Luca - Judy Kleinbongardt - E-Book

Luca E-Book

Judy Kleinbongardt

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Beschreibung

Ist es möglich, einen Angsthund in ein normales Hundeleben zurückzuführen? Für Angsthunde ist der Sprung ins neue Leben nicht so leicht wie für andere Hunde aus dem Tierschutz, die sich schnell anpassen. Aber wenn man Glück hat, gelingt es, auch diese Hunde mit viel Liebe und Geduld zurück ins Leben zu führen. Dieses Buch ist kein Ratgeber zum Thema „Angsthund“, sondern schildert die Erfahrungen der Autorin mit ihrem Angsthund Luca, den „ganz normalen Alltag“ mit einem solchen Hund, auf was man sich einstellen sollte, die Erfolge, die Rückschläge, die Herausforderung. Was hat sich bewährt und was nicht? Welche Situationen haben Luca überfordert? Ist es gelungen, sie in ein Leben ohne Angst zu begleiten? Ein Jahr lang hat die Autorin ein Tagebuch geführt, in dem sie ihre eigenen Trainingsansätze sowie Lucas Entwicklung und Fortschritte festgehalten hat. Ihre Aufzeichnungen sind in dieses Buch integriert, zusammen mit vielen Fotos aus Lucas neuem Leben. Der Reinerlös vom Verkauf dieses Buches wird einem Tierschutzverein gespendet, der traumatisierte Hunde therapiert und auf die Vermittlung in ein neues Zuhause vorbereitet.

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Der Reinerlös vom Verkauf dieses Buches wird einem Tierschutzverein gespendet, der sich traumatisierter Hunde annimmt und sie auf die Vermittlung in ein neues Zuhause vorbereitet.

Danksagung

Ich danke Luca dafür, dass sie über ihren Angstschatten gesprungen ist und mir ihr Vertrauen geschenkt hat.

Ich bedanke mich bei meiner langjährigen Freundin Christa Seifert, die mein Manuskript Korrektur gelesen hat.

Inhaltsverzeichnis

Angsthund – na und?

Hundekenner?

Luca tritt in mein Leben

Wir lernen Luca kennen

Die Heimreise

Zuhause

Der erste Monat

Die erste Woche

Zwischenbilanz nach einer Woche

Die zweite Woche

Zwischenbilanz nach 2 Wochen

Die dritte Woche

Die vierte Woche

Die fünfte Woche

Zwischenbilanz nach einem Monat

Der zweite Monat

Zwischenbilanz nach 2 Monaten

Der dritte Monat

Zwischenbilanz nach 3 Monaten

Der vierte Monat

Der fünfte Monat

Urlaub in Winterswijk, März 2010

Der sechste Monat

Der siebente Monat

Der achte Monat

Der neunte Monat

Der zehnte Monat

Der elfte Monat

Der zwölfte Monat

Urlaub in Winterswijk, Oktober 2010

Wie ging es weiter?

Nach einem Jahr

Februar 2011

März 2011

Mai 2011

Juni 2011

Nach zwei Jahren

Dezember 2011

Mai 2012

Juli 2012

September 2012

Nach drei Jahren

März 2013

Juni 2013

September 2013

Nach vier Jahren

Januar 2014

April 2014

Mai 2014

August 2014

Nach fünf Jahren

Oktober 2014

November 2014

März 2015

April 2015

Mai 2015

August 2015

Nach sechs Jahren

Oktober 2015

November 2015

Dezember 2015

Februar 2016

April 2016

Die Autorin

Herdenschutzhunde

Andere Bücher von Judy Kleinbongardt

Angsthund – na und?

Nun, ganz so einfach ist es nicht. Viele Hunde aus dem (spanischen) Tierschutz reagieren zunächst einmal ängstlich auf unbekannte Dinge und Geräusche wie Staubsauger, Fernseher und Straßenlärm. Manche wagen sich anfangs nicht einmal ins Haus, weil sie noch nie in einem Haus gelebt haben. Die meisten von ihnen, auch Hunde mit schlechter Vergangenheit, passen sich jedoch erstaunlich schnell an ihr neues Leben an.

