Larry Brent Classic 017: Schlangenköpfe - Dan Shocker - E-Book

Larry Brent Classic 017: Schlangenköpfe E-Book

Dan Shocker

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Beschreibung

Die Todespest Der Auftragskiller Pit Dorsay hat den Auftrag Professor Henry Cabott und seine Ehefrau Patricia zu töten. Er soll aus dem privaten Labor des Professors einen Mondstein entwenden, und ahnt noch nicht das dieser Stein nach einer chemischen Behandlung plötzlich einen tödlichen Virus freisetzt. Einen, der bei den Menschen, die er befällt, zuerst die Knochenstruktur zerstört und zum Schluß zur totalen Auflösung führt. Der PSA Trainer Paul Mason, der neben den Dorsays wohnt greift zusammen mit dem Agent Larry Brent ein, ohne daß er ahnt, daß das Virus schon eine ganze Stadt bedroht. Die Schlangenköpfe des Dr.Gorgo In London wird bei einem Picknick von dem Ehepaar Stuart und Nancy Ball ein von Würmern und Maden zerfressener Frauentorso gefunden. Es ist nicht das erste weibliche Mordopfer, das ohne Kopf gefunden wird. Doch wo sind die Köpfe? Der von einem Polizisten "Dr. Gorgo" genannte Serienmörder hält London in Atem. Der verzweifelte Polizeiinspektor Edward Higgins bittet die PSA um Hilfe, die ihren besten Mann schickt. Larry Brent soll den Fall aufklären, doch das was er herausfindet ist grauenerregend. Ein wahnsinniger Wissenschaftler will sich an Frauen rächen und benutzt die Köpfe für seine unmenschlichen Experimente.

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DAN SHOCKERS LARRY BRENT

BAND 17

© 2014 by BLITZ-Verlag

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Fachberatung: Robert Linder

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Titelbildgestaltung: Mark Freier

All rights reserved

www.BLITZ-Verlag.de

978-3-95719-817-4

Dan Shockers Larry Brent Band 17

DIE SCHLANGENKÖPFE

Mystery-Thriller

Die Pest fraß alle

von

Dan Shocker

Prolog

»Bist du es, Henry?«, fragte die junge Frau, die nur mit einem Tanga bekleidet mit langsamen Schwimmbewegungen das saubere, klare Wasser teilte. Sie sah über den Rand des Swimmingpools hinweg die Beine des sich nähernden Mannes. Die laute Musik aus dem Fernsehgerät, das dicht am Rand des Beckens stand, übertönte alle anderen Geräusche, so dass Patricia Cabott auch nicht die Schritte hörte. »Außerdem könntest du vielleicht das Programm umschalten, Henry«, meinte die Blondine.

»Dieses Pop-Gedudel geht mir auf die Nerven ...«

»Aber natürlich, Honey«, sagte da eine fremde Stimme, und Patricia Cabott fuhr zusammen. »Ich mache alles, wie du es gern haben möchtest ...«

Sekunden war die junge Frau wie gelähmt. Sie versuchte noch die schmale Metalleiter zu erreichen, als sich auch schon eine dunkle Hand nach vorn streckte und nach dem Fernsehapparat griff.

Patricia schrie.

»Schade, dass das Programm nicht in Farbe ist«, sagte die kalte Stimme. Dann klatschte das Gerät in den Swimmingpool. Der Körper der wohlgestalteten Blondine verkrampfte sich und wurde schließlich steif wie ein Brett. Patricias Herz blieb stehen ...

Ohne besondere Eile verließ der Mörder das Grundstück der Cabotts. In dem flachen Bungalow brannte noch Licht. Pit Dorsay hatte nichts verändert. Die Nachbarn der Cabotts würden frühestens morgen zurück sein. Sie befanden sich im Urlaub. Das alles hatte Dorsay einkalkuliert, und im Augenblick schien es so, als wäre sein Plan gelungen. In einer Stunde schon würde er für die kleine Gefälligkeit fünftausend Dollar in der Hand halten. Dreitausend hatte er als Anzahlung schon bekommen.

Die Nacht war lau. Man spürte die Nähe der Wüste. Der Staub stieg von der Straße auf und drang ihm in Mund und Nase. Pit Dorsay schob die rechte Hand in seine Hosentasche, um sich zu vergewissern, ob sich der kleine, in Tuch eingewickelte, harte Gegenstand noch in der Tasche befand. Ein müdes Lächeln stahl sich auf seine schmale Lippen. Er war noch da! Für einen kleinen Stein achttausend Dollar! So ein Angebot erhielt man nicht alle Tage. Dorsay hatte sich allerdings verpflichten müssen, jeden Zeugen von vornherein auszuschalten. Das hatte er getan. Unter Umständen hätte er es auch riskiert, zwei oder drei weitere Anwesende in Cabotts Haus zu liquidieren. Dorsay war ein eiskalter Killer, ein Menschenleben bedeutete ihm nichts.

Abseits der stillen, menschenleeren Straße stand ein Jeep. Dorsay setzte sich hinter das Steuer des offenen Wagens und startete. Schon fünf Minuten später waren die Umrisse der Bungalowsiedlung so weit entrückt, dass man nur noch vereinzelte Lichtflecke registrierte. Weitere fünf Minuten später holperte der Jeep schon über die unbefestigte Wüstenstraße. Vierzig Meilen von Tuba entfernt gab es mitten in der Wüste von Arizona eine Geisterstadt, die gelegentlich von neugierigen Touristen aufgesucht wurde. In Little Stonefield, wie die Ansammlung der zerfallenen Häuser, der ausgetrockneten Ruinen und verlassenen Hütten hieß, lebten vor über hundertfünfzig Jahren noch an die dreihundert Menschen. Die Behauptung eines Cowboys, hier im Moenkopie Wash, der in der Black Mesa entsprang, Gold gefunden zu haben, hatte zahlreiche Abenteurer, Cowboys und Geschäftemacher angelockt. Little Stonefield war praktisch über Nacht aus dem Boden geschossen wie ein überdimensionaler Pilz, der die trockene Wüstenerde spaltete und zwischen Baumyucca und blühenden Kakteen ein eigenständiges Leben entwickelte.

