Magic Academy 1+2:  - Das erste Jahr / Die Prüfung (2in1-Bundle) - Rachel E. Carter - E-Book
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Magic Academy 1+2: - Das erste Jahr / Die Prüfung (2in1-Bundle) E-Book

Rachel E. Carter

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Beschreibung

Auf der Suche nach einem neuen Academy-Roman? Dann kann die Ausbildung beginnen!

In Jerar muss man für seine Magie hart kämpfen und sie ist alles andere als einfach zu beherrschen. Doch Ryiah ist entschlossen, ihr Ziel zu erreichen und eines Tages die erste der Kriegsmagier zu werden. Und dabei soll ihr nichts im Weg stehen, auch nicht ihre Gefühle …

Der Reihenauftakt eines spannenden und magischen Abenteuers – Jetzt die ersten zwei Bände in einem E-Book

Band 1: Das erste Jahr

Die 15-jährige Ryiah kommt mit ihrem Zwillingsbruder an die Akademie. Die berüchtigtste Ausbildungsstätte ihres Reichs, an der nur die besten Schüler aufgenommen werden. Nur fünfzehn der Neuankömmlinge werden die Ausbildung antreten dürfen. Der Wettkampf um die begehrten Plätze ist hart und die Rivalität groß. Vor allem, als Ry Prinz Darren näher kommt, macht sie sich Feinde. Wird sie trotz aller Widerstände gut genug sein und ihren Platz an der Akademie behaupten?

Band 2: Die Prüfung

Nach dem harten Prüfungsjahr an der Akademie darf Ryiah die Ausbildung zur Kriegsmagierin antreten – gemeinsam mit Erzfeindin Priscilla, unter einem Kommandeur, der ihr das Leben zur Hölle macht, und in Gesellschaft von Prinz Darren: abwechselnd ihr größter Rivale und engster Vertrauter. Für den sie mehr als Freundschaft empfindet, obwohl er verlobt ist. Als die Landesgrenzen von Jerar bedroht sind, müssen Ry und ihre Freunde noch vor der Abschlussprüfung zeigen, was in ihnen steckt ...

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Seitenzahl: 905

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Autorin:

Rachel E. Carter ist die USA-Today-Bestsellerautorin der Fantasy-Jugendbuchserie Magic Academy über Magie, Machtkämpfe und eine große Liebe. Kaffee zu horten gehört zu ihren Leidenschaften, ebenso wie böse Jungs und Helden vom Typus Mr Darcy.

Magic Academy 1 – Das erste Jahr

Die 15-jährige Ryiah kommt mit ihrem Zwillingsbruder an die Akademie. Die berüchtigtste Ausbildungsstätte ihres Reichs, an der nur die besten Schüler aufgenommen werden. Nur fünfzehn der Neuankömmlinge werden die Ausbildung antreten dürfen. Der Wettkampf um die begehrten Plätze ist hart und die Rivalität groß. Vor allem, als Ry Prinz Darren näher kommt, macht sie sich Feinde. Wird sie trotz aller Widerstände gut genug sein und ihren Platz an der Akademie behaupten?

Magic Academy 2 – Die Prüfung

Nach dem harten Prüfungsjahr an der Akademie darf Ryiah die Ausbildung zur Kriegsmagierin antreten – gemeinsam mit Erzfeindin Priscilla, unter einem Kommandeur, der ihr das Leben zur Hölle macht, und in Gesellschaft von Prinz Darren: abwechselnd ihr größter Rivale und engster Vertrauter. Für den sie mehr als Freundschaft empfindet, obwohl er verlobt ist. Als die Landesgrenzen von Jerar bedroht sind, müssen Ry und ihre Freunde noch vor der Abschlussprüfung zeigen, was in ihnen steckt ...

Rachel E. Carter

MAGICACADEMY1 und 2

Das erste JahrDie Prüfung

Aus dem amerikanischen Englisch von Britta Keil

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Die amerikanischen Originalausgaben erschienen unter den Titeln »The Black Mage« (2014) und »The Black Mage – Apprentice« (2015).

