Lovers & Deceivers - Katharina Westholm - E-Book

Lovers & Deceivers E-Book

Katharina Westholm

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Beschreibung

**Setzt du deine Karriere für die große Liebe aufs Spiel?** Nach einem desaströsen Vorstellungsgespräch kann Megan es kaum glauben, dass sie tatsächlich ihren ersten Tag in Londons erfolgreichster Modeagentur antritt. Als sie jedoch den Sohn des Geschäftsführers kennenlernt, ist dies niemand anderer als Adrian — der heiße Fremde, den sie gestern in einer Bar geküsst hat! Auch Adrian hat nicht damit gerechnet, Megan jemals wiederzusehen, und als sich die Ungereimtheiten um eine verschwundene Kollegin häufen, müssen sie der Sache gemeinsam auf den Grund gehen. Schon bald ist nicht nur Megans Herz in Gefahr, denn die Intrigen gehen weitaus tiefer, als beide ahnen konnten ...   »Gossip Girl« trifft auf »Sex and the City« in der Londoner Modewelt.   //Dies ist ein in sich abgeschlossener Einzelband.// 

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Impress

Die Macht der Gefühle

Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.

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Katharina Westholm

Lovers & Deceivers

**Setzt du deine Karriere für die große Liebe aufs Spiel?**

Nach einem desaströsen Vorstellungsgespräch kann Megan es kaum glauben, dass sie tatsächlich ihren ersten Tag in Londons erfolgreichster Modeagentur antritt. Als sie jedoch den Sohn des Geschäftsführers kennenlernt, ist dies niemand anderer als Adrian – der heiße Fremde, den sie gestern in einer Bar geküsst hat! Auch Adrian hat nicht damit gerechnet, Megan jemals wiederzusehen, und als sich die Ungereimtheiten um eine verschwundene Kollegin häufen, müssen sie der Sache gemeinsam auf den Grund gehen. Schon bald ist nicht nur Megans Herz in Gefahr, denn die Intrigen gehen weitaus tiefer, als beide ahnen konnten …

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Vita

© privat

Katharina Westholm, 1997 geboren, lebt und schreibt in Köln. Nach ihrem BWL-Abschluss studierte sie Marketing & Kommunikation. Am liebsten schreibt sie mit Blick auf die Kölner Innenstadt. Neben ihrer Liebe zu Geschichten beschäftigt sie sich mit Inneneinrichtung, hört True Crime-Podcasts oder teilt Fotos auf ihrem Instagram-Account @writingincologne, wo sie von Lieblingsbüchern und ihrem Schreibprozess erzählt.

Für alle, die ich durch meine Leidenschaft fürs Schreiben kennengelernt habe. Danke, dass ich diese Geschichte mit euch teilen darf.

Kapitel 1

Megan

Sekundenlang starrte ich die blonde Frau vor mir an. Ihr bitteres Lächeln hielt lediglich kurz an, bevor ihre Mundwinkel nach unten sackten. Für einen Moment erwiderte sie meinen Blick voller Sorge, dann wandte ich mich ab – nur um einen Atemzug später wieder zu ihr zu sehen. Diesmal wirkte ihr Ausdruck verändert, fast erschrocken, was mich jedoch weiter dazu drängte, sie zu mustern. Wer war sie? Die Lider der Blonden flatterten und eine leichte Röte zeichnete sich auf ihren Wangen ab. Sie war hübsch, fand ich. Aber sie wirkte müde und erschöpft.

Erst das Klirren des Vodka Sodas, den der Barkeeper mir vor die Nase setzte, unterbrach unseren Blickkontakt und ich riss mich endlich los – von meinem eigenen Spiegelbild. Was für ein Klischee, dass ausgerechnet ich in die nächstbeste Bar lief, um mich von der heutigen Enttäuschung zu erholen. Ich, die sich in der Vergangenheit lieber bis zum Morgengrauen mit Karteikarten beschäftigt hatte, als die Nacht durchzufeiern. Doch selbst das war jetzt egal.

Leise seufzend ließ ich meinen Blick durch den Raum gleiten, in dem ich mich befand. Die Bar war düster, aber gemütlich, irgendwie geheimnisvoll und edel. Indirektes Licht umsäumte die massive Theke und bildete die einzige Lichtquelle neben den warm leuchtenden Glühbirnen auf den marmornen Tischen der kleinen Sitzgruppen am Rande des Raums. Die Gesichter der Gäste am Ende der Theke waren dadurch nicht wirklich zu erkennen und nur diejenigen, die sich in unmittelbarer Nähe befanden, ließen mich verstehen, welches Klientel hier ein- und ausging, was auch die Preise der Drinks erklärte. Es handelte sich vermehrt um junge Leute, die meisten mussten in meinem Alter sein, vielleicht ein wenig älter. Doch es war keine Bar für Studentenpartys mit Bier aus billigen Plastikbechern und einer eigenen Getränkekarte für Shots, wie ich sie aus der Bar in der Nähe meiner Uni kannte. So, wie es aussah, trafen sich hier vor allem junge Business-Leute. Solche, die Erfolg hatten und solche, die gerne so taten, als wären sie erfolgreich. Die Kleiderordnung, die irgendwo zwischen hochmodisch und formell lag, passte perfekt zu der Lage der Bar – direkt in der City of London und ganz in der Nähe des hohen Gebäudes, aus dem ich vorhin geflohen war.

Für einen Mittwochabend war die Bar ungewöhnlich gut besucht und im Raum lag dieses Gefühl von Unbeschwertheit, für das die meisten Menschen heutzutage keine Nerven mehr aufbringen konnten – mich eingeschlossen. Dies war kein Ort, an dem ich mich normalerweise rumtrieb. Und dennoch fühlte ich mich nicht unwohl. Vielleicht lag es daran, dass ich mit meinem kurzen Tweedrock und den spitzen Pumps exakt zu den restlichen Gästen passte. Ich hatte mein Outfit sorgfältig auf den heutigen Tag abgestimmt. Und doch hatte es nicht gereicht.

Die aufkommende Scham färbte meine Wangen rötlich. Der Spiegel zeigte es mir ganz genau. Wenn ich zurückdachte, dann konnte ich mit Sicherheit sagen, dass ich selten so gescheitert war wie am heutigen Tag. Eigentlich war ich immer die mit den guten Noten gewesen, besonders sobald Selbstorganisation, Kreativität und Worte gefragt waren. Mit solchen Dingen konnte ich gut umgehen. Mit Enttäuschungen nicht. Wahrscheinlich hatte es damit zu tun, dass ich bisher beinahe jedes Mal Glück gehabt hatte. Fast alle meine Dozenten hatten mich gemocht und meinen Ehrgeiz geschätzt. Und jetzt waren da gleich zwei Enttäuschungen hintereinander. Die eine lag noch ganz frisch auf meiner Haut, die andere hatte sich bereits irgendwo zwischen Herz und Magen festgesetzt.

Eigentlich war das Gespräch sogar ziemlich gut gelaufen. Ich hatte mich informiert, ganz genau gewusst, in wessen Büro ich da saß und welche Geschichte das Londoner Familienunternehmen mit sich brachte. In meinem Modejournalismus-Studium in Southampton war nicht nur Kleidung an sich Themenschwerpunkt gewesen, sondern vor allem auch die Kultur und der Markt, die hinter dem Phänomen Fashion standen. Da war es klar, dass ich den Namen The Dillens schon einmal gehört hatte. Schließlich handelte es sich hier um Londons bekannteste und umsatzstärkste Vertriebsagentur für unzählige High-End-Modemarken. Allesamt ließen sie mein Herz höherschlagen, was allein bereits Grund genug für meinen Bewerbungsentschluss hätte sein können, wenn da nicht diese verfluchte Schreibblockade gewesen wäre.

Bis zu meinem Abschluss hatte ich mir viele Jobprofile vorstellen können. Klar, Mode gefiel mir immer noch, aber vor allem war es das Schreiben gewesen, das mich im Studium vorantrieb. Kurz gesagt: Ich liebte Mode, doch den Journalismus-Part meines Studiums hatte ich mit jedem Semester ein bisschen mehr geliebt. Trotzdem stand nun eins für mich fest: Mein zukünftiger Job sollte nichts mehr mit dem Schreiben zu tun haben.

Nach dem Ende des Sommersemesters, als ich meinen Abschluss in der Tasche gehabt hatte, war ich entschlossen gewesen, nach London zu ziehen und dort mein Glück zu versuchen. Ich hatte nur diese eine Bewerbung geschrieben. Hatte nicht mit einer Enttäuschung gerechnet, weil ich das nicht kannte. Und weil ich bei dieser Stelle ja bereits aufs Schreiben verzichtet hatte. Tja, so langsam sollte ich mich wohl daran gewöhnen, dass meine Glückssträhne vorbei war.

Dass ich einfach davon ausgegangen war, dass es schon klappen würde, machte mein Scheitern jetzt umso schlimmer. Nur warum war ich eigentlich gescheitert? Diese Frage zerriss mich innerlich, ich wollte verstehen. Ich hasste es, Fehler zu machen. Und so ging ich zum wiederholten Male das Gespräch Satz für Satz durch, suchte nach dem Fehler. Meinem Fehler.