Wie ein riesiges Zelt spannte sich der Himmel über den einsamen Fahrer. Die Reifen knirschten auf dem Untergrund, wo sich Sand und Steine abwechselten. Manchmal passierte der Wagen riesige Löcher, und die reinste Berg- und Talfahrt durchrüttelte Dorsay. Der Mörder hielt sich stur nach Osten. Noch spürte man die Nähe des Flusses. Die Vegetation war üppig. Das änderte sich, je tiefer Dorsay in die Wüste fuhr. Links ragten dunkle Sandhügel gegen den Nachthimmel, und bizarre Kaktusformen sahen aus wie fremdartige Riesenskelette, die jemand dort hingestellt hatte.

Pit Dorsay machte sich weder Gedanken über seine Stimmung noch über die Umgebung. Er kannte die Wüste hier ziemlich genau. Seit Wochen hielt er sich in Tuba auf und hatte den Weg in die Geisterstadt mehr als einmal geprobt, um dann völlig sicher zu sein, wenn der Coup ausgeführt wurde. Dorsay warf einen Blick auf das Leuchtzifferblatt seiner Uhr. Wenige Minuten nach neun. Bis um zehn würde er am verabredeten Treffpunkt sein. Ein Mittelsmann würde das kleine Bündel in Empfang nehmen, und damit hatte sich alles erledigt. Er würde sich dann noch ein paar schöne Tage in Tuba machen und danach wieder abfahren. Für diese Nacht hatte er sich bereits mit Jenny verabredet, einem drallen Girl, das in der Nachbar Oase in Tuba strippte. Jennys üppige Formen reizten nicht nur ihn, sondern auch andere Bewohner und Besucher Tubas. Im Augenblick jedoch hatte er bei der Stripperin einen Stein im Brett. Offenbar gefiel dem Girl die harte, brutale Art, mit der er sie anpackte.

Little Stonefield, die Geisterstadt, lag vor ihm. Für Sekunden wurde er daran erinnert, dass die staubige Main Street, auf der jetzt Erdklumpen und Steine lagen, einst unter den Hufen wilder Reiter erzitterte und dass in diesen Sand Blut von Leuten gesickert war, die von Bleikugeln durchsiebt wurden. Das wilde Leben in Stonefield gehörte der Vergangenheit an. So rasch wie die kleine Stadt erblühte, so rasch war sie auch wieder zerfallen. Als sich herausstellte, dass weiter nördlich größere Goldvorkommen in den Bergen zu finden waren, verließen die Bewohner die Stadt, und niemand kehrte mehr zurück.

Im Licht der Scheinwerfer zogen die Konturen des Sheriff Office vorüber, sowie das Postamt und ein großes, vom Dach herabhängendes Holzschild, auf dem in ausgebleichten Lettern das Wort Saloon stand. Dunkle Fensteröffnungen starrten wie leere Augenhöhlen.

Pit Dorsay parkte den Jeep genau vor der windschiefen Tür eines halbzerfallenen Drugstore, der nur Grundmauern besaß. Als der Motor erstarb, wurde ihm erst so recht die unheimliche Stille bewusst, in der er sich befand. Alles, was sich zuvor ereignet hatte, war nur Probe gewesen. Heute war alles anders. Dorsay wusste, dass er sich nicht allein in der Geisterstadt aufhielt. Irgendjemand beobachtete ihn.

Er nahm eine Zigarette aus der zerknautschten Schachtel, zündete sie sich an und steckte sie zwischen seine staubbedeckten Lippen. Dann erst sah er sich um. Er erwartete, dass etwas geschehen würde, dass jemand auf ihn zukam und ihn ansprach. Aber das war nicht der Fall. War der Mittelsmann, der die Ware in Empfang nehmen sollte, noch nicht eingetroffen?

Dorsay rauchte die Zigarette zu Ende, warf dann die Kippe in den Wüstensand und sprang aus dem Jeep. Er hatte Durst, und unwillkürlich wanderte sein Blick hinüber zu der Ruine des Saloons. »Da gibt's wohl um diese Zeit nichts mehr«, murmelte er leise. »Schade. Ich bin gerade in der Stimmung, um einen Drink verkraften zu können.«

Er blieb stehen und blickte sich in der Runde um. Noch immer wies nichts darauf hin, dass außer ihm noch jemand in der Geisterstadt war. Doch das ließ sich schlecht sagen. Hinter jedem Pfosten, hinter den morschen Bretterwänden und ausgetrockneten, morbiden Steinen konnte jemand stehen und ihn genau beobachten. Eine Idee kam ihm plötzlich, als er das kleine Bündel aus der Hosentasche zog. Hatten seine Auftraggeber jegliches Interesse an dem Zeug verloren? Das wäre schade. Unwillkürlich zog er Bilanz. Dreitausend hatte man ihm angezahlt, die zumindest blieben ihm. Aber niemand warf dreitausend Dollar zum Fenster hinaus, ohne Gegenleistung.

Dorsay nahm das schmutzige Tuch in die Hand, löste langsam die Verknotung und betrachtete den etwa tennisballgroßen Stein. Ein schmutziger Brocken, weiter nichts. Ihm, Dorsay, sagte diese Gesteinsprobe überhaupt nichts. Sie war für ihn wertlos.

In Wirklichkeit aber hielt er den tausendfachen Tod in der Hand. Einen furchtbaren, grausamen Tod, aber das ahnten weder er, noch sein Auftraggeber.

1. Kapitel

»Dorsay?«

Die leise, fragende Stimme erklang direkt hinter ihm. Der Mann wirbelte herum. Aus dem Schatten des Drugstore löste sich eine schlanke, grazile Gestalt. Sie hob sich wie ein Spuk gegen den dunkelgrauen Hintergrund ab. Die junge Frau trug einen beigen, enganliegenden Rock, der sehr kurz gehalten war. Ihre helle Haut leuchtete in der Dunkelheit weiß wie Alabaster.

