Larry Brent Classic 016: Die Blutparty - Dan Shocker - E-Book

Larry Brent Classic 016: Die Blutparty E-Book

Dan Shocker

0,0

Beschreibung

Party im Blutschloß Auf einer privaten Party auf einem Schloß, das den gruseligen Beinamen "Bloddy Grave - Blutiges Grab" trägt, geht es hoch her. Hugh Jeffers ist verrückt nach Jane Baker. Zusammen huschen sie durch die Gänge, küssen und necken sich, als das Grauenhafte passiert. Jane verschwindet. Als Hugh sie in der Dunkelheit wiederfindet liegt sie tot in ihrem eigenen Blut am Boden. Ein unheimlicher Mörder hat zugeschlagen. Schreiend alarmiert er seine Freunde, doch als er mit diesen zurückkehrt, finden sie keine Leiche mehr. Nichts, spurlos verschwunden! Die Ereignisse auf dem Blutschloß ruft Larry Brent, Iwan Kunaritschew und die attraktive Schwedin Morna Ulbrandson auf den Plan. Der Würger aus dem See In einer stockfinsteren Nacht rudert der zufriedene Henry Dolan über den See. Gerade eben hat er den alten Schotten Erik Franklin ermordet, und ihm seine wertvolle Münzsammlung gestohlen. Er ist überzeugt davon keine Spuren hinterlassen zu haben, in der Dunkelheit unbemerkt zu entkommen. Plötzlich steigt eine Fontäne schäumend neben ihm auf. Ein riesiger schwarzer Körper schiebt sich aus dem düsteren Wasser. Es geht alles so schnell, daß der Bootsinsasse die Einzelheiten nicht mehr mitbekommt. Es gibt einen Schlag, als würde ein Riesenhammer gegen die Bootswand knallen. Der Mann wird in hohem Bogen in den See geschleudert. Das legendäre Ungeheuer von Loch Ness ist da! Nach dieser Nacht werden weitere Opfer bekannt. Larry Brent, Morna Ulbrandson und Iwan Kunaritschew, die sich schon lange vorgenommen hatten, einen Urlaub in Schottland zu verbringen und auch Loch Ness kennenzulernen, treffen dort zu einem Zeitpunkt ein als schreckliche Dinge passieren. Und das Ungeheuer von zahllosen Personen gesehen wird. Die Freunde der PSA werden unerwartet in einen Strudel von Ereignissen gezogen, die ihren Urlaub zunichte machen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 310

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



DAN SHOCKERS LARRY BRENT

BAND 16

© 2014 by BLITZ-Verlag

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Fachberatung: Robert Linder

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Titelbildgestaltung: Mark Freier

All rights reserved

www.BLITZ-Verlag.de

978-3-95719-816-7

Dan Shockers Larry Brent Band 16

DIE BLUTPARTY

Mystery-Thriller

Party im Blutschloss

von

Dan Shocker

Prolog

Seine Hand glitt langsam unter ihren Rock und tastete sich an den Schenkeln hoch.

»Nicht«, wisperte sie, »nicht hier ...«

Mit diesen Worten entwand sie sich seinem Zugriff und verschwand hinter dem Vorhang, der schwer an der Seite herabhing und den Durchlass zu dem angrenzenden Raum verbarg.

Hugh Jeffers folgte ihr. Wie ein Schatten bog Jane Baker um die Ecke. Er sah gerade noch ihren Rockzipfel.

Jeffers erreichte den düsteren Gang, von dem aus eine Treppe nach oben wie nach unten führte.

Lauschend verharrte er für einen Moment im Schritt und glaubte ein leises Geräusch von unten her zu vernehmen. Grinsend sprang er die gewundenen, ausgetretenen Steintreppen hinab. Es war so dunkel, dass er kaum die Hand vor Augen sah. Und Fenster gab es hier nicht.

Der Geruch von Jane Bakers Parfüm hing wie ein unsichtbarer Schleier in der Luft, schwer und rassig, genau der Duft, der zu ihr passte ... Irgendwo in der Finsternis quietschte leise und fern eine Tür.

»Jane?«, flüsterte er und verharrte lauschend. »Nun mach doch nicht solchen Unsinn ...« Er erwartete, dass sie antworten würde. Doch keine Regung erfolgte. Völlige Stille umgab ihn. Hugh Jeffers sah sich mit weit geöffneten Augen um, als könne er dadurch mehr wahrnehmen. Die Schwärze rückte von allen Seiten auf ihn zu. Er schluckte und fühlte sich in diesem abgelegenen Teil des riesigen Schlosses nicht wohl.

Er bewunderte den Mut der attraktiven Jane. Ein anderes Mädchen wäre nie auf den Gedanken gekommen, sich so weit abzusetzen. Aber Jane war eben etwas Besonderes. Sie war nicht vergleichbar mit den anderen. Deshalb war er auch so verrückt nach ihr.

Hugh Jeffers rümpfte die Nase. In den Duft des schweren Parfüms mischte sich ein süßlicher Geruch.

Blut! schoss es ihm durch den Kopf.

Unruhig flackerten seine Augen, und er musste daran denken, welchen Namen dieses Schloss hatte: Bloody Grave – die blutige Gruft ...

»Jane?« Er erschrak vor seiner eigenen Stimme und wollte den Namen des Mädchens noch einmal rufen, als er mit der Fußspitze gegen etwas Weiches stieß.

Jeffers glaubte, eine eiskalte Hand griffe nach ihm. Seine Nackenhaare sträubten sich. Unwillkürlich drehte er seinen Körper, spürte die kalte, raue Wand im Rücken, suchte mit fahrigen Fingern nach der Streichholzschachtel in seiner Hosentasche und riss ein Hölzchen an.

Im schwachen Licht der flackernden Flamme sah er das Unheimliche.

Der zerfetzte Körper lag in einer riesigen Blutlache vor ihm.

Was von Jane Baker übriggeblieben war, sah aus, wie der Rest der Mahlzeit einer Raubkatze.

Es würgte ihn. Er wollte zurückweichen. Aber das ging nicht. Die kalte Wand hinderte ihn daran.

