Maddrax 301 - Christian Schwarz - E-Book

Maddrax 301 E-Book

Christian Schwarz

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Beschreibung

Der Weg zu Xijs möglicher Heilung führt über Barreut, das frühere Bayreuth. Noch immer gibt hier die Musik den Ton an, denn die Truveers, die neuzeitlichen Bänkelsänger, veranstalten jährlich einen musikalischen Wettstreit. Doch diesmal erweist es sich als Trugschluss, dass "böse Menschen keine Lieder haben". Matt Drax und die todkranke Xij geraten in ein Komplott, das in den höchsten Tönen ausgefochten wird und die Opernbühne zu einem Friedhof machen soll...

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Seitenzahl: 147

Veröffentlichungsjahr: 2011

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Inhalt

Cover

Impressum

Was bisher geschah

Libretto des Todes

Leserseite

Zeittafel

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Lektorat: Michael Schönenbröcher

Titelbild: Arndt Drechsler

Autor: Christian Schwarz

E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-8387-1282-6

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Am 8. Februar 2012 trifft der Komet „Christopher-Floyd“ die Erde. In der Folge verschiebt sich die Erdachse und ein Leichentuch aus Staub legt sich für Jahrhunderte um den Planeten. Nach der Eiszeit bevölkern Mutationen die Länder und die Menschheit ist – bis auf die Bunkerbewohner – auf rätselhafte Weise degeneriert. In dieses Szenario verschlägt es den Piloten Matthew Drax, dessen Staffel beim Einschlag durch ein Zeitphänomen ins Jahr 2516 gerät. Nach dem Absturz wird er von Barbaren gerettet, die ihn „Maddrax“ nennen. Zusammen mit der telepathisch begabten Kriegerin Aruula findet er heraus, dass Außerirdische mit dem Kometen – dem Wandler – zur Erde gelangt sind und schuld an der veränderten Flora und Fauna sind. Nach langen Kämpfen mit den Daa’muren und Matts Abstecher zum Mars entpuppt sich der Wandler als lebendes Wesen, das jetzt erwacht, sein Dienervolk in die Schranken weist und weiterzieht. Es flieht vor einem kosmischen Jäger, dem Streiter, der bereits seine Spur zur Erde aufgenommen hat!

Das mysteriöse Steinwesen namens Mutter, das den Menschen die Lebensenergie raubte und sie versteinern ließ, ist vernichtet. Matthew Drax und seine Gefährten konnten verhindern, dass es zu seinem Ursprung – ein riesiges Flöz unter der Erde Ostdeutschlands – gelangte, und Xij hat den lebenden Stein mit einem vernichtenden Schrei zersprengt. Die Steinjünger, darunter Matts ehemalige Staffelkameradin Jenny Jensen, die auf dem Mond stationierten Marsianer, die Technos aus London und Salisbury und die Kriegerinnen von den Dreizehn Inseln erwachen aus dem Bann, in den Mutter sie geschlagen hatte. Auch das Hybridwesen aus General Arthur Crow und der atlassische ZERSTÖRER sind vernichtet, nachdem sie um das Vorrecht kämpften, Matt töten zu dürfen.

Doch der Sieg ist teuer erkauft: mit dem Leben von Jennys und Matts gemeinsamer Tochter Ann! Aruula sah keine andere Möglichkeit, sie zu stoppen, als das Schwert mit der Breitseite nach ihr zu schleudern und sie zu Fall zu bringen, bevor sie Mutter in das Bohrloch warf, das zum Ursprung führte. Durch Jennys Versuch, Aruula aufzuhalten, bohrte sich die Klinge jedoch in Anns Rücken.

