Lucky Greek - Riccardo Rilli - E-Book

Lucky Greek E-Book

Riccardo Rilli

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Beschreibung

Der klassische Western ist zurück! Lucky Greek - der glückliche Grieche - heißt die von Efstathios Stona gegründete Stadt im amerikanischen Westen des Jahres 1877. Butch Anderson findet bei Farmpächtern Arbeit, die ihm das Weiterreisen in den Westen finanzieren soll. Aber es gibt nichts zu verdienen, da die Farmer von Stona betrogen und unterdrückt werden. Butch bleibt trotzdem - nicht zuletzt wegen Geraldine, der Frau des Farmers. Vor den Toren der Stadt wartet die Eisenbahngesellschaft, die Grund und Boden von Stona benötigt, um weiterbauen zu können. Ein Mitarbeiter der Bahngesellschaft taucht in der Stadt auf und bietet den Farmern Hilfe gegen Stona an, um sich deren Unterstützung beim Bodenerwerb zu sichern. Butch will den Pächtern zur Seite stehen. Ohne es zu ahnen, befindet er sich bald inmitten eines Spiels aus Täuschung und Verrat.

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Seitenzahl: 212

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Riccardo Rilli

Lucky Greek

© 2020 Riccardo Rilli

Umschlag, Illustration: Richard Götz

Lektorat, Korrektorat: Richard Götz

Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN

Paperback

978-3-347-17124-4

Hardcover

978-3-347-17125-1

e-Book

978-3-347-17126-8

Printed in Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Ein neuer Job

Der Mann von der Eisenbahn

Der Besuch

Die Versammlung

Geraldines Plan

Farmerschicksale

Franks Warnung

Der Falsche

Anweisungen

Vermutungen, Wahrheiten und ein Plan

Zusammentreffen

Prolog

„Hörst Du mich? Bist Du wach? Hör mir zu! Dich hat’s schlimm erwischt. Mein Gott, Du musst durchhalt‘n!“

Frank presste beide Hände auf die blutende Wunde.

„Wo sind wir?“, fragte Butch.

„In der Kirche“, antwortete Frank.

Sein Blick schweifte durch den spärlich beleuchteten Raum. Durch die kleinen Fenster lugten schmale Lichtstreifen, welche die feuchten Steinwände an manchen Stellen schimmern ließen. Insgesamt zu wenig Licht, um den Inhalt der Holzregale zu erkennen und dort Material zu finden, womit er dem Verletzten helfen konnte. Er hatte keine Zeit gefunden, die Petroleumlampen anzuzünden, da er damit beschäftigt war, Butch am Leben zu erhalten, bis der Priester mit dem Arzt zurückkehrte.

„Im Keller“, ergänzte Frank.

„Im Keller?“

„Hier sind wir in Sicherheit. Der Priester is‘ ein Freund. Er holt Hilfe.“

Frank schob das beige Hemd des Verletzten nach oben und besah die Wunde. Er hatte Butch mit dem Priester die Kellertreppe hinuntergebracht und auf den Holztisch gelegt, der in der Mitte des Raumes stand. Danach war der Gottesmann losgelaufen, um den Doktor zu informieren.

„Scheint ein Durchschuss zu sein“, stellte der Helfer fest.

„Hilfe?“ Butch schloss immer wieder die Augen.

Frank befürchtete, dass der Mann in Ohnmacht fiel. Er musste mit ihm reden.

„Ich wollt‘ das nich‘. Ich wollt‘ nur helf‘n.“

„Hilfe? Helfen?“

Das Bewusstsein des Verletzten driftete immer wieder weg. Wann kam der Priester zurück? Die Zeit drängte.

„Ich bin nich‘ böse. Ich wollt‘ nur helf‘n. Er is‘ es“, sprach Frank weiter.

„Er?“

„Er und die Vier.“

„Er? Er will doch helfen? Hat er sich verändert?“

Das Thema schien Butch kurz in die Realität zurückzuholen.

„Sich verändert? Nein“, sagte Frank. „aber irgendwann kommt raus, wer sie wirklich sind.“

Ein neuer Job

Butch Anderson war lange genug geritten. Sein Rücken schmerzte und er wünschte sich nach unzähligen Nächten unter freiem Himmel ein anständiges Bett. Bot sich ihm hier eine Gelegenheit?

