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In den letzten zwei Monaten hat Juefaan, Rulfans Sohn, in einem Transporter der Schwarzen Philosophen rund 7500 Kilometer hinter sich gebracht. Nun befindet er sich in Pakistan, an der Grenze zu Nepal, wo er eine Spur der mysteriösen Mönche zu finden hofft.
Doch dann beendet ein Erdrutsch jäh seine Fahrt - und fast sein Leben, denn Taratzen haben die Falle gestellt. Aber in höchster Not findet Juefaan zwei neue Freunde - und in dem Transporter ein seltsames Tuch, in dem alles versickert, was man darauf stellt ...
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Seitenzahl: 149
Veröffentlichungsjahr: 2014
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Auf dem Dach der Welt
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BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Lektorat: Michael Schönenbröcher
Titelbild: Néstor Taylor/Bassols
Autor: Christian Schwarz
E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-8387-5823-7
www.bastei-entertainment.de
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Am 8. Februar 2012 trifft der Komet „Christopher-Floyd“ die Erde – in Wahrheit eine Arche Außerirdischer, der Daa’muren. Die Erdachse verschiebt sich und ein Leichentuch aus Staub legt sich für Jahrhunderte um den Planeten. Nach der Eiszeit bevölkern Mutationen die Länder und die Menschheit ist – bis auf die Bunkerbewohner – degeneriert. In dieses Szenario verschlägt es den Piloten Matthew Drax, dessen Staffel beim Einschlag durch ein Zeitphänomen ins Jahr 2516 gerät. Nach dem Absturz wird er von Barbaren gerettet, die ihn „Maddrax“ nennen. Zusammen mit der telepathisch begabten Kriegerin Aruula erkundet er diese für ihn so fremde Erde.
In einem „zeitlosen Raum“, der Schnittstelle vieler Paralleluniversen, kollabiert ein Tor und schleudert gefährliche Artefakte in unsere Welt. Mit einem Scanner spürt Matt die ersten davon auf und macht sie unschädlich. Doch dann verlieren er und Aruula nach einem unfreiwilligen Trip zum Mars auf dem Rückweg durch den Zeitstrahl ganze 16 Jahre! Auf der Erde treffen sie zunehmend auf Robot-Nachbildungen historischer Führer, die eine Gruppe, die sich „Schwarze Philosophen“ (SP) nennt, als Statthalter einsetzt. In Glasgow rettet eine junge Frau Matts Leben. Er weiß nicht, dass Xaana seine Tochter aus der Zukunft ist, mit der seine im zeitlosen Raum verschollene Ex-Freundin Xij schwanger war.
In Schottland wartet ein Schock auf sie: Die Burg ihres Freundes Rulfan ist zerstört! Die SP wollen die Artefakte im Hort des Wissens rauben. Rulfan zerstört sie alle und sein Sohn Juefaan schießt sich Matt und Aruula an. Er besitzt einen Symbionten, der sich von Blut ernährt und umformen kann.
In der Schweiz werden sie und Xaana Zeuge einer Katastrophe im CERN-Forschungszentrum: Dort öffnet sich ein Wurmloch, nur stecknadelgroß, doch von verheerender Kraft. Während Xaana zum neuen Hort des Wissens reist, treffen sie in Marseille erstmals auf die SP und können einen der Mönchsähnlichen als Geisel nehmen. In seinen Gedanken liest Aruula von einem weiteren Statthalter, der Washington übernehmen soll: die Robot-Version von Professor Dr. Smythe, Matts verstorbenem Erzfeind! Matt und Aruula brechen nach Meeraka auf, während Juefaan die Basis des Feindes in Nepal aufspüren will.
