Lovelight Farms – Herbstrauschen - B.K. Borison - E-Book
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Lovelight Farms – Herbstrauschen E-Book

B.K. Borison

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Beschreibung

Wehe, wenn Gegensätze sich ausziehen Nova Porter liebt ihr Single-Dasein. Keine Zugeständnisse, keine Kompromisse und sie kann sich vollkommen auf die Eröffnung ihres eigenen Tattoo-Studios in Inglewild konzentrieren. Aber bei all der Arbeit kommt leider der ein oder andere One-Night-Stand zu kurz. Da erscheint Charlie Milford gerade richtig. Der Halbbruder von Lovelight-Farms-Besitzerin Stella ist das genaue Gegenteil von Nova: ein anzugtragender Investmentbanker aus New York, und doch besteht zwischen den beiden eine unerklärliche Anziehung. Um diese loszuwerden beschließen sie, ihr nachzugeben – aber nur ein einziges Mal, denn Nova hat keine Zeit für Flirts. Dumm nur, dass die gemeinsame Nacht die beiden nicht von ihren Gefühlen erlöst, sondern diese noch verstärkt und es in der Kleinstadt Inglewild schwer ist, sich gegenseitig aus dem Weg zu gehen. Süß, lustig und sexy – das Finale von ›Lovelight Farms‹ übertrifft noch einmal alle Erwartungen: Small Town Romance, Opposites Attract, One Night Stand Turns Into Love »Borisons Worte haben eine besondere Magie« Elena Armas »Die aufregendste neue Romance-Autorin« Hannah Grace Der vierte Band der Lovelight-Farms-Reihe von B.K. Borison. Alle Bände der Reihe bei dtv:  - Lovelight Farms – Lichterglanz (Band 1) - Lovelight Farms – Blütenzauber (Band 2) - Lovelight Farms – Sommerleuchten (Band 3) - Lovelight Farms – Herbstrauschen (Band 4) Alle Bände können unabhängig voneinander gelesen werden.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 572

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Über das Buch

Nova liebt ihr Single-Dasein. Keine Zugeständnisse, keine Kompromisse, und sie kann sich vollkommen auf die Eröffnung ihres eigenen Tattoo-Studios in Inglewild konzentrieren. Aber bei all der Arbeit kommt leider ihr Liebesleben zu kurz. Da erscheint Charlie gerade richtig. Der Halbbruder von Lovelight-Farms-Besitzerin Stella ist das genaue Gegenteil von Nova: ein Anzug tragender Investmentbanker aus New York, und doch besteht zwischen den beiden eine Anziehung, die sie nicht ignorieren können. Um diese loszuwerden, beschließen sie, ihr nachzugeben – aber nur ein einziges Mal, denn Nova hat keine Zeit für etwas Dauerhaftes. Dumm nur, dass die gemeinsame Nacht die beiden nicht von ihren Gefühlen erlöst, sondern diese noch verstärkt …

B. K. Borison

Herbstrauschen

Lovelight Farms

Roman

Aus dem amerikanischen Englisch von Michaela Link

Für diejenigen, die ihren Platz noch nicht gefunden haben.

Da wartet eine kleine Baumfarm auf euch.

 

Und für Annie. Nichts von alldem geschieht ohne dich.

Kapitel 1Nova

Die Baumreihen strahlen. Ich weiß nicht mehr, wer dafür verantwortlich war, die Kiefern mit funkelnden Lichterketten zu umwickeln, aber wer auch immer es war, hat seine Aufgabe hingebungsvoll erfüllt. Jeder Baum auf der Südseite sieht wie ein Stern aus, der direkt vom Nachthimmel darüber gepflückt wurde, und warmes, goldenes Licht streckt seine Finger in die umliegenden Anbauflächen aus.

Zwischen den Bäumen ist eine Tanzfläche vorbereitet worden. Sie ist mit alten Läufern ausgelegt, die aus Lagerräumen gegenüber der Farm kommen, ein Flickenwerk aus Farben und Stoffen, übersät mit Kiefernnadeln. Ringsum stehen Tische, überall brennen kleine Feuer in flachen Metallschalen, um die frühherbstliche Kühle zu vertreiben. Die Tore der großen roten Scheune sind weit geöffnet, Musik, Gelächter und Licht dringen heraus, und ein Strom von Hochzeitsgästen ergießt sich auf die Wege zwischen den Bäumen, in den Händen Gläser mit Wein und Cider.

Holzrauch steigt zwischen den Girlanden empor, die von Baum zu Baum gespannt sind – Sonnenblumen, Chrysanthemen, Gänseblümchen –, eine unendliche Kette aus Blumen, die die ganze Hochzeit einrahmt. Schleierkraut lugt zwischen den Ästen der Bäume hervor, so dekoriert, dass es aussieht, als seien die dicken grünen Äste mit Schnee bedeckt. Jimmy Durante krächzt aus den Lautsprechern und verbreitet eine fröhliche Stimmung, und unter dem Baldachin aus Blumen und Lichtern und Kiefernzweigen tanzt der Bräutigam mit seiner Braut.

Luka wirbelt Stella herum, und ihr rosafarbenes Kleid bauscht sich um ihre Beine. Er zieht sie zu sich, und sie schmiegt sich mit einem Lächeln an ihn, das es mit den funkelnden Lichtern um sie herum aufnehmen kann. Sie verschwinden zwischen den Bäumen, und ich erhasche nur noch einen Blick auf ihren Rock und den Saum seines Jacketts, als sie weiter herumwirbeln.

»Sie sind so glücklich.«

Meine Schwester erscheint neben mir, einen Kuchenteller in der Hand. Sie seufzt sehnsüchtig, als das glückliche Paar an einer krumm gewachsenen Fichte wieder zum Vorschein kommt. Die beiden schauen einander tief in die Augen, und Luka sagt etwas. Stella legt lachend den Kopf in den Nacken, ihr langes Haar ergießt sich über ihre Schultern. Lukas Lächeln wird sanfter, wird zu etwas Zärtlichem und Intimem. Es fühlt sich an, als sollte ich die beiden überhaupt nicht beobachten.

»Das sollten sie auch sein.« Ich greife nach der halbleeren Rotweinflache auf unserem Tisch und fülle mein Glas randvoll. Dann beuge ich mich vor, schlürfe lautstark etwas Wein und betrachte meine Schwester mit hochgezogenen Augenbrauen. »Es ist ihre Hochzeit.«

Eine Hochzeit, auf die wir alle zehn Jahre gewartet haben. Luka und Stella sind die längste Zeit, die sie sich kennen, umeinander herumgeschlichen. Stella musste erst eine Christbaumfarm kaufen und sich einen Fake-Freund zulegen, damit die Sache einen Schub in die richtige Richtung bekam.

Harper kneift die Augen zusammen und schürzt die Lippen, ein Gesichtsausdruck, der mich so an unsere Mutter erinnert, dass mich ein Schauer überläuft. Sie setzt sich neben mich und balanciert ihren Kuchenteller auf ihrem Schoß, wobei sie sich leicht vorbeugt. Vermutlich befürchtet sie, dass ich ihn ihr aus den Händen reißen werde.

»Ist das dein drittes Stück Torte?«

Harper sieht mich an, und die Gabel ragt ihr aus dem Mund. »Du hast mitgezählt?«

»Ja, Harper. Ich sitze hier in der Dunkelheit und zähle, wie viele Stücke Torte du heute Abend wohl isst.«

Es überrascht mich, dass überhaupt noch etwas übrig ist. Layla, die beste Freundin der Braut und Betreiberin des winzigen Backhauses der Farm, hat sich mit ihren Kuchenkreationen selbst übertroffen. Eine köstliche Bisquittorte aus drei Schichten. Ricotta-Vanille-Creme dazwischen. Buttercremetopping. Winzige kandierte Gänseblümchen am Rand und Tannenzweige, die liebevoll von Hand auf den ganzen Fondant gemalt sind. Die Torte sieht aus, als gehöre sie in ein Museum, nicht mitten auf ein Feld mit einem Haufen beschwipster Stadtbewohner.

Es ist fast zu einer Schlägerei gekommen, als die Torte herausgebracht wurde.

Ich strecke eine Hand aus und ziehe den Finger durch die Buttercreme auf dem Teller meiner Schwester. Ihre finstere Miene beachte ich einfach nicht.

Harper kneift mir im Gegenzug direkt über dem Ellenbogen in den Arm. »Sei nett«, verlangt sie.

»Sei du nett.« Ich reibe mir die Stelle, in die sie gekniffen hat. »Wieso gibst du nichts von deiner Torte ab?«

»Du kannst aufstehen und dir selbst welche holen.« Sie schlägt anmutig die Beine übereinander und hält ihren Teller weiter weg von mir. Ihre goldenen Stilettos glitzern im Schein der Lichterketten. Ich wackle mit meinen nackten Zehen im Gras. Ich habe keine Ahnung, wo meine Schuhe geblieben sind.

»Ich meinte, du sollst nett zu dem glücklichen Paar sein.« Sie stopft sich eine weitere Gabel voll Torte in den Mund. »Findest du es denn nicht ein ganz klein bisschen romantisch?«

»Dass du Torte spachtelst?«

Sie fuchtelt mit ihrer Gabel in der Luft herum und sticht sie dann in Richtung von Stella und Luka. Sie stehen beinahe regungslos eng umschlungen zwischen den Bäumen, mitten in dem Trubel um sie herum.

Harper seufzt träumerisch. Ich schlürfe ein weiteres Mal lautstark von meinem Wein.

»Wünscht du dir nicht auch so etwas?«

Ich mache mir nicht die Mühe, darüber nachzudenken. »Nein.«

Dieser Tag war wunderschön, aber … ich weiß nicht. Romantik hat momentan nicht unbedingt Priorität bei mir. Natürlich freue ich mich für Stella und Luka. Nachdem sie fast zehn Jahre lang »Werden sie oder werden sie nicht?« gespielt haben, ist es schön, die beiden glücklich zu sehen.

