Lovecrafts Schriften des Grauens 21: Cthulhu Libria Neo 3 -  - E-Book

Lovecrafts Schriften des Grauens 21: Cthulhu Libria Neo 3 E-Book

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Beschreibung

Sehr weihnachtlich geht es in der dritten Ausgabe des CTHULHU LIBRIA NEO-Magazins zu. Zum Schwerpunktthema Dunkle Weihnacht, aber auch für andere lieb gewonnene Rubriken wie Genius Loci, Cthulhu Found?, Phantastische Ermittler und Der vergessene Bücherschrank, steuern verschiedene Autoren Erzählungen und Essays bei.

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Seitenzahl: 235

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Jörg Kleudgen (Hrsg.)CTHULHU LIBRIA NEO 3

In dieser Reihe bisher erschienen:

2101 William Meikle Das Amulett

2102 Roman Sander (Hrsg.) Götter des Grauens

2103 Andreas Ackermann Das Mysterium dunkler Träume

2104 Jörg Kleudgen & Uwe Vöhl Stolzenstein

2105 Andreas Zwengel Kinder des Yig

2106 W. H. Pugmire Der dunkle Fremde

2107 Tobias Reckermann Gotheim an der Ur

2108 Jörg Kleudgen (Hrsg.) Xulhu

2109 Rainer Zuch Planet des dunklen Horizonts

2110 K. R. Sanders & Jörg Kleudgen Die Klinge von Umao Mo

2111 Arthur Gordon Wolf Mr. Munchkin

2112 Arthur Gordon Wolf Red Meadows

2113 Tobias Reckermann Rückkehr nach Gotheim

2114 Erik R. Andara Hinaus durch die zweite Tür

2115 Jörg Kleudgen (Hrsg.) Cthulhu Libria Neo

2116 Adam Hülseweh Das Vexyr von Vettseiffen

2117 Jörg Kleudgen (Hrsg.) Cthulhu Libria Neo 2

2118 Alfred Wallon Salzburger Albträume

2119 Arno Thewlis Der Gott des Krieges

2120 Ian Delacroix Catacomb Kittens

2121 Jörg Kleudgen (Hrsg.) Cthulhu Libria Neo 3

2122 Tobias Reckermann Gotheims Untergang

2123 Michael Buttler Schatten über Hamburg

Jörg Kleudgen (Hrsg.)

Cthulhu Libria Neo 3

Diese Reihe erscheint als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2022 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KleudgenMitarbeiter: Jörg Kleudgen, Thomas Ulbrich, Silke Brandt, Uwe Voehl, Ulf Ragnar Berlin, K.R. Sanders, Marius von der Forst, Elmar Huber, Max P. Becker, Simon H. Krätzer, Eric Hantsch, Carsten PohlIllustrationen: Jörg Kleudgen, Axel Weiß, Ulf Ragnar Berlin, Christopher MüllerKorrektorat: AsKTitelbild: Jörg KleudgenUmschlaggestaltung: Mario HeyerSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-931-7Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

Inhaltsverzeichnis

Editorial
Cthulhu Found? – „Einmal Freeport und zurück!“
"Dunkle Weihnacht"
"Julbocken"
Richard Dalbys Weihnachts-Anthologien
Die Anthologien im Einzelnen
Dämonen der Weihnacht
Weihnachten kommt immer so grausam ...
Der Krampus
Der falsche Krampus
Schneewesen der Upsspitze
„Es war die Zeit des Julfestes“
„Dann erblickte ich jenseits der Hügelkuppe Kingsport“
Das verbotene Fest
„Dinge haben zu gehen gelernt, denen zu kriechen gebührt“
Geistermessen und Hexenkulte
Eine Anti-Weihnachtsgeschichte?
Quellen:
"Ewige Nacht"
Vergangenheit wird Gegenwart
Phantastische Ermittler
"Cthulhu fhtagn"
REZENSIONEN
Florian Jung (Hrsg.): Das Phantastikum – Seltsame Erzählungen
Michael Siefener: Der Ausbruch
Melanie Vogltanz: Die letzte Erscheinung
Carlos Ruiz Zafon: Der Friedhof der vergessenen Buecher (Erzaehlungen)
Patrick J. Grieser: Das Psychomanteum
Italian Gothic
"Genius Loci: LakEil"
"Götzenzeit"
I
II
III
IV
"Der vergessene Bücherschrank" von Thomas Ulbrich
„Späte Gäste“ von Ramsey Campbell

