Lucy Nelson- die streitbare Lehrerin - Christine Stutz - E-Book

Lucy Nelson- die streitbare Lehrerin E-Book

Christine Stutz

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Beschreibung

Lucy Nelson ist die jüngste von sechs Schwestern. Anders als ihre Schwestern, will sie nie heiraten oder Kinder bekommen. Sie hat einen Beruf ergriffen und ist Lehrerin mit Herz und Seele. Mit ihrer direkten, selbstbewussten Art, eckt sie überall an. Das ändert sich auch nicht, als sie nach einem Skandal, Boston verlassen muss und im"Wilden Westen" landet. Dort gerät sie umgehend mit den Ureinwohnern- den Sioux- und der molligen Kauffrau in Streit. Als dann auch nooch drei Waisenkinder bei ihr Schutz suchen und ein Bär sich zu Lucy gesellt, landet sie im Gefängnis. Gerry Allister, ein junger Witwer mit Sohn und Lucys neuer Boss, hat alle Händevoll zu tun, die junge Frau zu beschützen.

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Inhaltsverzeichnis

Prolog

1 Kapitel

2 Kapitel

3 Kapitel

4 Kapitel

5 Kapitel

6 Kapitel

7 Kapitel

8 Kapitel

9 Kapitel

10 Kapitel

11 Kapitel

12 Kapitel

13 Kapitel

14 Kapitel

15 Kapitel

16 Kapitel

17 Kapitel

18 Kapitel

19 Kapitel

Epilog

Prolog

Mutter flatterte wie eine aufgeregte Henne umher. Wild mit den Armen schlagend, wiederholte sie ihre letzten Anweisungen. Mein gutmütiger Vater sah dabei eine Weile zu, dann nahm er seine geliebte Zeitung, entzündete seine Pfeife und verschwand. Nach fast dreißig Jahren Ehe wusste der Mann, wann es besser war, den Rückzug anzutreten und seine Frau machen zu lassen. Nun, immerhin war dies die fünfte Hochzeit im Hause Nelson. Dann hatte meine Mutter auch ihre fünfte Tochter erfolgreich unter die Haube bekommen, dachte ich amüsiert. Dann war nur ich übrig, das sagte Vater heute Morgen. Die Letzte seiner sechs Rosen, die das Haus erblühen ließ. Ich hatte den Mann getröstet und gesagt, dass ich nicht die Absicht hatte zu heiraten und noch lange hier wohnen würde. „Abwarten, Lucy Nelson.“ war Mutters Antwort gewesen. Vater hatte gelacht und zu Mutter gesagt, dass ich eine Rose mit vielen Dornen sei und es selbst ihr schwerfallen würde, da einen Mann zu finden, der mich pflücken wollte. Kein Mann mit Verstand würde sich freiwillig die Finger zerstechen. „Du zweifelst an meinem Talent, geliebter Gemahl. Denke an unsere anderen fünf Mädchen. Eine jede hat den passenden Ehemann bekommen.“ Erwiderte Mutter und lächelte geheimnisvoll. So, als habe sie bereits einen Plan. Nicht, dass mir das Angst machte. Denn ich war festentschlossen, nie zu heiraten. Nein, ich würde meinen Beruf als Lehrerin bestimmt nicht aufgeben, um Wäsche zu waschen oder Kinder zu bekommen. Zuhause sitzend auf meinen Ehemann wartend, das Essen warmhaltend. Oh nein, dass konnte meine Mutter geflissentlich vergessen. Ich dachte an meine Schwester Rose, die morgen heiraten würde. Rose war eine begnadete Künstlerin. Sie konnte malen, wie keine andere. Ihre Bilder sahen aus, als seien sie lebendig. Wenn sie ein Pferd malte, meinte man, es würde einem direkt aus dem Papier entgegenspringen. Meine Bilder sahen dagegen aus, als hätte jemand mit Durchfall zu kämpfen.

