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Ludwig Uhland zählt zu den bedeutendsten deutschsprachigen Schriftstellern. Straßen, Plätze und Schulen sind in großer Zahl nach ihm benannt, und seine Gedichte sind in unzähligen Lyrikanthologien zu finden. Auch seine herausragende Bedeutung als ein Gründervater der wissenschaftlichen Germanistik, insbesondere der Mediävistik, und als Begründer der Schwäbischen Dichterschule ist unbestritten. Er war zweimal für mehrere Jahre Landtagspolitiker und 1848 liberaler Parlamentarier der Frankfurter Paulskirche, ein mutiger Demokrat, der lebenslang unerschütterlich für staatsbürgerliche Rechte und Freiheiten eintrat. Patrick Peters zeichnet Leben, Werk und Wirkung Ludwig Uhlands nach und entwirft dabei das vielschichtige Bild einer literarisch und politisch herausragenden Persönlichkeit im Kontext einer aufregenden Zeit.
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Seitenzahl: 291
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Cover
Titelei
Einleitung
In Kurzform: Ludwig Uhlands Leben
Uhland als Dichter und Romantiker
Die deutsche Romantik: eine kurze Einführung
Gedichte 1805 bis 1812
Gedichte 1813 bis 1830
Exkurs: Das Schloss am Meere und Freie Kunst
Exkurs: Uhlands Dramen und Fortunatus-Fragment
Gedichte 1830 bis 1862
Uhland und der Schwäbische Dichterbund
Justinus Kerner: Programmdichter der schwäbischen Dichterschule
Wilhelm Hauff: Klassiker der märchenhaften Dichtung
Eduard Mörike: Das blaue Band des Frühlings
Exkurs: Die Zeit des Biedermeier
Fazit
Uhland als Wissenschaftler: Beiträge zu Germanistik und Dichtungstheorie
Über die Seele des Dichters und das Romantische
Uhlands Poetikvorlesungen: Das Stylisticum
Über die Gesellschaft für deutsche Sprache und weitere Vereinigungen
Geschichte, Heldensage, Nationalliteratur: Über die Sage vom Herzog Ernst
Fazit
Uhlands politische Laufbahn
Uhland als Sprecher der Landstände
Die Verfassung von 1819
Uhland im württembergischen Landtag
Uhland in der Frankfurter Nationalversammlung 1848/1849
Rückblick und Ausblick
Bibliographie
Persönlichkeiten aus dem Südwesten
Eine Übersicht aller lieferbaren und im Buchhandel angekündigten Bände der Reihe finden Sie unter:
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Der Autor
Prof. Dr. Patrick Peters ist Prorektor der Allensbach Hochschule (Konstanz) und lehrt dort PR, Kommunikation und digitale Medien. Der Literaturwissenschaftler und Master of Business Administration (MBA) arbeitet zudem als freier Publizist und Berater für Ethik und Kommunikation. Derzeit habilitiert er sich an der Universität Duisburg-Essen in der Germanistischen Mediävistik.
1. Auflage
Für die beiden Damen in meinem Leben
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1. Auflage 2024
Alle Rechte vorbehalten© W. Kohlhammer GmbH, StuttgartGesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:ISBN 978 – 3 – 17 – 044522 – 2
E-Book-Formate:pdf:ISBN 978 – 3 – 17 – 044523 – 9epub:ISBN 978 – 3 – 17 – 044524 – 6
Gotthold Ephraim Lessing, Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller, Friedrich Hölderlin, vielleicht auch Jean Paul, Joseph von Eichendorff, Heinrich von Kleist, Novalis, Adalbert Stifter, Eduard Mörike und Clemens Brentano: Die Zeit zwischen 1770 und 1850 gehört, zumindest im öffentlichen Ansehen, zur produktivsten, vielleicht gar bedeutendsten Phase der deutschen Literatur. Und die eben genannten Namen stehen exemplarisch für diese Phase, sind schulisch relevant und in der Breite der Bevölkerung bekannt und über sämtliche literarhistorischen Textsammlungen hinweg kanonisiert. Das wiederum führt dazu, dass (mittlerweile zumindest) zahlreiche andere berühmte Autoren jener Phase nicht mehr über die Beachtung und das Renommee verfügen, dass ihnen eigentlich zukommen sollte und das ihnen ursprünglich bereits zugekommen war.
Zu diesen vergessenen Berühmtheiten gehört Ludwig Uhland. Er war mit Goethe einer der meistgelesenen Schriftsteller des 19. Jahrhunderts, kaum eine Stadt in Deutschland, in der nicht eine Straße, ein Platz oder eine Schule den Namen Ludwig Uhlands trägt. Johann Ludwig Uhland: Der 1787 in Tübingen Geborene war Dichter, Literaturwissenschaftler, Jurist und Politiker, war Landtagsabgeordneter und Abgeordneter der Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche von 1848 und Professor für deutsche Sprache und Literatur an der Universität Tübingen. Kurzum: Ludwig Uhland war eine multitalentierte Persönlichkeit mit weitreichendem, bleibendem Einfluss in zahlreichen Gebieten.
Aber warum wird Ludwig Uhland hier als vergessene Berühmtheit bezeichnet, wo doch so viele öffentliche Orte an ihn erinnern? Dieses harsche Urteil entspringt vor allem der zurückgehenden Wahrnehmung Uhlands als Literat abseits von Fachkreisen. Eine einfache Namensrecherche auf einer der großen Online-Buchhandelsplattformen ergibt eine recht eingeschränkte Auswahl an Werken von und über Uhland, und viele davon sind nur als digitale Veröffentlichungen erhältlich. Eine wissenschafts- oder publikumsorientierte Biographie existiert genauso wenig wie eine Einführung in Werk und Gedankenwelt Uhlands. Während in den vergangenen Jahren (und häufig auch schon deutlich früher) zu mehr und mehr Dichtern der Zeit (Christoph Martin Wieland, E. T. A. Hoffmann, Novalis, Joseph von Eichendorff, Jean Paul, Heinrich von Kleist, Friedrich Hölderlin, Friedrich Schiller, Johann Wolfgang von Goethe) exzellente Biographien aus der Feder renommierter Autoren entstanden sind, ist Uhland völlig vom Radar in diesem Segment verschwunden. Auf der anderen Seite hat sich die Wissenschaft positioniert. Allein die Namenssuche im Online-Katalog der Deutschen Nationalbibliothek weist mehr als 1200 Monographien und Sammelbände aus, die einen Bezug zu Ludwig Uhland haben – eigenständige Aufsätze in Jahrbüchern, wissenschaftlichen Zeitschriften etc. nicht eingerechnet.
