Nachhaltige Wirtschafts- und Unternehmensethik - Patrick Peters - E-Book

Nachhaltige Wirtschafts- und Unternehmensethik E-Book

Patrick Peters

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Beschreibung

Die Ethik beschäftigt sich als "praktische Philosophie" mit der Beantwortung der Frage: Was sollen wir tun? Im Kontext von Wirtschaft, Unternehmen und der Klimadebatte stößt man dabei immer häufiger auf Nachhaltigkeit als integralem Lösungskonzept für ethisches Handeln. Im Zentrum der Argumentation steht dabei der Interessensausgleich zwischen ökonomischen, ökologischen und sozialen Leistungen, wobei gerade dieser Anspruch nicht frei von unrealistischen Annahmen, Widersprüchen und Konflikten ist. Zugleich eröffnet das Konzept die Chance eines ganzheitlichen, wirtschaftlich zielorientierten und im Außen- wie Innenverhältnis wirksamen Auftretens gegenüber den vielen Interessengruppen. Der ausgehend von praktischen Problemstellungen konzipierte Leitfaden liefert eine fachlich fundierte, dabei aber operativ einsetzbare Begründung für Sinn und Zweck sowie Möglichkeiten und Grenzen einer nachhaltigen Ethik im ökonomischen Kontext.

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Wirtschaft kontrovers

Herausgegeben von Prof. Dr. Patrick Peters

Patrick Peters

Nachhaltige Wirtschafts- und Unternehmensethik

Ein Leitfaden für Wissenschaft und Praxis

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

1. Auflage 2023

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-042732-7

E-Book-Formate:

pdf: ISBN 978-3-17-042733-4

epub: ISBN 978-3-17-042734-1

Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.

Inhaltsverzeichnis

Reihenvorwort

1

Einleitung

Klimawandel und Gesundheitsschäden verursachen drastische Kosten

Wie lassen sich die Interessen von Mensch, Natur und Wirtschaft vereinbaren?

Starke Meinung fachlich begründen, nicht gesinnungsethisch

2

Nachhaltigkeit und Wirtschafts- und Unternehmensethik: Begriffe und Perspektiven

Nachhaltigkeit

Drei-Säulen-Modell und 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung

Nachhaltigkeit: Der Versuch einer Definition

Warum Nachhaltigkeitsorientierung für den Wohlstand wichtig ist

Was daraus für uns folgt

Wirtschafts- und Unternehmensethik zur Einführung

Wirtschafts- und Unternehmensethik: Was ist das eigentlich?

Wie Ethik und Nachhaltigkeit zusammenhängen

3

Exkurs: Was wir von Aristoteles und Immanuel Kant lernen können

4

Von Shareholders und Stakeholders oder: Profit und Purpose verbinden

Brauchen wir einen Wachstumsverzicht?

Ist grünes Wachstum die Lösung?

Kein Wohlstand ohne unternehmerische Gewinne

Profit und Purpose sinnvoll verbinden

Wie sich Unternehmen entwickeln können

Wie kann der Gewinn eingesetzt werden?

Unternehmen brauchen Sicherheit für Ethik und Purpose

5

Lieferkettengesetz und CSR-Berichterstattung: Kann man Ethik durchs Gesetz erzwingen?

Corporate Social Responsbility: Unternehmerische Verantwortung managen

Das neue Lieferkettengesetz: Menschenrechte sicherstellen

Fazit: Man kann Ethik nicht erzwingen!

6

Umwelt- und christliche Sozialethik als wichtige Voraussetzungen?

Umweltethik

Christliche Sozialethik

Die protestantische Sozialethik

Die katholische Soziallehre

Was ist christliche Umweltethik?

Fazit: Was wir aus der christlichen Soziallehre lernen können

7

Eine Ethik für die digitale Wirtschaft?

Wirtschaftsethik 4.0: Versuch einer Beschreibung

Fazit: Was uns die Wirtschaftsethik 4.0 bietet

8

Exkurs: Impact Investing als nachhaltige Ethik in der Praxis

9

Nachhaltige Wirtschafts- und Unternehmensethik kontrovers: Muss das wirklich sein?

Warum wir jetzt handeln müssen

Gut gemeint heißt nicht immer gut gemacht

10

Zusammenfassung und Ausblick

Reihenvorwort

Sei es die aktuelle Klimadebatte, das Nachhaltigkeitsparadigma, die Wachstums- und Leistungsorientierung, die je nach politischer Couleur kontrovers debattierte Gender-, Diversity- und Purpose-Diskussion, die Wirtschaftsordnung, die Rolle des Staates im Wirtschaftsleben als politischer Evergreen, seien es Sozial-, Finanz-, Verteilungs- oder Energiepolitik, Zuwanderung und die vieldiskutierten Implikationen der Digitalisierung: Die Wirtschaft ist, in Deutschland, Europa und der Welt, von vielfältigen Disruptionen und Paradigmenwechseln geprägt, die die bisherige Ordnung teilweise als gestrig erscheinen lassen und neue Linien für das große Ganze herstellen wollen. Als Gegenpol zu dieser sozial-ökonomischen Aufbruchsstimmung formieren sich hingegen die Kräfte, die ein „Weiter so!“ präferieren würden. Sie wollen, wenn überhaupt, einen behutsamen Wandel und erst recht nur in ausgewählten Bereichen.

Politik und Medien helfen oftmals nicht weiter, um diese Grenzen aufzulösen, bedienen sich zumeist vermeintlich gesicherter „Mehrheitspositionen im Sachverstandsgewand“ (G. Hoffmann). In diese diffuse Haltung der Mitte fließen alle Kompromisspositionen ein, die Kritik verwässern, niemandem wehtun und auf geringen Widerspruch stoßen, dabei aber zumeist wenig Adäquates, Zielführendes beitragen. Im gesellschaftlichen und politischen Meinungsbildungs- und Legislativprozess führt dies häufig zu der paradoxen Situation, dass man – salopp gesprochen – das Gute will und das Gegenteil produziert. Eine ganze Reihe wirtschaftspolitischer Maßnahmen der vergangenen Jahre zeugt davon, ebenso die häufig staatsnahe Haltung großer Medien. Viele fragwürdige Entscheidungen und Pläne werden einfach hingenommen.