Ich war dafür die Kluge in unserem halben Duzend. Mir lagen das Lesen und Rechnen. Mir machte es Spaß, mein Wissen zu teilen. Deswegen entschied ich mich für den Beruf einer Lehrerin. Viel anderes blieb uns Frauen in dieser Gesellschaft auch nicht übrig, dachte ich wieder. Jedenfalls würde meine Schwester Rose ab Morgen den Pinsel gegen einen Kochlöffel tauschen. Mutter hatte Rose erfolgreich mit dem neuen Farmer verkuppelt. Mister Reynolds hatte vor sechs Monaten die alte Sinns Farm gekauft und war dabei Mutter aufgefallen. Das war auch kein Wunder, denn alle Farmverkäufe wurden von Mutter geleitet. Vater war so etwas, wie der Bürgermeister hier in der Gemeinde und Mutter kümmerte sich um die Verkäufe. Geschickt hatte sie Mister Reynolds ausgefragt und danach zum Abendessen eingeladen. Dort hatte sie dem Mann meine Schwester Rose vorgestellt. Der Rest ergab sich von selbst, dachte ich wieder und grollte leise. Ich wusste, dass hasste meine Mutter, deswegen tat ich es hauptsächlich.

War meine geliebte Schwester bis dahin noch festentschlossen gewesen, die Kunstakademie in der nächsten Stadt zu besuchen, so war dieser Plan von einem Tag auf den anderen vergessen. Mister Reynolds machte meiner Schwester den Hof und Rose flatterte direkt in seine Arme. Einfach widerlich. Mir würde das nie passieren, schwor ich mir wieder. Mich würde kein Mann so weit bringen, in seine Arme zu sinken. Nicht, dass sich die Männer nicht für mich interessierten. Ich war schlank. Nicht dünn, aber schlank und bewegte mich gerne. Reiten war mein liebstes Hobby. Sehr zum Ärger meiner Mutter, die das nicht Lady Haft fand. Ich hatte die brünetten Haare meines Vaters und dir blauen Augen meiner Mutter geerbt. Manche Männer fanden das anziehend. Einige Männer hatten versucht, mir den Hof zu machen. Gaben es aber schnell wieder auf. Ich machte es allen klar, dass ich nicht interessiert war. Meine fünf älteren Schwestern waren mir Warnung genug. Drei von ihnen hatten bereits Kinder und besuchten uns oft. An Enkelkindern mangelte es meinen Eltern nicht. Da brauchten sie keine mehr von mir, dachte ich wieder. Wie gerufen, ging jetzt die Tür auf und meine älteste Schwester betrat das Haus. Gefolgt von ihrem Mann und den drei Kindern. Drei unerträglich laute und nervende Kinder. Vollkommen verwöhnt von den Eltern meines Schwagers. Des zukünftigen Senators unseres Landes. Zeit für mich, den Rückzug anzutreten. Denn ich duldete nicht, dass sich Kinder daneben benahmen. Das hatte bereits öfter zu Streit geführt. Deswegen ging ich meiner ältesten Schwester gerne aus dem Weg.

1 Kapitel

Ich öffnete die Tür und schlüpfte in Roses Zimmer. Für heute Abend jedenfalls noch. Denn ab morgen würde Rose ja bei ihrem Mann wohnen. Dann war bestimmt noch leiser im Haus, überlegte ich und erinnerte mich an den Trubel, der einmal hier herrschte. Sechs Mädchen, die innerhalb von wenigen Jahren geboren wurden. Meine Mutter war pünktlich alle zwei Jahre schwanger geworden. Immer in der Hoffnung, einen Jungen zu bekommen. Doch stattdessen wurden sie mit sechs Rosen gesegnet, wie Vater immer betonte.

„Na, wie fühlst du dich? So kurz vor deinem großen Tag? Bist du aufgeregt?“ fragte ich neugierig und setzte mich auf Roses Bett. Meine Schwester Rose legte die Bürste weg und drehte sich zu mir herum. Sie war das ganze Gegenteil von mir. Groß, schlank, mit langen, blonden Haaren. Niemand würde uns für Schwestern halten, dachte ich wieder. Roses war sanft und gehorsam. Immer um Ausgleich bemüht. Sie war diejenige, die unsere zahlreichen Streitereien schlichtete und stets eine Lösung parat hatte. Auch jetzt lächelte sie sanft. „Ich bin aufgeregt, Lucy. Wirklich aufgeregt. Ich meine, nicht wegen dem, dem, was sich im Bett abspielt. Das weiß ich bereits.“ Sagte Rose und wurde dunkelrot.

