Macabros 008: Geisterreiter - Dan Shocker - E-Book

Macabros 008: Geisterreiter E-Book

Dan Shocker

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Beschreibung

Bearbeitete Original Romane Macabros 15 - Phantoma - Tochter der Finsternis In Schottland verschwinden zahlreiche junge Männer. Der Privatdetektiv MacCartney geht diesen mysteriösen Fällen nach und begegnet so seinem Verhängnis, nämlich Phantoma, der Tochter der Finsternis, der Tochter der unheimlichen Mandragora (siehe Macabros Nr. 13). Bevor MacCartney erkennt, in was er da hineingestolpert ist ist es zu spät. Phantomas Schergen, riesige armdicke Schlangen tauchen auf und töten ihn. Ein merkwürdiger Zauber lässt ihn dann selbst zu einer Schlange werden und somit zu einem willenlosen Sklaven von Phantoma. Diese hat bereits ihr neues Opfer, Bryan Shalfield auserkoren. Mit ihm fliegt sie nach Afrika, um in einem Dorf der dortigen Ureinwohner ihr Umwesen zu treiben. Durch eine Sinnestäuschung bringt sie Bryans Flugzeug zum Abstürzen. Er selbst bleibt schwerverletzt liegen, während Phantoma ihre Schreckensherrschaft beginnt. Unter dessen geht Björn Hellmark dem Schicksal einer merkwürdigen Malaiin nach, die glaubt früher als Schottin schon einmal gelebt zu haben. Macabros 16 - Geisterheere aus dem Jenseits Es ahnt noch niemand, daß dies alles mit den Geschehnissen in La Grande-Motte/Frankreich zusammenhängt. Dort sind zufällig Björn, Carminia, Pepe und Sophokles im Urlaub. Abgelenkt durch ein beeinflusstes Mädchen wird in der Nähe von Björn und Pepe ein Mann ermordet. Eine Zeugin berichtet ebenfalls von skelettierten Gestalten. Die Dinge spitzen sich zu, als die Zegin ermordet und Pepe, der in der Nähe des Tatorts ebenfalls ein Amulett gefunden hat, entführt wird! Kurzbeschreibungen: © www.gruselromane

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DAN SHOCKERS MACABROS

BAND 8

© 2014 by BLITZ-Verlag

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Titelbildgestaltung: Mark Freier

Fachberatung: Gottfried Marbler

All rights reserved

www.BLITZ-Verlag.de

ISBN 978-3-95719-708-5

Dan Shockers Macabros Band 8

GEISTERREITER

Mystery-Thriller

Phantoma – Tochter der Finsternis

von

Dan Shocker

Prolog

Sie wohnte in dem kleinen Haus hinter dem Wald. Das machte die Sache so reizvoll. Nicht für ihn, aber für alle, die dieses Haus bisher besucht hatten, um die Freuden des Lebens – wie man so schön sagt – in vollen Zügen zu genießen. Die Frau musste Klasse sein, dass die Männer so auf sie flogen.

Er kam in das Haus und wurde empfangen wie ein Fürst.

Er behauptete, die Adresse von einem Freund erfahren zu haben. Das stimmte nicht ganz. Er kam nicht nur zum Vergnügen, sondern hauptsächlich in Geschäften.

Poul MacCatney hatte sich darauf spezialisiert, untreuen Eheleuten auf die Finger zu sehen. Das Geschäft lief gut. Ein Beweis, dass die Moral im Sinken begriffen war.

Das abseits liegende Haus sollte ein Liebesnest sein. MacCatney hatte den Verdacht, dass die Dame des Hauses eine verkappte Mörderin war, denn einige ihrer männlichen Besucher waren nicht wiedergesehen worden.

Die Wirklichkeit war schlimmer.

MacCatney hatte es mit Phantoma, der Tochter der Finsternis, zu tun. Ihr Haus war eine Schreckenskammer, die er kennenlernen sollte.

Es war ruhig. Keine Straße, kein Verkehrslärm. Leise Musik durchzog den Raum, der in ein anheimelndes Licht getaucht war. Rustikale Einrichtung. Man konnte sich hier wohlfühlen. Dieses Haus hatte ein ortsbekannter Industrieller erbauen lassen und vor einem Vierteljahr einer gewissen Anne Sitkens geschenkt.

Sie war schwarz und schlank. Wenn sie sich bewegte, konnte MacCatney seinen Blick nicht von ihren wiegenden Hüften nehmen. Er fand, dass dieser Job sich in jeder Hinsicht lohnte.

Anne Sitkens war eine jener Frauen, denen man auf den ersten Blick verfiel. Sie ging ins Nebenzimmer. Nach Meinung des Schotten blieb sie sehr lange dort. Was tat sie?

Er erhob sich, näherte sich auf Zehenspitzen der Verbindungstür und legte die Hand auf die Klinke.

Er hatte sich vorgenommen, auf der Hut zu sein.

Er presste die Augen zusammen, weil ihn plötzlich ein Schwindelgefühl ergriff.

»Der Wein ...«, durchzuckte es ihn.

Aber er hatte nur ein Glas getrunken. Schweren Wein, eine Beerenauslese, den der Industrielle direkt aus Deutschland bezog.

War etwas in diesem Wein gewesen?

Der Schotte konnte es sich nicht vorstellen. Er hatte aufgepasst, dass Anne Sitkens vom gleichen Wein trank. Er hatte sie sogar antrinken lassen, bevor er einen Schluck nahm. Er schüttelte sich. In seinen Ohren summte es.