Aber will ich das auch für mich selbst? Nicht wirklich.

Ich fühle mich wohl mit meinem Alleinsein. Ich mag die Stille. Ich mag es, allein zu Abend zu essen und selbst zu entscheiden, was ich mir im Fernsehen ansehe. Ich genieße es, auf meinem Bett alle viere von mir zu strecken und meine Heizung auf die perfekte Temperatur einzustellen. Es gefällt mir, mich in meine Decke einzuhüllen wie ein zu dick gewickelter Burrito. Ich genieße es, meine Wohnung für mich zu haben, und es gefällt mir, mal keine Kompromisse schließen zu müssen. Ich brauche nicht jeden Tag mit jemanden zusammen zu sein, um mich erfüllt zu fühlen.

Die Person, mit der ich am liebsten Zeit verbringe, bin ich selbst, und meine bevorzugte Beziehung mit anderen ist kurz und einvernehmlich und befriedigend. Wenn es mich überkommt und ich jemanden brauche, der dieses Verlangen stillt, kann ich jederzeit mühelos einen One-Night-Stand finden.

Obwohl das seit einer ganzen Weile nicht mehr vorgekommen ist.

Vielleicht bin ich deshalb so verkrampft. Ich war dermaßen auf das Studio fokussiert, dass ich seit Ewigkeiten keinen Sex mehr hatte. Vielleicht verwandelt mich die fehlende körperliche Entspannung langsam in einen Kobold. Einen Wicht. Eine dieser Steinfiguren, die mir Mom immer für meinen Garten kauft. Vielleicht würde ein bisschen Sex mir helfen, meine Ängste loszuwerden, eine Weile mal an nichts Wichtiges zu denken.

Harper zieht eine Braue hoch, wunderbar ahnungslos, wohin meine Gedanken geschweift sind. »Du kannst dein Tattoostudio nicht heiraten, weißt du.«

»Ist es das, wonach alle Frauen streben sollten, ja? Zu heiraten?«

Sie stößt mir kräftig den Ellenbogen in die Rippen. »Nein. Du weißt, dass ich das nicht denke.«

Das stimmt. Harper widmet sich ebenso intensiv ihrer Karriere als Designerin wie ich mich meinem Tattoostudio, das ich versuche, zum Laufen zu bringen. Aber sie hatte schon immer ein weiches, romantisches Herz. Und ich habe jahrelang mitangesehen, wie Mistkerle das ausgenutzt haben.

Ich würde mich lieber nicht selbst in einer Beziehung verlieren, vielen herzlichen Dank.

Harper betrachtet mich über eine weitere Gabel voll Torte hinweg. »Ich will nicht, dass du einsam bist.«

»Wer sagt, ich sei einsam?«

Die Falte zwischen ihren Brauen vertieft sich. »Du sitzt da ganz allein herum und schlürfst Wein.«

»Das bedeutet nicht, dass ich einsam bin«, brumme ich. Ich ziehe die Stille vor, und meine Füße tun weh vom Tanzen. »Ich bin nicht einsam. Ich habe gar keine Zeit, einsam zu sein.«

Ich befinde mich seit sechs Monaten im Ausnahmezustand. Wenn ich nicht an die Logistik des neuen Studios denke, schlage ich mich mit irgendeiner Genehmigung oder einem Steuerformular oder einer Abrechnung herum. Und wenn ich nicht über meinen endlosen Formularen sitze, zerbreche ich mir den Kopf über Marketingideen, bestelle Liegen und beäuge mit kaum verhohlener Panik mein Budget. Wenn ich nachts in mein Bett krieche, denke oder fühle ich rein gar nichts, abgesehen davon, dass ich völlig erschöpft bin und glaube, an einem Hochstaplersyndrom zu leiden.

Aber trotz all der Strapazen und Sorgen freue ich mich darauf, mein eigenes Geschäft zu haben. Ich finde es herrlich, eines der wenigen Tattoostudios an der Ostküste zu gründen, das einer Frau gehört und von einer Frau betrieben wird. Und das Beste daran ist, dass ich dabei bin, einen neuen Laden in dem Ort zu eröffnen, in dem ich aufgewachsen bin. Mein erstes Studio, das ganz allein mir gehört, nicht nur ein Raum, den ich zusammen mit anderen Künstlern miete. Es ist ein Risiko, ein Studio in einer so kleinen Stadt wie Inglewild zu eröffnen. Es wird weniger Laufkundschaft geben als unten an der Küste, aber ich habe mir immer einen Laden hier gewünscht. In der Stadt, in der ich aufgewachsen bin. Wo all meine Lieben versammelt sind.

Ich muss einfach hoffen, dass der Ruf, den ich mir erarbeitet habe, genug ist, um Kundschaft anzulocken.

Aber heute ist kein Tag, um sich darüber Gedanken zu machen.

Harper stupst mir sachte ihre Gabel gegen die Nase. »Du bist gerade mal wieder abgetaucht, nicht wahr?«

Ich streiche mir das Haar hinter die Ohren. »Möglicherweise.«

Sie schnalzt mit der Zunge. »Du musst dich entspannen. Mal runterkommen.« Sie beäugt mein übervolles Weinglas und die Flasche, die ich an der improvisierten Bar beschlagnahmt habe. »Wenn du so weitermachst, kriegst du noch ein Burnout.«

»Wer kriegt ein Burnout?«

Beckett, mein älterer Bruder, schnappt sich den Stuhl an meiner anderen Seite. Seine Krawatte ist verschwunden, und seine Hemdsärmel sind aufgekrempelt. Erstaunlich, dass er überhaupt so lange einen Anzug getragen hat. Er hat während der ganzen Zeremonie an seinem Kragen gezupft, als er neben Luka stand.

Doch jetzt ist er entspannt. Er hält eine Bierflasche locker in der Hand und stützt den Unterarm auf sein Knie. Sein dunkelblondes Haar sieht seltsam aus ohne seine Basecap, und seine blaugrünen Augen wirken heute Abend untypisch strahlend. Ich grinse ihn an, und er erwidert mein Grinsen. Beckett und ich waren schon immer je ein Spiegelbild des anderen. Wir fühlen uns eher am Rande des Geschehens wohl. Mit ausgezogenen Schuhen. Fehlender Krawatte.

Ich pikse in eines der leuchtenden Tattoos, die auf seinen Unterarm gestochen sind. Mein erster und allerliebster Kunde. Seine Arme sind vollkommen bedeckt mit meiner Arbeit, vom Handgelenk bis zur Schulter. Als ich meine erste Ausbildungsstelle bekam, hatte ich Mühe, mir einen Kundenstamm aufzubauen. Aber Beckett hat mir erlaubt, ihn zu tätowieren, als niemand sonst dazu bereit war. Er ist einfach in das Studio spaziert, in dem ich mir einen Platz erbettelt hatte, und hat sich in den Stuhl plumpsen lassen. Hat mir den Arm hingehalten und mich mit einem erwartungsvollen Blick angesehen.

Beckett hat schon immer an mich geglaubt. Selbst als ich es nicht unbedingt verdient hatte.

Ich drehe seinen Unterarm so, dass ich mir sein letztes Tattoo ansehen kann. Eine simple Ansammlung von Meteoren in dünnen schwarzen Linien.

»Es verheilt gut«, sage ich ihm.

»Natürlich.« Er winkelt den Arm an und betrachtet es. »Du hast es doch gemacht.«

Mein Lächeln wird wackelig. Manchmal ist es schwer, der rosaroten Brille, durch die mein Bruder mich betrachtet, gerecht zu werden. Er denkt, ich könne nichts falsch machen, und ich habe Angst vor dem Tag, an dem ich dann doch etwas tue, das ihn enttäuscht, und dass es uns beiden das Herz brechen wird.

Ich leere kommentarlos mein Weinglas. Harper und Beckett tauschen einen vielsagenden Blick über meinen Kopf hinweg, von dem sie denken, ich würde ihn nicht bemerken.

Ich ignoriere alle beide.

Das ist das Problem, wenn man als jüngstes von vier Geschwistern aufwächst. Ich weiß, sie meinen es gut, aber meine Geschwister neigen dazu, mich zu behandeln wie ein aufsässiges Kleinkind, das ständig überwacht werden muss. Ich weiß, dass Harper deshalb hergekommen ist. Und auch Beckett. Ich glaube, sie haben ein Bild von mir in ihren Köpfen, auf dem ich vier Jahre alt bin und Mühe habe, Schritt zu halten, auf dem ich schlammbeschmierte Wangen habe und mir Fruchtschlangen aus dem Mund hängen. Beckett legt immer noch seine große Hand auf meinen Kopf, wenn wir auf Parkplätzen sind, als hätte er Angst, dass ich direkt in den Verkehr rennen könnte. Ich bin sechsundzwanzig Jahre alt.

Ich werfe ihm einen Blick zu.

»Hat Layla dir schon verziehen?«

»Ah.« Beckett reibt sich den Nacken und schaut sich auf dem Gelände um. Ich entdecke Layla am Kuchenbuffet in einem hübschen kastanienbraunen Kleid, und sie lehnt mit dem Rücken an der Brust ihres Verlobten und … wirft Beckett mordlustige Blicke zu.

Beckett seufzt, tief und ausgiebig. »Ich fürchte nicht, nein.«

»Und das lässt sie dich bei der Arbeit spüren.«

Beckett gehört zum Leitungstrio dieser Farm. Stella ist für das Marketing und das Geschäftliche zuständig, Layla betreibt die Backstube, und Beckett kümmert sich um alles rund um die Farm. Zu dritt schaffen sie es, dass der Betrieb wie am Schnürchen läuft, wobei es gerade jetzt wohl ein bisschen holpert.