„Du hast mit William schon geschlafen?“ rutschte es mir heraus. Ich schlug mir peinlich berührt auf den Mund. Rose warf die Bürste nach mir, ich wich geschickt aus. „Lucy Nelson! Schäme dich, solche Worte in den Mund zu nehmen! Ich werde dir nichts weitererzählen, wenn du so albern bist. Was zwischen mir und William passiert, ist meine Privatsache. Ich bin nervös, wegen dem Fest morgen. Mutter hat daraus eine Riesensache gemacht. Die halbe Stadt ist eingeladen. Alles, was Rang und Namen hat, wird morgen erscheinen. Sogar Susans Schwiegereltern kommen. Das ist nicht das, was William und ich uns gewünscht haben. William will so schnell wie möglich zurück auf seine Farm und ich bin immer so schüchtern bei so vielen Menschen.“ Erklärte Rose seufzend und hob ihre Bürste auf. „Ich bin froh, wenn Morgen vorüber ist.“ Rose legte sich zu mir aufs Bett. Das hatten wir früher oft getan. Jetzt war es vielleicht das letzte Mal, überlegte ich. Neugierig griff ich ihre weiche Hand. Die Hand einer Künstlerin. Bald war es eine Hand einer Hausfrau. Rau von Wäschewaschen und Unkrautziehen.

„Wie ist es, in den Armen eines Mannes zu liegen, Rose? Ich möchte es wissen. Denn ich werde nächsten Monat einundzwanzig Jahre alt. Und unsere anderen Schwestern schweigen sich da aus.“ Fragte ich mutig. „Ich meine, ich weiß natürlich, was beim Beischlaf passiert. Aber, was fühlt man dabei? Ist es erregend? Kitzelt es? Oder tut es weh?“ fragte ich wissbegierig. Wieder wurde meine Schwester feuerrot. „Lucy Nelson. Du bist lasterhaft!“ schimpfte sie leise. Doch dann lachte sie und zog meinen Kopf zu sich. Damit sie flüstern konnte. „Es ist unbeschreiblich, Lucy. Dein Körper steht in Flammen. Aber gute Flammen. Du kannst nicht erwarten, dass dein Geliebter, dich erobert und dich liebt. Du kannst nicht denken, nur daran, dass du alles willst, was der Mann mit deinem Körper anstellt.“ Erklärte Rose flüsternd. „William ist ein guter Liebhaber. Er verschafft mir Explosionen, die mich süchtig nach mehr machen. Weißt du, ich wollte wirklich bis zur Hochzeit warten. Aber dann war vor drei Wochen dieser Ausflug, wenn du dich erinnerst. William und ich gerieten in dieses Unwetter und mussten auf seiner Farm übernachten. William war ganz der Gentlemen, Lucy. Er überließ mir das Gästezimmer. Doch dann wurde das Unwetter so schlimm. Ich fürchtete mich und suchte William. Der Rest bleibt mein Geheimnis.“ Flüsterte Rose kichernd. Nun, das konnte ich mir auch so denken, dachte ich schmunzelnd. Die Glocke rief uns zum Abendessen. Jetzt mussten wir uns schnell zurecht machen. Mutter hatte nicht nur meine älteste Schwester, samt Familie eingeladen, sondern auch den zukünftigen Schwiegersohn. William versprach, seinen besten Freund und Trauzeugen heute Abend mitzubringen. Der geheimnisvolle Mann war extra angereist. Er sollte eine große Ranch weiter im Westen besitzen. Das hatte meine Mutter neugierig gemacht. Schnell eilte ich in mein Zimmer. Mutter verärgerte ich ungern. Das tat niemand. Selbst Vater nicht, dachte ich schmunzelnd.