»Herausragende Noten in den modebezogenen Fächern, aber vor allem auch im journalistischen Teil Ihres Studiums. Helfen Sie mir auf die Sprünge, Miss White. Wieso sitzen Sie hier und befinden sich nicht drüben auf dem Hanover Square in Mayfair?« Clint Carter, Personalchef bei The Dillens, war ein Husky. Nur keiner der niedlichen Sorte. Sein Ton war ruhig und kontrolliert. Seine Stahlaugen blinzelten nicht mal, während er mich fragte, warum ich mich bei diesem Unternehmen bewarb und nicht auf einem ledernen Freischwinger im Headquarter der britischen Vogue saß.

Ich entschied mich für eine Teilwahrheit, da ich trotz allem nichts davon hielt, ein mögliches Arbeitsverhältnis mit einer Lüge zu beginnen.

»Ich habe immer gerne geschrieben.« Meine Mundwinkel zuckten zweimal, obwohl das nicht mal der gelogene Part war. »Schreibe gerne. Präsens.« Ich rang mir ein Lächeln ab und umging seine Husky-Augen, indem ich ihm genau auf die Nasenwurzel starrte.

Mr Carter nickte kaum merklich und lehnte sich zurück, als wüsste er genau, dass mir sein Schweigen Unbehagen bereitete.

»Aber ich lese lieber den Businessteil, als mir irgendein Editorial anzuschauen. Ich interessiere mich für die unternehmerische Seite der Branche. Ich habe zwei Jahre lang als Assistentin im Lehrstuhl gearbeitet.«

Wieder nickte er und diesmal hatte ich tatsächlich das Gefühl, meine Worte hätten ihn zufriedengestellt.

»Verstehe. Sie wollen nicht über andere schreiben, Sie wollen, dass man über Sie schreibt. Das kann ich nachvollziehen.« Kurz grinste er und gab den Blick auf verboten scharfkantige Eckzähne frei.

Trotzdem konnte ich seit Beginn dieses Gesprächs zum ersten Mal die Schultern lockern. Erleichterung machte sich in mir breit. Das Gespräch lief besser als erwartet.

»Also gut.« Mr Carter ordnete den losen Papierstapel, den er vor sich auf dem Tisch ausgebreitet hatte und es schien, als wäre das Gespräch beendet.

Im Augenwinkel erkannte ich das rote Ausrufezeichen, das jemand neben mein Bewerbungsfoto gesetzt hatte. Auch nach drei Jahren Modejournalismus ließ mich die Oberflächlichkeit dieser Branche schlucken. Ich zwang mir ein erneutes Lächeln auf, denn ich wollte diesen Job. Und es gab mehr als genug geeignete Kandidatinnen und Kandidaten, die sich ein Bein für diese Assistenzstelle ausreißen würden – dabei war das hier nicht die Runway und es gab auch keine Miranda, die von mir ein unveröffentlichtes Harry-Potter-Manuskript verlangen würde. Zumindest hoffte ich das.

Unsicher wollte ich ihn fragen, wie es jetzt weiterging. Wollte wissen, ob ich das edle Gebäude in der City of London in Zukunft als Assistentin der Geschäftsführung betreten würde. Doch bevor ich überhaupt die erste Silbe hervorbringen konnte, machte sich das Konferenztelefon an der Fensterseite des Hochglanztisches lautstark bemerkbar. Mr Carter warf einen schnellen Blick auf das Display und richtete sich auf.

»Moment, da muss ich kurz rangehen.« Er betätigte einen der unzähligen Knöpfe, dann knackte es blechern. »Ich rufe dich gleich zurück«, setzte er an und wurde prompt unterbrochen, als eine männliche Stimme das weitläufige Büro erfüllte.

Mr Carter hielt in der Bewegung inne und sein Blick flackerte vom Konferenztelefon zu mir und wieder zurück, während der Mann am anderen Ende der Leitung seinen Monolog längst begonnen hatte. Mit unkontrollierten Bewegungen tippte Mr Carter auf die schmalen Tasten des Geräts ein und fegte dabei mit dem Sakkoärmel den Ausdruck meiner Bewerbung auf den Boden.

»Carter«, blaffte der Anrufer. Seine Stimme war tief, jeder Konsonant gestochen scharf. »Sag all deine Termine für heute ab. Es hat nicht funktioniert.« Kurz wurde seine Stimme leiser, dann hörten wir ihn wieder, diesmal dumpf, als spräche er nicht direkt in den Hörer. »Raus aus dem Aufzug, das hier ist ein Privatgespräch.« Er spie diese Worte aus und wer immer es gerade gewagt hatte, zu ihm in den Aufzug zu steigen, hatte all mein Mitgefühl. »Fuck, es sieht verdammt übel aus. Ruf Adrian an, du weißt, was wir besprochen haben. Ich bin auf dem Weg zu dir. Ich weiß, wie …«, richtete er sich nun erneut direkt an den Personalchef, der in eben dieser Sekunde notgedrungen den Stecker des Konferenztelefons gezogen hatte.

Ich wagte es nicht, die Situation zu kommentieren, aber das übernahm Mr Carter schon für mich.

»Sie gehen jetzt besser, Miss White.« In seinen Augen lag Hektik, die Lippen formten einen schmalen Strich.

Unfreiwillig stand nun auch ich auf.

»Mr Carter. Es tut mir leid. Ich … was kann ich tun?«

»Bitte gehen Sie einfach. Ich fürchte, Sie sind nicht für diese Stelle geeignet.«

Nichts als Verwirrung benebelte meine Erinnerung daran, wie ich aufgestanden sein musste, um das hübsche Büro des Personalchefs zu verlassen. Erst als draußen auf dem Flur die Tür ins Schloss gefallen und ich beinahe mit jemandem zusammengestoßen war, hatte ich mich aus meiner Schockstarre befreien können und war mit einer leisen Entschuldigung auf den Lippen fluchtartig in den Fahrstuhl gestürzt und dann aus dem gesamten Bürokomplex.

»Etwa schon bereit für die zweite Runde?«, durchbrach plötzlich der Barkeeper meinen Gedankenstrudel. Er grinste und griff nach meinem Glas, das ich zu meinem Erstaunen bereits geleert hatte. Sein schneeweißes Hemd und die schwarze Fliege blitzten selbst in der Dunkelheit hervor.

»Noch einen, bitte.«

Er entfernte sich und nahm die Bestellungen weiterer Gäste auf, die sich an die Theke lehnten. Hinter ihm reihten sich hübsche Flaschen in jeglichen Farben und Formen meterhoch aneinander und ich fragte mich, ob dieser Vorrat wohl jemals zu Neige gehen würde.

Wenige Minuten später rutschte mein neuer Drink erneut auf dem glänzenden Marmor in meine Richtung, doch bevor ich danach greifen konnte, übernahm jemand anderes das für mich. Jemand, der sich unbemerkt auf dem freien Barhocker neben mir niedergelassen hatte.

»Hey, das ist meiner«, erklärte ich dem Mann.

Er sah mich erstaunt, aber auch leicht amüsiert an und machte keine Anstalten, meine Hand daran zu hindern, ihm das Glas abzunehmen.

»Danke sehr.« Während ich den Drink auf meine Seite schob, blieb mir ein Sekundenbruchteil, um ihn zu mustern. Man sagt doch, dass das Unterbewusstsein binnen solch kurzer Zeit bereits entscheidet, ob man jemanden anziehend findet oder nicht. Und in eben diesem Moment stieg eine Hitze in mir auf, die definitiv aus meinem tiefsten Unterbewusstsein kommen musste. Ich blinzelte sie weg.

»Entschuldigen Sie, ich habe gedacht, das wäre meine Bestellung – haben Sie gerade die Augen verdreht?«, erwiderte der Mann beiläufig, verlor aber das amüsierte Lächeln nicht. Doch irgendetwas stimmte an seinem Ausdruck nicht. Seine Augen wirkten kühl und rastlos wie bei Menschen, die unter Stress standen und es herunterspielten.

»Nein, ich denke, das haben Sie falsch beobachtet. Aber ich schiebe das mal auf die Dunkelheit hier.« Ich schaffte es nicht ganz, mir das Grinsen zu verkneifen. Flirten machte mir Spaß, weil man dabei mit Worten gewann und ich liebte Worte. Doch eigentlich war mir gerade überhaupt nicht danach. Dem Alkohol in meinem Körper war das allerdings egal und so sehr ich auch versuchte meinen Blick abzuwenden, er haftete an meinem Gegenüber. Er war definitiv älter als ich. Vielleicht nicht viel, aber offensichtlich ein wenig. Sein braunes Haar musste er heute Morgen mit Gel gebändigt haben, doch so lässig zerzaust, wie es nun aussah, hatte er augenscheinlich einen harten Tag hinter sich. Was führte einen denn sonst an einem Mittwochabend ganz allein in diese Bar? Ich sprach schließlich aus Erfahrung.

Lässig hob er nun die Hand und bestellte auf diese Weise einen neuen Drink, ohne auch nur aufblicken zu müssen. Er schüttelte leicht den Kopf und blickte mit einem kleinen Grinsen in Richtung des Rauminneren. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass einige Tische verschoben worden waren und man so eine kleine Tanzfläche kreiert hatte, die zwar schmal war, aber gut genutzt wurde.