In New Orleans versucht das Paar den Transkommunikator an sich zu bringen, ein Artefakt, das den Kontakt zu Toten herstellen kann. Dabei entdecken sie, wie die SP ihre Roboter programmieren – nämlich mit den Seelen, die sie sich mit dem Transkommunikator holen! Matts tote Tochter Ann hilft ihnen, das Gerät unbrauchbar zu machen. In Waashton plant Smythe bereits die Übernahme und hat sich mit Guulen verbündet. Matt und Aruula stoßen zu den Rebellen, um einerseits Smythes Plan zu vereiteln, aber auch General Crow und den Androiden Miki Takeo zu stürzen. Es kommt zur Entscheidungsschlacht auf dem Arlington Friedhof, wo auch Jacob Smythe, der mit seinem Hass auf Matt die Programmierung der SP überwunden hat, mit seiner Guul-Armee mitmischt. Am Ende ist Crow tot, die Guule sind besiegt, und von Smythe und Matt fehlt jede Spur. Letzteren findet Aruula nach sechs Tagen als Gefangenen an Bord eines Trawlers – aber was mit ihm passiert ist, weiß er nicht …
Auf dem Dach der Welt
von Christian Schwarz
25. Mai 2545
Schläfrig saß Juefaan am Steuer des Mannschafts-Transporters. Vor endlosen zweiundsechzig Tagen und siebentausendsechshundert Kilometern hatte er das Fahrzeug in Marseii von den Schwarzen Philosophen erbeutet und damit Ittalya, den Balkaan, Buugari, Tuurk und den Iraan durchquert. Im Moment bewegte er sich durch die Bergwelt Pakistaans, hatte aber immer noch rund tausendachthundert Kilometer bis Kadmanduu vor sich. Die Metropole war sein erster Anlaufpunkt, um nach dem Hauptquartier der Schwarzen Philosophen zu suchen. Sie nannten es das „Schwarze Kloster“ und es befand sich irgendwo in Neepal; das hatte Aruula den Erinnerungen des Schwarzen Philosophen Bhimsen entrissen.
Juefaan hatte es sich angewöhnt, auf der langen Reise Selbstgespräche zu führen. Das vertrieb nicht nur die Einsamkeit und die Langeweile ein wenig, es half auch, die Gedanken zu ordnen. Tatsächlich unternahm er diesen Höllentrip nur aus dem einen Grund, seiner großen Liebe Jaira zu helfen.
„Du kannst dich auf mich verlassen, Jaira“, sagte er. „Wenn ich die Schwarzen Philosophen erst gefunden habe, werde ich das Mittel gegen den Hirnparasiten notfalls aus ihnen heraus prügeln.“
In Britana hatte der Statthalter der Schwarzen Philosophen Jaira zu einem „Maulwurf“ gemacht, um das Versteck seines Vaters Rulfan aufzuspüren und zu zerstören. Der Parasit, den er ihr dazu ins Gehirn gepflanzt hatte, ließ sich mit ihren beschränkten Mitteln nicht entfernen. Ihm war keine andere Wahl geblieben, als mit Hilfe seines Symbionten Jairas Gedächtnis zu löschen, sodass sie sich nicht mehr an ihre Freunde und Herkunft erinnerte – und somit auch nicht mehr an ihn.1)
Mit der aufsteigenden Wut, die er empfand, als er an jenen schicksalhaften Tag zurückdachte, drückte Juefaan stärker aufs Gaspedal. Der Motor heulte auf.
Er hatte sich Matt Drax und Aruula angeschlossen, als die beiden aufbrachen, um sich den Schwarzen Philosophen zu stellen. Diese unheimlichen Feinde und Artefaktsammler in ihren orangefarbenen Kutten hatten den Hirnparasiten gezüchtet; sie würden auch ein Mittel kennen, ihn wieder zu entfernen.
Seit Marseii war er allein unterwegs, weil Matt und Aruula nach Meeraka übergesetzt hatten. Dort in Waashton drohte Ende Mai ein weiterer Statthalter die Macht zu übernehmen: ihr alter Erzfeind Jacob Smythe. Oder zumindest seine Roboter-Version.