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Ich war schnell fertig. Denn anders als meine Schwestern, machte ich nie viel aus meinem Aussehen. Ein frisches Kleid, einmal die Haare gebürstet, fertig. Ich mochte nicht die vielen Duftwässerchen und Cremes, die sich auf den Tischen meiner Schwestern stapelten, nicht. Dadurch hatte ich noch etwas Zeit und ging nachdenklich in den Garten. Frische Luft würde mir guttun. Es würde ein langer Abend werden. Mutter konnte sich lange in Kleinigkeiten aufhalten. Und sie hatte noch viele Fragen wegen dem Fest morgen. Ich sollte Roses Brautjungfer sein. Das hatte ich zu verhindern versucht. Doch Mutter war da unerbittlich gewesen. Sie wusste, wie sehr ich große Veranstaltungen hasste, doch trotzdem verlangte sie morgen meine Anwesenheit. Da musste ich wohl durch, dachte ich deprimiert. Ob ich wollte oder nicht. Auch, wenn ich die Ehe als solches ablehnte. Ich wollte nie heiraten, dass wusste meine Mutter, dachte ich wieder wütend. Ein ewiger Streitpunkt zwischen uns. Denn Mutter glaubte, dass eine Frau nur in der Ehe und dem Kinderkriegen ihre Erfüllung fand. Was für ein Blödsinn, dachte ich wieder.

Lautes Geschrei und Brüllen weckte mich aus meinen Gedanken. Es waren Kinder. Kinder, die sich stritten. Eindeutig waren es die Kinder meiner ältesten Schwester. Deren laute Stimmen erkannte ich sofort. Worum ging es diesmal? Das fragte ich mich und folgte den Stimmen. „Du bist ein dreckiger Indianer. Das sieht man doch! Erzähl uns doch nicht, dass du hierher eingeladen wurdest! Dreckige Indianer haben hier nichts zu suchen. Das hier ist ein christliches Haus.“ Schrie Benedikt, Susans Ältester. Ein Ton, ganz der Vater. „Und ob ich eingeladen wurde! Zusammen mit meinem Dad!“ schrie eine wütende Kinderstimme zurück. Alarmiert rannte ich nicht gerade damenhaft um die Hecke. Dort sah ich es. Die drei Kinder meiner ältesten Schwester, zusammen mit den beiden meiner anderen Schwester, hatten einen etwa achtjährigen Jungen umzingelt. Dessen dunkle Hautfarbe ließ mich seine Herkunft erahnen. „Was ist denn hier los, Kinder!“ fragte ich streng und stellte mich zu dem fremden Jungen. Er sollte wissen, dass ich ihm helfen wollte. Denn ich kante den fiesen Charakter meines ältesten Neffen zur Genüge.

„Der dreckige Indianer hier ist eingebrochen, Tante Lucy. Wir haben ihn aufgegriffen, gerade als er auf einen Baum klettern wollte. Wie ein Affe. Typisch Indianer. Er wollte flüchten. Bestimmt hat er etwas geklaut. Pa sagt, das tun diese widerlichen Rothäute. Wenn er Senator wird, wird er dafür sorgen, dass die Indianer in ihrem Reservat bleiben. Er wird sie alle aus Boston verjagen.“ Sagte Benedikt gehässig. Ich ignorierte den vorlauten Jungen und wandte mich an meinen neuen Freund neben mir. „Hör nicht auf das Gerede meines Neffen. Er redet nur, was er hört. Ohne darüber nachzudenken. Sagst du mir deinen Namen?“ fragte ich freundlich. Unwillig schwieg der Junge und starrte weiter meinen Neffen an. Ein Blick zum Fürchten. „Du bist ein Feigling, Benedikt. Eine Schande für deine Familie und deinen Stamm! Du kannst dich nur mit vier anderen gegen mich wehren.“ Sagte der Junge finster. „Na warte, Rothaut. Das wird dir leidtun.“ Schrie Benedikt. Ich zuckte nur mit den Schultern. „Warum, Benedikt? Der kleine Häuptling hat doch recht. Hättest du so große Worte riskiert, wenn du allein gewesen wärst? Oder wärst du dann kleinlaut davongelaufen.“ Fragte ich lächelnd. Wieder wandte ich mich an den fremden Jungen. „Bist du mit William gekommen? Meine Schwester erzählte, dass William Besuch mitbringen würde.“ Fragte ich freundlich. Endlich nickte der Junge und versuchte ein Lächeln. „Ja, Lady. Onkel William hat meinen Pa und mich eingeladen. Mein Name ist Simon- Kleine Krähe.“ Sagte er dann leise. Meine Nichten und Neffen lachten laut als sie seinen Namen hörten. Sofort verschloss sich der fremde Junge wieder Er ballte seine Hände zu Fäusten. Beruhigend legte ich meine Hand auf seine schmale Schulter. „Was lacht ihr so dreckig? Benedikt Josefus Braun? Oder Ronald Phillipus James? Rita Agatha? Ihr habt alle merkwürdige Namen. Und zu eurer Information. Solch einen großartigen Tiernamen bekommen nur die mutigsten Kinder bei den Indianern. Die Krähe gilt bei den Indianern als sehr klug und weise“ belehrte ich meine Neffen und Nichten streng. Ganz die Lehrerin. Dann wandte ich mich wieder an Simon. „Du kannst wirklich stolz auf deinen Namen sein, Junge. Lass dir nie etwas anderes sagen.“ Erklärte ich laut und deutlich.