»Poul!«, vernahm er da wie aus weiter Ferne ihre Stimme.

Seine Rechte lag auf der kühlen Klinke. Er fühlte sich angezogen von dem Raum dahinter und doch hielt ihn eine unerklärliche Angst davon ab, die Tür zu öffnen.

Seine Hände zitterten. Unruhe erfüllte ihn. Er fühlte sich so schwach, als würde sein Kreislauf zusammenbrechen. Er hatte einen viel zu niedrigen Blutdruck und wusste, wie so etwas anfing.

Verdammt, ausgerechnet jetzt! Ausgerechnet bei Anne! Es war zum Lachen. Eine solche Frau brachte den Blutdruck in die Höhe, da fühlte man sich topfit.

»Komm herein!«, hörte er ihre verführerische Stimme. Anne wusste, dass er vor der Tür lauschte. Er drückte die Klinke. Ihm war alles egal. Er holte tief Atem und versuchte, die Benommenheit zu verdrängen.

Vielleicht war es nur Annes Masche, sich in ein Nebenzimmer zurückzuziehen, um die Spannung zu erhöhen. Sie wusste, dass ein Gast nicht ewig auf ihre Rückkehr warten würde ...

MacCatney schalt sich einen Narren und drückte die Tür weit auf.

Was er sah, brachte ihn zum Schreien.

Vor ihm wanden sich zwei riesige Schlangen auf dem Boden. Eine schnellte sofort zwischen seine Beine und umschlang seine Fußgelenke. Aber das war noch nicht alles.

Das Blut in seinen Adern erstarrte zu Eis. Sein Atem stockte. Er sah nur noch Schlangen.

Wie die Glieder einer Kette, wie ein Vorhang hingen sie vor ihm. Ihre gepanzerten Leiber schwangen hin und her. Ruckartig stießen die flachen Köpfe mit den gespaltenen Zungen auf ihn zu. Er fühlte die Zungenspitzen auf seiner Nase, zwischen seinen Augen und war unfähig, die Hand zu heben, um die Bestien zurückzuschlagen.

Der Vorhang öffnete sich einen Spaltbreit. Lässig die Schlangen zur Seite drückend, trat sie hervor.

Anne Sitkens.

Ihr schwarzes, langes Haar umrahmte ein Gesicht von seltener Schönheit. Ihre Bewegungen waren anmutig.

Ihre nackten, braunen Arme schoben die ekelerregenden Tiere beiseite. Mit einem betörenden Lächeln blickte sie den jungen Schotten an.

»Poul!« Erregung schwang in ihrer Stimme. »Du konntest nicht erwarten, mich zu sehen, nicht wahr? Hier bin ich, in meiner Welt, unter meinen liebsten Freunden, die mir jeden Wunsch von den Augen ablesen.«

Hörte er richtig? In seinen Ohren rauschte das Blut. Das waren die Worte einer Wahnsinnigen. Wieso fühlte sich diese göttliche Frau unter diesen Viechern wohl?

Seine Rechte kam blitzschnell hoch. Er begriff selbst nicht, wie er zu einer so schnellen Bewegung fähig war. Er riss seine Pistole heraus und zog durch.

Der Schuss krachte. Aber im Augenblick, als der Schuss sich löste, schlug etwas wie ein Dampfhammer gegen seinen Unterarm.

Die Mündung der Waffe flog in die Höhe. Das Projektil schlug in die Holzvertäfelung der Decke ein.

MacCatney verlor den Boden unter den Füßen.

Er stürzte. Hart und stark legte sich ihm ein Ring um die Brust.

Erstickend rief er um Hilfe. Die Luft wurde aus seinen Lungen gepresst. Er hörte, wie seine Rippen knackten.

Eine riesige Schlange quetschte ihn zu Tode.

Schlaff fiel er zur Seite, in der Rechten immer noch die Pistole.

Phantoma trat einen Schritt vor. Ihr Bein, dessen Schönheit MacCatney bewundert hatte, berührte ihn beinahe zärtlich. Ihr Fuß stellte sich auf die Brust des Toten, als wolle sie ihren Sieg demonstrieren und ihn zu ihrer Beute machen.

»Dummer kleiner Mensch«, sagte sie leise, während die Schlangen über dem Gestänge raschelten, »du hättest es nicht riskieren sollen. Es gibt Dinge, die du nicht begreifst ...«

Poul MacCatney verschwand von der Bildfläche, als hätte es ihn nie gegeben.

Freunde hatte er nur wenige. Die ihn kannten, wussten, dass er oft wochenlang nicht zu Hause anzutreffen war, weil er irgendeiner Sache nachjagte. Als Privatdetektiv führte er in ihren Augen ein beneidenswertes Leben.

Die Begegnung mit Phantoma besiegelte sein Schicksal.

Als Brian Shalfield zwei Tage später in Glasgow sein Stammlokal The Dragon betreten wollte, lernte auch er Phantoma kennen.

Damit begann eine Affäre, die Staub aufwirbeln sollte.

1. Kapitel

Er war reich und verwöhnt und konnte sich jeden Wunsch erfüllen.

Die Shalfield-Fabriken belieferten Flugzeughersteller und Industrie. Bauteile, die bei Shalfield entwickelt wurden, fand man in Transistorradios, in Kameras und Nachrichtensatelliten ebenso wie in der komplizierten Steuerungsmechanik amerikanischer Raketen, ob sie nun für militärische Zwecke oder zur Erforschung des Weltraumes eingesetzt wurden.

Es gab den Slogan: Shalfield ist überall dabei.

