaubt. Sondern … Glänzend? Ich spulte in meinen Gedanken zurück. Die hellblaue Tür! Sie und die Fensterrahmen im ersten und zweiten Stock waren frisch gestrichen. Als hätte sie jemand mit der Farbe des Himmels an einem sonnigen Sommermorgen angemalt.

Und plötzlich, einfach so, erkannte ich einen Kopf hinter den sechs Glasflächen an der Tür, und sie öffnete sich. Das konnte doch unmöglich wahr sein.

»Dad, Mo…« Meine Stimme versagte.

»Oh. Hey, Massimo.« Jasna schob ihren roten Hut zurück und den weißen Flechtkorb mit ein paar Tulpen darin den Unterarm hoch. »Wir haben uns seit meinem ersten Tag bei dir im Haus gar nicht mehr gesehen. Wie geht’s Anita?«

»W-was machst du hier?«, sagte ich perplex und musste an Anita, meine alte Hausbetreuerin, denken, die ihr ganzes Leben bei uns gearbeitet hatte und wie eine Mutter für mich gewesen war. Merkwürdig, nun Jasna ihren Job machen zu sehen.

Jasna strich sich ihre mattblonden Haare hinter die Ohren und legte den Kopf ein wenig schief. »Ähm. Arbeiten? Das ist doch das Obsidian Hill Cottage, oder?« Noch bevor sie weitersprechen konnte, ging sie in die Knie. »Na, wer bist denn du?«

Salaì wedelte mit dem Schwanz und lief vor Jasna im Kreis. Seltsam, normalerweise war der Kerl nicht so zutraulich.

Jetzt verstand ich auch, warum mein Dad Jasna Nikolić vor seinem Tod nicht nur als Nachfolgerin der alten Hausbetreuerin bei mir zu Hause, sondern auch für das Cottage eingestellt hatte. Sie sollte das Cottage wieder schön machen. Für die beiden Studenten.

»Na, wer bist denn du?«, wiederholte Jasna und streichelte meinen Hund.

»Salaì.«

»Tut mir leid, ich verstehe den Akzent in Glasgow noch nicht so gut.« Der Korb fand neben Jasna Platz, und sie spielte an Salaìs Ohren, zog seine Härchen nach, die aussahen, als hätte er sich blonde Strähnen hineingemacht.

Ich musste lachen. »Das ist sein Name. Und ja, du bist hier richtig. Tut mir leid, ich habe nicht daran gedacht. Arbeitest du nicht etwas viel?« Ich guckte auf die Tulpen im Korb. »Du sollst das Cottage ja nur bewohnbar machen.«

»Na ja, die Studierenden ziehen hier bald ein. Ich muss das fertig bekommen. Habe nicht mehr so lange, bis sie einziehen, und ich will meine Arbeit gut machen.« Hm. Stimmt. Daran wollte ich nicht unbedingt wieder erinnert werden. Trotz dieser dunklen Gedanken musste ich zugeben, sie hatte da eine Mammutaufgabe angenommen.

»Ist dir das auch nicht zu viel?«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe Floristin gelernt und in einer Gärtnerei gearbeitet. Ich liebe das.« Jasna erhob sich, woraufhin Salaì schnaubte und sie mit entsetzt aufgerissenen Augen ansah.

Ja, Salaì, stell dir vor, sie streichelt dich jetzt nicht bis Mitternacht durch.

»Ich habe mir selbst auch immer ein Haus gewünscht, und ehrlich gesagt habe ich bis gerade eben auch so getan, als wohnte ich hier und machte mein Haus sommerfertig.« Als sie sich einmal im Kreis drehte, flackerte abermals das Bild meiner Mutter auf. »Ich weiß, ich bin seltsam.« Sie zog beschämt die Mundwinkel runter, schnappte sich den Korb und eilte nach rechts.

»Nein, alles gut.« Ich zog meine Schuhe und Socken aus, um das saftige Gras zu spüren, und folgte ihr. »Ich habe mir in Thailand auch vorgestellt, ich wäre ein reicher Tourist, der sich alles leisten kann.«

»Na ja, bist du nicht ein reicher Tourist, der sich alles leisten kann?« Der Anflug eines Lächelns stahl sich auf Jasnas Lippen, als sie zu mir hochguckte.