Editorial

2021 – das zweite Jahr der Corona-Pandemie macht sich für den Phantastik-Leser in verschiedenen Bereichen mehr oder weniger bemerkbar. Dass die Zahl der Ver­öffentlichungen nicht nur bei den Kleinverlagen rückläufig ist, sondern auch bei den großen Häusern, nimmt man angesichts der immer noch großen Zahl nicht unbedingt wahr. Für Berufsautoren aber kann das Verschieben eines Titels um ein halbes Jahr bereits das Wegbrechen der Existenz­grundlage bedeuten, zumal es einhergeht mit dem Verlust der Einnahmen aus Lesungen. Die Buch­geschäfte während dem monatelangen Lockdown geschlossen, schränkte die Möglichkeit, Neuerscheinungen zu präsentieren, auf virtuelle Kanäle ein. Auch die Umstellung der ­Conventions in Marburg und Dreieich auf digitale Formate zeigt Auswirkungen, die schwer einzuschätzen sind. Eine befürchtete Vielzahl von pandemieinspirierter Phantastik hat es nicht gegeben; mir sind jedenfalls nur die Anthologien Wenn die Welt klein wird und bedrohlich von Felix Woitkowski und Joachim Körbers Die schwarze Grippe: Das kleine Corona-­Weltuntergangs-Lesebuch bekannt, die vollkommen unterschiedliche Ansätze verfolgen und vielleicht in zehn bis zwanzig Jahren interessante Zeitzeugnisse darstellen werden.

In dieser Ausgabe unseres Magazins, das fortan auf eine jährliche Erscheinungsweise umgestellt wird, greift Autor Marius von der Forst das Thema des Weihnachtsfestes im Lockdown auf. Wir hoffen auf ein diesjähriges Weihnachten ohne strikte Kontaktbeschränkungen und wünschen in diesem Sinne ein

Frohes Fest!

Jörg Kleudgen

Cthulhu Found? – „Einmal Freeport und zurück!“

„Als Erstes erkennt man Freeport an der charakteristischen Form seines Hügels. Der auf der einen Seite in einem sanft geschwungenen Bogen, auf der anderen Seite in einem steilen Winkel mit zwei Knicken ansteigt. Der Crag Todden, wie die Inselbewohner diesen Berg nennen, macht den Eindruck eines furchtsamen Riesen, der sich in seiner Angst vor den Mächten des Firmaments auf dem Boden der Insel zusammengekauert duckt. Wenn so schönes Wetter herrscht, wie an dem Tag, an dem ich die Insel zum ersten Mal betrat, erkennt man recht bald die Ansiedlung Freeport am Fuße des Berges, an einer kleinen wind- und wettergeschützten Bucht gelegen, sowie zwei auf dem Hügel verteilte, abgelegene Gehöfte, eines von ihnen ein größeres, burgähnliches Haus. Alles in allem ein idyllischer Anblick.“

(Sebastian Fugenzi: Freeport, S. 16 f.)

Wie sinnvoll mag es sein, ein Buch zu besprechen, das der Leser nicht kaufen kann? Würde es sich nicht um Freeport handeln, eine der wenigen Geschichten, die mir in meinem Leben begegneten und noch Jahrzehnte nachwirkten, hätte ich keinen Gedanken an ein solches Unterfangen verschwendet.

Den Autor Sebastian Fugenzi lernte ich Anfang der 1990er-Jahre über eine kreative Clique im Kreis der Bonner Gothic-Szene kennen, in der sich Musiker, Schriftsteller und Musikjournalisten tummelte. Während ich das Gothic-Magazin ins Leben rief, schrieb Fugenzi für eine Zeitschrift, die sich der elektronischen Musik widmete; hauptberuflich arbeitete er als Reinzeichner.

Er trat im Genre der phantastischen Literatur nur ein einziges Mal in Erscheinung, nämlich in seiner Erzählung „Im Labyrinth der Zeit“ in der von mir 1992 heraus­gegebenen Anthologie Fischaugen im Dämmer­licht: „Kennen Sie denn nicht noch andere, die das auch können? Ich meine – zwischen den Zeiten umhergehen?“, fragte ich ihn. „Oh, doch“, antwortete der Mann. „Sogar eine ganze Menge. Sehr viele. Wir begegnen uns manchmal in den Labyrinthen. Es gibt sogar welche, die stammen nicht von der Erde. Sie waren zu allen Zeiten der Schrecken der Menschheit, und man hat ihnen viele Namen gegeben, die jemandem wie Ihnen durchaus bekannt sein sollten … Man weiß nicht so genau, mit wem man es eigentlich zu tun hat, und man meidet einander.“ (S. 185)

Während der Autor für mich im Labyrinth der Zeit verloren ging, musste ich doch an Freeport immer wieder denken, das unmittelbar im Anschluss an die oben genannte Erzählung entstand und – abgesehen von einer bislang unveröffentlichten Kurzgeschichte mit dem Titel „Nachtleben“ – der einzige Ausdruck und Höhepunkt seines literarischen Schaffens blieb.