»So ungefähr.« Er seufzt.

»Offensichtlich.«

»Ich denke, die Hochzeit hat einige Gefühle hochkommen lassen.«

»Nun, da kann sie sich ja mit Mom zusammentun, dann brauchen sie beide nicht so einsam zu lamentieren.«

Beckett fährt sich mit einer Hand übers Gesicht. »Ist sie denn auch immer noch sauer?«

Harper und ich schnauben einmütig. »Beckett, du bist ihr einziger Sohn, und du bist eines schönen Dienstagnachmittags durchgebrannt. Sie hatte nicht einmal die Chance, eine Diashow mit deinen Babyfotos zu machen. Oder irgendeine dieser unsäglichen Collagen von dir und Evie, bei deren Anblick sie sich hätte ausmalen können, wie ihre zukünftigen Enkelkinder aussehen.«

Becketts Wangen nehmen einen tiefen Rotton an. Letzten Monat ist er mit einem breiten Grinsen bei einem Familienessen aufgetaucht, einen Goldring am Finger und seine Ehefrau im Arm.

»Layla ist nur sauer, dass sie keine Gelegenheit hatte, eine Torte zu backen.«

»Natürlich ist sie sauer, dass sie keine Torte backen konnte. Es überrascht mich, dass sie das nicht im Kleingedruckten ihres Vertrages festgelegt hat.«

»Hat sie wahrscheinlich«, brummt er. Er schaut auf, zuckt zusammen und findet dann etwas Interessantes im Gras zu seinen Füßen, das er studieren kann. »Wahrscheinlich wird sie mich wegen Vertragsbruchs vor Gericht zerren.«

»Du hast es verdient.«

Ein Blick über die Tanzfläche verrät mir, dass Laylas Augen schmal geworden sind, als könne sie genau hören, was wir besprechen. Caleb legt den Arm um sie, ohne den Blick von der Person abzuwenden, mit der er redet, streichelt ihren Arm auf und ab, und sie entspannt sich ganz allmählich und lehnt den Kopf wieder an seine Schulter.

Ich weiß nicht, was zur Hölle in Inglewild im Wasser ist, aber die letzten fünf Jahre waren der reinste Dominoeffekt für Paare … Paarungen. Angefangen hat es mit Stella und Luka, und dann fielen die Steinchen reihenweise. Mein Bruder und Evie. Layla und Caleb. Matty, der Besitzer der Pizzeria, und Dane, der Sheriff. Mabel aus dem Gewächshaus und Gus, der Sanitäter. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die beiden streunenden Hunde, die den Springbrunnen in der Stadtmitte umkreisen, jetzt ebenfalls fest zusammen sind.

»Es ist außerdem durchaus möglich, dass sie an einem der schönsten Tage in deinem Leben für dich da sein wollte.«

»Ich wollte etwas Unaufgeregtes«, erklärt er mit einem Seufzer.

»Weniger als du, die Braut und der Standesbeamte ging ja wohl nicht.«

Er nimmt einen kräftigen Schluck von seinem Bier. »Und der Hotdog-Typ.«

»Was?«

»Der Typ, der vor dem Gerichtsgebäude Hotdogs verkauft, war der Trauzeuge.«

Natürlich, was sonst. »Wirklich super, Beck.«

Beckett rutscht auf seinem Stuhl nach hinten zurück und stützt den Arm auf die Lehne. Sein Blick schweift über die Gäste, dann strahlt er über das ganze Gesicht, als hätte gerade jemand ein Feuerzeug hinter seinen Augen entzündet. Ich folge seiner Blickrichtung zu Evie, die sich zwischen den Tischen hindurch zu ihm herüberschlängelt, immer noch mit ihrer Blumenkrone von der Zeremonie auf dem Kopf. Ihr Blick findet seinen und hält ihn fest, und ein sanftes Lächeln erblüht auf ihrem hübschen Gesicht.

Lange Zeit dachte ich, Beckett interessiere sich genauso wenig für Beziehungen wie ich. Aber dann ist Evelyn aufgetaucht, und mein Bruder hat sich schnell und heftig in sie verliebt.

Sie bewegen sich fließend miteinander, als hätten sie es choreografiert. Beckett neigt sein Bein leicht nach links, während Evie zu ihm tritt. Sie setzt sich auf seinen Schoß, legt einen Arm um seinen Hals, und er hebt ihre Hand von seiner Schulter und streicht dann mit dem Mund flüchtig über die Innenseite ihres Handgelenks und den zarten, kleinen Limettenschnitz, den ich dort eintätowiert habe.

Ich hätte nie gedacht, ihn einmal so zu erleben. So weich, so zufrieden.

So glücklich.

Evelyn grinst auf meinen Bruder herab und fährt ihm mit den Fingern durchs Haar. Er summt und drückt die Stirn gegen ihr Kinn.

»Brauchst du deine Kopfhörer?«, fragt sie leise. Er schüttelt den Kopf und hält sie noch ein wenig fester umfangen.

»Hab’s dir doch gesagt«, murmelt er, während ich versuche, nicht zu lauschen. »Es ist still, wenn ich mit dir zusammen bin.«

Meine Brust wird mir eng. Beckett hatte immer Probleme mit Lärm und Menschen. Ich bin froh, dass er jemanden gefunden hat, der das an ihm genauso mag wie den Rest. Jemanden, bei dem es ihm leichtfällt, genau der zu sein, der er ist.

»Layla ist immer noch sauer wegen der Torte«, eröffnet Evie ihm mit lauterer Stimme. »Sie hat den ganzen Morgen, während wir uns die Haare haben machen lassen, davon gesprochen, dass wir eine richtige Hochzeit mit einer ordentlichen Torte bräuchten.«

»Wir hatten eine richtige Hochzeit«, brummt Beckett. Evelyn drückt ihm einen Kuss auf den Kopf und stößt ein zustimmendes Summen aus. »Außerdem denke ich nicht, dass die Anbauflächen eine weitere Party aushalten würden.« Er lehnt sich zurück, um kritisch einen seiner Setzlinge zu mustern. »Charlie hat fast drei Rottannen ausgerissen, als er versucht hat, eine Polonaise zu initiieren.«

Er deutet mit dem Kopf auf die Tanzfläche. Gerade wird etwas Lautes und Schnelles gespielt, jetzt, da Luka und Stella die Tanzfläche verlassen haben, um über das Kuchenbuffet herzufallen. Ganz in der Mitte der übereinandergelegten Läufer hat sich ein kleiner Pulk gebildet, und im Zentrum des Geschehens befindet sich natürlich Charlie Milford.

Stellas Halbbruder. Ein Partylöwe und Charmeur. Ich kann mich an keinen einzigen Abend ohne Charlie erinnern – entweder hat er ihn organisiert, oder er war eingeladen oder ist einfach so hereingeplatzt. Das letzte Mal habe ich ihn beim Sommersonnwend-Festival gesehen, als er mit nacktem Oberkörper an einem Wettbewerb teilnahm, bei dem es darum ging, wer den meisten Pfirsichkuchen essen konnte, und er hat die hutzeligen alten Ladies in der Stadt Dollarscheine in seinen Hosenbund schieben lassen. Davor auf Laylas und Calebs Einweihungsparty in ihrem Haus. Er hat Jelloshots – Erdbeergötterspeise mit Wodka – gekauft. Ich glaube, er hatte am Ende das ganze Tablett selbst intus.

»Seit wann braucht er dafür eine Hochzeit.«

Ich beobachte, wie Charlie eine von Lukas Tanten schwungvoll über die Tanzfläche führt. Seine großgewachsene Gestalt überragt alle anderen, und seine weißen Hemdsärmel sind bis zu seinen Ellenbogen aufgekrempelt. Sein normalerweise perfekt gestyltes Haar ist leicht verwuschelt am Hinterkopf, wahrscheinlich von seinem Versuch, das Headbanging aus den frühen Siebzigern nachzuahmen. Er zeigt auf Dane und verlangt, dass er sich zu ihnen gesellt. Er versucht entweder, einen komplizierten Line Dance zu organisieren, oder gegen den DJ zu rebellieren. Das ist nicht ganz klar.

»Er hat seine Pflichten heute wirklich ernst genommen«, wirft Evie ein und beugt sich über Beckett zu Harpers Tortenrest vor. Mir fällt auf, dass Harper ihre Hand nicht wegschlägt. »Er hat Stella etwas Altes besorgt, etwas Neues, etwas Geborgtes und etwas Blaues. Alle vier Gegenstände. Ich glaube, sie haben beide eine Dreiviertelstunde lang geweint.«

Charlie hat Stella den Gang entlang zur Trauung geführt, sich eine Blumenkrone auf den Kopf gesetzt und den Platz als ihre Ehrenbrautjungfer eingenommen. Er hat sich mit dem Daumen eine Träne weggewischt und so getan, als würde er während der Ehe-Gelübde nicht weinen.

Und jetzt legt er mitten auf der Tanzfläche eine Showeinlage zu Macarena ein, seine Blumenkrone sitzt schief auf seinem dunklen Haar, sein Jackett liegt unter einer der Kiefern. Er ist … sehr geschmeidig mit seinen Hüften.

Mitternachtsblaue Augen wandern am Rand der Tanzfläche entlang, während er herumwirbelt und in die Knie geht, ruckartig den Kopf bewegt und sich wiegt, vermutlich bereits auf der Suche nach seinem nächsten Opfer. Ich greife nach der Weinflasche, genau in dem Moment, in dem sein Blick auf mich fällt. Sein Lächeln wird breit, und Lachfältchen graben sich tief in seine Wangen.

»NOOOVA«, brüllt er quer über die Tanzfläche. »KOMM UND TANZ MIT MIR.«

Ich beiße mir auf die Unterlippe. Charlie Milford ist der gottverdammt größte Womanizer auf dem Planeten. Er besteht zu gleichen Teilen aus Charme, Charisma und irregeleitetem Selbstbewusstsein. Die ersten paar Male, als ich mit ihm geredet habe, konnte ich mir keinen Reim auf ihn machen.