Somit besteht eine Lücke in der Uhland-Publizistik: Diese Lücke möchte der vorliegende Band schließen, um einerseits einen Beitrag zur Uhland-Forschung zu leisten und andererseits Leben, Werk und Wirkung nachzuvollziehen und das Bild einer literarisch und politisch bedeutenden und aufregenden Zeit zu zeichnen, mit Ludwig Uhland im Mittelpunkt. Denn immerhin sprechen wir von einer Zeit, in der sich in der Literatur die Weimarer Klassik, die Romantik und das Biedermeier entfalten, sich zahlreiche Wissenschaften rasant weiterentwickeln, das Bürgertum an Macht gewinnt, Europa große Umwälzungen durch die Französische Revolution, die Napoleonischen Kriege und den Wiener Kongress erfährt und Deutschland auf die Revolution von 1848/1849 als zentrales Ereignis für die deutsche Demokratie- und Nationalstaatsgeschichte zusteuert.
Und in dieser hochspannenden und historisch mehr als bedeutenden Gemengelage hat sich eben Ludwig Uhland als Exponent verschiedener Bereiche hervorgetan: Er war äußerst produktiver Schriftsteller, liberaler Politiker und einer der Gründerväter der wissenschaftlichen Germanistik, der bedeutende Beiträge zur Erforschung der Mediävistik geleistet hat. Damit steht er in der ersten Reihe mit den Größten dieser Jahrzehnte. In der Frankfurter Nationalversammlung von 1848/1849 war er mit Männern wie dem Dichter Ernst Moritz Arndt und dem Historiker Friedrich Christoph Dahlmann (Mitglied der berühmten »Göttinger Sieben«) aktiv, in der Germanistik steht er in einer Reihe mit den Brüdern Grimm, und als Dichter von Balladen wie Des Sängers Fluch, Schwäbische Kunde und Das Schloß am Meere kann man seine Stellung in der deutschen Literatur der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht hoch genug einschätzen.
Was also möchte dieses Buch erreichen? Es will die Augen für Ludwig Uhland in seinen multiplen Rollen öffnen, seine Relevanz für die deutsche Geistesgeschichte herausstellen und zeigen, welche Wirkung Ludwig Uhland auch heute noch hat – ohne dass sie in der Breite wirklich bekannt wäre. Daher verfolgt das Werk mehr den Ansatz, einen Überblick über Leben, Werk und Wirkung Ludwig Uhlands zu schaffen als einer strengen Biographik zu folgen. Es geht nicht darum, minutiös die persönliche Entwicklung Uhlands nachzuvollziehen, ausgiebig über familiäre Verhältnisse zu berichten und jeden Schritt seines Lebens nachzuzeichnen, so wie andere Dichterbiographien, die sehr tief (manche würden sagen: zu tief) in die Überlieferung des Alltags der in Frage stehenden Persönlichkeiten einsteigen und sogar die Dauer von Kutschfahrten und die Zutaten von Mittagsmählern referieren. Das soll (und kann) hier nicht geleistet werden, zumal es keinen wirklichen Mehrwert dazu beiträgt, Ludwig Uhland als historische Persönlichkeit zu präsentieren und Werk und Wirkung einzuordnen: literarhistorisch, wissenschaftlich, politisch-geschichtlich.
Daher ist diese Monographie nicht chronologisch aufgebaut, wie es in der Biographik sonst der Fall ist, sondern wird sich an bestimmten Themenkreisen orientieren, um der Multidimensionalität der Persönlichkeit Ludwig Uhland gerecht zu werden. Nach einem knappen biographischen Überblick, der zugleich auch die historischen Entwicklungen von Uhlands Lebenszeit in gebotener Kürze abbilden wird, soll sich das Werk entlang der Dimensionen »Dichtung«, »Forschung« und »Politik« entfalten, wobei die literaturgeschichtliche/literaturwissenschaftliche Darstellung den größten Teil einnehmen wird. Dazu dienen die Kapitel »Uhland als Dichter und Romantiker« und »Uhland und der Schwäbische Dichterbund«. Diese Kapitel werden Ludwig Uhland in die literarische Landschaft seiner Schaffenszeit einordnen, ihn ins Verhältnis zu anderen Dichterpersönlichkeiten setzen und verschiedene Werke genauer in den Blick nehmen. Die Herangehensweise ist eine durchaus traditionelle: Insbesondere die berühmten Balladen, die viele Menschen noch kennen, die aber nur wenige Uhland zuordnen können, werden eingehend analysiert und interpretiert. Dabei werden Exkurse in die Literatursystematik der Zeit nicht fehlen, denn ohne das Verständnis vor allem der Literatur der Romantik ist auch das Schaffen Uhlands nicht zu verstehen. Ebenfalls im zeithistorischen Kontext ist das Kapitel »Beiträge zu Germanistik und Dichtungstheorie« zu sehen. Uhland hat als Wissenschaftler in der Gründerzeit der Germanistik Wichtiges geleistet und ist nicht allzu weit von den Brüdern Grimm als den Vätern der wissenschaftlichen Germanistik entfernt. Das Kapitel wird also die wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung Uhlands aufnehmen und betrachten, was er in dieser Phase, parallel zu anderen Persönlichkeiten, hervorgebracht hat und welche Wirkung dies hervorgerufen hat. Das Kapitel »Uhlands politische Laufbahn« stellt Uhland als Politiker in den Vordergrund und ordnet seine Leistungen als Landtagsabgeordneter und Abgeordneter zur Nationalversammlung von 1848/1849 ein. Uhland ist ein großer liberaler politischer Mensch, der sich viele Jahrzehnte unter großen Mühen und gegen viele Widerstände in die politische Landschaft eingebracht hat. Der deutsche republikanische Liberalismus hat ihm viel zu verdanken, die von ihm maßgeblich geprägte Verfassung des Königreichs Württemberg von 1819 war ein großer Erfolg und ein Meilenstein in der Geschichte des Landes. Uhland ist nicht allein Mann des Wortes, sondern auch Mann der politisch-demokratischen Tat! Das leitet dann über zur Betrachtung von Nachleben und Rezeption, denn Uhland hatte, wie bereits genannt, im späteren 19. Jahrhundert höchste Reputation als Dichter, Denker und Demokrat. Fazit und Ausblick schließen das Buch.
