Macabros 001: Der Monstermacher - Dan Shocker - E-Book

Macabros 001: Der Monstermacher E-Book

Dan Shocker

0,0

Beschreibung

Der Monster-Macher Um den japanischen taubstummen Rennfahrer Onio Yamahoki beim Grand Prix von Südfrankreich siegen zu sehen, sabotiert der Trainer Tonka Hamado mit Hilfe seiner Techniker den Wagen des einzig harten Konkurrenten für Yamahoki, Björn Hellmark. Während des Rennens verliert Hellmarks Wagen das linke Vorderrad und Björn Hellmark wird mit inneren Blutungen ins Krankenhaus gebracht. Sein Vater, der Industrielle Alfred Hellmark und seine Freundin Carminia Brado bangen um sein Leben. Dann beginnen mysteriöse Ereignisse ihren Lauf zu nehmen. Björn Hellmark erscheint als geisterhafte Erscheinung sowohl seiner Freundin als auch seinem Vater und teilt beiden mit, dass er überleben wird. Fluch der Druidin Im Januar des Jahres 1569 kommt es auf der irischen Insel Inishkeere zu einigen dramatischen Ereignissen. Seit langer Zeit verdächtigen die Bewohner der Insel die Einsiedlerin Kiuna Macgullygosh, junge Mädchen in ihr Haus zu locken und deren Blut zu trinken. Als eines Tages der Hexenjäger Jonathan Thuerlaen in dem kleinen Dorf ankommt, beauftragen ihn die ängstlichen Menschen, dem Treiben der verhassten Druidin ein Ende zu bereiten. Noch am selben Abend suchen Thuerlaen und sein Begleiter Knickery die heruntergekommene Steinhütte der angeblichen Hexe auf und malträtieren sie mit dem Hexenstecher. Kurzbeschreibungen: © www.gruselromane.de

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 374

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



DAN SHOCKERS MACABROS

BAND 1

© 2014 by BLITZ-Verlag

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Titelbildgestaltung: Mark Freier

Fachberatung: Gottfried Marbler

All rights reserved

www.BLITZ-Verlag.de

ISBN 978-3-95719-701-6

Dan Shockers Macabros Band 1

DER MONSTERMACHER

Mystery-Thriller

Der Monstermacher

von

Dan Shocker

Prolog

Man führte ihn schweigend in den abgedunkelten Raum. Armand Fernaud kniff unwillkürlich die Augen zusammen, als könne er dadurch mehr erkennen. Doch das war ein Irrtum. Er nahm lediglich die schemenhaften Umrisse eines kräftigen Mannes wahr, der leise atmend in einem tiefen Sessel saß. Das Treffen fand in einer Seitenstraße Tokios statt. Hier gab es weniger Lichtreklamen, deren Schein sich in dem abgedunkelten Zimmer hätten widerspiegeln können.

Der unbekannte Gastgeber forderte mit einer stillen Geste seinen Besucher auf, sich ihm gegenüber zu setzen.

Armand Fernaud sah das dunkle Gesicht in Reichweite vor sich.

Warum gab sich dieser Mann nicht zu erkennen? Was hatte er zu verbergen, was zu fürchten? Der fremde Gastgeber wartete ab, bis die beiden jungen Japaner, die den Franzosen hierher gebracht hatten, aus dem Raum gegangen waren. Lautlos klappte die Tür ins Schloss.

»Sie sind einer der größten Hellseher der Welt«, sagte der Mann im Dunkeln. Der Sprache nach war auch er Japaner. Armand Fernaud hatte keinen Augenblick daran gezweifelt. Vielleicht war er ein hohes Regierungsmitglied, vielleicht ein populärer Wirtschaftsboss oder ein Religionsführer. Menschen aller Schichten kamen mit ihm, dem Hellseher, zusammen. Er beriet Politiker, die seinen Rat suchten, ebenso wie Schauspieler, Fürsten und Prinzessinnen. Auch sie gehörten zu seinem Kundenstamm. »Zumindest steht das auf Ihrer Visitenkarte, Monsieur Fernaud«, fuhr der Unbekannte fort. Er sprach ein holpriges, ungeschliffenes Französisch. Seine Stimme klang etwas hoch. »Ich habe vor drei Tagen von Ihrer Ankunft und Ihrer Tätigkeit in Tokio erfahren. Leider war es nicht möglich, dieses Treffen eher zustande zu bringen.«

Armand Fernaud nickte. »Meine Termine sind immer dicht gestaffelt, mein Herr.« Der Franzose zögerte einen Augenblick, als erwarte er, dass ihm sein Gegenüber seinen Namen nenne. Doch nichts dergleichen geschah. So fuhr er fort: »Viele Menschen kommen zu mir – oder ich gehe zu ihnen – weil sie meinen Rat brauchen.« Er zählte prominente Namen auf.

Mit einer Handbewegung winkte sein unbekannter Gastgeber ab. »Das ist mir alles bekannt. Deshalb habe ich Sie zu mir kommen lassen.«

»Es ist nicht üblich, dass sich mein Mandant nicht vorstellt, dass ich nicht weiß, mit wem ich es zu tun habe«, sagte Armand Fernaud leise. »Wovor fürchten Sie sich? Andere, hohe Persönlichkeiten …«

»Davon wollen wir nicht sprechen. Wir wollen von Ihnen reden«, fiel ihm der Unbekannte ins Wort. »Ich habe gelesen, dass Sie nur das Fluidum eines Menschen brauchen, um etwas über ihn und sein Schicksal aussagen zu können. Das stimmt doch, nicht wahr?«

»Ja.«

»Wenn Ihnen bestimmte Fragen gestellt werden, erfolgt intuitiv die Antwort und Sie sind in der Lage, die Vision zu schildern, die Sie im Moment haben?«

»Ja.«

»Dann spielt also mein Gesicht keine Rolle. Ich sitze vor Ihnen; Sie hören meine Stimme; Sie empfangen das Fluidum meines Körpers. Mehr brauchen Sie nicht. Ich will Ihre Zeit nicht über Gebühr in Anspruch nehmen. Ich habe nur eine einzige Frage an Sie.«

Armand Fernaud blickte überrascht auf. Auf seiner hohen Stirn bildete sich eine steile Falte. »Eine einzige Frage? Und dafür zahlen Sie mir ein so hohes Honorar?«

Der Betrag war im Voraus von einem der beiden Japaner, die ihn abgeholt hatten, entrichtet worden.

»Werten Sie dies als Zeichen meiner Hochachtung und Großzügigkeit«, lautete die holprige Antwort des Japaners.

»Reichen Sie mir bitte Ihre linke Hand«, verlangte Armand Fernaud mit gedämpfter Stimme.

Der Fremde tat wie ihm geheißen. Es war eine schmale, aber kräftige Hand mit langen, nervigen Fingern, die selten für einen Japaner waren und die irgendwie im Kontrast zu dem schweren, untersetzten Körper standen, der sich schemenhaft in der Finsternis abzeichnete. Es waren Finger, die am ehesten zu einem Künstler – oder einem Chirurgen passten.

»Stellen Sie mir Ihre Frage«, fuhr Armand Fernaud fort. Er schloss die Augen, konzentrierte sich auf das Fluidum des Japaners und drückte leicht dessen Hand. Fühlte die Wärme des pulsierenden Blutes.

»Wie werde ich sterben?« Kam es wie aus der Pistole geschossen.