Matt kann Aruula nicht vergeben; er ist fertig mit der Welt und kapselt sich ab. Als alle anderen aufbrechen – Rulfan mit den Technos, den Marsianern und dem Retrologen Steintrieb zu seiner Burg in Schottland, um dort einen „Hort des Wissens“ zu errichten, Aruula mit ihren Schwestern zu den Dreizehn Inseln – bleiben er und Xij alleine zurück. Xij, die in sich die Geister unzähliger früherer Leben trägt, ist ernsthaft erkrankt; alles deutet auf eine Verstrahlung hin, die sie sich in Tschernobyl zugezogen hat. Das reißt Matt zumindest ein wenig aus seiner Lethargie; aber sein Plan, bei den Lübecker Technos Hilfe zu finden, schlägt fehl. Sie helfen jedoch dabei, Frieden zwischen Mutanten und Menschen zu schaffen, und erhalten einen Hinweis, der sie nach Süden führt …

Libretto des Todes

von Christian Schwarz

Mitte Mai 2527

Der letzte Vorhang war gefallen, der letzte Applaus verklungen. Oliveer, Direktor der Greeflichen Opera, ließ seine Blicke über die leeren, im kalten Lüsterlicht liegenden Logen schweifen, genoss in Gedanken noch einmal die Jubelrufe und rieb sich die Hände; eine Geste, die seine Zufriedenheit ausdrückte, denn mit der letzten Vorstellung hatte er noch einmal so richtig Kasse gemacht.

Ein leises Zischen ertönte. Oliveer fuhr zusammen. Das Geräusch hatte böse geklungen. Angstvoll starrte er in die nur unzureichend erhellten Bereiche des Bühnenhintergrundes. „Ist da wer?“, fragte er krächzend.

Etwas löste sich aus den Schatten. Etwas, das er fürchtete!

Die Gestalt trat mit geschmeidigen Bewegungen an den Rand der Bühne. Sie war mittelgroß und hager und hatte sich in einen bodenlangen schwarzen Mantel gehüllt. Das Gesicht lag im Schatten einer Kapuze. Oliveer wusste trotzdem genau, wie es aussah. Er hatte gehofft, es nie wieder sehen zu müssen.

Der Eindringling tat ihm den Gefallen nicht. Zwei von schneeweißer, schrumpeliger Haut überzogene Skeletthände fassten an die Kapuze und schoben sie auf die schmalen Schultern zurück. Den Direktor schauderte es vor diesen spinnenartigen Leichenfingern; ihm wurde fast schlecht, als er daran dachte, dass sie ihn berühren könnten. Noch schlimmer war es mit dem Gesicht der Frau. Es löste regelrechte Panik in ihm aus. Und das lag nicht nur an ihren tief in den Höhlen liegenden Augen, die ihn brennend anstarrten.

Kalter Schweiß trat auf Oliveers Stirn. Seine Hände begannen zu zittern. Er fühlte Schwäche in seinem ganzen Körper, den er so gerne mit teuren, farbigen, weit wallenden Stoffen behängte, und hätte sich am liebsten in den Sitz hinter ihm sinken lassen. Sein Instinkt befahl ihm jedoch etwas anderes. Flucht!

Der Sechzigjährige mit der Glatze und dem feinen Kinnbart drehte sich hastig um und machte ein paar unbeholfene Schritte durch die Sitzreihe zum Mittelgang hin. Zu seinem Entsetzen bemerkte er eine weitere Gestalt im dunklen Mantel, die sich aus dem Schutz einer tragenden Säule löste und auf ihn zukam. Gleich darauf war er von vier Nosfera umringt.

Die Blutsauger stanken unerträglich; vor allem der Eisengeruch, der ihnen anhaftete, machte Oliveer zu schaffen. Er musste seinen ganzen Willen aufbieten, um den aufsteigenden Würgereiz zu unterdrücken. Dabei schielte er unablässig auf die Stöcke, die die Typen aufreizend lässig in den Händen hielten. Bis auf die Frau auf der Bühne behielten sie ihre Kapuzen auf.