Dabei können viele Debatten des 21. Jahrhunderts – von Diversity bis Nachhaltigkeit, von Digitalisierung bis Unternehmenskultur – nicht einfach mit richtig oder falsch beantwortet werden – und wenn, dann nur bis an die Grenzen der Barbarei verkürzt und verstümmelt. Es gilt vielmehr fachlich begründete Einsprüche gegen den (wirtschaftspolitischen) Zeitgeist, der zumindest in Teilen hinter zahlreichen Maßnahmen steht, zu vertreten bzw. zu formulieren und damit einen Beitrag zu einem offenen Diskurs zu leisten, der Themen hinterfragt und Pro- und Contra-Argumente zur Bewertung heranzieht. Kurzum: Ein Diskurs, der gerade nicht rein gesinnungsethisch oder einer Mode folgend funktioniert, sondern dabei hilft, eine Meinung zu einem bestimmten Thema zu bilden und kritische Fragestellungen beleuchtet, um ein umfassendes Bild zu schaffen.

Das ist das Ziel der Reihe „Wirtschaft kontrovers“. Die Autorinnen und Autoren, der Verlag und der Herausgeber treten an, kontroverse Positionen aktuell, prägnant, verständlich und meinungsstark zu diskutieren. Wir greifen ökonomische Streitthemen auf und beziehen dazu deutlich und fachlich fundiert Stellung – und das quer durch alle Disziplinen aus Wissenschaft und Praxis.

Nun liegt der erste Band der Reihe „Wirtschaft kontrovers“ zum Thema „Nachhaltige Wirtschafts- und Unternehmensethik“ vor und widmet sich damit einer doppelt aktuellen Fragestellung. Im Kern geht es dabei um die Frage, wie Nachhaltigkeit und Wirtschafts- und Unternehmensethik theoretisch und praktisch zusammenhängen und sich gegenseitig beeinflussen und stärken. Die übergeordnete Kontroverse lautet: Ist nachhaltige Wirtschafts- und Unternehmensethik eine Mogelpackung oder echte Zukunftsstrategie?

1Einleitung

Die Wirtschafts- und Sozialgeschichte hat bereits viele Phasen gesehen, und jede dieser Phasen war von einem epochalen Umbruch begleitet. Um dafür ein Gefühl zu erhalten, lohnt sich der Blick auf den Aufsatz „Die Langen Wellen der Konjunktur“ des sowjetischen Wirtschaftswissenschaftlers Nikolai Kondratjew (1892-1938), worin er seine Theorie der zyklischen Wirtschaftsentwicklung entwickelt hat.1 Kurz gesagt stellte er anhand empirischen Materials aus Deutschland, Frankreich, England und den USA fest, dass die kurzen Konjunkturzyklen von langen Konjunkturwellen überlagert werden. Diese langfristigen Konjunkturbewegungen werden dabei in Zeitabschnitte von etwa 50 bis 60 Jahren eingeteilt. Am Beginn jedes langfristigen Wirtschaftsaufschwungs steht dabei, wie vom österreichischen Nationalökonomen Joseph Alois Schumpeter (1883-1950) festgestellt wurde, eine neue, umwälzende Technik, die tiefgreifende Veränderungen in der Wirtschaft bewirkt.

„Die erste lange Welle von 1787 bis 1842 wurde danach durch die Erfindung der Dampfmaschine ausgelöst und war besonders durch die Industrielle Revolution gekennzeichnet. Die zweite lange Welle von 1843 bis 1894 war vor allem gekennzeichnet durch die Entwicklung der Eisenbahn und Dampfschifffahrt, aber auch den Ausbau des Bergbauwesens und die Erfindung der Telegrafie. Die dritte lange Welle der Weltkonjunktur von 1895 bis etwa Ende der 1930er-Jahre war insbesondere gekennzeichnet durch die Elektrifizierung, den Verbrennungsmotor und das beginnende Zeitalter des Automobils sowie von Erfindungen im Bereich der Chemie. Die sich anschließende vierte lange Welle wurde besonders von der Entwicklung und dem Wachstum der Automobilindustrie, der Luft- und Raumfahrttechnik und der Kunststoffindustrie bestimmt.“ (Bundeszentrale für politische Bildung 2016)

Der Beginn einer neuen langen Welle der Weltkonjunktur wurde nach Ansicht der Anhänger dieser Theorie ab etwa 1990 durch die einsetzenden, revolutionären Veränderungen in der Mikroelektronik, der Telekommunikationstechnik und der Biotechnologie ausgelöst, während der aktuelle sechste Kondratieff-Zyklus durch die Megatrends Globalisierung und Demografie die Nachfrageimpulse stimuliert und den Weg zu einer umfassenden Wissensökonomie ebnet. Zugleich wurden schon Ende der 1990er Jahre fortschreitende gesundheitliche und ökologische Schäden als Hemmschuh für die weitere wirtschaftliche Entwicklung und damit als Teilbereich des aktuellen Zyklus angesehen. Durch die aus gesundheitlichen und ökologischen Schäden entstehenden volkswirtschaftlichen Probleme werde beispielsweise aus dem Kostenfaktor Gesundheit eine wirtschaftliche Macht (Händeler 1997).