Nicht nur die Produkte waren damit gemeint, sondern auch der Firmenchef Brian Shalfield, der überall anzutreffen war. Ob auf Tahiti oder Hawaii, in Acapulco oder Kuala Lumpur: Wo Feste gefeiert wurden, mischte er mit. Er flog von einem Vergnügen ins andere und war heute hier, morgen da. Er füllte die Klatschspalten der Presse und war dafür bekannt, dass er ständig eine andere Frau am Arm hatte. Er suchte sich die schönsten aus, genoss mit ihnen das Leben, und da alles vergänglich war, endeten diese Liebschaften schnell.

Diesmal schien es ihn aber ernsthaft erwischt zu haben.

Er war mit seiner zweimotorigen Cessna nach Glasgow gekommen, um dort im exklusiven Dragon-Club das Wochenende zu verbringen.

Für den Abend war dort ein Auftritt von Madame Shong vorgesehen. Es wurde behauptet, dass sie schon einmal gelebt habe und sich in Trance an jede Station ihres früheren Lebens erinnern könne.

Shalfield hatte schon immer auf eine Gelegenheit gewartet, Madame Shong kennenzulernen.

Der Besitzer des Clubs, in dem die Creme der Gesellschaft verkehrte (und diejenigen, die sich für die Creme hielten), sorgte hin und wieder für solche Überraschungen, um sein verwöhntes Publikum bei Laune zu halten.

Für seine Kunden gab es nichts Schlimmeres als Langeweile. Sie hatten schon alles erlebt, nichts konnte ihnen imponieren. Madame Shong aber war einmalig.

Brian Shalfield ließ sich die Chance nicht entgehen.

Als es dunkel wurde, landete er auf dem Glasgower Flughafen. Er ließ sich nicht sofort zum Dragon-Club fahren. Er musste sich immer erst das typische Flair einer Stadt um die Nase wehen lassen.

Er zahlte das Taxi auf dem George Square und stieg aus.

Shalfield schlenderte ziellos vor sich hin. Dann landete er in einer stillen Nebenstraße, in der sich Luxuswagen ein Stelldichein gaben: Rolls-Royce und Cadillac, Mercedes und Alfa-Romeo. In den Wagen saßen uniformierte Chauffeure, lasen Zeitung oder Heftromane. Ihre Herrschaften waren in dem Haus, das auf vornehmem Untergrund einen gewaltigen chinesischen Drachen zeigte.

Vor dem Haus sah er sie.

Es traf ihn wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Die Fremde faszinierte ihn. Er konnte sich nicht erinnern, dass eine Frau jemals eine so sinnbetörende Wirkung auf ihn gehabt hätte.

Aber diese Fremde ..., sie strahlte etwas aus, das er fühlte wie eine elektrische Spannung.

Er musste sie kennenlernen.

Es bereitete ihm keine Schwierigkeit, sie anzusprechen.

Er tat es nicht ohne Geschick. Er hatte auf den ersten Blick erkannt, dass er ihr nicht mit der üblichen Masche kommen durfte. Sie war kein billiges Straßenmädchen.

Shalfield ertappte sich dabei, dass er darüber nachdachte, wie diese Frau wohl zu erobern wäre.

Er hatte es sonst leicht bei den Frauen. Er sah nicht gut aus, besaß aber die selbstsichere Art, hinter der man Geld und Macht spürte. Außerdem kannte man ihn überall, oder er bildete es sich wenigstens ein.

Diese Frau aber ...

Er sah sie an und vergaß alles um sich herum und – sich selbst.

War das die wahre Liebe? Gab es sie wirklich? Sie sollte ja unversehens über einen kommen. So stand es in den Romanen.

Ohne Vorspiel ging er sofort auf die Sache los: Er lud die Dame ein in den Club.

Dafür zeigte sie aber kein Interesse. Damit hatte er mit einem Mal auch kein Verlangen mehr nach dem Dragon-Club und Madame Shong.

Die fremde Frau war das einzige, was ihn interessierte.

In einer Hotelbar nahmen sie einen Drink zu sich und plauderten angeregt. Er erfuhr, dass sie Anne Sitkens hieß.

Im gleichen Hotel mietete er ein Apartment. Er machte nicht lange Umstände. Weshalb sollte er zwei Zimmer nehmen, wenn er genau wusste, dass Anne in dieser Nacht doch nicht in ihrem Bett schlafen würde?

»Du solltest mit mir kommen«, sagte er, während seine Hände zärtlich ihre Schultern streichelten und langsam über ihren Rücken glitten.

»Mit dir? Wohin?«

»Nach Afrika. Ich habe alles vorbereitetet. Ich bin eigentlich heute nur durch Zufall hier. Wenn es mich packt, setze ich mich ins Flugzeug, fliege nach drüben und nehme an einer Safari oder Elefantenjagd teil. Das macht Spaß.«

Sie hörte ihm aufmerksam zu. In ihren Augen flackerte ein seltsames Licht, das ihm entging, weil er ihre Arme und ihren Nacken küsste und sich langsam dem Ansatz ihrer Brüste näherte.

»Vielleicht«, sagte sie, »vielleicht werde ich mitkommen ...«

Dann sprachen sie nicht mehr viel.

Wie ein Vulkan brach die Leidenschaft dieser Frau auf, der er von einer Minute zur anderen verfallen war.

Aber selbst die Flut der Gefühle war Berechnung. Nur Phantoma war zu einem solchen Schauspiel fähig. Alles bei ihr war Berechnung. Sie hatte einen Auftrag zu erfüllen. Sie war die Tochter Mandragoras, der Herrin der Angst. Auf einem fernen Planeten geboren, hatte sie Menschengestalt angenommen, um verlorenes Terrain zurückzuerobern.

