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Erste Hinweise auf Xaana haben Matt und Aruula ja bereits gefunden; nun können sie sogar nachlesen, was ihr in Toxx widerfahren ist. Offenbar schloss sie sich einem Händler an - und verkaufte ihren Schutzanzug. Hat sie also in der Zwischenzeit ihr Leben auf der Erde gänzlich vergessen?
Die Tagebucheinträge brechen ab, als sich Xaana in das "Bzzwarag" im Zentrum einer Art Müllhalde aufmachte. Was ist dort geschehen? Befindet sie sich immer noch dort? Matt und Aruula folgen ihr ins Ungewisse...
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Seitenzahl: 156
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Xaanas Weg
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BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Lektorat: Michael Schönenbröcher
Titelbild: Koveck und Néstor Taylor, Agentur Ortega
Autor: Jana Paradigi
E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-1300-0
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Am 8. Februar 2012 trifft der Komet „Christopher-Floyd“ die Erde – in Wahrheit eine Arche Außerirdischer, der Daa’muren. Die Erdachse verschiebt sich und ein Leichentuch aus Staub legt sich für Jahrhunderte um den Planeten. Nach der Eiszeit bevölkern Mutationen die Länder und die Menschheit ist – bis auf die Bunkerbewohner – degeneriert. In dieses Szenario verschlägt es den Piloten Matthew Drax, dessen Staffel beim Einschlag durch ein Zeitphänomen ins Jahr 2516 gerät. Nach dem Absturz wird er von Barbaren gerettet, die ihn „Maddrax“ nennen. Zusammen mit der telepathisch begabten Kriegerin Aruula erkundet er diese für ihn so fremde Erde. Bis sie beide durch ein Wurmloch, das sich im Forschungszentrum CERN gebildet hat, auf eine fremde Welt versetzt werden: auf einen von zwanzig Monden um einen Ringplaneten.
Sie finden sich auf dem Mond Terminus wieder. Doch wer hat sie hierher gebracht, zu welchem Zweck? Und sind auch Xaana und Jacob Smythe, Matts Erzfeind, die zuvor durch das Wurmloch gingen, hier gelandet? Sie machen sich zu einer Stadt auf und werden von Fremdwesen überfallen, die Markierungen von ihren Fingernägeln entfernen, mit denen die „Friedenswahrer“, die Herren der Stadt Toxx, alle Neuankömmlinge überwachen. Kaum überqueren sie die Stadtgrenze, können sie die Fremden verstehen: Über Toxx liegt ein Strahlungsfeld, das alle Sprachen übersetzt – und gleichzeitig dafür sorgt, dass man sein früheres Leben vergisst! Dass die Schutzanzüge, die sie vor den Auswirkungen des Wurmlochs bewahrt haben, auch vor dieser Strahlung schützen, erfahren die beiden, als sie Kra’rarr treffen, die Xaanas Anzug besitzt. Die Tochter von Matts Freundin Xij war also tatsächlich hier.
Die Banditen entpuppen sich als Rebellen, die den technisch hochstehenden Herren möglichst viele Neuzugänge entziehen. Denn obwohl in Toxx Frieden herrscht, sind deren Methoden unmenschlich: Immer wieder werden Leute abgeholt und kehren mit gelöschten Persönlichkeiten zurück.