Wir nahmen den Weg hinters Haus zu dem Fluss, der vorne eine Biegung machte und am Cottage vorbeilief.

Ich blinzelte mehrmals und warf ein paar »Ähm« raus, bis ich mich fing. »Theoretisch ja, aber bald ja nicht mehr so reich.«

»Ich habe davon im GUM gelesen. Ist das sehr schlimm für dich?« Sie las das Glasgow University Magazine?

»Schlimm oder nicht, ich hab ja keine Wahl.« Ich beugte mich unter einer Laterne durch und mimte all die anderen Leute nach, die mir ständig sagten: »Ist ja sein Letzter Wille.«

Ganz sicher würde ich meiner Haushälterin nicht erzählen, dass ich plante, den Verlust meines Erbes nicht einfach hinzunehmen. Genauso wenig, wie es sie etwas anging, was ich wirklich mit meinem Geld tat, wenn ich nach Thailand und in andere Länder reiste.

»Trotzdem bestimmt nicht leicht. Dieses Cottage zum Beispiel? Ist ein Teil von dir. Ich sehe sofort, dass ihr hier früher als Familie Zeit verbracht habt, da sind Erinnerungen drin, meine ich. Die Bilder und so.«

Es war das erste Mal, dass mich jemand ansatzweise verstand. Es überrumpelte mich.

»Oder geht es dir mehr ums Geld?« Jasnas zweite Frage drückte mein Herz leicht zusammen. Nicht weil ich sie unangemessen fand – was sie war –, sondern weil ich nicht die Wahrheit sagen wollte. Natürlich interessierte mich das Geld, aber aus so vielen Gründen.

»Sieh mal, wenn wir hier hochgehen«, wich ich aus und ging eine Steigung hinter dem Haus hoch, »verstehst du, warum es Obsidian Hill Cottage heißt.«

»Oh, wegen des Dachs?«

»Jap. Die kleinen Steintafeln des Dachs sind beinah so schwarz wie Obsidian. Und da bei dem Dachfenster vorne bin ich oft rausgeklettert und habe die Sterne angeguckt. Mittlerweile ist ja alles schon etwas verwittert und mit Moos bedeckt, aber …«

»Ich erkenne es. Und ich liebe den Namen.«

»Ich auch, Jasna, ich auch.«

»Es geht dir nicht verloren.«

»Hm?«

»Das Cottage. Es wird hier sein. Genau wie die Mäuse in der Pension, in der ich lebe.« Jasna lachte kurz auf. »Die Uni hat bestimmt nichts dagegen, wenn du es besuchst. Oder mal hier bist, wenn die Studierenden in den Ferien nicht da sind.«

»Mhm.«

Womöglich verstand sie mich eben doch nicht so gut.

»Wenn du magst, kannst du mir helfen.« Ihr Korb drückte sich in meine Seite. »Ich habe mir gedacht, ich pflanze die an der Hinterseite des Hauses an, was meinst du?«

»Wie kommst du auf die Idee?«

»Nur so, warum?«

Meine Mutter hatte das jeden Frühling gemacht. »War nur so ’ne Frage.«

»Aber keine Antwort auf meine.« Breit grinsend blickte Jasna mich an, und ich ahnte, sie würde nicht lockerlassen, bevor sie ihre Antwort bekam.

Ich und … gärtnern? »Nicht dass ich was kaputt mache.«

»Was willst du kaputt machen?«

»Weiß nicht. Die Wurzeln der Blumen? Ich kann das bestimmt nicht.«

Jasna rollte mit den Augen. »Mitkommen, Massimo.«

Keine Ahnung, wann ich das letzte Mal ein so ehrliches Gespräch mit jemandem geführt hatte.