Kein Mensch auf der Erde wusste, dass ein außerirdisches Wesen unter ihnen wandelte. Phantoma war Teil von Mandragora, der viele Völker auf der Erde und anderen bewohnten Planeten Tribut zollten.

Phantoma lächelte in sich hinein.

Sie musste einflussreiche Männer kennenlernen, die auf der Erde etwas zu sagen hatten, Macht besaßen.

Auf diese Weise war sie gut gefahren im Laufe der letzten Wochen. Zunächst einmal war es wichtig für sie, unterzutauchen.

Es gab nur einen Mann auf der Erde, der ahnte, dass sie existierte. Das war Björn Hellmark. Er war Zeuge dessen geworden, wie Mandragora eine irdische Frau in ihre Netze verstrickt und deren Körper annektiert hatte. Mandragoras Geist war in den Leichnam gefahren. Von da an existierte Phantoma, die den Leib ihren Vorstellungen entsprechend geformt hatte.

Über Hamburg war sie nach London gekommen. Sie musste erst einmal aus Björns Blickfeld verschwinden und ihre Machtzellen an verschiedenen Orten errichten, um Sicherheit zu gewinnen.

Auf der Fähre nach England hatte sie Brighton kennengelernt, einen schwerreichen Mann. Der hatte sie mitgenommen in sein abgelegenes Landhaus. Doch er hatte zu spät erkannt, welche Hexe er in sein Haus gebracht hatte.

Nun war Brian Shalfield an der Reihe.

Ja, sie würde mitkommen. Man sollte sich nie zu lange am selben Ort aufhalten.

Madame Shong war eine zierliche Person. Ihr Auftritt erfolgte später als angekündigt. Die Malaiin hatte darum gebeten. Sie fühlte sich indisponiert. Man fürchtete schon, dass der Auftritt ausfallen würde. Aber die Anwesenden fassten sich in Geduld.

Man rauchte, trank und diskutierte. Als versöhnende Einlage hatte der Inhaber des Dragon-Clubs das hauseigene Ballett auf die Bühne geschickt. Die Girls waren eine Augenweide. Sie zeigten einen Strip, der kein bisschen ordinär, sondern dem Niveau des Clubs angepasst war. Der Inhaber wusste, was er seinem exklusiven Publikum schuldig war. Gut gewachsen wie die Girls auf der Bühne waren auch die Bedienungen. Die meisten Anwesenden waren Stammgäste.

Auffallend an diesem Abend war ein braungebrannter junger Mann mit markantem Gesicht. Er trug eine dunkelgetönte Brille, als müsse er seine Augen vor dem Licht der Bühnenscheinwerfer schützen. Ein grauhaariger Engländer mit Spitzbart ließ den Blick schweifen. »Der Blonde mit der Brille«, bemerkte er zu seinem Nebenmann, der wie ein Dandy aussah, »ich habe ihn hier noch nie gesehen. Wer ist das?«

Der Nebenmann war Stammgast.

»Er kommt aus Genf, habe ich mir sagen lassen. Ist aber ein Deutscher. Hellmark heißt er. Er scheint speziell wegen der Shong gekommen zu sein. Er besitzt eine Identitätskarte, die ihm die Türen der exklusivsten Clubs in aller Welt öffnet. Aber er scheint nicht viel Wert auf Gesellschaft zu legen. Führt ein Einsiedlerdasein.« Diese Worte bewiesen, dass der Sprecher nicht viel über Björn Hellmark wusste.

Der sympathische Besucher – fast der jüngste unter den Anwesenden – war alles andere als ein Einsiedler. Er stand mit beiden Beinen im Leben. Im Gegensatz zum Dasein der meisten Söhne reicher Väter war sein Leben randvoll mit Abwechslung.

Er trank einen Manhattan und war froh, als Madame Shong endlich auftrat. Schlagartig wurde es still. Madame Shong war klein und sehr schmal gewachsen. In ihrer Begleitung befand sich ein englischer Arzt, der sich durch Hypnoseexperimente einen Namen gemacht hatte. Der Mann hatte Madame Shong in einem malaiischen Dorf entdeckt, wo er Entwicklungshilfe leistete. Die Leute im Dorf behaupteten, Rosalind Shong sei mit mehreren Narben auf dem Leib zur Welt gekommen. Dr. Haines war dem Gerücht nachgegangen und fand Anhaltspunkte dafür, dass diese Narben nicht nach ihrer Geburt entstanden waren.

»In langwierigen Untersuchungen«, wies Dr. Haines seine Zuhörer ein, »konnte ich feststellen, dass sie mit den Narben geboren worden ist. Wie aber kamen sie an ihren Körper, werden Sie mich fragen. Eine Verletzung im Mutterleib von solchem Ausmaß?«

Madame Shong streifte ihr erdfarbenes Gewand ab. Darunter trug sie nur einen dunkelroten Bikini. Deutlich waren die Narben zu sehen. Die eine reichte am linken Bein vom Knie über den ganzen Oberschenkel. Die zweite lief quer über ihre Brust. Eine kleinere war am linken Oberarm zu erkennen. Es sah aus, als wäre sie in mehrere Messer gerannt.

»Freunde und Verwandte haben Rosalind Shong im Schlaf sprechen hören. Sie soll eine Welt geschildert haben, die niemand kannte. Man erzählte, sie habe als Kind mehrmals verlangt, zu ihren Eltern zurückkehren zu dürfen. Dabei war sie bei ihren Eltern. Was war mit dem Mädchen los?«

Dr. Haines machte eine bedeutsame Pause. Die Zuhörer hingen an seinen Lippen.