Verwundert trat Dorsay näher. Er grinste, während er den eingewickelten Stein wieder in die Tasche schob. »Das nenn ich eine Begrüßung«, sagte er überrascht. Er musterte die Fremde von Kopf bis Fuß. Die Luft in der Nähe dieser Frau war mit Sex geladen. Dorsay musste sich im Stillen eingestehen, dass dieses Girl ein ganz anderer Typ war als Jenny. Genau das Gegenteil! Die Fremde war zart und feingliedrig, ihre makellose Haut weiß und rein. In dem schmalen Gesicht dunkle, große Augen. Langes, schwarzes Haar rahmte das hübsche Antlitz. »Ich habe schon damit gerechnet, dass sie mir einen Bullen schicken würden. Aber so etwas Hübsches, daran dachte ich nicht im Traum. Nun, es kommt eben immer darauf an, mit welchen Geschäftspartnern man es zu tun hat.« Während er so zu ihr sprach, starrte er auf ihre durchsichtige Bluse, die einen Ton dunkler gehalten war als der Rock. Die Fremde wusste entweder, dass sie eine so phantastische Figur hatte, bei der sie nicht unbedingt einen BH brauchte, oder aber sie war noch so naturverbunden, dass sie überhaupt nicht wusste, was ein BH war ...

»Ich hätte Sie gern zu einem Drink eingeladen«, fuhr Dorsay fort undwischte seine schweißige Rechte an der Naht der Blue Jeans ab, die er trug.

»Leider sind hier alle ausgeflogen. Wir sind allein. Das hat vielleicht auch seine Vorzüge ...« Er kam auf sie zu. »Und wenn man die Arbeit mit dem Vergnügen verbinden kann, dann bin ich der letzte, der nein sagt ...« Er beugte sich vor. Seine Lippen streiften ihre Wangen und näherten sich ihrem feucht schimmernden Mund. Sie lehnte sich nur ein wenig zurück. »Ich bin für die bequemere Lage«, murmelte sie. Es war ein Timbre in ihrer Stimme, mit dem sie jeder Chansonsängerin hätte Konkurrenz machen können.

»Sie haben die Wahl, Dorsay«, sagte da eine andere Stimme vom Eingang des Drugstore her. Ein Mann sprach. »Entweder das Mädchen oder das Geld!«

»Wenn es geht, beides«, überwand Dorsay seine Überraschung sofort. Sie war also nicht allein gekommen! Nun, das hätte er sich denken können.

»Wir reden darüber, wenn wir das Geschäftliche erledigt haben«, fuhr der Mann neben der windschiefen Tür fort. Dorsay sah nur die schlanke, beinahe hagere Gestalt. »Sie haben die Gesteinsprobe dabei?«

»Natürlich«, entgegnete Dorsay.

»Dann lassen Sie mich sehen ...«, sagte der andere.

Pit Dorsay warf noch einen Blick auf die verführerische Fremde, die ihn vielsagend anlächelte. Ihre Hand streichelte seinen Oberarm. »Mein Name ist Muriel«, sagte sie leise.

»Er passt zu Ihnen.«

Sie folgte ihm nach, als Dorsay auf den Wartenden zuging. Der Mann am Eingang stieg über ein paar große Steine hinweg. In dem ehemaligen Verkaufsraum stand noch ein alter, klappriger Tisch. Der Mann knipste eine Taschenlampe an. Wortlos nahm Dorsay den in das schmutzige Tuch eingewickelten Stein heraus, legte ihn auf den Tisch und faltete das Tuch auseinander. Der Mörder von Henry und Patricia Cabott trug noch immer die schwarzen Gummihandschuhe. Erst jetzt streifte er die Handschuhe ab, wo er sich sicher wähnte, keine Fingerabdrücke mehr zu hinterlassen. Es sollte die Stunde kommen, wo er diesen Augenblick verfluchte ...

Der Stein kam auf der schrägen Tischplatte ins Rollen. Dorsay konnte ihn mit der Rechten gerade noch auffangen. Er fühlte das harte, wellige Gestein zwischen den Fingerspitzen und reichte die Probe an den Fremden weiter. Der schien ziemlich genau zu wissen, worum es sich handelte. Seine Begutachtung fiel zur Zufriedenheit Dorsays aus.

»Ja, das ist er ...«, murmelte er.

»Cabott war gerade mit ihm aus dem Labor gekommen, als ich ihn erwischte«, erklärte Pit Dorsay. Muriel drückte sich an ihm vorbei und betrachtete ebenfalls intensiv die Gesteinsprobe. Das schwarzhaarige Girl nickte zufrieden. »Es ist echt«, murmelte sie, nachdem sie die Probe mit einer kleinen Fotografie verglichen hatte, die sie aus ihrer Handtasche nahm, welche auf einem Mauervorsprung lag.

Es war eine Gesteinsprobe vom Mond, die die Astronauten von Apollo 14 mitgebracht hatten. Dorsay begriff zwar nicht, dass irgendjemand an diesem winzigen Souvenir derart interessiert war, dass er dafür achttausend Dollar bezahlte und außerdem noch einen Mord dafür in Kauf nahm. »Akushi wird sehen, was er damit anfängt«, murmelte Muriel.

»Die Tatsache, dass Cabott nicht nur Geologe, sondern auch ein hervorragender Chemiker war, muss es ihm besonders angetan haben. Akushi sprach von der Härte des Gesteins. Dies hier fühlt sich schon ein wenig krümelig an, eigentlich ein tolles Gefühl, wenn man bedenkt, wo es herkommt. Vom Mond.«

»Nun lass deine romantische Ader«, warf der Hagere ein. Er war so dürr, dass man auf seinen Rippen Klavier spielen könnte. »Die Sache ist okay«, fuhr er fort, sich an Dorsay wendend. Er bückte sich und zog unter der Tischplatte eine Plastikaktenmappe hervor, die prallgefüllt war.

»Zählen Sie nach, Dorsay!«

Pit Dorsay öffnete die Tasche und betrachtete die Banknotenbündel, die fein säuberlich darin aufgeschichtet waren. Er überflog den Betrag nur flüchtig. »Es wird schon stimmen«, sagte er nur. Nicht einen einzigen Moment lang hatte er das Gefühl, dass man ihn übers Ohr hauen oder ganz und gar hintergehen wollte. Man hatte ihm versichert, dass sein Auftraggeber keine großen Umstände liebte. Darauf hatte er sich eingestellt.