Copyright der Originalausgaben © 2014, 2015 by Rachel Carter

Copyright © der deutschsprachigen Ausgaben »Das erste Jahr« und »Die Prüfung« 2018 by cbj Kinder- und Jugendbuchverlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Aus dem Englischen von Britta Keil

Lektorat: Christina Neiske

Covergestaltung und Illustration: Isabelle Hirtz, Hamburg

ISBN 978-3-641-24695-2V003

www.cbj-verlag.de

Rachel E. Carter

MAGICACADEMY

Das erste Jahr

Aus dem amerikanischen Englisch von Britta Keil

Eins

Nicht umdrehen«, flüsterte ich und hoffte, dass ich nicht allzu panisch klang. Das Einzige, was ich sicher spürte, war mein rasendes Herz. »Ich glaube, wir werden verfolgt.«

Mein Bruder wurde blass und umklammerte die Zügel fester. Dann drehte er langsam den Kopf.

»Alex!«, zischte ich.

Schuldbewusst sah er wieder nach vorn. Hoffentlich hatten die vier Reiter, die ein paar Hundert Meter hinter uns ritten, nicht bemerkt, dass wir sie beobachteten. Bisher hatte es zwar nicht den Anschein, als würden sie sich sonderlich für uns interessieren, aber die Tatsache, dass sie uns immer noch folgten, obwohl wir die letzte große Straße längst verlassen hatten, verursachte einen schalen Geschmack in meinem Mund.

Die Dämmerung brach rasch herein. Nicht mehr lange, und wir würden im Dunkeln weiterreiten müssen. Die Sonne war bereits hinter einer Felszunge versunken und ihre letzten Strahlen schwanden schneller, als mir lieb war.

Ich hatte gehofft, die Reiter würden irgendwann ihr Lager aufschlagen. Gelegenheiten hätte es genug gegeben. Welcher erschöpfte Reiter verschmähte denn freiwillig eine geschützte Senke in Flussnähe?

Ich für meinen Teil hätte längst darauf bestanden, Rast zu machen, wären da nicht unsere unheimlichen Verfolger gewesen.

»Woher willst du wissen, dass sie uns verfolgen?«, flüsterte Alex gut hörbar, während unsere Pferde weiter den Berg hinauf in die Dunkelheit stampften. »Lass uns anhalten«, sagte er dann. »Ich wette, die werden einfach weiterreiten, und du wirst sehen, dass du dir grundlos Sorgen gemacht hast.«

»Alex«, stieß ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, »ihre Satteltaschen sind viel zu klein für so eine Reise. Ist das etwa kein Grund?«

»Weiß nicht, sag du’s mir.«

Ich gab mir alle Mühe, mir meine Ungeduld nicht anmerken zu lassen. Alex konnte schließlich nichts dafür, dass er den Grund meiner Besorgnis nicht durchschaute. Ihn interessierten andere Dinge. Er machte sich nur darüber Gedanken, wie man Leute heilte, nicht darüber, woran man Leute erkannte, die Böses im Schilde führen.

»Nur Dummköpfe – oder Banditen – reisen mit leeren Händen. Vier erwachsene Männer können nicht so dumm sein, Alex. Und selbst der größte Dummkopf wäre noch schlau genug gewesen, sich an der letzten großen Straße eine Herberge zu suchen …« Ich schluckte. »Ein Bandit wiederum muss sich um seinen Proviant nicht scheren, weil er sich einfach unseren unter den Nagel reißen würde.«

Mein Zwillingsbruder geriet ins Grübeln, und ich fragte mich, ob er mir glauben würde. Ich war nicht unbedingt für Besonnenheit bekannt. Umso mehr hoffte ich, dass er meine Einschätzung der Lage in diesem Fall nicht einfach als vorschnelles Urteil abtat, so wie unsere Eltern es wahrscheinlich gemacht hätten.