Die Ausrichtung des Werks ist weder populärwissenschaftlich noch fachwissenschaftlich, weder schnell verdaulich noch allzu hoch aufgehängt. Es verfolgt vielmehr den Ansatz, der im Schwedischen als »Lagom« bekannt ist und sich als skandinavischer Wohlfühltrend etabliert hat. »Lagom« bedeutet in etwa »nicht zu viel und nicht zu wenig« oder auch »gerade recht«. Somit ist auch diese biographisch angelegte Monographie genau in der Mitte positioniert: zwischen belangloser Beliebigkeit und akademischem Elfenbein, zwischen allzu schlichten Dreiwortsätzen und hochgestochener Unlesbarkeit. Das Buch will damit eine Reise durch das Leben und das Werk der faszinierenden Persönlichkeit Ludwig Uhland unternehmen und damit einen Beitrag zur Neubelebung der Beschäftigung mit diesem bedeutenden Mann leisten. Literarisch, historisch und kulturwissenschaftlich Interessierte sollen in dem Werk fündig werden und sich unter dem bekannten aufklärerischen Motto »Prodesse et Delectare« (»nützen und erfreuen«) unterhalten und belehren lassen. Und der Band soll auch, dass muss in aller Ehrlichkeit gesagt werden, für die Neuentdeckung und Neubewertung Ludwig Uhlands werben. Es lohnt sich, Uhland aus verschiedenen Perspektiven heraus neu zu betrachten und ihn für das 21. Jahrhundert zugänglich zu machen. Daher sollen auch Bezüge zu Uhland-Erinnerungsorten hergestellt werden, denn wer Uhland für sich selbst erschließen will, kann sich ihm auch als kulturell Reisender nähern. Das gelingt am ehesten im sonnigen Südwesten Deutschlands; von dort stammt Uhland, dort verbrachte er sein Leben als große, anerkannte Persönlichkeit.
Wie in der Einleitung angekündigt, soll hier kein biographisches Bild Uhlands in den kleinsten Details gezeichnet werden. Die Monographie verfolgt nicht den Zweck, Uhlands Speiseplan, Lieblingsschneider oder bevorzugte Sitzpositionen auf Kutschreisen darzulegen. Daher soll dieses zweite Kapitel wirklich auch nur einen Abriss des Lebens bieten und unter anderem Uhlands Familie historisch und sozial einordnen und vor allem die erste Lebensphase Uhlands darstellen. Die weiteren biographischen Schritte sind so eng mit dem Schaffen Uhlands verknüpft, dass die Lebensstationen jeweils im Kontext der Fachkapitel gesehen und dargestellt werden sollen.
Ludwig Uhland kommt am 26. April 1787 in Tübingen als Sohn des Universitätssekretärs Johann Friedrich Uhland und seiner Frau, der Pfarrerstochter Elisabeth, einer geborenen Hofer, zur Welt. Seine Familie gehört zur württembergischen »Ehrbarkeit« des gehobenen Bürgertums. Die Ehrbarkeit hat sich an der Schwelle zur Frühen Neuzeit als städtische Oberschicht herausgebildet, ihre bürgerlichen Mitglieder waren typischerweise Patrizier, Großkaufleute und Gelehrte, und Uhland selbst stammt aus einer Familie der Gelehrsamkeit, deren Historie sich bis ins 16. Jahrhundert nachweisen lässt. Die württembergische Ehrbarkeit hatte eine besondere Qualität aufgrund der konfessionsgeschichtlichen Entwicklung des Herzogtums Württemberg, das 1495 durch eine Rangerhöhung aus der Grafschaft Württemberg hervorgegangen war. Der württembergische Herzog Ulrich war im Jahr 1534 bereits zum Protestantismus übergetreten, während hingegen die ehemals landsässigen Adelsgeschlechter (also jene Ritter, die einen Landesherrn über sich und ihr Lehen nicht vom König beziehungsweise Kaiser erhalten hatten) weitgehend katholisch geblieben waren. Aufgrund dieser konfessionellen Differenzen sahen sich diese Adligen nicht dem Herzog verpflichtet, sondern hatten sich direkt dem Kaiser als Reichsritter unterstellt. Dadurch wurde im württembergischen Landtag (damals Landschaft genannt) Platz für Angehörige des Stadtbürgertums und der protestantischen Geistlichkeit.