»Es ist nicht ausgeschlossen, dass wir Sie wieder mal brauchen«, meinte der Hagere unvermittelt. »Wer einmal gut für uns gearbeitet hat, wird das wohl auch ein zweites Mal tun.«

»Das nächste Mal solltet ihr aber vorher Bescheid geben, dass eurem Verein ein so attraktives Girl wie Muriel angehört«, sagte Dorsay. »Wir hätten uns dann den Umweg sparen können. Ich hätte in Tuba geliefert und dann gleich mit Muriel in die nächste Nachtbar verschwinden können. Die machen dort eine tolle Musik. Tanz bis zum Morgengrauen.«

»Das nächste Mal, Sonnyboy«, entgegnete die Schwarzhaarige. Ihr Busen hob und senkte sich. Sie lächelte, dass es einen Eisblock zum Schmelzen brachte. »Diesmal steht die Arbeit vornan. Vielleicht tauche ich in den nächsten Tagen in Tuba auf, wer weiß. Wollen erst mal sehen, wie gut du gearbeitet hast. Wenn Gras über die Sache mit Cabott gewachsen ist, wirst du bestimmt von mir hören.« Dorsay klemmte die Aktentasche unter den Arm und grinste. »Well, ich freue mich schon auf den Anruf.«

Es waren die letzten Worte, die er mit Muriel und dem Hageren wechselte. Die beiden blieben zurück und sahen Dorsay nach, wie er durch die nächtliche, staubige Main Street der Geisterstadt ging und in seinen Jeep stieg. Sekunden später heulte der Motor auf, die Räder drehten sich in dem lockeren Sand, eine Staubfahne stieg auf und das Gefährt rauschte davon. Der Hagere und Muriel sahen den winzigen roten Rücklichtern nach, bis sie vollends verschwunden waren.

Mechanisch griff Muriel ins Haar und hob die schulterlange, schwarzhaarige Perücke. Das natürlich blonde, kurzgeschnittene Haar wurde sichtbar. Die andere Frisur gab der jungen Schönen sofort ein neues Gesicht. Der Hagere löste die synthetische Haut, die ein ausgezeichneter Maskenbildner auf seinem Gesicht verarbeitet hatte. Zum Vorschein kam das wesentlich ältere Gesicht eines Mannes.

»Er wird niemals sagen können, wen er getroffen hat«, murmelten die schmalen Lippen. Hinter der zerfetzten synthetischen Haut kamen die Züge eines Asiaten hervor. Es war Akushi, der Japaner.

Pit Dorsay kam kurz vor Mitternacht in Tuba an. In der Tankstelle, wo er sich den Jeep vor einiger Zeit leihweise besorgt hatte, stellte er den Wagen ab, verschloss die Garage und ging davon, die prallgefüllte Aktentasche unter dem Arm. Er erreichte sein Hotel nach einem Fußweg von knapp zehn Minuten. Dorsay suchte sofort sein Zimmer auf. Achtlos warf er die Aktentasche auf das Bett, kleidete sich aus und stellte sich dann erst unter die Brause, um den schmutziggrauen Staub aus der Geisterstadt von seiner Haut zu spülen. Danach zog er sich frisch an. Er trug zu einer cremefarbenen Hose ein blaues Sporthemd. Dorsay liebte es, auf Playboy zu machen. Als er frisch angezogen war, verstaute er die Tasche mit dem Geld in einem verschließbaren Koffer. Fein säuberlich steckte er sich dann zehn Hunderter in die Brieftasche.

»Ein kleines Taschengeld braucht der Mensch«, murmelte er, während er einen zufriedenen Blick in den Spiegel warf und noch mal mit dem Kamm durch das dichte, strohblonde Haar fuhr, das er nach neuestem Schnitt trug.

Etwa zehn Minuten nach Mitternacht betrat er die Nachtbar Oase. Sie lag im Südosten der Stadt und wurde hauptsächlich von Touristen und Fremden aufgesucht. Es gab kaum einen Einheimischen, der sich hier sehen ließ. Der Manager der Bar war Hawaiianer, und diese Tatsache gab dem Nachtclub seine besondere Note. Kouina hatte den richtigen Instinkt. Er wusste, was das Publikum, das aus allen Teilen des Landes stammte, erwartete. Die Mädchen, die hier nackt auftraten und ihre vollendeten Körper in tänzerischer Leichtigkeit zur Schau stellten, waren durchweg Klasse und gehörten ihrer Herkunft nach verschiedenen Volksstämmen an. Da gab es zwei Hawaiianerinnen, eine Französin, Juanita, die Brasilianerin und mehrere Indianermädchen, die es in dieser Landschaft wie Sand am Meer gab. Das Indianerreservat in Arizona lieferte ständig Nachwuchs. Besonders reizend waren auch die Halbblut-Girls. Indianermädchen traten in der Oase jedoch weniger als Stripperinnen denn als Animiermädchen auf. Sie verstanden es ausgezeichnet, ihre Reize raffiniert an den Mann zu bringen. Sie liefen notdürftig gekleidet herum, wobei sie die Natürlichkeit ihres Körpers dadurch zu unterstreichen versuchten, dass sie unter den äußerst knapp gehaltenen Fransenröcken grundsätzlich keine Unterwäsche trugen. Schlüpfer schienen unter diesen Girls Raritäten zu sein.

Dorsay nahm seinen Stammplatz ein, eine abgedunkelte Nische gleich neben der Bühne, wo die Girls auftreten. Eine Hawaiianerin stellte mit einer Gruppe anderer Mädchen die Ankunft des großen englischen Seefahrers Cook dar. Hula-Klänge erfüllten den mit Alkoholdunst und Rauch gefüllten Raum. Das schummrige Licht war so miserabel, dass man kaum seinen Nachbarn erkennen konnte. Doch das war beabsichtigt. An der Bar links, die nierenförmig aus der Wand wuchs, standen und saßen einige männliche Besucher, von einem Schwarm junger, dürftig bekleideter Mädchen umgeben, die es darauf angelegt hatten, die Brieftaschen der Gäste zu erleichtern und selbst einige Dollars nach Hause zu bringen. Das Leben hier am Rande der Wüste war hart. Viele, gerade die Indianermädchen, lebten an der Grenze des Existenzminimums.