Matt will mehr über diese Herren erfahren, die in einem Turm im Zentrum der 10-Millionen-Stadt residieren sollen. Doch da heben die Friedenswahrer das Rebellennest aus. Matt und Aruula können sich retten; später treffen sie auf den Rebellenchef Barr, der ebenfalls entkam und ihnen eröffnet, dass ihre Anzüge an die Tauchergilde verkauft wurden. Sie leihen sich von Kra’rarr Xaanas Anzug aus – wobei Aruula einen neugeborenen Schnurrer von der Wolfsfrau adoptiert – und holen sich ihre eigenen bei einem Tauchgang zurück. Dabei werden sie von einem Spion in Diensten einer grauen Eminenz namens „Hochwürden“ beobachtet. Der Religionsgründer will die beiden unterstützen, solange sie die Friedenswahrer von seinen eigenen Aktivitäten ablenken. Sein Spion M’Nemar hat Aruulas Schnurrer einen Chip implantiert, der alles aufnimmt, was sie und Matt tun und reden. So erfährt er auch, dass sie von einer Rasse als Vermittler gerufen werden, die in einem Bergwerk um ihren Nachwuchs bangt, weil Forscher auf der Suche nach „vergessenen Büchern“ deren Geburtskugeln zerstören. Als Dank für ihre Hilfe händigt man Matt Xaanas Tagebuch aus, das ebenfalls den Weg in die Bibliothek gefunden hat. Darin finden sie einen Hinweis auf den „Bzzwarag“ …
Xaanas Weg
von Jana Paradigi
Staunend ging Xaana durch die Straßen der fremden Stadt und wusste kaum, wohin sie zuerst blicken sollte. Zwischen den Wohnhäusern, Läden und Tavernen herrschte geschäftiges Treiben. Als sie wie unter einem hypnotischen Zwang durch das Wurmloch gegangen war – in einer Schienenbahn, wie die Archivare sie benutzten – , hatte sie niemals damit gerechnet, in einem intergalaktischen Schmelztiegel zu laden. Sie war mitten in der Nacht draußen vor der Stadt angekommen und den Lichtern gefolgt. Noch immer fühlte sie sich benommen und fragte sich, ob das ein Traum oder die Wirklichkeit war.
Während Xaana einer Gestalt mit Wildschweinhauern nachstarrte, rempelte sie jemand von der Seite an. Eine Kreatur mit quietschgelbem Kanarienvogelkopf stopfte Xaana hastig etwas in den Helm unter ihrem Arm und eilte dann weiter.
„Hey, du!“, rief Xaana. Doch da hatte sich das wendige Wesen schon zwischen zwei Dreibeinern hindurchgewunden und war hinter einem Marktkarren verschwunden. Und das nicht, weil es sie nicht verstanden hätte. Wundersamerweise benutzten alle hier dieselbe Sprache. Da Xaana nicht annahm, dass Englisch derart universell war, vermutete sie, dass die Sprachen spezifisch für jeden Bewohner übersetzt wurden.
Irritiert wollte sie nachsehen, was sie da so unverhofft als Begrüßungsgeschenk erhalten hatte, als aus der anderen Richtung ein Rumpeln und Stampfen erklang, gefolgt von einer Stimme, die völlig außer Atem brüllte: „Haltet den Lump! Packt diesen Sohn einer zitzenlosen Neshobbaranze und bringt ihn mir! Ich werde ihn zerquetschen!“
Die Umstehenden stoben auseinander. Xaana sah einen feisten Sack auf sich zu kommen. Und „Sack“ war nicht mal sinnbildlich gemeint. Der Schreihals sah tatsächlich wie ein unförmiger, zwei Meter hoher wie breiter Jutesack aus, den man mit einer Wagenladung Kartoffeln gefüllt hatte. Falls er Beine oder auch nur Füße besaß, so hatte er sie wohl noch nie zu Gesicht bekommen. Dürre knollige Äste, die links und rechts aus der schwulstigen Hüfte herausragten, bildeten die Arme.
„Los doch! Packt ihn endlich!“, krakelte der Sack. Er streckte einen seiner knorrigen Finger aus, und obwohl er direkt auf Xaana zusteuerte, begriff sie zu langsam. Er hatte auf sie gezeigt. Nicht etwa an ihr vorbei, sondern direkt auf sie!
In einem Reflex drückte Xaana den Helm mit der Öffnung gegen ihren Oberkörper und sah sich nach einem Fluchtweg um, doch es war zu spät. Eine ganze Schar kleinerer und schlankerer Sackmännchen kämpfte sich durch die Reihen der Schaulustigen und hatte sie in der nächsten Sekunde umzingelt.