Das überschaubare Grundstück war durch einen schlichten Zaun begrenzt. Nicht mehr als jeweils zwei horizontal angebrachte Stämme zwischen etwa schulterhohen Stehern. Das Tor stand offen. Butch betrachtete es als Einladung. Er ritt langsam auf die Farm, deren Boden mit ausgetrocknetem Gras bedeckt war. Für das stämmige Arbeitspferd im gesondert abgegrenzten Pferch war es kaum nahrhaft. Das graue Kaltblut graste weiter die braunen Halme ab, ohne sich von dem Neuankömmling stören zu lassen.

Butch hielt an, griff zur breiten Krempe seines schwarzen Hutes und schob ihn nach oben, um einen uneingeschränkten Blick auf das kleine Farmhaus zu werfen, das mittig im umzäunten Grundstück stand. Der Hut wirkte aufgrund der langen Reisen, die ihn vom Osten des Landes hierher geführt hatten, ebenso abgetragen, wie der Rest seiner Kleidung.

Er nahm eine bequeme Sitzposition ein und ritt weiter auf das Haus zu, das von der Mittagssonne in gelbes Licht getaucht wurde. Das Giebeldach war mit Holzschindeln bedeckt und setzte sich über der schmalen Veranda fort. Alte Farbe platze an manchen Stellen von den weiß gestrichenen Stehern der Terrasse ab. Insgesamt machte das Haus einen gepflegten Eindruck, doch schien das Geld zu fehlen, es in Schuss zu halten. Der ganze Ort strahlte für Butch eine gewisse Ruhe aus, die er in diesem Augenblick genoss, bis Bewegung in die Szenerie kam.

Am Terrassengeländer war ein dunkelbraunes Pferd angebunden, das seine besten Zeiten hinter sich hatte. Ebenso der Reiter, der sich in diesem Moment in den Sattel schwang. Offenbar ein Besucher. Er trug eine braune Wollhose mit Hosenträgern, die sich über ein schmutziges Unterhemd spannten. Nachdem er aufgestiegen war, ritt er Butch gemächlich entgegen. Er kam näher, und Anderson stellte fest, dass der Mann jünger war, als es die grauen Strähnen und der buschige Vollbart aus der Entfernung hatten erahnen lassen. Sie begegneten sich, und der Fremde hob seine Hand zur breiten Krempe des hellbraunen Huts. Das schien als Gruß zu genügen. Er sagte kein Wort. Der Besucher musterte den Neuankömmling misstrauisch, bevor er den Weg fortsetzte und das Grundstück verließ. Butch sah ihm hinterher, dann wandte er sich wieder seinem Ziel zu.

Ein paar Hühner pickten Körner in dem Gehege, das sich dem links am Haus angebauten Hühnerstall anschloss. Sie gackerten leise vor sich hin und ließen sich ebenfalls nicht bei der Nahrungsaufnahme stören.

Kaum hatte sein braun und weiß geschecktes Reitpferd die Veranda erreicht, öffnet sich die schlicht gearbeitete Haustür, und ein Mann trat auf die Terrasse.

Er trug abgetragene Kleidung. Ein grau gestreiftes Hemd, eine braune Wollhose mit Hosenträgern und darüber braune Stiefel mit runder Kappe. Vor der Brust hielt er eine rostige, doppelläufige Schrotflinte mit dunklem Griff.

„Halt“, sagte der schlanke, blonde Farmer.

„Keine Sorge“, antwortete Butch, „ich bin nicht hier, um Schwierigkeiten zu machen. Ich suche Arbeit.“

Anderson hob die Arme so weit, dass er damit die Aussage unterstrich, es aber nicht unterwürfig wirkte. Aus dieser Position würde er schnell genug an den Revolver aus schwarzem Metall mit farblich abgesetztem Griff gelangen, der im Holster seines schlichten, schwarzen Waffengürtels steckte.

„Arbeit? Hier gibt es keine Arbeit“, meinte der Farmer. „Außerdem sehen Sie eher wie ein Revolverheld aus. Nicht wie ein Farmarbeiter.“ „Sie sind misstrauisch. Das ist gut“, sagte Butch. „Ich auch. Deswegen die Waffe. Allein auf der Reise sollte man nicht ohne Revolver reiten, finden Sie nicht?“

Er legte die Hände langsam auf den Sattelknauf und drehte den Kopf hin und her, als würde er das Land begutachten.