»Stück für Stück tastete ich mich in ihre empfindsame Seele vor. In Tiefenhypnose sprach sie in einer Sprache, die sie nicht kennen konnte. Ich stellte fest, dass es sich um einen schottischen Dialekt handelte, der zuletzt vor hundert Jahren gesprochen worden ist. Immer wieder erzählte sie von einem Dorf. Sie kannte nur eine Silbe seines Namens. Madame Shong hat darüber ein Buch geschrieben mit dem Titel Ich war schon einmal auf der Welt. Darin beschreibt sie alles, was sie über ihre frühere Existenz weiß.«

Björn kannte dieses Buch. Er informierte sich stets umfassend über parapsychische Phänomene und übersinnliche Erscheinungen. Er wusste, dass sich oft dahinter ein ungeahnter Angriff verbarg.

Wurde Madame Shong als Werkzeug benutzt oder war in einem früheren Leben etwas vorgekommen, das auf die Einwirkung übersinnlicher Mächte zurückging?

Björn hatte sich sofort auf den Weg gemacht, als er hörte, dass diese ungewöhnliche Frau in Glasgow einem Kreis vorgestellt werden sollte, dem Ärzte und Parapsychologen angehörten. Dieses Symposium war für den morgigen Tag angekündigt.

Dass Mr. Felman, der Inhaber des Dragon-Clubs, es geschafft hatte, vor diesem Termin einen Auftritt Madame Shongs in seinem Haus zu buchen, sprach für sich.

In den nächsten Tagen sollte die Malaiin eine Reise durch das Land machen, in dem sie eigenen Angaben zufolge schon einmal gelebt hatte, ehe sie hundert Jahre später in einem kleinen Dorf auf der anderen Seite des Globus wiedergeboren wurde.

»Sie sind alle dazu aufgerufen, mitzuhelfen«, schloss Dr. Haines seine Ausführungen. Er war ein Mann von asketischem Aussehen. Seine Haut war von Wind und Sonne zu Pergament gegerbt. Es schien, als hätte der jahrelange Aufenthalt unter einer fremden Rasse Haines' Aussehen beeinflusst. Ihm haftete etwas Chinesisches an. »Ich werde sie wieder nach der Umgebung und der Familie fragen, die sie aus einem früheren Leben kennt. Ich werde mich auch weiterhin darum bemühen, herauszufinden, woher Rosalind die Narben hat, die sie in ihr zweites Leben mitbrachte. Ich glaube, eine Möglichkeit entdeckt zu haben.«

Eine Zuschauerin stöhnte erregt: »Nein ...?«

Dr. Haines bat mit einer Geste um Ruhe. »Rosalind konnte die Familie, bei der sie vor einhundert Jahren aufwuchs, beschreiben, erinnert sich an Namen und konnte auch ihren eigenen ungefähr angeben. Danach hieß sie Sioban. Vom Nachnamen weiß sie nur, dass er mit Mac anfängt. Jede Sitzung bedeutet einen neuen Vorstoß ins Unbekannte, meine Damen und Herren. Aber seien Sie nicht allzu enttäuscht, wenn gar nichts dabei herauskommt. Stören Sie die Sitzung auch nicht durch unnötige Unruhe, wenn etwas eintreten sollte, das Sie überrascht oder erschreckt. Rufen Sie bitte auf keinen Fall dazwischen. Das könnte schlimme Folgen haben für Rosalind Shong. Warten Sie, bis ich sie wieder zurückgeholt habe.«

Das hörte sich geheimnisvoll und faszinierend an. Es war doch einmal etwas ganz anderes.

Es war so still, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören.

Dr. Haines versetzte Madame Shong in Hypnose. Die Malaiin lag flach auf einer Liege und schien kaum zu atmen.

Dr. Haines stellte seine Fragen nach Alter, Name, Herkunft.

Klar und deutlich antwortete sie in der Sprache ihrer Heimat. Englisch sprach sie nur sehr schlecht.

Dr. Haines übersetzte ihre Antworten. Niemand im Club wusste, ob das auch alles stimmte.

Björn liebte keine Angaben aus zweiter Hand, musste sich aber wohl oder übel mit dem zufriedengeben, was ihm serviert wurde.

Dr. Haines führte die Malaiin weit in die Vergangenheit zurück. Rosalind Shong gab Einzelheiten aus ihrer Jugend preis, Erlebnisse, Abenteuer, Gespräche. Der Arzt überwand die Schwelle des Säuglingsalters und führte das Medium bis zum Augenblick der Geburt zurück.

Genaue Eindrücke waren zurückgeblieben, an die sie sich im Wachzustand nicht erinnert hätte.

Jetzt hätte das Nichts folgen müssen. Aber das Gegenteil war der Fall.

Ein neues Leben begann – aber nicht mit der Geburt.

Rosalind Shong war jetzt Sioban Mac ... Sie sollte Einzelheiten schildern.

Sie redete schottisch. Akzent und Tonfall stimmten. Es kamen Worte vor, die Hellmark noch nie gehört hatte. Dialekt.

Er hörte, wie ein Mann neben ihm die Luft durch die Nase sog und vergaß, wovor Haines gewarnt hatte: Sich auf irgendeine Weise zu äußern. »Das gibt es doch nicht!«, entfuhr es dem Gast. »Wenn ich ...«

»Pssst«, erinnerte Björn ihn. Er sah, wie Dr. Haines den Kopf drehte. Unruhe spiegelte sich auf dem Gesicht des Mediums, die Augenlider zuckten.

