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Macabros 13 - Mandragora - Herrin der Angst Durch einen Zeitungsbericht aufmerksam gemacht reist Björn Hellmark nach Frankfurt/Deutschland, um sich dem rätselhaften Tod der Apothekerin Erika Paller anzunehmen. Der mutmassliche Mörder, ihr Bekannter Dr. Bernd Kessler, erzählte nämlich etwas von Mandragora. Dies ist nicht nur eine seltene Pflanze, sondern laut Aussagen Al Naafuurs auch ein gefährliches Geistwesen, dass in naher Zukunft wieder aktiv werden will! Es benötigt nur noch den Zugang zur Erde und den Grundstein hat Erika Paller scheinbar irgendwie gelegt. Björn will dies natürlich verhindern, doch auch die Gegenseite schläft nicht und hindert ihn massiv in seinem Handeln! Trotzdem gibt Hellmark nicht auf und versucht alles, um Erika Paller noch zu retten. Denn Björn glaubt, dass sie gar nicht tot ist, sondern das ihr Geist nur in einer anderen Welt sei - in der Welt von Mandragora! Macabros 14 - Knochensaat James Owen findet in einem unterirdischen Tempel in Mexiko einen riesigen Goldschatz. Doch dann wird dieses Gold lebendig und greift ihn an. Er kann fliehen und nach Southhampton zurückkehren. Doch er ist mit einem Fluch gestraft, der ihn langsam in einen Skelettmenschen verwandelt. Er infiziert die kleine Dorothy und ihre Eltern, die sich ebenfalls verwandeln. Björn entschließt sich, der geheimnisvollen Geschichte nachzugehen. Die Spur führt nach Mexiko, wo einst der Aztekenkönig Ucuampochtli die Stadt Cholpec eroberte, später aber von verräterischen Priestern verflucht wurde. Owens Zwillingsbruder versucht nun, diesen Fluch zu überlisten, indem er sich als sein Bruder ausgibt, der bereits durch den Fluch umkam. Er möchte an den Goldschatz, doch der Plan misslingt. Björn stellt fest, dass es ihm kaum gelingt, Macabros entstehen zu lassen. Kurzbeschreibungen: © www.gruselromane.de
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Seitenzahl: 287
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DAN SHOCKERS MACABROS
BAND 7
© 2014 by BLITZ-Verlag
Redaktion: Jörg Kaegelmann
Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati
Titelbildgestaltung: Mark Freier
Fachberatung: Gottfried Marbler
All rights reserved
www.BLITZ-Verlag.de
ISBN 978-3-95719-707-8
von
Dan Shocker
An einem Montagabend geschah es zum ersten Mal. Sie sah Bilder und hörte Geräusche, die nicht von dieser Welt sein konnten.
Aus farbigen Nebeln entstand eine fruchtbare, märchenschöne Landschaft. So stellte man sich in Wunschträumen die Südseeinsel des ewigen Friedens vor.
Die junge Frau wurde von den Bildern gefangengenommen: üppig blühende Lianen, palmenartige Gewächse in überirdischen Farben, die berauschende Düfte verströmten.
Dann die Stimme ...
»Ich heiße dich willkommen in meiner Welt, du hast den Weg zu mir gesucht und gefunden.«
Erika Paller sah sich nach allen Seiten um.
Woher kam diese betörende Stimme?
Da – am weißen Strand zwischen den Bäumen bewegte sich eine braunhäutige Schönheit, nackt, wie die Natur sie geschaffen hatte. Das lange Haar lag sanft auf ihren Brüsten. Im Haar steckte eine große zitronengelbe Blüte. Die Fremde stand wie eine Göttin im Licht und blickte zu Erika herüber.
»Du bist – Mandragora?«, hauchte Erika Paller.
»Ja, ich bin Mandragora.« Ein Triumphgefühl, wie sie es nie erlebt hatte, erfasste Erika. Nun würde sie alles erfahren.
Sie lief auf den weißen Strand zu, aber der kam nicht näher.
Die Farben zerflossen, aus dem strahlenden Blau wurde bedrückendes Grau, die wohlriechende Luft zersetzte sich zu ätzendem Gestank, der ihre Kehle zuschnürte.
Was war los?
Panische Angst überwältigte Erika. Ihr Herz klopfte rasend.
Eine Sturmbö packte sie. Schäumende Wogen brachen sich in einer bizarren, erschreckend felsigen Bucht.
Die Gestalt Mandragoras löste sich in Fetzen auf. Für einen Augenblick glaubte Erika, ein schrecklicher schwarzer Vogel würde sich emporschwingen und mit schrillen Lauten immer engere Kreise ziehen.
Erikas Haare flatterten wie eine Fahne. Sie verlor den Boden unter den Füßen. Eine rasende Abwärtsbewegung setzte ein. Dunkles Grau umhüllte sie, dann Schwärze ... endlich das Nichts. Ein furchtbarer Schmerz presste ihre Brust zusammen. Ihre Lungen zerbröckelten. Das Gefühl absoluten Horrors, das Drogensüchtige im letzten Stadium oft befällt, bemächtigte sich ihrer.
Sie wusste nicht, wie lange sie so gelegen hatte. Als sie sich aufrichtete, fühlte sie sich matt und kraftlos. Die Kerze auf dem Tisch vor ihr war herabgebrannt. Der Stuhl, auf dem sie gesessen hatte, war umgekippt. Sie fand sich auf dem Boden wieder.
Stöhnend griff sie zum Hinterkopf. Er schmerzte. Ungeheurer Druck wurde auf die Schädeldecke ausgeübt.
Sie hatte nichts vergessen. Alles stand deutlich vor ihrem geistigen Auge.