Die Hawaii-Mädchen legten einen tollen Strip hin. Mit immer heftiger werdenden Hüftbewegungen schleuderten sie schließlich die Blüten von den Bastgewändern, so dass die Bühne schließlich aussah wie ein Blumenteppich, und darauf bewegten sich die bronzefarbenen, unbekleideten Körper in einer Tanzekstase, die zur Augenweide eines jeden Mannes wurde.

Pit Dorsay, als regelmäßiger Besucher der Oase bereits bekannt, erhielt stillschweigend seinen Drink. Noch ehe sich das grazile Indianermädchen aus der Nische verdrücken konnte, packte Dorsay es am Rockzipfel und fühlte darunter die nackten, festen Schenkel.

»Gleich noch einen Brownie«, sagte er leise. »Ich habe Durst wie ein Gaul ...« Mit diesen Worten versetzte er der höchstens achtzehn Jahre alten Bedienung einen Klaps auf den nackten Hintern, dass es laut schallte. Kurz hintereinander schüttete Dorsay die Drinks in sich hinein. Seine Kehle war wie ausgetrocknet vom Staub, den er während der Fahrt in dem offenen Wagen geschluckt hatte. Flüchtig musste er an Muriel denken und daran, was sie wohl jetzt mit dem Mondstein anfangen würde. Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen, als er sich vorstellte, dass vielleicht irgendein spleeniger Millionär hinter der ganzen Sache stand, der seiner Geliebten ein besonderes Geschenk machen wollte. Zu diesem Zweck hatte er einer Unterweltorganisation den Auftrag gegeben, einen Mann auf Henry Cabott anzusetzen und die Gesteinsprobe herbeizuschaffen – nur um einen Edelstein daraus zu schleifen. Elefantenhaararmbändchen und Seehundmäntel waren heutzutage ja nicht mehr gut genug, und vielleicht war irgendeine attraktive Schönheit auch nicht mehr mit einem gewöhnlichen Brillanten, mit einem Saphir, einem Rubin oder einem Lapislazuli zufrieden – nein, die Dame wollte einen Stein vom Mond um den Hals tragen. Das war sicher der letzte Schrei. Und wenn dieser Stein auch noch zusätzlich von Cabott mit Chemikalien behandelt worden war, dann musste er besonders gut werden ...

Es war nicht Dorsays Art, sich über gewisse Dinge Gedanken zu machen. Wenn er eine Sache hinter sich hatte, dann war sie für ihn erledigt, aber seltsam: an diesen Coup musste er immer wieder denken.

Er griff nach dem dritten Drink, als er zum ersten Mal spürte, dass etwas nicht mit ihm stimmte. Seine Hände zitterten, und ein unbekanntes Gefühl wanderte von den Fingerspitzen her aufwärts bis ins Handgelenk. Mit einem leisen, erstaunten Ausruf ließ er das Glas los und zuckte wie elektrisiert zusammen. In dem schummrigen Licht, das mühselig die Nische erfüllte, drehte er seine Hände langsam herum und näherte sie seinen Augen. Die Fingerkuppen fühlten sich weich und schwabbelig an, als würden sich darunter winzige Quaddeln bilden. Wie ein Fieberschauer überlief es ihn. Dann zog wieder eisige Kälte seine Haut zusammen. Dorsay öffnete und schloss seine Hände mehrmals zur Faust und hatte das Gefühl, dass seine Kräfte nachließen. Es schien, als würden seine Muskeln und Sehnen sich nicht mehr richtig zusammenziehen! Es fehlte ihnen an Elastizität.

Wurde er krank? Der Gedanke an eine solche Möglichkeit war ihm fremd, kam ihm geradezu absurd vor. Er war niemals ernstlich krank gewesen. Mal ein kleiner Schnupfen, eine Grippe ... die Verletzungen, die er bei Schlägereien davongetragen hatte, zählte er schon nicht mehr dazu. Das waren keine Krankheiten, das war seiner Meinung nach Künstlerpech.

Er versuchte die Hände in die Höhe zu bringen, um den kalten Schweiß, der plötzlich seine Stirn bedeckte, abzuwischen. Die Bewegung wurde zur Anstrengung.

»Verdammt«, murmelte Dorsay.

»Was heißt hier – verdammt?«, fragte eine verführerische Stimme direkt vor ihm. Jenny bog den Vorhang zurück, streckte ihr hübsches Gesicht nach vorn und streifte mit der Nase Dorsays Stirn.

»Ich fühle mich nicht wohl«, murmelte Pit Dorsay mit matter Stimme.

»Das hat mir auch noch kein Mann gesagt, wenn er mit mir zusammen war«, wisperte Jenny und kam in die düstere Nische. Mit einer mechanischen Bewegung zog sie den dunkelgrünen Vorhang hinter sich zu. Durch den schmalen Ritz, der verblieb, konnte Dorsay einen kleinen Bühnenausschnitt sehen. Die Hawaii-Mädchen agierten noch immer. Eine von ihnen hatte sich im wahrsten Sinne des Wortes völlig entblättert, und warf zur Freude der männlichen Zuschauer eine Blüte nach der anderen in den Gastraum.

»Ich freue mich, dass du gekommen bist, Pit. In einer Stunde habe ich noch einen Auftritt, dann ist der Film für mich gelaufen.« Sie setzte sich auf seinen Schoss. Pit Dorsay spürte durch das hauchdünne Negligé Jennys feste, wohlgeformte Rundungen. Die zarten Hände der Stripperin wühlten in Dorsays Haar und massierten seinen Nacken. »Bei mir hat eigentlich noch keiner so schnell schlapp gemacht«, wies sie daraufhin. »Wohl etwas zu viel Whisky geschluckt? Oder hast du gehascht?«

»Keines von beiden.« Dorsay merkte, wie schwer es ihm fiel, die Worte zu formen. Bleierne Müdigkeit breitete sich in seinen Gliedern aus.