Klimawandel und Gesundheitsschäden verursachen drastische Kosten

Das wirft umfassende neue Herausforderungen auf. Auf der einen Seite muss Wachstum durch Innovationen sichergestellt sein. Das gelingt, mit Blick auf die vergangenen Jahre, vor allem durch eine kontinuierliche weitere Digitalisierung mit sämtlichen Ausprägungen von der Künstlichen Intelligenz bis Robotik, was wiederum vielfältige Sektoren (Gesundheit, Energieversorgung, Bildung etc.) erfasst und dauerhaft positiv beeinflussen kann. Auf der anderen Seite müssen eben die Grundbedingungen eines gesunden, verträglichen Zusammenlebens zwischen Mensch und Mensch nun zwischen Mensch und Natur sichergestellt werden. Ist diese doppelte Verantwortung nicht gegeben und wird sie nicht gelebt, sind die Probleme in Zukunft unkalkulierbar. Die sozialökonomischen Folgen einer Covid-19-Pandemie könnten dann im Vergleich und rückblickend wie eine freundliche Abwechslung im allgemeinen Niedergang wirken.

Es ist also Aufgabe der Wirtschaft, eine Basis für ein dauerhaft abgesichertes Miteinander zu schaffen und immateriellen Fragestellungen einen besonderen Stellenwert einzuräumen. Immateriell darum, weil Bezüge zu einem gesunden Verhältnis von Menschen untereinander und zwischen Menschen und ihrer natürlichen Umgebung zunächst nicht auf kurze Sicht betriebswirtschaftlich messbar sind. Es werden damit in der Regel vielmehr Faktoren adressiert, die erst auf Dauer einen positiven Beitrag zur Unternehmensentwicklung leisten können. Dazu kommt: Ignorieren Volkswirtschaften und die Unternehmen an sich diese Verantwortung, können die Schäden eben katastrophal sein. Ein Beispiel: Einer Umfrage der New York University (NYU) zufolge rechnen 700 Ökonomen damit, dass die Kosten des Klimawandels bis 2025 auf jährlich 1,7 Billionen US-Dollar (1,45 Billionen Euro) steigen werden, sollten die Treibhausgasemissionen nicht erheblich reduziert werden. Bis 2075 könnten die Kosten für die Erderwärmung demnach bereits 30 Billionen US-Dollar pro Jahr betragen. Die Kosten der globalen Erderwärmung sind nach dieser Einschätzung um ein Vielfaches höher als die Kosten für deren Bekämpfung. Die Studie hat auch einen Paradigmenwechsel festgestellt: 80 Prozent der Ökonomen sagten, dass der Klimawandel ihnen heute größere Sorgen bereite als noch vor fünf Jahren. 98 Prozent der befragten Ökonomen fordern entweder drastische oder zumindest grundlegende Aktivitäten gegen den Klimawandel.

Und schaut man sich Zahlen zu gesundheitlichen Verfasstheit von Arbeitnehmenden an, kann einem angst und bange werden. Während vor 20 Jahren psychische Erkrankungen noch nahezu keine Rolle gespielt haben, kletterte der Anteil in den letzten Jahren von zwei Prozent auf 16,6 Prozent, und während Arbeitnehmende bei anderen Erkrankungen 13,2 Tage im Durchschnitt nicht arbeitsfähig sind, beträgt die durchschnittliche Dauer bei psychischen Erkrankungen 38,9 Tage (BKK Gesundheitsreport 2018). Stress verursacht allein in Deutschland bereits im Jahr 2016 Kosten durch Arbeitsausfall in Höhe von rund 20 Milliarden Euro. Der Blick auf die Einzeldiagnosen zeigt, dass Depressionen und Anpassungsstörungen nach wie vor die meisten Ausfalltage verursachen. 2018 gingen 93 Fehltage je 100 Versicherte auf das Konto von Depressionen, bei den Anpassungsstörungen waren es 51. Auf Platz drei rangieren neurotische Störungen mit 23 Fehltagen je 100 Versicherte. Angststörungen kommen auf 16 Fehltage je 100 Versicherte. Das zeigt der DAK-Psychoreport 2019.

Wie lassen sich die Interessen von Mensch, Natur und Wirtschaft vereinbaren?

Es scheint also doppelte Aufgabe von Volkswirtschaften und Unternehmen zu sein, hinsichtlich Mensch und Umwelt eine neue Art des Wirtschaftens einzuführen und beide Parteien (die Vermenschlichung der Natur sei zur Vereinfachung an dieser Stelle gestattet) mit großer Sorgfalt zu behandeln. Die Forderung, diesem Ansatz mehr Prominenz und Bedeutung zu verleihen, sind schon länger laut geworden und werden vorrangig unter dem Schlagwort „Nachhaltigkeit“ und dem Dreischritt aus „People, Planet, Profit“ subsumiert. Damit sollen soziale, ökologische und wirtschaftliche Interessen miteinander in Einklang gebracht werden. Für die Wirtschaft bleibt das aber bisweilen schwammig, und Nachhaltigkeit wird als Feigenblatt genutzt oder sehr eng im Sinne von Klimaschutzbemühungen verstanden. Dann reicht eine Solaranlage auf der Produktionshalle aus, um sich als nachhaltig zu verstehen.

Damit aber alle Ebenen gleichermaßen profitieren und unternehmerisches Denken und Handeln weitere Existenzberechtigung erfährt (denn Förderung von Mensch und Umwelt wird ohne Gewinne nicht funktionieren!), braucht es ein größeres Konzept, das Ideen und Ansätze aus klassischer ökologischer Nachhaltigkeit, ethischem Umgang mit Mensch und Natur und betriebswirtschaftlich orientierter Unternehmensführung verbindet. Es muss klar sein, dass menschen- und umweltfreundliches Wirtschaften den Fokus immer auf die wirtschaftliche Aktivität legt. Alles andere wäre Philanthropie, und selbst dafür muss das Kapital irgendwo generiert werden.