Hugh Jeffers warf sich herum als wäre er dem Satan persönlich begegnet, rannte in das Dunkel, stieß gegen einen Pfeiler und rieb sich fluchend die Beule an der Stirn. Er brachte es nicht fertig, stehenzubleiben, zurückzugehen und sich zu vergewissern, ob ihm seine überreizten Sinne eben einen Streich gespielt hatten.

Die Angst saß ihm im Nacken.

Der junge Schotte erreichte die gewundene Treppe und hetzte nach oben. Keuchend und mit kaltem Schweiß auf der Stirn riss er den schweren Samtvorhang zur Seite und starrte in den Raum, den er erst vor wenigen Augenblicken verlassen hatte.

Die anderen vergnügten sich noch. Ein Pärchen stand in der Ecke und knutschte sich ab, ein anderes tanzte zu der leisen Musik des mitgebrachten Plattenspielers.

Henry und May lagen auf dem breiten Diwan. May trug nur noch einen BH und einen winzigen schwarzen Slip. Henry löste gerade den Verschluss des BHs, als Hugh Jeffers mit schriller Stimme schrie: »Aufhören! Verdammt noch mal! So hört doch auf!«

Vor seinen Augen wirbelte alles umher wie auf einem sich teuflisch drehenden Karussell.

Der Raum war erfüllt von Alkoholdunst, Zigarettenrauch und dem Duft von Hasch.

Das Paar in der Ecke ließ sich ebenso wenig stören wie das auf dem Diwan. Wie eine Trophäe schwang Henry den BH Mays durch die Luft, drapierte ihn dann künstlerisch um einen vielarmigen, vergoldeten Kerzenständer, wo er herabhing wie ein Trauerflor. Das linke Körbchen füllte sich langsam mit tropfendem Wachs.

Nur die Tänzer verharrten in der Bewegung. Der hochgewachsene McBroutch kam mit Brenda an der Hand auf Hugh Jeffers zu.

»Was ist los, Hugh? Übergeschnappt? Warum schreist du hier rum? Hat dir Jane einen Korb gegeben? Du musst das Girl mit Samthandschuhen anfassen, dann kannst du auf ihr Klavier spielen, das garantiere ich dir.«

»Jane ist weg«, stieß Hugh Jeffers hervor. Mit zittrigen Fingern strich er sich über die Stirn.

»Mann«, sagte der hagere McBroutch und starrte Jeffers an wie einen Geist.

»Du bist ja bleich wie ein Betttuch.«

McBroutch wankte ein wenig. Man sah seinen Augen deutlich an, dass er tief ins Glas geschaut und auch mehr als einmal am Joint gezogen hatte. Brenda schmiegte sich an ihren Tänzer und kraulte ihm das schulterlange Nackenhaar. »Komm«, sagte sie leise, und ihre Lippen schimmerten verführerisch. »Lass ihn mit seinen Problemen allein fertig werden. Wenn Jane ihm davongelaufen ist, dann ist er selber schuld daran.«

»Unsinn!«, unterbrach Jeffers den Redeschwall der üppigen Blondine. »Ihr versteht mich nicht. Jane – ist tot!«

Die beiden anderen Pärchen bekamen von dem Gespräch nichts mit. Henry war mit May beschäftigt, und Hank hatte seine Lippen noch immer nicht vom Mund Laras gelöst, um Luft zu holen.

Die Kerzen waren zum Teil herabgebrannt. Nur noch ein paar Stummel spendeten einen schwachen Schein. Der Raum, in dem sich die jungen Menschen aufhielten, lag bereits weitgehend im Dunkeln.

»Tot?« McBroutch zog das Wort in die Breite als müsse er erst darüber nachdenken, was es eigentlich bedeutete. Sein umnebeltes Gehirn nahm die Wirklichkeit in seltsam verzerrten Umrissen und schwingenden Farbtönen wahr.

Auch Hugh Jeffers hatte gehascht. Aber das Geschehen unten im Kellergewölbe wirkte auf ihn wie eine eiskalte Dusche.

»Du kannst einen ja ganz schön erschrecken«, maulte der vornehme McBroutch. Er wischte seine schweißigen Hände an der schneeweißen Jacke ab, die er über einem dunkelblauen Seidenhemd trug. Das war weniger vornehm, aber McBroutch vertrat die Ansicht, dass man sich alles erlauben könne, wenn man das nötige Kleingeld besaß. »Du bist doch hoffentlich nicht versessen darauf, mir meinen Geburtstag zu vermasseln, Hugh?«

Der Speichel lief ihm aus dem Mundwinkel. McBroutch wischte ihn einfach mit dem Handrücken ab.

»Kommt mit. Ich werde es euch zeigen.« Jeffers blickte sich in der Runde um. Es dauerte fast eine halbe Stunde, ehe er die anderen soweit hatte, dass auch sie ihm zuhörten.

Ratlosigkeit, Verwirrung und Abneigung las Jeffers in den Augen der sechs übrigen Partygäste.

»Hört mir gut zu«, sagte er, und er versuchte seiner Stimme einen festen Klang zu geben, was ihm nur unvollkommen gelang. »Wir sind gemeinsam hierhergekommen. Wir wollten uns vergnügen, McBroutchs Geburtstag feiern. Dazu hat er das Schloss gemietet. Ihr stammt fast alle aus dieser Gegend. Ihr wisst, was man sich von dem Schloss erzählt. Keiner von uns hat das wahrscheinlich jemals ernst genommen. Geister, Verstorbene, die herumspuken und keine Ruhe finden – alles Quatsch, okay, so denken wir. Diese Kamingeschichten passen nicht mehr in unsere Zeit. Und doch war ein gewisser Nervenkitzel dabei, als wir uns entschlossen, hier die Party zu starten, nicht wahr?«

Er sah sich in der Runde um. Auf seinem Gesicht glänzte noch immer der Schweiß, obwohl seine Ruhe zurückgekehrt war. Im Kreis der Freunde fühlte er sich sicher, geborgen, kam ihm das Geschehen von vorhin doch wie ein Traum vor, wie eine Vision, die ihm der Genuss des Alkohols und der Droge vorspiegelten.