„Das ist doch eine Farm? Auf einer Farm gibt es immer Arbeit, soweit ich weiß.“ Sein Blick richtete sich auf den Farmer.

„Hören Sie, wir brauchen hier niemanden. Gehen Sie.“

Butch beobachtete den Mann. Er hielt die Flinte quer vor der Brust und richtete sie nicht auf ihn. Offenbar war er weniger feindselig, als er vermitteln wollte. Aber er war vorsichtig, also musste auch Butch es sein. Der Farmer sprach mit Nordstaatenakzent. Er war ebenso in der Union geboren wie Anderson.

„Ich bin nur auf der Durchreise“, begann Butch. „Seit dem Kriegsende ziehe ich nach Westen und möchte noch weiter. Aber ich brauche eine Pause und Geld. Deswegen suche ich Arbeit.“

„Der Krieg ist zwölf Jahre her. Da sind Sie schon lange unterwegs.“ Der Farmer verlagerte sein Gewicht von einem Bein auf das andere und wieder zurück. Er war nervös.

„Es ist ein weiter Weg“, sagte Anderson.

„Sie haben für die Union gekämpft?“

„Ja, habe ich.“

Der Farmer nickte. Er schien nachzudenken, und musterte Butch mit wachen, grauen Augen. Anderson wusste nicht, worauf die Gedanken des Mannes hinausliefen, aber er war auf alles vorbereitet.

Der Farmer senkte die Flinte und strich über seinen blonden Henriquartebart, der sich von der wettergebräunten Haut des schlanken Gesichts abhob.

„Wie heißen Sie?“, fragte der Mann.

„Mein Name ist Butch Anderson.“

„Ich bin Ernest Vile. Und wir haben Arbeit. Aber wir haben kein Geld, um Sie zu bezahlen. Also war die Mühe umsonst. Es tut mir leid, dass wir Ihnen nicht weiterhelfen können.“

„Wissen Sie, ich wäre froh, ein paar Tage aus dem Sattel zu kommen. Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Ich helfe Ihnen auf der Farm und darf dafür auf Ihrem Grund schlafen. Es muss nicht im Haus sein. Und ich bekomme etwas Verpflegung. Ich gebe Ihnen auch gerne für diese Zeit meine Waffen zur Aufbewahrung. Was halten Sie davon?“

Nach einem kurzen Moment meinte Ernest: „Besprechen wir das drinnen.“

*

Nachdem Butch sein Pferd am Terrassengeländer festgebunden hatte, folgte er Ernest in das kleine Farmhaus.

Ein runder Holztisch mit vier Stühlen füllte den Raum fast vollständig aus. An der linken Wand standen zwei Schränke, an der Rückwand befand sich eine Tür. Rechts ein gemauerter Kamin mit einem großen Kessel über dem Feuer, in dem eine Frau mit einem langen Holzschöpfer umrührte. Sie war etwa Mitte Zwanzig. Butch schätze den Farmer auf das gleiche Alter.

Die beiden Fenster links und rechts der Eingangstür spendeten wenig Licht, da sie im Schatten des Vordachs lagen. Um das auszugleichen, brannten in der Mitte des Tisches zwei Kerzen.

„Wer war da?“, fragte sie.

„Wir haben Besuch“, sagte Ernest.

Die Frau drehte sich um. Der ausgebleichte, gelbe Rock folgte der Bewegung und die Rüschchen am Saum tanzten auf Knöchelhöhe. Dazu trug sie eine schlichte, weiße Bluse.

„Das ist meine Frau, Geraldine Vile“, stellte sie der Farmer vor.

„Es ist mir eine Ehre, Misses Vile“, sagte Butch. Er nahm den Hut ab und deutete eine Verbeugung an. „Mein Name ist Butch Anderson. Ich habe Ihrem Mann gesagt, dass ich Arbeit suche und er war so freundlich, mich hereinzubitten.“

„Arbeit?“ Ihr fragender Blick galt ihrem Ehemann.

„Mister Anderson ist auf der Durchreise Richtung Westen. Er meinte, er arbeite für einen Schlafplatz am Grundstück und Verpflegung“, erzählte Ernest. „Er hat in der Unionsarmee gedient.“

„Ah, ein Soldat“, sagte Geraldine und musterte Anderson von oben nach unten.