Schon die Fragestellung war ungewöhnlich. Viele Menschen kamen zu Armand Fernaud und fragten ihn nach der Stunde ihres Todes. Obwohl er bei einigen von ihnen schlagartig eine genaue Vision hatte, umschrieb er seine Vorstellung geschickt, antwortete nicht direkt darauf, wich eher geschickt aus. Niemandem war damit geholfen, sich nur zu quälen, wusste er von dem Augenblick seines Todes. Doch nicht in allen Fällen war die Entscheidung richtig. Es gab manche Klienten, die dankbar von ihm geschieden waren. Sie richteten künftig ihr Leben anders ein, sorgten dafür, dass wichtige Dinge nicht mehr auf die lange Bank geschoben, sondern umgehend erledigt wurden. Weil die Stunde näher war als mancher von ihnen geglaubt hatte.

Und Armand Fernaud hatte noch nie geirrt!

Das Geheimnis seines Wissens und seiner Anlagen war ein Phänomen, das selbst ernsthafte Wissenschaftler nicht zu deuten wussten.

Die Augenlider des Hellsehers zitterten ein wenig. Schon öffnete er die schmalen, stets von einem leichten Lächeln umspielten Lippen, wollte etwas sagen, als er entsetzt innehielt. Eine grauenhafte Vision stand greifbar nahe vor seinem Auge, als werfe ein unsichtbarer Projektor die grellfarbenen, sich bewegenden Bilder auf eine Leinwand.

Doch nur Armand Fernaud sah die Zeichen.

Es graute ihm.

Ein Zittern durchlief seinen Körper, kalter Schweiß brach ihm aus und mit einem Aufschrei riss er sich los.

»Was ist?« Wie aus weiter Ferne vernahm er die Stimme des Japaners.

Armand Fernauds Glieder waren bleischwer. Er fühlte sich in den Sessel gepresst. Angst stand in den Augen des Franzosen zu lesen.

»Was ist? Was haben Sie gesehen? So reden Sie doch, Mann!«, drängte ihn die Stimme seines seltsamen Gastgebers.

»Ich kann nicht darüber sprechen.« Armand Fernauds Stimme war wie ein Hauch. Er war totenbleich. Nie hatte ihn eine Vision stärker mitgenommen.

»Ich habe Sie bezahlt!«, donnerte ihn der Mann in der Dunkelheit an.

»Ich werde das Geld zurückerstatten.«

Mit erstaunlicher Wendigkeit stand der untersetzte Mann plötzlich vor ihm. »Was haben Sie gesehen?« Unterdrückte Furcht klang in den Worten mit.

»Entschuldigen Sie mich«, entgegnete Armand Fernaud verstört. »Ich muss jetzt gehen.«

»Nicht, ohne mir Ihre Vision zu beschreiben.«

»Es geht nicht. Ich kann nicht. Etwas stimmt nicht. Entschuldigen Sie.« Jegliche Selbstsicherheit war von dem Hellseher abgefallen.

Er wollte aufstehen. Doch die starken, nervigen Hände drückten ihn in die Polster zurück. »Sie weigern sich?« Die Stimme des Unbekannten klang bedrohlich. »Ich werde später darüber sprechen. Ich muss darüber nachdenken. Es kann ein Irrtum sein. Damit ist Ihnen nicht gedient.«

»Es ist kein Irrtum. Ich weiß es!«

In Armand Fernauds Schädel dröhnte es. Die Stimme des Japaners mischte sich unter das Rauschen, das sein Bewusstsein erfüllte und nur langsam abklang.

Er stand im Bann eines Erlebnisses, über das er nicht sprechen konnte, selbst wenn er gewollt hätte.

»Wenn Sie jetzt nicht darüber sprechen, werde ich Ihnen auch keine Gelegenheit geben, zu einem anderen Zeitpunkt darüber zu reden«, vernahm er die Stimme des Fremden. Ehe er begriff, was das bedeutete, geschah es.

Er riss die Augen auf, als er das lange, schmale blitzende Etwas in der Rechten der Schattengestalt sah.

Etwas zischte durch die Luft. Es klang wie ein Peitschenschlag.

Armand Fernauds Sinne erfassten die Dinge im letzten Augenblick. Man hatte ihn in eine Falle gelockt! Und er war dem Ruf gefolgt! Von Anfang an hatte sein Todesurteil festgestanden, ob er über seine Vision gesprochen hätte oder nicht! Es wurde schwarz vor seinen Augen. Mit einem einzigen Hieb trennte die messerscharfe Schneide seinen Kopf vom Rumpf.

Ohne sichtliche Rührung legte der unheimliche Mörder den langen, feingeschliffenen Degen auf den kleinen, flachen Tisch, wischte sich mit einer mechanischen Bewegung das Blut, das aus dem Rumpf gespritzt war, von seinem Gesicht. Er tat dies mit einer Gleichgültigkeit, als wäre er das gewohnt.

Er ging an das Fenster, zog die Vorhänge zurück, und das schwache Licht drang in breiten Bahnen in das Mordzimmer. Der Japaner blieb eine volle Minute lang am Fenster stehen. In seinem glatten, rätselhaften Gesicht bewegte sich kein Muskel. Er starrte hinunter auf die Gasse, wo sich um diese Zeit nur noch wenige Menschen aufhielten. Ein paar Straßenmädchen, die hier in der Seitenstraße lebten und nun der Ginza – der Hauptgeschäftsstraße der Stadt – zustrebten und dort auf Kundenfang gingen.

In dem kleinen Hotel, das Yasujiro Konaki für die Begegnung mit dem Hellseher vorgesehen hatte, wusste niemand etwas von dem Treffen. Bis auf wenige Eingeweihte. Der geheime Kult, dem sie angehörten, hatte sie zu ewiger Treue und ewigem Schweigen verpflichtet.

Über Konakis fettiges Gesicht lief der Schweiß. In den Augen des Japaners blitzte es. Das Geheimnis seines Todes war weiterhin ungelöst. Es blieb im Dunkel der Zukunft, die ihn erwartete. Er ahnte, dass etwas auf ihn zukam. Es war das Gesetz von Ursache und Wirkung, dem sich kein Mensch entziehen konnte. Er hatte sich Mächten verschrieben, die ein Mensch fürchten musste.

Wäre er hinter das Rätsel um seinen Tod gekommen, hätte er unter Umständen rechtzeitig etwas dagegen tun können. Armand Fernaud hatte es gesehen. Etwas von der Kälte und den Qualen, die für ihn bestimmt waren, hatte ihn, Konaki, angehaucht. Die Reaktionen des Hellsehers hatten für sich gesprochen.

Hinter ihm wurde leise die Tür geöffnet. Seine beiden Begleiter hatten seinen Schatten am Fenster gesehen. Das war das Zeichen, dass sie kommen sollten. Yasujiro Konaki wandte sich langsam um. »Schafft ihn weg«, murmelte er. »Werft seine Leiche ins Meer.« Die beiden nickten stumm. »Und sagt dem Wirt Bescheid«, fuhr er fort. »Er soll hier alle Spuren verwischen.«

»Ja, Herr«, sagte einer der beiden Angesprochenen.