So schnell, wie er weggesehen hatte, starrten mich seine hellblauen Augen auch wieder an. »Was führt Sie hierher?«

Für einige Minuten hatte ich den Verlauf des Tages fast vergessen, doch jetzt wirkte seine Frage wie ein Eimer Eiswasser, den man über mir ausschüttete. Ich blickte hinab auf meine Hände, die den kalten Drink umklammerten, und nahm ein paar tiefe Schlucke. Wow, der war definitiv noch stärker als der erste. Ich stellte das kristallene Glas zurück auf die Theke und rieb die kühlen Finger an meinem Rock warm. Als ich wieder klarer denken konnte, wandte ich mich ihm erneut zu. Seine Augen ruhten weiterhin auf mir. Ja, er musste die Spannung zwischen uns genauso spüren wie ich.

»Kein guter Tag? Meiner war auch beschissen.« Sein harter Tonfall überraschte mich, passte aber zu dem Eis in seinem Blick und der wirren Frisur.

Ich ließ einige Sekunden verstreichen, in denen ich versuchte mir vorzustellen, wer er war und wie er so geworden war. »Könnte man so ausdrücken. Überhaupt kein guter Tag.«

In seinen Augen blitzte etwas auf und mein schrecklicher Tag fühlte sich augenblicklich etwas besser an, als würde mir das Funkeln verraten, dass ich nicht allein dastand.

»Kommen Sie von hier?«, fragte er als Nächstes und klang ehrlich interessiert, was dazu führte, dass sich meine schmerzende Nackenpartie ein wenig entspannte.

»Nein.« Er schien nicht erstaunt zu sein. »Sieht man mir das gleich an?«, hakte ich nach und lehnte mich ein Stück vor, da der Bass mittlerweile so laut in meinen Ohren vibrierte, dass das Zuhören immer schwieriger wurde. Erwartungsvoll hob ich die Brauen. Ich war ebenso interessiert an seiner Antwort und wollte wissen, wie er mich einschätzte. Ob ich nach London passte oder mein Gefühl mich trog und man mir von der Nasenspitze ablesen konnte, dass die Stadt nur meine neue Wahlheimat und ich kein Stammgast dieser Bar – oder nannte man das einen Club? – war.

»Mich kennen einige Leute hier. Folgen Sie mir, wenn Sie meine Antwort hören wollen«, murmelte er und war schon in der Menge verschwunden.

Mich kennen einige Leute hier. Hatte er so schnell erkannt, dass ich nicht dazugehörte? Zumindest wollte er nicht mit mir gesehen werden. Erneut stieg dieses dumpfe Gefühl von Enttäuschung in mir auf, doch dann erkannte ich seine Silhouette auf der Tanzfläche. Mitten in der Menschenmenge drehte er den Kopf in meine Richtung. Unsere Blicke trafen sich und ganz sachte, fast so sachte, dass ich dachte, ich bildete es mir ein, hob er seine Hand und streckte sie nach mir aus. In diesem Moment war klar, dass ich ihm folgen würde – egal, wie verdammt eingebildet er klang. Denn ich wollte wissen, wer er war und warum sein Tag beschissen gewesen war. Vielleicht fühlte ich mich ja dann wenigstens ein bisschen besser und ertrank nicht in meinem Selbstmitleid.

Ich schnappte mir meine Tasche und ließ mich von ihm zu einer kleinen Nische führen, in der sich eine gemütlich aussehende Sitzgruppe abseits der Tanzfläche befand, zu der anscheinend nicht jeder Zutritt hatte.

»Warum der Abgang?«, fragte ich ihn, während ich den samtbezogenen Sessel auf seine Bequemlichkeit testete.

Er nahm ebenfalls auf einer der Sitzgelegenheiten Platz, lehnte sich langsam zurück und strich sich durch die Haare, antwortete aber nicht auf meine Frage. Das hielt mich nicht davon ab, weitere zu stellen.

»Ah, verstehe. Ist das also Ihre Masche? Verwickeln Sie Frauen öfter an der Bar in ein Gespräch, nur um sie dann hierher zu führen?«

Er lachte laut auf. »Nein«, entgegnete er und öffnete mit einer geschickten Handbewegung sein Sakko. Reine Schurwolle, vermutlich Super 150, das erkannte ich sofort.

»Eigentlich ist das so gar nicht meine Masche.« Seine Augen blitzten auf, als er mich für ein paar Sekunden eingehend betrachtete.

»Hm?«, fragte ich geistesabwesend, da mich sein Blick ganz für sich einnahm.

»Ich mache so was nie.« Und verdammt, er klang ziemlich ehrlich.

Ein Kellner trat in unsere Sitznische und versorgte uns mit neuen Getränken, mit denen wir bereitwillig anstießen. Mein unbekannter Begleiter hatte Wein bestellt, ich blieb bei meiner anfänglichen Getränkewahl.

»Auf diesen beschissenen Tag.« Er stieß sein Glas ein wenig fester gegen meines, als es nötig gewesen wäre, und ein winziger Schluck Weißwein schwappte auf mein Handgelenk und sickerte in meine cremefarbene Seidenbluse. Reflexartig griff er nach meiner Hand und zog sie näher zu sich heran, um den Schaden genauer betrachten zu können.

»Macht doch nichts! Halb so wild«, versicherte ich ihm schnell. Himmel, für diese Bluse habe ich ewig gespart, dachte ich für mich, sagte aber nichts mehr, weil ich ihm meine Hand nur ungern entziehen wollte. Sein bestimmter und dennoch sanfter Griff fühlte sich auf magische Weise angenehm an.

»So eine hübsche Bluse. Tut mir ehrlich leid.« Er klang konzentriert, während er den wolkenförmigen Fleck auf meinem Ärmel betrachtete.

»Jetzt schulden Sie mir aber mehr als einen Drink«, rutschte es mir heraus und ich hoffte inständig, er verstand meinen Humor.

»Wenn ich Ihnen Drinks im Wert dieser Saint Laurent ausgebe, wird das ziemlich eklig enden, schätze ich. Ich werde sie Ihnen einfach ersetzen«, erklärte er gedankenverloren, während er immer noch die befleckte Manschette betrachtete. Den flirtenden Unterton meiner Antwort hatte er entweder nicht wahrgenommen oder ihn gekonnt ignoriert. Meinem angetrunkenen Ich gefiel das gar nicht.

»Gucken Sie sich den Fleck wirklich so lange an oder wollen Sie eigentlich nur meine Hand halten?«, fragte ich ihn mit gespielter Empörung, was ihn erneut zum Lächeln brachte. Hör nicht auf, bitte, hör nicht auf.

Zu meinem Leidwesen schien er meinen Wunsch jedoch nicht erfüllen zu wollen, denn nun ließ er mich doch los und fokussierte stattdessen das Kristallglas in meiner Hand.

»Was trinken Sie da eigentlich? Wasser kann das ja wohl kaum sein.«

Kopfschüttelnd reichte ich ihm mein Glas und stellte verwundert fest, dass er bereitwillig einen großen Schluck nahm und das Gesicht verzog.

»Sie haben meine Frage nicht beantwortet.«

»Ich habe so einige Ihrer Fragen nicht beantwortet«, korrigierte er mich und grinste, während ich das Gespräch der letzten Viertelstunde innerlich rekapitulierte. Bevor ich jedoch reagieren konnte, kam er mir zuvor. »Erstens: Man merkt Ihnen nicht an, dass Sie nicht aus der Gegend sind. Ich habe Sie eben nur noch nie hier gesehen. Und damit sind wir bei Antwort Nummer zwei: Den Abgang, wie Sie es nennen, habe ich benötigt, weil ich die Leute in dieser Bar schon den ganzen Tag auf der Arbeit ertragen muss und keine Lust habe, jetzt noch gestört zu werden.« Er blickte auf die dunkle Tanzfläche, auf der sich die Gäste zu den Klängen der Musik bewegten. Meine letzte Frage blieb unbeantwortet.

»Warum gehen Sie dann in eine Bar?«, hakte ich verwirrt nach.

Langsam wandte er sich mir wieder zu und gab mir meinen Drink zurück. »Weil es ein verdammt schlechter Tag war und ich nicht die Nerven hatte, nach Hause zu fahren. Warum gehen Sie in eine Bar?«

»Um mich zu betrinken, schätze ich«, gestand ich ihm und kaute auf meiner Unterlippe herum.

»Dann begleiche ich meine Schuld vielleicht doch mit ein paar Drinks«, schlug er entschieden vor.