Während ich auf seine Reaktion wartete, tat ich so, als würde ich die Steigbügel kontrollieren, und sah mich unauffällig noch einmal nach den Männern um. Selbst im schwindenden Tageslicht war das metallische Blitzen an der Hüfte des einen unübersehbar. Nur ein Soldat oder ein Ritter durfte eine Waffe tragen.

Ein Schauer überlief mich. Dieser Mann war gewiss weder das eine noch das andere.

»Weißt du, was ich glaube?«, hörte ich Alex plötzlich sagen.

Ich holte tief Luft. »Alex …«

»Ich glaube, du hast recht.«

Oh. Ich hielt inne.

»Was machen wir jetzt, Ry?« Mein Bruder runzelte die Stirn und sah mich aus großen blauen Augen an. Zuerst konnte ich seinen Gesichtsausdruck nicht deuten, aber ich fand, dass er auf einmal sehr verletzlich aussah, viel jünger als fünfzehn. Und dann wurde mir klar, dass er Angst hatte.

Mein Zwillingsbruder, der Kopfmensch, meine vernünftige Hälfte, hatte Angst. Was hieß das für uns? Darüber wollte ich lieber nicht nachdenken. Ich starrte geradeaus und versuchte, zwischen den dichten Kiefern unseren Weg auszumachen.

Leider lag der Grund für unsere missliche Lage näher als eine Lösung.

Wir hätten auf der Hauptstraße bleiben sollen, erkannte ich nun. Wenn ich nicht darauf bestanden hätte, den kürzesten Weg zur Akademie zu nehmen, würden wir jetzt auf einer hübschen, belebten Straße reiten und müssten uns nicht durch die einsamen Berge kämpfen und fürchten, jeden Moment überfallen zu werden.

Doch jetzt war es zu spät.

»Ryiah?« Alex sah mich fragend an.

Ich biss mir auf die Unterlippe. Antworten zu finden, war eigentlich meine Stärke. Was hatte ich doch gleich zu unseren Eltern gesagt, bevor wir von zu Hause aufgebrochen waren? Dass ich alles dafür geben würde, eines Tages zu den Kämpfern zu gehören, sogar mein Leben.

Ironie des Schicksals. Was ich in einem hitzigen Moment herausposaunt hatte, drohte nun Wirklichkeit zu werden. Ich würde uns nicht verteidigen können. Nicht gegen vier erwachsene Männer, bewaffnete Männer. Nicht ohne Magie.

Im Stillen fragte ich mich zum millionsten Mal, warum – bei allen Göttern! – ich immer noch nicht wusste, ob ich wirklich Magie in mir trug. Aber dies war nicht der richtige Zeitpunkt, um zu schmollen. Ich brauchte einen Plan, und zwar schnell.

Ich starrte ins Dickicht und suchte nach einem Abzweig. Wenn wir einen Weg finden würden, umzudrehen, die Männer abzuhängen und auf die große Straße zurückzukehren … Oder sollten wir die Dunkelheit nutzen, um uns vor ihnen zu verstecken, und unsere Reise bei Sonnenaufgang fortsetzen?

Vielleicht hatte Alex ja recht und die Männer würden einfach weiterreiten. Wir könnten an Ort und Stelle unser Lager aufschlagen und alles wäre gut.

Na klar, und Schweine können fliegen!, schalt ich mich selbst. Du willst eine Kämpferin sein und knickst beim ersten Anzeichen von Gefahr ein?

Ich würde nicht einknicken.