Aber jetzt weiß ich, dass er einfach so ist. Er ist am glücklichsten, wenn er die Menschen um sich herum auch glücklich machen kann. Oder wenn er sie, wie in meinem Fall, dazu bringen kann, heftig zu erröten und ihn irritiert anzustarren.

Ich habe keine Ahnung, warum das so ist. Er ist nicht mein Typ. Er ist wahrscheinlich so was von gar nicht mein Typ wie nur möglich. Er arbeitet für irgendeine Vermögensberatung in New York und hat eine Schwäche für dreiteilige Anzüge. Armbanduhren, die genauso viel kosten wie die Miete für mein winziges Studio. Farbcodierte Tabellen und Ausdrücke wie ideale steuerliche Rahmenbedingungen. Er kauft Trüffelöl. Er hat Einstecktücher in seinen Anzügen.

Wir könnten also unterschiedlicher nicht sein.

Aber wir sind Freunde. Sozusagen. Wir halten uns im Leben des anderen auf und verschwinden dann wieder, sehen uns bei Grillfesten, Partys und Spielabenden. Meine Freunde gehören zu seiner Familie, und seine Freunde gehören zu meiner. Es ist schwer, sich in einer Stadt voneinander fernzuhalten, die so winzig ist wie unsere, und er besucht Stella mindestens zweimal im Monat. Häufiger, wenn ich so darüber nachdenke. Für jemanden, der nicht in Inglewild lebt, scheint er eine Menge Zeit hier zu verbringen.

Er war auch eine große Hilfe bei meinen geschäftlichen Angelegenheiten. Er ist die zehntausend Seiten Papierkram für die Lizenz mit mir durchgegangen. Er ist der Schöpfer und Erfinder all der Tabellen, die ich für meine Buchhaltung benutze. Er beantwortet mit einer Engelsgeduld jede einzelne WhatsApp-Frage, die ich ihm mitten in der Nacht an den Kopf werfe, und dann schickt er mir eine Reihe anzüglicher Flirtnachrichten.

Er sagt, er wolle ein Tattoo als Bezahlung für all seine Beratertätigkeiten. Einen Skorpion auf seinem Hintern oder einen Pikachu auf seinem Bizeps. Er sagt, er könne sich nicht entscheiden.

Ich habe danach viel zu viel Zeit damit verbracht, an seinen Hintern zu denken. Insbesondere an seinen Hintern in diesen perfekt maßgeschneiderten Burberry-Hosen, die er anscheinend immer trägt.

Becketts Mundwinkel ziehen sich grimmig nach unten. »Warum schreit Charlie so in deine Richtung?«

Weil er ein lächerlicher Kerl ist, der mit einer Wand flirten würde, wenn er könnte. Weil er es liebt, mich zu einer Reaktion zu verleiten. So ist er eben.

Ich beobachte, wie er mit jemandem zusammenprallt, während er versucht, ein imaginäres Lasso in meine Richtung zu werfen. Er beugt sich sofort herunter, um sicherzustellen, dass der anderen Person nichts passiert ist, und wird abgelenkt, als ein kleines Mädchen in einem leuchtend rosafarbenen Kleid über die Tanzfläche rennt. Sie stellt sich ihm in den Weg, und er setzt seine Blumenkrone auf ihren Kopf, und diese verdammten Fältchen um seine Augen herum vertiefen sich, als er lächelt und das Kind jubelnd kreischt und zurück zu seinen Eltern rennt.

Sein Blick flackert empor und sucht meinen. Er hebt die Hand und winkt mich mit dem Zeigefinger herbei.

»Ich glaube, er will mit mir tanzen.«

»Das lässt du bleiben, oder?«

Ich stehe auf und wische mir die Hände an dem seidigen Stoff meines Kleides ab. Der Wein hat ein warmes Gefühl in mir hinterlassen, ein entspanntes. Ich fühle mich frei und sorglos. Ich könnte einen Tanz mit einem attraktiven Mann gebrauchen.

Ich könnte mehr als einen Tanz gebrauchen. Ich betrachte den Mann in der Mitte der Tanzfläche, der sich rhythmisch wiegt, die Daumen unter seine Hosenträger geschoben. Ob Charlie wohl einverstanden wäre mit etwas bedeutungslosem Stressabbau in Form von Matratzensport? Den Eindruck macht er jedenfalls.

So oder so, Harper hat recht. Ich habe mich fast ausschließlich auf die Arbeit konzentriert. Ich verdiene ein wenig Ablenkung. Ich verdiene ein wenig Spaß.

Ich raffe meinen Rock und gehe auf die Tanzfläche zu.

Charlie sieht aus, als könne man mit ihm eine Menge Spaß haben.

Kapitel 2Charlie

Nova Porter kommt auf mich zumarschiert, als könne sie nicht entscheiden, ob sie mit mir tanzen oder mir alle Gliedmaßen einzeln ausreißen will.

Ihre Augen blitzen. Ihr dunkelblondes Haar ist zu einem niedrigen, wirren Knoten geschlungen. Ihr Kleid könnte entweder meinen Träumen oder meinen Albträumen entsprungen sein. Sein weicher grauer Stoff schimmert, wenn sie geht, und sieht aus, als würde er mir durch die Finger gleiten wie Wasser. Unendlich tiefer Halsausschnitt und ein Rock, der um ihre Knöchel wippt. Nackte Füße. Rosige Wangen. Tattoos überall auf ihren Armen und an ihren Schultern.

Sie sieht aus, als wäre sie drauf und dran, mich bei lebendigem Leib zu fressen.

Fuck, ich liebe es.

Kurz vor mir bleibt sie stehen und reckt das Kinn wie eine Königin auf ihrem Thron, auch wenn sie zwei Köpfe kleiner ist als ich. Ich grinse, sie funkelt mich an, und alles ist so, wie es immer zwischen Nova und mir gewesen ist.

Ich hatte meine Zweifel, dass sie tatsächlich auf die Tanzfläche kommen würde. Sie hat sich noch nie irgendwas von mir gefallen lassen, seit ich ihr das erste Mal begegnet bin.

»Hey«, ist das, was aus meinem Mund schlüpft, als ich auf sie herabschaue, als hätte ich nicht die letzten siebzehn Minuten damit verbracht, sie mit meinem ganzen Arsenal lächerlichen Benehmens hierherzulocken. Ich lege ihr eine Hand auf die Hüfte, um sie näher heranzuziehen. »Wie geht’s so?«

Sie lehnt sich mit einem Schnauben an mich und legt beide Hände flach auf meine Brust Ich bekomme ein halbes Augenrollen und ein Zucken ihrer Lippen. »Es läuft.«

»Ach ja?«

»Es würde noch besser laufen, wenn dieser riesige Tölpel von einem Mann aufhören würde, über die Baumreihen hinweg zu krakeelen.«

»Hm.« Ich umgreife eine ihrer Hände, sodass ihre Faust in meiner liegt, dann streiche ich mit dem Daumen ganz bewusst über den zarten Blumenstrauß, der auf ihr Handgelenk tätowiert ist und sich bis zu ihren Knöcheln erstreckt. Schließlich manövriere ich sie in eine richtige Tanzposition. »Wie peinlich.«

Sie wirft mir einen eigenartigen Blick zu, unbeeindruckt wie nur je.

»Du hast meinen Namen quer über die Tanzfläche gebrüllt, Charlie.«

»Hätte ich uns ersparen können, wenn du früher hergekommen wärst.« So nah, wie wir uns sind, kann ich die dunkelblauen Heiligenscheine sehen, die ihre Iris umgeben. Die einzelne Sommersprosse unter ihrem linken Auge. »Aber passiert ist passiert. Das Endresultat bleibt dasselbe.«

»Und das wäre?«

»Dass du mit mir tanzt. Ich brauchte nicht einmal das schwere Geschütz aufzufahren.«

Sie zieht die Brauen hoch. »Ich wage gar nicht zu fragen.«

»Dazu gehört eine Lichterkette, die Flasche mit schwarz gebranntem Schnaps, mit dem Clint den Apfelcider aufpeppt, und eine ausgeklügelte Tanzchoreografie.« Ich neige den Kopf näher zu ihr. »Vielleicht werde ich sie dir später zeigen, wenn du brav bist.«

Sie kichert leise. Ich grinse und wirble uns herum.

Das Flirten ist mir immer leichtgefallen, aber ein Flirt mit Nova ist verdammt großartig. Ihr ganzer Körper erwacht unter der Aufmerksamkeit zum Leben, wie eine Blume, die sich der Sonne zuwendet. Ich bin süchtig nach ihren Reaktionen. Danach, wie ihre Wangen sich dabei röten.

Der Remix der Spice Girls geht in einen sanften, erotischen Titel über, Duke Ellingtons Trompete lässt die langen Noten von Stardust widerhallen. Es ist ein tiefer, anschwellender Beat, langsam und romantisch.

Entsetzen spiegelt sich auf ihrem Gesicht. Ich lache, greife nach ihrer Hand, drehe sie einmal herum und beobachte dabei, wie der Stoff ihres Kleides ihre Beine umspielt. Eine Tätowierung auf ihrer glatten Wade lenkt mein Auge auf sich, dann ziehe ich sie wieder an mich und mitten auf die Tanzfläche.

»Das ist nicht das, was ich wollte«, brummt sie zu mir empor.

»Was wolltest du denn?«

»Einen stinknormalen Popsong aus den Charts und anderthalb Meter Abstand zwischen uns beiden.«

Ich ziehe sie näher heran. Meine Nase stupst gegen ihr Ohr. »Lügnerin«, flüstere ich.