Kapitel 4

Massimo

Die letzten Tage hatte ich Jasna mit den Vorbereitungen im Obsidian Hill Cottage geholfen, und das hatte mir nur noch mehr Gründe geliefert, warum ich mein Erbe nicht aufgeben sollte. Beweise wie einen Tomatenstrauch, den ich eingepflanzt hatte und der immer noch lebte. Oder die Petroleumlampe, die ich gefüllt hatte, ohne dass sie explodiert war. All die Erinnerungen an die einzigen schönen Momente in meiner Kindheit, die ich im Cottage wiederentdeckt hatte. Das alles und noch viel mehr zeigte mir, dass ich nicht aufgeben durfte. Nicht aufgeben wollte, weil es nicht nur mir, sondern zu mir gehörte. Außerdem hatte es nur Vorteile. Denn sobald ich mein Erbe zurückbekommen hätte, würde ich mich auch darum kümmern, mir das Cottage wiederzubeschaffen. Sobald das der Fall war, hätte ich auch ein schön renoviertes Ferienhaus.

Mit meinem Hund im Gepäck fuhr ich durch Glasgow Richtung Universität. Aus dem Radio dröhnte Stephen Sanchez mit High. Das grün-weiße Tempolimitschild mit der Aufschrift Twenty’s Plenty erinnerte mich an die neue Zwanziger-Zone, und ich bremste ab. Wann war zwanzig zu fahren genug? Ein Schmunzeln bahnte sich an. Ich spürte wieder meinen Dad neben mir, der sich an der Halterung über der Tür festhielt, sobald er mit mir mitfuhr. Sogar in diesen Zonen. Er hatte das Ich-traue-meinem-Kind-alles-zu-Spiel durchgespielt. Nicht.

Backsteingebäude wechselten sich mit diesen alten Sandsteinhäusern rund um die Uni ab. Sattgrüne Bäume peitschten wie wild im Wind umher. Winzige Regentropfen trommelten gegen das Autodach. Das dumpfe Aufschlagen auf der Glasscheibe und das Ruckeln der Scheibenwischer gesellten sich dazu. Okay, ich gab es zu. Ich hatte das vermisst. Die letzten Monate, oder waren es Jahre gewesen, hatte ich kaum längere Zeit am Stück in Glasgow verbracht. Meistens war ich nur zurückgekommen, um Salaì zu besuchen, den ich in einer Straßenhundeauffangstation in Nordgriechenland zum ersten Mal gesehen hatte. Es war Liebe gewesen. Sofort. Ohne Umwege. Gemeinsam mit ihm hatte ich den Weg bis nach Glasgow mit dem Auto und auf Schiffen zurückgelegt, da ich ihm keinen Flug zumuten wollte. Wie oft ich ihn auf diesem Weg verflucht und im selben Moment noch mehr lieben gelernt hatte …

Durch den Rückspiegel entdeckte ich ihn schlafend in seiner festgegurteten Box und beschloss, meinen Aufenthalt nicht nur für den Kampf um das Erbe, sondern auch für ihn zu verlängern. Außerdem war es schön, Freude im Gesicht eines Lebewesens zu sehen, wenn ich nach Hause kam.

Dieser Gedanke begleitete mich bis in die Universität von Glasgow. Selbst nachdem ich Salaì bei einer guten Freundin meines Dads abgegeben hatte, die schon oft auf ihn aufgepasst hatte. Sie arbeitete in der Verwaltung der kleinen Kirche im alten Universitätsgebäude. Was es hier nicht alles gab. Die Uni beeindruckte mich nach all den Jahren noch bei jedem Blick darauf. Das hochstrebende Bauwerk zum Beispiel, als hätten sie versucht, damit den Himmel zu durchbrechen. Ich schloss mich einer Schar von Studierenden an. Sie sprachen über Hausarbeiten, Punktesysteme, aber auch über das Pub in der Kirche, TikTok-Trends – saure Gummischlangen, die zum Essen zuerst eingefroren wurden? – und über die letzte Party am Wochenende. Ein wenig verlangsamte ich meine Schritte, um mich wie ein Teil von ihnen zu fühlen. Ein Teil von etwas, dem ich stets hatte angehören wollen, um Dad zu beeindrucken.