Butch fiel es schwer, den Ausdruck in ihrem Blick einzuschätzen, aber ihre braunen Augen ließen keine Feindseligkeit erkennen.

Nach einem kurzen Moment des Schweigens deutete Ernest mit der Flinte auf einen der Stühle.

„Setzen Sie sich, Mister Anderson.“

„Danke“, erwiderte Butch. Er nahm den Waffengürtel ab, und legte ihn auf den Stuhl, der dem angebotenen gegenüberlag. Ein kurzer Blick auf das bezaubernde Lächeln Geraldines verriet ihm, dass sie diese Geste schätzte.

Butch setzte sich. Ernest lehnte die Flinte an den Stuhl mit dem Revolver und nahm den Platz neben dem Fremden ein.

„Nun, was die Verpflegung angeht, kann ich sofort aushelfen“, sagte Geraldine. „Der Eintopf ist gerade fertig geworden. Sie mögen Gemüseeintopf?“

Butch erwiderte das Lächeln der Hausherrin.

„Ja, danke. Aber noch habe ich die Arbeit nicht.“

„Selbst, wenn wir uns nicht einig werden“, sagte der Farmer, „lassen wir uns keinesfalls fehlende Gastfreundschaft vorwerfen. Essen Sie. Es schmeckt sehr gut. Und erzählen Sie uns von sich. Sie müssen im Krieg noch sehr jung gewesen sein.“

Geraldine schöpfte Eintopf in eine Holzschüssel, legte ein Stück Brot auf die Kante und reichte die Mahlzeit ihrem Gast. Ihre Blicke trafen sich erneut. Sie war schlank, hatte eine Stupsnase und hochgesteckte, hellbraune Haare. Sie beugte sich zum Servieren zu Butch, und er roch ihren frischen Lavendelgeruch.

„Danke“, sagte er und bemühte sich, seine Aufmerksamkeit wieder dem Farmer zuzuwenden. „Da gibt es wirklich nicht viel zu erzählen. Ja, ich war jung. Ich hatte sehr früh keine Eltern mehr und wuchs in einem staatlichen Kinderheim auf. Von dort teilte man mich mit dreizehn als Laufbursche zum Armeedienst ein. Ab diesem Zeitpunkt kam die Union für meinen Unterhalt auf, aber ich leistete dafür auch etwas. Ich stellte Briefe zu, besorgte Tabak und verteilte das Essen. Mit fünfzehn folgte dann der Dienst mit der Waffe bis Kriegsende.“

„Das klingt nach keiner schönen Kindheit“, sagte Geraldine. Sie gab ihrem Mann eine Schüssel Eintopf und bediente sich selbst, bevor sie sich Sie auf den letzten freien Stuhl setzte.

„Jeder hat sein Päckchen zu tragen“, meinte Ernest.

„So ist es wohl“, entgegnete Butch.

Vile streckte die Arme aus. Geraldine ergriff mit einer Hand die ihres Mannes und reichte Butch die andere. Anderson verstand und schloss den Kreis, indem er die Hände des Farmerehepaares in seine nahm.

„Wollen Sie das Gebet sprechen?“, fragte Ernest.

„Ich fürchte“, antwortete Butch, „dass ich nicht besonders gut darin bin.“

„Der Herr beurteilt nicht die Qualität, sondern den Willen“, sagte Geraldine. „Sie sind unser Gast, also gebührt ihnen die Ehre.“ Wieder dieses Lächeln.

Anderson senkte den Kopf. Die beiden anderen taten es ihm gleich.

„Herr, danke für das reiche Essen und die Gastfreundschaft der Familie Vile. Und dass ich gut bis hierher gekommen bin. Wäre schön, wenn es weiter so gut läuft. Amen.“

Geraldine und Ernest sagten ebenfalls: „Amen.“ Der Farmer brach ein Stück Brot ab und tunkte es in den Eintopf.

„Und danach? Was führte Sie in den Westen?“, setzte die Frau das Gespräch fort.

Butch kaute an seinem Brot und schluckte, bevor er weitersprach: „Ich wollte das alles hinter mir lassen. Die Kindheit, den Krieg. Der Westen bietet Chancen. Für jeden. Ein Neuanfang.“

„Das denken alle, die sich auf den Weg machen“, sagte Ernest, ohne von der Holzschüssel aufzusehen.