Die Handlung des Romans in Kurzfassung: Als sein Leben in sich zusammenbricht, nimmt ein namentlich nicht näher bezeichneter Protagonist das Angebot einer Firma an, deren Büro auf einer vor der schottischen Küste gelegenen Steueroase, der kleinen Insel Freeport, zu verwalten. Von seinen Vorgängern weiß er wenig mehr, als dass sie das komfortable Haus, das die Gesellschaft zur Verfügung stellt, fluchtartig verlassen haben. Er selbst will es dort länger aushalten und knüpft bald Kontakte zur schweigsamen Edwina, die seinen Haushalt versorgt, ihrem Sohn Murray und einem alten Mann, der ebenso wie er selbst etwas abseits des Fischerdorfes lebt.

„Der alte Mac Kenneth führte mich durch die altertümlichen Räume seines Altersruhesitzes, und ich verwunderte mich ob der Tatsache, dass der ganze Besitz noch größer war, als man von außen annehmen konnte. Die Kammern und Gänge waren eigenartig verschachtelt angebaut, sodass die Wohnfläche trotz der allgemein üblichen Höhe der Zimmer eigentlich ideal ausgenutzt war. Die Villa war mit alten Möbeln und Gemälden prachtvoll ausgestattet und verfügte über einen kleinen Balkon oberhalb der Haustüre, der mir von außen nicht aufgefallen war.“ (S. 49)

Hier lernt der Protagonist auch Loreena kennen, die offensichtlich geistig umnachtete Tochter des Alten, die neben einem musikalischen Talent bemerkenswerte übersinnliche Fähigkeiten zu besitzen scheint. So erahnt sie die Anwesenheit eines geheimnisvollen Päckchens im Haus der Protagonisten, mit dessen Aufbewahrung Mac Kenneth ihn betraut hat.

Nach und nach findet er mehr über seinen Aufenthaltsort heraus – und hier zeichnet sich der Roman durch das geschickte sukzessive Enthüllen der schaurigen Wahrheit aus – etwa, dass das Haus einst von einem irischen Missionar bewohnt wurde, der das Wort Gottes verkündete, aber ein ungutes Ende nahm: „Die Worte fuhren wie ein schweigender Blitzschlag in mein Innerstes. Das Haus auf dem Bild! Das Kreuz über dem Giebel! Und der geheimnisvolle Vorsprung in meinem Bad, dessen Fortsetzung unmittelbar über dem Dachfirst abgesägt worden war!“ (S. 99)

Dass er selber sich in Gefahr befindet, will er jedoch auch dann noch nicht wahrhaben, als Loreena ihn mit einem Dolch bedroht und sein Vorgänger Tony ­Wakefield, mit dem er kurz zuvor telefoniert hat, auf rätselhafte Weise zu Tode kommt. Erst als er dessen Hinweisen folgt und eine Höhle am Gipfel des Crag Todden entdeckt, dämmert ihm, dass die Wahrheit seine Vorstellungskraft übersteigt, und auch die des Lesers, der natürlich vom ersten Moment an ahnt, dass mit Freeport etwas nicht stimmt. Sebastian Fugenzi führt all jene, die an dieser Stelle die Lösung aller Rätsel zu kennen glauben, in die Irre …

„(…) Gibt es denn keine Form der Religion auf Freeport, gar nichts, woran die Menschen hier glauben?“

Der Himmel hatte sich mit Wolken überzogen, und im Salon herrschte ein halbdunkles Dämmerlicht, in dem die Augen des alten Mac Kenneth wie mit Flaum bedeckt erschienen.

„Woran sollen sie schon glauben?“, sagte er leise. Er schwieg einen Moment. „Außer an das, was sie jeden Tag sehen und fühlen können? Die Weite des Meeres. Die Kraft des Windes und der salzige Geschmack, den er auf der Haut hinterlässt. Und wiederum das Meer: Das Meer und seine Tiefe und die reichen Gaben, mit denen es die Inselbewohner beschenkt und erhält.“ (S. 97)

Die Wahrheit ist jedoch weitaus komplexer. Bei den Bewohnern der Insel handelt es sich nämlich um die Nachfahren des untergegangenen Atlantis, die durch uralten Zauber über eine überdurchschnittliche Lebenserwartung verfügen.

„Meine Eltern gaben mir den Namen Sorgathon Krill“, flüsterte der Alte. „Ich wurde auf einer Insel im Atlantik geboren, die vor langer Zeit von einer Katastrophe heimgesucht wurde und versunken ist. Wir lebten dort in einer für unsere Zeit hoch entwickelten Kultur. Den Überlieferungen zufolge kam das Wissen meines Volkes von gütigen Kreaturen, die von den Sternen zu uns herab­gekommen waren, um uns die Weisheit zu lehren.“ (S. 145)

An dieser Stelle vermischt sich der bis dahin klassische Schauerroman mit kosmischen Schrecken, und der Autor umschifft geschickt die Klippe des Trivialen, indem er außerordentliche Sorgfalt auf die Darstellung Sorgathon Krills und die Spannungen innerhalb der verschworenen Gemeinde verwendet. Denn der immer noch gemäßigte Mac Kenneth hat in Parthol Rhijn einen gefährlichen Rivalen.