Yasujiro Konaki griff nach dem leichten Übergangsmantel, der hinter der Tür hing, und nach dem dunklen Hut, der etwas zu klein war und wie ein Fremdkörper auf seinem dicken Kopf wirkte. Mechanisch stülpte er ihn sich auf den Schädel. Ohne noch einen Blick hinter sich in den Raum zu werfen, verließ er den Tatort. Spätestens morgen früh würde man Armand Fernaud in seinem Hotel vermissen. Dann würde die große Suche nach ihm beginnen. Aber man würde ihn nie finden. Der Hellseher hatte nicht hinterlassen können, wohin er gegangen war. Er war untergetaucht ... für alle Zeiten.

Es war ein Morgen wie jeder Morgen in Tokio: die Personenzüge waren hoffnungslos überfüllt, die Straßen platzten schier unter dem Verkehr, der sich träge voranschob und der auch tagsüber nur unmerklich abflaute. Die Massen strömten zu ihren Arbeitsplätzen, in die Fabriken an der Peripherie der Stadt, in die Banken, Geschäfte und Bürohochhäuser im Zentrum.

Pünktlich auf die Minute betrat der Generaldirektor des Taykushi-Konzerns sein Büro.

Die flotte, attraktive japanische Sekretärin, betont westlich im enganliegenden Minirock und weißer, halbdurchsichtiger Rüschenbluse gekleidet, begrüßte ihren Chef mit einem strahlenden Lächeln, einem fröhlichen »Guten Morgen«

Hideo Suuki ließ sich auf dem Weg zum Schreibtisch über den Stand der Aktien unterrichten.

Seine Privatsekretärin hatte für ihn bereits den Börsenspiegel notiert. Erfreulicherweise waren die Taykushi-Aktien um vier Punkte gestiegen.

Der Konzern hatte sich in den letzten Jahren beständig nach oben entwickelt. Taykushi hatte sich in Japan und in der westlichen Welt einen guten Namen geschaffen. Auch hier im Osten – besonders in den begonnenen Handelsbeziehungen zu China – zeichneten sich erfreuliche Aspekte ab. Der Konzern hatte für China einen speziellen Kleinwagen entwickelt, der den blumigen, vielversprechenden Namen Morgenstimmung erhalten sollte. Die Produktion dieses chinesischen Kleinwagens würde den Konzern weiter nach oben bringen. Taykushi war sowohl in der Nachrichtentechnik vertreten, als auch in der immer noch florierenden Filmindustrie. Ebenso in der Elektronikforschung für Flugzeuge und in der Entwicklung neuer und ungewöhnlicher Automodelle.

Mit dem Einsatz des Taykushi-IV, eines Rennwagens, der in Japan Schlagzeilen machte, wollte der Konzern nun die außerjapanischen Rennstrecken erobern. Das lang erwartete Ereignis, der Einsatz des Taykushi-IV mit dem taubstummen Rennfahrer Onio Yamahoki am Steuer, stand unmittelbar bevor.

Der Grand Prix sollte in Südfrankreich über die Runden gehen. Hideo Suuki hörte aufmerksam zu, konnte aber nicht verhindern, dass seine Gedanken hin und wieder abschweiften. Yamahokis Konkurrent, der deutsche Fahrer Ferdi Walter, sollte einen March über die Strecke jagen. Doch eine plötzliche fieberhafte Infektion hatte den Deutschen aus dem Rennen geworfen. Die March-Leitung hatte einen Ersatz gestellt. Über den wusste man nichts Genaues. Nur so viel, dass er unter dem Namen Bernd Hellmer an den Start ging. Doch dieser Name war ganz offensichtlich ein Pseudonym. Über den neuen Mann wusste man nur, dass er ein hervorragender Amateurfahrer war, dass er über Mut, Ausdauer, Scharfsinn und Reaktionsvermögen verfügte. Alles Attribute, die ausreichten, um einen Weltklassewagen wie den March Sekunden vor dem Gegner über die Ziellinie zu bringen.

Auch die Sportpresse rätselte, wer Bernd Hellmer sein könnte. Wetten waren angelaufen. Es sah ganz so aus, als würde es ein heißes Kopf-an-Kopf-Rennen geben. Doch dies alles waren nur Vermutungen.

Hideo Suuki wusste da einiges mehr.

Er kannte bereits den Ausgang des Rennens. Es konnte einfach keinen anderen Sieger als Onio Yamahoki geben.

Hideo Suuki musste feststellen, dass er nicht ganz bei der Sache war. Er beantwortete nur die wirklich wichtigen Briefe. Alle anderen Schreiben überließ er seiner Sekretärin, die sie in eigener Verantwortung erledigen konnte.

Nachdem die Post erledigt war und die junge Japanerin draußen im Vorzimmer saß, nahm sich Hideo Suuki die Morgenzeitung vor, überflog die Neuigkeiten aus Politik und Wirtschaft. Er musste sich beeilen, da bereits für halb elf eine Besprechung mit zwei Abteilungsleitern vorgesehen war.

Da schlug das Telefon leise und dezent an.

Hideo Suuki hob ab. »Ja?«

»Doktor Konaki am Apparat, Herr Generaldirektor«, flötete die ruhige, charmante, sexgeladene Stimme der Sekretärin.

»Ich bin da«, sagte er mechanisch, wie es seine Art war, wenn es sich um eine Person handelte, bei der er eine Absage schlecht riskieren konnte. Bei Yasujiro Konaki schon gar nicht. Wenn der sich meldete, war man immer zu sprechen.

Es knackte kurz in der Leitung und Hideo Suuki meldete sich mit ruhiger Stimme.

»Wie sieht es bei Yamahoki und Hamado aus?«, wollte der Anrufer wissen. Und fiel gleich mit der Tür ins Haus.

»Es ist noch zu früh«, entgegnete Hideo Suuki leise. Seine zur Schau getragene Selbstsicherheit fiel wie eine zweite Haut ab. Er wirkte nervös. »Drüben in Europa schlafen noch alle.«

»Es muss aber heute passieren!« Yasujiro Konakis dünne, etwas hohe Stimme wirkte am Hörer noch nichtssagender. Doch dieser Eindruck täuschte. »Die Trainingsrunden finden heute statt. Hamado muss praktisch alle Vorbereitungen abgeschlossen haben.«

»Ich habe bis zur Stunde noch keine Bestätigung erhalten. Spätestens heute Mittag erkundige ich mich nach dem Stand der Dinge«, meinte Hideo Suuki. Unwillkürlich schob er mit der linken Hand seine in Gold gefasste Brille, die immer etwas nach vorn rutschte, wenn er den Kopf zu sehr senkte, in die Höhe. »Wenn ich telefonisch nicht durchkomme, bringe ich ein Telex auf den Weg. Vielleicht ist auch schon etwas von Hamado unterwegs.«

»Dann wird es Zeit, dass es eintrifft. Rufen Sie mich an, sobald Sie etwas Neues wissen, Suuki.«

»Natürlich, Doktor Konaki.«

»Ich liefere die Leute, Sie sorgen für den technischen Ablauf der Dinge. So war es abgesprochen. Wir sind Partner, Suuki. Wir haben beide unseren Vorteil davon.«

Yasurijo Konaki redete, als sei er der Generaldirektor des Taykushi-Konzerns und nicht Hideo Suuki.

1. Kapitel

Flammendrot ging die Sonne über dem Mittelmeer auf. Himmel und Meer sahen wie eine einzige, riesige Blutlache aus. Dann ging das Rot in ein kupferfarbenes Orange über, wurde gelb und schließlich spannte sich ein strahlender blauer Himmel über die Mittelmeerküste.