»Zuviel gearbeitet? Armer Pit ...« murmelte Jenny.

»Möglich. Ich habe mich in der letzten Zeit ein wenig übernommen.«

»Das bekommt keinem von uns. Ich mache dir einen Vorschlag: geh schon mal rauf aufs Zimmer und ruh dich eine Stunde aus. Vielleicht bist du wieder fit, bis ich komme ...«

»Das ist eine gute Idee«, murmelte Dorsay. Er schob mit zitternden Fingern noch das halbgefüllte Whiskyglas zurück und erhob sich. Er taumelte. »Ich habe das Gefühl, als hätte ich Gummi in den Knien ...« Jenny fühlte seine Stirn. »Fieber hast du jedenfalls nicht.«

Drei Minuten später lag Dorsay im Zimmer der Stripperin. Er war nicht in der Lage gewesen, die Treppen nach oben zu gehen. Er hatte den Lift benutzen müssen. Dorsay lag quer über dem Bett. Kopfschüttelnd entfernte sich Jenny, ging hinunter in die Bar und machte sich über ihren schlappen Liebhaber lustig. Die Mädchen rundum lachten.

Als die Stripperin nach ihrem letzten Auftritt wieder ihr Zimmer aufsuchte, hegte sie die Hoffnung, Dorsay wieder in anderer Verfassung vorzufinden. Doch sie wurde enttäuscht. Der Mann lag noch immer unverändert auf dem Bett. In dem grünen Licht, das von außen her von den Lichtreklamen durch die zugezogenen Vorhänge fiel, nahm sie die schemenhaften Umrisse des Körpers wahr. Leise näherte sich Jenny dem Lager. Das leichte Negligé raschelte bei jedem Schritt und rieb sich an ihrer zarten Haut. Die Stripperin beugte sich über den Mann und küsste ihn. »Dich kriegen wir schon auf Touren, Dorsay«, flüsterte die Blondine erregt. »Schlafen gilt nicht.«

»Ich schlafe nicht, Honey«, kam es wie ein Hauch über Dorsays Lippen. Er hatte das Gefühl, als würde sein Blut kochen. In ihm sprudelte und brodelte es. »Meine Haut, sie fühlt sich so seltsam an hier ...« Er streckte die Hand aus. Seine Bewegung war klobig und ungelenk. Wie ein lebloses Anhängsel hing die geschwollene Hand am Armgelenk. »Ich fühle mich hohl, leer, Jenny ... es ist, als ob sich das Skelett in mir auflösen würde, alles Brei.«

Die Blondine seufzte, während sie das seegrüne Negligé fallenließ. Nicht mal die Nähe ihres betörenden Körpers brachte Dorsay aus der Fassung. »Dann fällt das Spielchen also aus ... schade! Das ist mir in meiner Praxis noch nie passiert!«

»Man macht immer wieder neue Erfahrungen, Baby.«

»Und was gedenkst du zu tun? Ich habe keine Lust, auf dem Boden zu pennen.«

Mühsam richtete sich Dorsay auf. Er kam sich schwach und hilflos wie ein Neugeborenes vor. »Ich geh nach Hause ... morgen gleich werde ich einen Arzt anrufen ... verdammtes Skelett, es kribbelt, als würde eine Armee von Ameisen unter meiner Haut entlangkriechen ...« Kalter Schweiß bedeckte seine Stirn, als er zur Tür wankte. »Ruf ein Taxi an! Ich lass mich rüberfahren.«

Jenny tat ihm den Gefallen. Der Taxifahrer musste fast acht Minuten lang warten, ehe Dorsay mit Jennys Hilfe den Ausgang erreicht hatte. Die Stripperin hatte ihr Negligé wieder übergestreift. Doch das dünne Gewebe gab mehr preis, als es verdeckte, und so war es nicht verwunderlich, dass sich der strahlende Taxifahrer mehr Jenny widmete als dem lethargischen Dorsay. »Er braucht Hilfe – nicht ich«, wies die Stripperin ihn zurecht. Der Chauffeur bugsierte Dorsay auf den Rücksitz, wo der Fahrgast sich kaum aufrecht halten konnte. Sein schwabbeliger Körper fiel nach vorn, als würde seine Wirbelsäule nicht mehr aus Knochen und Knorpeln bestehen, sondern aus einer elastischen Gummimasse.

»So, das wäre geschafft«, sagte der Taxifahrer gelassen. »Wohin soll ich den Jüngling bringen? Er macht mir nicht den Eindruck, als ob er noch vernehmungsfähig sei. Bisschen zu viel getankt, wie?«

»Er hat kaum etwas getrunken«, sagte Jenny. Der Chauffeur zog die Augenbrauen hoch. »Dann hat er sich aber wirklich ausgetobt. Ja, ja, ob der Suff oder die Weiber, es macht einen kaputt. Der Kunde ist ganz schön ausgeflippt, ziemlich kaputt ...«

»Er hatte auch nichts mit einer Frau«, fühlte sich Jenny veranlasst zusagen, obwohl sie selbst nicht wusste, wie sie eigentlich dazu kam, dem Taxifahrer gegenüber eine Erklärung abzugeben. Sie erläuterte ihm noch, wo Dorsay hinzubringen sei und reichte dem Fahrer eine größere Geldnote. Der Schein stammte aus der Brieftasche, die aus Dorsays Jackett gerutscht war. Der Amerikaner hatte nichts davon gemerkt. Jenny spielte nicht mit dem Gedanken, die Brieftasche zurückzugeben. Das war eigentlich nicht üblich in dem Gewerbe, das sie nebenbei mitbetrieb. Sollte sich Dorsay noch an irgendeinen Vorgang heute Nacht erinnern können, dann würde sie alles abstreiten.

