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Exklusiv im E-Book - das dunkle Geheimnis von Prinz Darren
Die Geschichte spielt sich vor den Ereignissen von Band 1 MAGIC ACADEMY - DAS ERSTE JAHR ab und erzählt vom Aufwachsen Prinz Darrens sowie seiner ersten Begegnung mit Ryiah an der Akademie. Endlich wird die dunkle Vergangenheit von Darrens Familie enthüllt, die ihn zum vielversprechendsten Magier der Akademie machte ...
Die Bestseller-Reihe von Rachel E. Carter verwebt eine betörende Liebesgeschichte mit grandioser Action und schlagfertigen Figuren.
Alle Bände der "Magic Academy"-Reihe:
Magic Academy - Das erste Jahr (Band 1)
Magic Academy - Die Prüfung (Band 2)
Magic Academy - Die Kandidatin (Band 3)
Magic Academy - Der letzte Kampf (Band 4)
Magic Academy - Der dunkle Prinz (Prequel, nur als E-Book verfügbar)
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 169
© Luminis Studio 2017
DIE AUTORIN
Rachel E. Carter ist die USA-Today-Bestsellerautorin der Fantasy-Jugendbuchserie Magic Academy über Magie, Machtkämpfe und eine große Liebe. Kaffee zu horten gehört ebenso zu ihren Leidenschaften wie böse Jungs und Helden vom Typ Mr Darcy.
Von Rachel E. Carter sind außerdem bei cbj erschienen:
Magic Academy – Das erste Jahr (Band 1, 31170)
Magic Academy – Die Prüfung (Band 2, 31171)
Mehr über die Autorin unter rachelecarter.com
Mehr über cbj/cbt auch auf Instagram unter @hey_reader
Rachel E. Carter
MAGIC
ACADEMY
Der dunkle Prinz
Aus dem Amerikanischen von Britta Keil
Für meine Leser
Ihr wolltet mehr Darren und ich habe euren Wunsch erhört.
EINS
Der kleine Junge wuchs mit vielen Regeln auf. Die wichtigste Regel lautete, dass er der zweitgeborene Sohn war. Am Anfang wusste er noch nicht, was das zu bedeuten hatte, aber er fand es schnell heraus.
»Gebt ihm das Pferd, Eure Hoheit.« Die Amme zeigte auf einen Haufen alter Schachfiguren aus Holz. »Ihr könnt mit einer anderen Figur spielen.«
Jemand tippte ihm auf die Schulter. »Nein, Eure Hoheit, auf diesem Platz sitzt Euer Bruder.«
»Darren, du hast hinter Blayne herzulaufen, nicht vor ihm.«
Und schließlich:
»Wie oft habe ich es dir schon gesagt, mein Sohn? Du sollst den Mund halten, es sei denn, du wirst etwas gefragt!«
Sekunden später wurde dem Jungen schwarz vor Augen und ein brennender Schmerz schoss über seine Wange. Er fiel auf die Knie.
»Schweig, und überlass das Reden dem Thronerben!«
Wann immer Blayne und Darren zusammen auftauchten, wurde Darren wie Luft behandelt, denn es war sein älterer Bruder Blayne, der eines Tages die Krone tragen würde.
Die Amme brachte Blayne jeden Abend liebevoll zu Bett und verließ dann das Zimmer, ohne sich noch einmal umzudrehen. Die Diener kamen mit den leckersten Naschereien, aber sie schlugen Darrens Hand weg, wenn er zuerst danach griff. Alle Erwachsenen lächelten seinem Bruder Blayne zu, doch in Darrens Gegenwart verfielen sie in düsteres Schweigen.
Er war ein Niemand, selbst in den Augen seines Bruders. Er merkte es an der Art, wie Blayne die Gefälligkeiten der anderen annahm – als seien sie das Selbstverständlichste auf der Welt. Nicht ein einziges Mal gab er dem kleinen Bruder, der neben ihm saß, etwas ab, sondern behielt stets alles für sich. Das war für Darren das Schlimmste.
Und es verletzte ihn.
Also setzte er sich eines Tages auf die einzige Art zur Wehr, die ihm einfiel: mit den Fäusten.