Ob es dem Protagonisten gelingt, aus der scheinbar hoffnungslosen Situation zu entkommen, möchte ich an dieser Stelle offenlassen. Stattdessen sollen zwei Dinge Erwähnung finden, die den Roman Freeport aus meiner Sicht aus vergleichbaren Texten hervorheben.

Dies ist zum einen der autobiografische Bezug, der in der relativ ausführlichen Vorgeschichte zum Ausdruck kommt und rasch eine gewisse Vertrautheit zwischen Leser und Protagonist herstellt: „Es heißt, die Zeit heile alle Wunden, aber immer wenn ich zu gegebenem Anlass mich daran zu erinnern versuche, wie das alles begonnen hat, fühle ich mich stets unangenehm berührt – der Ursprung all dieser Wirrnis war sie, Georgie. Die Mutter meines einzigen Kindes.“ (S. 3)

Zum anderen ist es die Vorliebe des Autors für Musik. So lässt er seinen Protagonisten immer wieder Tonträger von Nocturnal Emissions oder Lustmord auflegen. Und natürlich hat man Loreena McKennitt vor Augen, wenn er die Tochter des alten Mac Kenneth (!) an ihrer Harfe beschreibt, und wer sich in der Neofolk-Szene auskennt, wird hinter Tony Wakefield sicherlich den Sol Invictus-Gründer Tony Wakeford und in David Talbot denCurrent 93-Mastermind David Tibet erkennen. Somit klingt beim Lesen im Hintergrund leise ein Soundtrack mit, der wunderbar zur Stimmung des Textes passt.

Das 177 Seiten starke Buch ist als Privatdruck in einer Auflage von nur fünf Exemplaren erschienen. Ich hatte das unglaubliche Glück eines davon zu bekommen, als der Autor im Zuge der Hochwasserkatastrophe im Januar Kontakt zu mir aufnahm. Es war eine literarische Wiederentdeckung nach dreißig Jahren, und der Text hatte für mich in all der Zeit nichts an Faszination eingebüßt. Leider scheiterte ich mit dem Versuch, ihn von der Sinnhaftigkeit einer Neuauflage zu überzeugen, um Freeport auch anderen Lesern zugänglich zu machen. Aber wie eingangs erwähnt, wirken manche Geschichten noch Jahrzehnte nach. Daher gebe ich die Hoffnung nicht auf.

[JK]

"Dunkle Weihnacht"

Wie Weihnachten zu dem Fest wurde, das wir heute feiern (und wie die Tradition des Geschichtenerzaehlens entstand)

von Thomas Ulbrich

Es gab eine Zeit, lange vor der unseren, die wohl in manchen Dingen eine Bessere gewesen ist. Der damalige Mensch lebte im weitgehenden Einklang mit der Natur, tötete Tiere nur des eigenen Überlebens willen und entschuldigte sich danach bei seinem Opfer, von dem er glaubte, Seele und Stärke in sich aufzunehmen.

Zu jener Zeit hatte jede Wiese, jeder Weiher, jeder Berggipfel, jede Quelle und jeder Wald seine eigene Gottheit. Die Menschen, die sich die Wunder der Natur nicht erklären konnten, verliehen Sonne, Mond, Donner und Blitz, Land und Meer die Namen von Göttern.

Kriege hielten sich damals noch in Grenzen, weil man nicht genug besaß, um den Neid eines anderen Volkes zu erregen. So lebte man also in diesen Anfangs­tagen der Menschheit relativ friedlich miteinander. Man fürchtete die Nacht, und in ihrer Phantasie beseelte man die Dunkelheit mit furchterregenden Schemen. So wurden möglicherweise die ersten Ungeheuer geboren. Doch wer weiß heute schon mit Sicherheit, ob die Menschen jener Zeit nicht noch leibhaftigen „Drachen“ begegneten, oder anderen Giganten der Luft oder der See, die mittlerweile längst ausgestorben sind. Es gibt zu viele Legenden, in denen oftmals ein Kern Wahrheit zu finden ist.

Als fester Teil der Natur erlebten die Menschen den Wechsel der Jahreszeiten unmittelbarer. Bald errichteten sie für ihre Gottheiten heilige Stätten, Tempel, Monolithe, Dolmen und Opferplätze und begannen damit, die ersten Feste zu feiern: Die Kelten feierten Beltaine, das Fest der Sonnenwende, immer am 21.06. eines Jahres. Es loderten riesige Feuer, und die Menschen dankten den Göttern für ihre Gaben und baten sie um Schutz und Glück für die kommende Zeit. Ende Oktober folgte Samhain, heute bekannt als Halloween. An diesem Tag, in dieser Nacht waren die Pforten zur Anderswelt offen, und es brannten mächtige Wachtfeuer, um zu verhindern, dass jenseitige Mächte und Kreaturen der Finsternis durch die Pforten eindringen konnten.