Aber einige Hunde schaffen den Sprung ins neue Leben nicht so leicht, weil sie in ihrer Vergangenheit ernsten Schaden genommen haben, nicht sozialisiert oder traumatisiert sind. Möglicherweise kommt charakterliche Veranlagung hinzu. Für diese Hunde stellt die ganze Welt eine einzige Bedrohung dar; sie fürchten sich vor allem und jedem. Und so ein Hund war Luca.

Aber wenn man Glück hat, gelingt es, auch diese Hunde mit viel Liebe und Geduld – wenn auch mit Einschränkungen – zurück ins Leben zu führen. Und dieses Glück hatte ich!

Oft weiß man nicht, was der Hund mitgemacht hat und wodurch seine Angst entstanden ist. Das war auch bei Luca der Fall. Aber obwohl dieses Wissen zum besseren Verständnis für bestimmte Verhaltensweisen führen kann, ist es nicht wirklich notwendig, die Vorgeschichte des Hundes zu kennen, um ihn ins Leben zurückzuführen.

Wenn man einen Angsthund adoptiert, sollte der Umgang mit ihm nicht von Mitleid geprägt sein. Auch ein Angsthund – gerade ein Angsthund – braucht deutliche Regeln und Grenzen, die ihm Sicherheit geben und die ihm helfen, seine Umgebung besser zu verstehen und sich in dieser für ihn so beängstigenden Welt zurechtzufinden.

Eines sollte man allerdings ganz gewiss nicht tun: die Angst des Hundes ignorieren, wie es früher von Hundetrainern empfohlen wurde. Vielmehr sollten wir ihm zeigen, dass wir an seiner Seite sind, ihn unterstützen und dass er sich auf uns verlassen kann... und ihm Zeit geben, Vertrauen zu uns aufzubauen!

Das vorliegende Buch ist kein Ratgeber zum Thema „Angsthund“. Ebenso wenig kann und soll es gute Sachbücher oder die Hilfe eines kompetenten Hundetrainers ersetzen.

Literatur zu diesem Thema finden Sie im Internet, zum Beispiel auf der Seite www.angsthund.de.

Ich will lediglich aufzeigen, wie ich mit Lucas Angst umgegangen bin und versucht habe, ihr diese zu nehmen. Dabei habe ich auch Fehler gemacht. Dieses Buch ist kein Leitfaden, wie man mit einem Angsthund umgehen sollte, zeigt aber mögliche Lösungen auf.

An dieser Stelle möchte ich auch auf die Websites von Mirjam Cordt hinweisen, auf denen Sie unter anderem Bücher über Tierschutzhunde und deren Integration finden: www.dog-inform.de und www.herdenschutzhund-kompetenzzentrum.de

Ich beschreibe keine Therapien, sondern die Erfahrungen, die ich im Zusammenleben mit meiner Angsthündin Luca gemacht habe und berichte von unserem ganz normalen Alltag: auf was man sich eventuell einstellen muss, die Erfolge, die Rückschläge. Was hat sich bewährt, um Luca aus ihrer Angst herauszuhelfen, und was nicht? Welche Situationen haben sie überfordert? Welche Situationen haben mich überfordert? Und wie sieht es jetzt, nach sechs Jahren, aus?

Ich möchte aufzeigen, wie sich der eigene Alltag und die bis dahin routinemäßigen Abläufe durch die Adoption eines Angsthundes verändern, aber auch, welche Bereicherung es für unser Leben sein kann, einen solchen Hund aufblühen zu sehen.

Viele Male am Tag erinnert ein Angsthund uns daran, dass unsere Routine eben nicht seine Routine ist, und stellt uns stets aufs Neue vor Herausforderungen, mit seinen Ängsten umzugehen, ihm zu helfen, sie zu verringern und ihn in ein so normal wie mögliches Hundeleben zu begleiten.

Auch müssen wir lernen zu akzeptieren, wo seine Grenzen liegen und was eben einfach „nicht geht“ und unser Leben und unseren Alltag darauf einstellen.

Neben dem Umgang mit Lucas Angst beschreibt dieses Buch auch ihre Integration in meine bereits bestehende Hundegruppe und die Probleme mit der Stubenreinheit, die ich lange Zeit nicht in den Griff bekam.

Im ersten Jahr unseres Zusammenlebens habe ich ein Tagebuch geführt, um Lucas Entwicklung und Fortschritte sowie meine eigenen Trainingsansätze besser beobachten und beurteilen zu können. Meine Aufzeichnungen habe ich in dieses Buch integriert.