Zur Strafe wurde er eine Woche lang in eine dunkle Kammer gesperrt. Damals war er erst vier Jahre alt, und später konnte er sich kaum noch an etwas erinnern – außer an diese Augen, gletschereisblau, als das Monster über ihn herfiel.
Sein ganzer Körper hatte gebrannt.
Aber er hatte seine Lektion gelernt. Von nun an prügelte er sich nur noch mit den Kindern der Diener, wenn die Wut ihn übermannte – mit größeren, älteren, kräftigeren Jungen. Sogar mit Mädchen. Ganz egal. Solange er Schläge austeilte und einsteckte und den metallischen Geschmack von warmem Blut auf der Zunge schmeckte, spürte er zumindest noch etwas anderes als nur den ziehenden Schmerz in seiner Brust. Wenn er sich prügelte, verstummte die leise Stimme in seinem Kopf, die ihm sagte, dass er ein Niemand war, ein jämmerlicher Taugenichts.
Manchmal ließ er seine Wut aber auch an den Büchern aus, die seine Lehrer ihm gaben. Er schaute gern dabei zu, wie sie brannten. Er träumte sogar davon, wie die orangefarbenen und gelben Flammen über die Seiten leckten. Feuer ließ sich nicht beherrschen, von nichts und niemandem. Flammen waren frei. Sie vernichteten die Worte anderer und verwandelten sie in Asche.
Und sie leuchteten hell, so hell.
Sie zogen seinen Blick magisch an.
Ein Lehrer, der ihn eines Tages beim Zündeln ertappte, rannte sofort zum König, und das Bücherverbrennen hatte ein Ende.
Danach schleuderte er Steine auf das Schlosstor. Als die Wachen ihn wegzerrten, richtete er seine Wut wieder gegen die anderen Kinder, und wenn keine Kinder in der Nähe waren, manchmal auch gegen sich selbst, indem er sich mit einer Klinge ins Fleisch schnitt.
Der Schmerz linderte die Wut.
Zwei Jahre vergingen, in denen sein Hass stetig weiterwuchs wie ein Eitergeschwür. Er war wie ein Gift, das von innen an ihm fraß.
Der Rest der Welt hatte nur Augen für die strahlende Sonne, die den Raum erleuchtete.
Den Schatten in der Ecke sah niemand.
Zweitgeboren – nichts anderes würde er jemals sein.
****
»W-wir da-danken euch …«
»Lauter, Blayne!«, schnaubte der Lehrer der beiden Prinzen ungeduldig. Seine näselnde Stimme war Darren inzwischen so vertraut wie seine eigene. Sie hörten sie jeden Tag fünf Stunden lang. »Ihr seid der zukünftige König von Jerar und kein Bauer.«
Darren schaute von seinem Platz aus zu, wie sein Bruder vorn auf dem Podium weiter herumstammelte, und unterdrückte ein Gähnen. Er hätte viel lieber heimlich die Soldaten in der Kaserne beobachtet oder mit einem Stock Kämpfen geübt und Ritter gespielt.
Dieser Unterricht langweilte ihn zu Tode, und das, obwohl es eine der seltenen Gelegenheiten war, seinen Bruder scheitern zu sehen.
Blayne kratzte sich am Arm, seine Wangen glühten. »W-w-wir sind hocherfreut über euer Erscheinen zu unserem alljährlichen Sonnenwendfest, mit dem sich euer König für eure treuen Dienste erkenntlich zeigen möchte.«
»Nicht so schüchtern!« Ihr Lehrer richtete unwirsch den Kragen seines weinroten Umhangs. »Steht gerade und schaut Euer Publikum gefälligst an, wenn Ihr zu ihm sprecht! Wer soll Euch denn ernst nehmen, wenn Ihr da vorne rumsteht wie ein buckliger, schlotternder Trottel!«
Der kleine Darren verbarg ein Grinsen. Ihr Hauslehrer war der Einzige, der es wagte, seinen Bruder zu kritisieren. Alle anderen taten immer so, als wäre Blayne ohne jeden Makel.
Der Kronprinz wiederholte zitternd die Worte, die auf dem Zettel standen, an den er sich die ganze Zeit klammerte.