Bald bemerkten die Menschen, dass mit Erscheinen des Winters die größten Gefahren auf sie lauerten. Es drohten Tod durch Hunger und Kälte und Winterstürme. So entstand um den 21.12. herum das Fest der Winter­sonnenwende, auch bekannt unter Yule oder Julfest. Auch hier loderten mächtige Feuer in die Nacht hinein, und die Menschen hockten sich ganz eng um die Flammen herum. Man flehte die Götter, egal welchen Namen, um Kraft an, um den grausamen Winter zu überleben, tanzten und begannen, sich Geschichten zu erzählen.

Einzelne Erzähler waren Begünstigte der Götter und konnten den staunenden Anwesenden unglaubliche Geschichten erzählen; vom Geist eines Ortes, und von Wesenheiten, bei deren Anblick einem der Herzschlag aussetzte. So mögen die ersten Legenden und „Gruselgeschichten“ schon vor unvorstellbar langer Zeit entstanden sein.

Im Zeichen des Kreuzes, das seinen Ursprung weit im Osten hatte, als ein Mensch die Sünden aller in sich aufnehmen wollte, wurden die Heiligtümer der sogenannten „Heiden“ vernichtet oder mit neuen steinernen Symbole der Macht, also Kirchen und gigantischen Kathedralen überbaut. Die heidnischen Götter wurden dämonisiert und „verteufelt“, und wer diese weiterhin anbetete, wurde bestraft.

Die Christen, selber lange Zeit verfolgt und gefoltert, nahmen wenig Rücksicht, als ihre Missionare von Kriegern begleitet, die „Frohe Botschaft“ verkündeten. Einige Metal-Bands haben diese Geschehnisse thematisiert: Bathory auf Hammerheart und Twilight of the Gods, ­Sabbat auf History of a Time to Come und ­Dreamweaver, und viele andere Viking-Metal-Bands.

Die neue Religion übernahm aber mit ihrem Triumph über das Heidentum dessen Feste. So wurde aus der Winter­sonnenwende das Fest der Geburt des Herrn Jesus Christus, also Weihnachten. Trotz christlicher Symbole konnte es seinen heidnischen Ursprung jedoch nicht verleugnen, schon allein des grünen Baumes wegen, welcher auf Yggdrasil, den Weltenbaum, im Glauben der nordeuropäischen Völker hinweist.

Weihnachten, das Fest der Liebe, der Geschenke und des Geschichtenerzählens.

Um zu einem Weihnachtsfest mit der Familie zu gelangen, mussten die Angehörigen oft etliche Kilometer mit der Kutsche oder dem Pferdeschlitten oder eben zu Pferd bewältigen. Fernseher, Mobiltelefon oder Play­Station, mit denen man sich stundenlang beschäftigen konnte, existierten nicht, und so saß die Familie eng beieinander, am lodernden Feuer, wie in den frühesten Tagen der Menschheit. Auch Haustiere wie Hunde und Katzen waren dabei, als man sich Geschichten erzählte, während vor dem Haus die Nebelschwaden dräuten und Winterstürme tobten. Während die Welt in strahlendem Weiß versank, erzählte man sich Geister-und Grusel­geschichten, und in genau dieser Tradition stehen die Weihnachts-Anthologien von Richard Dalby, auf die ich später näher eingehen werde.

Wenn ich mich an meine Weihnachtsfeiern in der DDR erinnere, wird mir bewusst, dass man damals mit dem wenigen, was man als Kind vom Weihnachtsmann bekam, sehr zufrieden war und sich über Süßigkeiten, Kleidung und ganz besonders über Bücher freuen konnte. Es war eine andere Zeit, die nicht mit dem heutigen Überfluss zu vergleichen ist, in dem der Konsum im Vordergrund steht. Wir Kinder mussten, ich glaube, auch heute ist es bei uns manchmal noch so, dem Weihnachtsmann ein Lied singen oder ein Gedicht aufsagen, bevor wir unsere Geschenke in Empfang nehmen durften. Einmal war ich so aufgeregt, dass mir nichts Weihnachtliches einfiel, und so rasselte ich schwitzend Fontanes John Maynard herunter, das wir gerade in der Schule gelernt hatten.

Da wir auch einen Schwarz-Weiß-Fernseher hatten, wurden zu Weihnachten bis spät in die Nacht hinein Filme geschaut, und die Verantwortlichen von Adlershof ließen sich gerade zu dieser Zeit nicht lumpen.

Im Nachhinein verspüre ich immer ein bittersüßes, melancholisches Gefühl, wenn ich an die Weihnachtsfeste meiner Kindheit zurückdenke. Es war eine andere Zeit, aber nicht in jeder Hinsicht eine schlechte Zeit. Und wenn ich meine Mutter heute sehe, werde ich besonders traurig, denn sie weiß heute wahrscheinlich nicht mehr, dass sie für viele Jahre den Weihnachtsmann in unserer Familie gespielt hat.