***

Zwei Stunden später war mir immer noch nicht klar, wie sein Name lautete oder warum sein Tag eigentlich so schlecht gelaufen war. Inzwischen hatte ich den Überblick darüber verloren, wie viele Gläser wir gemeinsam geleert hatten, aber ich fühlte mich zum ersten Mal seit Ewigkeiten wirklich gelöst, so, als würde der Druck der letzten Monate nun endlich von mir abfallen. Und ihm schien es ähnlich zu gehen, denn von der Kälte in seinen Augen war beinahe nichts mehr zu erkennen. Ironischerweise musste ich für dieses Gefühl wohl erst das Vorstellungsgespräch zu dem Job vergeigen, bei dem ich mir eigentlich so sicher gewesen war. Kein Wunder, dass es von nun an wohl bergab ging und ich Stunden später mit einem Wildfremden Drinks leerte, als ginge es um meine Zukunft. Aber war es nicht genau das, was ich während meiner Studienzeit versäumt hatte? Waren all die abgesagten Studentenpartys und die ausgeschlagenen Dates nicht das gewesen, wovon mein damaliger Mentor Mr Harris gesprochen hatte? Ich hatte mich nämlich lieber zum Schreiben eingeschlossen und meine verkaterten Freundinnen belächelt, wenn sie mal wieder nur die Hälfte der Vorlesungen mitbekamen.

»Wie heißen Sie?«, fragte mich mein Gegenüber und die Gedanken an die Zeit vor Enttäuschung Nummer eins verschwanden aus meinem Bewusstsein.

Mittlerweile saßen wir nebeneinander, da die Musik zu laut geworden war, um sich vernünftig zu unterhalten. Außerdem genoss ich seine Nähe und ich hatte das Gefühl, ihm ging es genauso, auch wenn er keine Anstalten machte, die letzten Zentimeter zwischen uns zu überbrücken. Seine Absichten waren mir völlig schleierhaft.

»Megan«, antwortete ich schlicht und rückte ein kleines Stück näher.

Der Unbekannte sah mir tief in die Augen und ich rechnete schon fast damit, dass er die Mauer zwischen uns nun doch endlich einreißen würde.

»Lass uns tanzen, Megan.«

»Ich dachte, du wolltest dich nicht unter die Leute mischen.« Aus dem Sie war ein Du geworden und trotzdem wurde ich das Gefühl nicht los, dass er weiterhin versuchte einen Teil seiner Mauer aufrechtzuerhalten.

»Ich glaube, ich habe meine Meinung geändert.«

Na, bitte schön, dachte ich und erhob mich von der samtigen Couch, auf die wir gewandert waren. Erst im Stehen bemerkte ich, wie viel ich bereits getrunken hatte, doch bevor ich meinen Pegel vertuschen konnte, spürte ich schon seinen amüsierten Blick auf mir. Er war um einiges größer als ich und so musste ich den Kopf in den Nacken legen, um ihm in die eisblauen Augen zu schauen, die von dunklen, langen Wimpern umrahmt waren. Auch er hatte einige Drinks intus, aber sein wacher Ausdruck verriet mir, dass er immer noch Herr seiner Sinne war und sich vermutlich weitaus besser im Griff hatte als ich.

»Die Getränkewahl lag bei dir! Mich trifft keine Schuld«, erklärte er und erneut erschien dieses leichte Grinsen, bevor er mir seine Hand in den Rücken legte und mich auf diese Weise zum ersten Mal berührte, seitdem er meine Hand genommen hatte, um den Fleck auf meinem Ärmel zu betrachten.

»Wie hast du gleich erkannt, was das für eine Bluse ist?«, fragte ich und bemühte mich, die Kontrolle über meinen Körper zurückzugewinnen.

»Das ist eine Fähigkeit, die ich nach dem heutigen Tag lieber aus meinem Repertoire streichen würde«, raunte er ausweichend und kam meinem Gesicht dabei gefährlich nah. Im nächsten Moment zog er mich aus unserer Nische heraus und führte mich durch die Bar. Mittlerweile wirkten die Leute auf der Tanzfläche ebenso gelöst, wie ich mich fühlte. Niemand schenkte uns Beachtung, alle waren entweder mit sich selbst oder mit ihrem Gegenüber beschäftigt und in einigen Ecken ging es weitaus heißer her, als ich es von den wenigen Studentenpartys kannte, die ich auf das Betteln meiner Freunde hin dann doch besucht hatte.

Mir fiel auf, dass mein Unbekannter mir immer noch nicht seinen Namen verraten hatte, vergaß das jedoch schnell wieder, als mir die angenehme Wärme seiner Hand erneut bewusst wurde. Unwillkürlich umfasste ich seine Handfläche ein wenig fester, als er mich nun eine schmale Treppe hinabführte, auf eine Ebene, auf der es zwar nicht weniger vor Menschen wimmelte, aber dafür dunkler und damit anonymer war als im oberen Bereich der Bar. Unser Weg endete an einer Steinwand aus weißen Ziegelsteinen. Die Intimität, die durch die Dunkelheit entstand, gab mir den letzten Schubs, den ich gebraucht hatte. Ich war mutig und hatte es verdammt noch mal verdient, dass dieser schreckliche Tag eine gute Wendung nahm und so legte ich meine freie Hand an seine schlanke Hüfte. Dieser Mann sah in Anbetracht meines Ich-habe-den-Job-nicht-bekommen-Looks viel zu gut für mich aus. Aber egal. Egal. Ich würde das hier nicht infrage stellen, denn eines war kristallklar: Dieser Mann zog mich an und ich wollte herausfinden, wer er war. Seine Reaktion auf meine Berührung fiel jedoch nicht gerade berauschend aus. Er versteifte sich und starrte über meine Schulter in die Ferne.

»Was wird das?«, fragte er in einer undefinierbaren Tonlage. Fast klang es so, als müsste er sich zusammenreißen, mich nicht von sich zu stoßen. Dann jedoch richtete er seinen Blick wieder auf mich und in seinen Augen glaubte ich dieselbe Hitze zu erkennen, die auch durch meinen Körper fegte, wie ein Sturm, der ganze Häuser mit sich riss.

»Du wolltest doch tanzen«, murmelte ich und schaute auf den Boden, unschlüssig, was ich als Nächstes tun sollte.

»Stimmt, Megan.« Sanft legte er eine Hand unter mein Kinn, um meinen Kopf wieder anzuheben.

Das ist es, dachte ich. Mein immer noch betrunkenes Ich brauchte nicht mehr, um ihm weiterhin näher zu kommen. Ganz langsam näherte ich mich seinem Gesicht, während sein eindringlicher Blick mich zu durchbohren schien. An dem Flackern in seinen Augen konnte ich erkennen, dass er bereits voraussah, was ich tun würde. Er fror erneut ein und rührte sich nicht vom Fleck. Zögerlich hielt ich inne.

»Tut mir leid, ich dachte …«, setzte ich an.

»Ich wollte schon immer mal in diesen Fotoautomaten«, teilte er mir plötzlich und voller Ernsthaftigkeit mit.

Blinzelnd versuchte ich meine Verwirrung in den Griff zu kriegen, doch er kam mir zuvor und löste sich bereits von mir, um sich in Bewegung zu setzen. Schnell folgte ich ihm und kurz darauf erreichten wir eine Ecke des Gewölbes, die bislang hinter der Treppe verborgen geblieben und von der Menschenmenge verdeckt worden war.

Und tatsächlich, dort stand der Fotoautomat, von dem Mr Unbekannt gesprochen und der dieses Knistern zwischen uns unterbrochen hatte. Jetzt hielt sich mein Begleiter mit etwas Abstand hinter mir – von weiteren Berührungen keine Spur. Das, was mir jedoch den Atem stocken ließ, waren weder er noch der Fotoautomat. Sowohl die Decke als auch die Wände um die kleine Kabine herum waren über und über mit Fotostreifen beklebt. Unzählige strahlende Gesichter blickten mir entgegen. Freundesgruppen, sich küssende Pärchen genauso wie einzelne Partygänger waren auf den Hunderten, wenn nicht sogar Tausenden kleinen Schwarz-Weiß-Fotos abgebildet. Die riesige Collage wurde von einem pink leuchtenden Neon-Schriftzug gesäumt: London City Nights.

Ich legte den Kopf in den Nacken und ignorierte für einen Moment, dass ich von mehreren Seiten angerempelt wurde. Dann trat mein Begleiter an meine Seite und wir schlüpften in den Fotoautomaten. Das Zuziehen des Samtvorhangs wirkte wie ein Kippschalter bei ihm, denn er entspannte sich sichtlich. Lässig warf er ein paar Münzen ein. Ich legte den Kopf schief und sah ihn forschend an.

»Komm schon, das wird lustig!« Er forderte mich auf, näher zu treten und in die Kameralinse zu schauen.

Ich schob meine Zurückhaltung beiseite, dann drückte ich ihn auf den kleinen Drehhocker, der inmitten der Kabine stand, bevor ich mich auf seinen Schoß fallen ließ, was ihm ein überraschtes »Oh« entlockte. Der erste Blitz erhellte den kleinen Raum, doch wir hatten keine Augen für die Kamera, die uns gerade von der Seite ablichtete. Meine Hände fuhren durch seine weichen Haare.

»Was wird das, Megan?«, hauchte er und ich bekam eine Gänsehaut, als seine Finger sich einen Weg unter meine Bluse bahnten und über meine Wirbelsäule strichen.

»Ja, was wird das, Mr Ich-verrate-meinen-Namen-nicht?«

Ein Lächeln huschte über seine Lippen. Er legte seine zweite Hand in meinen Nacken und endlich, endlich war er drauf und dran, mich zu küssen.

Es blitzte. Bild Nummer zwei wurde geschossen.

»Adrian«, kam es von ihm und das war der Moment, in dem er die letzten Zentimeter zwischen uns überbrückte.