In dieses geistig-soziale Umfeld wird Ludwig Uhland geboren, und Vater und Großvater stehen fest in dieser Tradition. Der Großvater Ludwig Josef Uhland (1722 bis 1803) war Diakon in Marbach am Neckar und später zweiter Diakon an der Tübinger Stiftskirche (Stiftskirche zu St. Georg, Holzmarkt 1), bevor er einen Ruf als Professor für Universalgeschichte und württembergische Geschichte, Chronologie und Staatsverfassung an der Eberhard Karls Universität Tübingen erhielt, an der er später Theologie lehrte, während er das Amt des zweiten Superintendenten des Tübinger Stifts innehatte. Die Allgemeine Deutsche Biographie charakterisiert Ludwig Josef Uhland im geistesgeschichtlich-heimeligen Duktus des späten 19. Jahrhunderts folgendermaßen (Schott 1895, S. 146 f.):
»Er war als Prediger wohl etwas trocken, aber als Seelsorger und Lehrer der Jugend war der aufrichtig fromme und gewissenhafte Mann überall geachtet. [...] Sein Fach war die alt- und neutestamentliche Exegese und bis zum Wintersemester 1802/03 hat er eifrig dieselbe vorgetragen. Besonders über die prophetischen Bücher des Alten Testaments und über die Psalmen las er, vom Neuen Testament über die Briefe an die Römer, Corinther und Hebräer, daneben Erklärung der symbolischen Bücher der lutherischen Kirche, Eherecht, Pastoraltheologie und Liturgik der lutherischen und württembergischen Kirche. Er war ein Mann großer Gelehrsamkeit und ebensolchem Fleiße, aber trocken und sehr weitschweifig; der pedantische, etwas eckige und unbeholfene Gelehrte, der festhielt an der verjährten Art der ausführlichsten Exegese, so daß er drei Stunden bedurfte für die Krüge bei der Hochzeit von Cana und Jahre lang über Jesaia oder die Psalmen vortrug, gewann wenig Einfluß auf die Studenten, wenn sie auch seine ehrwürdige Persönlichkeit achteten.«
Die Allgemeine Deutsche Biographie nimmt auch Stellung zu Großvater Uhlands privater Verfassung (Schott 1895, S. 147):
»Er selbst hat, und mit Recht, sein Leben ein glückliches genannt, noch im 80. Jahre konnte er dankend rühmen, daß er Sorge und Furcht nie gekannt habe. Er lebte in glücklichster Ehe mit seiner trefflichen, reichbegabten und gemüthvollen Frau, die ihn mit sechs Söhnen und sechs Töchtern beschenkte, von welchen je vier die Eltern überlebten. Das reiche, tiefe Gemüth der Frau, ihre lebendige Frömmigkeit, ihr treues und verständnißvolles Sorgen für Mann und Kinder zeigt sich in den noch erhaltenen schönen Familienbriefen.«
Einer dieser Söhne ist Uhlands Vater Johann Friedrich Uhland (1756 bis 1831), der ab 1783 als Universitätssekretär in Tübingen tätig war. Die Familie hatte insgesamt vier Kinder, von denen die beiden weiteren Knaben früh verstarben und die Schwester Luise auch kaum älter wurde als 40.
Die renommierte Gelehrtenfamilie Uhland residiert zunächst in der Tübinger Neckarhalde 24. Die Straße verläuft am Südhang unter dem Schloss Hohentübingen, das Geburtshaus ist mit seiner denkmalgeschützten und daher unveränderten Fassade erhalten. Die Lage ist prominent, in der sogenannten Museumsvilla im Theodor-Haering-Haus in der Neckarhalde 31 ist ein Teil der Sammlungen der Stadt Ulm untergebracht, und »die sogenannte Villa Hügel in der Neckarhalde 64 gilt als eines der schönsten Häuser in Tübingen. Der fünfstöckige Fachwerkbau mit dem prachtvollen Erker ist meilenweit zu sehen. Das Giebeldach ist flach und an den Spitzen abgewalmt, was mit den umlaufenden Holzgalerien über der Terrasse mit der eingewölbten Nische an ein Tiroler Chalet erinnert.« (Tagblatt Anzeiger 2022) Kurz nach der Geburt des Dichters zieht die Familie zum Großvater in die Tübinger Hafengasse, wo sich heute unter anderem die traditionsreiche Mensa Prinz Karl befindet.
Ludwig Uhlands Gelehrtenleben beginnt 1793 mit dem Besuch der Tübinger Lateinschule, der ehemaligen Schola Anatolica als Vorgängerin des heutigen Uhland-Gymnasiums. Die mittelalterliche Lateinschule wurde vermutlich vor 1274 gegründet und war seit 1535 de facto staatliche Schule durch eine auf den bereits genannten Herzog Ulrich zurückgehende kontinuierliche Finanzierung. Das Institut hat, nicht nur wegen seiner Historie, eine gewisse Berühmtheit: So waren beispielsweise Wilhelm Hauff und der 1975 seliggesprochene katholische Priester und Ordensgründer Carlo Steeb Schüler der Tübinger Schola Anatolica. Uhland besucht die Schule mit Auszeichnung bis 1801 und wechselt dann bereits, weil die Schola Anatolica keine höheren Klassen besitzt, auf die Universität, um dort Jura zu studieren, wobei sein Fachstudium erst 1805 beginnt (vgl. Fischer 1895). Die juristische Fakultät der Universität Tübingen gehört schon früh zu den bedeutenden in deutschen Landen, auch wenn sie zwischenzeitlich in einer Krise steckt – und zwar genau dann, als Uhland dort studiert (Finkenauer o. J.):
»Bereits die junge Fakultät konnte in Europa führende Rechtsgelehrte gewinnen: 1535 Johann Sichardt (1499–1552), 1553 – für freilich nur kurze Zeit – den Pariser Charles Dumoulin (Carolus Molinaeus) (1500–1566) sowie 1555 Matthäus Gribaldus Mopha, einen der letzten Vertreter des mos italicus und eine europäische Berühmtheit. Einer der angesehensten Gelehrten seiner Zeit, Christoph Besold (1577–1638), war von 1610 bis 1636 Professor Pandectarum in Tübingen; er darf als der wichtigste Vordenker des Bundesstaats gelten, sein »Thesaurus practicus« wurde als Rechtslexikon für die juristische Praxis unentbehrlich. Wolfgang Adam Lauterbach (1618–1678) war einer der beliebtesten Lehrer des römischen [sic] Rechts im 17. Jahrhundert, seine Kollegienhefte fanden im gesamten Reich weite Verbreitung. Im 18. Jahrhundert erfuhr die Fakultät einen Niedergang, so dass es Anfang des 19. Jahrhunderts überhaupt nur noch drei Professoren gab.«