Auch ich spüre den Herbst meines Lebens bereits heran­nahen, und doch versuche ich, mich jedes Jahr wenigstens ein bisschen auf Weihnachten zu freuen, obwohl die ursprüngliche Weihnachtsmagie für mich schon lange verloren gegangen ist.

"Julbocken"

Hygge Horror

von Silke Brandt

Kälte und Dunkelheit bestimmen meine Welt, und ich verlasse sie nur selten. Durchaus mit Wehmut denke ich zurück an unsere kleine, gesellige Runde zum Julfest des Jahres 1863: Das Ehepaar Scavenius und unsere Gastgeber, die Østergaards, waren seit Jugendzeiten eng befreundet, ich jedoch erst seit Kurzem mit ihnen bekannt.

Jener Winter war ungewöhnlich kalt: über ganz Seeland lag eine Schneedecke, das Meer wogte grau und schwerfällig, als sei es im Begriff zuzufrieren. Wir hatten eine Spazierfahrt unternommen, Frost knirschte unter den Kufen unseres Schlittens, die beiden Zugpferde schleuderten Eisklümpchen und Schnee hinter sich. Munter klingelten die Glöckchen am rotledernen Geschirr und das schwarze Fell der Tiere dampfte. Unser Weg führte in weitem Bogen auf Kronborg zu. Am Fischerhafen mit seinen buntgestrichenen Booten witterten die Hengste schließlich den Stall und fielen in wilden Galopp – unser Schlitten flog über das Eis, der Festungsinsel entgegen. Gräfin Østergaard – in Wolldecken und Pelze gehüllt – klammerte sich an die Sitzbank, während sich Baronin Scavenius mit einem Lächeln an ihren Gatten lehnte. Sie war in ganz Helsingør für ihre Schönheit bekannt: ein ebenmäßiges Gesicht mit sinnlichen Lippen, eisblauen Augen und einer kastanienroten Lockenpracht, die sie unschicklich locker aufgesteckt trug. Sie lachte mit zurückgeworfenem Kopf und ritt im Herrensattel. Es war erstaunlich, dass sie bislang in keinen öffentlichen Skandal verwickelt worden war: Möglicherweise wusste ihr wesentlich älterer Gatte Schlimmstes zu verhindern. Zudem hegte ich den Verdacht, Gräfin Østergaard lud die lebenslustige Baronin nur ein, um sich – wie von einem Hofnarren – die Langweile vertreiben zu lassen. Und gleich jenem war es Frau Scavenius vergönnt, Dinge beim Namen zu nennen, die andere nur hinter vorgehaltener Hand flüsterten. Wäre ich ein Mann, da bin ich sicher, hätte ich nach Mitteln und Wegen gesucht, sie als Mätresse zu gewinnen.

*

Im letzten diesigblauen Tageslicht lag Kronborg vor uns – ungeheure Festungswälle mit meterdicken Mauern, über denen sich die Burg erhob, so mächtig und weitläufig, dass man meinte, die Halbinsel müsste unter ihrem Gewicht im Meer versinken. Aus dem höchsten Turm schien Leuchtfeuer, das in regelmäßigen Kreisen über die winterdunkle See und die bunten Häuser der Stadt strich.

Graf Østergaard lehnte sich mit einer plötzlichen Bewegung vor. „Dort! Was ist das?“, rief er und wies auf den mächtigen Westturm. Wir alle lehnten uns vor. Zuerst konnte ich nichts Außergewöhnliches entdecken, doch dann meinte ich, eine Gestalt auszumachen, die auf dem unmöglich schmalen Sims des Wehrganges balancierte.

„Unsere Augen spielen uns einen Streich“, entschied die Gräfin. „Keine unserer Bediensteten hätte Grund, dort oben etwas zu reparieren – vor allem nicht mitten im Winter!“

Ohne ein Fernglas konnten wir nicht erkennen, wer auf den vereisten Mauern sein Leben riskierte, oder ob es lediglich eine Sinnestäuschung war. Im Indigolicht der Dämmerung hob sich die Gestalt kaum von den Mauern ab. Aber nun war ich sicher, dass dort etwas Manns­großes war, das seinen massigen Körper mit erstaunlicher Behändigkeit bewegte.

Eines der Schlittenpferde rutschte auf einer vereisten Stelle aus, fing sich wieder – der heftige, arrhythmische Schlag seiner Hufeisen lenkten uns kurz ab und als wir uns wieder der Festung zuwandten, konnte ich keine Bewegung mehr erkennen.

„Vielleicht ist es an der Zeit, einen Punsch einzunehmen“, sagte Baronin Scavenius. „Wenn wir schon Dinge sehen, wo keine sind.“

Eine Weile noch suchten wir die Wehrgänge, Simse und Fensternischen ab, doch Kronborg lag so ruhig da wie gewöhnlich und kurze Zeit später polterte der Schlitten über das vereiste Kopfsteinpflaster der Auffahrt. Wir durchquerten das erste Tor und glitten parallel zum inneren Wall entlang. Schwarz klafften die vergitterten Fenster­öffnungen in der Mauer und ich musste den Eindruck abschütteln, dass mich vor Ewigkeiten dort ­eingekerkerte Gefangene mit ihren leblosen Blicken verfolgten.