Sie erhob sich vom Boden, musste sich auf die Tischplatte stützen. Ihre Kräfte reichten nicht aus, um stehenzubleiben. Mit Mühe zog sie den Stuhl in die Höhe und ließ sich darauffallen.
Ihr suchender Blick blieb an einem blühenden Nachtschattengewächs hängen, das durch weißlich-grünliche Blüten und gelbrote Früchte auffiel.
Eine seltene Pflanze, die man an versteckten Orten in Norditalien, Kroatien, Bosnien und im Süden Spaniens finden konnte. Man nannte sie – Mandragora.
»Mandragora«, murmelte Erika. Sie lauschte dem Wort nach, als könne sie dem Klang etwas entnehmen.
»Ich habe sie gesehen ... es gibt sie ...«Aber – hatte sie das wirklich erlebt? Oder war alles nur Einbildung, ein Traum gewesen?
Sie rieb sich die Augen. Wie Blei fühlten sich ihre Glieder an. Ihr Herz flatterte. Sie war schwach. Seit Tagen hatte sie nichts Richtiges zu sich genommen. Nur hin und wieder einen Bissen, um den quälenden Hunger zu betäuben.
Minutenlang saß sie da, starrte vor sich hin und war zu keiner Bewegung fähig.
Ich geh' vor die Hunde, sagte sie sich, wenn ich so weitermache. Aber seltsamerweise machte ihr das nichts aus.
Die Bilder drängten sich ihr wieder auf. Die ferne, unerreichbare Welt. Unerreichbar? Nein, sie hatte diese Welt aufgesucht.
Endlich. Wie lange hatten die Vorbereitungen gedauert? Wie lange hatte es gedauert, bis sie die Zusammensetzung des Tranks und die richtige Dosierung gefunden hatte? Anfangs war sie nur schläfrig geworden.
Doch dann hatte sie mehr gewagt.
Heute war die Dosis zum ersten Mal stark genug gewesen, um ihren Geist vom Körper zu trennen. Sie war in einer Welt gewesen, die noch niemand vor ihr gesehen hatte.
Sie hatte sich in einer Art Rausch befunden, dies musste sie zugeben. Aber dieser Rausch war auf keinen Fall mit jenen zu vergleichen, die man durch Alkohol, Narkotika und Drogen herbeiführen konnte.
Sie hatte die Früchte der geheimnisvollen Pflanze pulverisiert und ein Getränk daraus bereitet.
Seit Jahren experimentierte sie mit Heilkräutern und Pflanzen, mit denen in früheren Zeiten Alchemisten und Hexen umgegangen waren.
Ihr größtes Interesse aber galt der Mandragora. Die Frucht war aus Persien gekommen, in unseren Breiten wurde sie Alraune genannt.
Während ihres Pharmazie-Studiums lernte sie viele Methoden kennen, wie man aus Pflanzen Elixiere und Destillate gewinnt.
Ihr Vater wollte, dass sie Apothekerin wurde, um das väterliche Erbe zu übernehmen. Ihr Beruf war zu ihrem Hobby geworden. Im Garten hinter dem Haus züchtete sie seltene Kräuter. Sie hatte sogar ein Treibhaus, in dem sie besonders empfindliche Pflanzen pflegte. Dazu gehörte auch die Mandragora.
Ein Schwächeanfall zwang Erika, ihren Kopf auf die Tischplatte zu legen. Die junge Apothekerin sah die blühende Pflanze nur verschwommen vor sich.
Ausgemergelt und krank fühlte sie sich, und tief in ihrem Bewusstsein meldete sich eine warnende Stimme, dass ihre Selbstversuche über kurz oder lang mit einer Katastrophe enden mussten.
Sie höhlte ihren Körper aus, der Zusammenbruch war vorhersehbar.
Lohnte sich dies alles eigentlich?
Sie musste an die letzten Bilder denken, welche die anderen vertrieben hatten. Wieso war eine so schöne, sonnige Welt plötzlich so trübe und bedrückend geworden? Woher kamen die schrecklichen Einflüsse? War die Dosis nicht stark genug gewesen? Waren Bilder aus ihrem angsterfüllten Unterbewusstsein aufgestiegen, um sie abzuschrecken?
Aber dann wäre alles doch nur eine Halluzination gewesen, die man mit tausend anderen Drogen auch erzielen konnte.
Sie musste es nachprüfen.
Sie hob den Kopf und stand schwerfällig wie eine alte Frau auf.
Hinter ihr auf einem breiten Regalbrett lief ein Tonbandgerät. Ein Kabel verband es mit dem Mikrofon, das auf dem Tisch stand.
Daneben war eine Filmkamera auf Erika gerichtet. Der Auslöser war so eingestellt worden, dass er eine Viertelstunde nach der Einnahme des Tranks den Motor in Gang setzte.
Das Ganze war ein wenig primitiv, aber es war ja auch ein erster Versuch.
Erika ließ das Tonband zurückspulen. Dann schaltete sie auf Wiedergabe.
»Hier spricht Erika Paller. Dies ist mein dreiundvierzigster Versuch, zum ersten Mal verwende ich eine höhere Dosis. Ich nehme ...«, erklang es aus dem Lautsprecher. Sie hörte nicht mehr hin. Diesen Spruch kannte sie. Es folgten alle notwendigen Angaben über Datum, Uhrzeit und Zusammensetzung des Tranks, den sie zurechtgemixt hatte.
Dann Stille. Das Band rauschte kaum hörbar.
Sie wartete auf etwas Bestimmtes. Aber es kam nichts. Sie vernahm nicht einmal ihren Atem. Und auch die Stelle, wo der Stuhl umgekippt war, fehlte.
Hatte das Band versagt?
Nein! Alles Vorhergehende, die wichtigen Angaben, die den Versuch und die Umstände schilderten, waren erhalten.