»Hast du gehört, dass Quentin Wallace auch für das Erbe infrage kommt?«, hörte ich von einem Typen vor mir, der seine rote Cap nach hinten drehte. »Zusammen mit dem Dings, dem Wetterfreak, der bei G-TV nebenbei arbeitet, wo dieser ehemalige Kinderstar jetzt Moderator ist.«

»Ach, Cormac?«, entgegnete ein Mädchen, zog ihre Brille hoch über ihre Haare und beließ sie dort. »Ja, aber … Na ja, wundert es dich, dass dieser Typ auch dabei ist? Cormac und Quentin haben ja sonst nichts außer der Uni.«

»Das meine ich nicht. Findest du es nicht merkwürdig?«

»Was?«

»Na ja, die sind beide schwul. Was will die Uni damit erreichen? Einen auf queerfreundlich machen? Ich wette, die sind nur deshalb dabei, Becky.« Er verschränkte seine Arme hinter seinem Kopf.

Wie oft hatte ich mir solche Sprüche auch anhören müssen. Die Kreise, in denen ich dank meiner Familie aufgewachsen war, mit all ihren traditionellen Werten, hatten mir ihre Abneigung oftmals gezeigt.

Ich presste meine Zunge gegen meinen Gaumen, um nichts Falsches zu sagen, und bog ab. Nein, das musste ich mir nicht mehr geben.

Im Innenhof änderte ich meinen Weg zum Learning Hub des Campus. Dort hatte mein Dad nämlich auch ein kleines Büro gehabt, in dem ich mehr über Quentin und Cormac herausfinden wollte. Es war nicht mehr lange hin, bis sie ins Cottage einziehen würden und ich meinen Plan zur Vereitlung ihrer Doktorarbeiten in Aktion setzen würde. Aber dazu brauchte ich vor allem eines: mehr Infos! Ich wusste, dass Dad in diesem Büro Akten seiner Studierenden aufbewahrte, und von Quentins und meiner Nacht hatte ich die Info, dass in seiner Akte Dinge standen, die schmutziger wären als alles, was wir in dieser Nacht gemacht hatten.

Sofort verdrängte ich ebenjene Nacht und ging weiter. Das moderne Gebäude des James McCune Smith Learning Hub wirkte im Kontrast zur Universität wie ein Fremdkörper. Den Drehflügel der Eingangstür überlistete ich, indem ich mich zusammen mit anderen hindurchquetschte, die ihre Karte über den Laser hielten. Ein kleines Chaos entstand, doch schließlich gelangten wir ins Gebäude. Wie oft hatte ich mich früher dazugestohlen und mir vorgestellt, bald ein Teil dieser Welt zu sein? Die Gedanken hatten mich oft begleitet, bis zu jenem einen Tag, an dem mein Vater mich spöttisch angesehen und behauptet hatte, ich würde ihn an der Uni nur blamieren.

Tatsächlich dauerte es nur den Weg hierher, bis die Sonne schien, und die Strahlen erhellten das Erdgeschoss. Da ich noch mal in der App mit dem Plan des Gebäudes checken wollte, in welchem Zimmer das Büro war, setzte ich mich an die Glasfront auf einen der orangefarbenen Sitzblöcke vor einen Rundtisch. Als ich mein Handy auspacken wollte, erkannte ich jemanden auf einem blauen Sitzblock neben mir. Das konnte doch nicht wahr sein.

»Ähm, sorry?« Ich lehnte mich leicht vor.

Oh, er trug In-Ear-Kopfhörer. Ich tippte ihm gegen die Schulter.

Er hob den Kopf von seinem schmalen Laptop, blinzelte und richtete seinen Blick auf mich. Mit einem Ruck zog er die Kopfhörer aus seinen Ohren, und seine Augen weiteten sich vor Überraschung. »M-Massimiliano?«

»Massimo reicht. Quentin, nicht wahr?«

Er klappte den Laptop halb zu. »Quent reicht.«

Ich nickte. »Okay. Na, was machst du?«

Quent faltete seine Hände im Schoß und begann sie zu reiben. Anfangs zögerlich, doch dann immer intensiver, bis seine Fingerkuppen rosig wurden. »Doktorarbeit und so.«

Es fiel mir schwer, sein Gesicht mit etwas anderem als unserer gemeinsamen Nacht zu verbinden, aber das Schicksal hatte ihn zu meinem Feind gemacht. Na ja, weniger das Schicksal als mein Vater, der ihn zum Erben ernannt hatte.