Wahrscheinlich hätte es nur einiger kräftiger Tritte bedurft, um sich einen Pfad zu bahnen. Aber das schien Xaana nicht die richtige Art und Weise, sich in einer neuen Stadt und auf einem unbekannten Mond mit den Einwohnern bekannt zu machen. Also atmete sie tief durch, straffte die Schultern, packte mit beiden Händen den Helm und hielt ihn dem herannahenden Sackgesicht entgegen. „Euer Dieb hat auf seiner Flucht das hier bei mir abgeladen.“
Da sie nicht sicher sein konnte, dass das Übersetzungswunder auch in der Gegenrichtung funktionierte, bemühte sie sich, ihren Tonfall so freundlich, unschuldig und harmlos wie nur möglich klingen zu lassen. „Er ist an mir vorbei und dann hinter dem nächsten Karren verschwunden.“
„Dir hat ein Angstfurz wohl den Verstand vernebelt!“, gab der Kartoffelsack zurück und rumpelte näher. „Glaubst wohl, du könntest mir was vormachen. Denkst, du könntest einen Mink einstecken und den anderen zurückgeben und damit deiner Strafe entgegen? Aber so einfach geht das nicht. Die da oben vergeben nicht und ich auch nicht!“
Sein Arm schnellte vor. Vielleicht wollte er nur nach dem kugeligen Etwas greifen, das er Mink genannt hatte, doch Xaana wich instinktiv zurück und zog ihm so den Helm direkt unter der Hand weg.
Ihr Gegenüber blähte vor Wut die Backen und ließ ein alarmierendes Pfeifen hören. Seine Gefolgsmännchen und das restliche Publikum stimmten empört und gestikulierend mit ein.
Xaana versuchte ernst zu bleiben, doch die Szene kam ihr einfach zu skurril vor. War sie vielleicht gar nicht in einer anderen Welt, sondern immer noch im CERN? Hatte der Anzug am Ende nicht funktioniert und sie war durch die lebensbedrohliche Strahlung ins Koma gefallen? Wenn ja, bot ihre Nahtoderfahrung mehr Unterhaltungswert, als sie sich hätte erträumen lassen.
Daheim bei den Archivaren in der Domäne hatte ihr Vater nicht immer unterscheiden können, ob seine seelischen Zeitensprünge echt oder nur eine Erschöpfungsvision gewesen waren; oder hatte es zumindest behauptet.
Bei den Simulations-Spielen, in denen sie durch die vergangene Welt ihrer Mutter gewandelt war, hatte es auch bei ihr selbst Momente gegeben, in denen sie Gefahr gelaufen war, den Anker zur Realität zu verlieren. Damals hatte eine handfeste physische Erfahrung geholfen.
Als der Kartoffelsack ihr seine Fingeräste ins Gesicht schlug und der Schmerz aufflammte, wusste sie es auch diesmal. Das alles war kein Traum. Schlimmer noch. Auf diese Welt hatte man sie nicht vorbereitet. Hier gab es niemanden, zu dem sie sich flüchten konnte.
„Gib mir meine Minks oder ich zerre dich vor den Strafkünder!“, rief das Monstrum.
Immerhin eine Gesellschaft, die nicht gleich auf Lynchjustiz setzt, dachte Xaana und bemühte sich um eine etwas demütigere Haltung. Sie senkte den Kopf, griff langsam mit der Linken in ihren Helm, hob die schuppige Kugel heraus und überreichte sie. „Der Dieb hat wirklich nur das bei mir gelassen.“
„Du hast den Mink. Du bist der Dieb“, ereiferte sich eines der kleineren Sackmännchen und der Rest pflichtete ihm im Chor bei. Das schien sich auch das Sackgesicht zu denken. Er rief seiner Truppe ein paar Kommandos zu und Xaana wurde ohne weitere Diskussion vorwärts getrieben.
Immer mehr Schaulustige folgten dem Tross, und als würde der Himmel ebenfalls seinen Groll kundtun wollen, erschien wie aus dem Nichts ein Schatten über der Straße. Xaanas Eskorte und auch alle anderen Umstehenden duckten sich. Einige hoben abwehrend die Hände. Andere wimmerten angsterfüllt.
Xaana glaubte bereits an eine neuerliche Chance zu fliehen, doch so schnell, wie der Schatten aufgetaucht war, so schnell huschte er weiter; suchend, so schien es ihr, bis er schließlich zur Erde niederfuhr und gleich darauf gen Himmel verschwand.