Sie legt den Kopf schräg, bis ihre Nase meine streift und ihre großen grauen Augen zu mir emporblinzeln. Ich glaube, näher bin ich ihr noch nie gewesen. Und es gefällt mir sehr.

»Ja«, erwidert sie lächelnd, gedehnt und neckend. »Du hast recht.«

Ein tiefes, brummendes Ächzen entfährt mir. Nur die Hälfte davon ist Show. »Sag das noch mal, aber leck dir ein wenig die Lippen dabei.«

Sie lacht. »Vielleicht später.«

»Das klingt vielversprechend.« Ich korrigiere meinen Griff, mit dem ich sie halte, und sorge dafür, dass unsere Schritte etwas langsamer werden. So, dass sie mit ihren nackten Füßen auf den zusammengeschobenen Läufern zurechtkommt. Ihre Schuhe stehen wahrscheinlich immer noch neben der großen roten Scheune, wo sie sie von den Füßen geschleudert hat. Ich würde sagen, sie hat während der Zeremonie ganze sechs Minuten durchgehalten, bis sie sich die Schuhe ausgezogen hat.

Sie hinkt ein ganz klein wenig hinter dem Beat her, und ihre Aufmerksamkeit ist fast zur Gänze auf ihre Schritte konzentriert. Ich drücke zuerst ihre Hüfte, dann ihre Hand. Ich hatte geglaubt, sie hätte wegen ihrer moralischen Vorbehalte gegen Spaß am Rand der Tanzfläche gesessen. Nicht weil sie nicht tanzen kann.

»Folge meinen Schritten«, befehle ich ihr. »Ich werde dich nicht loslassen.«

»Das weiß ich«, murmelt sie mit gesenktem Blick. Es ist ein Hauch von einem Kompliment, aber es genügt mir, um sie ein winzig kleines bisschen näher heranzuziehen, und jeder ihrer Atemzüge gleitet warm über die Kuhle an meinem Hals. Es gefällt mir, wie sie sich unter meinen Händen anfühlt. Es gefällt mir, wie ich mich in ihren Armen fühle. Wie eine dieser flackernden Glühbirnen, die ich gestern Nacht um zwei Uhr morgens an den Bäumen angebracht habe, in dem Bemühen, diesen Tag zu etwas so Besonderem zu machen, wie Stella es verdient.

Ein Lächeln umspielt Novas Mundwinkel, während sie in den Rhythmus hineinkommt, den ich vorgebe, und sie beobachtet mich dabei nachdenklich. Ich habe bei ihr immer das Gefühl, dass sie gern meinen Schädel aufbrechen und sich darin umsehen würde. Ich würde es ihr wahrscheinlich erlauben und ihr noch dazu für das Vergnügen danken.

»Hast du den DJ bestochen?«

»Wofür?«

»Für den Song.«

»Was ist mit dem Song?«

»Er ist sofort zu einem langsamen Titel übergegangen, als ich bei dir angekommen bin.«

Ich habe den DJ tatsächlich bestochen. Die besten zwanzig Mäuse, die ich je ausgegeben habe. Ich hätte ihm sogar meine Rolex gegeben, wenn er schlau genug gewesen wäre zu feilschen. Ich räuspere mich. »Ein Gentleman verrät so etwas niemals.«

Sie wirft mir einen Blick zu.

»Was ist?«

»Du. Ein Gentleman.« Ihre Fingerspitzen streichen unter meinem Hosenträger hindurch. Sie spielt damit, dann lässt sie ihn gegen meine Brust schnappen.

Alles Blut in meinem Körper wogt in eine Richtung, und ich muss mich zwingen, mich weiter über die Tanzfläche zu bewegen. Das ist eine Entwicklung. Normalerweise erwidert Nova meine Flirts nicht. Sie lässt sie sich gefallen, das schon, aber dann lenkt sie unser Gespräch auf etwas Profaneres.

Das hier ist eine Premiere.

Ich kneife argwöhnisch die Augen zusammen. »Ich möchte dich wissen lassen, dass ich durch und durch ein Gentleman sein kann.«

»Davon bin ich überzeugt.«

»Ich würde es dir mit Freuden demonstrieren.«

Sie schmiegt sich enger an mich, und ich fange einen Hauch Geißblattduft auf. Papier und frisch vergossene Tinte. »Hab ich mir gedacht, dass du das gern tun würdest.«

Ich weiß nicht, was ich mit ihrer unbefangenen Zustimmung anfangen soll. Gespräche mit Nova haben normalerweise etwas von einem Schlachtfeld, auf dem sie mit Steinen bewaffnet ist und ich ein Häschenkostüm trage. Neugierig streiche mit dem Daumen ein Stück nach oben, bis in den tiefen Rückenausschnitt ihres Kleides. Ich zeichne nackte Haut nach, und ein Summen erklingt ganz unten in ihrer Kehle, während sie sich sachte meiner Berührung entgegenwölbt.

Ich bin sprachlos.

Und ein wenig angeturnt.

Okay, sehr angeturnt.

»Was ist los mit dir?«, frage ich.

»Wieso? Was soll los sein?«

Ich schaue anzüglich auf ihre Hand, die immer noch mit meinem Hosenträger spielt. Sie lächelt mich an, ganz Raubtier, und lässt die Hand von meiner Brust gleiten. Ich sollte wahrscheinlich Angst haben, aber ich bin zu verzaubert von ihren Fingern, die über dem Halsausschnitt ihres Kleides schweben. Es ist wie silberne Tinte, die über ihre Haut gegossen wurde, so schmiegt es sich an ihre Kurven. Der Schnitt des Kleides umrahmt die Tätowierung zwischen ihren Brüsten perfekt.

Sie zeichnet sie mit einem manikürten Finger nach. »Ein Gentleman würde mir wahrscheinlich sagen, dass ihm mein Tattoo gefalle.«

Ich räuspere mich und starre auf die Tätowierung. Irgendwie kann ich den Blick nicht losreißen. »Mir gefallen all deine Tattoos.«

»Aber dieses ganz besonders«, hilft sie mir auf die Sprünge.

Sie lehnt sich in meinen Armen zurück und betrachtet sich. Sie hat eine dunkelrote Rose zwischen ihren Brüsten, deren langer Stiel an ihrem Brustbein hinab verläuft.

Ich kann nicht aufhören, die Rose anzustarren.

Ich würde gern hineinbeißen. Sehr gern.

Ich reiße mich zusammen und sehe ihr wieder in die Augen. Es kostet mich eine volle Minute, herauszufinden, an welchem Punkt wir in unserem Gespräch sind. Zu meinem Glück ist Nova auf unsere Schritte konzentriert und nicht auf die Sekunden, die meine Antwort auf sich warten lässt. »Na schön«, gebe ich nach. »Erklär es mir.«

Sie blinzelt mich unschuldig an. »Was soll ich erklären?«

»Warum flirtest du mit mir?«

Eine schwache Röte steigt in ihre Wangen. Das gefällt mir noch mehr als die Rose zwischen ihren hübschen Brüsten.

»Du flirtest immer mit mir«, kontert sie.

»Und du sagst mir gewöhnlich, ich solle mich verziehen«, sage ich mit einem Lachen. »Nehmen wir zum Beispiel die Situation von vor ungefähr drei Minuten. Als ich praktisch quer über die Tanzfläche nach dir brüllen musste.«

Sie schnaubt und schaut über meine Schulter zur Seite. Ich lache abermals entzückt. Der Stoff ihres Rockes streift meine Anzughose bei jeder Bewegung unserer Füße. Die Musik fühlt sich an, als sei sie weit entfernt, und es gibt nichts als Nova und mich und die funkelnden Lichter um uns herum. Ein Blumenblatt in ihrem Haar und ihre Hand in meiner.

»Okay, also, ich habe nachgedacht …«

»Was du nicht sagst.«

»Halt die Klappe. Lass mich aussprechen.«

Hitze fährt mir in die Gegend unterhalb meiner Wirbelsäule. Ich liebe dominante Frauen. Meine Hand spannt sich an und lockert sich wieder. »Okay.«

Sie holt tief Luft. »Tja. Du weißt, dass ich mit dem Tattoostudio beschäftigt war. Man hat mich darauf hingewiesen, dass ich mich etwas« – sie kratzt sich den Nacken – »entspannen sollte.«

Sie sieht mich vielsagend an. Ich erwidere ihren Blick. Wenn sie will, dass ich daraus etwas schließe, wird sie sich genauer ausdrücken müssen.

»Entspannung ist großartig«, versuche ich es.

Zwischen ihren Brauen zeichnet sich eine Falte ab. Ihre hübschen Lippen verziehen sich missbilligend.

»Brauchst du eine Empfehlung für meinen Akupunkteur?«, biete ich an. »Denn er ist wirklich … großartig.« Ich schwöre, ich kenne mehr Worte als großartig.

Sie blinzelt mich an. »Nein, Charlie. Ich frage dich nicht nach deinem Akupunkteur.«

»Massage?«

»Nein.«

»Ziegenyoga?«

Sie seufzt. »Schockierenderweise frage ich auch nicht nach Ziegenyoga.«

Ich schwöre bei Gott, dass ich bei dieser Frau eine Straßenkarte brauche. Ich habe nicht die leiseste Idee, was sie denkt. »Wonach fragst du dann?«

»Ich frage …« Sie stößt scharf den Atem aus und zieht die Unterlippe zwischen die Zähne, bevor sie zu mir aufschaut. Dann lässt sie die Lippe los, und ich kann gerade eben noch die Abdrücke erkennen, die sie dort hinterlassen hat, bevor sie hastig hervorsprudelt: »Ich frage, ob du mit mir nach Hause kommst.«

Ich verziehe verwirrt das Gesicht. »Klar, Nova. Ich kann dich nach Hause bringen.«

»Nein, du Idiot. Ich will, dass du mit reinkommst.«

Ich starre sie verständnislos an. »Auf einen Snack?«

Sie lässt den Kopf in den Nacken fallen und schaut zum Nachthimmel empor, als flehe sie um Hilfe. Mich lenken ihr eleganter Hals ab und die kleinen schwarzen Sterne, die hinter ihr Ohr tätowiert sind. Sie winden sich langsam zu Blumen, das Tattoo zieht sich über ihren Nacken, zarte Blütenblätter, die von ihrer Schulter herabfallen.