Alles, was danach gekommen war, fehlte.
Eine kalte Hand griff nach ihrem Herzen. Sie fragte sich, wie dies möglich war.
Dann nahm sie die Filmkamera und betrat den kleinen Verschlag, der als Dunkelkammer diente. Sie zog den Film durch den Entwickler. Das Ergebnis – null! Obwohl der Film hochempfindlich war.
Also – kein Bild, kein Ton von dem, was sie gesehen und erlebt hatte.
War alles nur ein Traum gewesen?
Ich muss den Versuch wiederholen, drängten ihre Gedanken. Jetzt! Sofort! Nicht lange zögern. Den Faden umgehend wieder da aufnehmen, wo ich ihn verloren habe.
Sie schleppte sich in die Küche. Ihre Haut fühlte sich heiß und trocken an, als hätte sie Fieber.
Sie griff nach der Sprudelflasche, öffnete sie und setzte sie an.
Gurgelnd lief das Mineralwasser durch die Kehle. Sie trank die Flasche fast leer.
Danach fühlte sie sich etwas besser.
Nachdenklich ging sie in den Korridor, schaltete das Licht an und betrachtete sich im Spiegel.
Sie sah bleich aus und abgespannt. Mit einer fahrigen Bewegung strich sie sich durch das kurze Haar. Sie war ein aparter Typ mit sinnlichen Lippen und schönen Jochbögen.
»Zum Kotzen«, stöhnte sie und wandte sich ab, als könne sie ihren eigenen Anblick nicht ertragen.
Ihr Blick fiel auf die Uhr.
Acht. Der Abend hatte erst begonnen. Um sieben Uhr hatte sie den Versuch gestartet. Eine knappe Stunde war sie abwesend gewesen, in der anderen Welt.
Es zog sie wieder dorthin. Wie ein Gift schlich sich der Gedanke in ihr Bewusstsein, dass sie die Begegnung mit Mandragora nochmals suchen musste.
Die Überzeugung, dass dort oben eine Nachricht auf sie wartete, drängte alle anderen Überlegungen in den Hintergrund.
Die Luft in dem kleinen Zimmer kam ihr stickig vor. Vor ihren Augen tanzten dunkle Punkte. Sie taumelte zum Fenster, um es aufzustoßen.
Kein Windhauch bewegte die schwüle Luft.
Der Himmel war sternenklar. Sie wandte den Blick nach oben, atmete tief durch und sah in der endlosen Weite des Himmels die Sterne blinken.
Ferne Welten. Kalt und unbewohnt. Kein Wissenschaftler war noch so vermessen, anzunehmen, dass nur ein einziger Planet von Abermilliarden Leben hervorgebracht hätte. Experimente waren im Gange, um herauszufinden, wo anderes Leben existierte.
Erika hatte eine Möglichkeit gefunden. Auf ihre Weise. Sie hatte eine Astralreise gemacht. Das war ein Anfang. Sie durfte nicht lockerlassen. Sie musste mit Mandragora, der geheimnisvollen Herrin einer mystischen Welt, sprechen.
Vor ihren Augen kreiste der Himmel. Aber einer dieser Sterne stand still und strahlte besonders hell.
Ihr Herzschlag stockte. Brennende Sehnsucht nach der anderen Welt verzehrte sie.
War es ihre Welt?
Hatte sie schon einmal auf einem anderen Stern gelebt? War das, was sie jetzt tat, kein Forschen nach Neuem, sondern ein Erinnern an Dinge, die ihr nach und nach wieder bewusst wurden?
Gedankenversunken stand sie da und starrte in den Himmel.
Das Geräusch eines näherkommenden Fahrzeugs riss sie in die Wirklichkeit zurück.
Ein Auto um diese Zeit und in dieser Gegend – das war ungewöhnlich. In der Wochenendsiedlung am Abhang des Taunus vor den Toren Frankfurts war zum Wochenanfang nichts los. Von den Bungalows war im Moment nur ein einziger bewohnt, und das war ihrer.
Wer kam jetzt, am Anfang der Woche, hierher?
Sie sah hinter den Hecken, die das Grundstück begrenzten, helle Scheinwerfer. Der Fahrer benutzte den Weg, der auf ihr Grundstück zuführte.
Sie war ganz gespannte Aufmerksamkeit.
Außer den Angestellten der Apotheke wusste niemand, dass sie hier war. In dem Haus gab es kein Telefon. Vielleicht war eine wichtige geschäftliche Entscheidung zu fällen, dann musste sich jemand auf den Weg machen und zu ihr herauskommen.
Aber es konnte auch ein Fremder sein, der bemerkt hatte, dass ein Haus bewohnt war ... von einer alleinstehenden jungen Frau.
Sie schloss schnell die Fenster und löschte das Licht im Korridor, von wo der verräterische Schein nach draußen fiel. Auch die Kerze blies sie aus.
Mit kraftlosem Griff nahm sie eine Flinte aus dem Gewehrschrank und lud sie durch. Sie konnte damit umgehen. Erika besaß einen Waffenschein. Sie hatte die Jagd ihres Vaters in den waldreichen Gebieten des Taunus übernommen. Die junge Frau war eine gute Schützin und konnte nicht nur auf Wildschweine und Hasen schießen. Sie schreckte auch nicht davor zurück, die Waffe auf einen Menschen zu richten, wenn sie sich selbst schützen musste.
Sollten irgendwelche Radaubrüder versuchen einzudringen, in der Hoffnung, hier etwas holen zu können, dann hatten sie sich geirrt.
Der Wagen kam tatsächlich auf das Haus zu und stoppte.
Erika Paller hielt den Atem an.
Ein Mann stieg aus und näherte sich dem Gartentor.