Sie starrte dem Taxi nach, das um die nächste Straßenecke verschwand. Durch den Hintereingang betrat Jenny die Nachtbar und stieg langsam die knarrenden Treppen zu ihrem Zimmer hoch. Bis vor wenigen Minuten hatte sie mit dem Gedanken gespielt, noch mal den Barraum aufzusuchen und einem zahlungskräftigen Kunden Trost zuzusprechen. Aber nun überfiel sie die Müdigkeit und Abgeschlagenheit wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Sie wäre beinahe gestürzt, so schwach fühlte sie sich. Es bereitete ihr Schwierigkeiten, ihr Zimmer aufzusuchen. Mit schweren Gliedern ließ sie sich einfach ins Bett fallen. Sie blieb genauso liegen, wie sie fiel und stand nicht noch mal auf, um ihr Make-up zu entfernen und sich zu waschen.

Unruhe und Ratlosigkeit erfüllten sie. Es ging etwas in ihr vor, wie sie es nie zuvor bemerkt hatte. Es war, als würde ein riesiger Krebs in ihr anfangen, langsam von innen heraus das Fleisch von den Knochen zu schneiden. Wenn sie atmete, dann war es eine Qual. Ihre Brust hob und senkte sich kaum. Sie machte Minuten unsäglicher Angst durch, ohne die Kraft zu finden aufzuspringen und jemanden zu rufen, der ihr Gesellschaft leistete.

Wie hatte Dorsay gesagt? »... es ist, als ob sich etwas von meinem Skelett löse ...«

Genauso war es! Es brodelte in ihrem Körper, als würden ihre Organe sich verflüssigen. Ungeheure Schwere und Müdigkeit nahmen sie gefangen, und doch konnte sie kein Auge schließen.

Der unheimliche Keim, den Pit Dorsay – ohne es zu wollen – mitgeschleppt hatte, begann seine ersten furchtbaren Wirkungen zu zeigen.

2. Kapitel

Der knallrote Lotus Europa raste wie ein Pfeil über die nächtliche Straße.

Larry Brent steuerte den rassigen Wagen. Der Lotus war ein speziell für Larry Brent gebautes Modell, dessen Sondereinrichtungen und geheimen Extras hohe Geldsummen verschlungen hatten. Doch besondere Situationen erforderten besondere Mittel. Die Tatsache, dass der Lotus auch als Amphibienfahrzeug bereits seine Feuertaufe bestanden hatte, soll nur nebenbei erwähnt sein. Es gab ein paar Besonderheiten, die X-RAY-3 noch bei Gelegenheit ausspielen konnte. Dass der PSA-Agent zur vorgeschrittenen Stunde in dieser Gegend von Arizona weilte, hatte seinen besonderen Grund. Er kam aus der Nähe der Großen Salzseen, wo er an einem Härtetraining für PSA-Agenten teilgenommen hatte. Ein ranghoher Ausbildungsleiter und dessen Frau, eine Psychologin, hatten das Programm überwacht.

Das Ehepaar Paul und Liz Mason befand sich ebenfalls im Lotus. Mason hatte Pech gehabt. Kurz vor Ende der Trainingsperiode baute er einen Autounfall. Der fabrikneue Buick war schrottreif abtransportiert worden. Außer ein paar Hautabschürfungen und einem Schrecken hatten Mason und seine Frau nichts abbekommen.

X-RAY-3 hatte sich bereit erklärt, das sympathische junge Paar in seine Wohnung am Rande von Tuba zu bringen. Von hier konnte Larry Brent rasch weiterreisen, um in die Hauptstadt des Landes, nach Phoenix, zu kommen. Dort würde der Lotus zurückbleiben und die Reise zu einem unbekannten Abenteuer in der Ferne auf ihn warten.

Während der Fahrt zum Haus der Masons lockerte ein zwangloses Gespräch die Zeit auf. Liz Mason, eine brünette, knabenhafte Schönheit, der man ansah, dass sie eine Zeitlang als Balletttänzerin tätig gewesen war – sie hatte den Tanz zu ihrem Vergnügen betrieben – warf das schulterlange Haar zurück und atmete erleichtert auf. »Endlich! Wenn man die vertraute Umgebung sieht, dann fühlt man sich gleich wohler.«

X-RAY-3 steuerte den Lotus vor den angegebenen Bungalow. Der Agent war dem Ehepaar behilflich, das Gepäck ins Haus zu bringen. Mit einem Blick über den Zaun bemerkte Paul Mason: »Mein Nachbar scheint eine Party zu geben. Wenn bei Henry und Patricia Cabott um diese Zeit noch Licht brennt, dann ist meistens drüben was los.«

»Cabott?«, fragte Larry. »Der bekannte Geologe?«

Mason nickte. Er stand direkt neben dem Agenten und reichte dem großgewachsenen, sportlichen Larry Brent genau bis an die Schulter. »Ein prima Mensch, und auch ein hervorragender Wissenschaftler. Cabott vereint alle guten Charaktereigenschaften, die einen Menschen liebenswert machen. Wir sind befreundet. Wenn Henry und Patricia wüssten, dass wir schon zurück sind, dann würden sie uns hier begrüßt haben, sie nehmen an, wir kommen erst morgen.« Paul Mason hatte plötzlich eine Idee. »Ist einer von euch müde? Larry, wie ist das bei Ihnen?«

»Nun, ich fühle mich fit.«

»Das ist erstaunlich. Bei dem Programm, das Sie zu absolvieren hatten.«

»Es war halb so schlimm«, lachte X-RAY-3. »Die Hauptlast lag auf Ihren Schultern. Sie mussten sich ständig etwas Neues einfallen lassen.«

»Ja, das ist richtig. Mit Neuem wurden Sie geradezu vollgestopft. Sie haben eine ganze Menge für Ihre strapaziösen Einsätze hinzulernen können.«

»Nur eines ist uns auch weiterhin verborgen geblieben«, wandte Larry ein.