In dieser Zeit erwacht bereits Uhlands philologisches Interesse, sodass er sich als Stipendiat des Evangelischen Stifts Tübingen, heute Studienhaus der evangelischen Landeskirche in Württemberg, das auf die Gründung durch Herzog Ulrich zur theologischen Ausbildung begabter Württemberger nach der Reformation zurückgeht, mit der »Fortsetzung der philologischen Uebungen der Lateinschule« (Fischer 1895, S. 148) beschäftigt. Dabei »trieb er nicht bloß alte Philologie, sondern auch schon etwas mittelalterliche; den Saxo Grammaticus und das sog. Heldenbuch hat er schon in ganz jungen Jahren gelesen.« (Fischer 1895, S. 148) Außerdem »belegte er allgemeinbildende Kurse in der Artistenfakultät und erhielt philologische und literarische Impulse von David Christoph Seybold, Christian Friedrich Roesler und Karl Philipp Conz. Aus der Studienzeit stammt U[hland]s Vorliebe für einige Werke, die ihn lebenslang beschäftigten: das Walthariuslied, Veit Webers ›Sagen der Vorzeit‹, die ›Gesta Danorum‹ des Saxo Grammaticus, Herders Volksliedersammlung und das mittelhochdt. ›Heldenbuch‹.« (Fröschle 2016, S. 536)
Ludwig Uhland gilt als fleißiger und zurückhaltender Student und betätigt sich bereits frühzeitig schriftstellerisch, unter anderem auch im Kontext der Fortsetzungen der Lateinübungen seiner Schola Anatolica. Der jugendliche Uhland hat laut Fischer »gewandte, ansprechende Versuche in classicistischer Manier, aber ohne individuelle Art« (1895, S. 148) vorgelegt, die auch nicht erhalten sind. Die eigene Dokumentation durch Uhland »beginnt erst 1804 mit den nordischen Scenen ›Die sterbenden Helden‹ und ›Der blinde König‹ (dieses in einer ältern Form, die bekannte ist von 1814)« (Fischer 1895, S. 148).
Dieses frische Selbstbewusstsein als Dichter fällt zusammen mit dem Eintritt von Justinus Kerner in die Universität Tübingen. Der späterhin berühmte Dichter, 1786 in Ludwigsburg geboren und 1862 in Weinsberg gestorben, studiert auf Vermittlung seines ehemaligen Pfarrers und Lehrers Karl Philipp Conz Medizin und Naturwissenschaften und promoviert 1808. Karl Philipp Conz ist ab 1804 Inhaber des Lehrstuhls für Klassische Philologie, übersetzt die großen griechischen Lyriker und verfasst zahlreiche Fachaufsätze und poetische Schriften, unter anderem über die Geschichte und Landschaft Württembergs.
Uhland und Kerner befreunden sich schnell und nehmen auch Gustav Schwab und Karl Meyer in den Bund auf. Dieser lebenslange Freundeskreis bildet den Nukleus des sogenannten Schwäbischen Dichterkreises, über den bald noch zu schreiben sein wird und der sich später zum Seracher Dichterkreis (ab 1831) ausweiten wird. Der Name bezieht sich auf Schloss Serach, den Sommersitz des Grafen Alexander von Württemberg bei Esslingen am Neckar. Dem Seracher Dichterkreis gehörten Ludwig Uhland, Nikolaus Lenau, Emma Niendorf, Gustav Schwab, Justinus Kerner, Hermann Kurz, Karl Mayer, Karl August Varnhagen von Ense und Alexander von Württemberg an. Man erkennt auch an dieser Gruppierung, dass Uhland Zeit seines Lebens in hohen, renommierten Kreisen verkehrt und dabei auch im Mittelpunkt angesiedelt ist. Während von ihm und Kerner der Schwäbische Dichterbund ausgeht, sammeln sich im Seracher Dichterkreis neben den Teilnehmern des Schwäbischen Dichterbunds weitere Hochangesehene der Zeit inklusive des württembergischen Hochadels. Alexander Christian Friedrich Graf von Württemberg war immerhin ein Neffe des Königs Friedrich I. von Württemberg.
Die Freunde unternehmen gemeinsame Wanderungen und geben sich Natur- und Geschichtsbetrachtungen hin, wie sich beispielsweise an einem der frühen überlieferten Gedichte Uhlands zeigt: In Die Kapelle (1805) beschreibt ein unbekannter und ungenannter Sprecher den Blick aus einem Tal auf eine etwas oberhalb gelegene Kapelle und macht in der ersten Strophe den Gegensatz von unten (Fröhlichkeit und Leben, materialisiert im Hirtenknaben) und oben (Traurigkeit und Tod, beschrieben in der Beerdigungsszene) deutlich. »Droben stehet die Kapelle, / Schauet still in's Thal hinab, / Drunten singt bei Wies' und Quelle / Froh und hell der Hirtenknab'. // Traurig tönt das Glöcklein nieder, / Schauerlich der Leichenchor; / Stille sind die frohen Lieder, / Und der Knabe lauscht empor. // Droben bringt man sie zu Grabe, / Die sich freuten in dem Thal; / Hirtenknabe! Hirtenknabe! / Dir auch singt man dort einmal.« (Uhland 1815, S. 22) Im Verlaufe des Gedichtes versinkt der Ton dann in Melancholie und evoziert die Sterblichkeit aller Menschen, denn auch den Hirtenknaben, gerade noch in der Blüte seiner Jugend, wird der Tod zwangsläufig ereilen wie alle anderen, die sich zu Lebzeiten noch in dem schönen Tale erfreuen. Ohne sich hier gefühlsduselig anbiedern zu wollen, kann sich der Leser diese lyrische Szenerie sicherlich bildlich vorstellen, hat ein ansehnliches, beeindruckendes Naturbild vor Augen, sieht die Kapelle und versetzt sich hinein in die Gefühlswelt des Sprechers, der in fröhlicher, vielleicht frühlingshafter, gar sommerlicher Natur und Stimmung über Tod und Vergänglichkeit nachdenkt, ausgehend von dem kleinen Bauwerk oberhalb des Tales.