Wie es ihnen wohl ergangen war? Der Memorial Day, der „Stichtag“ des Statthalters, stand kurz bevor: am 31. Mai. Ob sie Smythe schon aufgespürt und außer Gefecht gesetzt hatten? Juefaan hoffte, dass sie es gesund und unversehrt nach Neepal schaffen und dort wieder zu ihm stoßen würden. Ihn zu finden war kein Problem: Der Symbiont, den er in einer Brusttasche bei sich trug, konnte mit Matts Artefaktscanner angepeilt werden.
Juefaan schaute durch die Frontscheibe zum Himmel. Es dämmerte bereits. Möglicherweise schaffte er es vor Einbruch der Dunkelheit nicht mehr bis zur nächsten Ansiedlung. Bei Nacht durch die Berge zu fahren, war zu gefährlich.
Ein Blick auf die Tankanzeige: Sie stand unter einem Drittel; es wurde langsam Zeit, Sprit nachzufüllen. Zu dumm, dass der Transporter über einen primitiven Verbrennungsmotor verfügte und nicht über einen Reaktor. Deswegen hatte er in den letzten Wochen schon einige Umwege über größere Städte fahren müssen, denn Benzin war rar in dieser postapokalyptischen Welt.
Links der Straße ragte eine senkrecht abfallende schroffe Steilwand in den Himmel, rechts ein mit Büschen karg bewachsener Geröllhang.
Da ertönte plötzlich ein Geräusch wie grollender Donner. Juefaan zuckte zusammen. Er hatte keine Gewitterwolken am Himmel ausmachen können.
Ein kopfgroßer Stein schlug vor dem Transporter auf die Straße, hüpfte seitlich weg und krachte gegen die Felswand zur Linken. Juefaan stieß einen Fluch aus, als weitere Steine auf die Straße und auf das Metalldach des Transporters prasselten. Instinktiv trat er auf die Bremse, rutschte auf dem Geröll aber weiter. Der Transporter wurde durchgeschüttelt, als er über einige größere Steine holperte, und geriet außer Kontrolle. Juefaan konnte nicht verhindern, dass er sich querstellte.
Entsetzt blickte der junge Mann direkt auf den Hang. Der halbe Berg schien sich in Bewegung gesetzt zu haben. Eine gewaltige Gerölllawine kam ihm entgegen! Er schrie auf und riss instinktiv die Arme vors Gesicht, als ein Stein die Frontscheibe traf.
Es krachte laut, aber die Scheibe hielt. Auch die nächsten Brocken, die auf die Kühlerhaube knallten, hinterließen lediglich kleine Dellen.
Dann war es vorbei. Juefaan atmete tief durch und lauschte dem Rauschen des Blutes in seinen Ohren. Dann öffnete er die Fahrertür und sprang auf die Straße. Jetzt erst sah er das wirkliche Ausmaß der Gerölllawine. Sie war nicht annähernd so groß gewesen, wie im ersten Moment angenommen. Trotzdem hatte sie ihn erst mal lahmgelegt.
„Verfluchter Mist!“ Er schaute besorgt nach oben, aber aus dem Steilhang kamen keine weiteren Steine nach. „Musste das ausgerechtet jetzt passieren? Hätte das nicht noch eine Minute Zeit gehabt?“
Er ging um den Transporter herum, öffnete die hintere Tür und schaute in die Mannschaftskabine. Dort war das Interieur durcheinander gewürfelt worden, aber das war nicht schlimm. Draußen sah es weniger vorteilhaft aus. Dutzende größerer Felsbrocken blockierten über eine Breite von etwa dreißig Metern vor und hinter dem Transporter die Straße. Einige hatten sich sogar unter dem Fahrzeug verkeilt. Selbst wenn es keine größeren Schäden gegeben haben sollte, würde es lange dauern, sie aus dem Weg zu räumen.
„Das gibt Arbeit. Packen wir’s an, wie Maddrax immer sagt. Wudan sei Dank muss ich die Steine nur in eine Richtung abarbeiten.“
Juefaan ging ein Stück die Straße entlang, um die Lage zu sondieren, und blickte dabei immer wieder skeptisch den Steilhang hoch. Dann blieb er abrupt stehen. „Was ist denn das?“
Was die Felsen zuvor verborgen hatte, sah er deutlich aus diesem Blickwinkel: Weiter oben am Hang war eine massive Holzwand errichtet worden, deren Mittelteil heruntergeklappt war. Wie ein … Barriere?