Die Leute rappelten sich auf, und besonders die Sackmännchen hatten es nun umso eiliger. Sie schoben und schubsten Xaana im Laufschritt weiter.
Nach einer Weile wichen die Häuserfronten zu beiden Seiten zurück und gaben den Blick auf einen großen Platz frei – offenbar das Handelszentrum dieser Stadt oder zumindest dieses Viertels.
Trotz der misslichen Lage kam Xaana nicht umhin, abermals über diese Welt zu staunen. Die Häuser wirkten so filigran, geradezu papieren, und waren doch zwei Stockwerke hoch. Kleine verschnörkelte Fenster wechselten sich mit schlichten Rechtecken ab. Es gab Eingangstüren, die für Giganten gemacht zu sein schienen, und gleich nebenan solche, die höchstens einem armlangen Bewohner Einlass gewährt hätten.
In den sandigen Boden waren Steinmarkierungen eingelassen, nach denen sich die Händler mit ihren Karren, Wagen und Verkaufsständen ausrichteten – immer in Ringen um die Mitte. Dort im Herz des Treibens hatte man ein kniehohes, fünf auf fünf Meter großes Podest errichtet, auf dem wiederum ein übergroßer Holzzuber stand. Und genau dahin wurde Xaana gebracht.
Erst meinte sie, es würde sich eine Pflanze darin befinden. Doch aus der Nähe erkannte sie, dass es sich um ein Schneckenwesen handelte, das an den meisten Stellen mit orangefarbenen Korallen überwuchert war. Dabei beeilten sich emsigen Bediensteten, den kuriosen Körperschmuck beständig mit Wasser zu begießen.
Der Wannenrand war mit allerlei Krabbeltierchen besetzt, und selbst im Wasser wimmelte es von glitschigen Körpern.
„Wir wünschen den großen Ta’Chunga zu sprechen“, sagte der Kartoffelsack und deutete eine Verbeugung an.
„Und wer ist dieses ‚wir‘?“, kam die prompte Antwort aus der Wanne. Die Riesenschnecke sprach näselnd, aber mit melodischem Singsang in der Stimme.
„Ich bin das Oberhaupt der Chumanii-Familie. Ein ehrwürdiger Mink-Meister – das werden Euch alle im Viertel bestätigen. Doch diese elende Diebeskreatur hat mich am heutigen Tage an den Rand des Ruins gebracht! Bestohlen hat sie mich – so heimtückisch, dass es an ein Wunder grenzt, dass die Friedenswahrer sie nicht schon an Ort und Stelle gestraft haben!“
So viel Redegewandtheit hätte Xaana dem feisten Sack gar nicht zugetraut. Aber das konnte sie auch! Entschlossen schob sie zwei ihrer kleinen Bewacher beiseite und trat einen Schritt vor. „Die Anschuldigungen könnten kaum falscher sein, denn ohne mein …“ Weiter kam sie nicht.
Der große Ta’Chunga hatte mit einem Armlappen eine Art Seestern vom Wannenrand gezogen und ihr zielsicher mitten auf den Mund geklatscht. „Du hast die Rolle des Schweigens. Also erfülle sie, gut?“
Nichts war gut! Als Xaana den Stachelhäuter zu lösen versuchte, fühlte sie förmlich, wie sich die Noppen fester saugten. Daher entschied sie, dass es wohl klüger war, noch eine Weile auf die passende Gelegenheit zu warten, um auch ihren Standpunkt zu erläutern.
Das Sackmonstrum palaverte weiter über die Bedeutung seiner Arbeit und den zu erwartenden gesellschaftlichen Zusammenbruch, wenn durch die Mink-Verluste die Preise für Leuchtsekret in die Höhe schnellten.
„Es wird Chaos in den Straßen herrschen, wenn sich nur noch die Wohlhabenden eine Beleuchtung ihrer Heime leisten können!“, mahnte er abschließend mit prophetisch erhobenen Armen.