„Und für manche erfüllen sich die Träume“, meinte Geraldine und warf ihrem Mann einen ernsten Blick zu. Sie hielt ihn so lange aufrecht, bis Ernest darauf reagierte, die Augen von der Schüssel abwendete und sie fragend ansah. Daraufhin sah sie zu Butch und sagte:

„Lassen Sie sich von der negativen Einstellung meines Mannes nicht abschrecken. Versuchen Sie ihr Glück!“

„Hatten Sie denn kein Glück? Sie haben eine Farm“, sagte Butch.

„Das ist nicht unsere eigene Farm. Wir bewirtschaften sie nur“, erklärte Ernest.

„Entschuldigung. Das war indiskret.“ Anderson merkte, dass er ein heikles Thema angesprochen hatte. Die Neuigkeit ließ in ihm die Frage aufkeimen, ob das Ehepaar überhaupt jemanden einstellen durfte, da das nicht ihr Besitz war.

„Kein Problem“, wiegelte der Mann ab. „Wenn Sie hier arbeiten wollen, sollten Sie vorher die Geschichte kennen. Diese Farm gehört zu der kleinen Stadt, durch die Sie vielleicht durchgekommen sind. Eine halbe Stunde von hier. Lucky Greek.“

„Sie meinen Lucky Creek, der glückbringende Bach“, warf Butch ein. Er hob die Schüssel und trank daraus den köstlichen Saft des Eintopfs. Er stellte sie wieder ab und fischte mit einem Stück Brot einzelne Gemüsestücke heraus.

„Nein, so ist es schon richtig“, fuhr Ernest fort. „Lucky Greek, der glückliche Grieche. Stathis Stona. Ihm gehört hier alles. So weit das Auge reicht. Er hat die gesamte Stadt aufgebaut. Deswegen befinden sich ungewöhnliche Geschäfte in der Stadt, wie ein Uhrmacher, da er Uhren sammelt. Nicht jede kleine Stadt hat einen Uhrmacher. Wir haben auch einen Barbier, ein Badehaus und einen Schneider. Er hat sich die Stadt ganz nach seinen Bedürfnissen errichtet.“

„Woher hat er das Geld?“, fragte Butch, nachdem er sich mit dem Unterarm den Mund abgewischt hatte.

„Rinderzucht“, sagte Ernest. „Er ist der größte Rancher in der Gegend. Und er betreibt einige Farmen zur Futtermittelherstellung. So wie diese.“

„Und wie kommen Sie hierher?“

„Wir haben geheiratet“, mischte sich Geraldine ins Gespräch. Sie benutzte einen Holzlöffel, den ihr Mann selbst geschnitzt hatte, und den sie jetzt neben der Schüssel ablegte. „Unsere Ehe wurde nicht von allen gutgeheißen, also beschlossen wir, gerade so wie Sie, Abstand zu gewinnen und unser Glück im Westen zu suchen. Wir wollten von der Landnahme profitieren, mit der der Präsident jeden über 21, der in den Westen zieht und sich auf einem Stück unbesiedelten Land niederlässt, 160 Acker verspricht. Nach fünf Jahren gehört es dann dem Siedler.“

„Ich kenne das Heimstättengesetz“, meinte Butch. „Was ist schiefgelaufen?“

„Wollen Sie noch Eintopf?“, fragte Geraldine, als sie sah, dass die Schüssel von Butch leer war.

„Er ist ganz köstlich, aber nein. Ich bin so reiche Kost nicht mehr gewöhnt“, lehnte Butch ab. „Wenn man so lange in der Natur unterwegs ist, gewöhnt man sich an spärliches Essen. Vielleicht später, wenn ich darf.“

„Melden Sie sich einfach, sollten sie noch Hunger bekommen“, erwiderte die Farmersfrau. Sie schien nicht beleidigt zu sein. Butch hatte ein wenig Sorge, dass seine Ablehnung als Kritik an den Kochkünsten Geraldines aufgenommen würde. Aber er hatte an der Frau ebensowenig etwas auszusetzen, wie am Geschmack des Essens.