Der Direktor versuchte so etwas wie ein Lächeln. Es endete in einer verzerrten Grimasse. „Hallo Roosa. Nett, dich wiederzusehen. Was … was wollt ihr? Wie kommt ihr hier … ich meine, hier herein?“

Die Frau, die sich vor ihm aufgebaut hatte, grinste höhnisch. Wie ihre Hände wirkte auch ihr Kopf mumienhaft vertrocknet. Sie hielt ihn mit voller Absicht so, dass Oliveer auf ihr fehlendes linkes Ohr schauen musste – beziehungsweise auf das hässliche rote Narbengeflecht, das stattdessen dort prangte.

„Du fragst tatsächlich, was wir hier wollen?“ Die Nosfera mit der angenehm leisen, tiefen Stimme schüttelte ungläubig den Kopf. „Entweder bist du das unverfrorenste Piig, das mir je untergekommen ist, oder du hast bereits die letzte Abfahrt Aalzheem genommen. Letzteres glaube ich aber ganz und gar nicht. Und wie wir hier herein kommen? Nun, wir kommen überall hinein. Das müssen wir auch, wenn wir die Leute bestrafen wollen, die uns über den Tisch ziehen.“

Der alte Mann schluckte ein paarmal hektisch. „Über den Tisch ziehen? Hört, ich … ich habe euch doch nicht über den Tisch gezogen, das seht ihr völlig falsch …“

Der Schlag mit dem Stock kam ansatzlos von hinten. Hart traf er Oliveer in die Kniekehle. Der Direktor brüllte auf und ging zu Boden. Wimmernd blieb er liegen. Roosa duldete das einige Sekunden. Dann zogen ihn zwei ihrer Begleiter wieder auf die Beine. Wie ein nasser Sack hing er in ihrem eisernen Griff.

Roosas Gesicht kam dem Oliveers unerträglich nahe, berührte es fast. Die Nosfera genoss die panische Angst in den Augen ihres Gefangenen und führte ihren Mund ganz nahe an sein Ohr. „Das sehen wir also falsch, ja? Unsere Abmachung lautete doch, dass du ausschließlich ‚Die frechen Amouren der Friederike Sophie‘ aufführen wirst. Du hast zugesagt und sogar die Wagner-Taaler genommen, die wir dir dafür angeboten haben. Hast du das?“

„J-ja. Aber da wusste ich doch noch nicht …“

„Halt’s Maul. Ich weiß nicht, ob ich mich täusche, denn ich mag keine Operas. Aber das, was du heute Abend hast spielen lassen, hat sich verdächtig nach ‚Wahnfrieds Sieg und Siegfrieds Wahn‘ angehört“, flüsterte sie.

„Bitte. Ihr müsst entschuldigen, ich … äh, habe das doch nicht mit Absicht gemacht. Ich wollte ja die Amouren wie … wie, äh … vereinbart aufführen, aber in letzter Zeit sind kaum noch Besucher gekommen. Ich musste einfach noch ein anderes Stück spielen, das Einnahmen bringt. Denn ich muss ja … von was leben. Die laufenden Kosten für einen Opera-Betrieb sind immens hoch, sie fressen mich auf, wenn ich … keine Einnahmen habe. Versteht ihr das denn nicht?“

Die Nosfera kicherte. Sie packte Oliveer am Kragen und drehte ihm die Luft ab. „Nein, verstehen wir nicht. Zumal der zweite Teil unserer Abmachung lautete, dass du im letzten Saisondrittel alle von der Agentuur gekauften Operas außer ‚Wahnfrieds Sieg‘ aufführen kannst. Du hättest also auch eine andere nehmen können. Aber nein, es musste ja der ‚Wahnfried‘ sein.“

Oliveers Augen waren nun weit aufgerissen. „Ich kann euch die Taaler gerne wieder zurückgeben. Ich wollte sie ja ohnehin nicht. Lasst mich los, dann … hole ich sie euch“, keuchte der Direktor. „Ich verspreche euch auch, dass ich ‚Wahnfrieds Sieg‘ wieder absetze. Ich spiele es nicht mehr. Ich … werde nach einer anderen Opera suchen.“

„Was du nicht sagst. Aber jetzt ist es ohnehin zu spät. Der Stichtag ist vorbei und der Schaden bereits angerichtet. Und das macht mich sehr, sehr böse. Zumal du uns nicht ernst zu nehmen scheinst. Hältst du uns für dumm?“

„Glaubt mir doch, es war ein Missverständnis, ein dummes Missverständnis!“, quiekte Oliveer nun in den höchsten Tönen.