Daher tritt dieses Buch an, das big picture einer nachhaltigen Wirtschafts- und Unternehmensethik zu entwerfen. Es befasst sich mit der Frage, wie Nachhaltigkeit und Wirtschafts- und Unternehmensethik theoretisch und praktisch zusammenhängen, sich gegenseitig beeinflussen und stärken und sich auf unternehmerisches Handeln positiv auswirken können. Ausgehend vom Verständnis der Nachhaltigkeit im Sinne der 17 Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen soll das Konzept einer nachhaltigen Wirtschafts- und Unternehmensethik entwickelt werden, die sich dezidiert mit den drängenden ökologischen und sozialen Problemen auseinandersetzt und Lösungen dafür anstrebt, ohne die unternehmerische Gewinnorientierung zu vergessen.

Starke Meinung fachlich begründen, nicht gesinnungsethisch

Durch eine nachhaltige Wirtschafts- und Unternehmensethik und deren Integration in die allgemeine Unternehmensstrategie, ins unternehmerische Wertemanagement und in die Corporate Governance wird Modell für die zukunftsorientierte Entwicklung geschaffen: „Fairness First“ und das Bild der „Modern Company“ sind zwei relevante Konzepte. Dabei wird auch gezeigt, wie sich eine nachhaltige Wirtschafts- und Unternehmensethik auf Leadership, Employer Branding und interne und externe Positionierung auswirkt, Investmententscheidungen beeinflusst und prägt und wie es zur Performance-Versteigerung beiträgt. Es soll auch die Brücke zur Next Generation der aktuellen und kommenden Unternehmenserben geschlagen werden, um die neuen Ansprüche an eine nachhaltige Wirtschafts- und Unternehmensethik und die transgenerationalen Konflikte herauszustellen.

Das Buch will Leser:innen qualifizieren, einen konkreten Standpunkt einzunehmen und sich in der Debatte über Nachhaltigkeit und Ethik in der Wirtschaft einzuschalten und zu positionieren. Es soll dabei helfen, sich eine Meinung zu dem Thema zu bilden und die Kontroversen zu erkennen, die mit Nachhaltigkeit und Ethik in der Wirtschaft und damit auch mit der Idee einer nachhaltigen Wirtschafts- und Unternehmensethik verbunden sind. Es muss in aller Deutlichkeit herausgestellt werden, dass eine nachhaltige Wirtschafts- und Unternehmensethik nie konfliktfrei entwickelt werden kann. Es wird gegen solche Entwicklungen immer Widerstände und Bedenken geben, um auch die allgemeinen Rahmenbedingungen sind nicht frei von Kontroversen: Ist es überhaupt, aufgrund der strukturellen Verfasstheit von Wirtschaft und Gesellschaft, möglich, eine nachhaltige Wirtschafts- und Unternehmensethik zu etablieren und danach zu agieren? Oder existieren quasi natürliche Grenzen (auf ganz verschiedenen Ebenen), die dem Denkmodell Grenzen setzen? Welche Wohlstandsverluste sind wir bereit, für mehr Nachhaltigkeit und Ethik in Kauf zu nehmen, Stichwort „Degrowth“?

Dieser Aspekt soll ebenso diskutiert werden, um die Idee einer nachhaltigen Wirtschafts- und Unternehmensethik nicht zu romantisieren oder ihr eine Art von absoluter Instanz oder Bedeutung zuzusprechen, ohne dass sie diesen Anspruch in der Praxis erfüllen kann. Zumal allein schon durch bestimmte aktivistische Gruppen wie Fridays for Future oder Extinction Rebellion regelmäßig Kontroversen ausgerufen werden, wie mit (eigentlich zustimmungsfähigen) Ansätzen umgegangen werden kann. Führt ein moralischer Zeigefinger nicht zu Widerstand und lässt den sinnvollen Versuch von Klimaschutz zu „gut gedacht, schlecht gemacht“ werden? Und kann somit nicht das Bild entstehen, dass nachhaltige Wirtschafts- und Unternehmensethik eine spielerische bzw. aktivistische Mogelpackung ist, der es an Bedeutung und Substanz mangelt?

Das soll offen diskutiert werden, denn gemäß dem Selbstverständnis der Reihe „Wirtschaft kontrovers“ gibt es kein apodiktisches „Richtig“ oder „Falsch“ für den Ausgang dieser Diskussion, schon gar nicht, wenn man sich der Diskussion weltanschaulich neutral nähert, also ohne generelle Verweigerungshaltung, aber auch ohne aktivistisch-moralinsauren Charakter. Eine starke Meinung sollte fachlich begründet und damit nachvollziehbar, nicht rein gesinnungsethisch und somit aus einem Gefühl der moralischen Überlegenheit heraus geprägt sein. Diesem Anspruch will das Buch Nachhaltige Wirtschafts- und Unternehmensethik gerecht werden.2

1

Der Originalbeitrag ist in deutscher Sprache erschienen: N. D. Kondratieff: „Die langen Wellen der Konjunktur“, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Bd. 56, 1926, S. 573-609.

2

Das Werk versteht sich nicht als klassische Einführung in die Theorien der Wirtschaftsethik. Um diese kennenzulernen, sei vor allem der Sammelband von van Aaken und Schreck (2015) anempfohlen. Er versammelt grundlegende Aufsätze zu den wesentlichen Theorien nebst ausführlichen Erklärungen und hilft auch beim Verständnis für den Aufbau eines Wertemanagementsystems als Folge einer konsequenten Wirtschafts- und Unternehmensethik.