Juefaan spürte plötzlich ein Kribbeln am ganzen Körper. Sein siebter Sinn schlug Alarm. Eine Falle?
Er kniff die Augen zusammen und ließ den Blick wandern, doch da war nichts, keine Bewegung.
Aber das hieß nicht viel. Es war sicherer, zum Transporter zurück zu –
Ein Steinchen löste sich irgendwo und kullerte den Hang herunter. Und jetzt nahm Juefaan aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahr. Er fuhr herum. Etwas verschwand hinter einem Felsen über ihm, wie ein Schatten.
Ein Geruch stieg ihm in die Nase, der das Kribbeln noch verstärkte.
Taratzen!
Als wäre der Gedanke ein Signal gewesen, sprangen unvermittelt zwei der Riesenratten auf einen Felsen, fauchten sie zu ihm herunter und entblößten dabei ihre mächtigen Raubtiergebisse. Die borstigen grauen Haare standen im Nacken wie Nadeln ab. Juefaan blickte in tückische rote Augen.
Weitere Taratzen kamen hinter Felsen hervor. Fauchend und zischend näherten sie sich ihm. Juefaan zählte ein gutes Dutzend. Einige waren dichter als er am Transporter dran; er würde es nicht unbehelligt dorthin schaffen.
Die zwei, die ihm am nächsten waren, griffen an! Er konnte ihre Gier förmlich riechen. Das vordere Biest machte sich bereit zum Sprung.
Juefaan handelte. Auf seinen Gedankenbefehl hin floss der Symbiont aus dem Brustbeutel über seinen Oberkörper und bildete lange dünne Tentakel aus. Drei davon peitschten durch die Luft und erwischten die Taratze noch im Sprung. Sie schlangen sich um ihren Hals und rissen sie seitlich weg.
Kreischend landete das Biest auf dem Rücken. Blitzschnell war Juefaan über ihm. Während sich ein weiterer Tentakel um dessen Schnauze wickelte, packte er den Kopf der Riesenratte und riss ihn mit einem Ruck herum. Es knackte, als das Genick brach. Die Taratze erschlaffte sofort.
Da war die zweite heran und warf sich auf ihn. Dieses Mal stieß Juefaan die Rechte vor. Der Symbiont bildete als Verlängerung seines Armes eine Art Lanze aus. Sie traf die Riesenratte mitten in die Brust. Der Ruck erfolgte während des Sprungs. Der Symbiont schnellte zurück, die Taratze fiel leblos zu Boden.
Nun gab es für die restlichen Bestien kein Halten mehr. Sie stürmten den Hang herab. Juefaan trat den Rückzug an. Einige der Taratzen scherten aus der Angriffsphalanx aus, um sich auf ihre toten Artgenossen zu stürzten und sie zu zerfetzen. Aber das entspannte die Lage nicht wirklich.
Während Juefaan die Straße entlang ragte, erhob sich oben, in der Nähe der Barriere, plötzlich eine riesige Gestalt. Ebenfalls eine Taratze, kein Zweifel.
Juefaan hatte noch nie einen der seltenen Taratzenkönige gesehen. Nur wenige Sippen wurden von einem geführt. Er kannte diese intelligenten Monster, die sogar die menschliche Sprache imitieren konnten, bisher nur aus Matts und Aruulas Erzählungen. Dass einer von ihnen den Angriff leitete, machte ihm Sorgen.
Dann waren die nächsten Angreifer heran und versuchten ihm den Weg zum Transporter abzuschneiden! Juefaans Bein kam hoch und krachte in den Unterleib der einen Taratze, während der Symbiont einen Tentakel ausbildete und ihn ins Auge der anderen stach. Im nächsten Moment erwischte die erste Riesenratte ihn mit ihrer Pranke am Bein. Schmerz zuckte hoch bis zur Hüfte.