Um diese Zeit, kehrte ein gewisser Bernd Hellmer von seinen Trainingsrunden zurück. Der deutsche Fahrer hieß in Wirklichkeit Björn Hellmark und war der Sohn des bekannten Alfred Hellmark, der einen riesigen Chemiekonzern sein eigen nennen konnte.

Die Zeit, die er gefahren war, konnte sich sehen lassen. Der March lief wie ein Uhrwerk, Fahrer und Maschine waren in Höchstform. Der Wagen wurde von einem Techniker weggebracht. Björn Hellmark löste die Lederschlaufe unter seinem Helm und nahm ihn ab.

Gegen die Bande gelehnt blinzelte er in die Sonne. Von der Zuschauertribüne aus näherte sich ihm eine junge, dunkelhäutige, langbeinige Schönheit in einem zitronengelben Kleid. Die Haare der jungen Brasilianerin waren zu einem Pferdeschwanz gebunden und der schöne, schlanke Hals wuchs zart und zerbrechlich wie der Stängel einer Lilie aus den braunen, schimmernden Schultern.

Obwohl es noch früh am Morgen war, hatte die Sonne schon genügend Kraft, die Luft zu erwärmen.

Carminia Brado schlang ihre schlanken, nackten Arme um Björn Hellmark. Der sechsundzwanzigjährige Deutsche drehte leicht den Kopf zur Seite und hauchte einen Kuss auf die verführerisch schimmernden roten Lippen. »Für heute bin ich frei, Schoko«, sagte er zärtlich. Er nannte sie meistens bei ihrem Kosenamen, mit dem er auf ihre Hautfarbe anspielte. »Wie schlagen wir die Zeit tot? Legen wir uns bis zum Mittagessen an den Strand und schwimmen ein bisschen?«

Sie nickte und lachte. Ihre weißen Zähne schimmerten wie Perlen und stachen von der braunen Haut ab. »Einverstanden. Und nach dem Essen?«

»Das Essen selbst dauert zwei Stunden. Mindestens. Hier in Frankreich nimmt man sich Zeit, wie du weißt. Der Tag verspricht heiß zu werden. Ich schlage vor, wir legen nach dem anstrengenden Mittagsmahl eine Siesta ein.«

»Oui, einverstanden.« Sie hockte sich im Damensitz neben ihn auf die Bande, die über und über mit Reklametafeln und Plakaten überklebt war.

Wenn Björn Hellmer mit Carminia zusammen war, dann brauchten weder der Trainer noch der Rennleiter, weder ein Techniker noch ein Autogrammjäger den Versuch zu unternehmen, ihn sprechen zu wollen. Björn ließ sich nicht ablenken. In Carminia glaubte er, die Frau seines Lebens gefunden zu haben.

Der reiche Playboy, der schon die ganze Welt gesehen hatte, der ein leidenschaftlicher Reiter war, einen Pilotenschein besaß, mit seiner Yacht Seejungfrau die Weltmeere befahren hatte und in allen Sportarten aktiv war, lebte auf der Sonnenseite des Lebens.

Aber Björn Hellmer kannte auch die andere, die Schattenseite.

Der Reichtum des Vaters ermöglichte ihm ein sorgloses und abwechslungsreiches Leben. Aber dieser Reichtum und die Möglichkeiten, die ihm dadurch eröffnet worden waren, hatten ihn nicht arrogant werden lassen.

Es gab eine Hellmark-Stiftung mit einem mehrere Millionen umfassenden Fondsvermögen, die überall dort tätig wurde, wo jemand unverschuldet in Not geriet und wo schnelle Hilfe notwendig war. Björn Hellmark selbst hatte drei Jahre freiwillig Entwicklungsdienst bei den Hochlandindios in Peru abgeleistet und wusste, was Armut bedeutete. Für die Menschen dort war das Dasein ein täglicher Kampf ums Überleben. Das Durchschnittsalter der Indios lag bei fünfunddreißig. Das Klima und die ständigen Entbehrungen, die Krankheiten, der Mangel an medizinischer Vorsorge ließen die Menschen dort schneller altern.

Das vergaß er alles nicht und richtete sein persönliches Leben danach ein. Er selbst hatte Glück gehabt, dass ihm ein Leben in Luxus ermöglichte. Erfuhr er von einem echten Notfall, dann war er der letzte, der nicht helfend seine Hände ausstreckte und auch mit finanzieller Hilfe nicht geizte.

Björn Hellmark war im Grunde seines Herzens ein großer Junge geblieben, der das Leben und das Abenteuer liebte. Er hatte schon wie Robinson Crusoe gelebt, hatte die große Einsamkeit und die Ruhe kennengelernt, die es auch auf dieser Welt noch gab.

Carminia hob die Beine an, um auf die andere Seite der Bande zu kommen. Björn Hellmark fasste sie blitzschnell unter die Kniekehlen und unter die Arme, hob sie herüber und stellte sie auf die Beine. Den Arm um die Schultern der Brasilianerin gelegt überquerten sie die Straße, stiegen dort in das bereitstehende schneeweiße Mercedes 280 SL Coupé, mit dem Carminia nach Frankreich gekommen war.

Zwischen Hotel und Rennpiste benutzte Hellmark seinen eigenen Wagen. Hatte er den einmal nicht dabei, weil er mit dem eigenen Jet unterwegs war, so sorgte die Werksleitung dafür, dass für ihn ein Wagen bereitstand.

Im Hotel angekommen kleidete sich Björn Hellmark rasch um, besorgte ebenso wie Carminia in ihrem Zimmer sein Badezeug und spazierte mit seiner Freundin zum Strand hinunter.

Obwohl es erst zehn Uhr morgens war, füllte sich der Strand rasch mit Menschen. Viele Einheimische, aber auch viele Touristen, überwiegend Deutsche, verbrachten ihren Urlaub hier.

Carminia und Björn schwammen gemeinsam hinaus, tollten wie Kinder durch den Sand, legten sich schließlich in die Sonne, um die Wärme zu genießen und vor allem die Ruhe, die Björn Hellmark gerade vor einem Rennen dringend nötig hatte. Er ließ sich dann den ganzen Tag treiben, entspannte sich, machte alles, was ihm Freude bereitete, um im richtigen Augenblick voll da zu sein.

Sie lagen nebeneinander im heißen Sand. Vom Meer her wehte ständig eine frische Brise. Das Rauschen des Meeres und das gegen die nur fünfzig Meter entfernte Mole plätschernde Geräusch des Wassers erfüllte die Luft.

Als Björn Hellmark seinen Kopf zur Seite drehte, sah er vom Rande des Sandstrandes schräg hinter sich die beiden Japaner, die gemächlich einen Spaziergang am Sandstrand machten. Es waren Yamahoki und sein Trainer und Betreuer Hamado.

Beide Männer trugen helle, fast weiße, enganliegende Shorts, bunte, offenstehende Sporthemden und hatten keine Schuhe an den Füßen. Sie näherten sich etwa bis auf zehn Meter dem Pärchen, wandten sich dann nach links und machten eine Strandwanderung.

Björn Hellmark hatte grüßend mit dem Kopf genickt, doch weder Yamahoki noch Hamado schienen ihn gesehen zu haben. Das verwunderte ihn nicht. Zwischen den zahlreichen halbnackten Menschen fiel der einzelne nicht mehr auf. Hier sahen alle gleich aus. Auch Carminia, die dem Blick ihres Freundes gefolgt war, hatte die beiden Japaner bemerkt.