2Nachhaltigkeit und Wirtschafts- und Unternehmensethik: Begriffe und Perspektiven

Um über nachhaltige Wirtschafts- und Unternehmensethik angemessen zu diskutieren und die inhärenten Kontroversen herauszuarbeiten, ist es zunächst wichtig, die Begriffe überhaupt zu verstehen. Denn sowohl Nachhaltigkeit als auch Ethik werden häufig schwammig genutzt bzw. durch personale Bedeutungen aufgeladen, die nicht unbedingt etwas mit den eigentlichen Konzepten zu tun haben. Nachhaltigkeit und Ethik sind dann ein Ausweis charakterlicher Selbsterhöhung ohne festes begriffliches Fundament. Man ist dann beispielsweise nachhaltig, weil man seine Kleidung eine Saison länger trägt, und ethisch, weil man genau weiß, was Minderheiten wollen. Dabei sind das nur Ausschnitte, die kaum dazu geeignet sind, um Nachhaltigkeit und Ethik wirklich zu charakterisieren und als strukturelles Prinzip zu etablieren. Auf der anderen Seite sind dies oftmals die gleichen Personen, die für Fernreisen emissionsintensive Langstreckenflüge nutzen, um den eigenen kulturellen Horizont zu erweitern, während sie anderen die Autofahrt zur Arbeit verbieten wollen, weil es die Umwelt verpeste. Nachhaltigkeit und Ethik sind aber eben kein Supermarkt, in dem sich jede und jeder bedient, wie es ihr/ihm gerade passt und zum persönlich getriebenen moralischen Überlegenheitsgefühl beiträgt.

Das ist bereits eine deutliche Kontroverse in der Debatte um nachhaltige Wirtschafts- und Unternehmensethik: Wo ist die Grenze zwischen einem allgemein akzeptierten und fachlich begründeten Verständnis auf der einen Seite und einer tendenziell besserwisserischen, stark individualisierten Auslegung zur eigenhygienischen Selbsterhöhung? Diese Grenze muss klar gezogen werden, sonst lassen sich die mit der nachhaltigen Wirtschafts- und Unternehmensethik verbundenen und hochaktuellen, zukunftsorientierten Fragen nicht sinnvoll und zielführend beantworten. Wer Debatten nur auf Basis eines individuellen gesinnungsethischen Begriffsverständnisses führt, bietet keine Lösungsvorschläge, sondern eine fachlich unbegründete Haltung. Aber diese leistet im öffentlichen, professionellen Diskurs eben keinen sinnvollen Beitrag.

Das bedeutet: Wer Begriffe, Konzepte und deren Entwicklung kennt und versteht, kann qualifiziert diskutieren und bewerten. Wer dieses Wissen nicht besitzt, kann das nicht. Das liegt in der Natur der Sache, und die Bedeutung einer nachhaltigen Wirtschafts- und Unternehmensethik ist zu groß, um sich auf dem flachen Niveau eines von persönlicher Haltung getriebenen Verständnisses zu bewegen, das kontroverse Meinungen per se disqualifiziert, weil es eben nicht die eigene Haltung widerspiegelt. Diesem Niveau begegnet man vor allem in der Umwelt- und Klimadebatte häufig genug. Der regelmäßige Blick in die Medien genügt völlig, um dieses Problem zu erspüren: Lautstärke allein sichert vielleicht Aufmerksamkeit und vermeintliche (teilweise medial auch völig unreflektierte) Meinungsführerschaft, verschafft aber erstens noch lange keine Kompetenz und zweitens nicht den Anspruch, die Lösung eines drängenden Problems gefunden zu haben.

Daher sollen einführend die Begriffe und Perspektiven von Nachhaltigkeit sowie Wirtschafts- und Unternehmensethik besprochen werden, um daraus auch einen Zusammenhang gemäß dem Titel dieses Werkes abzuleiten. Dieser theoretischen Grundlage wird durch Beispiele praktische Relevanz verschafft und ebenso sollen in dem Zusammenhang weitverbreitete Irrtümer aufgedeckt und korrigiert werden. Denn nicht selten werden die Begriffe auch unbewusst falsch bzw. nicht eindeutig genutzt oder kontextualisiert; das schwächt ihre Bedeutung und sorgt für inflationäre Verbreitung mit der Folge, dass Menschen, die dem Thema eigentlich aufgeschlossen gegenüberstehen, genervt das Handtuch werfen. Das erinnert schon an die Äsop zugeschriebene Fabel „Der Hirtenjunge und der Wolf“, auch bekannt als „Der Schäfer und der Wolf“. Die Hauptperson der Fabel ist ein Hirtenjunge, der aus Langeweile beim Hüten der Schafe laut „Wolf!“ brüllt. Als ihm daraufhin Dorfbewohner aus der Nähe zu Hilfe eilen, finden sie heraus, dass es falscher Alarm war. Als der Junge dann aber wirklich einem Rudel Wölfe begegnet, nehmen die Dorfbewohner die Hilferufe nicht mehr ernst. Die Wölfe fressen die ganze Herde und in manchen Versionen der Fabel auch den Jungen. Man sollte also nur Lärm veranstalten, wenn man begründet etwas zu sagen hat. Sonst werden auch wohlmeinende Zeitgenossen verschreckt.

Nachhaltigkeit

National wie international stellt das Thema Nachhaltigkeit eines der wichtigsten Leitbilder für die Zukunft dar. Nachhaltigkeit ist ein Handlungsprinzip zur Ressourcennutzung, um verantwortungsbewusst mit den endlichen Ressourcen umzugehen, damit heutige und künftige Generationen weltweit ein Leben in Würde führen können. Übrigens ist das Nachhaltigkeitsprinzip gar nicht neu: Hans Carl von Carlowitz (1645-1714) hat die Regel der Nachhaltigkeit für den Wald vor 300 Jahren aufgestellt. Die Regel lautet: Es dürfen in einem Wald heute nur so viele Bäume gefällt werden wie nachwachsen können. Sonst ist der Wald in Zukunft nicht mehr da. Damit wurde der forstwirtschaftliche Nachhaltigkeitsbegriff etabliert.