»Was sehen Sie, Sioban, schildern Sie Ihre Gefühle«, sagte Dr. Haines klar und führte den Test weiter.

»Eine Wohnung ... viele dunkle Möbel ... drei Personen. Eine davon ist meine Mutter, die andere mein Vater. Die dritte – ein Kind. Es ist Abend ... die Öllampe brennt ... ich ... ich ...« Stocken. Schnelles Atmen.

Sioban Mac ... alias Rosalind Shong schluckte heftig.

»Sie haben es mir schon mehr als einmal gesagt, Sioban«, half der Arzt mit ruhiger Stimme. »Sie erinnern sich ganz genau. Was sehen Sie, Sioban?«

»Ich erhebe mich ... ich gehe zum Fenster ...« Ihre Stimme klang leise.

Die Worte kamen stockend, als überlege sie erst, was sie nun sagen musste.

Die Atmosphäre im Club war aufgeladen. Es war Dr. Haines anzusehen, dass etwas eingetreten war, womit er selbst nicht gerechnet hatte.

Dieser Teil der Rückführung in Rosalind Shongs Erinnerung war bisher immer glatt verlaufen.

Aber nun kam jene Einzelheit hinzu, auf die er schon so lange wartete. Bisher hatte Madame Shong immer nur von dem Fremden gesprochen, der plötzlich dagewesen sei. Aber sie hatte nie erklären können, woher er gekommen war.

Ihre Rückführung über die Geburt hinaus hatte immer mit ihrem Tod als Sioban Mac ... geendet. Nun kam endlich der Hinweis darauf, wie der Unbekannte eingedrungen war.

Ein Mosaiksteinchen mehr.

»Was machen Sie am Fenster?« Dr. Haines leckte sich über die Lippen. Alle merkten, dass etwas Besonderes vorging. Entweder waren dieser Arzt und sein Medium ein Betrügerpaar wie es im Buche stand, oder sie wurden Zeuge eines Augenblicks, der unter Beweis stellte, dass der Mensch sein eigenes Ich doch noch nicht soweit erforscht hatte, wie er gern glauben wollte.

»Ich öffne es. Die Luft draußen ist wunderbar mild ... wir sind alle auf wegen Ritchie ... das ist mein kleiner Bruder. Er ist krank ... er hat Fieber ... wir warten auf den Arzt ... Das Wetter ist gut ... die Wege trocken. Er kann mit der Kutsche gut vorankommen. Mein größerer Bruder ist ins Dorf geritten, um dem Arzt Bescheid zu sagen. Um Ritchie steht es schlimm. Er kann kaum noch atmen. Er bekommt keine Luft mehr ... wird die Nacht nicht überleben ... kann der Arzt noch etwas für ihn tun? Niemand glaubt mehr daran ... Vater liest in der Bibel, Mutter hält Ritchie auf dem Schoss ... den kleinen, sterbenden Ritchie ... mein Gesicht ist ganz heiß ... habe ich Fieber ...? Ich stehe am Fenster wie in Trance ... starre in den dämmrigen Wald ...«

Zum ersten Mal eine nähere Ortsbeschreibung! Die Angabe, dass ein Wald in der Nähe der Behausung der Familie Mac ... gestanden hatte, war nicht viel. Aber ein Anfang.

Dr. Haines ließ nicht locker. »Was sehen Sie noch, Sioban? Sehen Sie genau hin, vielleicht können Sie etwas erkennen ...«

»Dem Fenster gegenüber ... eine Holzbank, ein Tisch ... die hat Vater selbst gezimmert ... aus Buchen. Tisch und Bank stehen etwas tiefer ... in einer Mulde ... man merkt nicht, dass der Berg in der Nähe ist ... alles scheint flach und eben zu sein ...«

Sie unterbrach sich.

»Was für ein Berg ist in der Nähe, Sioban? Sie sind dort zu Hause, Sioban, Sie kennen den Namen, nicht wahr?«

Rosalind Shong alias Sioban Mac ... setzte zum Sprechen an, aber es kam nicht über ihre Lippen, was Dr. Haines erwartet hatte. »Die Kutsche ... der Arzt kommt ...«

Sie beschrieb den Vorgang genau. Sie befand sich in einer äußerst günstigen geistigen Disposition. Die Bilder liefen nur so vor ihr ab.

Der Arzt, der den kleinen Ritchie behandelte, wurde ausführlich geschildert. Er konnte ihm nicht mehr helfen. Ritchie starb in der Nacht. Auch diese Mitteilung war neu für Dr. Haines.

»Mutter sitzt weinend im Stuhl. Vater steht neben ihr, seine Rechte liegt auf ihrer Schulter. Der Arzt warnt uns vor dem Geisteskranken ... wir sollen auf der Hut sein. Seit Tagen suchen sie ihn. Er muss sich hier irgendwo in den Wäldern verstecken. Einem Bauern hat er eine Kuh abgestochen. Der Geistesgestörte hat ein Schlachtermesser. Wir sollen niemandem die Tür öffnen ... Da! ... Ein Schatten ... fliegt durchs Fenster ... neeeiiin!« Der Schrei, den sie von sich gab, war so schrecklich, dass allen eine Gänsehaut über den Rücken lief.

Wie im Krampf warf Rosalind Shong sich auf der Liege hin und her. Ihre Arme wirbelten wie Windmühlenflügel, als kämpfe sie gegen einen unsichtbaren Gegner.