»... wir wollten diese Nacht unbedingt auf Bloody Grave verbringen«, fuhr Jeffers fort. »Das Blutschloss, die blutige Gruft, wie dieser alte Steinkasten im Volksmund genannt wird. Nur Verrückte und Spinner kommen hierher. Nicht mal ein Tourist interessiert sich für dieses Castle.«

Jeffers unterbrach sich als er sah, dass Henry den Kopf schüttelte und leise sagte: »Warum wärmt er den Kram hier auf? Was hat das Ganze mit dem Verschwinden von Jane zu tun?«

»Alles vielleicht«, fauchte Jeffers ihn an. »Kommt zu euch, Leute, so reißt euch doch zusammen! Vielleicht geht es uns allen an den Kragen!«

Er redete sich in Rage.

McBroutch war der einzige, der langsam in die Wirklichkeit zurückzufinden schien.

»Nun lasst ihn doch erst mal ausreden«, warf er ein und hielt May den Mund zu, die sich gerade anschickte, ebenfalls etwas gegen das Verhalten von Hugh Jeffers einzuwenden.

»Er phantasiert«, murrte nun Hank und strich sich durch das wellige, dichte Haar. »Er hat zu viel Stoff inhaliert. Das bekommt ihm nicht. Nun will er uns ...«

»Ich will gar nichts von euch«, schrie Jeffers, und seine Stimme war so laut, dass sie den großen Saal erfüllte und als Echo durch die langen, stillen Gänge hallte. »Das heißt, eines will ich doch: Begleitet mich! Ich zeige euch Janes Leiche. Wir sind in einem Blutschloss. Und wenn ihr euch auf den Kopf stellt: Es spukt hier ...!«

Die drei Mädchen sahen sich erschrocken an. Die Umgebung, in der sie sich eben noch so wohl gefühlt hatten, war ihnen mit einem Male zuwider. Hank und McBroutch konnten sich eines gewissen Unbehagens nicht erwehren. Ohne dass es den jungen Menschen aufgefallen wäre, war es in den letzten Minuten immer düsterer geworden. Ein Kerzenstummel nach dem anderen brannte ab. Plötzlich war es stockfinster. Brenda schrie leise auf und krallte ihre Fingernägel in die Oberarme McBroutchs.

Hugh Jeffers riss ein Streichholz an, durchquerte den Raum und entnahm dem Vorratsbehälter an der gegenüberliegenden Wand sieben frische Kerzen, zündete eine nach der anderen an und gab jedem Anwesenden eine in die Hand.

»Ihr begleitet mich jetzt«, sagte er mit rauer Stimme. Er ging der Gruppe voran, näherte sich dem schweren Samtvorhang und schob ihn zur Seite. »Und wenn ihr euch ein Bild gemacht habt, dann sprechen wir uns wieder, okay?«

Sie passierten den kahlen Gang. Wortlos ging Hugh Jeffers voran. Ihre Schritte hallten auf den ausgetretenen Steintreppen.

Dann lag das Gewölbe vor ihnen. Spinnengewebe an den Decken, feuchtkaltes Gemäuer, zentimeterdicker Staub, der den Boden bedeckte. Der Staub war an zahllosen Stellen aufgewühlt, und im flackernden Schein der Kerzen konnte man erkennen, dass hier schon jemand gegangen war. Jeffers hätte aber nicht zu sagen vermocht, ob es seine eigenen Fußstapfen waren.

Sie passierten einen Durchlass, dann musste sich Hugh Jeffers plötzlich nach links wenden, weil sich ein massives Gemäuer vor ihnen auftürmte.

Er verhielt im Schritt. »Aber das stimmt doch nicht«, murmelte er und schüttelte den Kopf. Er sah sich um und hätte geschworen, dass der Gang ursprünglich in einer anderen Richtung verlaufen war.

Konnte man sich so täuschen? Minutenlang durchquerten die sieben jungen Leute den niedrigen Gewölbegang. Sie gingen gebückt, aus Furcht, sich die Köpfe anzuschlagen. Dann hatte McBroutchs Begleiterin die Nase voll.

»Wir gehen zurück«, sagte Brenda und blieb plötzlich stehen. »Ich bin hierhergekommen, um ein Fest zu feiern, und nicht, um als Maulwurf durch diese dreckigen Gänge zu kriechen.«

»Wo ist denn nur deine Jane?«, fragte Hank Curlers. »Ich habe auch keine Lust, den gesamten Schlossbau zu inspizieren.«

Hugh Jeffers biss die schmalen, bleichen Lippen zusammen. »Ich weiß auch nicht, irgendwie kommt mir die Umgebung anders vor, allerdings hatte ich vorhin auch kein Licht bei mir. Ich bin Jane durch das Dunkel nachgerannt und ...«

May lachte, dass es schaurig durch das Gewölbe hallte. Irgendwo in der Finsternis vor ihnen raschelte und flatterte es, als würden sich aufgescheuchte Ratten und Fledermäuse in Bewegung setzen.

»Sie haben Haschen gespielt, habt ihr das gehört?« Die anderen lachten.

»Ihr kennt mich doch alle«, kam es gepresst über Jeffers' Lippen. »Ihr wisst, dass ich kein Spinner bin.«

»Abgesehen davon, dass du an Geister glaubst. Bloody Grave scheint dich stärker zu beeindrucken, als du selbst zugibst.«

»Ich kenne die Geschichte des Schlosses, das ist alles«, widersprach Hugh.

»Die kennen wir auch«, murmelte Henry gelangweilt, fingerte in seiner Jackettasche herum und griff sich eine Zigarette, die er sich an der brennenden Kerze anzündete. »Irgendso ein verrückter Schlossbesitzer ist eines Tages Amok gelaufen und hat das gesamte Geschlecht derer von Bloody Grave ausgelöscht, nicht wahr?«

»So ähnlich«, nickte Hugh Jeffers. Er ließ den Blick kreisen, ging aber keinen Schritt weiter. Hier war er vorhin nicht gewesen. Sie waren einen ganz falschen Weg gegangen! »Nur mit einem Unterschied: Damals hieß das Schloss noch Towers of Love, wegen der zahlreichen Türme ...«

»Und den Festen der Liebe, die hier stattfanden«, warf Hank Curlers ein.