Ab den 1950er Jahren wurde auf den Versammlungen der Vereinten Nationen zum Schutz der Umwelt der Begriff der nachhaltigen Entwicklungen (Englisch „sustainable development“) fest verankert. Ab dem Jahr 1983 bezog sich Nachhaltigkeit nicht mehr nur auf ökologische Aspekte, denn die Weltkommission für Umwelt und Entwicklung (Brundtland-Kommission) der Vereinten Nationen prägte den Begriff fortan im Sinne einer allgemeinen Entwicklung und erweiterte den Begriff zumeist auch deutlich über die ursprüngliche Bedeutung der Systemfunktion hinaus. Es soll auf diese Weise sichergestellt werden, dass die gegenwärtigen Bedürfnisse befriedigt werden, jedoch ohne Risiken für zukünftige Generationen, ihre individuellen Bedürfnisse aufgrund vergangener Entscheidungen und Aktivitäten nicht mehr befriedigen zu können.

Diese Erkenntnis leitet sich ab aus der bekannten Definition der UN-Weltkommission für Umwelt und Entwicklung: „Humanity has the ability to make development sustainable – to ensure that it meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs.“

Die ehemalige norwegische Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland hatte in dieser Kommission den Vorsitz, weshalb das Papier auch als Brundtland-Bericht bezeichnet wird. Zwei Schlüsselbegriffe sind demnach wichtig: Bedürfnisse und Beschränkungen. Zum einen sollen die Grundbedürfnisse der Ärmsten der Welt Priorität haben, und zum anderen muss dem Gedanken von Beschränkungen, die der Stand der Technologie und der sozialen Organisation auf die Fähigkeit der Umwelt ausübt, gegenwärtige und zukünftige Bedürfnisse zu befriedigen, Rechnung getragen werden.

In diesem Sinne hat sich auch, als Synonym zur Nachhaltigkeit, der Begriff der Enkelgerechtigkeit bzw. Enkelfähigkeit herausgebildet. Das meint nichts anderes, als wirtschaftliche und soziale Entscheidungen so zu treffen, dass diese die Chancen nachfolgender Generationen auf eine faire und prosperierende Zukunft nicht zu mindern. Damit bewahrt Nachhaltigkeit im Sinne der Enkelgerechtigkeit dauerhaft die natürliche Regenerationsfähigkeit unserer ökologischen, ökonomischen und sozialen Systeme. Die Welt soll also in ihren Strukturen und Möglichkeiten so erhalten werden, dass künftige Generationen keine Nachteile erleiden, sei es durch negativ veränderte ökologische und klimatische Bedingungen oder gewaltige soziale und/oder ökonomische Ungerechtigkeiten.

Der nächste Schritt der historischen Entwicklung war die Rio-Erklärung über Umwelt und Entwicklung, meist kurz Rio-Deklaration („Rio Declaration on Environment and Development“) genannt. Sie ist das völkerrechtlich nicht verbindliche Ergebnis der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung (UNCED), die als sogenannter Erdgipfel 1992 in Rio de Janeiro stattfand. Inhalt sind 27 Grundsätze, die die Staaten bezüglich Politik, Gesetzgebung, Wirtschaft und Wissenschaft beachten sollen, um den Schutz der Umwelt und eine nachhaltige Entwicklung zu gewährleisten. Die Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung hat die Rio-Erklärung mit dem Ziel aufgesetzt, „durch die Schaffung von neuen Ebenen der Zusammenarbeit zwischen den Staaten, wichtigen Teilen der Gesellschaft und den Menschen eine neue und gerechte weltweite Partnerschaft aufzubauen“. Ebenso war die Konferenz „bemüht um internationale Übereinkünfte, die die Interessen aller achten und die Unversehrtheit des globalen Umwelt- und Entwicklungssystems schützen, anerkennend, dass die Erde, unsere Heimat, ein Ganzes darstellt, dessen Teile miteinander in Wechselbeziehung stehen“ (Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung 1992).

Drei-Säulen-Modell und 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung

Bahnbrechend war die 1992er-Konferenz für die weitere Entwicklung auch insofern, als dass das sogenannte Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit entwickelt worden ist. Das als Nachhaltigkeitsdreieck bekannt gewordene Modell bildet die Grundlage vieler Nachhaltigkeitskonzepte und verdeutlich, wie relevant jede einzelne Dimension für eine nachhaltige Entwicklung ist. Das Dreieck besteht aus ökologischer, ökonomischer und sozialer Nachhaltigkeit – heute auch in der Investmentlandschaft entlehnt als ESG-Modell mit den Dimensionen Environment (Umwelt), Social (Soziales) und Governance (gute Unternehmensführung). Das Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit geht von der Vorstellung aus, dass nachhaltige Entwicklung nur durch das gleichzeitige und gleichberechtigte Umsetzen von umweltbezogenen, wirtschaftlichen und sozialen Zielen erreicht werden kann, also vom Gleichklang und der sinnvollen Beziehung von „People“, „Planet“ und „Profit“ zueinander (► Dar. 1).

Dar. 1: Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit [zurück]

Es geht darum, Armut und Hunger in all ihren Formen und Dimensionen zu beenden und sicherzustellen, dass alle Menschen ihr Potenzial in Würde und Gleichheit und in einer gesunden Umwelt entfalten können. Ebenso soll der Planet vor Zerstörung geschützt werden, u. a. durch nachhaltigen Konsum und nachhaltige Produktion, nachhaltige Bewirtschaftung seiner natürlichen Ressourcen und wirksame Maßnahmen gegen den Klimawandel, damit er die Bedürfnisse der heutigen und künftiger Generationen erfüllen kann. Die Betonung wirtschaftlichen Handeln soll dafür sorgen, dass alle Menschen ein wohlhabendes und erfülltes Leben führen können und dass der wirtschaftliche, soziale und technologische Fortschritt im Einklang mit der Natur erfolgt.