»Nicht auf einen Snack«, sagt sie und schaut immer noch blicklos in den Himmel auf. Dann sieht sie mich wieder durchdringend an. Ich werde abgewogen und gemessen. Und wahrscheinlich für mangelhaft befunden. »Weißt du was? Vergiss, dass ich etwas gesagt habe.«

»Ich weiß nicht mal, was du gesagt hast.«

»Gut. Lassen wir es dabei bewenden.«

»Nova.«

»Charlie.«

»Nova.« Ich lache. »Es ist zum Schießen, dass du denkst, ich würde das hier auf sich beruhen lassen. Sag mir, was du gemeint hast.«

Die Farbe ihrer Wangen wird dunkler. Ihre Augen fliegen über meine Schulter und zurück. Ich umfasse ihre Hüfte fester, nicht bereit, sie durch die Bäume davonlaufen zu lassen. Ich kann spüren, dass sie es in Erwägung zieht.

»Ich weiß nicht, Charlie«, zischt sie. »Was um alles in der Welt denkst du, dass es bedeutet, wenn eine Frau dich fragt, ob du mit ihr nach Hause kommen willst?«

Ich brauche eine Sekunde, aber endlich fügen sich die Worte in meinem Gehirn zusammen. Ein Stich durchzuckt mich, mein Mund wird trocken, und ich stolpere über meine eigenen Füße. Ich hätte uns beinahe kopfüber in eine Rottanne fallen lassen. Ich versuche, wieder in den Tritt zu kommen, und renke ihr dabei um ein Haar die Schulter aus.

»Scheiße. ’tschuldigung. Scheiße.«

Ich fange uns im letzten Moment auf und schwinge Nova um mich herum, die Arme ausgestreckt. Dann ziehe ich sie zurück an meine Brust und versuche, nicht in helle Panik zu verfallen.

Ich keuche. Keuche ich? Was ist das für ein Klingeln in meinen Ohren? Habe ich einen Schlaganfall? Ich habe vielleicht einen Schlaganfall. Möglicherweise bin ich über eine der zwanzigtausend Kisten gefallen, die meine Schwester überall draußen vor ihrem Büro rumstehen hat, und ich liege irgendwo in einem Krankenhausbett und bekomme eine Infusion mit richtig tollen Drogen. Keine Ahnung.

Ich nehme alles verzerrt wahr, habe immer noch ein schwaches Klingeln in meinen Ohren. Das ständige Geplapper in meinem Gehirn ist verstummt. Auch alles um uns herum ist verstummt. Ich weiß nicht, was ich mit der Stille anfangen soll. Ich glaube nicht, dass ich je im Leben so überrumpelt war.

Nova beobachtet mich mit leicht erheiterter Miene. »Alles in Ordnung mit dir?«

Mein Mund öffnet sich, und nichts kommt heraus. Ich schließe ihn, und dann öffne ich ihn wieder. »Ich, äh – ich fürchte nicht, nein.«

Trotz all meiner Flirts mit Nova hat sie nie auch nur ein Fünkchen Interesse an mir gezeigt. Nicht ein einziges Mal. Die meisten meiner WhatsApps beantwortet sie nur mit einem gleichgültigen Smiley. Ich habe sie in der Kategorie unerreichbar eingeordnet. Nicht verfügbar und nicht interessiert.

Nicht, dass ich mich davon hätte abschrecken lassen, aber … sie will, dass ich sie nach Hause bringe? Heute Nacht? Flüchtige Affären mit einer Frau sind nichts Neues für mich, aber Nova? Ich sehe sie jedes Mal, wenn ich hier bin. Ich weiß, wie sie ihren Tee mag und was für ein Auto sie fährt. Ich kenne die Namen ihrer Schwestern und weiß, was sie an Spieleabenden nicht so gern spielt.

Nova eben.

Ich habe Mühe damit, meine Gedanken zu entwirren.

Außerdem bin ich unvernünftig und unglaublich angeturnt. Einerseits versuche ich, ihre Bitte zu verstehen, andererseits drehe ich durch wegen all der Möglichkeiten. Ich bin der Dr. Jekyll und Mr. Hyde der One-Night-Stand-Angebote.

Je länger ich schweige, umso mehr entgleisen ihre Züge. Sie senkt den Blick auf unsere Füße hinab, und ihr Mund wird schmal. Ihre Hand krampft sich in meinem Nacken zusammen, und sie legt fünf Zentimeter Abstand zwischen uns. Ich würde zusammenzucken, wenn ich in der Lage wäre, auch nur eine einzige Kleinigkeit oberhalb meines Gürtels zu spüren.

»Hör auf, dieses Gesicht zu machen«, presst sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

»Was für ein Gesicht?«

»Das, das du gerade machst.«

»Ich habe keine Ahnung, wie mein Gesicht aussieht, Nova. Es ist nur ein Gesicht.«

Sie schnaubt, lehnt sich zurück und drückt mir eine Fingerspitze in den Mundwinkel. »Du siehst aus, als hätte dir gerade jemand eine ganze Zitrone in den Mund geschoben. Lass das.«

»Entschuldigung.« Ich versuche, einen neutralen Gesichtsausdruck aufzusetzen, aber alles fühlt sich taub an. Als sei ich unter Wasser. Ich bin nicht ganz davon überzeugt, dass ich nicht doch ein medizinisches Problem habe. »Ist es jetzt besser?«

Sie schüttelt den Kopf, seufzt, schaut zu den Bäumen um sie herum und lässt dann das Kinn auf die Brust sinken.

Ich habe sie in Verlegenheit gebracht.

Schlimmer noch, ich glaube, ich habe ihre Gefühle verletzt.

»Nova.«

»Vergiss, dass ich etwas gesagt habe.«

Ich will nicht lachen, aber mir ist leicht hysterisch zumute. »Es hat sich in mein Gehirn eingebrannt.«

Ich werde sie für den Rest meines Lebens mit ihrer heiseren, süßen Stimme murmeln hören: Komm mit mir nach Hause.

Sie runzelt die Stirn. »Ich will nicht mehr darüber reden.«

»Damit bist du aber allein.«

Sie stößt einen frustrierten Laut aus. Schließlich sieht sie mir wieder in die Augen. »Charlie. Bitte. Ich weiß nicht, was ich mir dabei gedacht habe. Lass uns einfach … lass uns einfach über Reisekostenabrechnungen reden.«

Ein schwacher, gequälter Laut entringt sich meiner Kehle. »Ich weiß nicht, wie du von mir erwarten kannst, zusätzlich zu allem anderen auch noch ein banales Gespräch mit dir zu führen.«

Erheiterung flackert über ihre Züge. »Du machst dich lächerlich.«

Ich mache mich lächerlich. Ich bin außerdem verwirrt.

»Nova«, beginne ich sanft. »Letzte Woche habe ich dir gesagt, dass dein Haar hübsch aussieht, und du hast mir geantwortet, ich solle mich zusammenreißen. Ich versuche dahinterzukommen, wie wir von diesem Punkt zu unserem jetzigen Gespräch gelangt sind.«

Sie wirft mir einen langen, nachdenklichen Blick zu. Ihre Augen sehen heute Abend dunkler aus, wie dichter Nebel mitten im Wald. Träge Morgenstunden unter der Bettdecke, Regen, der an die Fenster prasselt. Tee in einer Kanne und nichts als Socken und nackte Haut.

»Du weißt, wie wir hier gelandet sind«, sagt sie leise. Der Anfang eines Geständnisses vermutlich.

»Erklär es mir. Mir zuliebe.«

Sie beißt sich abermals auf die Unterlippe. Bevor ich auch nur darüber nachdenken kann, hebe ich eine Hand, lege die Finger um ihr Kinn und ziehe die Unterlippe zwischen ihren Zähnen hervor. Es fühlt sich immens wichtig an, ein Verlangen, das in mir brennt. Ich streiche einmal über ihre Lippen. Ihr Mund fühlt sich an wie Seide. Die Kuppe meines Daumens berührt ganz leicht ihre Zunge, und um ein Haar hätte ich uns erneut in den nächsten Baum stürzen lassen.

»Genau so ist es passiert«, erklärt sie immer noch leise, kaum hörbar. »Du flirtest seit einer Ewigkeit mit mir, Charlie. Und jetzt bist du überrascht, dass ich darauf einsteige?«

»Ich bin überrascht, dass du willst, dass ich dich nach Hause bringe«, murmle ich.

Ich lege ihr die Hand wieder auf den Rücken, dann räuspere ich mich ohne jedweden Grund dreimal hintereinander. Sie schaut mich unter Wimpern mit goldenen Spitzen hinweg an, und ein Lächeln umspielt ihre rosafarbenen Mundwinkel.

Ich schiebe uns beide zurück auf die Tanzfläche und bin mir schmerzhaft jeder einzelnen Stelle bewusst, an der unsere Körper sich berühren. Oberschenkel, Hüften, Brust.

Dieser Tanz, um den ich sie angefleht habe, ist jetzt meine höchstpersönliche Hölle.

Ich stoße einen langsamen Atemzug aus. »Wie viel hast du heute Abend schon getrunken?«

»Genug, um mich warm und kuschelig zu fühlen, aber nicht so viel, um nach Dingen zu fragen, die ich nicht will.« Sie tätschelt einmal kurz meine Brust, einen resignierten Ausdruck auf dem Gesicht. »Ist schon gut, Charlie. Wir werden diesen Tanz beenden. Ich werde mir noch etwas zu trinken holen. Und wir werden nie wieder darüber reden.«

Ich umfasse sie fester. Dieser Plan gefällt mir nicht.