Der dritte Blitz erhellte unsere Gesichter, doch nichts schien mehr eine Rolle zu spielen, als er nun auch hungrig durch meine Haare wühlte und mich mit leicht geöffneten Lippen küsste.

Mein Körper erzitterte auf seinem Schoß und er hielt mich so fest, dass ich den Fotoautomaten am liebsten nie wieder verlassen hätte. Sanft zeichnete seine Zunge meine Unterlippe nach und ein leises Stöhnen entfuhr mir, als er mich enger an sich drückte. Er schmeckte nach Weißwein und Abenteuer und ich diesem Moment wusste ich, dass ich, so verrückt diese Situation auch war, mich noch nie so frei gefühlt hatte. Als der vierte und letzte Blitz unseren Kuss beendete, war ich mir vollkommen sicher: Das hier war der Grund, aus dem ich nach London gekommen war. Dieses Mal würde ich mich selbst nicht enttäuschen.

Kapitel 2

Megan

Edward Dillens beinahe faltenfreies Gesicht starrte mich im fahlen Licht der Tube an und bescherte mir kurz eine Gänsehaut. Als Familienoberhaupt, Geschäftsführer und bekanntester Londoner Modeunternehmer war er wohl einer dieser Menschen, die die Mundwinkel nicht mal heben mussten, weil die Augen für sich sprachen. Und seine graublauen Augen erzählten eine Geschichte von Macht und Tradition.

Schnell stopfte ich das Hochglanzmagazin mit seinem Gesicht auf dem Cover zurück in meine Handtasche und holte stattdessen Kopfhörer hervor. Während meiner Vorbereitung auf das Bewerbungsgespräch hatte ich unzählige dieser Magazine verschlungen. Edward Dillens Name las sich nicht nur im Businessteil gut, sondern erschien auch da, wo der fiese Gossip stand.

Mit einem flauen Gefühl im Magen stöpselte ich das Kopfhörerkabel ein und rief erneut die Mailboxnachricht auf, die der einzige Grund war, weshalb ich trotz der langen Nacht um halb neun meine Wohnung verlassen hatte und zur Tube-Station gehastet war.

»Hallo, Miss White. Carter von The Dillens hier. Entschuldigen Sie bitte die Umstände, unter denen unser Gespräch heute enden musste. In Absprache mit der Geschäftsführung kann ich Ihnen mitteilen, dass Sie den Job haben, herzlichen Glückwunsch. Bitte finden Sie sich morgen um neun Uhr in der Eingangshalle ein. Miss Williams aus der Personalabteilung wird Sie dort in Empfang nehmen.«

Noch immer konnte ich nicht fassen, was Mr Carter da sagte. Vielleicht hatte ich mir den unangenehmen Teil meines Vorstellungsgesprächs bloß eingebildet. Oder mein Unterbewusstsein hatte die Situation im Nachhinein künstlich dramatisiert. Aber war das nicht eigentlich scheißegal? Ich hatte den Job. Ab heute würde ich Edward Dillens Assistentin sein und die neue Position in meiner Vita war so glanzvoll und anerkannt, dass sie alles Enttäuschende auslöschen würde.

Dankbar über etwas frische Luft verließ ich die Tube an der Liverpool Street. Die rasante Fahrweise der Londoner U-Bahn schlug mir an diesem Morgen ganz besonders auf den Magen. Adrian und ich hatten uns erst gegen fünf Uhr morgens verabschiedet – kein Abschiedskuss, keine ausgetauschten Nummern. Ich kannte ja nicht mal seinen Nachnamen. Das Einzige, was mich wortwörtlich Schwarz auf Weiß an unser Aufeinandertreffen erinnerte, war der Fotostreifen mit den vier Bildern, die zeigten, wie wir uns erst langsam näherkamen und dann in einen leidenschaftlichen Kuss versanken. Den ersten Ausdruck hatten wir an die Wand des Gewölbes geheftet, den zweiten hatte ich in meiner Tasche verschwinden lassen.

Ich erreichte das Bürogebäude von The Dillens pünktlich um kurz vor neun. Bevor ich eintrat, zupfte ich ein letztes Mal meinen Blazer zurecht und strich die weit geschnittene Anzughose glatt. Jetzt musste ich nur noch dieses verdammt dümmliche Grinsen von den Lippen bekommen, das verriet, dass ich zu meiner Überraschung haarscharf an Enttäuschung Nummer zwei vorbeigeschlittert war.

Ich straffte die Schultern und betrat die beeindruckende Eingangshalle, in die Mr Carter mich bestellt hatte. Der anthrazitfarbene gegossene Boden in Kombination mit den Wänden in Naturtönen und den Akzenten in Schwarz und Gold hätte hier und jetzt vom Fotografen eines Interiormagazins abgelichtet werden können. Zwei Aufzüge befanden sich auf der anderen Seite der weitläufigen Halle, durch die Mitarbeitende im Sekundentakt strömten. Ich war zwar schon gestern im Gebäude des Headquarters gewesen, doch es war noch mal ein ganz anderes Gefühl, dieses Gebäude mit dem Wissen zu betreten, dass ich wirklich bei The Dillens arbeiten würde. Stolz mischte sich unter die Aufregung, die mich durchströmte, seit ich letzte Nacht zum ersten Mal meine Mailbox abgehört hatte.

»Sie müssen Miss White sein!«

Ich drehte mich in Richtung der weiblichen Stimme und entdeckte eine zierliche junge Frau mit dunklem Teint, einnehmendem Lächeln und tiefbraunen Augen, die auf mich zukam. Ihr Haar umspielte ihre Schultern in ordentlichen Wellen und ich hatte keine Ahnung, wie sie es schaffte, den cremefarbenen Hosenanzug so makellos aussehen zu lassen.

Sie überraschte mich mit einem äußerst festen Händedruck und dem Duft eines pudrig süßen Parfüms, als sie sich bei mir als Brenna Williams vorstellte. Schnell bot sie mir das Du an und führte mich durch das Foyer. Gemeinsam blickten wir auf eine riesige gläserne Galerie, zu der eine schwarze Wendeltreppe hinaufführte. In goldenen Lettern schwebte der Unternehmensname darüber. Ich fragte mich, wie es wohl sein musste, seinen eigenen Nachnamen dort oben zu lesen, und musste mich zwingen, Brenna aufmerksam zuzuhören, als sie von der Geschichte des Unternehmens sprach. Die letzte Nacht hatte eben doch so einige Spuren hinterlassen, aber ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen.

»… gegründet von Charles Dillen. Er hat die Unternehmensführung früh an seinen Sohn Edward abgeben müssen, dessen Assistentin du nun eigentlich werden solltest«, erklärte Brenna und in ihrem Tonfall erkannte ich den gleichen Stolz, den ich verspürte. Aber da war noch etwas. Die zierliche Frau runzelte leicht die Stirn. »Du hast es nicht mitbekommen, oder?«, fragte sie und sah mich leicht unsicher und entschuldigend zugleich an.

Mein Gesichtsausdruck musste für sich sprechen, denn sie bat mich zu einer eleganten Sitzgruppe in einer Ecke des Foyers und griff nach einem der Tablets, die dort auslagen.

»Ich musste heute Morgen selbst erst mal umdenken. Eigentlich war alles etwas anders geplant«, murmelte Brenna und kurzzeitig entglitt ihr das freundliche Lächeln, bevor sie sich wieder fing. »Ich bin selbst sehr überrascht, aber wir haben heute Morgen erfahren, dass Mr Dillen sich aus der Geschäftsführung zurückziehen wird.« Ihr Blick raste hin und her und fixierte einen Punkt irgendwo in der Ferne – man merkte ihr an, wie sehr auch sie die Neuigkeiten beschäftigten.

»Und wessen Assistentin werde ich dann?«, fragte ich mit angehaltenem Atem und sah mich schon in Mr Carters Büro. Oder auf der Straße.

Brenna hielt mir das Tablet wortlos unter die Nase und ich überflog die Unternehmensnews mit einem einzigen hastigen Blick.

»Sein Sohn übernimmt ab heute?« Ich schnappte nach Luft, während Hoffnung in mir aufkeimte – auch wenn ich meine Enttäuschung darüber, dass ich nicht für Edward Dillen himself arbeiten würde, kaum verbergen konnte.

Brenna nickte und lächelte nun wieder. »Keine Sorge. Er ist genial. Wirklich! Ehrlich gesagt glaube ich, dass du mit ihm sogar ein deutlich besseres Los gezogen hast.«

Ich lächelte zurück und Erleichterung überkam mich. Keine weitere Niederlage. Bitte nicht noch einmal.

»Das alles kam ziemlich plötzlich und jeder ist geschockt. Aber spätestens heute Abend knallen hier wahrscheinlich die Korken.« Sie senkte die Stimme. »Der Wechsel wird mal so richtig frischen Wind ins Unternehmen bringen. Dillen Junior kommt aus dem Marketing, er kennt die Agentur in- und auswendig. Ich kann das natürlich nicht öffentlich sagen, doch ich denke, wir haben genau das gebraucht.«

Ihre Zuversicht übertrug sich auf mich und spätestens als sie mir verschwörerisch zuzwinkerte, entspannte sich meine Haltung.