»Was meinen Sie damit?«

»Keiner kam auf die Idee, den Kursteilnehmern die Identität von X-RAY-1 zu verraten. Das wäre mal eine Neuigkeit gewesen, Paul.«

Der Angesprochene nickte und lachte. »Das kann ich mir denken. Wer weiß, vielleicht befand er sich mitten unter uns. Ich kann Sie trösten: auch mir ist die Identität von X-RAY-1 nicht bekannt. Und nun denken wir über diese harmlosen Problemchen nicht weiter nach. Sie sind fit, ich fühle mich so, und Liz ist der richtige Typ zum Feiern. Wir überfallen die Cabotts einfach.« Larry Brent legte die Stirn in Falten. »Und das nimmt Ihnen Ihr Nachbar nicht übel?«

»Ach was, wo denken Sie hin. Henry fällt uns um den Hals, wenn wir unverhofft auftauchen. Außerdem dürfte das für Sie eine einmalige Gelegenheit sein, etwas kennenzulernen, was bisher nur wenige Menschen zu Gesicht bekamen.«

»Cabott hat einen Staatsauftrag, ich weiß. Das bedeutet, dass er eine Gesteinsprobe vom Mond in seinem Haus aufbewahrt. Im Auftrag der NASA soll er mit verschiedenen chemischen Substanzen dem Mondprodukt neue Geheimnisse entreißen.«

Mason nickte. »Das ist für Sie die Gelegenheit, einmal einen Stein vom Mond in die Hand zu nehmen.« Liz Mason trat, aus dem Haus kommend, auf sie zu, stellte sich neben die beiden Männer, die über die Hecke hinüberschauten, und meinte leise: »Ich weiß nicht recht, meinst du wirklich, Paul, dass Henry und Pat drüben eine Party feiern? Es ist so still, findest du nicht auch?«

Larry nickte. »Das ist mir auch schon aufgefallen. Aber ich habe wenig Erfahrung in Partys bei Gelehrten. Vielleicht geht es da besonders ruhig zu.«

»Im Gegenteil«, murmelte der Trainingsleiter. Seine Miene verfinsterte sich. »Im Haus ist unten alles hell erleuchtet. Auch die Lampe auf der Terrasse brennt. Aber man sieht und hört keinen Menschen. Das ist merkwürdig.«

»Der Bungalow ist ziemlich großzügig angelegt. Sie könnten auf der anderen Seite sein«, sinnierte X-RAY-3. »Vielleicht zeigt Cabott seinen Gästen den Mondstein, vielleicht hält er einen Dia-Vortrag?«

»Nein, nein«, sagte Paul Mason schnell. »Das macht er garantiert nicht. Wenn er sich vergnügt, dann vergnügt er sich richtig. Er kann wirklich noch die Arbeit von der Entspannung trennen. Wartet doch mal kurz auf mich. Ich bin sofort zurück. Ich lass' drüben das Telefon klingeln.« Mit raschen, beinahe lautlosen Schritten entfernte sich Mason. »Das Ganze gefällt mir nicht«, murmelte Liz Mason. Ihre Stimme klang besorgt.

»Irgendwie ist heute alles ganz anders, ich weiß selbst nicht, was ich sagen soll.«

Sie schwieg. In der ruhigen Nacht hörte man durch das weitgeöffnete Terrassenfenster das läutende Telefon im Haus der Cabotts. Aber niemand rührte sich drüben. Ein letztes Klingeln, das verhallte. Liz Mason schluckte so laut, dass ihr Kehlkopf knackte. »Das gibt es doch nicht«, kam es wie ein Hauch über ihre Lippen. Das hübsche, schmale Gesicht der jungen Frau wirkte jetzt wie eine Porzellanmaske.

Voll ernster Gedanken kehrte Paul Mason aus dem Haus zurück. »Da meldet sich niemand. Vielleicht sind sie ausgegangen und haben nur vergessen, das Licht zu löschen«, wandte er ein. Aber diese Entschuldigung klang schwach und man hörte seiner Stimme an, dass er selbst nicht an eine solche Möglichkeit glaubte. »Wenn man weggeht, kann man schon mal vergessen, das Licht auszuknipsen«, schaltete sich X-RAY-3 ein.

»Aber ich kann mir nicht vorstellen dass man sperrangelweit die Terrassentür geöffnet lässt. Das weist entweder auf ein überstürztes Verlassen des Hauses hin oder ...« Er sprach nicht zu Ende. Liz Mason sah ihn aus angsterfüllten Augen an. »Oder?«, flüsterte sie. »Was meinen Sie mit oder, Larry?«

»Noch nichts, gnädige Frau. Ich seh mal nach dem Rechten.« Larry warf einen Blick in die Runde, um sich zu vergewissern, dass alles ringsum still, dunkel und menschenleer war. Nur im Haus Cabotts und bei Masons brannte Licht.

»Soll ich Sie nicht doch lieber begleiten, Larry«, fragte Paul Mason unsicher. »Bleiben Sie hier«, antwortete X-RAY-3. Mit diesen Worten ging er an der Hecke entlang und verschwand im Dunkeln. Sekunden später erreichte er das Gattertor. Es war nicht verschlossen und nicht verriegelt. Wieder ein Punkt, der Larry Brent zu denken gab, und der darauf hinwies, dass die Cabotts unbedingt zu Hause sein mussten. Lautlos glitt das Tor unter dem Druck der Hand des Agenten zurück. Auf dem Plattenweg näherte sich Larry Brent der geräumigen Terrasse. Auf den hellen Platten sah er das dunkle Kabel, das von einer Steckdose in der Außenwand ging. Unwillkürlich folgte sein Blick dem Lauf des Kabels. Als er sah, dass es über dem Beckenrand verschwand, fuhr er zusammen. Er riss den Stecker sofort aus der Steckdose und rannte zum Swimmingpool hinüber. Er beobachtete das ins Wasser abgesackte Fernsehgerät und die im Becken schwimmende Leiche von Patricia Cabott. Auf den ersten Blick war zu erkennen, dass jede Hilfe zu spät kam.

Warum war dies hier geschehen?

Noch während er sich darüber Gedanken machte eilte er über die Terrasse, stieß die Tür auf und durchquerte das große, geschmackvoll eingerichtete Wohnzimmer.

»Professor Cabott?« Er rief den Namen des Geologen mehrmals laut und deutlich aus.