»Richtig«, nickte Hugh Jeffers. »Es war das reinste Freudenschloss. Man verstand hier zu leben und zu lieben. Das änderte sich schlagartig. Bei einer Festlichkeit schnappte der Hausherr über. Er erschlug seine Geliebte und seine ganze Familie. Das alles spielte sich in einer einzigen Nacht ab. Niemand entkam. Der Schlossherr wütete wie ein Berserker.«

»Womit hat er die anderen erschlagen?«, fragte May leise. Nur um überhaupt etwas zu sagen und damit ihre Angst niederzukämpfen, stellte sie diese Frage. Im Grunde wünschte sie die ganze Party und besonders diese nächtliche Diskussion längst zum Teufel.

»Mit einem Morgenstern«, entgegnete Jeffers.

»Das passt doch überhaupt nicht in diese Umgebung und in die Zeit, in der es geschehen sein soll«, meinte Hank Curlers. Henry unterstützte ihn als er meinte: »Soviel mir bekannt ist, ereignete sich das Blutdrama hier Mitte des 15. Jahrhunderts. Das liegt über fünfhundert Jahre zurück! Gladiatoren gab es hier nicht, mit Morgensternen kämpfte kein Mensch!«

Hugh Jeffers Gesicht verzog sich zur Fratze. Die eine Hälfte seines Kopfes lag im Dunkel, während die andere Hälfte von der flackernden Kerze, die er hielt, angestrahlt wurde. Dadurch erhielt er ein bizarres Aussehen. »Das ist richtig. Der Schlossherr war ein begeisterter Sammler von Waffen und Marterinstrumenten. Es heißt, dass er sich seine unheimliche Leidenschaft einiges kosten ließ und in diesem Castle eine perfekte Folterkammer einrichtete. Er soll über sämtliche Folterwerkzeuge und -instrumente verfügt haben, die das menschliche Gehirn bis dahin ausbrütete.«

Henry winkte ab. »Du wolltest uns Jane zeigen«, sagte er barsch. »Wo ist sie?«

Hugh Jeffers zuckte schwach die Achseln. »Ich habe sie gesehen, ihr müsst es mir glauben ... aber irgendwie muss ich mich verirrt haben. Ich finde den Weg nicht mehr. Dabei könnte ich schwören, dass sie hier vor mir auf dem Boden gelegen hat ...«

»Ich sehe nichts.« Mit einer theatralischen Geste trat Henry vor, schwenkte seine Kerze, leuchtete in das Dunkel und bückte sich dann, um den Boden abzusuchen. »Hier jedenfalls liegt sie nicht. Und ...« Abrupt unterbrach er sich. Er starrte auf die Schuhspitzen Hugh Jeffers'.

Wie unter einem Zwang kam Henrys Rechte nach vorn, und er berührte vorsichtig die feuchten, klebrigen Flecken auf dem Leder. Als er seinen Zeigefinger zurückzog, beugten sich auch die anderen zu ihm hinunter, und sie sahen, wie er zitterte.

»Blut«, murmelte der langhaarige Schotte. »Seine Schuhe sind blutverschmiert ...«

1. Kapitel

Noch eine halbe Stunde machten sie sich die Mühe, das labyrinthähnliche Gewölbe zu durchsuchen. Aber sie fanden keine Spur von Jane Baker.

Müde, ernst und verschlossen kehrten die jungen Leute wieder in den Saal zurück, in dem sie gefeiert hatten.

In Ruhe versuchten sie das Problem zu lösen, dem sie unvermutet gegenüberstanden.

McBroutch ließ erkennen, dass er die Dinge von der richtigen Seite sah. Er zog das Fazit und stellte fest, dass Hugh allem Anschein nach keiner Sinnestäuschung zum Opfer gefallen sei.

Die Blutspuren an seinen Schuhen sprachen für sich.

Aber dass Hugh den Weg nicht mehr gefunden hatte, das gab ihm zu denken.

»Das gibt es doch nicht«, murmelte er.

»Irgendetwas ist hier faul«, meinte auch die üppige Blondine und sog fahrig an ihrer Zigarette.

Ihnen allen war die Lust am Feiern und Flirten vergangen.

Henry griff nach dem halbvollen Whiskyglas und schüttete den Drink in sich hinein, als handele es sich um einen Schluck Wasser.

»Das ist gespenstisch«, machte May sich bemerkbar. Sie war damit beschäftigt, das eingetrocknete Kerzenwachs aus dem Körbchen ihres BHs zu entfernen.

Hugh Jeffers Gesicht glühte. »Ich kann es mir auch nicht erklären«, murmelte er. Er blickte sich in der Runde um. »Gehen wir mal von dem Gedanken aus, dass hier nicht ein ruheloser, mordender Geist herumspukt. Und gehen wir von der Tatsache aus, dass ich Jane tot auffand, dann bleibt nur ein Schluss, nicht wahr?«

Die anderen sahen sich erschrocken an, als sie begriffen, was Jeffers damit meinte.

Hank Curlers schluckte. »Du willst doch wohl damit nicht sagen, dass einer von uns ...«

Hugh Jeffers Miene blieb ungerührt. »Ich will damit gar nichts sagen. Ich versuche mir nur über das Geschehen klarzuwerden. Als ich Jane nachlief ... May, Hank ... Lara, McBroutch ... wart ihr da alle hier zusammen? Henry, May, Hank, Lara, McBroutch, Brenda?«

Die Gefragten sahen sich der Reihe nach an.