Luca ist ein Mastin Español; aber die Rasse ist in diesem Fall eher zweitrangig; man kann gleiche oder ähnliche Erfahrungen auch mit Angsthunden anderer Rassen machen.

Natürlich spielen die Rasse eines Hundes und die damit verbundenen Erbanlagen in unserem Umgang mit ihm eine Rolle. In Lucas Fall war es die Wachsamkeit. Hat man zum Beispiel einen Jagdhund, stellen sich andere Anforderungen, und man muss neben der Angst auch dem Jagdtrieb Rechnung tragen.

Ich glaube aber, dass auch Menschen mit einem Angsthund einer anderen Rasse viele Situationen aus diesem Buch wiedererkennen werden.

Um Ihnen einen Eindruck von den Reaktionen zu vermitteln, die sich im Alltag ergeben können, wenn man mit einem ängstlichen Hund unterwegs ist, möchte ich mit einer kleinen Geschichte vom Oktober 2010 beginnen:

Hundekenner?

Die sicherste Art, im Hundekennerland die Spreu vom Weizen zu trennen, ist ein Spaziergang mit einem ängstlichen Hund. Es ist schon fast ein Jahr her, dass ich Luca, meine Mastin Español-Hündin, aufgenommen habe. Nicht sozialisiert, traumatisiert und mit Todesangst vor allem und jedem kam sie zu mir aus einer Pflegefamilie, davor aus einer spanischen Tötungsstation. Und davor? Das weiß nur sie…

Inzwischen hat sie ein gewisses Vertrauen zu mir aufgebaut, aber bei fremden Menschen schaltet sie immer noch sofort auf Alarmphase Rot: geduckte Haltung, Schwanz zwischen die Beine und Erstarren. Zum Glück zeigt sie keine Angstaggression, aber ihr Gefühl von Unbehagen und Verzweiflung ist dadurch nicht kleiner.

Es ist mir zur zweiten Natur geworden, Luca gegen (aufdringliche) Fremde abzuschirmen, indem ich mit ihr zusammen einen Schritt zur Seite gehe oder splitte, das heißt mich zwischen Luca und die vermeintliche Gefahr stelle. Wenn jemand sie streicheln will, sage ich: »Lieber nicht, sie ist extrem ängstlich!«.

Aber manchmal wird man trotz dieser Vorsichtsmaßnahmen mit einem hartnäckigen Vertreter der menschlichen Gattung konfrontiert, der meine Bitte ignoriert und mit einem beruhigend gemeinten »Vor mir brauchst du doch keine Angst zu haben, ich tu dir nichts!« geradewegs auf die panische Luca zuläuft und dabei auch noch seine Hand nach ihr ausstreckt. Und ich kann mein Häufchen Elend nur retten, indem ich mich resolut dazwischen stelle.

Auf viel Verständnis stößt diese Aktion meist nicht, und mit einem im Weggehen gemurmelten »… ich habe selbst einen Hund…« wird mir noch kurz mitgeteilt, dass ich es hier doch wirklich mit einem Hundekenner zu tun habe. Luca ist mir wichtiger als diese Personen, die ich doch nie wieder sehe, also sei’s drum.

Es gibt auch liebe Menschen, die Luca ein Leckerchen geben wollen. Wenn ich ihnen sage, dass sie nicht mal von mir, geschweige denn von einem Fremden etwas aus der Hand annimmt, versuchen sie es trotzdem; denn sie sind ja der Meinung, dass sie gut mit Hunden umgehen können.

Dann sind da noch die Leute, die es ganz genau wissen wollen. »Was würde sie denn machen, wenn ich sie streichle? Beißt sie dann?«. Wie gern ich diese Frage auch mit »Ja!« beantworten würde, erkläre ich doch wahrheitsgemäß, dass sie zwar nicht beißt, aber es furchtbar unangenehm findet, wenn Fremde sie streicheln. Das sollte Grund genug sein, es zu lassen. Leider hindert es manche Leute nicht daran, es trotzdem zu versuchen.

Nummer eins in der Hitparade der angeblichen Hundekenner ist ein Mann, dem ich ab und zu auf meinen Spaziergängen begegne. Er kennt Lucas Geschichte, ihr Verhalten und ihre Ängste. Trotzdem lässt er nichts unversucht, Kontakt mit Luca aufnehmen zu wollen.