»Das sind Yamahoki und Hamado«, erklärte Björn Hellmark. »Der kleinere von beiden, das ist Onio Yamahoki.«

»Er soll taubstumm sein, nicht wahr?«, bemerkte die hübsche Brasilianerin. Sie drehte sich um und legte sich auf den Bauch. Mechanisch griff sie hinter sich, um die Beinabschlüsse des hochgeschnittenen weißen Bikinihöschens ein wenig zurechtzuzupfen. Aber auch dieser Versuch änderte im Prinzip nichts an der angenehmen Kürze des Kleidungsstückes.

»Ja«, nickte Björn. »Er ist bei einer Trainingsfahrt verunglückt. Wie das genau über die Bühne ging, ist nie ganz geklärt worden. Er hat für den Taykushi-Konzern einige Wagen getestet. Dabei muss es passiert sein. Er hat die Sprache und das Gehör verloren. Aber nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus hat er sofort wieder begonnen, das Training aufzunehmen. Er ist unermüdlich und hat sich an die Spitze gearbeitet. Es wird schwer sein, gegen ihn zu gewinnen. Man sagt, er sei nicht nur mutig, sondern kämpfe auch mit höchstem Einsatz.« Carminia Brado nahm die Brille mit den großen, dunklen Gläsern von den Augen. Sie sah Björn Hellmark einige Sekunden prüfend an. Ihr hübsches, gutgeschnittenes Gesicht mit der kleinen Nase und den sanft geschwungenen Lippen, den hohen Wangenknochen, die ihrer Miene einen unverwechselbaren Ausdruck verliehen, wirkte ernst. »Wenn du morgen an den Start gehst, versprich mir, vorsichtig zu sein«, bat sie ihn.

»Natürlich, Schoko«, lachte er, und drehte sich herum, so dass er ihr in die Augen sehen konnte.

Dunkle, besorgte Augen.

»Du brauchst keine Angst um mich zu haben. Ich habe mir vorgenommen, mir diesen Preis für Ferdi Walter zu holen. Es wird mein letztes Rennen sein. Jetzt, wo ich dich kenne, rentiert es sich nicht mehr, Kopf und Kragen zu riskieren, nur um ein paar hübschen Mädchen zu imponieren. Nach diesem Rennen gehe ich nicht wieder an einen Start. Ich fahre dann nur noch zu meinem eigenen Vergnügen.«

»Es wird sein letztes Rennen sein, darauf können Sie sich verlassen, Herr Generaldirektor«, sagte am späten Nachmittag Tonka Hamado, der Manager des japanischen Weltklassemannes Yamahoki. Er sprach von dem Postgebäude der nächsten Ortschaft aus. »Ich wollte mich schon früher melden, aber das Telefon im Hotel zu benutzen, war mir zu riskant«, fuhr er fort. Er schilderte die Situation, die er angetroffen hatte und dass alles viel schwerer gewesen war, als man glauben mochte. »Ich habe es nicht riskiert, einen der Techniker zu bestechen. Ich musste mich selbst davon überzeugen, dass wirklich alles in Ordnung geht, Herr Generaldirektor.« Tonka Hamado sprach leise und schnell. Seine kleinen, flinken Augen befanden sich in stetiger Bewegung, als müssten sie darüber wachen, dass ihnen nichts entging. »Es war schwierig, etwas vor dem Trainingslauf zu unternehmen.«

Am anderen Ende der vielen tausend Meilen entfernten Strippe stieß Hideo Suuki hörbar die Luft durch die Nase. »Sie reden in Rätseln, Hamado! Anfangs behaupten Sie, dass Hellmer so gut wie ausgeschaltet sei und nun bekomme ich zu hören, dass Sie noch keinen Finger krummgemacht haben. Was soll der Unsinn?«

Dem Beschuldigten fiel es schwer, seine Nervosität unter Kontrolle zu halten. »Sie haben mich falsch verstanden, Herr Generaldirektor. Ich konnte vor dem Training nichts tun. Unmittelbar nach der Rückkehr des Wagens jedoch fand ich fünf Minuten Gelegenheit, in die Garage einzudringen und dort mein Vorhaben zu verwirklichen. Was also nicht bei der Trainingsrunde passiert, wird sich morgen früh beim Rennen selbst ereignen. Die Angelegenheit wurde nur aufgeschoben, aber nicht aufgehoben.«

»Es kommt uns nicht nur darauf an, dass Hellmer aufgeben muss, Hamado«, klang die Stimme aus weiter Ferne an sein Ohr. Die Verständigung war nicht besonders gut. Es kratzte und die Lautstärke schwankte.

»Ich weiß.«

»Der Name Taykushi muss in aller Mund sein. In den nächsten Jahren darf keine andere Automarke mehr gewinnen. Es muss sichergestellt sein, dass sich Hellmer nicht mehr von diesem Unfall erholt und nochmals auf die Idee kommt, sich hinter das Steuer eines Rennwagens zu setzen.«

»Es ist sichergestellt, Herr Generaldirektor«, bestätigte Hamado. »Hellmer kann von großem Glück reden, wenn er die ersten zwanzig Kilometer mit seinem Wagen lebend übersteht. Noch innerhalb dieser Strecke muss sich das linke Vorderrad lösen.«

Mit Beginn der Dunkelheit trafen sich die Rennfahrer und Journalisten, die engsten Freunde, Angehörige der technischen Teams und Ingenieure, in der Bar Minoche. Man war fröhlich, unterhielt sich angeregt, hatte Gelegenheit, mit den Prominenten zu reden.

Auch Björn Hellmark und seine Begleiterin waren in der Bar anzutreffen. Björn im eleganten Smoking, Carminia im langen Kleid, das einen Rückenausschnitt hatte, über den man nicht sprechen, sondern nur staunen konnte.

An einem Tisch in der Ecke gleich neben dem Eingang saßen der deutsche Starreporter Klaus von Wargenberg und dessen französische Kollegin Chantalle Durimand. Die fünfunddreißigjährige Reporterin sah nicht nur blendend aus, sondern verfügte auch über ein Fachwissen, um das sie mancher männliche Kollege beneidete.

Chantalle Durimand nippte an ihrem Champagnerglas und mit einem Blick aus den mit langen künstlichen Wimpern versehenen Augen zur Bar hinüber, wo Björn Hellmark gerade von dem hageren englischen Reporter Pat Stonefield interviewt wurde. »Hellmer scheint es gepackt zu haben.«

»Sieht ganz so aus«, erwiderte von Wargenberg. »Man sieht ihn nicht mehr allein. Sie begleitet ihn überall hin.«

»Wie lange geht das schon?«, wollte Chantalle Durimand wissen. Mit ruhigen Bewegungen zündete sie sich eine Zigarette an.

»Er soll sie vor einem halben Jahr in Rio kennengelernt haben.«

Die französische Sportreporterin drehte ihren Stuhl so, dass sie die gesamte Bar überblicken konnte. »Ob er sie heiraten wird?«

»Wen? Die kleine Brasilianerin?«

»Von der reden wir doch die ganze Zeit. Sie sind heute so abwesend, verehrter Kollege.« Chantalle Durimand sprach Deutsch mit einem leichten Akzent, der reizend zu ihr passte. »Hellmer und seine Begleiterin sind ein hübsches Paar, finden Sie nicht auch?«

Der Gefragte nickte. Chantalle fuhr fort. Zwischen zwei Zügen an ihrer Zigarette meinte sie: »Er passt zu ihr, und sie zu ihm. Zwei schöne Menschen. Er groß, schlank, breite Schultern und schmale Hüften. Mit einem Wort: ein Mann. Mutig, entschlossen, interessant. Männer, wie ich sie liebe.«

Es war ein offenes Geheimnis, dass Chantalle Durimand harte und interessante Männer nicht nur im Rennauto oder auf der Skipiste interviewte. Auch im Bett.