In den kommenden Jahren entstehen weitere Gedichte, die zu den berühmtesten der deutschen Literatur gehören, unter anderem Der gute Kamerad (1809) und Frühlingsglaube (1812). Beide Texte werden wir später ausführlich verhandeln. Wir dürfen nicht vergessen: Uhland ist 1787 geboren und beim Verfassen von »Der gute Kamerad«, das vor allem gesungen auf eine Melodie von Friedrich Silcher (1825) bekannt ist, erst 22 Jahre alt. Während andere Menschen noch ihre erwachsene Identität suchen, lebt Uhland bereits seine herausragende literarische Gabe aus und hinterlässt der Literaturgeschichte bleibende Werke von höchstem Rang. Aber der eben immer noch junge Mann vergisst dabei seine juristischen Studien nicht: »Die Jurisprudenz hat U[hland] mit der Gewissenhaftigkeit studirt, die jede Handlung seines Lebens kennzeichnet; 1808 bestand er das Examen vor der Facultät und erwarb sich am 5. April 1810 die Doctorwürde durch die (von Vangerow gerühmte) Dissertation ›De juris romani servitutum natura dividua vel individua‹.« (Fischer 1895, S. 148)
Nach bestandenem Doktorexamen reist Uhland nach Paris (ganz im Sinne der Tradition der Bildungsreise gelehrter und begüterter Stände), um auf Ansinnen des Vaters die französische Rechtsordnung, den »Code Napoléon« zu studieren. Das tut er auch, aber vor allem gilt sein Interesse der altfranzösischen und altdeutschen Literatur. Die Juristerei liegt Uhland eher fern, auch wenn er Anfang 1811 aus Paris nach Tübingen zurückkehrt und eine Anwaltskanzlei eröffnet. Parallel befasst er sich mit seinen philologischen Studien, unterstützt von seinem Freund Gustav Schwab, den wir heute für seine Sagen des klassischen Altertums kennen. Schwab (1792–1850) stammt aus einem ähnlichen Umfeld wie Uhland, denn auch seine Familie gehört der württembergischen Ehrbarkeit an. Schwab studiert ab 1809 Philologie und Philosophie, später dann Theologie und ist wie Uhland Stipendiat des Evangelischen Stifts in Tübingen. Offensichtlich wird die Literatur für Uhland so wichtig, dass er seine Kanzlei nach nicht einmal zwei Jahren bereits wieder schließt und in Stuttgart eine Anstellung als zweiter Sekretär des württembergischen Justizministers übernimmt. Stuttgart bleibt für 17 Jahre Uhlands Heimat, aber die unbezahlte Tätigkeit für das Ministerium währt nicht lange, sodass aus Uhland kein württembergischer Karrierebeamter wird. Im Mai 1814 quittiert ein frustrierter und ungeduldiger Uhland den Dienst mit sofortiger Wirkung (zum Missfallen des Ministers) und befasst sich einerseits intensiv mit seiner schriftstellerischen Tätigkeit und andererseits mit der Politik. In dem Jahr entsteht denn auch Uhlands wohl berühmteste Ballade Schwäbische Kunde, die das historische Ereignis des Dritten Kreuzzuges ab 1189 aufgreift. Auch über diese wird später noch ausführlicher zu schreiben sein.
Ab diesem Zeitpunkt ist die Biographie Uhlands aufs Engste mit seinem literarischen, politischen und wissenschaftlichen Schaffen verknüpft, das in den folgenden Kapiteln im Fokus stehen soll. Daher kann der biographische Abriss an dieser Stelle nun verkürzt werden, um nicht allzu viel den kommenden Kapiteln vorzugreifen. Wichtig an dieser Stelle ist noch der Bericht über die familiären Verhältnisse Uhlands. Nach einigen Jahren in der Politik – Uhland ist, soviel sei hier gesagt, führender Sprecher der württembergischen Landstände und mehrfach Abgeordneter im Landtag – heiratet der Dichter am 29. Mai 1820 Emilie Auguste Vischer (1799–1881). Emilie Auguste Vischer ist die Tochter des reichen Kaufmanns und Chefs der Floß- und Holzhandels-Compagnie Johann Martin Vischer aus der baden-württembergischen Stadt Calw, etwa 33 Kilometer westlich von Stuttgart gelegen. Johann Martin Vischer hatte das Palais Vischer nach Plänen des Stuttgarter Herzoglichen Oberbaudirektors Reinhard Ferdinand Heinrich Fischer errichten lassen. Reinhard Ferdinand Heinrich Fischer, ein Großonkel Emilie Auguste Vischers, ist Vertreter des Schwäbischen Klassizismus und neben seiner Tätigkeit als Oberbaudirektor am Hofe Herzog Carl Eugens von Württemberg Professor der Zivilbaukunst und Dekan der Fakultät der Freien Künste an der Hohen Karlsschule. Das Gebäude, 1961 von der Stadt aus Privatbesitz erworben, beherbergt heute das Calwer Museum, in dem eine Präsentation über Hermann Hesse eingerichtet ist. »Einige Innenräume sind in ihrem ursprünglichen Zustand erhalten und geben Einblick in die gehobene Wohnkultur der damaligen Zeit. Das Museum zeigt in 18 Räumen Sehenswertes zur Stadtgeschichte, informiert über besondere Ereignisse und stellt bedeutende Personen vor. Themen sind u. a.: die Calwer Compagnie als bedeutender Wirtschaftsfaktor in Württemberg, Leben und Werk der weltberühmten Apothekerfamilie Gärtner, der Calwer Ulrich Rülein und sein wichtigstes Buch zum Bergbau und die bäuerliche Welt des Calwer Waldes.« (Stadt Calw o. J.)