Und was hat sich daraus entwickelt, wie sieht es heute aus? Wie könnte man Nachhaltigkeit in Kurzform so definieren, dass es mehr praktische als akademische Relevanz besitzt? In der Charta des Nachhaltigkeitsausschusses der University of California wird Nachhaltigkeit beispielsweise definiert als „die Integration von ökologischer Gesundheit, sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftlicher Vitalität, um blühende, gesunde, vielfältige und widerstandsfähige Gemeinschaften für diese und künftige Generationen zu schaffen. Die Praxis der Nachhaltigkeit erkennt an, wie diese Themen miteinander verbunden sind, und erfordert einen Systemansatz und die Anerkennung der Komplexität.“ (UCLA Sustainability Committee 2013, Übers. d. Verf.)

Das ist ein tragfähiger Ansatz (wenngleich bereits beinahe zehn Jahre alt), der die Ebene des Drei-Säulen-Modells vollständig integriert und mit Blick auf die geforderte Enkelfähigkeit zusammenfasst. Auf diesem Ansatz kann man für das weitere Verständnis von Nachhaltigkeit, in Kombination mit den vorangegangenen Erkenntnissen und Haltungen, aufbauen, um einen Zugang zum Begriff der Nachhaltigkeit zu erlangen, der eben nicht auf einer ‚hausgemachten‘ Meinung basiert, sondern festen Boden unter den Füßen hat.

Beinahe existenziell für die Nachhaltigkeit im globalen und vor allem zukunftsorientierten Kontext sind die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDG) der Vereinten Nationen. Die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, die 2015 von allen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen angenommen wurde, ist ein gemeinsames Konzept für Frieden und Wohlstand für die Menschen und den Planeten, jetzt und in Zukunft. Ihr Kernstück sind die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung, die einen dringenden Aufruf zum Handeln aller Länder – Industrie- und Entwicklungsländer – im Rahmen einer globalen Partnerschaft darstellen. Sie erkennen an, dass die Beseitigung von Armut und anderen Entbehrungen Hand in Hand gehen muss mit Strategien zur Verbesserung von Gesundheit und Bildung, zur Verringerung von Ungleichheit und zur Ankurbelung des Wirtschaftswachstums – und das alles bei gleichzeitiger Bekämpfung des Klimawandels und dem Einsatz für den Schutz unserer Ozeane und Wälder.

Im offiziellen Dokument heißt es: „Diese Agenda ist ein Aktionsplan für die Menschen, den Planeten und den Wohlstand. Sie zielt auch darauf ab, den universellen Frieden in größerer Freiheit zu stärken. Wir erkennen an, dass die Beseitigung der Armut in all ihren Formen und Dimensionen, einschließlich der extremen Armut, die größte globale Herausforderung und eine unabdingbare Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung ist. Alle Länder und alle Beteiligten werden diesen Plan in partnerschaftlicher Zusammenarbeit umsetzen.“ (United Nations 2015, Übers. d. Verf.) Die UN sei entschlossen, die Menschheit von der Tyrannei der Armut und des Mangels zu befreien, um den Planeten zu heilen und zu sichern. Die UN sei entschlossen, die mutigen und transformativen Schritte zu unternehmen, die dringend erforderlich seien, um die Welt auf einen nachhaltigen und widerstandsfähigen Weg zu bringen. Dabei soll niemand zurückgelassen werden (vgl. United Nations 2015).

Dar. 2: 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (Quelle: United Nations)

Zunächst erweitert die 2030 Agenda for Sustainable Development das Drei-Säulen-Modell um zwei weitere Dimensionen. Zu den Dimensionen „People“, „Planet“ und „Profit“ treten „Peace“ (Frieden) and „Partnership“ (Kooperationen) hinzu. Die Vereinten Nationen treten an, friedliche, gerechte und integrative Gesellschaften zu fördern, die frei von Angst und Gewalt sind. Es kann keine nachhaltige Entwicklung ohne Frieden und keinen Frieden ohne nachhaltige Entwicklung geben. Ebenso ist die UN entschlossen, die für die Umsetzung dieser Agenda erforderlichen Mittel durch eine neu belebte Globale Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung zu mobilisieren, die auf einem Geist verstärkter globaler Solidarität beruht, sich insbesondere auf die Bedürfnisse der Ärmsten und Schwächsten konzentriert und an der alle Länder, alle Akteure und alle Menschen beteiligt sind.

Nachhaltigkeit: Der Versuch einer Definition

Was bedeutet Nachhaltigkeit nun in nuce und mit welcher Begriffsbestimmung soll dieses Büchlein fortgeführt werden? Die wichtigste Erkenntnis ist, sowohl mit Bezug zum Drei-Säulen-Modell als auch hinsichtlich der 17 globalen UN-Nachhaltigkeitsziele, dass Nachhaltigkeit nicht allein klimabezogen ist. Es geht genauso, auch wenn der Parameter Umwelt in der öffentlichen Debatte deutlich überwiegt, um eine bewusste und verantwortungsvolle Unternehmensführung und den Kampf gegen soziale bzw. gesellschaftliche Ungleichheiten. Entscheidend ist dabei ebenso die Erkenntnis, dass Nachhaltigkeit ohne Beteiligung der Wirtschaft nicht gelingen kann. Nachhaltigkeit benötigt unternehmerische Gewinne und einen kontinuierlichen, stabilen Kapitalfluss. Sonst sind die Nachhaltigkeitsziele nicht zu erfüllen, wenn man allein bedenkt, was der Kampf gegen den Klimawandel kostet: Nach Berechnungen der International Renewable Energy Agency (IRENA) werden weltweit rund 131 Billionen Dollar benötigt, um die Weltwirtschaft so umzubauen, dass die globalen CO2-Emissionen bis 2050 auf null sinken. Darin ist noch kein Cent für eine zukunftsorientierte Stadtentwicklung, für mehr Bildung, Geschlechtergerechtigkeit etc. enthalten.