Erneut flog ein Grinsen über das Mumiengesicht der Nosfera. Es wirkte wie ein Gruß aus dem Reich Orguudoos, des finsteren Dämons der Tiefe. „Wir werden die Taaler tatsächlich zurücknehmen. Aber nicht nur das. Du wirst uns die gesamten Einnahmen des heutigen Abends überlassen!“

„Nein!“ Oliveer begann sich im Griff der Nosfera zu winden. Ein gemeiner Ellenbogenstoß in die Seite trieb ihm die Luft aus den Lungen und stellte ihn wieder ruhig.

„Strafe muss sein. Niemand legt uns rein, verstehst du?“ Das Knie der Blutsaugerin fuhr ansatzlos hoch. Es traf Oliveer in die Weichteile. Der Direktor schrie wie am Spieß und klappte zusammen, da die Nosfera ihn plötzlich losließen.

Schwere Stiefel traten von allen Seiten auf ihn ein, von oben stießen die Stöcke auf ihn herab. Ein Meer von Schmerzen breitete sich in dem alten Mann aus. Die ausgezeichnete Akustik der Greeflichen Opera zu Barreut verteilte seine Schreie laut und klar im riesigen Zuschauersaal, dessen halbrunde, rot gepolsterte Sitzreihen nach oben anstiegen. Irgendwann wimmerte Oliveer nur noch, schützte so gut es ging sein Gesicht und versuchte verzweifelt, aus dem Mittelgang in den vermeintlichen Schutz einer Stuhlreihe zu kriechen.

Urplötzlich hörten die Schläge und Tritte auf. Halb bewusstlos registrierte er, dass er auf den Rücken gedreht wurde. Ein Schwall eiskalten Wassers brachte ihn wieder zu sich. Oliveer hustete und würgte und sah erneut das furchtbare Gesicht über sich.

„Dieses Mal kommst du noch glimpflich davon, Alter“, zischte Roosa. „Solltest du allerdings der Polenta oder sonst wem von unserer kleinen Aufwartung heute Abend erzählen, machen wir dich kalt. Verstanden?“

„Ver …standen“, ächzte Oliveer kaum hörbar. Überall im Rachen schmeckte er Blut, sein Blick war getrübt, alles tat so furchtbar weh.

Das war aber nichts gegen den Schock, der folgte, als sich die Nosfera plötzlich neben ihm niederließen, ihm die Kleider vom Leib rissen und begannen, gierig das Blut von seinem Körper zu lecken.

Anfang August 2527

Matthew Drax jagte den vierachsigen Radpanzer über die grünen Hügel Süddeutschlands. Er forcierte seit ihrem Aufbruch aus Lübeck das Tempo, denn er wollte Schloss Neuschwanstein so früh wie möglich erreichen. Trotzdem waren sie seit fast zwei Wochen unterwegs. Die Straßen dieser postapokalyptischen Welt waren diese Bezeichnung längst nicht mehr wert, und tektonische Verwerfungen zwangen ihn immer wieder zu Umwegen.

Xij Hamlet ging es täglich schlechter. Immer wieder blutete sie aus der Nase und wurde von schweren Hustenattacken gepeinigt. Sie war zwischenzeitlich so schwach geworden, dass sie viele Stunden Ruhe brauchte, wenn sie nur eine halbe auf den Beinen gewesen war. Dann dämmerte sie schweißgebadet in ihrer Koje vor sich hin, wälzte sich unruhig träumend hin und her und murmelte wirres Zeug.