»Dann bringe ich dich wohl mal zu deinem neuen Arbeitsplatz.« Sie grinste. Gemeinsam erhoben wir uns und ich folgte ihr zu den Aufzügen. »Das Geschäftsführerbüro liegt auf der achten Etage, die Kantine findest du auf der ersten.«

Unser Gespräch wurde unterbrochen, als die Aufzugtür aufrollte und Mr Carter uns entgegenstürzte.

»Miss White.« Er drückte mir die Hand kurz und unpersönlich und nickte mir mit eindringlichem Blick zu. »Herzlich willkommen bei The Dillens. Kommen Sie doch nach dem Lunch in mein Büro und wir unterhalten uns über Ihren ersten Tag«, schlug er vor und hastete bereits davon, bevor ich antworten konnte.

»Den musst du aber beeindruckt haben«, sagte Brenna verblüfft, während wir die nun leere Aufzugkabine betraten.

Oder verwirrt, fügte ich gedanklich hinzu und dachte daran, wie Mr Carter gestern aus der Fassung geraten und dann unser Gespräch für beendet erklärt hatte. Von der seltsamen Situation mit dem Personalchef berichtete ich jedoch lieber nichts.

Schließlich erreichten wir die achte Etage und Brenna führte mich durch endlos lange Flure in ein kleines Vorzimmer.

»Und hier haben wir deinen neuen Arbeitsplatz«, erklärte sie und deutete auf den weißen Schreibtisch und den mit Glattleder bezogenem Drehstuhl dahinter. Eine dunkle und undurchlässige Glaswand trennte mich vom Gang und eine Tür gab es nicht – außer der zum Geschäftsführerbüro.

Nach einem leisen Klopfen traten wir ein. Mein neuer Chef stand telefonierend mit dem Rücken zu uns und blickte durch eine große getönte Fensterfront. Von hier aus erkannte man deutlich, dass wir uns in einer der obersten Etagen des riesigen Gebäudes befanden und ja – die Höhe und dieser phänomenale Ausblick verströmten eine Art Macht, die sich auf den hochgewachsenen Mann zu übertragen schien.

Aufmerksam sah ich mich um. Der Rest des Raums war in den gleichen Beige- und Schwarztönen wie die moderne Eingangshalle gestaltet und wartete mit einem extrem großen, edel aussehenden Schreibtisch aus dunklem Holz auf, der eher praktisch als persönlich eingerichtet war. Edward Dillen musste entweder nichts von persönlichen Accessoires halten oder aber er hatte seinen Schreibtisch geräumt, nachdem er ihn an seinen Sohn übergeben hatte.

Ich kniff die Augen zusammen, denn genau in diesem Moment wurde die Wolkendecke von ein paar Sonnenstrahlen durchbrochen, die dem braunen Haar des frischgebackenen Firmenchefs einen goldigen Glanz verliehen. Sein marineblauer Anzug ergab einen hübschen Kontrast zu dem schneeweißen Hemdkragen, der darunter hervorblitzte. Es gab keinen Zweifel, dass er verdammt jung sein musste.

Brenna nickte mir nun von der Seite zu. »Wir sehen uns beim Lunch. Er wird sicher gleich aufhören zu telefonieren, dann kannst du dich vorstellen«, flüsterte sie grinsend, während sie Anstalten machte, das Büro zu verlassen.

Mein Blick huschte zu Mr Dillen und wieder zurück zu Brenna. Sie presste die Lippen aufeinander und hob vielsagend die akkurat gezupften Augenbrauen. »Ach ja. Fast vergessen«, sagte sie leise und formte drei lautlose Worte mit den Lippen: »Er ist heiß.« Dann war sie verschwunden.

Unsicher wandte ich mich wieder meinem neuen Chef zu, über den ich so gut wie gar nichts wusste. Ich hatte zwar letzte Woche Unmengen an Artikeln über Edward Dillen gewälzt, Informationen über seinen Sohn musste ich dabei aber überlesen haben. Wahrscheinlich war ich einfach zu fixiert auf seinen Vater gewesen.

Vorsichtig lehnte ich mich an den schwarzen Metallrahmen der milchig verglasten Bürotür, an der noch der Name seines Vaters klebte. Der Führungswechsel musste mehr als spontan stattgefunden haben. Nervös trat ich von einem Fuß auf den anderen und hoffte inständig, dass man mich nicht für völlig gestört hielt, allerdings wusste ich auch nicht, wie ich behutsam auf mich aufmerksam machen sollte, ohne zu stören.

»Sehen Sie, ich verstehe Ihre Bedenken. Allerdings müssen Sie von nun an eben mit mir vorliebnehmen …« Die Stimme meines neuen Chefs fuhr wie ein klarer Schnitt durch die sauber gefilterte Büroluft. Ein ganz feiner Schnitt, wie Papier ihn auf der Haut verursachte, aber ein schmerzhafter Schnitt, der einen fluchen ließ. Entsetzt zuckte ich zusammen. Oh, bitte nicht …

In diesem Moment wandte er sich von der Glasfront ab und blickte in mein Gesicht. Seine hellblauen Augen weiteten sich für den Bruchteil einer Sekunde, bevor er sich wieder seinem Gespräch widmete und anscheinend entschied, dass er sich um dieses Problem erst nach seinem Telefonat kümmern würde. Keine Ahnung, wie ich es schaffte, mich keinen Zentimeter zu bewegen, so weich, wie meine Knie wurden.

Nicht nur war mein neuer Chef kein grauhaariger, auf die sechzig zugehender Geschäftsmann. Nein, er war auch noch der Typ, mit dem ich letzte Nacht wild rumgemacht hatte. Innerlich verfluchte ich mich dafür, dass ich ihn nicht wenigstens einmal gegoogelt hatte. Und leider endete das Telefongespräch so abrupt, dass mir nicht mehr die Zeit blieb, einen Plan auszuhecken. Adrian Dillen. Der Typ, mit dem ich den wahrscheinlich verrücktesten Abend meines 23-jährigen Lebens verbracht hatte, war der Mann, für den ich von nun an arbeiten sollte. Der neue Geschäftsführer und seine Assistentin – wow, was für beschissener Start.

Sekundenlang starrte er mich an und ich starrte zurück. Langsam, wie in Zeitlupe, ließ er die Hand sinken, in der er sein Handy hielt. Ich wollte schlucken, doch mein Mund war staubtrocken.

»Megan, was zur Hölle machst du hier?«, entfuhr es ihm entgeistert und sein Blick huschte durch den offenen Türspalt hinter mir.

In mir brach Entrüstung aus. Allein der Gedanke, er könnte annehmen, dass ich hier privat auftauche, ließ mich innerlich erschaudern. Einfach, weil ich so etwas niemals tun würde. Es gelang mir, mich selbst zu zügeln. Er hatte offensichtlich keine Ahnung, warum ich in seinem Büro stand. Wie sollte er in dieser Situation auch eins und eins zusammenzählen? Es gelang mir ja selbst kaum und das, obwohl ich in dieser Angelegenheit gerade einen deutlichen Wissensvorsprung hatte.

»So was gibt es doch eigentlich nur im Film«, murmelte ich.

Verständnislos runzelte er die Stirn. Um ihn herum war wieder diese unnachgiebige Mauer, die von Sekunde zu Sekunde höher wurde.

»Beantworte meine Frage«, stieß er mit verkrampftem Kiefer hervor, milderte seinen Tonfall jedoch sofort, da er offenbar den Schreck über seine harten Worte in meinem Gesicht bemerkte.

Ja, das hier war vielleicht nicht gerade cool. Aber was konnte ich schon dafür? Erst jetzt fiel mir auf, dass das Handy in seiner Hand sowie das Telefon auf seinem Schreibtisch seit Beginn unserer knappen Unterhaltung pausenlos klingelten, während Adrian nicht einmal den Anschein erweckte, er würde sich zeitnah aufraffen können, die Anrufe entgegenzunehmen.

»Da sollte ich wohl besser rangehen«, erklärte ich resigniert und ging mit festen Schritten auf den leer gefegten Schreibtisch zu. Auch meine Mauer konnte ich blitzschnell wieder hochziehen – kein Problem.

»Herzlich willkommen bei The Dillens, Sie sprechen mit Megan White, guten Tag.«

Adrian starrte mich mit nun offenem Mund an, während ich dem ehrlicherweise leicht verärgerten Anrufer zuhörte, der sich bereits in Rage redete.

»Einen Moment, Mr Price. Mr Dillen wird Ihren Anruf sofort entgegennehmen. Bitte bleiben Sie in der Leitung, ich verbinde Sie.« Wortlos hielt ich Adrian den Hörer hin.

Nach kurzem Zögern kam er mit zwei schnellen Schritten Richtung Schreibtisch und übernahm das Gespräch mit einer professionellen Tonlage, die ihn kalt und geschäftsmäßig klingen ließ. Da die Telefonschnur nicht ewig lang war, beugte er sich halb über den Schreibtisch und mir blieben einige Momente, um ihn aus der Nähe zu betrachten. Lediglich die unverkennbar scharfen Gesichtszüge und der mir nun bekannte männliche Duft überzeugten mich davon, dass dies wirklich ein und derselbe Adrian war, der mich letzte Nacht in einen Fotoautomaten geschleppt und mir zwischen drängenden Küssen unter die Bluse gefasst hatte.