»Denkt genau darüber nach. Das ist wichtig. Sehr sogar. Ist keiner von euch auf die Idee gekommen, uns nachzulaufen, vielleicht nur in der Absicht, uns zu erschrecken? Es war dunkel, man sieht die Hand dort unten nicht vor Augen. Wenn also einer auf die Idee gekommen wäre, im Dunkeln auf Zehenspitzen an uns vorüberzuhuschen, niemand hätte es bemerkt. Und dann hat dieser Jemand Jane abgefangen, und dann ist es passiert ...!« Hugh Jeffers sah einen nach dem anderen an. »Wir haben alle gehascht. Wir standen unter dem Einfluss von Drogen, wissen wir wirklich genau, was wir getan, gedacht und gesprochen haben?«

»Unsinn!«, stieß Hank Curlers aufgebracht hervor. Er erhob sich, trat wütend eine leere Whiskyflasche zur Seite, die gegen die Wand flog und dort zersplitterte. »Wir haben gehascht. Aber wir haben keine harten Sachen zu uns genommen. Wenn ich am Joint ziehe, dann weiß ich immer noch, was ich tue.«

Henry Walker sprang wie von einer Tarantel gestochen von dem schweren Ledersessel auf. »Das geht zu weit! Drehen wir den Spieß doch mal um, Hugh!« Er näherte sich dem jungen Burschen und packte Jeffers am Rockkragen, ehe dieser begriff, wie ihm geschah. »Du bist Jane doch nachgelaufen und dann bist du zurückgekommen und hast uns dein Märchen aufgetischt.«

Jeffers schluckte. »Aber Henry, du willst doch damit nicht sagen ...«

»Ich bediene mich nur deiner eigenen Gedanken, Hugh-Boy!«

»Aber das ist doch purer Blödsinn!«

»Und warum sollten ausgerechnet wir ...«

»Warum sollte ausgerechnet ich ...«

»Es war keine Beschuldigung. Es war eine Vermutung, wie es hätte passieren können. Wenn einer nur etwas gesehen hat ...«

Henry Walkers Griff wurde härter. McBroutch näherte sich den beiden Streithähnen und trennte sie.

»Reißt euch zusammen!«, stieß er hervor, Walker und Jeffers einen bösen Blick zuwerfend. »Ihr benehmt euch wie zwei Hornochsen. Keiner von uns war es!«

Jeffers nickte. »Ich habe Jane geliebt. Wie könnte ich sie da umgebracht haben?«

»Wenn es keiner von uns war«, meldete sich May, während sie ungeniert ihr Kleid abstreifte und ihren vom Wachs befreiten BH anlegte, »dann war es jemand anders.« Sie flüsterte, als fürchtete sie, der von ihr beschuldigte Jemand könne sie hören und zur Rechenschaft ziehen.

McBroutch nickte. »Aber wir haben das Schloss gemietet. Man bekommt es nur zu Partyzwecken. Bloody Grave ist unbewohnt.«

»Das ließe sich feststellen«, murmelte Jeffers rau.

Brenda schüttelte den Kopf. »Ich mache da nicht mehr mit. Mich jedenfalls bringt ihr nicht noch mal dazu, durch das Gewölbe zu laufen oder vielleicht gar das gesamte Schloss zu durchsuchen.«

»Es wäre ein sinnloses Unterfangen. Zu viele Räume, Ecken, Nischen, Durchlässe und Gänge gibt es. Wir kämen zu keinem Ende.« McBroutch zog seinen schneeweißen Schlips zurecht. »Außerdem glaube ich nicht, dass hier jemand lebt.«

»Dann bleibt also nur wieder unser ruheloser Geist übrig«, meldete sich die schweigsame Lara. Und ihre Stimme klang ziemlich unsicher. Das Mädchen, zarter, schmaler und graziler als Brenda, warf einen Blick auf Hank. »Ich finde, wir sollten gehen. Brenda hat recht. Wir halten uns schon viel zu lange hier auf.«

Hugh Jeffers spürte beinahe körperlich die Unruhe und die Angst, die in der Luft lag. Es war etwas geschehen, das keiner begriff oder erklären konnte. Jane war ermordet worden und ihre Leiche spurlos verschwunden.

»Es wird zu unliebsamen Fragen kommen«, schnitt McBroutch das Thema nun von dieser Seite an. »Ich glaube, wir sollten uns über eine Geschichte einigen, die glaubwürdig ist. Hat irgendjemand von euch erzählt, wo die Party stattfindet?«

Er sah sich in der Runde um.

Alle schüttelten den Kopf.

»Das ist gut. Ich glaube, es war auch so abgesprochen.« Mit diesen Worten wandte er sich an Hugh Jeffers.

»Weiß Janes Vater, dass du mit ihr ausgegangen bist?« Jeffers schüttelte den Kopf. »Nein. Er hat keine Ahnung davon. Er kennt mich nicht mal.«

McBroutch nickte. »Okay. Dann sprechen wir uns jetzt ab. Es ist anzunehmen, dass der alte Herr eine Vermisstenanzeige aufgibt, wenn seine Tochter spätestens morgen nicht auftaucht. Dann wird der Polizeiapparat auf Hochtouren laufen. Obwohl wir uns keiner Schuld bewusst sind, wäre es reiner Wahnwitz, würden wir der Polizei erzählen, was du uns hier aufgetischt hast, Hugh ...«

»Es ist die Wahrheit.«

»Okay, okay ...«, winkte McBroutch ab. »Aber die Wahrheit nimmt dir niemand ab. Man braucht einen Mörder, man wird uns traktieren, bis wir froh sind, irgendetwas zu sagen, nur um unsere Ruhe zu haben. So weit darf es nicht kommen. Hört also gut zu ...«

Eine halbe Stunde vor Mitternacht brachen die jungen Menschen auf.

Die abgestellten Wagen, vier an der Zahl, standen draußen im Schlosshof. Das massige Gemäuer ragte gegen den dunklen Nachthimmel und wirkte wie eine schwarze Silhouette, mit zahlreichen bizarren Türmen und Zinnen. Ein Wagen nach dem anderen passierte die breite Auffahrt.

Hugh Jeffers fuhr als vorletzter aus dem Hof. McBroutch war der letzte. Er verließ seinen Wagen, einen orangefarbenes Fiat-Coupé, zog die Schlüssel aus der Tasche und schloss das schwere Gittertor ab.

Hugh Jeffers warf einen Blick durch das Rückfenster seines Wagens und durch die Gitterstäbe des Tores. Bloody Grave, ein Name, der plötzlich eine unheimliche Bedeutung für ihn bekommen hatte.

Die kalten wuchtigen Mauern des Castles lagen wie ein schlafendes Ungeheuer in der Nacht. Und hinter diesen Mauern gab es ein furchtbares Rätsel.