„Du bist wie immer, eine Spielverderberin, Tante Lucy. Kommt, lasst uns abhauen.“ Maulte Benedikt und drehte sich endlich ab. Die anderen Kinder folgten ihn. Endlich kehrte Ruhe ein. „Du wolltest auf einen Baum klettern? Darf ich erfahren, warum du es tun wolltest, kleine Krähe?“ fragte ich nur neugierig. Zufrieden, dass ich ihn mit seinem indianischen Namen angesprochen hatte, nickte der Junge. Zutraulich nahm er meine Hand und folgte mir durch den Garten. „Ich hasse die Stadt, Lady. So viel Lärm und Gestank. Ich wollte sehen, ob man von einem hohen Baum die Berge sehen kann. Ich vermisse die Berge.“ Erklärte Simon dann heiser. Lächelnd blieb ich vor unserem Kirschbaum stehen. „Ich verrate dir ein Geheimnis, Kleine Krähe. Manchmal klettere ich auf diesen Baum hier. Es ist der höchste im Garten. Dann sitze ich auf einem Ast und träume davon, fliegen zu können.“ Erzählte ich liebevoll. Der Gong rief uns zum Essen. Bedauernd wandte ich mich zum Haus. Jetzt musste ich mich wieder „benehmen“, dachte ich. Lachend griff ich nach der Hand des kleinen Jungen. „Sag, Kleine Krähe. Da du jetzt mein Geheimnis kennst, darf ich dich bitten, heute Abend mein Tischherr zu sein?“ fragte ich schief grinsend. Das war etwas, dass meine Mutter ärgern würde, Denn bestimmt hatte sie wieder einen vornehmen Herrn aus der Stadt, den sie mir vorstellen wollte. Und der mich zu Tisch führen sollte. Den Plan hatte ich jetzt durchkreuzt.

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Gerry Allister verließ sein Versteck und kam hinter den Busch hervor. Wer war diese bemerkenswerte junge Frau? Die Frau, die das Herz eines kleinen Sohnes so schnell erobert hatte? Er war in den Garten gekommen, um nach Simon zu sehen. Sein eigenbrötlerischer Sohn war sofort nach der Ankunft in diesem riesigen Haus verschwunden. Gerry wusste, dass er im Garten suchen musste. Hier fühlte sich sein wilder Junge wohl. Auch er war dem Lärm der Kinder gefolgt, schlimmes vermuten. Umso erstaunter war er über die mutige, strenge, junge Frau gewesen, die Simon in Schutz nahm. Und was für ein Geheimnis teilten die beiden? Die fremde Frau und sein Sohn? Die streitbaren Kinder hatten die Frau Tante Lucy genannt. Sie musste also eine Tochter des Hauses Nelson sein, überlegte Gerry weiter, während er den beiden unbemerkt ins Haus folgte.