Leise seufzend blickte ich Richtung Tür und noch bevor Adrian sein Telefonat beendet hatte, erschien dort ein mir unbekannter Anzugträger und lächelte mich neugierig an. Er musste etwa in Adrians Alter sein und mir fiel sofort das dunkelblonde Haar auf, das im Licht der Sonnenstrahlen leicht rötlich schimmerte. An den Seiten war es kurz und vorne fielen ihm einige leicht lockige Strähnen in die Stirn, die er mit der Hand und einer ziemlich lässigen Kopfbewegung zur Seite strich. Dann betrat er das Büro mit einer Selbstverständlichkeit, als wäre er der Chef höchstpersönlich. Mit einem selbstsicheren Grinsen hielt er mir die Hand entgegen.

»Hi, wir kennen uns noch nicht. Wesley Clancy, Head of Marketing. Neuerdings«, erklärte er und sein Lächeln schien breiter und jungenhafter zu werden.

»Megan White. Ich bin die Assistentin von … Mr Dillen. Neuerdings.« Ich bedachte ihn mit einem zögerlichen Lächeln – zumindest bis ich bemerkte, dass Adrian inzwischen neben mich getreten war und mich entsetzt anstarrte.

»Dann wäre das jetzt auch geklärt«, murmelte er, was Mr Head of Marketing nicht mehr mitbekam, da er sich mit einem schallenden Lachen auf den ledernen Bürosessel hinter Adrians neuem Schreibtisch warf.

»Das wollte ich schon immer machen«, erklärte er geschäftsmäßig und zuckte mit den Schultern, als hätte er sich gerade nicht wie ein Fünfjähriger benommen. »Das Chef-Sein steht dir.« Er stand wieder auf, richtete seinen Anzug und binnen Sekunden war das Kind in ihm verschwunden.

»Reiß dich zusammen, Wes«, antwortete Adrian und verließ das Büro ohne weitere Anweisungen.

Wesley folgte ihm und warf mir einen entschuldigenden Blick zu. »Da hat wohl einer schlechte Laune. Kümmere dich am besten einfach um alle Anrufe und versuch dein Postfach einzurichten. Ich verspreche, ich tue mein Bestes, um ihm den Stimmungskiller auszutreiben.« Mit diesen Worten verschwand auch er, während ich wie angewurzelt stehen blieb, nicht fähig, einen klaren Gedanken zu fassen.

***

Den Rest des Vormittages verbrachte ich tatsächlich ausschließlich am Telefon. Nur zu gerne hätte ich Google geöffnet, um die Worte einzutippen, die mir seit heute Morgen wie Feuer unter den manikürten Nägeln brannten. Aber das Telefon stand nicht still und so beschäftigte ich mich bis zum Lunch mit etlichen Presseanfragen und weiteren verärgerten oder verwirrten Geschäftspartnern. Mit sensationslüsternen Journalisten wusste ich dank meines Studiums umzugehen, doch den Rest der Anrufer musste ich auf später vertrösten. Ich hatte schließlich keinen blassen Schimmer, was seit gestern bei The Dillens los war.

Zwischen den Telefonaten klickte ich mich durch mein noch nahezu leeres Postfach und entdeckte schnell, dass ich zwar keinen Zugriff auf Adrians schleierhafte Gedanken, jedoch auf seinen digitalen Kalender hatte. Er verriet mir, dass er gerade ein Meeting mit sämtlichen Head ofs der einzelnen Unternehmensbereiche abhielt. Kein Wunder, durch den spontanen Geschäftsführerwechsel mussten unzählige offene Fragen im Headquarter kursieren.

Der Termin war für den gesamten Tag angesetzt und sollte lediglich zur Mittagszeit von einer Lunchverabredung mit seiner Mutter unterbrochen werden. Aus diesem Grund machte ich mich überpünktlich auf den Weg in meine Mittagspause. Falls seine Mutter hier auftauchen sollte, war diese Art von Begegnung das Letzte, wofür ich heute gewappnet war.

Zu meiner Erleichterung fand ich die Kantine auf Anhieb und sobald ich den großen, lichtdurchfluteten Raum betreten hatte, winkte Brenna mich zu sich. Obwohl ich sie erst seit wenigen Stunden kannte, war ich unfassbar froh, sie nach diesem turbulenten Start zu sehen.

»Wo hast du denn unseren neuen Chef gelassen?«, scherzte sie, als wir uns in die Schlange der hungrigen Mitarbeitenden eireihten.

In dem lichtdurchfluteten Raum gab es eine langgezogene Salatbar und eine Theke mit ausgewählten warmen Gerichten. Mehrere riesige Kühlschränke mit Snacks und Getränken säumten die fensterlose Seite des Raumes und weiße, runde Tische boten Sitzgelegenheiten mit grandioser Aussicht auf die überfüllten Straßen unter uns.

»Gib zu, ich hatte recht, der Kerl ist einfach nur heiß. Wie soll man sich da auf seine Arbeit konzentrieren?«, murmelte Brenna beiläufig, während sie die Inhalte der Essenstheke beäugte.

»Kann schon sein, ja. Aber eigentlich habe ich ihn bisher kaum gesehen und zum Lunch ist er wohl mit Mrs Dillen verabredet.« Ich angelte mir eine Flasche Wasser aus einem der Kühlschränke und fragte mich, ob seine Mutter hier auch arbeitete, war mir jedoch eigentlich sicher, dass ich davon nichts gelesen hatte. Wobei ich denselben Fehler ja bereits bei Adrian gemacht hatte.

Brenna häufte einen Berg Pasta auf ihren Teller und verdrehte die Augen, bevor sie leise antwortete. »Ehrlich gesagt war mir diese Beziehung von Anfang an ein Rätsel. Er hätte einfach mich heiraten sollen. Dann hätte es bestimmt ein Happy End gegeben.« Sie lachte.

»Was meinst du damit?« Rhetorische Frage. Ich wusste es längst. Mrs Dillen war nicht seine Mutter. Wie hatte mir das nicht klar sein können? Augenblicklich verging mir der Appetit und während Brenna einen Tisch am Fenster ansteuerte, stiegen brandheiße Wellen in mir auf. Auch ein Schluck Wasser half nicht. Meine Kehle ließ sich nicht befeuchten, weil da dieses V-Wort drinsteckte, das ich auf Biegen und Brechen nicht schlucken konnte. Verheiratet. Was bedeuten würde, dass Adrian letzte Nacht seine Ehefrau betrogen hatte. Mit mir. Verdammte Scheiße.

Wie betäubt folgte ich Brenna und ließ mich auf einen der Stühle sinken. Sie schien mein Entsetzen bemerkt zu haben, missverstand es jedoch. »Ich meine, ich kenne sie nicht. Nicht wirklich. Ich will auch niemanden einfach so verurteilen. Mach dir dein eigenes Bild.« Sie tat es mit einem Schulterzucken ab und widmete sich ihrem Mittagessen. Bevor ich reagieren konnte, fügte sie mit vorgehaltener Hand hinzu: »Aber verstehen kann ich es natürlich schon.«

»Was verstehen? Dass er verheiratet ist?« Das Wort stolperte über meine Zunge. Es schmeckte fahl. Und falsch.

Brenna betrachtete mich für den Bruchteil einer Sekunde und lachte dann laut auf. »Dass die beiden sich getrennt haben. Laut deinem Lebenslauf bist du Journalistin, solltest du da nicht besser informiert sein?« Sie hielt mir ihr Handy vor die Nase. »Da, siehst du!«, erklärte sie triumphierend und drückte es mir in die Hand.

Der Bildschirm war über und über mit Fotos von Adrian übersäht. Fotos, die ihn mit einer Frau zeigten und die ich nicht bereit war anzuschauen. Das passierte also, wenn man Adrian Dillen googelte. Während ich durch die Fotos mit Headlines wie »Ehe-Aus bei Dillen-Sohn« oder »Zurück auf dem Markt: Trennungsgerüchte um Adrian Dillen« scrollte, tat ich mein Bestes, so zu tun, als wäre Edward Dillens Rücktritt mein einziges Problem.

Mit anhaltender Übelkeit und schwerem Herzen machte ich mich schließlich auf den Weg zu Mr Carters Büro. Meine Gedanken fuhren Karussell. Und jeder verdammte Schritt in Richtung seines Büros erinnerte mich an das gestrige Gespräch.

»Miss White! Wie nett, dass Sie die Zeit gefunden haben. Setzen Sie sich.« Die einladende Handbewegung passte so gar nicht zu dem aalglatten Personalchef. So freundlich er sich auch gab, er war kein Mensch, der nett aussah. Und nachdem er mich gestern praktisch rausgeworfen hatte, nur um mich danach mit offenen Armen zu empfangen, war ich ganz besonders auf der Hut. Ein kurzer Blick auf seine teuer wirkende Armbanduhr erinnerte mich daran, dass er als Personalchef doch eigentlich ebenfalls an Adrians Meeting teilnehmen musste. Die Mittagszeit war vorbei, er war hier. Dieses Gespräch musste also wichtig für ihn sein.