Heute unternahm er wieder mal einen Versuch, lief gerade auf Luca zu und starrte sie dabei an. Offensichtlich in der Annahme, dass ich selbst keine Ahnung von Hunden habe, erklärte er mir sein Verhalten: »Wenn ich Ihre Hündin die ganze Zeit anstarre, müsste sie sich eigentlich wohl fühlen.«

»Wie bitte?? Fixieren ist für Hunde außerordentlich bedrohlich!«

»Oh ja?« war seine lakonische Reaktion. »Aber wenn man einem aggressiven Hund gegenübersteht, kann man ihn doch am besten anstarren!«.

Abgesehen von der Tatsache, dass es sich bei Luca nicht um einen aggressiven Hund handelt, war dieser Herr sichtlich in dem gefährlichen Rat »Stare him down« steckengeblieben, den man vor dreißig Jahren gab.

Ich hoffe, dass er seine „Kenntnisse“ nie bei einem aggressiven Hund in die Praxis umsetzt und wenn doch… dass er eine gute Krankenversicherung hat.

Luca tritt in mein Leben

Im Juli 2009 starb Flits, ein Schäferhundmischling, der dreizehn Jahre mein treuer Begleiter gewesen war. Meine Hundegruppe von Fünf war damit auf Vier reduziert und bestand noch aus Podenco Dunya, Greyhound Bonita, Malteser Daisy und der kleinen Mischlingshündin Lilly.

Zu dieser Zeit war es beinahe zwei Jahre her, dass mein letzter Herdenschutzhund gestorben war, und ich wollte gern wieder einen Hund dieser Rassengruppe aufnehmen. Weil ich nach Flits’ Tod nur noch Hündinnen hatte, am liebsten einen Rüden. Groß sollte er sein und lieber nicht mehr ganz so jung.

Schon bald sah ich Luca im Internet, eine Mastin Español-Hündin, die aus einer spanischen Tötungsstation stammte. Die Vorsitzenden eines deutschen Tierschutzvereins, die gleichzeitig als Pflegestelle fungieren und sich mit ängstlichen Hunden auskennen, hatten diese traumatisierte Hündin vor einem halben Jahr gerettet und nach Deutschland geholt, weil sie es einfach nicht übers Herz brachten, sie ihrem ungewissen Schicksal zu überlassen.

Etwas in Lucas Ausstrahlung sprach mich an. Aber sie war erst drei Jahre alt und sehr schön. Für so einen Hund stehen die Leute bestimmt Schlange, dachte ich mir. Ich möchte lieber einen Hund aufnehmen, der weniger Vermittlungschancen hat, und auch eben gerne einen älteren Rüden. Also suchte ich weiter.

In den darauf folgenden Wochen fand ich einige Mastin-Rüden, an denen ich ernsthaftes Interesse hatte. Einer davon war ein Notfall; der Hund war schon in den Niederlanden, musste aber akut bei der Pflegefamilie weg. Ich hatte bereits zugesagt, ihn aufzunehmen. Aber als ich einen Termin vereinbaren wollte, um ihn abzuholen, bat die Pflegefamilie um eine Woche Bedenkzeit, weil sie ihn vielleicht doch selbst behalten wollte.

Ich habe dann nichts mehr gehört, weder von dem Verein noch von der Pflegefamilie. Meine Mails blieben unbeantwortet. Durch Zufall hörte ich dann von anderer Seite, dass der Hund in der Tat in der Pflegefamilie blieb. Schön für ihn, aber so geht man nicht mit Interessenten um.

Ein anderer alter Rüde, der mich interessierte, sollte doch lieber als Einzelhund vermittelt werden. Ein Pyrenäenhund bellte auf der Pflegestelle ständig, das kann ich mir hier mitten in einer Wohnsiedlung nicht erlauben. Und so war immer irgendwas.

So kam es, dass ich doch wieder bei Luca „landete“, die mich all die Zeit nicht losgelassen hatte, und bat den Verein um nähere Informationen.