Emilie Auguste Vischers Vater stirbt bereits 1801, und später heiratet die Mutter Friederike Auguste Emilie, eine geborene Feuerlein, Johann August Ferdinand von Pistorius, württembergischer Hofrat und Politiker und Mitglied des Württembergischen Staatsgerichtshofes. Emilie Auguste Vischers Großvater ist Carl Friedrich Feuerlein, Regierungsrat des Herzogtums Württemberg und langjähriger Geheimer Kabinettssekretär. Er bewohnt ein renommiertes Haus in der Stuttgarter Seegasse (heute Friedrichstraße 46), das ebenfalls von Reinhard Fischer errichtet worden ist, und das nach seinem Tod 1808 an den Schwiegersohn Ferdinand von Pistorius und die Tochter Friederike Auguste Emilie übergeht. Was ein wenig nach historischem Namedropping und Getratsche aus der Yellow Press aussieht, soll nichts anderes zeigen als den hohen Status, den Uhland nicht nur von Geburt aus hat, sondern den er auch durch seine Heirat in die Familie Vischer/Feuerlein/von Pistorius erhält und ausbaut. Denn seine Frau ermöglicht ihm später die Arbeit in finanzieller Unabhängigkeit und schreibt auch eine Biographie über ihn. Emilie überlebt ihren Mann um 19 Jahre und verstirbt 1881 mit 82 Jahren. Die Ehe bleibt kinderlos.
Ludwig Uhland zieht 1830 mit seiner Frau nach Tübingen und wird Professor für deutsche Sprache und Literatur an der Universität. Später nimmt das Ehepaar einen Neffen und den Sohn eines verstorbenen Freundes auf und bezieht ein großes Haus für die gewachsene Familie (Freies Wissen e. V. o. J.):
»Sein Wohnhaus stand am nördlichen Ende der Neckarbrücke auf der Ecke Mühlstraße / Gartenstraße. Das 1828 erbaute klassizistische Gebäude in damaliger ›1a‹-Lage vor den Toren der Stadt mit steilem Obst- und Weingarten erwarb und bezog er mit seiner Frau Emilie im Jahr 1837. Die später benachbarte Burschenschaft Germania, der Uhland angehört hatte, kaufte das Haus 1910 und unterhielt darin u. a. ein kleines Uhland-Museum. Dessen Exponate, darunter Schriften und Uhlands Totenmaske, sind heute in einer Vitrine im Germanenhaus ausgestellt. – Das Wohnhaus wurde bei einem Bombenangriff in der Nacht vom 15. auf 16. Mai 1944 zerstört. [...] Der große Garten darüber, der hoch bis zur Österbergstraße reicht, ist heute eine denkmalgeschützte Grünfläche, aber nicht öffentlich zugänglich.«
Die Burschenschaft Germania Tübingen ist eine schlagende und farbentragende Studentenverbindung, die älteste Burschenschaft in Tübingen und eine der ältesten Burschenschaften überhaupt. Sie wird am 12. Dezember 1816 in Tübingen gegründet. Neben Ludwig Uhland, der kurz vor seinem Tod das Ehrenband der Tübinger Burschenschaft erhält, gehören und gehörten zahlreiche weitere prominente Personen aus Politik, Wirtschaft und Kultur der Burschenschaft Germania an, unter anderem der spätere württembergische Ministerpräsident Wilhelm August von Breitling, der Schriftsteller Berthold Auerbach und mehrere Abgeordnete der Frankfurter Nationalversammlung.
Ludwig Uhland verstirbt am 13. November 1862 im Alter von 75 Jahren und wird auf dem Tübinger Stadtfriedhof beigesetzt, nahe der letzten Ruhestätte Friedrich Hölderlins. Seine Frau ist neben ihm bestattet. Die Grabstätte ist eingezäunt. Als Uhland am 26. April des gleichen Jahres noch seinen 75. Geburtstag feierte, kam dies einem nationalen Feiertag gleich, obwohl der Dichter, vielleicht in Folge der Reise zur Beerdigung seines Freundes Justinus Kerner, der am 23. Februar 1862 in Weinsberg starb, erkrankte und somit »die Feiern seines 75. Geburtstags [...] nur von fern in der Stille verfolgen« konnte (Fröschle 2016, S. 161). Zur Feier des Geburtstags wurden überall im Land Uhland-Linden und -Eichen gepflanzt, und auch seine »Beerdigung am 16. November, zu welcher von Stuttgart zwei Extrazüge abgelassen wurden, gestaltete sich zu einer großartigen Feier« (Fröschle 2016, S. 161). Das zeugt von der allerhöchsten Reputation, die Uhland genoss.
Was Ludwig Uhland ebenso ausmacht, ist seine überlieferte Zurückhaltung als Privatmann, der den preußischen Orden »Pour le Mérite« und den bayerischen »Maximiliansorden für Wissenschaft und Kunst« ablehnt. Im tragenden Habitus der Allgemeinen Deutschen Biographie heißt es (Fischer 1895, S. 162):
»U[hland] war als Mensch derselbe wie als Dichter, Forscher und Politiker: ohne hervorstechende, blendende Eigenschaften, aber mit Vorzügen begabt, die auf die Dauer gewinnen; mehr treuer Freund als feuriger Liebhaber; nie sich hervordrängend, versagte er sich nie, wo er es für Pflicht hielt; schüchtern, unbeholfen, von einer erdrückenden Schweigsamkeit, war er im engeren Kreise lebendig und heiter und im rechten Augenblick auch der zündenden Rede fähig; einer jener sozusagen passiven Charaktere, welche nicht führend auftreten, aber auch nie vom Flecke weichen, daher ohne fruchtbare Wirksamkeit in den Epochen, wo der Knoten mit dem Schwerte durchhauen werden mußte, aber um so werthvoller in den Tagen stagnirender Indifferenz [...] Sein Aeußeres war wenig ausgezeichnet, die Gesichtszüge eher häßlich, nur die Stirn bedeutend, der Kopf von ausgeprägt germanischer Bildung, wie sie in seiner Heimath selten so rein hervortritt; Augen blau, Haare blond.«
Das war Ludwig Uhland: so zurückhaltend wie überzeitlich bedeutend, so unscheinbar wie vielfältig begabt, so bescheiden wie exzellent vernetzt.