Es war niedrig genug, um übersprungen werden zu können. Aber der Besucher tat das nicht.
»Erika?«, rief er.
Die Gerufene zuckte zusammen. Diese Stimme kannte sie, obwohl es lange her war, seit sie sie gehört hatte. Bernd!, schoss es ihr durch den Kopf. Dr. Bernd Kessler! Was wollte er ausgerechnet jetzt hier?
»Erika! Bist du da?« Sie schluckte.
»Erika!« Kessler sprang kurzentschlossen über das niedrige Tor und lief über den Plattenweg zur Haustür. Sein Klopfen dröhnte durch das ganze Haus.
Die junge Apothekerin stellte das Gewehr in die Ecke und ging mit schleppenden Schritten zur Tür. Es hatte keinen Sinn, ihre Anwesenheit zu verleugnen. Wenn Bernd hier auftauchte, hatte er einen Grund. Wahrscheinlich hatte ihr Vater dem jungen Arzt die Adresse gegeben.
Sie knipste das Licht im Flur an, zog den Riegel zurück und schloss auf.
Mit strahlendem Lächeln und braungebrannt stand Kessler vor ihr.
Sein Lächeln blieb, aber der Ausdruck in seinen Augen veränderte sich, als er sie betrachtete.
Sie nickte. »Ich seh' nicht sehr gut aus, ich weiß. Aber ich habe dich auch nicht erwartet«, beugte sie vor, ehe er etwas bemerken konnte. »Wenn ich gewusst hätte, dass ich heute hier einen so seltenen Besuch erhalten würde, hätte ich mich in Schale geworfen.«
Erika wusste, dass sie vernachlässigt aussah. Sie trug eine halbdurchsichtige indische Bluse und verwaschene, hautenge Blue Jeans.
»Komm rein!«
Kessler gab sich ungezwungen. Es kam schnell zu einem Gespräch. Sie hatten sich viel zu erzählen. Zwei Jahre war es her, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten. Es war mehr als Freundschaft zwischen ihnen gewesen.
Gemeinsam hatten sie in Frankfurt studiert. Kessler war Arzt geworden. Sein Vater hatte ein gutgehendes Zwanzig-Betten-Sanatorium in Bad Nauheim, das er einmal übernehmen sollte. Kessler würde bestimmt ein guter Arzt werden. Er hatte Talent und liebte seinen Beruf.
»Ich bin heute erst in Frankfurt angekommen«, sagte er, während sie in das gemütlich eingerichtete Kaminzimmer gingen. Erika goss Drinks ein. Er sah, dass sie zitterte und auf wackeligen Beinen stand.
»Was ist los mit dir?«, fragte er leise und legte seine Rechte auf ihren Unterarm. Sie hob den Blick. »Bist du krank? Dein Vater macht sich Sorgen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Es ist nichts Ernstes. Ich habe mich ein bisschen gehenlassen, das ist alles. In den letzten Tagen habe ich kaum etwas gegessen.«
»Es ist nicht gut, was du machst.«
Sie lenkte ab. »Du wolltest mir erzählen, wieso du so unverhofft hier auftauchst.«
»Das ist schnell getan. – Ich komme also nach Frankfurt und denke mir: Jetzt überraschst du Erika. Die wird sich wundern, wenn du so unerwartet hereingeschneit kommst. Aber ich habe nur deinen Vater angetroffen. Er hat mir erzählt, dass du im Wochenendhaus anzutreffen wärst. Da bin ich hergefahren.«
»Einfach so?«
»Nein, nicht einfach so. Ich hatte eine sehr lange Unterredung mit deinem Vater. Er meint, du hättest dich verändert. Dich von allen zurückgezogen. Den Kontakt verloren zu jungen Menschen und ...«
»Ich hätte, hätte, hätte ... Ja, er hat recht. Aber das hat einen Grund. Es ist nur vorübergehend so. Bis ich meine Arbeit beendet habe. Du weißt doch, wie das ist, wenn man eine Sache im Kopf hat, von der man überzeugt ist und über die man mit keinem andern reden kann.«
»Ja, das kenne ich. Aber was ist dir so wichtig, dass du darüber Schlafen und Essen vergisst?«
Sie begegnete seinem Blick. Er hatte grüngraue Augen unter buschigen Brauen. Das dunkle Haar wuchs ihm über die Ohren. Er war eine gepflegte, interessante Erscheinung.
So etwas wie Wehmut stieg in Erika auf, als sie ihn so musterte und unwillkürlich an die vergangenen Tage dachte.
Es war Liebe gewesen. Aber sie hatten es genau wissen wollen. Würde es so bleiben, oder war es nur eine vorübergehende Verliebtheit, wie in den meisten Fällen, wenn junge Menschen sich mochten?
Sie hatten sich getrennt, jeder sollte seine eigenen Wege gehen.
Zwei Jahre hatte sich Bernd Kessler in Spanien herumgedrückt. An der Costa del Sol in Marbella gehörte seinem Vater zusammen mit einem spanischen Kollegen ein kleines Sanatorium, das besonders gern von reichen deutschen Witwen aufgesucht wurde. In diesem Sanatorium hatte er gearbeitet. Den langen Aufenthalt im Süden sah man ihm an.
Sie beide hatten sich vorgenommen, den Zufall über ihr Schicksal entscheiden zu lassen. Zwei Jahre mindestens wollten sie sich nicht sehen, nicht schreiben, nicht miteinander telefonieren. Es sollte so sein, als ob sie verschollen wären.
Was würde sich an ihrer Liebe dadurch ändern? Diese Frage wollten sie genau beantwortet wissen. Auf einen Außenstehenden mochte diese Art von Prüfung seltsam wirken, aber sie empfanden das keineswegs so.