„Tja, uns ist es ähnlich ergangen wie Ihnen“, fuhr Ernest fort und riss Anderson aus seinen Gedanken. „Uns ging das Geld aus, um weiterzuziehen. Doch als Paar ist es ungleich schwieriger. Da das ganze Land im Umkreis Stathis Stona gehört, blieb uns nichts anderes übrig, als diese kleine Farm zu pachten und zu sparen, bis wir weiterziehen können.“

„Aber die Pacht und die Abgaben sind hoch, sodass nichts übrig bleibt“, ergänzte Geraldine. Butch wusste, dass er die Frage, ob man mit Stona sprechen könne, nicht stellen brauchte. Er kannte diese Art Großgrundbesitzer. Sie waren auf ihrem Land Gott. Sie kontrollierten alles, auch das Gesetz.

Der Farmer erklärte es mit eigenen Worten:

„Wir haben einen Farmervertreter, der mit Stona verhandelt. Meist geht es um die Verringerung der Pacht, oder darum, dass man das Land kaufen könne. Aber Stona ist unnachgiebig, um es milde auszudrücken.“

„Eine festgefahrene und schlimme Situation. Vor allem für ein junges Ehepaar. Ich helfe, wenn ich kann“, sagte Butch.

„Das wäre schön“, entfuhr es Geraldine. Hastig wandte sie den Blick von Anderson ab, als ob man sie bei etwas Ungebührlichen erwischt hätte.

„Wie gesagt, wir können nur Unterkunft und Verpflegung bieten“, sagte Ernest. „Und die ist nicht gerade üppig.“

„Solange sie so gut schmeckt, wie dieser Eintopf.“ Butch lächelte Geraldine an.

Sie errötete.

„Danke, Mister Anderson.“

„Wenn Sie das alles nicht abschreckt, dann probieren wir es und Sie haben den Job, wenn Sie wollen“, bot der Farmer an.

Butch hatte den Blick auf die Farmersfrau gerichtet.

„Ja, ich denke, ich will.“

Der Mann von der Eisenbahn

‚Kaum ein Tag könnte heißer sein‘, dachte Butch, als er über die Veranda ins Haus kam.

Aufgrund der Hitze arbeitete er mit nacktem Oberkörper und trug nur die graue Wollhose samt den Hosenträgern. Darüber die gemusterten, schwarzen Stiefel. Seinen Hut legte er selten ab, da er ihn normalerweise vor Regen und vor der Sonne schützte, wie heute.

Geraldine räumte die ausgewaschenen Holzschüsseln in den Schrank. Sie bemerkte Butch und sagte:

„Du siehst aus, als könntest Du eine Erfrischung gebrauchen.“

Hinter Butch lagen siebzehn Tage harter Arbeit auf der Farm. Mittlerweile sah ihn das Ehepaar nicht mehr als Fremden an. Er hatte sich gut geschlagen und war ihnen eine große Hilfe. Sie waren freundlich und versuchten, ihm seinen Aufenthalt angenehm zu gestalten. Da er kein Geld verdiente, fragte er sich, wie er jemals wieder von hier wegkäme. Er war allein und nicht dumm. Er könnte es riskieren, weiterzureiten und auf sein Glück zu vertrauen. Im Freien schlafen und jagen, damit hatte er kein Problem. Aber er gestand sich ein, dass er das junge Paar ungern seinem Schicksal überlassen wollte. Vor allem Geraldine nicht.

„Ja, gerne. Und etwas Schatten“, sagte Butch und legte den Hut auf den Tisch. Er wischte sich mit den Händen den Schweiß aus dem Gesicht.

„Dann bleib einen Moment im Haus.“ Sie griff nach einem Becher im Schrank und füllte ihn mit frischem Wasser aus dem Krug vom Tisch.

„Danke.“ Butch nahm Platz und trank.

Geraldine setzte sich neben ihn und legte die Hände auf die Tischplatte.

„Ernest kommt nicht?“, fragte sie.

„Er scheint keine Pause zu brauchen“, erwiderte er. Erschöpft lehnte er sich zurück und streckte die Beine unter dem Tisch aus.

„Er glaubt, keine machen zu dürfen. Aber die viele Arbeit bringt uns kein Stück weiter, so sehr er sich auch anstrengt. Wir werden hier nicht mehr wegkommen.“ Sie seufzte.