»Nova …«

»Bitte«, flüstert sie, den Blick immer noch bewusst von mir abgewandt. »Bitte, können wir das Thema begraben?«

Ich antworte ihr mit einem ruckartigen Nicken, aber meine Gedanken überschlagen sich immer noch. Sie türmen sich auf wie winzige Sandkörner, bis ich überwältigt bin. Ich bin exzellent im Ausmalen von Katastrophen. Ich wirble uns herum, und ein einziger Gedanke schreit lauter als der Rest.

»Wirst du dir jemand anderen suchen?«

»Hm?«

Der Song ist bei seinen letzten langsamen Klängen angelangt, und eine einsame Trompete hallt über die Felder. Ich gerate in Panik. Ich bin noch nicht bereit, sie gehen zu lassen.

Ich schiebe uns beide tiefer zwischen die Bäume, bis Schatten unsere Füße einhüllt.

»Wirst du dir jemand anderen suchen?«, wiederhole ich meine Frage.

Sie lockert den Griff, mit dem sie mich festhält, befreit sich aber nicht aus meinen Armen. »Wofür? Für einen Drink?«

Jetzt bin ich der Genervte. »Dass er mit dir nach Hause geht.«

»Ah.« Verstehen erhellt ihre Augen, und ihre Lippen zucken. »Vielleicht …«

»Tu das nicht«, falle ich ihr ins Wort. Wenn ich sie mit Jimmy von der Bar oder Alex aus der Buchhandlung nur reden sehe, drehe ich schon durch. Ich kratze mich grob am Hinterkopf und versuche, meine in alle Richtungen stiebenden Gedanken wieder zu ordnen. Ich habe kein Recht, sie um etwas zu bitten, das weiß ich, aber die Vorstellung, dass sie einen anderen fragt, was sie gerade mich gefragt hat, macht mich grenzwertig mordlustig.

Gott.

Sie hat mein verdammtes Gehirn unbrauchbar gemacht.

Sie verschränkt die Arme vor der Brust und zieht herrisch eine Braue hoch. »Gibt es irgendeinen speziellen Grund, warum ich mir von dir vorschreiben lassen sollte, was ich tun darf und was nicht?«

»Ich versuche nicht, dir irgendetwas vorzuschreiben. Ich will nur …« Ich fahre mir mit einer Hand über das Gesicht und lege sie mir dann unters Kinn. Ich würde es nicht ertragen, wenn sie sich bei dieser Hochzeit an irgendeinen anderen Typen ranmacht. »Du willst doch die Hochzeitstorte nicht verpassen«, füge ich halbherzig hinzu.

»Die Hochzeitstorte«, wiederholt sie.

»Ja, die Hochzeitstorte.«

»Die Torte, die seit fast einer Stunde draußen steht.«

»Sie geht schnell weg.« Ich zucke zusammen. Ich klinge wie ein Arschloch. Ein idiotisches Arschloch.

Sie lacht spöttisch und kommt näher auf mich zu. Ich versuche zurückzuweichen, aber ich stehe direkt vor einer Tanne. Die Nadeln stechen mir in die Arme. Ein verirrter Zweig schlägt mir gegen den Hinterkopf. Es fühlt sich an wie die sofortige Bestrafung einer Sünde.

Nova bohrt mir einen Finger in die Brust. »Du schreibst mir nicht vor, was ich tun darf.«

Farbe schießt in ihre Wangen. Diesmal ist es Zorn und nicht Verlegenheit. Sie pikst mich noch einmal. Ich verspüre eine bizarre Mischung aus Furcht und Angeturntsein. Ich hebe beide Hände, die Handflächen zu ihr gedreht. »Ich weiß.«

»Vor allem, nachdem du Nein gesagt hast.«

»Was? Ich habe nicht Nein gesagt.«

»Du hast Nein gesagt.«

»Habe ich nicht. Du hast mir nicht mal Gelegenheit gegeben, die Frage zu beantworten.« Ich schließe die Hand um den Finger, der sich in meine Brust bohrt, und ziehe unsere beiden Hände zur Seite. »Wenn du eine Antwort möchtest, frag mich noch einmal.«

Ihre Augen blitzen im Schein der Lichterketten auf, die über unseren Köpfen funkeln. Auf ihren Wangen liegt eine leichte Schicht von etwas Glitzerndem. Sie sieht aus, als würde sie leuchten.

Und gleichzeitig finster dreinblicken. Sie blickt definitiv finster drein.

»Wie bitte?«

»Wenn du willst, dass ich dich nach Hause bringe, musst du mich noch mal fragen.«

Ich habe nichts gegen eine heiße, leidenschaftliche Nacht mit Nova Porter. Tatsächlich klingt es wie etwas aus meinen Träumen. Sie ist wunderschön. Unfassbar witzig. Sarkastisch und blitzgescheit. Ich habe öfter, als ich zählen kann, daran gedacht, mit ihr ins Bett zu hüpfen. Um Gottes willen, ich flirte schon seit Monaten mit ihr.

Aber ihre Bitte kommt völlig unerwartet. Ich hatte keine Ahnung, dass Nova überhaupt … Dass sie mich überhaupt dafür in Betracht zieht. Ich bin daran gewöhnt, eine nette Gesellschaft für sie zu sein. Eine spaßige Abweichung von normalen Mustern und Verhaltensweisen. Wie auch immer, ich will, dass sich Nova klar entscheidet. Nicht aus einer Laune heraus. Ohne Bedauern.

Also ja. Sie muss mich noch einmal fragen.

Sie lacht spöttisch und schlingt die Arme um sich. »Ich bin bereits fast so weit, so zu tun, als sei dies nie passiert.«

Ich ziehe sie fester an mich als beim Tanzen. Sie legt den Kopf in den Nacken, während sie mich mit halb geschlossenen Augen beobachtet. Sie benimmt sich, als hätte ich nicht die leiseste Wirkung auf sie, aber jetzt bin ich ihr auf die Schliche gekommen. Sie hat unter all dieser Gleichgültigkeit ein dickes, fettes Geheimnis versteckt. Die kleine Miss Grumpy hat all ihre Karten auf den Tisch gelegt, als sie mich gebeten hat, sie nach Hause zu bringen.

»Du wirst nicht so tun, als sei es nicht passiert.« Ich gehe ein Risiko ein und streiche mit den Knöcheln an ihrem Arm hinab, und ich bin entzückt über die Gänsehaut, die sie daraufhin überzieht. »Du wirst mich noch einmal fragen.«

»Ach ja?«

Ich nicke. »Ja.« Ich bin geduldig. Ich ziehe meine Hand zurück. »Du brauchst mich nicht heute Abend zu fragen. Du kannst darüber nachdenken.«

Ein ungläubiges Lachen schießt aus ihr heraus. »Oh, vielen herzlichen Dank.«

Ich lächle, denn sie weicht nicht zurück. Sie schmiegt sich sogar an, und eine ihrer Hände schiebt sich wieder unter meinen Hosenträger. Sie zieht probehalber daran, und ich taste nach ihrer Hüfte unter dem seidigen Material ihres Kleides.

»Das Einzige, woran ich denken werde …« Sie dreht mir ihr Gesicht zu, und ihr Atem weht sanft über meinen Hals. Scheiße. Sie riecht unglaublich. Etwas Wildes und Dunkles und etwas, das gerade eben außer Reichweite ist. »… ist der Ausdruck auf deinem Gesicht, als du uns fast beide in die Fichte hast stürzen lassen.«

»Es war eine Tanne«, murmle ich. Ich lasse die Hand an ihrer Seite emporwandern, bis ich sie um ihren Nacken legen kann. Ich habe gerade ein völlig neues Level des Flirtens mit Nova Porter erreicht, und das ist bisher mein Favorit. »Nun, zumindest wirst du an mich denken.«

»Träum weiter«, haucht sie.

»Mit erschreckender Regelmäßigkeit und unglaublicher Detailliertheit«, kontere ich.

Sie versucht, ihr Lächeln zu verbergen, indem sie den Kopf senkt, aber ich erhasche einen Blick darauf. Gedämpft weht die Musik von der Tanzfläche herüber zu uns. Die Zweige rascheln in einer leichten Brise. Nova erschauert, und wenn ich mein Jackett anhätte, würde ich es ihr anbieten.

Sie würde es wahrscheinlich in Brand stecken.

»Ich werde …« Sie entzieht sich meinem Griff und deutet mit dem Kopf auf die Scheune. Ihr Lächeln ist sanft, ihre Wangen rosa, und ich will diese stille, seltene Erheiterung in ihren Mundwinkeln kosten. »Wir sehen uns, Charlie.«

Ich versenke die Hände in meinen Taschen. »Ganz bestimmt.«

»Okay.«

»Schön.«

»Großartig.«

Sie lacht kurz auf, gefolgt von einem gewisperten »unglaublich«. Sie wirft mir einen letzten Blick zu, dann schlendert sie davon, die Schultern gerade, das Kinn erhoben.

»Tu so, als sei das hier nie passiert«, ruft sie mir einen letzten Befehl zum Abschied zu. Dann rafft sie ihren Rock und hüpft mit nackten Füßen über den Weg.

Ich betrachte grinsend die gerade Linie ihrer Schultern und den silbernen Stoff über der Wölbung ihres Hinterns.

»Höchst unwahrscheinlich«, rufe ich zurück.

Kapitel 3Charlie

Nova lässt mich vor einer Tanne stehen, mit einem halben Ständer und einer ganzen Menge Stoff zum Nachdenken. Ich fahre mir mit beiden Händen übers Gesicht und atme ein paarmal tief aus, um hinter dem Baum hervorkommen zu können, ohne mich zu blamieren.