Der erste Moment, als Bernd vorhin vor der Gartentür stand, kam ihr wieder in den Sinn.
Sie hatte keine Begeisterung empfunden. Zu sehr noch stand sie im Bann dessen, was geschehen war und was sie nicht begreifen konnte. Doch nun, mit einem Male, entfernten sich diese Gedanken immer weiter von ihr. Sie begann, sich mit ihrem Besucher zu beschäftigen.
Wie eine Flut brach alles in ihr auf.
Plötzlich schlang sie die Arme um seinen Hals, als würde ihr jetzt erst bewusst, wer da eigentlich gekommen war. Tränen sprangen aus ihren Augen, um ihre Lippen zuckte es.
»Eri, geliebte Eri!« Er bedeckte ihr heißes Gesicht mit Küssen. »Ich glaube, ich komme zum rechten Zeitpunkt zurück. Du solltest mir alles erzählen, alles ...«
Bernd holte aus dem Kühlschrank zwei Konservendosen und wärmte einen kräftigen Eintopf auf, in dem Speckwürfel schwammen.
Erika Paller aß mit Heißhunger.
Es tat ihr gut, mit jemandem über das sprechen zu können, was sie bisher allein entscheiden musste.
Sie zeigte ihm den kleinen Raum, in dem sie ihre Experimente durchgeführt hatte, und erzählte von den Pflanzenauszügen aus der Mandragora. Er wurde blass.
»Du experimentierst mit – Toxinen?«
»Es gibt hinreichend Beweise, dass Menschen zu allen Zeiten aus Früchten Zauber- und Liebestränke brauten. Aber ich habe mehr herausgefunden. Warum hat man dieser Pflanze einen Frauennamen gegeben?«
»Woher weißt du, dass es der Name einer Frau ist?«, fragte er, während er das grünblühende Gewächs von allen Seiten betrachtete.
»Es kam mir in den Sinn. Mandragora, das klingt weiblich und geheimnisvoll.«
»Alles, was weiblich ist, ist auch geheimnisvoll«, gab er zu.
»Wenn von Hexen- und Zaubertränken in alten Büchern die Rede war, hat mich das schon als Kind fasziniert. Ich habe meinen Vater gefragt, ob es so etwas gäbe. Es gibt Drogen und Narkotika, antwortete er damals. Aber waren es wirklich nur Halluzinationen, die geschildert wurden? Ich entdeckte in späteren Jahren vieles, das sich so ungeheuerlich anhörte, dass es mir nicht in den Kopf wollte, woher die Menschen es haben konnten. Alles nur Phantasie? War es nicht vielmehr so, dass Hexen wirklich fliegen konnten, wenn sie bestimmte Tränke zu sich nahmen, bestimmte Substanzen in ihre Haut einrieben? Gibt es nicht wirklich jene Orte, von denen sie berichteten, jene fremden Welten, die sie zu sehen glaubten? Es gibt sie. Ich war dort, Bernd.« Ihre Augen nahmen wieder einen fiebrigen Glanz an.
Stand sie im Bann einer anderen Macht? Unter Hypnose?
Er musste es herausfinden.
Entweder hatte Erika wirklich eine Entdeckung gemacht, oder sie hatte ihren Geist schon so zerstört, dass sie nicht mehr in der Lage war, zwischen Traum und Wirklichkeit zu unterscheiden.
Mit großen Augen sah sie ihn an, während sie mit den Fingerspitzen die Konturen seines Gesichts nachzeichnete. »Es ist gut, dass du da bist«, sagte sie. »Du kannst mir helfen. Du sollst dir eine objektive Meinung bilden. Dann kannst du mir sagen, wie es gewesen ist.«
»Nichts ist gewesen, Erika«, versuchte er sie zu ernüchtern. »Tonband und Film haben nichts angezeigt.«
»Genau das ist es, was mich stutzig macht. Die Technik versagt. Das bedeutet: Parapsychologische Kräfte haben die elektrischen Anlagen gestört.«
»Eri! Die Anlage hat funktioniert. Wir haben es nachgeprüft. Du hast einfach in deinem Stuhl gesessen, warst betäubt von dem Trank, den du zu dir genommen hast, und hast deinen Träumen nachgehangen.«
Sie hatte sich doch sehr verändert, fand er. Dies bestärkte ihn in dem Wunsch, ihr zu helfen.
»Die Stimme, die du gehört, die Bilder, die du gesehen hast – sie waren nicht wirklich. Du hast sie dir bloß eingebildet.«
»Aber der Stuhl ... er ist umgefallen. Den Schlag hätte das Aufnahmegerät aufzeichnen müssen. Es ist ein sehr empfindliches Mikrofon, das dort auf dem Tisch steht, Bernd.«
»Vielleicht hast du gar nicht auf dem Boden gelegen.«
»Ich weiß es genau.«
»Du weißt selbst, welche Wirkung Psychopharmaka haben, Eri.«
»Ich habe eine Astralreise gemacht. Ich habe diesen Raum verlassen, ohne auch nur einen einzigen Schritt vor die Tür zu setzen. Das werde ich dir beweisen. Du wirst es mit deinen eigenen Augen erleben. Ich werde den Versuch wiederholen, genau wie ich es vorhatte. Und du musst aufpassen, hörst du? Du musst mich genau beobachten, und nachher musst du mir sagen, was passiert ist. Einverstanden?«
»Gut.« Er nickte. Vielleicht war dies die beste Lösung. Er konnte sie überzeugen, wenn er ihr danach in allen Details ihr Verhalten schilderte. Aber – würde sie ihm glauben?
Mit fieberhafter Eile bereitete sie vor seinen Augen einen neuen Trank vor. Er war entsetzt, als er sah, wie hoch sie ihn dosierte.