*

Nachdem uns der Stallmeister mit einer Verbeugung begrüßt hatte und sich daranmachte, die dampfenden Pferde auszuschirren, fanden wir uns im Kaminzimmer ein, in dem nicht nur ein munteres Feuer brannte, sondern auch ein Festmahl angerichtet war: zwischen roten Kerzen und Fichtenzweigen stand ein Stövchen mit Punsch, sowie warmer Räucherschinken mit Preiselbeersahne und Rosmarin, geräucherte Forelle und Rote Bete.

Die getreue Haushälterin Agnete Michelsdatter rückte nach der Mahlzeit unsere Ledersessel um den Kamin, servierte Kardamomküchlein und Pfeffernüsse. Graf Østergaards Brillengläser beschlugen vom Punsch, gaben ihm kurz das Erscheinen eines blinden Gelehrten. Die Gräfin hatte ihre stattliche Figur in den bequemsten Sessel gelehnt und eine Wolldecke über ihre Knie ausgebreitet. Frau Scavenius Wangen waren gerötet, sie arrangierte die Volants ihres Brokatkleides, bevor sie Platz nahm und wirkte darin hochherrschaftlicher als die Gräfin selbst. Sie hatte beide Hände ums Punschglas gelegt, ihr Karneol­schmuck flammte im Licht des Kaminfeuers auf.

„Da wir bereits den Geist des Königs Hamlet auf den Wehrgängen gesehen haben“, sagte die Gräfin zwischen zwei damenhaften Schlucken, „sollten wir die Runde mit Geistergeschichten eröffnen.“

„Ich wüsste da eine Legende, die nicht nur auf einer wahren Begebenheit beruhen soll, sondern auch mit dieser Burg verbunden ist“, begann ich.

Der alte Baron Scavenius, der bislang zu allem geschwiegen hatte, verlagerte sein Gewicht, als wäre ihm plötzlich unbequem. „Nun“, sagte er, „Kronborg ist ein alter Königssitz – selbstverständlich ranken sich dunkle Geheimnisse um diesen Ort.“

„Ich spreche nicht von Königen und Prinzen, sondern von etwas, das nur fünfzig Jahre zurückliegt. Ganz genau fünfzig Jahre auf diesen Tag.“

Der Graf stieß verächtlich den Atem aus, doch er vermochte mir nicht in die Augen zu sehen.

„Meine Geschichte handelt vom Untergang eines Dreimastschoners direkt vor Helsingør. Es war der einundzwanzigste Dezember im Jahre 1813 …“

„Die Geschichte ist bekannt“, unterbrach mich Østergaard. „Es war eine tragische, aber unvermeidbare Havarie. Ein furchtbarer Wintersturm, schwerer Seegang und vielleicht ein unerfahrener Mann am Ruder – es grenzte an ein Wunder, hätte ein Schiff jener Größe den schmalen Durchlass im Mauerring gemeistert.“

„Das ist eine Version“, sagte ich. „Die sich alle in der Stadt erzählen – in beinahe wortwörtlicher Übereinstimmung. Doch es existiert eine andere: Dass sich der Sturm bereits am Morgen auf der Westküste über dem Storebælt ankündigte. Die Fischerflotte kehrte am frühen Nachmittag in den Hafen zurück. Es war Nacht, als der Sturm schließlich losbrach.“

*

Im Kamin knisterte das Harz, zwei Scheite fielen mit einem Funkenregen in sich zusammen.

„So weit, so gut“, sagte Frau Scavenius. „Das allerdings ist schwerlich eine Geistergeschichte.“

„Noch nicht“, entgegnete ich und nahm einen Schluck Punsch. Der Rum zog eine Feuerlinie durch meine Kehle. „Es war nicht irgendein Schiff, sondern der Schoner …“

Ein Klopfen an der Tür unterbrach mich. Agnete trat mit einer Schale Konfekt und einer Karaffe Brandy herein. „Madame“, sagte sie leise zur Gräfin. „Ich erwähne es nur ungern, aber im Gang zum Herrenzimmer steht erneut eine Wasserlache. Dabei habe ich erst heute Morgen die Pfütze dort …“

Gräfin Østergaard unterbrach sie mit einer Handbewegung.

Die Baronin lachte auf, etwas zu schrill. „König Hamlet spukt im Gemäuer herum und hinterlässt überall schmutzige Stiefelabdrücke.“

„Ein defekter Riegel oder eine undichte Stelle zwischen den Dachziegeln“, sagte der Graf mit Nachdruck. „Wir werden dem nachgehen, sobald die Festtage vor­über sind.“

Eine Schneeböe rüttelte am Fenster, wie zur Bestätigung, dass die Elemente jederzeit Einlass in die Burg finden könnten.