Nicht, dass es viel helfen würde. Mein Kopf fühlt sich an, als sei er voller Wolle und dem Parfüm, das Nova benutzt hat, was immer es war.

Ich schlendere zu Lukas und Stellas Tisch hinüber und versuche, nicht auszusehen, als hätte ich gerade eine existenzielle Krise. Es war ein gewagter Move, ihr zu sagen, dass sie mich noch einmal fragen muss. Aber ich stehe dazu. Ich werde Nova Porter nicht nach Hause bringen und das Beste erhoffen. Diese Stadt ist mir zu wichtig. Ich werde meinen Ruf hier nicht riskieren, weil ich beschlossen habe, mit meinem Freund da unten zu denken.

Als ich den Tisch erreiche, grinst Stella mich an.

»Was ist?«

Sie schnippt mir gegen die Schulter. »Das weißt du genau.«

Ich werfe einen schnellen Blick zu Beckett am anderen Ende der Tanzfläche, aber er ist mit seiner Ehefrau auf seinem Schoß beschäftigt. Sein Kinn ruht auf ihrer Schulter, und er hat ihr beide Arme um die Taille geschlungen. Sie reden wahrscheinlich über die Adoption von Haustieren oder den besten Boden für das Pflanzen von Karotten.

Nicht, dass ich irgendeinen Grund zur Sorge hätte. Nova und ich haben nur getanzt. Es spielt keine Rolle, dass sie eine der Schwestern meines besten Freundes ist. Seine jüngste Schwester. Seine Lieblingsschwester. Die, der gegenüber er immer noch einen furchteinflößenden Beschützerinstinkt an den Tag legt.

Die, die mich gefragt hat, ob ich unverbindlichen Sex mit ihr haben wolle.

Ich zwinge mich, wieder Stella anzusehen. »Ich habe keine Ahnung, wovon du redest.«

Ich greife nach der Champagnerflasche, die mitten auf dem Tisch steht, und nehme drei große Schlucke. Er ist zu süß, und die Bläschen bescheren mir fast einen Herzinfarkt, aber es ist eine gute Ablenkung von dem, was ich wirklich tun will. Nämlich die Farm nach Nova absuchen.

Du weißt, wie wir hier gelandet sind.

Ich brauche eine kalte Dusche und einen richtigen Drink. Danach eine weitere kalte Dusche.

Ich stoße einen tiefen Atemzug aus und ignoriere den leicht erheiterten Ausdruck auf dem Gesicht meiner Schwester. Was ich brauche, ist eine Ablenkung, und ich habe die perfekte gefunden. Ich greife in meine Gesäßtasche und hole einen sorgfältig zusammengefalteten Umschlag heraus. »Für dich.«

Sie starrt ihn mit verwirrter Miene an. »Was ist das?«

»Ein Umschlag.«

Sie verdreht die Augen.

»Ein Hochzeitsgeschenk.« Ich grinse.

Sie wirft mir einen Blick zu. »Du hast mir schon etwas zur Hochzeit geschenkt. Du hast mir ungefähr … sechs Hochzeitsgeschenke gemacht.«

Sie berührt sachte die kleinen Saphire in ihren Ohren, eins meiner Geschenke, bevor ich sie zum Traualtar geführt habe. Ich habe es irgendwie übertrieben, aber ich konnte nicht an mich halten. Stella ist meine einzige Schwester – eine Schwester, von der ich nicht mal wusste, dass ich sie hatte, bis sie längst erwachsen gewesen war. Ich bin als Einzelkind großgeworden, das nur so platzte vor Energie und niemanden hatte, mit dem es sie ausleben konnte. Ich habe meine Mutter unablässig um einen Bruder oder eine Schwester angebettelt, bis ich alt genug war, um zu begreifen, was dieser verletzte Ausdruck in ihren Augen bedeutete, und aufgehört habe, darum zu bitten.

Und dann, eines Tages, mit Anfang zwanzig, ist Stella auf unserer Türschwelle erschienen, mit einem Haufen Briefe in der Hand und den genau gleichen Augen, wie ich sie habe.

Wie sich herausstellte, war unser Vater meiner Mutter nicht gerade treu. Stella entsprang dem ersten in einer sehr langen Reihe von Fehltritten.

Glücklicherweise war sie bereit dazu, eine Beziehung zueinander aufzubauen, und wir sind schnell Freunde geworden. Ich denke gern, dass wir beide versuchen, mit vereinten Kräften die versäumten Jahre wettzumachen. Sie ist die Schwester, die ich mir immer gewünscht habe. Teil der Familie, von der ich nie dachte, dass ich sie einmal haben würde.

Sechs Geschenke für ihre Hochzeit fühlen sich, ehrlich gesagt, nicht genug an. Sie soll wissen, wie viel es mir bedeutet, diesen Tag mit ihr zu verbringen. Einen Platz auf ihrer Christbaumfarm zu haben und in der Gemeinschaft, die sie um sich herum aufgebaut hat.

Luka taucht hinter ihr auf, mit einem einfältigen Grinsen auf dem Gesicht, und bettet das Kinn auf ihren Kopf. Er legt ihr beide Arme um die Schultern und wiegt sie hin und her, während er gleichzeitig mit der linken Hand vor meinem Gesicht herumwedelt. Das Aufblitzen seines neuen, schimmernden Goldrings spiegelt die Lichter über uns wider.

»Charlie«, murmelt er in einem Singsang. »Weißt du, was das hier bedeutet?«

Stella zieht seinen Arm zu sich, und ihre Eheringe klirren, als sie ihre Finger zwischen seine fädelt.

Ich grinse. »Ich denke, es bedeutet, ihr zwei seid verheiratet.«

»Ja, wir sind verheiratet.« Sein ganzes Gesicht leuchtet bei dem Wort auf, und sein Grinsen wird immer breiter. Er ist entweder über den schwarzgebrannten Schnaps hergefallen, den Gus auf die Feier geschmuggelt hat, oder er ist trunken von Liebe. Luka ist genau der Typ Mann, den ich für meine Schwester ausgewählt hätte, wenn ich ein Wort bei dieser Entscheidung mitzureden gehabt hätte. Er drückt einen Kuss auf Stellas Ohr. »Es bedeutet auch, dass du jetzt mein Bruder bist. Ganz offiziell.«

Meine Kehle schnürt sich zusammen. Vielleicht bin ich ein Idiot, aber der Gedanke ist mir im Vorfeld dieses Tages tatsächlich nie gekommen. Ich war ganz auf Stella konzentriert und darauf, für sie da zu sein, wie sie es brauchte.

»O mein Gott«, hauche ich. Stella macht große Augen, in denen leichte Panik auftaucht, als meine Arme schlaff an mir herabfallen. Ein rauer Atemzug bricht aus mir heraus. Ich klinge wie ein Ballon, der langsam Luft verliert. Ein U-Boot, das untergeht. »O mein Gott«, sage ich noch einmal.

Stella berührt mich am Arm. »Alles okay? Wirst du ohnmächtig? Wer … Uff.«

Sie kann nicht reden, weil sie eingequetscht wird zwischen mir und Luka, während ich meinen Arm um seine Schultern lege. Stella hat einen Ehemann bekommen, aber ich habe einen Bruder bekommen. Einen Bruder.

Luka klopft mir auf den Rücken und lacht leise. Stella ächzt irgendwo zwischen uns.

»Das ist das Allerbeste«, murmle ich in sein Jackett. »Ich nehme zurück, was ich gesagt habe, als du mir erzählt hast, dass du nicht nach New York zurückkehren würdest.«

Ich habe ihn einen Überläufer und Schlimmeres genannt. Als er in New York gelebt hat, haben wir zweimal die Woche in einem Deli auf halbem Weg zwischen unseren Büros zusammen zu Mittag gegessen. Luka war einer der wenigen Menschen in der Stadt, deren Gesellschaft ich tatsächlich genossen habe. Während der letzten zwei Jahre habe ich wie ein trauriger Sack ganz allein an dieser blöden Theke gesessen.

»Ja, hm.« Er lehnt sich zurück und klopft mir auf die Schulter. Stella schnappt nach Luft und versucht, eine Haarsträhne freizubekommen, die sich in meinem Hosenträger verfangen hat. »Vielleicht können wir dich überreden, öfter herzukommen.«

Als bräuchte ich einen Vorwand, um mehr Zeit in Inglewild zu verbringen. Es gefällt mir, wie ich mich fühle, wenn ich hier bin. Ich mag es, wie ich dann sein kann. Ich komme bereits jedes zweite Wochenende zu Besuch, zufrieden, alle dazu zu zwingen, mich regelmäßig zu ertragen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Stella deshalb das Gästehaus neben ihrem Grundstück gebaut hat. Sie hat gesagt, es sei für Airbnb gedacht, aber ich weiß, dass es für mich bestimmt ist.

»Danke, und da fällt mir etwas ein.« Ich halte den Umschlag abermals hoch und wedle damit zwischen uns herum. »Euer Hochzeitsgeschenk.«

Luka verzieht verwirrt das Gesicht. »Hast du uns nicht schon sechs Hochzeitsgeschenke gegeben?«

Stella hebt den Kopf. »Danke.«

Ich ignoriere alle beide und drücke Stella den Umschlag mit Gewalt in die Hand. Ich mochte ihnen sechs Hochzeitsgeschenke besorgt haben, aber dieses ist das, was ich am aufregendsten finde. Das ist das Geschenk, das ich während der letzten Monate bis ins Kleinste geplant habe.

Stella reißt den Umschlag auf und betrachtet das Stück Papier in ihrer Hand. »Sind das Flugtickets?« Sie hält das Papier an ihre Nase. »Für morgen?«

»Mm-hmm.«

»Nach Italien?«

»Ja, das steht auf den Tickets.«