„Diese Ausbeutung ist eine Ungerechtigkeit. Man sollte etwas dagegen tun.“

„Was kann man schon tun? Stona ist hier allmächtig.“

„Ihr könntet einfach weggehen.“

„Dazu fehlt uns das Geld. Selbst wenn wir Land bekämen, bräuchten wir Startkapital, um es zu bewirtschaften. Außerdem ließe uns Stona nicht gehen. Nicht, wenn wir keinen Nachfolger haben. So sind die Regeln. Seine Söldner hätten uns eingeholt, bevor wir sein Land verlassen hätten.“

Er beugte sich vor und griff nach Geraldines Hand.

„Du könntest gehen.“ Ihre Blicke trafen sich. „Mit mir.“

„Ach Butch“, begann sie. „Ich weiß, dass Du mich magst. Ich mag Dich auch. Vom ersten Moment an. Und ich genieße die wenigen Augenblicke, die wir für uns haben, so wie diesen.“ Sie wandte den Blick von ihm ab und zog ihre Hand zurück. „Aber Ernest ist mein Mann. Ich kann und möchte ihn nicht hintergehen. Ich bin es ihm schuldig, zu bleiben.“

„Schuldig?“ Anderson nahm die Hände vom Tisch. Er zupfte am schmalen Lederbändchen, das seit Jahren um sein Handgelenk gebunden war. Er legte es niemals ab und die Angewohnheit, bei Nervosität damit herumzuspielen, war schon lange Zeit in seinem Unterbewusstsein verankert.

„Er hat für mich alles aufgegeben und nur die Liebe zu mir hat ihn in diese Situation gebracht. Ohne mich wäre er jetzt im Osten ein erfolgreicher Ladenbesitzer. Er ist sehr hartnäckig und überzeugt, dass wir es trotz allem noch schaffen. Diese Einstellung hätte ihm zuhause einiges an Erfolg beschert.“

„Du darfst nicht aus Schuldgefühlen heraus bleiben. Ich weiß, dass wir glücklich werden würden.“

„Es sind nicht nur Schuldgefühle. Ich liebe ihn, sonst hätte ich ihn nicht geheiratet.“ Sie legte die Hände in den Schoß und betrachtete ihre schlanken Finger, um Butch nicht in die Augen zu schauen. „Und selbst wenn ich mit Dir ginge, er würde uns folgen. Wie gesagt, er kann sehr hartnäckig sein. Vielleicht würde er sogar Stona Bescheid geben. Wir wären tot, bevor wir unser Land erreichten.“

Butch schüttelte den Kopf. „Damit würde ich fertig werden. Zu zweit wären wir schnell und ich war Soldat.“

„Du verstehst nicht …“, meinte sie. Sie wurden durch das Knarren der Eingangstür unterbrochen.

Ernest betrat das Farmhaus. Geraldine stand hastig auf und lächelte ihm zu. Für Butch wirkte das Lächeln erzwungen. Das erste Mal, dass dieser Ausdruck nicht von Herzen zu kommen schien.

„Möchtest Du auch eine Erfrischung?“, fragte sie ihren Ehemann.

„Ja, bitte. Und auch für unseren Gast“, sagte er und trat einen Schritt zu Seite.

Hinter ihm stand ein Mann, den Butch noch nie gesehen hatte. Er trug eine weinrote Anzugweste über einem weißen Hemd und ein dazu passendes, rotes Halstuch. Über der Wollhose edle Stiefel, beides in einem mittleren Braunton. Die saubere Kleidung und sein selbstbewusstes Auftreten ließen sofort erkennen, dass er kein Farmer war. Der Mann betrat den Raum, und nahm den großen, braunen Hut mit seitlich nach oben gebogener Krempe ab. So stellte man sich im Osten einen echten Cowboyhut vor, obwohl hier die wenigsten einen solchen benutzten.

Butch langte reflexartig nach dem Revolver, auch wenn der Fremde keine Anstalten machte, anzugreifen. Bei der Arbeit trug er nie eine Waffe, weswegen seine Hand ins Leere griff. Trotzdem war die Bewegung mit Sicherheit nicht unbemerkt geblieben, es reagierte aber niemand darauf.

Der Mann kaute weiter auf der im Mundwinkel steckenden Zigarillo und lächelte. Er legte seinen Hut auf den Tisch. Die Kopfbedeckung von Butch wirkte dagegen mickrig, schmutzig und alt.