»Diese Giftmenge wird dich umbringen«, warnte er.
Sie lächelte. »Das glaubte man bisher. Ich habe das Fünffache dessen genommen, was man allgemein als tödlich betrachtet. Außerdem erhöhe ich nur um zwei Milligramm. Das ist alles.« Er versuchte, sie von diesem Unternehmen abzubringen. Aber es war sinnlos. Sie trank das Glas leer. Dann lehnte sie sich in den gepolsterten Stuhl zurück und blickte angestrengt auf die vor ihr auf dem Tisch stehende Pflanze. Ihm fiel auf, wie sehr sie sich auf einen bestimmten Punkt konzentrierte.
»Warum siehst du die Pflanze an?«, forschte er.
Erika Paller war erschreckend bleich. Ihre Augen glühten wie Kohlen. »Es ist eine Mandragora, Bernd.« Das wusste er bereits.
»Ich sehe eine Gestalt«, erklärte sie leise. »Die Blätter links und rechts sind feine schlanke Arme, die sie ausstreckt. Sie reckt sich. Ihr Körper ... ist makellos rein und schön. Eine vollendet göttliche Frau ... Mandragora ... aus der Blüte geboren ...«
Bernd Kessler schloss die Augen. Ein Zittern überlief seinen Körper.
Sie war verrückt! Kein normaler Mensch redete so.
Es kam der Punkt, ab dem es nicht mehr möglich war, mit ihr ein Wort zu wechseln. Ihre Lippen bewegten sich noch, aber es kam kein Laut zustande. Ihr Atem wurde flacher, ihr Puls schwächer.
»Erika!« Dr. Bernd Kessler sah das Unheil kommen. Warum hatte er diesen idiotischen Versuch überhaupt zugelassen? Alle Vorzeichen eines Herzversagens stellten sich ein. Er sprang auf, schüttelte sie, schlug ihr links und rechts auf die Wangen.
»Erika!« Sie reagierte nicht.
Sie atmete nicht mehr. Ihr Herz stand still.
Erika hatte den Flug ins Jenseits geschafft, in jene andere Welt, wo Mandragora sie erwartete. Erika war tot.
Es war alles so schnell gegangen.
Er war Arzt, und doch hatte er versagt.
Er rannte aus dem Haus. In seiner Tasche befand sich ein herz- und kreislaufanregendes Mittel.
Auf dem Weg zurück in den Wochenendbungalow zog er die Spritze bereits auf, um keine Zeit zu verlieren.
Erika hatte zu viel gewagt. Was viele Male gutgegangen war – diesmal hatte sie den Bogen überspannt.
Ihr ausgemergelter Körper hatte den neuen Giftstoß nicht verkraftet.
Kessler injizierte intravenös.
Reglos hing Erika im Stuhl.
Er legte sie auf den Boden, beatmete sie, gab ihr eine Herzmassage. Es nützte alles nichts.
So oft war er mit dem Tod konfrontiert worden, aber hier kam er ihm fremd und sinnlos vor wie nie zuvor.
Erika reagierte nicht mehr.
Aber er machte weiter. Etwas musste er doch tun. Doch sie war völlig paralysiert.
Auch in einem Hospital würde man nichts mehr für sie tun können.
Mit leeren Augen starrte er auf die herabbrennende Kerze, die Mandragorapflanze, das Glas, das sie ausgetrunken hatte.
Plötzlich fuhr er zusammen.
Er sah die Situation in einem ganz anderen Licht.
Hier war etwas passiert, etwas Unnatürliches!
Ein Mord. Ein Selbstmord. Und er war dabeigewesen und hatte ihn nicht verhindert.
Wenn er den Todesfall meldete und die Umstände schilderte, würde ihm niemand glauben.
Warum haben Sie es nicht verhindert?, würde es heißen. Sie als Arzt müssen doch wissen, was es heißt, eine solche Giftmenge zu schlucken. So, freiwillig hat sie diese genommen? Haben Sie nicht ein bisschen nachgeholfen?
Er geriet in Panik, als er daran dachte, dass auch die Tonbandaufnahme gegen ihn zeugen würde.
Erika hatte alle bisherigen Versuche fein säuberlich mit Datum und Zeitangabe versehen, hatte sie chronologisch katalogisiert.
Aber dieser letzte Versuch war nirgends vermerkt.
Die Polizei würde stutzig werden, wenn sie die Leiche fand.
Er hatte zwar kein Motiv für den Mord, aber er würde trotzdem mit hineingezogen werden.
Er liebte Erika, er würde doch niemals ... aber ... liebte er sie wirklich? Als er hier ankam, war er in einer unbeschreiblichen Glücksstimmung gewesen. Aber ihre Reaktion ... sie hatte ihn getroffen wie eine kalte Dusche.
Erikas Anblick. Sie hatte ihre Reize, gewiss. Aber doch fehlte etwas, das sie früher besessen hatte.
Wie ausgebrannt, ausgehöhlt war sie ihm vorgekommen.
Zwei Jahre hatten sie sich nicht gesehen. Es würde der Polizei nicht schwerfallen, dies herauszufinden. In welchem Zusammenhang würde ein geschickter Staatsanwalt seine Rückkehr sehen?
Liebte er eine andere? Wollte er die alte Freundin loswerden? Kamen ihm die Versuche Erikas nicht sehr recht? So konnte man eine Anklage aufbauen.
Er musste etwas tun.
Niemand hatte ihn gesehen, niemand wusste, dass er hier gewesen war.
Doch, Erikas Vater! Aber das konnte er zurechtbügeln, wenn er jetzt umgehend anrief und sagte, dass er das Wochenendgrundstück nicht gefunden hätte. Er wolle es morgen bei Tageslicht noch einmal versuchen. Das war ein Alibi. Niemand konnte ihm nachweisen, dass er hier gewesen war. Es gab keine Zeugen.