Nachhaltigkeit bedeutet also zunächst, im Sinne des Drei-Säulen-Modells die übergeordneten Ebenen Umwelt, Gesellschaft und Unternehmensführung miteinander in Einklang zu bringen und im zweiten Schritt, im Sinne der 17 Sustainable Development Goals, diese übergeordneten Ebenen immer weiter hin zu einem konkreten Nutzen für Umwelt und Gesellschaft aufzuschließen. Dabei verliert echte, zukunftsorientierte Nachhaltigkeit die Unternehmen als Träger wirtschaftlichen Handelns nicht aus dem Blick: Sie sind, ganz im Hinblick auf Ziel 8 „Decent Work and Economic Growth“, ursächlich mit ihrem Wachstum und ihren Gewinnen dafür verantwortlich, dass Umwelt und Gesellschaft überhaupt gefördert und geschützt werden können. Nicht umsonst bildet Ziel 8 so etwas wie die Achse der 17 Sustainable Development Goals: Unternehmerische Gewinne finanzieren alle anderen Ziele, sodass im Sinne der Nachhaltigkeit wirtschaftlich gesunde Unternehmen und deren Gewinne zwingend notwendig für eine nachhaltige Entwicklung der Welt sind.

Nachhaltigkeit meint somit, einen Ausgleich zwischen Klima- und Umweltschutz, menschen- und lebenswürdigen Gesellschaftsentwürfen mit der ständigen Chance zur individuellen Entwicklung und Entfaltung und einem fokussierten wirtschaftlichen Handeln zu schaffen. Nachhaltigkeit ist nicht nur der Kampf fürs Klima oder gegen Armut! Nachhaltigkeit spielt diese drei Ebenen nicht gegeneinander aus, sondern bildet eine Klammer für konsensuales, kooperatives Handeln zum Wohle der gesamten Welt (Mensch und Umwelt). Dabei stellen Unternehmen die ökonomischen und technologischen Triebkräfte und brauchen Freiheit und stabile Rahmenbedingungen für ihre Geschäftstätigkeiten im Sinne der übergeordneten nachhaltigen Entwicklung. Nachhaltigkeit ist ohne Freiheit nicht denkbar, weil ohne Freiheit die Möglichkeiten zur Entfaltung und zur Schaffung von Wachstum und Innovativen fehlen – Innovationen, die wiederum Umwelt und Gesellschaft zugutekommen.

Warum Nachhaltigkeitsorientierung für den Wohlstand wichtig ist

Dass Nachhaltigkeit keine Beschäftigungstherapie einer wohlstandsverwahrlosten Gesellschaft darstellt, wie polemisch gerne behauptet wird, ist wohl nicht mehr als ein Allgemeinplatz. Gerade der allgegenwärtige Umwelt- und Klimabezug hat, genau wie die übrigen Nachhaltigkeitsforderungen, eine drängende Existenzberechtigung. Eine Studie der Bertelsmann Stiftung zeigt beispielsweise, dass durch eine Bildungsreform allein in Deutschland „Erträge in Höhe von 2.808 Milliarden Euro bis ins Jahr 2090 möglich sind – mehr als das gesamte heutige Bruttoinlandsprodukt Deutschlands. Diese Erträge entsprechen spiegelbildlich den Folgekosten unzureichender Bildung durch entgangenes Wirtschaftswachstum.“ (Wößmann/Piopiunik 2009, S. 6) Und weiter: „Schon ab dem Jahr 2048 wäre das BIP aufgrund der Bildungsreform jährlich um mindestens 2,6 Prozent höher als ohne die Reform: Damit ließen sich, gemessen als Anteil am BIP, allein aus den Reformerträgen Jahr für Jahr die gesamten öffentlichen Bildungsausgaben im Elementar- und allgemeinbildenden Schulbereich finanzieren! Im Jahr 2090 wird das BIP durch die Bildungsreform um über 10 Prozent höher sein, als es ohne die Reform wäre.“ (Wößmann/Piopiunik 2009, S. 9 f.) Man kann sich kaum die globalen Dimensionen vorstellen: Der kumulierte Wohlstandsverlust durch unzureichende Bildung stellt wohl eine Zahl mit sehr vielen Nullen dar.

Und ohnehin die katastrophalen zu erwartenden finanziellen Schäden einer weiterhin unregulierten globalen Erwärmung sollten auch den kritischsten, rein ökonomisch-rational geprägten Zeitgenossen zeigen, dass es ein simples „Weiter so!“ nicht geben kann. Es hieß bereits 2017 in einem Bericht des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Dem Klimawandel begegnen. Das klimapolitische Engagement des BMZ): „Die durchschnittlichen jährlichen Schäden, die durch Naturkatastrophen verursacht werden, werden auf 300 Milliarden US-Dollar geschätzt. Durch den Klimawandel wird sich diese Zahl drastisch erhöhen. Die ärmsten Länder trifft der Klimawandel besonders hart. Der Klimawandel droht, die Entwicklungserfolge der Vergangenheit zunichtezumachen und der Zukunft zu verhindern. Die Weltbank hat errechnet, dass im Jahre 2030 mindestens 100 Millionen Menschen mehr in extremer Armut leben, wenn wir beim Klima nicht entschlossen gegensteuern. Auch aufgrund des Klimawandels ist die Anzahl der Hungernden zuletzt wieder auf mehr als 800 Millionen Menschen gestiegen. Bereits heute leiden etwa vier Milliarden Menschen für mindestens einen Monat im Jahr unter Wasserknappheit. Wälder vertrocknen, Lebensgrundlagen werden vernichtet.“