Darren wusste genau, warum sein Bruder so nervös war. Er hatte gehört, was ihr Vater am Morgen zu ihm gesagt hatte: »Und diesmal hältst du deine Rede fehlerfrei!«
Dicke Schweißperlen glänzten auf Blaynes Stirn, als er die Schultern straffte und noch einmal von vorn begann.
In Augenblicken wie diesen war Darren ausnahmsweise mal froh, nur ein Schatten zu sein. Er brauchte nichts weiter zu tun, als dazusitzen und zu lächeln. Dabei konnte man nicht viel verkehrt machen.
Als ihr Hauslehrer mit Blaynes Rede zufrieden war, scheuchte er die Jungen in die Bibliothek.
Die Prinzen mussten wieder und wieder die Namen sämtlicher Adelsfamilien des Reiches herunterbeten und erklären, in welcher Beziehung sie zur Krone standen.
Darren hatte seine ganz eigenen Namen für Lord von Langli, der bei Tisch immer am liebsten über seine Besitztümer schwafelte, oder für Lady und Lord Havesh, denen es sichtlich Vergnügen bereitete, ihre Untergebenen zu quälen.
Darren fand, dass seine Namen viel besser zu diesen Leuten passten als die Namen, die in den Büchern standen. Mit seinem Stift ritzte er gern Bildchen von ihnen in die Seiten, malte ihnen Schwänze, viele Beine und ein Fell. Blayne beschwerte sich nie darüber. Ihm gefielen die Bilder. Einmal hatte er gesagt, sie zeigten die wahren Gesichter dieser Leute. Das fand Darren auch.
Eine gefühlte Ewigkeit später entließ ihr Hauslehrer sie endlich. Beide Jungen waren müde und hungrig, und weil der Hofschneider sie schon zur Anprobe der neuen Kleider erwartete und bis zum Abendessen noch drei weitere lange Stunden vergehen würden, überredete Darren seinen Bruder, sich noch schnell in die Küche zu schleichen. Die Diener hassten Darren – ihre Kinder tratschten eben viel –, aber mit Blayne an seiner Seite würden sie ihn nicht abweisen.
»Wir müssen uns beeilen.« Blayne spähte nervös zum Dienstbotentrakt hinüber. Er hasste es, zu spät zu kommen. Ihr Vater sagte immer, ein König habe pünktlich zu sein.
Darren verzog das Gesicht. »Du nun wieder!«
»Du kannst ja noch bleiben.« Blayne schluckte. »Du brauchst mich hier doch nicht.«
Aber da täuschte sich Blayne. Darren sah aus den Augenwinkeln, wie Benny, der Koch, ihn finster anstarrte. Er hätte die beiden Jungen niemals dafür ausgeschimpft, dass sie in seine heiligen Hallen eingedrungen waren – nicht, solange einer von ihnen der Thronerbe war –, aber er würde die Backbleche voller Köstlichkeiten sofort wegräumen, sobald Blayne außer Sichtweite war.
»Nur noch ein Mal naschen?«, bettelte Darren.
Es kümmerte ihn gerade herzlich wenig, ob sie erwischt wurden oder nicht. Blayne war derjenige, der sich ständig Sorgen machte, nicht er.
»Wo steckt der Bengel?« Die tiefe Baritonstimme ihres Vaters dröhnte über den Flur, gefolgt von schweren, donnernden Schritten. Darrens Magen zog sich zusammen, doch da schob Blayne ihn auch schon quer durch die Küche, stieß ihn in die Speisekammer und schlug die Tür zu.
»Ihr solltet längst beim Schneider sein, zur Anprobe für morgen!« Die Stimme ihres Vaters drang gedämpft durch die Tür, hinter der Darren kauerte. Der König gab am nächsten Tag eine Audienz.
»Wo ist dein Bruder?«
»Ich … ich w-weiß es nicht.«
»Soso. Und ich nehme an, der kleine Abstecher in die Küche war auch allein deine Idee?«
Darren hörte, wie Blayne nach Luft schnappte – aber nichts sagte. In Gegenwart ihres Vaters verstummte er immer. Er versuchte den König mit Gehorsam zu beschwichtigen. Darren wusste, dass das sowieso nichts brachte, also hatte er erst gar nicht damit angefangen.