Luca kam gut mit anderen Hunden zurecht, Groß und Klein, Rüde und Hündin. Sie war stubenrein und ruhig im Haus. Auf den Spaziergängen konnte sie frei laufen und rannte gern und viel. Ihr einziges Problem war die Angst, dadurch war sie schwer zu vermitteln und wohnte nun schon ein halbes Jahr bei der Pflegefamilie.

Wir lernen Luca kennen

Zwei Wochen später, Ende Oktober 2009, fahre ich mit Tom, meinem Lebensgefährten, nach Süddeutschland, um Luca kennenzulernen. Wegen der langen Anreise haben wir vereinbart, dass wir sie, falls es zur Adoption kommen sollte, gleich würden mitnehmen können.

Luca ist im Garten, als wir mit unseren eigenen vier Hunden eintreten.

Mein erster Eindruck ist: klein (für einen Mastin), mager, sehr schön, liebe, sanftmütige Ausstrahlung und sehr ängstlich. Sie verkrümelt sich sofort in geduckter Haltung in eine Ecke, als sie uns sieht.

Ich gehe nicht auf sie zu und schaue sie auch nicht direkt an; aber sogar als ich mich einen Meter von ihr entfernt, mit dem Rücken zugewandt, hinsetze, zuckt sie noch zusammen.

In Lucas Beschreibung stand, dass sie ihre Angst bereits weitgehend überwunden und nur noch Angst vor lauten Geräuschen hat; aber auf mich macht sie einen extrem ängstlichen Eindruck.

Auf unsere Hunde reagiert sie entspannt. Wie positiv!

In der Pflegefamilie ist noch ein anderer Hund, der zur Vermittlung steht: Bambam, ein Doggen-Rüde, der uns fröhlich begrüßt und der mir spontan gefällt. Da fällt die Wahl schwer, denn Bambam erscheint mir wesentlich unkomplizierter als Luca.

Aber die Pflegeeltern erzählen uns, dass er sehr viel Aufmerksamkeit braucht und diese auch einfordert. Und das merken wir schon in den zwei Stunden, die wir dort sind. Er drückt sich ständig an uns und schiebt seinen Kopf unter unsere Arme.

Wenn ich mir vorstelle, dieses Verhalten täglich zuhause zu haben, ständig ein großer Hundekopf, der meinen Arm hochdrückt, wenn ich am Rechner sitze… Ich habe ja bereits einen recht aufdringlichen Hund, meine kleine Lilly. Und zwei aufdringliche Hunde sind vielleicht etwas zu viel des Guten. Da scheint die bescheidene Luca doch besser zu mir zu passen.

Gemeinsam mit der Pflegemama, Luca und unseren eigenen Hunden machen wir einen Spaziergang. Auf dem Weg zu einer großen Wiese müssen wir das erste Stück über die Straße laufen, und Luca reagiert panisch auf den Verkehr. Sie zieht an der Leine; ich kann sie kaum halten.

Beim Freilauf rennt sie gleich mit Lilly um die Wette. Als ihre Pflegemama sie ruft, traut sie sich nicht zu kommen, solange Tom und ich in der Nähe sind. Erst als wir ein Stück von ihr weggehen, läuft sie zur Pflegemama.

Da Luca ständig den Schutz der Pflegemama sucht, habe ich die (im Nachhinein berechtigte) Hoffnung, dass auch ich auf Dauer ihr Vertrauen gewinnen werde.

Wir wiederholen noch den Katzentest, den die Pflegeeltern auf meinen Wunsch bereits durchgeführt hatten. Aber ich wollte gern noch einmal selbst sehen, wie Luca auf Katzen reagiert. Sie zeigt Beschwichtigungssignale. Das müsste also auch mit meinem Kater Krieltje klappen, zumal er ja auch an Hunde gewöhnt ist.

Ich entschließe mich also zu dem großen Schritt, Luca bei mir aufzunehmen, und auch die Pflegeeltern sind einverstanden.

Luca hieß bei ihren Pflegeeltern Lucretia. Ich gebe all meinen Hunden aus dem Tierschutz neue Namen als Symbol für ihr neues Leben. Da „Lucretia“ aber bereits auf ihren Namen hörte, sollte der Klang der Gleiche bleiben. Und so wurde aus „Lucretia“ - „Luca“.

In anderen Sprachen bedeutet der Name „Licht“, „der/die Glänzende“ oder „der/die ins Licht Hineingeborene“, eine Symbolik, die ich erst sehr viel später entdeckte.