Er setzte Erika wieder so in den Stuhl, wie sie im Augenblick des Todes gesessen hatte.
Der Arzt hatte Herzmassage ausgeführt. Dies war feststellbar. Vor allen Dingen würde der Einstich in die Vene nicht unentdeckt bleiben.
Aber ganz ohne Risiko ging es nun nicht mehr.
Es kam darauf an, wie und wann man die Leiche entdeckte. Wenn man vom äußeren Rahmen ausging, würden die Beamten an einen Unfall glauben. Wenn man den Nadelstich entdeckte, würde man weiter recherchieren. Das war sein Risiko. Es könnte aber auch ein Unbekannter hier gewesen sein. Kein Mensch wusste genau, was Erika trieb.
Er wischte alle Möbel und Gegenstände ab, von denen er glaubte, dass er sie berührt hatte.
Bernd ließ die Kerze brennen, spielte einen Atemzug lang mit dem Gedanken, sie umzuwerfen. Das konnte zu einem Brand führen. Damit war das Risiko, dass man Spuren sicherstellte, noch geringer. Die Kerze konnte schließlich umgefallen sein, als Erika auf irgendeine dumme Weise gegen den Tisch stieß und ... Er verwarf diesen Gedanken ebenso schnell wieder, wie er ihm gekommen war.
Das brachte er doch nicht fertig.
Der Mann verließ das Haus. Auf dem Weg zum Gartentor stutzte er plötzlich.
War da nicht ein Lichtschein neben dem Haus, den es vorhin nicht gegeben hatte?
Er blieb stehen.
Rechts an der Hauswand. Hinter einer Buschreihe stand das kleine Treibhaus. Hinter den Fenstern dieses Treibhauses schimmerte es.
Verbrannte dort etwas?
Er ging zur Treibhaustür, die er vorsichtig und leise aufzog.
Links und rechts Kästen und Gewächse, dazwischen ein schmaler Gang.
Bernd Kessler starrte nur geradeaus. Was er dort zu sehen bekam, reichte ihm.
Eine gespenstisch fluoreszierende Lichterscheinung kniete vor einer Pflanze mit dunkelgrünen Blättern, grünlichen Blüten und gelbroten Früchten.
Die Kniende pflückte einige Früchte, die Pflanze veränderte sich. Die Blüten und länglichen Blätter nahmen die Umrisse einer jungen Frau an. Eine vollendete Figur!
Träumte er? Narrte ihn ein Spuk?
Er stand da, als wären seine Füße am Boden festgenagelt.
Die Kniende wandte den Kopf. Kessler traf fast der Schlag.
Ganz deutlich erkannte er Erika Paller. Aber dieselbe Erika Paller saß auf ihrem Stuhl drinnen im Zimmer und rührte sich nicht mehr. Die Geistererscheinung löste sich auf. Mit ihr verschwand die Gestalt, die aus den Blüten und Blättern entstanden war. Was für ein Tag war dies? Was erlebte er hier, das über seinen Verstand ging? Am liebsten wäre er davongelaufen. Doch der Wille, sich zu vergewissern, ob dort wirklich etwas gewesen war, trieb ihn zu der Stelle, an der Erikas Geist gekniet hatte. Nichts. Der Spuk war verflogen. Die Pflanze war unverändert. Unwillkürlich griff er nach den Blättern. Sie waren real. Benommen verließ er das Treibhaus, ohne eine Erklärung für das gespenstische Ereignis gefunden zu haben. Hatte das Erlebnis mit Erika ihn derart mitgenommen, dass er selbst unter Halluzinationen litt? Kessler eilte zu seinem Wagen, startete und fuhr los. Er war so verwirrt, dass er vergaß, die Scheinwerfer einzuschalten. Erst an der nächsten Wegkreuzung fiel es ihm auf. Eine Minute später erreichte er die Bundesstraße, in die er scharf nach links einbog, in Richtung Frankfurt. Er trat das Gaspedal bis zum Anschlag durch. Am Straßenrand stand ein Polizeifahrzeug, das eine Panne hatte. Die beiden Beamten warteten darauf, abgeschleppt zu werden.
Sie sahen den Wagen aus dem Zufahrtsweg der Wochenendsiedlung schießen. Hinter der Windschutzscheibe erkannten sie die Umrisse eines einzelnen Mannes.
Den Beamten fiel die Fahrweise des Mannes auf.
»Merk dir mal die Nummer, Heinz!«, bat der eine. »Der hat es ja mächtig eilig. Vielleicht hat er uns gesehen.«
»... und möchte nicht gesehen werden«, schloss der andere. In der letzten Zeit war des Öfteren von Einbrüchen und Diebstählen in dem Wochenendbezirk berichtet worden. Der erste Polizist notierte sich die Nummer. So kam der Stein ins Rollen ...
»Bernd!«, rief sie voller Entzücken. »Es funktioniert. Schade, dass du nicht hiersein kannst! Aber du könntest, wenn du nur wolltest. Wie schön es hier ist!«
Erika Pallers Freude kannte keine Grenzen.
Sie war wieder an der Stelle angekommen, wo Mandragora, die geheimnisvolle Herrin einer fremden Welt, zu Hause war. Der Strand, die Palmen, der blaue Himmel. Und – Mandragora. Die Schöne trat ihr entgegen. Es war, als träfen sich zwei Freunde nach langer Zeit wieder.