„Der Dreimastschoner“, nahm ich meine Erzählung wieder auf, „war kein anderer als die berüchtigte Skonnerten Uden Jord. Selbst bei schlechter Sicht hatten sich ihre roten Masten und ihr weißer Rumpf draußen im Øresund ausmachen lassen. Die Uden Jord war zwei Monate zuvor in See gestochen, mit der bereits schwerkranken Gattin Kapitän Teglbrænders an Bord. Der Seegang, die Bewegungen des Schiffes machten es ihr unmöglich, die nötige Ruhe zu finden, und als der Wind auffrischte, wurde sie von Seekrankheit befallen. Ihr Zustand verschlechterte sich zusehends und es heißt, sie habe das Schiff verflucht, bevor sie in der darauffolgenden Woche ihrem Fieber erlag. Teglbrænder weigerte sich, sie auf See beizusetzen. Er ließ einen Sarg zimmern, streute ungelöschten Kalk über ihren Leichnam und nähte sie in Segeltuch ein. So blieb sie die gesamte Fahrt über an Bord, im Frachtraum des alten Seglers und damit sollen die Unfälle begonnen haben: Ein Schiffsjunge stürzte vom Großmast aufs Deck und blieb zerschmettert liegen. Ein Matrose wurde beim Einholen eines Vorsegels vom flatternden Tuch ins Meer geschleudert. Ein Dampfschiff, das ihnen südlich von Ystad in einer Flaute begegnet war, schickte zwei Stewards in einem Beiboot hinaus, dem Segler Trinkwasser und Proviant zukommen zu lassen – sie kehrten mit der Nachricht auf den Dampfer zurück, die Uden Jord fahre nur noch mit halber Mannschaft.“

„Und einer Toten im Frachtraum“, ergänzte Baronin Scavenius.

„Richtig“, erwidere ich. „Die beiden Stewards, die zu dem Segelschiff hinausgerudert waren, verstarben kurz darauf, angeblich unter mysteriösen Umständen.“

„Selbstverständlich, mysteriös!“, schnaubte der Graf und zündete sich eine Pfeife an. Ich fragte mich, ob er unter einem Vorwand den Raum verlassen würde, doch er blieb an seinem Platz.

„Es war ein verfluchtes Schiff“, mischte sich Baron Scavenius mit etwas zu lauter Stimme ein. „Darin sind sich alle einig. Was dann geschah, war einfach ein Unglück. Ein Navigationsfehler, eine missglückte Peilung.“

„Nun, es gab jedoch Zeugen an Land“, sagte ich. „Die beschworen, dass Helsingørs Ratsherren von abergläubischer Furcht ergriffen waren, die Uden Jord könnte ihren Fluch mit in die Stadt bringen …“

„… und die Leiche vielleicht sogar auf unserem Friedhof begraben werden“, setzte die Baronin an, aufs Gerate­wohl wie mir schien.

„Man sollte aus dem tragischen Schicksal Unschuldiger keine Schauermärchen stricken“, warf die Gräfin ein, die bislang gedankenverloren ins Kaminfeuer gestarrt hatte.

„So ist es“, sagte ich. „Wenden wir uns den Schuldigen zu.“

Vom Gang ertönten gedämpfte Stimmen. Es klopfte erneut, Agnete betrat das Zimmer. Mit einem Knicks geleitete sie einen hochgewachsenen Gentleman herein. „Freiherr Søren Falkenskiold bittet um Entschuldigung für die Verspätung“, stellte sie den Gast vor.

Graf Østergaard erhob sich, Frau Scanevius ebenfalls. Ihr war das Blut ins Gesicht geschossen, ihre Wangen glühten. Unser Gast schien allen außer der Baronin ein Fremder zu sein. Er überragte den Grafen um mehr als eine Haupteslänge, sein Wollpullover, eine Jacke aus schwerem Filz und die gefütterten Wildlederhosen ließen ihn wie einen Forstwart wirken, seine Haltung verriet jedoch einen Menschen, der Gehorsam erwartete. Sein dunkles Haar – glatt wie das der Lappländer – war mit Grau durchschossen, seine Augen von einem intensiven Bernsteingelb. Es musste am Feuerschein gelegen haben, entschied ich damals. Schließlich waren wir in Schauer­stimmung und nahmen alles zum Anlass, Eigenartiges zu sehen.

*

„Verehrter Herr Falkenskiold!“, rief die Baronin aus und schloss den Gast – jede Schicklichkeit vergessend – in die Arme.

Ihr Gatte schwieg, nahm einen Schluck Brandy und blickte zum verhängten Fenster, hinter dem es nichts zu sehen gab.

„Mein Bester!“, sagte Frau Scavenius überlaut in die Stille. „Wir werden uns etwas von diesen Köstlichkeiten ins Turmzimmer servieren lassen. Unsere Unterredung duldet keinen Aufschub!“