Zu Hause angekommen, ging McBroutch ruhelos in seiner Wohnung auf und ab. Die Freude an der sorgfältig vorbereiteten Geburtstagsparty war ihm gründlich vergangen. Er hatte Brenda gleich nach Hause gebracht.

Minutenlang stand McBroutch am dunklen Fenster und starrte hinunter auf die menschenleere Straße. Er rauchte seine Zigarette zu Ende.

Mit einem Blick auf die Uhr stellte er fest, dass es wenige Minuten nach eins war.

McBroutch war nicht im Geringsten müde.

Er schloss die oberste Lade seines Schreibtischs auf und griff nach dem abgesägten Kleinkalibergewehr. Innere Unruhe erfüllte ihn. Er wusste, dass er in dieser Nacht kein Auge schließen konnte. Das Geschehen auf Bloody Grave beschäftigte ihn mehr, als er sich selbst eingestehen wollte. Hinzu kam die Unsicherheit, ob er und seine Gäste auch wirklich alle Spuren des nächtlichen Beisammenseins beseitigt hatten.

Der Gedanke, dass die Polizei vielleicht doch Spuren finden könnte, beunruhigte ihn und trieb ihn wieder aus dem Haus. Kaum zwanzig Minuten nach seiner Ankunft in der Wohnung saß McBroutch schon wieder in seinem Fiat-Coupé und fuhr zurück zum Schloss.

Er stellte den Wagen in einem Seitenweg des nahen Waldes ab und näherte sich dann zu Fuß über den steil aufwärts führenden Pfad dem dunklen Tor.

Die kühle Nachtluft fächelte die erhitzte Stirn des Schotten.

McBroutch schloss das Tor auf, drückte es spaltbreit nach innen und betrat dann den finsteren Hof. Mit einer nervösen Bewegung lud er das Kleinkalibergewehr durch und ging dann entschlossen auf den Eingang zu.

Wenn es wirklich etwas gab, das keiner von ihnen vermutet hatte, dann wollte er auf keinen Fall unvorbereitet und unbewaffnet das einsame Schlossgebäude betreten.

McBroutch ahnte nicht, dass er nicht allein war.

Nur zwanzig Schritte hinter ihm, noch außerhalb des großen Tores, löste sich ein dunkler Schatten vom Stamm einer knorrigen Eiche.

Auf lautlosen Sohlen huschte die Gestalt in den Innenhof, hielt sich im Kernschatten des Gebäudes und gelangte in die Nähe der großen Haupttür, hinter der McBroutch verschwunden war.

»Was will er hier?«, murmelte der Mann. Und als er sich jetzt aus dem Kernschatten vorsichtig nach vorn schob, fiel das silberne, kalte Mondlicht auf sein an sich schon bleiches Gesicht.

Es war Hugh Jeffers.

»Man sagt, dass es einen Täter immer wieder an den Ort des Verbrechens zurückzieht«, murmelte er im Selbstgespräch. »Das Warten hat sich offenbar gelohnt.«

Es war Hugh Jeffers Fehler, dass er den Täter engstirnig in den eigenen Reihen suchte. Dieser Fehler wurde ihm zum Verhängnis, ihm und McBroutch. Denn als er seinen Irrtum endlich erkannte, war das Unheil nicht mehr aufzuhalten.

McBroutch ließ die mitgebrachte Taschenlampe kreisen. Im Schein des Lichtkegels tauchten die goldblitzenden Kerzenständer auf, die verschlissenen Ledersessel, der Kamin.

Die Schritte des jungen Schotten waren auf dem rohen Boden deutlich zu vernehmen. Jeder Schritt hallte wie ein Peitschenschlag durch die Stille des verlassenen Schlosses.

McBroutch musste sich im Stillen eine gewisse Furcht eingestehen. Er hatte das Gefühl, dass ihn beständig jemand aus der Finsternis beobachtete. Er spürte beinahe körperlich die Augen auf sich gerichtet und wirbelte herum, das entsicherte, abgesägte Kleinkalibergewehr schussbereit in der Rechten.

Aber da war nichts. Alles Einbildung, dachte er.

Er atmete nur ganz oberflächlich, während er den Saal durchquerte, in dem sie gefeiert hatten. Sie hatten keine verräterischen Spuren hinterlassen. Alles, was an die Party hätte erinnern können, war beseitigt worden. Und niemand hatte etwas vergessen.

Das beruhigte ihn.

Der Lichtkegel der Lampe wanderte über den Boden, stieg dann den roten, schweren Samtvorhang empor.

McBroutchs Atem stockte. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte er, dass der Vorhang sich wie unter einem leichten Luftzug bewegt hätte.

Blitzschnell sprang McBroutch nach vorn, griff mit der Linken in den Vorhang und riss ihn zur Seite, während der Zeigefinger der rechten Hand am Abzugshahn des Kleinkalibergewehrs lag.

Da war nichts.

Mit einer fahrigen Bewegung strich McBroutch sich über die Stirn. Kalter Schweiß stand darauf. Narrten ihn seine Sinne schon? Oder war durch das Licht- und Schattenspiel auf dem Vorhang der Eindruck erweckt worden, als ob er sich bewege?

Eine andere Erklärung gab es nicht.

Der Gedanke an einen Geist war absurd. Der Gespensterglaube war gerade in diesem Teil des bergigen, öden Landes weit verbreitet. Aber McBroutch konnte einfach nicht daran glauben.

Wie in Trance passierte er den Durchlass, näherte sich dem Gewölbegang und schließlich der Treppe, die nach unten führte. Immer wieder wandte der junge Schotte leicht den Kopf, um sich zu vergewissern, ob auch niemand hinter ihm herkäme.

Er wusste selbst nicht, was ihn auf die Idee brachte, noch einmal den gleichen Weg zu gehen wie vor drei Stunden. Instinktiv sagte er sich, dass sie bei ihrer letzten Exkursion hierher etwas Entscheidendes übersehen haben mussten.

Der Lichtkegel wanderte lautlos wie ein bleicher, dicker Finger vor ihm auf dem staubigen Boden. Treppe für Treppe stieg McBroutch nach unten. Er kam durch den Gewölbegang und verharrte nach einem Weg von etwa fünfzig Metern plötzlich in der Bewegung.