Aber natürlich war es klüger, das Monster nicht weiter zu reizen.
Darren fragte sich, warum Blayne ihrem Vater nicht einfach die Wahrheit gesagt hatte. Die Diener hatten ihn auch nicht verpfiffen – aber das war weniger verwunderlich, denn die machten niemals ungefragt den Mund auf. Auch so eine Regel.
Mit angehaltenem Atem harrte Darren in seinem Versteck aus und lauschte.
»Lügst du mich etwa an, Junge?«
»N-nein.« Blaynes Stimme war nur noch ein Flüstern.
Der König schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Mitkommen!«
»Ja, Vater«, fiepte Blayne.
Darren presste sein Ohr an das Holz. Er hörte das Scharren von Stiefeln, als der König sich zum Gehen wandte, und dann die hastigen Trippelschritte seines Bruders, der ihm nacheilte. Als Darren sich sicher war, dass die beiden gegangen waren, öffnete er die Tür und spähte in die Küche.
Der Koch wirbelte schon wieder geschäftig um seine Öfen herum. Es duftete nach frisch gebackenem Brot und nach irgendeinem Braten.
Darren knurrte der Magen. Die Diener, die wenig begeistert davon waren, dass der Junge immer noch in der Küche herumlungerte, bedachten ihn mit bösen Blicken.
Als Darren gerade ein letztes Apfelküchlein vom Blech stibitzen wollte, stieß er gegen ein Serviermesser. Mit flinken Fingern bekam er das Messer am Griff zu fassen, ehe es scheppernd auf den Steinboden fallen konnte.
Es war ein bisschen zu groß für seine kleine Kinderhand, aber schön schwer. Und es war viel besser als all die Stöcke, mit denen Darren sich sonst so bewaffnete. Als er das Messer schwang, fühlte er sich wie ein tollkühner Dieb oder Ritter – oder wie einer der Helden aus den fantastischen Geschichten, die ihre Amme seinem Bruder immer vorm Zubettgehen vorlas.
Also beschloss er, das Messer zu behalten, und flitzte unbemerkt mitsamt dem Messer und einem Apfelküchlein in der Hand aus der Küche.
Darren leckte sich gerade ein paar Butterstreusel von den Fingern, als er in den Flügel einbog, in dem die Gemächer der königlichen Familie lagen. Mit seinen imposanten hohen Steinmauern und dem purpurn und rot gemusterten Marmorboden wirkte dieser Teil des Palasts besonders einschüchternd.
Mit hallenden Schritten eilte Darren gesenkten Hauptes an zwei Männern in silbergrauen Kettenhemden vorbei zu seinem Zimmer. Das Messer steckte, gut verborgen, im Schaft seiner viel zu großen Stiefel. Er musste es unbedingt in Sicherheit bringen, bevor er zur Anprobe ging, denn der Schneider lauerte nur auf den nächsten Anlass, ihn beim König anzuschwärzen.
Auf Zehenspitzen stehend, streckte Darren die Hand nach der viel zu hohen Türklinke aus, als er ein dumpfes Geräusch hörte. Er hielt inne und hörte es wieder: ein dumpfes Poltern, gefolgt von einem Wimmern.
Mit einem Mal war jedes Hochgefühl verflogen und er spürte nur noch sein Herz, das wie wild gegen seine Rippen hämmerte. Seine Hände wurden schweißnass. Tief in seiner Kehle spürte er ein Brennen.
Er hätte sich gern eingeredet, dass die Geräusche, die er gehört hatte, nur Einbildung gewesen waren, aber er konnte nicht. Dabei war Darren ziemlich gut darin, sich Sachen einzureden. Vielleicht wäre es ihm auch diesmal gelungen, aber das wäre furchtbar falsch gewesen. Schließlich hatte sein Bruder seinetwegen gelogen.
»Stell dir einfach vor, du wärst gar nicht da.« Das hatte sein Bruder zu ihm gesagt, nachdem es das erste Mal passiert war. Es war ihre Art, mit dem Monster in der Dunkelheit umzugehen. Manchmal zusammen, manchmal jeder für sich allein.
Es war ihr großes Geheimnis.