„Junger Mann, gewähren sie mir die Ehre eines Tanzes? Weißt du, kleine Krähe, ich tanze für mein Leben gern. Aber die Herren, die meine Mutter immer für mich auswählt, sind sterbenslangweilig.“ Hörte er diese Lucy jetzt sagen. Sein kleiner Sohn lachte fröhlich. Etwas, dass Gerry viel zu selten hörte. Und das sein Herz erwärmte. Die Frau hatte einen guten Einfluss auf seinen Sohn. Er war gespannt, wie es sich weiter entwickeln würde.

2 Kapitel

„Lucy, meine Liebe. Ich habe dir Mister Michael Forester als Tischherrn angedacht. Der Mann ist angehender Arzt und ein Cousin deines Schwagers Carlton.“ Erklärte Mutter freundlich und sah mit zusammengekniffenen Augen auf Simon an meiner Hand. Sie hoffte wohl, dass ich den Jungen jetzt zu den anderen Kindern an den abseitsstehenden Tisch schicken würde. Doch ich wusste, meine Neffen und Nichten würden Simon quälen. „Ich muss mich entschuldigen Mutter. Aber ich wusste nicht, dass du bereits einen Tischherrn für mich erkoren hast. Ich habe Mister Simon- kleine Krähe gefragt. Er wird mir bei Tisch Gesellschaft leisten und bestimmt mit interessanten Geschichten über seine Heimat unterhalten.“ Widersprach ich meiner Mutter mutig. Dann nickte ich dem großen, arrogant wirkenden Mann neben Mutter zu und betrat mit Simon an der Hand, das Speisezimmer. So, damit hatte ich Mutters Verkupplungs- Versuche für das erste vereitelt, dachte ich schmunzelnd. Suchend sah ich mich nach William um. William war von allen Männern, mein Lieblingsschwager. Oder würde es morgen werden, verbesserte ich mich in Gedanken.

William stand neben seinen Stuhl und unterhielt sich angeregt mit einen, mir fremden, Mann. Seine Größe imponierte mir. Er war mindestens einen Kopf größer als William und das hieß schon was. Jetzt drehte sich der Mann um und lächelte mich an. Nein, Halt, er lächelte Simon an. Errötend bemerkte ich meinen Fehler und senkte verlegen den Kopf. „Hallo Kleine Krähe. Du hast eine Eroberung gemacht, wie mir scheint.“ Sagte der Mann mit dunkler Stimme. Ich konnte seine pechschwarzen, langen Haare bewundern als er sich zu seinen Sohn kniete, um Simon in die Augen zu sehen. Das machte den Mann sympathisch. Denn nur wenige Männer machten sich dafür die Mühe. Stets mussten ihre Kinder zu ihnen aufsehen. Seine langen Haare waren am Hinterkopf zu einem Pferdeschwanz gebunden. Das faszinierte mich. Jetzt sprach Simon in einer mir unbekannten Sprache mit seinem Vater. Ich lauschte begeistert den dunklen, urwüchsigen Lauten. „Das war nicht nett, kleine Krähe. Du weißt, was ich dir zu Beginn unserer Reise gesagt habe?“ sagte der Mann jetzt streng. „Ja, Vater. Wenn du in Rom bist, tue es den Römern gleich.“ Sagte das Kind leise. „Entschuldigen sie, Miss Lucy Nelson.“ Sagte er dann höflich.