Der Strafkünder zupfte sich wenig beeindruckt eine Seepocke von der Schulter, drehte sie prüfend zwischen den Fingern, warf sie sich in den Mund und wandte sich schließlich Xaana zu. „Jetzt ist es an dir zu sprechen.“
Diesmal ließ sich der Stachelknebel ohne Widerstand lösen. Xaana spukte zur Seite aus und sagte dann: „Ich war das nicht! Ich bin doch gerade erst hier angekommen. Woher hätte ich wissen sollen, was ein Mink ist? Außerdem gibt es doch genügend Zeugen, die mitbekommen haben, wie der Kanarie an mir vorbei gelaufen ist.“
„Zeugen“, wiederholte der Strafkünder, als müsste er über das Wort nachdenken. „Ah, ja. Zuschauer sollen sich melden, gut.“
„Wir haben’s gesehen“, tönten die Sackmännchen. „Der Gelbschopf hat’s gestohlen!“
„Ganz genau“, bekräftigte Xaana. „Der Dieb hat einen kanariengelben Vogelkopf!“
Ta’Chunga zwinkerte ein paar Mal, beugte sich dann in seiner Wanne vor und betrachtete sie eine ganze Weile stumm, während Xaana seinem Blick standhielt. Ein Krebstierchen wanderte den Korallenschmuck entlang, hoch zum Kopf, verlief sich in den Regionen, die wohl so etwas wie Nasenlöcher verdeckten, und verschwand schließlich in einem der Krater, aus denen die Stielaugen wuchsen.
Als der Strafkünder seine Gedanken schließlich sortiert hatte, lehnte er sich zurück und verkündete: „Ein Geständnis des Gelbschopfs, gut. Und die Hälfte der Beute hat er auch herausgegeben.“
Xaana begriff erst nach einigen Sekunden, dass sie gemeint war. „Moment mal!“, begehrte sie auf. „Ich bin doch kein Kanarienvogel! Das sind blonde Haare, keine Federn!“
Doch der Strafkünder ignorierte ihren Ausbruch. „Damit hat der Gelbschof seine Strafe abgemildert“, meinte er und schenkte Xaana ein aufmunterndes Lächeln. „Nur hundert Tages-Obligate, gut?“
Aber der Sack schien mit diesem Urteil nicht zufrieden. „Und wenn sie sich wieder einen Mink schnappt?“
„Dann wird sie eben in Ketten bewacht“, ergänzte der Strafkünder nun schon eine Tonlage genervter.
Bevor noch jemand sprechen konnte, läutete er die Glocke über sich und tauchte in seiner Wanne unter, bis nur mehr seine Stielaugen zu sehen waren. Die Verhandlung war vorbei und das Urteil wurde sofort in die Tat umgesetzt. Einer von Ta’Chungas Wasserschöpfern stellte seinen Kübel ab, öffnete am Podestrand eine Truhe und winkte Xaana heran.
Doch sie dachte gar nicht daran, sich freiwillig in Ketten legen zu lassen. Mit Händen und Füßen strampelnd wurde sie nach vorne gezwungen. Das Wesen zog ihren Arm heran und schlang die Fessel um ihr Handgelenk. Erstaunlicherweise war sie kaum dicker als ein Bindfaden. Eine einfache, silbern glänzende Schnur. Doch als der Kartoffelsack das andere Ende überreicht bekam, ließ er sie mit einem kräftigen Ruck spüren, dass sie nun nach seiner Pfeife zu tanzen hatte.
Xaana war verurteilt. Zu was genau, konnte sie aus dem Gespräch nur erahnen. Sie vermutete, dass ein Obligat einem Tagessatz gleichkam. Ob nun in Form von Arbeit oder Geld, das würde sich wohl bald herausstellen.
Da stand sie also, hatte den Sprung durch ein Wurmloch überlebt, sich auf einem fremden Planeten bis zu einer erfreulich weit gediehenen Zivilisation vorgekämpft, nur um als Sklavin zu enden.
Wäre ihr Herr nicht ausgerechnet ein so widerwärtiges Monstrum, sie wäre vielleicht sogar froh gewesen, auf diese Weise erste Kontakte zu knüpfen und dabei eine Unterkunft und Verpflegung zu erhalten.
Die Aussicht auf ein enges Zusammenleben mit diesem Sackgesicht machte ihr dagegen ernsthaft Sorgen.