Von Wargenberg atmete tief durch. »Warum schweifen Sie so sehr in der Ferne, verehrte Kollegin? Das Gute liegt so nah. Werfen Sie einen Blick auf mich. Groß, schlank, nicht mehr ganz so blond allerdings, weil der Scheitel ein bisschen in die Breite geht. Aber das zeugt von Männlichkeit. Sagt man.«

Über den Rand ihrer dunkelgetönten Brille hinweg sah sie ihn an. »Wo sind die schmalen Hüften, Monsieur Wargenberg?«

Der Deutsche beugte sich etwas zurück und warf einen Blick an sich herunter. Der Bauch, der über die Gürtellinie quoll, war nicht zu übersehen. »Na ja, ein kleines Bäuchlein«, sagte er. »Das kommt davon, wenn man immer nur von Sport schreibt, ihn aber nicht selbst betreibt.«

»Und davon, wenn man zu viel Bier trinkt«, spielte Chantalle Durimand auf das dritte, schon wieder bis an den Rand vollgefüllte Bierglas an.

»Der Schein trügt«, antwortete von Wargenberg. »Das ist ein Pils, enthält kaum Kalorien.«

»Die Hauptsache ist, man glaubt daran. So, und nun knöpfe ich mir den kleinen Hellmer mal vor. Kollege Stonefield scheint genug zu wissen, er steckt gerade den Block weg.« Chantalle Durimand erhob sich. Sie trug ein raffiniert geschnittenes Kleid, das ihre hervorragende Figur perfekt zur Geltung brachte. Das Kleid war trägerlos und wurde nur von einer weichen Schlaufe in ihrem Nacken gehalten. Ihr Busen schimmerte fahl wie zwei Halbmonde neben dem lose gerafften Stoff des Ausschnittes.

»Verdrehen Sie mir Hellmer nicht den Kopf«, warnte von Wargenberg.

»Ich bin nicht eingebildet und ich kenne meine Wirkung auf Männer«, sagte sie freimütig mit ihrer angenehmen, melodischen Stimme. »Aber ich fürchte, gegen Carminia Brado kann ich nichts ausrichten. Da geht es mir ähnlich wie Ihnen bei mir mit dem Bäuchlein. Mir fehlt einfach ein Hauch von Rasse. Und das ist genau das, was Hellmer liebt. Er hatte schon immer ein Faible für das Exotische.«

Chantalle Durimand näherte sich ruhig und gelassen der Bar. »Mein lieber Stonefield«, meinte die Französin und postierte sich neben ihre englischen Kollegen, »ich glaube, Sie haben mir den guten Monsieur Hellmer jetzt lange genug vorenthalten. Wenn ich mich nicht spute, ist es schon fast zu spät, noch etwas von ihm zu erfahren und ein Bildchen zu knipsen.«

Björn Hellmark lachte. Er war bekannt dafür, dass er als erster in den Bars zu finden war, um den anwesenden Journalisten, den Leuten von Funk und Fernsehen, Rede und Antwort zu stehen, aber ebenso bekannt war die Tatsache, dass er auch der erste war, der sich zurückzog, um so früh wie möglich im Bett zu liegen. So hielt er es immer vor einem anstrengenden Renntag.

Er begrüßte die Reporterin mit Handschlag. Chantalle konnte es sich nicht verkneifen, dem Deutschen einen Kuss dicht neben den Mund zu hauchen.

»Ich hoffe, Sie nehmen mir das nicht übel«, lächelte die Französin Carminia an, als Björn seine Begleiterin vorstellte. »Er ist ja nun bald in festen Händen. Bis dahin dürfen wir uns diese kleinen Scherze noch erlauben. Ich kann nun mal schlecht von Gewohnheiten abrücken. Wann kann man gratulieren?«, richtete sie die Frage direkt an die hübsche Brasilianerin. »Wann ist Verlobung? Wann Hochzeit?«

Björn Hellmark winkte ab. »Keine Andeutungen, Carminia«, warnte er, ohne dass das Lächeln von seinen Lippen verschwand. »Der geringste Hinweis, und in der nächsten Ausgabe von Le Journal de Sport steht ein Bericht, der sich gewaschen hat. Es gibt noch keine konkreten Pläne.«

»Das lässt also noch hoffen«, atmete Chantalle auf. »Sie ist wundervoll«, fuhr sie, zu ihm gewandt, flüsternd fort, so dass Carminia es nicht mehr hören konnte. »Aber es gibt noch viele andere schöne Mädchen, mit denen Sie es sich verscherzen, wenn die große Hochzeit startet.«

»Ach«, Björn seufzte und griff nach seinem Sektglas, im dem ein Schuss Orangensaft gemixt war. »Vielleicht heirate ich nie. Möglich, dass das Ganze ein Spaß ist, hmm? Nun rätseln Sie, lassen Sie alle privaten Fragen und konzentrieren wir uns auf das Fachliche. Was ich von meinem Gegner halte, wie ich meine Chancen sehe, ob ich weiterhin Rennen fahre – das alles interessiert Rennsportbegeisterte viel mehr als irgendwelche Bettgeschichten. Dafür ist mehr die Yellow Press zuständig.«

Chantalle Durimand führte ein etwa zwanzig Minuten dauerndes Gespräch mit ihm, richtete auch einige Fragen an seine brasilianische Begleiterin, die geschickt und klug antwortete.

Nach dem Interview hielt sich Björn Hellmark nur noch so lange auf, um sein Glas zu leeren. Dann fuhr er mit Carminia Brado in das Hotel zurück, wo sie ihr Zimmer hatten.

Chantalle Durimand interviewte an diesem Abend auch den Manager von Onio Yamahoki, Hamado. Der Fahrer selbst hielt sich nicht in der Bar auf. Er galt als ein scheuer, zurückhaltender Mensch.

Hamado sprach bereitwillig und nett über seinen Schützling, über seine menschlichen Schwächen, über seine Stärken. Der Japaner war zuversichtlich und glaubte an eine Sensation in diesem Rennen.

»Allerdings«, so schloss er, »ist Herr Hellmer eine Fahrerpersönlichkeit, die nicht zu unterschätzen ist. Taykushi hat noch keine internationale Rennsporterfahrung. Wir können nur auf Testergebnisse zurückgreifen. Alle Wagen sind gut, und wenn die Technik einwandfrei arbeitet, dann kommt es immer auf die Form desjenigen an, der diese Technik zu bändigen hat.«

Gegen zehn verließ auch Hamado die Bar und kehrte in das Hotel zurück.

Das Zimmer, in dem Onio Yamahoki und er untergebracht waren, lag im dritten Stock.

Es war sehr ruhig in dem Hotel.

Hamado benutzte nicht den Lift, sondern die Treppen. Vor dem Zimmer Nr. 205 angekommen, blieb er kurz stehen, trat an das Fenster, als wolle er erst noch einen Blick hinunter in die parkähnliche Anlage werfen. In Wirklichkeit wartete er ab, bis ein Paar, das gerade aus dem Lift kam, sein Zimmer aufgesucht hatte und der große Korridor frei vor ihm lag.