„Mein Name ist Eugen Wrong. Meine Verehrung“, grüßte er mit dröhnender Stimme.

*

Geraldine machte sich zunächst kein Bild des Fremden, da ihre Gedanken vorrangig darum kreisten, ob sie zu hastig aufgestanden war. Hatte Ernest gesehen, dass sie mit Butch Händchen gehalten hatte? Oder schöpfte er aufgrund ihrer Nervosität Verdacht? Sie musste vorsichtiger sein. Butch war ein guter Mann und sie mochte ihn. Trotzdem sah sie keine Zukunft mit ihm. Einem ehemaligen Soldaten, einem Herumtreiber ohne Heimat. Ein Gauner oder Schlimmeres, obwohl sie das nicht annahm. Aber kannte sie ihn? Was konnte man nach siebzehn Tagen schon über jemanden sagen? Außer, dass man sich zu ihm hingezogen fühlte. Wenn sie sich von ihrem Mann trennte, wäre sie auf sich alleine gestellt. Butch war keine langfristige Alternative.

Sie musste sich zusammennehmen. Geraldine strich ihren gelben Rock zurecht, atmete langsam aus und setzte ein Lächeln auf.

„Setzen Sie sich doch, Mister Wrong. Was kann ich Ihnen anbieten? Leider ist unsere Auswahl nicht sehr groß“, sagte sie etwas zu schnell.

„Kein Grund, sich aufzuregen. Ich nehme, was da ist. Und wenn es Whiskey wäre, könnte ich auch damit leben.“ Der Gast lächelte und seine stahlblauen Augen leuchteten aus dem braungebrannten Gesicht.

Wrong und Ernest setzten sich zu Butch an den Tisch, und Geraldine holte eine Flasche Whiskey und drei Gläser aus dem Schrank. Sie würde sich dem Alkoholkonsum nicht anschließen. Es wäre besser, einen kühlen Kopf zu behalten. Sie stellte alles neben die Kerzen auf den Tisch und musterte den fremden Mann.

Abgesehen von der Augenfarbe fiel ihr bei Wrong sofort der gepflegte Bart auf. Ein kleiner Schnauzbart und dazu ein dünner senkrechter Strich am Kinn. Er hatte dasselbe dunkelbraun wie die schulterlangen Haare und wuchs unter einer langen, schmalen Nase. Trotz seinen jungen Aussehens, das sie einer guten Pflege zuschrieb, schätzte sie ihn auf über 40.

Eugen Wrong übernahm das Einschenken, obwohl er nicht der Gastgeber war. Geraldine fiel auf, dass Butch mit einer Geste ablehnte.

„Sie trinken nicht mit uns?“, fragte Wrong und fixierte Anderson mit durchdringendem Blick.

„Ich muss noch arbeiten“, antwortete Butch. Er wirkte aufmerksam, vorsichtig.

„Ich habe festgestellt, dass einige Arbeiten nach einem Glas Whiskey leichter von der Hand gehen“, sagte der Besucher und hielt die Flasche über das Trinkglas seines Sitznachbarn.

„Jeder wie er meint“, entgegnete Butch und schob das Glas ein Stück zu Seite.

Eugen Wrong lächelte, schenkte Vile und sich ein und stellte die Flasche ab.

Geraldine hielt sich im Hintergrund. Die beiden Männer hoben die Gläser, prosteten sich zu und tranken den Alkohol mit einem Schluck. Gleich darauf schenkte Eugen nach.

„Sie müssen mein unangekündigtes Erscheinen entschuldigen. Ich will niemanden von der Arbeit abhalten.“ Bei diesen Worten sah Wrong Butch an. „Aber ich habe einen vollen Terminkalender und weniger Zeit als ich möchte, um meine Vorstellungsbesuche zu absolvieren.“ Er sah abwechselnd zu Ernest und Geraldine. „Sie müssen das Ehepaar Vile sein, die Pächter dieser Farm. Und Sie sind?“ Er richtete den Blick wieder auf Butch.

„Das ist Mister Anderson. Er ist auf der Durchreise und hilft für Verpflegung und Unterkunft“, meldete sich Geraldine zu Wort.

Für diesen Einwurf erntete sie einen zurechtweisenden Blick ihres Mannes, der offenbar der Meinung war, dass er das Gespräch führte. Doch dafür müsste er schneller reagieren, dachte sie.