Matthew Drax blickte zum Himmel. Die Sonne dieses Systems sank an zwei der kleineren Monde vorbei dem Horizont entgegen. Wieder ging ein Tag zu Ende, an dem sie weder Xaana noch der Möglichkeit für eine Heimkehr auf die Erde näher gekommen waren.
Was teilweise daran lag, dass sie sich zu dem Ort durchfragen mussten, den Xaana in ihrem Tagebuch „Bzzwarag“ nannte. Die Einwohner von Toxx, die sie danach gefragt hatten, machten den Eindruck, als wollten oder dürften sie keine Auskünfte geben. Viele wandten sich fast empört ab oder scheuchten ihn und seine Begleiterin davon.
Immerhin wussten sie inzwischen, dass es sich um ein wenig geschätztes Stadtviertel handelte. Aber erst seit Aruula die unausgesprochene Antwort eines Wolfgesichts hatte erlauschen können, wussten sie zumindest die ungefähre Richtung, in der es lag.
Xijs Tochter musste einen wirklich guten Grund gehabt haben, um ausgerechnet dorthin zu gehen. Welcher das war, stand leider nicht in ihren Aufzeichnungen.
Es blieb eine Reise ins Ungewisse. Und weiterhin auch eine gefährliche. Denn es war nur wenige Tage her, dass man ihr Zimmer in einer Pension durchwühlt hatte.1) Die Tauchergilde wollte zurück, was Barr ihnen verkauft und Matt und Aruula zurückgestohlen hatten. Und dafür war Gewalt offenbar ein legitimes Mittel. Nur dank eines unbekannten Helfers, der die Verfolger betäubt hatte, hatten sie entkommen können.
Seither waren sie gleichzeitig auf der Suche und auf der Flucht. Um die Ausrüstung nicht wieder zu verlieren und so wenig wie möglich der Vergessens-Strahlung ausgesetzt zu sein, trugen Matt und Aruula die Anzüge Tag und Nacht.
Das erschwerte sowohl ihr Vorwärtskommen als auch jede Form der Unterhaltung, denn die Legierung des Anzugs hielt auch das Translatorfeld davon ab, die fremden Sprachen zu übersetzen.
Wie sie inzwischen herausgefunden hatten, war es relativ ungefährlich, sich für zwei, maximal zweieinhalb Stunden der Strahlung auszusetzen; erst danach begann sie bei Matt zu wirken. Aruula hielt länger durch, dank ihrer telepathischen Kräfte, mit denen sie einen Großteil der Wirkung kompensieren konnte. Dennoch achteten sie darauf, das Visier so oft wie möglich geschlossen zu halten. Auch wenn sie dann schreien mussten, um sich untereinander zu verständigen.
Daher tippte Matt seiner Gefährtin jetzt auf die Schulter und bedeutete ihr mit Handzeichen, dass er in eine Seitengasse abbiegen wollte. Die Kriegerin verstand und nickte.
Der Trubel auf den Hauptstraßen, der ihnen den Tag über Schutz geboten hatte, war merklich zurückgegangen. Die Händler packten ihre Waren zusammen, verstauten sie im Inneren ihrer Geschäfte und schlossen die Läden. Das fahrende Volk hievte Körbe und Kisten auf Karren, zurrte sie fest und versteckte das Hab und Gut unter Decken, Fellen und wetterfesten Planen.
Statt tratschender Grüppchen standen nur mehr vereinzelt Leute herum oder eilten vorbei. Es würde sicherer sein, sich bis zur Dunkelheit abseits zu halten und dabei gleich nach einem geeigneten Schlafplatz zu suchen.
Die gewählte Gasse verlief in einem Zickzackkurs parallel zur Hauptstraße. Die Häuser standen hier dicht aneinander gedrängt. Die Luft, die durch die Filter ins Innere der Anzüge drang, roch nach abgestandenem Blumenwasser – faulig und gleichzeitig duftig süß. Doch die großen und kleinen Vasen, die an jedem Eingang aufgereiht standen, waren zumeist leer.
Was hier als Dekoration oder Nahrung verkauft wurde, zählte auf den Marktplätzen sicherlich zur Ausschussware; aus dem Müll geklaubt oder gestohlen. Eine Zweiklassengesellschaft gibt es offenbar überall, dachte Matt.