Dann klopfte Hamado dreimal kurz hintereinander an die Tür Nr. 205 und wartete bis Onio Yamahoki öffnete und ihn hineinließ.

Im Zimmer war es dunkel. Nur der Schein der Laternen vor dem Hotel spiegelte sich an den mattglänzenden Möbeln und tauchte das Innere in ein angenehmes und geruhsames Dämmerlicht.

Ohne sich um den Ankömmling zu kümmern, durchquerte Onio Yamahoki den Raum und setzte sich wieder auf den Sessel, der unmittelbar neben dem Fenster stand. Es sah ganz so aus, als habe der taubstumme Rennfahrer in den letzten Stunden dort gesessen und hinunter auf die Straße gestarrt.

Hamado schloss die Vorhänge und knipste dann eine der beiden Nachttischlampen an. Wortlos näherte er sich dem Schrank, nahm einen kleinen, eckigen Handkoffer hervor und schloss ihn auf.

Onio Yamahoki saß noch immer unbeweglich auf dem Stuhl, schien kaum zu atmen. In seiner Haltung erinnerte er an eine leblose Statue.

In dem eckigen Handkoffer befand sich ein aufklappbares Geheimfach, in dem mehrere kleine Behälter standen, die mit einer dünnen, glasklaren Flüssigkeit gefüllt waren.

Hamado nahm einen der Glasbehälter heraus, holte aus dem Geheimfach eine Spritze, setzte vorsichtig eine frische, keimfreie Nadel ein und durchstach dann die gespannte gummiartige Folie über der Öffnung des Behälters. Während er die Spritze aufzog, ging er hinüber zu Onio Yamahoki. Mechanisch krempelte der Fahrer den Ärmel hoch und streckte seinen Arm aus. »So, mein Junge«, murmelte Hamado und stach die Nadel in die Vene. »Jetzt wollen wir dich noch füttern und dann legst du dich flach, damit du morgen früh schön ausgeruht bist.«

Er injizierte insgesamt zehn Kubikzentimeter der hochkonzentrierten Nährflüssigkeit. Onio Yamahoki verzog keine Miene. Sein Verhalten war für einen Außenstehenden befremdend, für Hamado eine Gewohnheit und Alltagssituation.

»Okay, mein Junge. Du kannst dich fertigmachen.« Hamados Stimme klang unpersönlich und kühl. »Und morgen werden wir unseren großen Tag haben. Es wird eitel Freude geben, auf unserer Seite. Freude – aber was das ist, davon hast du ja wohl keine Ahnung mehr.«

Genauso hätte er mit einer Wand sprechen können. Onio Yamahoki hörte ihn nicht.

Der Rennfahrer wusste lediglich, dass da jemand vor ihm stand. Aber das registrierte ein ungewöhnlicher, unmenschlicher Sinn in ihm. Mit einer geschmeidigen Bewegung hob er plötzlich beide Arme, umfasste seinen Kopf, machte eine kleine, ruckartige Bewegung und zog seinen Schädel wie einen Fremdkörper von seinen Schultern!

Der Kopf war eine Maske, eine Attrappe, aus biosynthetischem Material gefertigt. Die Augen darin beweglich, aber nicht organisch. Nicht organisch die Haut, die Sinnesorgane.

Onio Yamahoki saß auf seinem Sessel und hatte keinen Hals. Wo bei einem normalen Menschen der Halsansatz begann, befand sich bei dem Japaner eine etwas mehr als männerfaustgroße Kapsel von gelblichweißem Aussehen. In die Kapsel eingesponnen war ein dichtes Netzwerk silberner Fäden, die matt schimmerten. Onio Yamahoki stellte seinen künstlichen, hohlen Kopf auf den Nachttisch. Als er sich bewegte, schien es, als würden die silbernen Fäden in der Plastikkapsel leicht glühen.

Der Mann, der als Bernd Hellmers schärfster Konkurrent eingestuft wurde – war kein Mensch, sondern ein Monster!

Trotz der vielen tausend Menschen herrschte eine Sekunde lang Totenstille. In der Luft lag eine Spannung, die beinahe körperlich zu spüren war. Dann senkte der Starter die Flagge.

Die bereitstehenden Fahrer spurteten zu ihren Wagen. Die Menschen tobten, Motoren starteten, die Luft erzitterte unter dem Brausen und Donnern der startenden Wagen. Björn Hellmarks Wagen war einer der ersten, die wegkamen. Carminia Brado und Björn Hellmarks Vater, der extra wegen des Rennens nach Frankreich geflogen war, saßen ganz vorn und beobachteten den Start. Carminias Gesichtsausdruck wirkte ernst und verschlossen, als sie die schnell kleiner werdenden Wagen beobachtete.

Björn jagte in seinem March wie ein Pfeil davon. Die Luft war mit Benzingestank geschwängert. Den Menschen, die ganz dicht an den Banden unmittelbar auf der Höhe des Startpunktes standen, tränten die Augen.

Björn Hellmarks schärfster Konkurrent, Yamahoki, jagte auf gleicher Höhe mit seinem Taykushi-IV neben dem March her. Gleich hinter ihnen ein Maserati, zwei Porsche, ein Ferrari.

Ferngläser wurden an die Augen gerissen.

Die vordersten beiden Wagen verschwanden in der ersten Linkskurve.

Mit eisiger Ruhe steuerte Björn Hellmark seinen Rennwagen. Er hatte jetzt eine Geschwindigkeit von 260 Stundenkilometern, musste etwas mit dem Fuß vom Gaspedal heruntergehen, weil er eine Doppelkurve ansteuerte, die es in sich hatte.

Dann war er wieder auf der Geraden.

Blitzschnell riskierte er einen Seitenblick. Wie eine Statue, ein wenig nach vorn gebeugt, saß der Japaner Yamahoki hinter dem Steuer. Er fuhr gut und zügig, riskierte selbst in den Kurven eine für Björn Hellmarks Begriffe viel zu hohe Geschwindigkeit. Der Mann war besessen von seiner Idee, den Deutschen in seinem March zu schlagen. Aber er riskierte dabei sein Leben.

Der japanische Taykushi-IV glitt wie ein Schatten neben Björn Hellmarks Wagen her.

Die nächste Kurve kam in Sicht.

Björn Hellmark drosselte die Geschwindigkeit. Yamahoki beschleunigte in der Kurve, kam dabei, um den Winkel so weit wie möglich zu halten, zu weit auf die rechte Seite herüber.

Björn Hellmark zog den March auf die Seite.

Die Reifen quietschten. Das linke Vorderrad, von verbrecherischer Hand manipuliert, eierte.

Intuitiv spürte Björn Hellmark, dass mit dem Wagen etwas nicht stimmte. Aber da passierte es auch schon. Nach einer Fahrt von vierzehn Kilometern!

Das gelockerte Vorderrad machte sich plötzlich selbstständig und rollte rechts an dem March vorbei.

Der Deutsche wurde totenbleich, sein Herz stockte.

Funken sprühten in der Luft, als die Achse des Rennwagens über den asphaltierten Untergrund gerissen wurde.

Dann ging alles blitzschnell.

Rauch und Qualm erfüllte die Luft, Bremsen und Reifen quietschten, als die nachfolgenden Fahrer das Unglück nahen sahen.

Eine Titanenfaust schien den March zu packen und wie ein Spielzeugauto durch die Luft zu wirbeln.