Im Plauderton befragte er mich zu meinem ersten Arbeitstag und verlor dabei keine Sekunde lang das starre und überfreundliche Lächeln.

»Um ehrlich zu sein, hat mich Ihr Anruf ziemlich überrascht«, erklärte ich irgendwann und beobachtete seine Reaktion ganz genau. Es gab keine. Er zuckte nicht mal mit der Wimper, sondern hörte mir bloß aufmerksam zu.

»Eigentlich hatte ich Sie nämlich so verstanden, dass ich für den Job nicht geeignet sei.« Ich machte eine weitere Pause. Immer noch keine Reaktion seinerseits, auch wenn er jetzt leicht die Brauen hob. »Genau genommen waren das sogar Ihre exakten Worte.« Bröckelte seine Maske da etwa? Vielleicht bildete ich es mir ein, doch ich hatte das Gefühl, dass er mich für naiver gehalten hatte.

»Ich dachte, ich hätte mich klar ausgedrückt, allerdings kann ich es gerne wiederholen. Es tut mir sehr leid, dass wir unser Gespräch gestern vorschnell beenden mussten, aber das tut nichts zur Sache, weil Sie uns einfach überzeugt haben, Miss White.« Aus seinem Mund klang es so, als hätte ich damit einen Millionen-Jackpot geknackt. Und er ließ sich verdammt noch mal nichts aus der Nase ziehen. Ich probierte mich an einer anderen Taktik.

»Warum haben Sie mich gestern nicht darauf hingewiesen, dass Edward Dillen das Unternehmen verlässt? Die ausgeschriebene Stelle galt schließlich seiner Person.«

Er zog leicht die Nase hoch und veränderte seine Sitzposition. Ich sah ihm an, dass er langsam die Geduld verlor.

»Mr Dillens Ausstieg aus der Geschäftsführung war keine Kurzschlussreaktion, sondern von langer Hand geplant. Haben Sie bitte Verständnis dafür, dass wir stets bemüht sind, den richtigen Zeitpunkt zu finden, solche Neuigkeiten zu kommunizieren. Dabei können wir es uns nicht erlauben, dass Informationen früher als gewollt durchsickern. Das wäre unseren Mitarbeitenden gegenüber nicht fair.« Nichts an ihm bewegte sich, außer sein Mund, der die Worte so trocken aussprach, als würde er sie zum hundertsten Mal von einem Teleprompter ablesen.

Trotzdem verließ ich sein Büro wenige Minuten später nicht erfolglos. Denn einer Tatsache war ich mir nun vollkommen sicher: Dieser Typ log ununterbrochen. Und auch wenn ihn nichts so schnell aus der Ruhe brachte, das unfreiwillige Telefonat gestern hatte es getan. Ich hatte etwas mit angehört, das nicht für meine Ohren bestimmt gewesen war. Und obwohl ich die kurzen Gesprächsfetzen längst vergessen hatte, musste Mr Carter dermaßen besorgt um mein Erinnerungsvermögen sein, dass er mich eingestellt hatte. Inhalt des Telefonats hin oder her: Ich würde meinen halben Kleiderschrank darauf verwetten, dass ich die Identität des Anrufers am anderen Ende mittlerweile kannte. Den Klang von Edward Dillens Stimme würde ich zumindest nicht so schnell vergessen.

Zurück an meinem Schreibtisch entnahm ich meinem Postfach, dass mittlerweile eine offizielle, aber dennoch nichtssagende Pressemitteilung veröffentlicht worden war, die dazu führte, dass die andauernden Anrufe etwas abnahmen. Missmutig scrollte ich durch Adrians Terminkalender. Anscheinend hatte jemand versäumt, meinen Zugriff zu beschränken, da ich nicht nur seine heutigen Termine, sondern genauso die der vergangenen Monate sehen konnte. Ich war allein, keine Geräusche auf dem Flur. Und dennoch fühlte sich das Herumschnüffeln verboten an.

Wesley Clancy war ein Name, der sich wie ein Muster durch Adrians Kalendereinträge zog. Head of Marketing. Neuerdings. Erst jetzt begriff ich, wie frisch auch sein Positionswechsel sein musste. Nachdem Adrian über Nacht zum Geschäftsführer aufgestiegen war, hatte Wesley Clancy seinen ehemaligen Posten übernommen.

Je mehr Kalenderwochen ich durchforstete, desto mehr erschlossen sich mir Adrians letzte Monate. Neben wöchentlichen Jour Fixes, monatlichen Reportingrunden und unzähligen Projektterminen, erregten besonders die regelmäßigen Lunchverabredungen mit seiner Frau meine Aufmerksamkeit. Seine Noch-Ehefrau? Waren die Trennungsgerüchte wirklich wahr? Wenn man Brenna glaubte, war Adrian offiziell Single. Doch die Medien waren sich da nicht so sicher. Vier Artikel später wusste ich, dass sie sich weiterhin bei Instagram folgten, Lorena Dillen mehrfach in der Nähe des Headquarters und beim Shopping-Trip in Mayfair mit Adrians Mutter gesichtet worden war.

Mit angehaltenem Atem klickte ich mich durch einige Fotos, die hinter Lorena Dillens Namen hinterlegt waren. Bilder von öffentlichen Veranstaltungen zeigten eine junge Frau mit honigblondem Haar, das ihr meist in sanften Locken über die Schultern fiel. Sie war nur ein winziges Stück kleiner als Adrian und wenn sie lächelte, dann strahlte sie. Sie war das geborene Model.

Durch maximales Zoomen versuchte ich einen Blick auf ihren Ringfinger zu erhaschen. Der vermutlich mit Diamanten besetzte Eternity-Ring war nicht zu übersehen. Hatte Adrian heute Morgen auch einen getragen?

Eindringlich betrachtete ich die wenigen Pressefotos, auf denen er an Lorenas Seite zu sehen war. Das leicht feixende Grinsen, das er mir gestern Abend ein paarmal geschenkt hatte, war hier nicht zu erkennen. Manchmal lächelte er höflich, doch meist blickte er kühl, fast grimmig in die Kameralinse. Dieser Adrian konnte unmöglich derselbe sein, der mich gestern geküsst hatte.

Plötzlich erstarrte ich – zum gefühlt hundertsten Mal an diesem Tag. Der zweite Fotostreifen.

Kapitel 3

Megan

Ich konnte von Glück sprechen, dass Brenna sich so bereitwillig auf meine Idee eingelassen hatte, meinen ersten Arbeitstag im Seven Sips ausklingen zu lassen – der Bar, in der ich gestern auf Adrian Dillen getroffen war und in deren Gewölbe nun ein Fotostreifen klebte, auf dem der frischgebackene und trotz vermeintlicher Trennung immer noch verheiratete Firmenchef mit seiner neuen Assistentin rummachte. Auf keinen Fall konnte dieses Foto auch nur eine Stunde länger offen zugänglich an dieser Wand kleben und zur Schau stellen, was gestern zwischen uns passiert war.

Da das Seven Sips bloß wenige hundert Meter vom Headquarter entfernt lag, waren wir nicht die Einzigen, die sich nach Feierabend auf den Weg in die Bar machten.

»Wir treffen uns dort ständig auf einen Afterwork Drink. Oder ein paar mehr«, bestätigte Brenna meine Vermutung mit einem Grinsen.

Leider führte das nur dazu, dass das ungute Gefühl in meiner Magengegend immer mehr Raum einnahm. Mein einziger Hoffnungsschimmer waren die ein paar mehr Drinks, dank derer sich hoffentlich niemand aus der Firma an meinen gestrigen Besuch der Bar erinnern konnte. Auch in Bezug auf Adrians Verhalten erschloss sich mir so einiges. Er hatte nicht mit mir gesehen werden wollen, weil es in diesem Laden vor Mitarbeitenden seiner Firma nur so wimmelte. Dass er dieses Risiko trotzdem billigend in Kauf genommen hatte, sprach wiederum eindeutig für die Trennungsgerüchte.

Als wir das Seven Sips betraten, schien es, als hätte sich innerhalb der letzten vierundzwanzig Stunden rein gar nichts verändert. Der Bass vibrierte ebenso dumpf in meinem Körper, die Leute schienen dieselben zu sein und auch den Kellner, der Adrian und mich fortlaufend mit neuen Drinks versorgt hatte, erkannte ich an einem der Tische. Der einzige Unterschied bestand darin, dass ich nun deutlich mehr zu verlieren hatte als gestern. Während ich mich in dem dunklen Raum umblickte und überlegte, wie ich das Foto schnell und unbemerkt entfernen konnte, verschwand Brenna Richtung Tresen und besorgte uns zwei Margaritas.

»Cheers. Auf deinen ersten Arbeitstag!«

Ich nippte bloß einmal an meinem Glas, schließlich musste ich einen kühlen Kopf bewahren, damit das hier klappte. Wenn Brenna oder sonst wer dieses Foto zu Gesicht bekam, würde ich The Dillens verlassen. Das stand für mich fest. Dass ich gestern noch nicht gewusst hatte, wer Adrian war, würde mir niemand abkaufen und ich wollte auf keinen Fall den Eindruck erwecken, dass ich den Job nur seinetwegen bekommen hatte. Auch, weil sein Beziehungsstatus alles andere als geklärt schien.