„Gerry? Darf ich dir meine zukünftige Schwägerin Lucy Nelson vorstellen? Lucy ist Lehrerin, eine sehr streitbare junge Frau, wenn ich es so sagen darf.“ Scherzte William jetzt. „Eine junge Dame, die, wie du, die Ehe ablehnt und sie als nichtsnutzig betitelt.“ Erklärte er leise lachend. Ich sah den erstaunten Gesichtsausdruck auf dem Gesicht dieses Gerry. Erwartete der Mann jetzt, das ich beleidigt wäre? Oder gekränkt? Doch ich lachte ebenfalls nur leise. „Und ich streite gerne weiter mit dir, William. Meine Schwester ist zu gut für eine schnöde Ehe. Eingesperrt zwischen Herd und Wäschekammer. Sie gehört mit ihrem Talent an eine renommierte Kunsthochschule. Wäre sie männlich, wäre das keine Frage gewesen.“ Erwiderte ich hitzig. Ich sah diesen Gerry amüsiert das Gesicht verziehen. „Wäre ihre Schwester männlich, hätte mein Freund auch kein Interesse an ihr gehabt. Dann hätte einer Karriere nichts im Wege gestanden.“ Antwortete er für meinem Schwager. Das fehlte mir noch, dachte ich verärgert. Noch so ein Mannsbild. „Dann gehören sie also auch zu den Männern, die eine Frau nur nach ihrem Aussehen und die Fähigkeit, Kinder zu bekommen, beurteilen. Wenn ich sie richtig verstanden habe, hat sich William nur wegen Roses Aussehen für sie entschieden?“ fragte ich spitz zurück. Mein Schwager verdrehte seine Augen und seufzte leise. „Ich werde mal meine zukünftige Frau suchen gehen. Das wird besser sein.“ Sagte er diplomatisch und ließ mich mit diesen Gerry allein. Dieser Gerry grinste jetzt und weckte damit meinen Unmut. „Sie müssen doch zugeben, dass ihre Schwester, würde sie einen Bart tragen, nur halb so attraktiv wäre, oder?“ fragte er dann so amüsiert, dass ich wütend mit dem Fuß aufstampfte. Glücklicherweise sah man das unter meinem langen Kleid nicht. „Sie sind ein Chauvinist, Mister Gerry.“ Sagte ich grantig und ließ den Mann stehen. Simon sah mir verwirrt hinterher. Einer meiner Schwäger brachte mir ein Glas Bowle, dankbar trank ich.

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„Du hast die nette Lady sehr wütend gemacht, Pa. Warum hast du das getan? Sie hat mir im Garten sehr geholfen.“ Fragte Simon- kleine Krähe seinen Vater verwundert. So streitlustig kannte er seinen Vater nicht. Gerry führte seinen Sohn etwas abseits der Menge und beugte sich wieder herunter. „Das ist ein Geheimnis, kleine Krähe. Wäre ich nett und zuvorkommend gewesen, hätte Miss Lucy mich schnell wieder vergessen. Doch jetzt wird ihre Wut sie noch lange an mich erinnern.“ Erklärte er dann zufrieden grinsend. Er wusste, sein Sohn würde das erst viel später begreifen. Doch er hatte erreicht, was er wollte. Einen bleibenden Eindruck bei Lucy Nelson hinterlassen.

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Mutter akzeptierte mit zusammengekniffenem Mund, dass ich Simon neben mir platzierte. Stillschweigend änderte sie die Tischkarten und der zukünftige Arzt saß jetzt neben der Tochter unseres Nachbarn. Lächelnd sah ich, wie der Mann Regina umgehend den Hof machte. Sollte er bei ihr sein Glück versuchen, dachte ich zufrieden. So schnell würde Mutter mich nicht loswerden. Nicht, wenn ich es verhindern konnte. Lieber beschäftigte ich mich mit Simon und half dem Jungen still bei der Auswahl des richtigen Bestecks.

„Sie sind Lehrerin, Miss Lucy? Wie interessant. Ist es nicht anstrengend, einen so schweren Beruf auszuüben?“ wurde ich jetzt von einer jungen Frau angesprochen. Ich überlegte angestrengt, wer diese Frau war. Hatte man uns formell vorgestellt? „Ganz im Gegenteil, Miss. Es bereitet mir Freude, mein Wissen zu teilen. Und es ist das Leuchten in den Augen der Kinder, wenn sie lernen dürfen. Das ist nicht allen Kindern möglich. Viele müssen bereits in jungen Jahren schwer arbeiten. Mein Unterricht ermöglicht den Kindern bessere Chancen. Kinder, die Lesen und Schreiben können, bekommen mehr Geld.“ Erklärte ich streng. Ich wusste, wie man in der „feinen Gesellschaft“ über meinen Beruf dachte.