Immer wieder legte Matt kleine Pausen ein, um nach ihr zu sehen und ihr wenigstens etwas zu trinken zu geben, denn essen mochte sie kaum noch. Selbst das ayveedische Mittel, das sie sich gemischt hatte, half nur noch wenig.

In Neuschwanstein hoffte Matt Hilfe für Xij zu finden. Er vermutete, dass die junge Frau an einer atomaren Verstrahlung litt; alles wies darauf hin. Seltsam war nur, dass Aruula, Rulfan und er selbst keinerlei Symptome zeigte, obwohl sie ebenfalls im Reaktor von Tschernobyl gewesen waren.1)

Ein Daa’mure, der in seinem Kristall überlebt hatte, jedoch in der Reaktorwand feststeckte, hatte sich dort einen Herrschaftsbereich geschaffen und die Menschen gegen die Strahlung immunisiert – so auch die vier Gefährten, als sie mit Rulfans Luftschiff landen mussten. Nachdem sie den Daa’muren vernichtet und seine Sklaven befreit hatten, endete auch die Immunisierung. Doch Xij war die Einzige, die erkrankt war. Hing es vielleicht damit zusammen, dass sie dem Kristall am nächsten gekommen war, als sie ihn mit einem Schrei zersprengt hatte?

Oder lag es an dem Schrei selbst, einem Überbleibsel eines früheren, vielleicht tierischen Lebens, der sie nachhaltig schwächte? Als sie vor elf Tagen auch Mutter mit eben diesem Schrei pulverisiert hatte2), war es in der Folge zunehmend mit ihr bergab gegangen.

Matt wusste es nicht; er war kein Arzt. Aber wer konnte schon sagen, was diese unglaubliche Anstrengung Xij an Kraft gekostet und was sie für Immunreaktionen in ihrem Körper ausgelöst hatte?

Die Technos in Lübeck, die sie zuerst aufsuchten, hatten ihr nicht helfen können. Immerhin hatte Xij dort von einem gewissen Waltemahr erfahren, der vor einigen Jahren bei einer Atomkatastrophe in Hamburg verstrahlt und angeblich von einem „Zauberer in einem Märchenschloss weit im Süden“ geheilt worden war.

Möglicherweise war damit Neuschwanstein gemeint, auch wenn es in Süddeutschland zahlreiche wunderschöne Schlösser gegeben hatte und vielleicht immer noch gab. Matt und Xij setzten alles auf diese eine Karte, denn eine Alternative gab es nicht. Waltemahr hatte seine wundersame Heilung nur um wenige Wochen überlebt, weil er sich mit seinem Boss anlegte, und konnte keine Hinweise mehr geben.

Aber nicht nur Xijs Krankheit trieb Matt zur Eile an. Die langen Strecken, die er auf dem Pilotensitz verbringen musste, ließen ihm mehr Zeit zum Grübeln, als gut war. Immer wieder sah er Aruulas Schwert in Anns Rücken stecken, sah ihr bleiches Gesicht, als sie in seinen Armen gestorben war.

Und ich habe ihr nicht helfen können. Ich war doch ihr Dad, sie hat mir vertraut …

Es hatte ihm das Herz gebrochen. Und neben all der Trauer eine fast irrationale Wut auf Aruula hochkochen lassen. Da konnte sie noch so oft beteuern, es sei ein tragischer Unfall gewesen. War sie denn nicht immer schon eifersüchtig auf Ann gewesen? Weil er, Matt Drax, ihren gemeinsamen Sohn Daa’tan in Notwehr hatte töten müssen?

Im Grunde wusste Matt, dass dem nicht so war – aber es war so einfach, den Schmerz zu verarbeiten, indem man jemandem die Schuld zuwies. Nach der Tat – ob Unfall oder nicht – hatte er kein Wort mehr mit Aruula wechseln wollen und sie auch nicht aufgehalten, als sie mit ihren Schwestern zu den Dreizehn Inseln aufbrach, ihrer alten Heimat.