Ludwig Uhland gehört durch seine Geburt 1787 zur zweiten Generation der deutschen Romantiker. Clemens Brentano ist zehn Jahre älter, E. T. A. Hoffmann zwölf Jahre, Ludwig Tieck 14 Jahre, Novalis und Friedrich Schlegel 15 Jahre, August Wilhelm Schlegel sogar 20 Jahre. Aus der Riege der späteren Romantiker ist wohl nur der 1788 geborene Joseph von Eichendorff im Renommee mit Uhland auf eine Stufe zu stellen. Als Uhland das Licht der Welt erblickt, ist der 38-jährige Johann Wolfgang von Goethe längst auf seiner italienischen Reise unterwegs und hat bereits viele seiner bedeutenden Werke verfasst, der 28-jährige Friedrich Schiller hat, neben seinen berühmten frühen Dramen, unter anderem bereits die Ode An die Freude verfasst und ist auf dem Sprung auf die Professur nach Jena – sodass die Weimarer Klassik, die wohl bedeutendste Epoche der deutschen Literatur- und Geistesgeschichte, rund um die Geburt Uhlands bereits greifbar wird und sich bekanntlich spätestens ab 1794/1795 voll entfaltet.
Für das Schaffen Ludwig Uhlands bedeutet das, sich im Windschatten der Größten der deutschen Literatur positionieren zu müssen. Als 1812 »Frühlingsglaube« entsteht, eines von Uhlands wohl bekanntesten Gedichten, ist Friedrich Schiller schon sieben Jahre verstorben, Johann Gottfried Herder sechs Jahre. Beide haben ein gigantisches Werk von größtem (Nach-)Ruhm hinterlassen, und auch die Werke Jean Pauls, Friedrich Hölderlins und Heinrich von Kleists dürfen nicht vergessen werden, ganz zu schweigen vom Œuvre Goethes, der sich auf dem Höhepunkt seines Ruhms zu Lebzeiten befindet und als Dichterfürst in Weimar residiert. Dieses Namedropping soll zeigen, in welchem Umfeld Ludwig Uhland mit seinem literarischen Schaffen beginnt. Er tritt in einen literarischen Markt ein, der – in Begriffen der Neuzeit – die Champions League der Literatur darstellt und durch die größten denkbaren Werke besetzt ist. Man stelle sich vor, dass zwischen 1809 und 1812 Goethes Die Wahlverwandtschaften und Dichtung und Wahrheit, Heinrich von Kleists Die Marquise von O. ..., Michael Kohlhaas und Der zerbrochne Krug erscheinen, Ludwig Tiecks Phantasus und Joseph von Eichendorffs erste lyrische Proben entstehen, dazu exzellente Stücke wie In einem kühlen Grunde (auch bekannt als: Das zerbrochene Ringlein) und Frische Fahrt als eines der Programmgedichte der Romantik.
Uhland nimmt es also mit den Großen und Größten auf – und schafft es nichtsdestotrotz, sich zügig einen entsprechenden Rang zu erarbeiten. Wir wollen uns in der Folge mit dem literarischen Schaffen Uhlands chronologisch einigermaßen stringent auseinandersetzen und eine ganze Reihe an Gedichten tiefergehend betrachten. Um diese Texte aber literaturgeschichtlich genau kontextualisieren zu können, ist es notwendig, den literaturhistorischen Rahmen vorab herzustellen. Das ist eben die Romantik, und ohne die Romantik zu verstehen, können wir Uhlands Werk nicht verstehen. Daher wird dieses Kapitel – aufgrund der literarischen und literaturhistorischen Bedeutung Uhlands das längste des Bandes – mit einem Abriss der literarischen Romantik in Deutschland eingeleitet. Im späteren Rückgriff auf dieses Rahmenwissen kann dann gezeigt werden, warum Ludwig Uhland als Lyriker zu den Schriftstellern der romantischen Schule gezählt wird.
Um die Darstellung so präzise wie möglich zu halten, soll hier nicht das Begriffspaar Romantik/romantisch im breiten Kontext behandelt werden. Darüber haben sich große Geister hinreichend Gedanken gemacht, und die Einordnung über alle Kunstsysteme hinweg wäre auch gar nicht zu leisten. Die literarische Romantik lässt sich hingegen einigermaßen treffsicher zeitlich einordnen: »Seit etwa 1810 setzte [der Begriff des Romantischen; Verf.] sich als Bezeichnung der gesamten nichtklassischen zeitgenössischen Literatur durch und umfaßt als Epochenbegriff heute die Literatur zwischen 1795 und 1830.« (Bahr 1998, S. 345) Für den geistesgeschichtlich geprägten Germanisten Hermann August Korff bildet die Romantik die zweite Generation der Goethezeit (1770 bis 1830), die sich »gegen die zeitlich benachbarten Epochen: die Aufklärung des 18. Jahrhunderts hier und den bürgerlichen Realismus des 19. dort« absetzt. Die Romantik sei damit mithin auch kein Gegensatz zur Klassik, keine Gegenströmung gegen den klassischen Geist, »sondern dessen organische Fortbildung auf vorgerückter Stufe: der alte Geist der Goethezeit in generationsmäßig verwandelter Form« (Korff 1949, S. 5). Sie beziehe sich vorrangig auf die »Romantisierung der humanistischen Gedankenwelt, des philosophischen Weltbildes, das die erste Generation geschaffen hat« und die »Romantisierung der humanistischen Gestaltenwelt, der konkreten Welt- und Lebensbilder, in denen sich auf dichterische Weise das humanistische Welt- und Lebensgefühl ausgewirkt [sic]« (Korff 1949, S. 7).