Doch jetzt konnte Darren nicht so tun, als hätte er nichts gehört. Blayne hätte ihn genauso gut verraten können und dann hätte Darren dasselbe geblüht wie ihm. Aber Blayne hatte ihn nicht verraten.
Er will einfach nur gemocht werden, dachte Darren. Blayne wollte immer allen gefallen. Wahrscheinlich wollte er auch, dass sein kleiner Bruder ihn mochte.
Und Blayne bekam, was er wollte: Darren hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen und blieb, wo er war. Er wusste, was er zu tun hatte. Schließlich hatte er das Messer.
Vielleicht kann ich diesmal etwas ausrichten, dachte er und wusste im nächsten Augenblick, dass es nicht stimmte.
Aber Darren wollte ein Held sein, und Helden durften keine Angst haben, selbst wenn sie erst sechs Jahre alt waren.
Also ließ er sich wieder auf die Fersen sinken und zwang sich, einen Schritt vor den anderen zu setzen. Er versuchte, nicht darüber nachzudenken, was ihn in der Kammer am Ende des Gangs erwartete.
Keinem der Diener war es erlaubt, diesen Teil des Schlosses zu betreten. Somit konnten sie auch nicht hören, was im einstigen Gemach der verstorbenen Königin vor sich ging. Doch selbst wenn sie es gehört hätten, hätten sie so getan, als wüssten sie von nichts. So lauteten die Regeln.
Darren zog das Messer aus dem Stiefelschaft und hielt den Griff fest umklammert. Je weiter er ging, umso lauter wurde das Wimmern.
Das Einzige, was Darren wirklich fürchtete, befand sich hinter der Tür zu dieser Kammer.
»Ich bin ein Held«, flüsterte er.
Und dann öffnete er die Tür.
****
Der Mann bemerkte ihn nicht sofort. Zum Glück. Darren war wie gelähmt. Er konnte nicht einmal atmen.
Die Kammer war karg und dunkel. Am Tag, an dem seine Frau gestorben war, hatte der König angeordnet, sämtliche Möbel aus dem Zimmer entfernen zu lassen. Darren war damals zwei Jahre alt gewesen.
Nun gehörte die Kammer den Schatten.
Es gab keine Teppiche, weder an den Wänden noch auf dem Boden, und so war dieser Raum einer der kältesten im ganzen Palast. In einer Ecke stand eine geöffnete Holztruhe. Darin befanden sich verschiedene Waffen: Lederriemen, Peitschen und ein Morgenstern – ein Stab, an dessen Ende eine stachelbewehrte Kugel an einer Kette hing. Manche Waffen hatten rostrote Flecken.
An der hinteren Wand waren zwei Paar eiserner Handschellen an Ketten ins Gemäuer eingelassen. In einem Paar steckten Hände.
Blaynes kurze schwarze Locken waren blutverklebt und unter seinem zerrissenen Hemd prangten dunkelrote Flecken. Ein Bein hielt er in seltsamem Winkel abgespreizt. Es schien gebrochen zu sein.
Darren musste sich fast übergeben.
Verzweifelt versuchte Blayne, den Peitschenhieben seines Vaters auszuweichen. Lucius traf trotzdem jedes Mal. Nach jedem Hieb schnellte die Peitsche zischend zu ihrem Herrn zurück und Blut spritzte über die Wände und über Blaynes Brust.
Darren musste schlucken. Es fühlte sich an, als würde er Glasscherben herunterwürgen. Die Hand, in der er das Messer hielt, hing schlaff herunter, vollkommen nutzlos.
Er hätte weglaufen können. Noch war es nicht zu spät. Noch hatte ihn das Monster nicht bemerkt.
Aber dann schrie Blayne auf.
Darrens Blick flog zu den Ketten zurück, zurück zu seinem Bruder, der sich wand und schluchzte und vergeblich versuchte, dem Zorn des Königs zu entrinnen.
Das war nicht klug von Blayne. Darren wusste, dass es das Beste war, dem Monster direkt in die Augen zu blicken und die Folter stoisch über sich ergehen zu lassen.
Angst und Schmerz zu zeigen, machte alles nur noch schlimmer.