Ob er sie je wiedersehen würde?

Ob sie sich jemals würden aussprechen können?

Matt fühlte, wie sich sein Magen verkrampfte und sein klares Denken unter diesem neuerlichen Schmerz für einen Moment aussetzte. Am liebsten hätte er um sich geschlagen und seine Wut hinausgebrüllt. Stattdessen hämmerte er ein paarmal mit der linken Faust so stark an die Seitenwand der Computerkonsole neben sich, dass einige Leuchtdioden zu flackern begannen. Matt fluchte und drückte das Gaspedal mit einem ungestümen Ruck erneut ganz hinunter.

PROTO – so der Spitzname für den „Prototyp XP-1“, summte für einen Moment wie ein zorniger Hornissenschwarm, als die Energieversorgung den zusätzlich benötigten Strom aus den Trilithiumkristallen holte. Über eine weite Wiese raste der Panzer auf einen Wald zu. Auf dem Monitor sah Matt eine Kolonie Gerule, die es sich direkt vor ihm auf der Wiese bequem gemacht hatten und die Abendsonne genossen. Für einen Moment verspürte er den Drang, mitten durch die Schar der hasenähnlichen Raubtiere zu preschen und möglichst viele von ihnen plattzumachen. Doch als er sie nach allen Seiten auseinanderspritzen und flüchten sah, kam er wieder zu sich. Er keuchte, schüttelte kurz den Kopf und bremste PROTO herunter.

Was mache ich da? Mensch, Matt, komm wieder zu dir! Was geschehen ist, ist geschehen, und das Leben muss weitergehen. Immer weiter …

Langsam fuhr Matt am Waldrand entlang, um einen Weg weiter nach Süden zu finden. Er hatte sich nun wieder vollständig unter Kontrolle und schwor sich, solche Ausraster nach Möglichkeit künftig zu vermeiden. Wenn er sich nicht täuschte, befand er sich bereits im ehemaligen Bayern, vielleicht auf der Höhe von Hof oder Bayreuth. Es wurde Zeit, sich nach einem geeigneten Platz umzusehen, wo er PROTO abstellen und sich für ein paar Stunden aufs Ohr hauen konnte.

Plötzlich runzelte Matt die Stirn. Die Akustiksensoren an der Außenseite des Panzers übertrugen ein seltsames Geräusch, das aus dem Wald zu kommen schien. Es hörte sich an wie eine Art … Singen?

Matt konnte es kaum glauben. Und doch drang da etwas aus den Lautsprechern, das sich bei genauerem Hinhören wie der Gesang einer kräftigen menschlichen Stimme anhörte. Aber das konnte täuschen. Vielleicht gab es hier ja Tiere, die zum Verwechseln ähnliche Laute ausstießen.

Immerhin, Matts Neugierde war geweckt. Der Mann aus der Vergangenheit stoppte den Amphibienpanzer, nahm den Driller an sich, schaute kurz nach der schlafenden Xij Hamlet und verließ das Fahrzeug durch die Hauptluke am Heck. Dann stand er mit schussbereiter Waffe vor einer uralten riesigen Eiche und horchte in den Wald hinein. Jetzt war nichts mehr zu hören. Doch im nächsten Moment setzte das Geräusch unvermittelt wieder ein!

Matt lauschte eine halbe Minute und eine gewisse Ergriffenheit machte sich in ihm breit. Kein Zweifel, dort vor ihm im Wald sang ein Mann. Ein Truveer, wie die Sänger dieser Zeit genannt wurden. Mehr noch: in Operntenor in der Wildnis! Er schien zu üben, denn er wiederholte ständig die gleiche Tonfolge. Matt glaubte sogar leichte Variationen herauszuhören. So hatte er noch keinen anderen Truveer singen hören.

Den Kerl muss ich unbedingt kennen lernen …