Juefaan biss die Zähne zusammen und rannte weiter, ließ eine weitere Taratze ins Leere laufen und langte schließlich beim Transporter an. Er riss die hintere Tür zur Mannschaftskabine auf und sprang hinein. Als er sie von innen zuzog, war die nächste Taratze heran und langte herein. Sie brüllte auf, als ihre Finger von der Metallkante abgetrennt wurden. Die Tür rastete ein. Keuchend verriegelte Juefaan die Tür von innen, dann setzte sich auf eine der Bänke.
Die Außengeräusche drangen nur dumpf an sein Ohr, als hätte jemand eine Glasglocke über ihn gestülpt. Angenehmer wurden das Kratzen von Klauen auf der Metallpanzerung und das ständige Kreischen dadurch nicht.
Die Taratzen warfen Felsbrocken auf den Transporter. Dann rüttelte etwas mit Urgewalt an der Tür. Der Taratzenkönig? Juefaan sprang auf und starrte mit bangem Blick auf den Riegel. Er hielt.
Schlagartig brachen alle Geräusche ab. Stattdessen hörte Juefaan eine zischende Stimme, die die Menschensprache nachzuahmen schien; verstehen konnte er die Worte allerdings nicht. Als er nicht reagierte, ging das Bombardement weiter.
Hoffentlich werfen sie das Fahrzeug nicht um, dachte Juefaan. Doch das geschah nicht. Stattdessen setzte sich der Psychoterror nahtlos fort. Die Taratzen bearbeiteten das Fahrzeug weiter, angetrieben von ihrem König.
Die haben mich ganz schön am Arsch, dachte Juefaan. Ich sitze in der Falle. Und diese Biester müssen nur abwarten, bis mir das Wasser ausgeht …
„Das ist enttäuschend“, sagte Haruun und schaute auf seinen Freund Nadd hinunter. „Noch immer kein Jagdglück. Lass uns eine Pause machen, ja? Ich trage dir ein Lied vor.“
Nadd, der seinem hünenhaften und muskulösen Begleiter gerade bis zur Brust reichte, legte seine Schnellfeuer-Armbrust zu Boden, stemmte die Fäuste in die Hüften, kniff ein Auge zusammen und fixierte Haruun, indem er seinen Kopf in den Nacken legte. „Ich kann’s ohnehin nicht verhindern, oder?“
„Du hörst meine Lieder doch gern“, sagte Haruun.
„Wie komme ich nur darauf? Aber gut, dann leg mal los. Hier gibt’s ohnehin nichts mehr, was du verscheuchen könntest.“
Haruun lehnte seinen Kampfstock an einen Felsblock und nahm die Sarangi vom Rücken. Er setzte sich im Schneidersitz auf den Boden, drückte das Musikinstrument an seine linke Schulter, schaute einen Moment sinnend über die Bergrücken und ließ den Bogen dann mit einer schwungvollen Bewegung über die Saiten aus Mauler-Darm gleiten. Die bearbeitete er gleichzeitig mit seinen Fingern, die er flink darüber huschen ließ, und sang dazu die pakistaanische Ballade vom Jäger, der ein Deer verschont, das sich als verzauberte Prinzessin entpuppt.
Sein Gesang war nicht einmal übel, und das Instrument beherrschte er meisterlich. Er wusste, dass Nadd ihn mit seinen Sticheleien nur aufzog.
Da unterbrach ein Geräusch seinen Vortrag. Laut genug, um ihn zu übertönen. Erstaunt hielt er inne. „Hörst du das, Nadd?“
„Obwohl ich halb taub von deinem Gesang bin, ja.“ Nadd grinste. „Hört sich nach einem Erdrutsch an. Nichts Dramatisches also, es hat schließlich die letzten Tage geregnet.“
„Schauen wir trotzdem mal nach.“
„Wenn du dabei nicht weiter singst, gern.“ Nadd grinste bis über beide Ohren.