Aber Blayne war schon immer schwach gewesen. Vielleicht hatte er das von ihrer Mutter. Die hatte dem König auch nie die Stirn geboten, sondern lieber gelächelt. Zumindest war es das, was man Darren über sie erzählt hatte. Er selbst konnte sich an seine Mutter nicht erinnern.
Darren wusste nicht, wie man lächelte. Er wusste nur, wie man finster dreinblickte.
Aber er durfte nicht zulassen, dass Blayne sein Lächeln verlor. Blayne war doch der Einzige, der ihn jemals angelächelt hatte! Alle anderen taten so, als wäre er unsichtbar, denn so wollten es die Regeln.
Als sein großer Bruder den nächsten Schluchzer ausstieß, stürzte Darren mit gezücktem Messer auf das Monster zu. Er stellte sich vor, er wäre ein Ritter und das Monster wäre ein Drache. Sein Messer streifte einen ledernen Flügel, und er sprang zur Seite, um dem wütenden Feuerschwall aus dem Maul des Drachen zu entgehen.
Sein erster Angriff hatte das Biest hinterrücks erwischt – sein zweiter scheiterte kläglich.
Sein Vater schlug ihm so fest ins Gesicht, dass Darren von der Wucht des Schlags gegen die Wand geschleudert wurde. Alles ging furchtbar schnell.
Der König packte ihn am Hals und zerrte ihn hoch. Darren rang nach Luft. Schwarze Punkte tanzten vor seinen Augen. Er konnte den heißen Atem des Monsters spüren, als es ihn hin und her schüttelte und ihn schließlich gegen die steinharte Mauer schleuderte.
Darren sank zu Boden und das Messer glitt ihm aus der Hand. Es war schlimmer als all die anderen Male zuvor. Sonst hatte er sich nie gewehrt.
Sein Vater packte ihn am Handgelenk und Darren wimmerte.
»Nicht!«
Der König brachte seinen großen Sohn mit einem Kinnhaken zum Schweigen. Blayne schrie auf und wandte den Blick von seinem kleinen Bruder ab, der am Boden lag. Er konnte nichts mehr für ihn tun.
Darren rollte sich zu einer Kugel zusammen.
Und dann rammte ihm der König wieder und wieder seine Stiefel in den Bauch. Es fühlte sich an, als würden ihn tausend Nadeln von innen durchbohren. Er schmeckte Blut. Jeder Tritt brannte und versengte seine Haut, bis er glaubte, bei lebendigem Leib zu brennen.
Darren hielt die Augen fest geschlossen und versuchte, sich nicht zu rühren. Doch das Monster war noch nicht fertig mit ihm, und es war wütend. Er spürte, wie der Drache wieder und wieder an seinem Fleisch riss. Seine Klauen waren überall.
Auf dem kalten Marmor, der seine Wunden gekühlt hatte, breitete sich eine warme Lache aus. Darren hielt den Atem an. Die Schmerzen waren unerträglich und die Dunkelheit drohte ihn zu verschlingen, aber ein letzter, lichter Gedanke hielt ihn wach.
Der Junge mit dem Lächeln.
Als das Monster von ihm abließ, als es endlich verschwunden war, wagte der kleine Junge noch immer nicht zu atmen – bis er den anderen Jungen sah. Der Junge mit dem Lächeln war bei Bewusstsein.
Und das war der Moment, in dem Darren beruhigt die Augen schließen konnte.
Sein Bruder war gerettet.
ZWEI
Als Darren wieder zu sich kam, lag er auf einer Pritsche in einem Raum mit lauter Betten. Es roch leicht säuerlich, nach einer Mischung aus bitteren Kräutern und Talkpuder. Er kannte den Geruch. Er war nicht zum ersten Mal hier.
Ihm tat alles weh, und bei dem Versuch, sein Gewicht zu verlagern, rebellierte sein Magen. Er konnte sich gerade noch rechtzeitig über den Eimer beugen, der neben seinem Bett stand.
Er war verschwitzt und fröstelte. Jeder Atemzug war eine Qual, das Licht viel zu grell. Er hatte einen widerlichen Geschmack im Mund, nach … Der Junge schauderte. Nach Blut und Fäulnis.