»Ich freue mich, dass es dir gelungen ist, erneut herzukommen.« Die Stimme Mandragoras klang sanft und unirdisch. Erika Paller atmete tief durch. Sie war wieder auf dem unbekannten Stern, den sie seit Monaten beobachtete und zu dem sie so oft gestarrt hatte, dass sie ihn mit bloßem Auge fand. War von dort die Aufforderung gekommen, die Experimente mit der Zauberpflanze durchzuführen? Sie fühlte sich auf seltsame Weise hier heimisch. Alles Irdische lag weit zurück. Die junge Frau empfand weder Heimweh noch Angst. Alles war natürlich und selbstverständlich für sie.
»Wo bin ich hier?«, fragte Erika.
»Bei Mandragora, in Mandragoras Paradies«, erhielt sie zur Antwort. Es war eine Gedankenstimme. Erika hörte sie nicht wirklich, sie vernahm die Worte klar und deutlich in ihrem Bewusstsein.
»Wieso bin ich hier?«
»Es war dein Wunsch. Ich habe diesen Wunsch in dir immer stärker werden lassen, weil ich weiß, dass du uns helfen kannst.«
»Helfen? Wie kann ich helfen?«
Während sie so sprach, dachte sie an Bernd, wie er jetzt in dem kleinen, nur vom schummrigen Licht einer Kerze erhellten Raum saß und ihren Körper beobachtete. Bernd war Arzt, er würde sehr genau beobachten und sich Notizen machen. Dabei würde er feststellen, dass dies alles andere als ein üblicher Drogenrausch war.
»Du gehörst zu uns. Du bist nicht die, die du zu sein glaubst.«
Was waren das für Worte! Seltsamerweise erschreckten sie Erika ebenso wenig wie die Tatsache, dass Seele und Geist sich von ihrem Körper getrennt und nun hier, unzählige Kilometer von der Erde entfernt, zu einem neuen Körper geformt hatten. Sie war ja nicht unsichtbar. Sie existierte wirklich.
»Das verstehe ich nicht«, dachte sie. Gedanken blieben der Herrin dieser Welt nicht verborgen.
»Es ist einfach so: Geist und Seele formen den Körper, in dem sie hausen«, erfuhr Erika. »In nichts unterscheidet sich dein Körper von dem, den du auf der Erde hast.«
Sie verstand es zwar nicht, aber sie nahm es hin, wie man Sonnenauf- und -untergang hinnimmt.
»Dein Leben auf der Erde war ein Traum«, sagte die Stimme in ihr. »Du gehörst hierher. Mit unwiderstehlicher Macht hat es dich hergezogen. Dies ist dein wirkliches Leben.«
»Aber kann es nicht sein, dass ich dies alles träume?«
»Nein. Folge mir nach.« Mandragora streckte ihre Rechte aus. Erika ergriff die Hand: Sie war zart und leicht wie eine Blüte. »Du wirst sehr schnell erkennen, wie wichtig deine Rückkehr geworden ist.«
Das alles klang so seltsam und fremd.
Es hörte sich so an, als ob sie fort gewesen und nun zurückgekommen wäre. In Wirklichkeit war es doch nur ein Besuch, der endete, sobald die Wirkung der Mandragoraauszüge nachließ und Geist und Seele wieder in den irdischen Körper zurückkehrten.
Mandragora trug ein seegrünes, knöchellanges Gewand, das hochgeschlitzt ihre festen Schenkel freilegte.
Die Herrin dieses Paradieses an einem fernen Ort im Kosmos schritt voran.
Ein schmaler Pfad führte quer über den Strand. Er mündete in ein Blumenmeer. Der Boden war weich, samtiges Moos breitete sich wie ein Teppich aus.
Überall prunkten lebensgroße Blüten, in ihrer Farbenpracht und ihrem Formenreichtum unübertroffen.
Erika Paller ging durch einen blühenden Paradiesgarten. Blumenbeete, Wassertümpel, schattige Ecken mit Sitzgelegenheiten, die zum Verweilen einluden. Ein flaches Haus ruhte auf einem Hügel, von dem der Blick weit über Garten, Strand und Meer schweifte. Ein papageienartiger Vogel hockte auf einem goldschimmernden Gestell in der Nähe des Hauseingangs.
Sein kräftiger Schnabel hackte nach den Körnern auf der Futterplatte unter der Sitzstange. Aus grünen Augen glotzte der Vogel Mandragora und ihre Begleiterin an.
Etwas Lauerndes lag in seinem Blick. Erika kam der Gedanke, dass ein Vogel mit solch bösen Augen keinen Platz in dieser paradiesischen Umwelt haben sollte.
Mandragora ging durch den bogenartigen Durchlass. Ein anheimelndes, gedämpftes Licht herrschte im Innern des Hauses.
Die Herrin dieser Welt hatte immer wiederholt, dass sie von Erika Hilfe erwartete. Nicht nur für sich, auch für die anderen. Wo waren sie? Warum zeigten sie sich nicht?
Was für eine Hilfe sollte sie leisten? Gab es hier denn Gefahren?
Mandragoras Schritte beschleunigten sich.
Erika konnte ihr nicht so schnell folgen. Ihr Herz schlug ihr im Halse. Das Atmen fiel ihr schwer.
Gefahr drohte. Erika konnte sich des Gefühls nicht erwehren.
Die Ruhe, die sie zunächst als so wohltuend empfunden hatte, kam ihr mit einem Male unheimlich vor.
»Mandragora?«, entwickelte sich die Frage in ihrem Bewusstsein. Und dann erfüllte sie jäh nur noch namenloses Grauen. Mandragora war verschwunden! Eben noch war sie unmittelbar vor ihr hergegangen.
Der Eingang zum Haus existierte nicht mehr.
Der Paradiesgarten war verschwunden. An seiner Stelle zeigte sich ein Bild, das Erika bis in die Tiefen ihres Bewusstseins erschütterte.