Er musste an Hugh Jeffers Worte denken, der behauptet hatte, dass der Gang ursprünglich nach rechts abbog. Es stimmte! McBroutch konnte sich aber auch daran erinnern, dass der Gang links abbog, als sie vorhin alle gemeinsam nach der verschwundenen Jane Baker gesucht hatten.

Aber das gab es doch nicht! Seine Gedanken drehten sich im Kreis. Unruhe erfüllte ihn. Er ließ die Taschenlampe kreisen, während seine Linke vorsichtig über das feuchtkalte Mauerwerk tastete. Es musste hier eine Art Geheimtür geben, eine Vorrichtung, die es ermöglichte, dem Gang willkürlich eine andere Richtung zu geben.

Er fand die Vorrichtung nicht, weil er nicht intensiv genug suchte. Größer war seine Neugierde, was wohl hinter der scharf abknickenden Gangbiegung zu finden sei.

Jane Baker?

Langsam kam er um die Biegung herum. Der Lichtstrahl leuchtete das Gewölbe vor ihm aus. Er sah etwa fünf Schritte weit. Das war genug.

Die Biegung war so scharf abgeknickt wie eine Wendeltreppe.

Dann wuchs eine riesige Säule vor ihm auf. Der Gang erweiterte sich zu einem großen, ovalen Gewölbe. Ein Kellerraum, in dem kein Spinngewebe an der Decke hing, kein Staub den Boden bedeckte.

Metallisch blitzende, unheimliche Instrumente hingen an den Wänden.

Folterwerkzeuge!

Eine Folterkammer!

Als würde eine unsichtbare Hand ihn nach vorn drücken, schob sich McBroutch Zentimeter für Zentimeter näher.

Die legendäre Folterkammer des ehemaligen Schlossherrn. Es gab sie wirklich. Er konnte alles sehen, konnte danach greifen, wenn er nur die Hand ausstreckte. In der hintersten Ecke brannte eine Fackel und tauchte die andere Seite des großen Gewölbes in einen schwachen, rötlich-gelben, unruhigen Schein.

Allein das Vorhandensein der brennenden Fackel hätte McBroutch warnen und zu sofortigem Rückzug veranlassen müssen. Aber der junge Mann war kein Kriminalist, und dazu kam, dass er aus der neuen Situation die falschen Schlüsse zog.

Er dachte an Jane Baker und vergaß jede Vorsicht.

Der Schatten tauchte wie aus dem Boden gewachsen neben ihm auf.

Der Unheimliche schlug sofort zu.

Geistesgegenwärtig versuchte McBroutch seinen Kopf auf die Seite zu reißen, während seine weitaufgerissenen Augen den unsichtbaren Feind suchten.

Der Schlag gegen seine Magengrube war so heftig, dass der rasende Schmerz seinen ganzen Körper erfasste. Die mit zahlreichen Stahlspitzen versehene Eisenkugel riss die Kleidung über seinem Bauch auf und zerfetzte seine Haut, dass sofort das Blut hervorquoll.

McBroutch taumelte zurück. Die Taschenlampe und das abgesägte Kleinkalibergewehr entfielen ihm. In einem Anfall von ungeheuren Schmerzen presste er beide Hände vor die Magenwand.

In der nur von der fernen Fackel schwach erhellten Umgebung erlebte McBroutch das Grauen.

Der Morgenstern traf seine Schultern und warf ihn zu Boden. Die unheimliche, blitzschnell rotierende Gestalt war kaum wahrnehmbar. Immer wieder krachte die unheimliche Waffe auf den Mann herab.

»Aufhören!« Der Schrei hallte wie eine Anklage durch das Gewölbe. Hugh Jeffers stürzte herein, überwand Abscheu und Angst. Er wusste, er kam zu spät, um noch etwas für McBroutch tun zu können.

Aber diese kleine, wendige Gestalt mit den langen Haaren war auch Janes Mörder! Daran gab es für ihn keinen Zweifel mehr. Er hatte sie mit dem Morgenstern genauso zugerichtet wie jetzt McBroutch. So also war es passiert!

Der unheimliche Mörder war nur als Silhouette gegen die blakende Fackel wahrzunehmen.

Jeffers glaubte schnell genug zu sein, um den Unheimlichen packen und zu Boden schleudern zu können.

Aber er hatte die Wendigkeit des rätselhaften Gegners unterschätzt.

Blitzschnell wirbelte der herum. Jeffers sah den schwarzen Schatten noch vor seinen Augen auftauchen, war aber schon so weit nach vorn geeilt, dass es ihm unmöglich war, noch auszuweichen oder sich nach hinten fallen zu lassen.

Die mit Spitzen versehene Eisenkugel, der mörderische Morgenstern, das Lieblingsinstrument des seligen, einst amoklaufenden Sir George McCartney, klatschte Hugh Jeffers genau ins Gesicht.

Ein gellender, markerschütternder Aufschrei hallte durch das unterirdische Gewölbe. Jeffers Backen, seine Nase, seine Stirn waren aufgeplatzt und tiefe Wunden verunstalteten sein Gesicht.

Gurgelnd, dumpf stöhnend fand Jeffers noch die Kraft, sich herumzuwerfen und blindlings auf den Ausgang zuzurennen. Er wollte nicht so enden wie Jane, nicht so wie McBroutch! Er musste so schnell wie möglich hier verschwinden.

Jeffers glaubte zu schleichen, nur Millimeter zurückzulegen. Der Weg bis zum Durchlass kam ihm endlos vor.

Der junge Schotte vernahm wieder das unheimliche Surren in der Luft. Die stumme, geisterhafte Gestalt schwang erneut den Morgenstern und ließ ihn los. Das mörderische Instrument zischte durch das Gewölbe und verfehlte Hugh Jeffers nur um Haaresbreite.

Jeffers sah nichts mehr. Der Blutschleier vor seinen Augen verhinderte jede Sicht. Er handelte rein mechanisch, aus dem Selbsterhaltungstrieb heraus.

Es war ihm unmöglich, zu erkennen, dass er sich zu weit links hielt und genau auf eine schwarze, massive Holztür zutorkelte.