»Mein Bein! Aaah!«

Alles ging drunter und drüber. »Das Messer ... um Gottes Willen ... ich blute ... iiihhh ...«

Den Zuhörern sträubten sich die Haare. Sie erlebten den Tod einer dreiundzwanzigjährigen Frau, die gegen einen Geisteskranken kämpfte, der brutal auf sie einstach.

Ihre Bewegungen wurden matter.

Dann Stille.

Dr. Haines schluckte. Diesen letzten Teil des Dramas kannte er schon. Er konnte schon nicht mehr zählen, wie oft er diese schrecklichen Minuten in Madame Shongs erstem Leben zurückgeholt hatte.

Dr. Haines hatte in den vorausgegangenen Sitzungen einiges über das Leben in dem einsamen Haus der Familie erfahren. Aber kurz vor dem Eintritt des Todes hatte es eine Lücke gegeben. Er wusste, dass Sioban Mac ... durch Messerstiche eines Unbekannten ums Leben gekommen war. Aber nun, durch einen unerwarteten Sprung in die Zeit vor Eintritt des Todes, hatte er Kenntnis von einem Geisteskranken, von der Behandlung des kleinen Ritchie und eine oberflächliche Beschreibung der Umgebung erhalten, in der das Haus vor einem Jahrhundert stand.

Dr. Haines wollte das Experiment noch nicht abbrechen.

Er tupfte den Schweiß von der Stirn seines Mediums und stellte weitere Fragen. Aber es kam nichts mehr zustande.

Ihre Stimme wurde merklich schwächer. Für Dr. Haines war der Zeitpunkt gekommen, die Malaiin aus dem Tiefenschlaf zu wecken. Sehr behutsam holte er sie ins Dasein zurück und führte sie durch einen Seiteneingang in ein Zimmer, wo sie sich ausruhen konnte.

Dr. Haines kehrte noch einmal in den Club zurück, wo sich inzwischen Diskussionen entwickelt hatten.

Felman, der Inhaber, konnte zufrieden sein. Er hatte seinem verwöhnten Publikum etwas geboten, worüber sie sich die Köpfe heißreden konnten.

Wahrheit? Scharlatanerie? Keiner vermochte es zu sagen. Das Ganze konnte ein abgekartetes Spiel sein.

Björn Hellmark war es darauf angekommen, sich ein persönliches Bild von der Malaiin zu machen. Ihr Auftritt hatte einen tiefen Eindruck bei ihm hinterlassen.

Er hatte gehofft, ein paar persönliche Fragen an sie richten zu können, aber er sah ein, dass dies unter den gegebenen Umständen nicht möglich war.

Rosalind Shong brauchte Ruhe. Aber Dr. Haines stand Rede und Antwort.

Er verteidigte seinen Standpunkt, obwohl er von vielen Seiten zu hören bekam, dass alles nur eine raffinierte Show sei, in der alles abgesprochen war.

Björn vertrat dagegen seinen Standpunkt und ging von Haines' Darstellung als Tatsache aus. Rosalind Shong hatte die Verletzungen in einem früheren Leben erlitten. Darum zog es die Malaiin mit Macht nach Schottland. War dies ein natürlicher Trieb oder steckte etwas anderes dahinter?

Björn würde die Augen offenhalten und Nachforschungen anstellen, wo ihm etwas merkwürdig vorkam.

Er verließ sich in vielen Dingen auf Al Nafuur. Der konnte ihm manchmal Tipps geben. Aber diesmal ließ er wieder auf sich warten. Björn konnte nicht erwarten, fertige Lösungen zu bekommen.

Er verließ den Dragon-Club eine halbe Stunde vor Mitternacht.

Im Hotel Exquisit, zwei Straßenecken weiter, war er abgestiegen.

Von dort aus rief er in Genf an. Carminia hob ab.

»Hallo Schoko, ich wollte dir nur sagen, dass es mir gut geht, dass ich dich liebe und dir eine gute Nacht wünsche.«

»Das ist kurz, bündig und herzlos wie immer«, sagte die charmante Stimme am anderen Ende der Strippe. »Und vor allen Dingen stimmt es nicht, es kann ja gar nicht stimmen.«

»Wieso?«

»Wenn du behauptest, es gehe dir gut, dann liebst du mich nicht. Liebst du mich aber, dann kann es dir nicht gut gehen, claro?«

Gegen diese Logik war nichts einzuwenden.

Björn teilte Carminia mit, dass er noch einen oder zwei Tage in Glasgow bleiben wolle. Irgendwie – so fühlte er – zog es ihn zu Rosalind Shong hin.

»Ich werde dir alles erklären, wenn ich zurück bin. Im Übrigen ist noch eine Frau im Spiel, Schoko.«

»Du bist der reinste Eunuch.«

»Nein, Schoko, da liegt eine Begriffsverwechslung vor. Ein Eunuch ist der andere. Ich wäre in dem Falle der Haremsinhaber. Aber es ist fraglich, ob das eine reine Freude wäre. Das Mädchen, auf das ich scharf bin, hat seine Marotten. Es ist – Phantoma. Ich sehe Anzeichen dafür, dass ihre Spur nach Schottland führt. Das ist der zweite Grund, weshalb ich hierbleibe. Ich habe den Verdacht, dass die Anwesenheit Phantomas und die Ankunft Rosalind Shongs etwas miteinander zu tun haben.«

Dies war in der Tat eine Sache, die ihn zu besonderen Überlegungen zwang.