Björn Hellmark schlug mit dem Kopf gegen die Scheibe. Dann folgte ein ungeheurer Schlag, ein Blitz, eine Detonation.

Der schlaffe Körper des Deutschen wurde aus dem sich überschlagenden Wagen geschleudert, der zu einem feuerspeienden, qualmenden Geschoss geworden war. Dumpf krachte der in Feuer stehende March noch in der Kurve gegen einige dicke Heuhaufen, die dort als stoßdämpfende Barrieren aufgebaut worden waren.

Auch sie fingen sofort Feuer.

Von den Zuschauertribünen aus konnte man das Geschehen wie auf einer Filmleinwand beobachten. Menschen sprangen entsetzt auf, ein vieltausendstimmiger Aufschrei ließ die Luft erzittern.

Carminia Brado wurde totenbleich. In der ersten Sekunde war sie wie gelähmt, unfähig, sich zu rühren. Dann sprang auch sie in die Höhe und ihr gellender Aufschrei mischte sich unter die anderen. Dann rannte sie los, noch ehe Alfred Hellmark, der Vater des Verunglückten, nach ihr greifen konnte. Sie bahnte sich einen Weg durch den Wall von Menschenleibern. In ihren Augen stand das blanke Entsetzen.

Fahrer rasten dicht an der in schwarzen Rauch gehüllten Unglücksstelle vorbei. Helfer jagten über die Straße. Löschgeräte kamen zum Einsatz. Zwei Sanitäter und ein Arzt kümmerten sich schon drei Minuten nach dem furchtbaren Ereignis um den Verletzten.

Vorsichtig wurde er aus dem Gefahrenbereich des Feuers getragen.

Noch an Ort und Stelle nahm der Arzt eine erste Untersuchung vor. Äußerlich machte Björn Hellmark den Eindruck, als habe er sich nur den linken Arm verrenkt. Keine Verletzungsmerkmale, kein Blut. Aber er rührte sich nicht mehr. Der Arzt fühlte den Puls, horchte das Herz ab.

»Da können wir nichts mehr machen«, murmelte er. »Wahrscheinlich sind die inneren Verletzungen so stark, dass Hellmer auf der Stelle tot war.«

Wie ein Lauffeuer verbreitete sich das Gerücht, Bernd Hellmer sei tot. Alfred Hellmark und Carminia Brado konnten es nicht fassen. In einem Extrawagen begleiteten sie den Krankentransport. Carminia atmete schnell und flach. In ihren dunklen Augen schimmerte es feucht. Alfred Hellmark hielt seinen rechten Arm um ihre schmalen, zitternden Schultern gelegt.

Der Schock war so stark, dass sie nicht wusste, was sie denken oder fühlen sollte. Alles war so ungeheuerlich, so unbegreiflich. Etwas, was erst vor wenigen Monaten begonnen hatte – sollte es wirklich schon zu Ende sein?

Du träumst, versuchte sich Carminia einzureden. Das alles ist nicht wahr. Gleich wirst du aufwachen und in deinem Hotel sein.

Sie kniff sich in die Arme, ohne dass Alfred Hellmark etwas davon bemerkte.

Es ist kein Traum, dröhnte es in ihrem rauschenden Bewusstsein. Es geschieht wirklich.

Aber Björn ist nicht tot. Nur verletzt! Deshalb bringen wir ihn ins Krankenhaus. Dort helfen sie ihm.

Wie Ebbe und Flut kamen und gingen ihre Gedanken, ihre Überlegungen.

Björn Hellmark wurde sofort in den Operationssaal gebracht. Ärzte und Schwestern standen bereit, alles war vorbereitet. Sie konnten sofort beginnen.

Die große, weißlackierte Tür schloss sich hinter dem OP-Team.

Das lange Warten begann.

Carminia steckte sich eine Zigarette nach der anderen an, nahm nur einen oder zwei Züge und drückte die angerauchte Zigarette wieder aus. Die Brasilianerin brachte es nicht fertig, sich ruhig hinzusetzen und zu warten. Sie wanderte auf und ab. Alfred Hellmark war weiß wie eine Kalkwand. Auch er war ruhelos, gehetzt und unruhig.

Wie würde die Untersuchung ausfallen? Würde das bestätigt werden, was der untersuchende Arzt am Unfallort in der Schnelle feststellte?

Björns Tod?!

Alfred Hellmark merkte, wie schwer es ihm fiel, daran zu glauben. Eine Stunde verging, zwei, drei Stunden ...

Jedes Mal, wenn irgendwo eine Tür klappte, huschten Carminias Blicke zum Operationssaal. Aber die Tür dort blieb verschlossen.

Es war zum Verrücktwerden!

Keine Neuigkeiten. Warum kam nicht jemand zu ihnen und informierte sie? Was ging dort drinnen vor?

In der Zwischenzeit wurde das Rennen zu Ende geführt.

Onio Yamahoki wurde mit seinem Taykushi-IV nach Björn Hellmarks Ausfall eindeutiger Sieger vor einem Porschefahrer, zwei Ferraris und einem Maserati. Die Japaner hatten ihre Sensation. Aber sie konnten sich keine uneingeschränkte Freude erlauben. Die Siegerehrung erfolgte bei auf Halbmast gesetzter Flagge. Die Begeisterung der Massen war allerdings ungebrochen. Sie schien den Unfall schon wieder vergessen zu haben. Hellmers Tod gehörte mit zur Sensation. Zwar war über die Lautsprecheranlagen noch keine offizielle Bestätigung erfolgt, aber schon jetzt herrschte die Meinung vor, dass man die Mitteilung nur hinausgezögert habe, um das Rennen nicht abbrechen zu müssen.

Alfred Hellmark und Carminia Brado befanden sich in der von Glas eingefassten Wartehalle wie in einem gläsernen Käfig, waren abgeschlossen von der Umwelt. Sie erfuhren nicht, was an der Rennstrecke geschah und es interessierte sie auch nicht.

Außer ihnen war noch Mister Henry Sutherland eingetroffen, ein hoher Vertreter des Werks, für das Björn an den Start gegangen war.

Auch Mister Sutherland wartete und nervös ab. Er setzte mehr als einmal zu einem Gespräch an, aber es kam keines zustande.

Was man auch sagen mochte, es klang zu banal.

Experten beschäftigten sich bereits mit der Unfallursache. Aber was immer man auch herausfand oder feststellte: in diesem Moment kam es nur auf eines an, kam Björn Hellmark mit dem Leben davon oder nicht?

Nach über drei Stunden öffnete sich endlich die Tür zum Operationssaal. Dr. Claude Perrine, der Chefarzt des Krankenhauses, kam auf die Wartenden zu. Carminia und Alfred Hellmark eilten ihm entgegen.

»Wie steht es um ihn?« Die Stimme der Brasilianerin klang tonlos.

»Wird er leben?« Alfred Hellmark scheute sich ist er tot? zu fragen.

Dr. Claude Perrine, dunkelhaarig, mit dichten wulstigen Augenbrauen und einem freundlichen Gesichtsausdruck, nahm die dunkle Hornbrille von den Augen.

»Er lebt. Noch«, fügte er hinzu. Er blickte abwechselnd auf Carminia Brado, dann wieder auf Alfred Hellmark. »Sie sind die Frau des Verunglückten?«, fragte er dann.

»Nein. Wir wollten uns verloben.« Carminia Brado Stimme war immer noch schwach und tonlos.