Die Heimreise

Eine intensive Zeit beginnt, die Tom, mir und Luca viel abverlangt.

Wir sichern Luca doppelt mit Halsband, Brustgeschirr und zwei Leinen.

Im mittleren Teil meines Kleinbusses steht ein großes Hundebett. Bonitas angestammter Platz ist hinten in dem Bett, und so legen wir Luca in den vorderen Teil. Sie springt relativ problemlos ins Auto, wo sie in geduckter Haltung der Dinge harrt, die da kommen werden...

Mit sieben Stunden Fahrt vor uns wollen wir verständlicherweise einige Pausen einlegen. Luca soll dabei vorsichtshalber im Auto bleiben.

Aber erstens kommt es anders...

Als wir anhalten, stehen Luca und Bonita beide im Hundebett. Aber dann legt Luca sich an den hinteren Rand, also auf Bonitas Platz. Bonita ist nicht dazu zu bewegen, sich in den vorderen Teil des Betts zu legen. Uns bleibt nichts anderes übrig – Bonita kann ja nicht die ganze Fahrt über stehen bleiben –, als Luca aus dem Auto zu holen.

Aber das ist gar nicht so leicht. Schließlich kriecht Tom ins Auto und schiebt Luca von hinten an, während ich an beiden Leinen ziehe. So bekommen wir sie aus dem Wagen, und Bonita kann ihren angestammten Platz wieder einnehmen.

Das Gleiche wiederholt sich jedes Mal, wenn wir eine Pause einlegen. Diese Prozedur ist wirklich nicht ideal für Luca und lässt ihren Stress nicht gerade wenige werden; aber wir haben im Moment keine andere Wahl.

Wir müssen beide an die Probleme denken, die wir vor vielen Jahren beim Abholen meines Mastins Pacho hatten. Er wollte nämlich nicht ins Auto. Und auch ihn hatten wir damals in Deutschland abgeholt und mussten uns nach jeder Pause anstrengen, diesen Hund mit achtzig Zentimeter Widerristhöhe und sechzig Kilo Gewicht wieder ins Auto zu bugsieren.

Später habe ich dann in Ruhe das Autotraining mit Pacho aufgebaut. Aber auf unserer Heimreise blieb dafür natürlich keine Zeit, und so hatten wir ihn mit gleichzeitigem Schieben und Ziehen nach jeder Rast wieder ins Auto befördert.

Auf dem Parkplatz ist Luca panisch. Die Pflegeeltern hatten gesagt: »Die Leine spannt sich, wenn Luca Angst hat; aber sie zieht dich nicht um«. Ich brauche jedoch beide Hände und all meine Kraft, um Luca zu halten. Verständlich, wir sind noch Fremde für sie, dann der Autobahnrastplatz mit noch mehr fremden Menschen, vorbei rasende Autos. Trotzdem frage ich mich, ob ich der schwierigen Aufgabe, die ich mit Lucas Adoption auf mich genommen habe, gerecht werden kann.

Es soll nicht das letzte Mal sein, dass mir diese Frage durch den Kopf geht.

Der Tag war mörderisch, dreizehn Stunden im Auto. Rückfahrt sieben Stunden, am Schluss im Dunkeln mit Regen und schlechter Sicht. Morgens um sechs Uhr waren wir losgefahren und um zehn Uhr abends endlich wieder zuhause!

Zuhause

Es gelingt uns, Luca aus dem Auto zu bekommen, aber sie hat Angst im Garten, und ins Haus traut sie sich schon gar nicht. Mit sanftem Drang gelingt es mir dann doch, sie ins Haus und zu einem dort bereitstehenden großen Hundebett zu führen, auf das ich die Decke ausbreite, die wir von ihrer Pflegestelle mitbekommen haben. Darauf lässt sie sich erleichtert nieder und verharrt dort, in dem ihr vertrauten Geruch, bis zum nächsten Morgen.

Trotz ihrer Angst frisst sie zu meinem Erstaunen ihre Futterschüssel leer.

Sie sieht Kater Krieltje kurz vorbeilaufen, reagiert aber nicht auf ihn. Sie dreht lediglich den Kopf etwas weg. Sie ist noch so gestresst, dass man im Moment noch keine Schlüsse aus ihrem Verhalten ziehen kann; aber wenigstens jagt sie nicht sofort hinter ihm her.