Seit seinem Abenteuer in Mandragoras Welt gab es keinen Zweifel, dass es ihr gelungen war, ihre böse Brut auf die Erde zu schleusen. Phantoma hatte die Hülle einer Toten übernommen. Björn hatte wahre Sisyphusarbeit geleistet, um herauszufinden, welchen Weg dieser neue Feind eingeschlagen hatte. Dass es ein Feind war, darüber bestand kein Zweifel. Die Umstände, die zur Entstehung Phantomas geführt hatten, sprachen für sich.

Menschen wurden ausgenutzt, manipuliert, verloren ihr Leben.

Björn hatte nicht nur selbst größte Aufmerksamkeit walten lassen, sondern auch Carminia und Rani eingespannt auf der Suche nach besonderen Meldungen, welche die Behörden und die Öffentlichkeit beunruhigten.

In diese Suche nach dem Unbekannten hatte Björn sogar seinen Freund Richard Patrick, den amerikanischen Verleger der Zeitschrift »Amazing Tales«, eingeschaltet. Patrick verfügte über Mitarbeiter, die darauf trainiert waren, unerklärlichen Vorgängen nachzugehen und darüber zu berichten. Er war einer der wenigen Überzeugten, die an das Wirken unsichtbarer Mächte glaubten.

Björn konnte zufrieden sein mit dieser Hilfe. So hatte sich durch die gemeinsamen Bemühungen herauskristallisiert, dass Phantoma Deutschland verlassen und die Britischen Inseln angesteuert hatte.

Eine Reihe merkwürdiger Vorfälle beschäftigte seit Wochen die schottischen Behörden. Menschen verschwanden und tauchten nicht wieder auf. Björns Erfahrungen mit dem Reich der Unsichtbaren besagten, dass dies ein typisches Erscheinungsbild für ihr Wirken sein konnte.

Da war der Fall Louis Brighton, der ihn intensiv beschäftigte. Brighton war ein schwerreicher Mann, lebte aber zurückgezogen und einfach. Es gab nicht viel zu berichten über ihn. Keine Skandale, keine rauschenden Feste, keine Weibergeschichten. Auf einer Fähre nach England aber war aufgefallen, dass sich eine Frau von betörender Schönheit in seiner Begleitung befand.

Brighton war achtundfünfzig. Ein findiger Reporter, der zufällig an Bord war und den Schotten erkannt hatte, schrieb darüber in einer Boulevardzeitung und stellte die Frage, ob Brighton seine Weiberfeindschaft und Abstinenz aufgegeben hätte und sich vielleicht sogar mit Heiratsplänen trüge? Meldungen in Zeitungen dieser Art waren mit Vorsicht zu genießen. Aber ein Körnchen Wahrheit steckte doch manchmal auch in ihnen, trotz aller Sensationslust.

Die fremde Frau, schrieb der Reporter, könne einem Mann den Kopf verdrehen. Es wäre leicht vorstellbar, dass Louis Brighton alle Vorsätze über den Haufen geworfen hätte.

In der Tat verhielt Brighton sich so, wenn man diese Spur konsequent weiterverfolgte.

Er war mit seiner neuen Freundin in seinem Landhaus am Rande der Ochil Hills untergetaucht. Er vernachlässigte seine Freunde, und Björn fiel auf, dass seit seiner Rückkehr die unerklärlichen Vermisstenmeldungen zunahmen.

Bestand da ein Zusammenhang?

Björn war es gewohnt, umfassende Kombinationen anzustellen und ungewöhnliche Gedanken zu verfolgen. Diese Fähigkeit war bisher seine beste Lebensversicherung gewesen.

Als er in seinem Hotelzimmer angelangt war, ließ er diesen Tag und besonders die letzte Stunde noch einmal vor seinem geistigen Auge Revue passieren.

Zwei Dinge wollte er gleich am Morgen unternehmen: Erstens eine Fahrt zu Brightons Landhaus und zweitens eine persönliche Begegnung mit Rosalind Shong, die sich dann von ihrem Auftritt sicherlich ausreichend erholt hatte.

Ein Paar wollte bereits im Morgengrauen das Hotel Exquisit verlassen.

Brian Shalfield und Anne Sitkens nahmen ein leichtes Frühstück ein.

Der Playboy und seine Begleiterin plauderten angeregt. Es sah so aus, als würden sie sich schon seit Jahren kennen.

Noch ein Gast verließ an diesem Morgen sehr früh sein Apartment: Björn Hellmark.

Als er jedoch in das Frühstückszimmer kam, waren Brian und Anne nicht mehr anwesend. Er hätte sonst zum ersten Mal seine außerirdische Gegnerin gesehen, wie sie aussah, seitdem sie eine perfekte menschliche Gestalt angenommen hatte.

Der neue Tag verlief anders als geplant. Schuld daran war eine kleine Notiz in der Morgenzeitung.

»Vermisster nach drei Wochen zurückgekehrt«, stand da zu lesen: »Der seit dem 16. vorigen Monats vermisste Henry Jigger aus dem Dorf Glenas ist gestern Abend unerwartet zurückgekehrt, nachdem er drei Wochen lang nicht zu Hause gewesen war. Jigger konnte der Polizei keine Angaben über seinen Verbleib machen. Es ist anzunehmen, dass er kurzfristig das Gedächtnis verlor und ziellos umherirrte.«

Die meisten würden über eine solche Notiz hinweglesen. Björn machte sich seine Gedanken darüber.

Ein Mann kehrte zurück. Das konnte ein normaler Vorgang sein.

Er erinnerte sich an nichts. Auch das kam vor.