Haruun hängte sich die Sarangi wieder über den Rücken und nahm seinen Kampfstock. Dann stiegen sie zur nächsten Hügelkuppe auf und schauten darüber hinweg.
Haruun erstarrte. Gut vier Bolzenschusslängen vor ihnen erstreckte sich ein felsiger Steilhang, der auf die alte Handelsstraße nach Derzakaan2) abfiel. Der ganze Hang wimmelte nur so von Taratzen! Sie verbargen sich hinter den Felsen und belauerten ein riesiges Fahrzeug, das schräg auf der Straße stand und ganz offensichtlich in einen Steinschlag geraten war. Der hintere Teil des Gefährts berührte die gegenüberliegende Steilwand.
„Jetzt wissen wir, wer das Wild vertrieben hat“, murmelte Nadd. „Ein Taratzenrudel. Und was für ein großes. Es muss neu in der Gegend sein.“
„Ja“, brummte Haruun, „zwei Sommer lang war unsere Heimat taratzenfrei. Dass das nicht ewig anhalten würde, war klar.“ Er runzelte die Stirn. „Aber schau: Die Taratzen haben die alte Steinschlagfalle der Talabaan genutzt. So intelligent sind die Viecher normalerweise nicht. Kann es sein …“
Er unterbrach sich, als sich die hintere Tür des Fahrzeugs öffnete. Ein Mann stieg aus. Soweit Haruun sehen konnte, war er recht jung, groß und kräftig. Er schaute sich um und schüttelte den Kopf. Dann entfernte er sich von seinem Wagen.
„Oh-oh“, sagte Nadd. „Wenn da nicht noch mehr Männer aussteigen, bis an die Zähne bewaffnet, sehe ich schwarz für den Burschen. Die Taratzen werden ihn zerreißen.“
Es kamen keine weiteren Männer.
„Sollen wir ihn warnen?“, fragte Haruun.
Nadd blickte ihn an, als hätte er nicht mehr alle Saiten auf der Geige. „Bist du verrückt? Dann fallen sie über uns her!“
Der junge Mann ging die Straße entlang. Aus seinem Blickwinkel konnte er die lauernden Taratzen nicht sehen, in die jetzt Bewegung kam. Sie machten sich zum Angriff bereit. Der Fremde verharrte und sah sich um. Er schien Lunte gerochen zu haben. Oder den Gestank der Riesenratten.
„Das kriegt er alleine nicht hin“, drängte Haruun. „Wir müssen ihm beistehen!“
Nadd überprüfte das Zwanzigermagazin seiner Armbrust. „Ein gutes Dutzend könnte ich erledigen – aber dann bleibt mir keine Zeit, das Magazin aufzufüllen. Traust du dir den Rest zu?“
Haruun hob den Kopf ein wenig weiter über die Deckung. Von hier aus konnte er mindestens dreißig Taratzen erkennen; vermutlich waren es noch mehr. Er schüttelte den Kopf. „Es sind zu viele. Wir müssen mit Köpfchen vorgehen. Lass mich überlegen …“
„Überleg schnell. Ich glaube, die starten jeden Moment ihren Angriff!“
Er hatte es kaum ausgesprochen, da sprangen die ersten Riesenratten aus ihren Verstecken und präsentierten sich fauchend und mit gesträubtem Fell ihrem Opfer.
Der Fremde hatte sich schon zu weit von seinem Fahrzeug entfernt, um den Rückweg zu schaffen – aber er war nicht annähernd so hilflos, wie es zuerst den Anschein hatte.
Die ersten beiden Graupelze, die ihn ansprangen, tötete er nahezu mühelos.
„Er ist geschickt. Ein großer Kämpfer. Aber ich kann nicht erkennen, welcher Art seine Waffe ist.“ Nadds Augen verfolgten das Geschehen mit fiebrigem Glanz. „Ein Held nach meinem Geschmack. Doch gegen die Übermacht hat er keine Chance.“
„Das weiß er auch. Er rennt zum Wagen zurück.“