Ich schlafe unten im Wohnzimmer bei den Hunden, Krieltje sicherheitshalber oben.

Tom kommt ins Zimmer mit meinem Morgenmantel über dem Arm, und Luca zuckt zusammen und macht sich so klein wie möglich. Das Gleiche passiert bei jedem Geräusch, jeder Bewegung.

Die erste Nacht verläuft ruhig.

Der erste Monat

Die erste Woche

1. Tag - Sonntag, 25. Oktober 2009

Mit einem fröhlichen »Komm mit, meine Süße, wir gehen in den Garten.« bekomme ich Luca aus ihrem Korb. Ich habe gehört, wie die Pflegemama sie so rief, also erscheint es mir am besten, diesen deutschen Ausdruck – ansonsten spreche ich Niederländisch mit den Hunden – fürs Erste beizubehalten.

Ängstlich folgt sie mir an der Leine in den Garten.

Spaziergang mit den Hunden auf der Heide. Zum Glück ist noch Wochenende, und Tom kann mich begleiten. Er nimmt Dunya an die Leine, sodass ich mich ganz auf Luca konzentrieren kann. Das erste Stück zieht sie stark an der Leine, das typische Fluchtverhalten eines ängstlichen Hundes. Ich brauche beide Hände, um sie im Zaum zu halten. Danach wird sie etwas ruhiger und läuft schon ab und zu mit schlaffer Leine, schnüffelt, löst sich.

Menschen, denen wir begegnen, versetzen sie wieder in Angst und Schrecken; für mich ein Zeichen, dass sie anscheinend bereits einen Unterschied zwischen mir und wirklichen Fremden macht. Ein kleiner Lichtpunkt in der Angstfinsternis.

Sie schaut mich ab und zu an. Das ist sehr erwünschtes Verhalten, das ich gern belohnen würde. Aber wie? Sie nimmt kein Leckerchen aus der Hand, vor Streicheln hat sie noch Angst. Sie mag es glaube ich, wenn ich sie ein wenig hinter den Ohren kraule. Also werde ich das vorläufig als Belohnung einsetzen.

Nach dem Spaziergang bleibe ich mit Luca noch im Garten, während Tom drinnen staubsaugt. Ich will sie nicht mit zu vielen Reizen gleichzeitig belasten. In einiger Entfernung läuft sie hinter mir her. Ist das Zufall? Ich probiere es aus, wechsle die Richtung, aber es stimmt: Sie folgt mir.

Ich drehe Luca den Rücken zu, strecke meine Hand vorsichtig nach hinten aus und rufe sie. Tatsächlich kommt sie zu mir. Aber es tut weh zu sehen, wie groß ihre Angst ist: Sie kommt fast angekrochen, den Schwanz gegen den Bauch gedrückt.

Der Mittagsspaziergang verläuft gut. Erneut machen ihr die Menschen, denen wir ab und zu begegnen, Angst. Aber es hilft ihr, wenn wir einen Schritt zur Seite gehen, um der direkten Konfrontation auszuweichen. Sie ist ängstlich, aber nicht panisch.

Abends kommt Luca aus ihrem Hundebett und läuft vorsichtig Richtung Küche, von der aus man zur Hintertür und in den Garten gelangt. Aber jedes Mal, wenn ich aufstehe, um die Tür zu öffnen, flüchtet sie in den sicheren Korb. Also lasse ich die Tür offen stehen, und nach einigen Minuten traut sie sich tatsächlich in den Garten.

Wenn sie in ihrem Hundebett liegt und ich sie vorsichtig hinter den Ohren kraule - von meinem Stuhl aus, ohne aufzustehen -, scheint ihr das zu gefallen.

2. Tag – Montag, 26. Oktober 2009

Heute Nacht habe ich oben geschlafen und Luca unten im Wohnzimmer bei Dunya, Bonita und Lilly. Daisy und die Katze schlafen oben bei mir. Luca hat ein paar Mal gebellt. Ich habe dann heruntergerufen, dass es gut ist. Dann war sie still. Wahrscheinlich braucht sie die Bestätigung, dass sie nicht allein ist.

Als ich morgens nach unten kam, begrüßte sie mich mit einem angedeuteten Wedler.