Aus einer Armbrust abgeschossen, sauste der Pfeil blitzschnell durch die Luft, durchbohrte Hugh Jeffers. Gurgelnd brach er nach vorn zusammen, seine Beine knickten ihm weg, aber er stürzte nicht zu Boden, weil der kräftige Pfeil ihn an der Tür festhielt.

Jeffers Arme fielen schlaff an den Seiten herab.

Im gleichen Augenblick erlosch die Fackel. Es wurde stockfinster in der unheimlichen Folterkammer von Sir George McCartney.

Wie ein Spuk war auch die kleine, wendige Gestalt verschwunden.

Nur ein schrilles, irres Lachen erfüllte irgendwo die düsteren, labyrinthähnlichen Gänge.

Es war ein Lachen, wie es vor über fünfhundert Jahren die illustre Gesellschaft hörte, als der amoklaufende Schlossherr seine Gäste und die eigene Familie bis auf den letzten Spross ausmerzte.

Rundum waren die Türen und Fenster abgesperrt gewesen. Keiner hatte der Falle entkommen können.

Das Lachen verebbte, Stille kehrte wieder ein. Die dunkle Gestalt tauchte in der Finsternis unter, wurde eins mit der Schwärze und verschwand.

Zurück blieben die beiden Toten ...

»Schon Nachmittag«, murmelte George Baker. Immer und immer wieder warf er einen Blick auf die Uhr. »Ich halte das nicht mehr aus!«

Eileen Baker stand am anderen Fenster und starrte mit rotumränderten Augen auf die Straße.

»Sie kam noch niemals so spät nach Hause«, schluchzte die Frau und trocknete sich die Tränen mit der einfachen, grauweiß karierten Schürze. »Es wird doch nichts passiert sein?«

Sie wandte den Kopf und sah ihren Mann mit großen Augen an.

»Das glaube ich nicht«, murmelte er, aber seine Stimme klang keineswegs so fest wie sonst. »Sie treibt sich herum. Achtzehn Jahre alt und nachts nicht mehr nach Hause kommen. Wo gibt es denn so etwas! Sie konnte uns doch sagen, was sie vorhat, aber nein ...« Wütend stopfte Baker seine Pfeife. »Angelogen hat sie uns, das Luder. Sie hat behauptet, den Abend mit Ann zu verbringen. Sie wollten sich ein paar neue Schallplatten anhören und tanzen. Ann hätte dazu ein paar Freunde eingeladen. Als ich gegen Mitternacht anrief, bestätigte mir Ann, dass Jane da sei. Heute Morgen dann, als ich mich nach ihr erkundigte, da gestand sie, dass alles nur eine Ausrede gewesen sei, um Jane zu decken. Sie ist mit irgendeinem Kerl losgezogen. Lass sie nur nach Hause kommen ...«

»Du sollst nicht so streng mit ihr sein. Die heutige Zeit ist anders, und auch die Menschen von heute, George.«

Er winkte heftig ab und zog an seiner Pfeife, die auszugehen drohte. »Unsinn! Eine Lüge ist eine Lüge, ob damals oder heute.«

»Ich habe kein gutes Gefühl«, murmelte Eileen Baker. Ein tiefer Atemzug hob und senkte ihre Brust. »Vielleicht solltest du doch die Polizei benachrichtigen.«

Es vergingen ein paar Minuten, ehe George Baker das Schweigen brach. »Ich warte noch eine Stunde. Wenn sie bis fünf nicht zurück ist, gebe ich eine Vermisstenanzeige auf.«

So kam es, dass in dem kleinen Polizeirevier von Crianlarich das Mädchen Jane Baker als vermisst gemeldet wurde.

Fotografie und eine genaue Beschreibung des Mädchens lagen vor. Die Polizei begann ihre Recherchen. Sie gab die Unterlagen auch an die Polizeidienststellen der umliegenden Dörfer und Städte weiter.

»Hoffen wir, dass wir das Mädchen wiederfinden«, meinte einer der Beamten in Killin, einem Ort, ca. 15 Meilen von Crianlarich entfernt.

In der näheren Umgebung waren während der letzten Monate mehrere Mädchen spurlos verschwunden. Das Polizeikommissariat in Glasgow hatte eine Sondergruppe gebildet, die sich gerade mit diesen Fällen beschäftigte. Inspektor Loring leitete dieses Ressort.

»Immer wieder in der Umgebung von Crianlarich und Killin«, sagte er ärgerlich. »So langsam fange ich an, meine Theorie von einem Mädchenhandel fallenzulassen. Die Mädchen in Schottland sind hübsch, aber dass die in Crianlarich und Killin besonders gut aussehen sollen, davon habe ich noch nichts gehört.«

Trotz aller Untersuchungen war die Gruppe noch nicht weitergekommen. Am gleichen Spätnachmittag noch landete in der Zentrale in Glasgow auch die Meldung, dass ein junger Schotte namens McBroutch überfällig war.

»Jetzt auch noch Männer?«, murmelte Loring und schüttelte den Kopf. »Das passt nun überhaupt nicht mehr ins Bild.« Er veranlasste, dass die örtliche Dienststelle nähere Angaben über den Verschwundenen machte.

Zwei scheinbar verschiedene Fälle, und doch gehörten sie zusammen. Niemand aber, weder die Polizeibehörde in Crianlarich, noch die in Killin und Glasgow, brachten diese unerklärlichen Fälle in irgendeinen Zusammenhang mit dem rätselhaften schottischen Schloss, das etwa sieben Meilen von Killin entfernt auf einem bewaldeten Hügel lag. Am Fuße dieses Hügels befand sich der Loch Tay.

Es gab jedoch noch eine weitere Ermittlungsbehörde, die für diese Fälle zuständig war.

Einige tausend Meilen weiter, auf der anderen Seite des Ozeans, werteten die Computer der PSA die Routinemeldungen aus, welche das Kommissariat von Glasgow weiterreichte.

Und dort, in einem abgekapselten Büro, das nur über eine Geheimtür zu erreichen war, saß ein Mann, ein Blinder und ließ die dünnen Folien durch die Finger gleiten, auf denen in Blindenschrift die Nachrichten gestanzt waren.