Ich ritt so nah wie möglich an Alex heran. »Wenn ich ›los‹ sage«, flüsterte ich, »reitest du nach Westen – und ich nach Osten.«

Alex wollte protestieren, aber ich ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Wir müssen uns aufteilen. Zusammen sind wir eine viel zu leichte Beute.«

Mein Bruder sah mich herausfordernd an. »Ich werde dich ganz bestimmt nicht allein lassen, Ry.«

Ich ging nicht darauf ein. »Wir treffen uns in der Taverne, du weißt schon, die, an der wir vor der Weggabelung vorbeigeritten sind … Wenn … wenn einer von uns beiden nicht bis kurz nach Sonnenaufgang dort ist, informieren wir die Wachen vor Ort und lassen nach dem anderen suchen.« Ich schluckte. »Die Schurken und Schläger in dieser Gegend bringen für gewöhnlich niemanden um, es sei denn, man bricht einen Streit vom Zaun.« Zumindest war es das, was ich gehört hatte.

»Aber was, wenn sie …«

»Werden sie nicht«, sagte ich.

Er schüttelte den Kopf. »Wenn die rauskriegen, dass du ein Mädchen bist …«

Ich sah meinen Bruder eindringlich an. »Wir haben keine andere Wahl, Alex. Wenn du bei mir bleibst, bringen wir uns nur beide in Gefahr.«

»Verdammt, Ryiah, dein Plan gefällt mir ganz und gar nicht!«, fluchte er.

Ich gab ihm ein Zeichen, sich bereit zu machen, und stellte mich in die Steigbügel, die Hände fest in die Mähne meines Pferdes gekrallt. Alex tat es mir gleich, und als wir beide so weit waren, nickte ich.

»Und los!«

Mein Pferd galoppierte an, dass die Erde und Steine unter uns nur so spritzten. Das Donnern der Hufe und die überraschten Rufe der Männer ließen mich beinahe schweben. Wir hatten sie ausgetrickst!

So verlockend es auch war, sich umzudrehen und in ihre verdutzten Gesichter zu sehen – ich hielt den Blick nach vorn gerichtet. Zweige schlugen mir ins Gesicht und schnitten mir in die Haut. Ein rauer Wind blies mir entgegen und zerrte an meinen ohnehin schon spröden Lippen. Doch weder die lähmende Kälte noch die peitschenden Äste hielten mich auf.

Ich hoffte, dass Alex mit seiner Route durch den Wald mehr Glück haben würde als ich. Ich konnte keine zwei Meter weit sehen und musste mich auf den Orientierungssinn meiner Stute verlassen. Jetzt, da sie die grobe Richtung kannte, war es an ihr, uns sicher durchs Dickicht zu führen.

Zu spät vernahm ich das leise Sirren einer fliegenden Klinge. Sie erwischte mich hinten am Schenkel. Ich schrie auf und verfluchte mich in der nächsten Sekunde dafür.

Die Wunde schien nicht sehr tief zu sein, brannte aber trotzdem wie Feuer, und ich war so erschrocken, dass ich das Gleichgewicht verlor. Ich kippte rückwärts in den Sattel, woraufhin die Stute in einen leichten Galopp verfiel. Trotz der Schmerzen versuchte ich hastig, mich wieder aufzurichten und mich erneut in die Steigbügel zu stemmen, um mein Pferd anzutreiben. Doch im selben Moment stolperte es über einen losen Stein und ich flog nach vorn. Meine Hände waren so schwitzig, dass mir die Mähne entglitt, und ehe ich wusste, wie mir geschah, landete ich mit einem grässlichen Schlag auf dem Boden. Wie durch ein Wunder gelang es mir in letzter Sekunde, mich zur Seite zu rollen, bevor die Hufe mich zertrampeln konnten.

Die Stute preschte in die Dunkelheit und ich rappelte mich mit zitternden Beinen auf. Meine ganze rechte Seite schmerzte, und beim Versuch, meinen Sturz abzufedern, hatte ich mir die Hände aufgeschnitten. Ich fragte mich, woher das Trommeln in meinem Schädel kam, ob es mein rauschendes Blut war oder die herannahenden Banditen.

Vielleicht hatten sie meinen Sturz ja gar nicht bemerkt. Vielleicht dachten sie, ich wäre davongeritten. Dunkel genug war es jedenfalls. Ich humpelte gerade auf ein Gebüsch zu, als ich ihre lauten Rufe und das unverwechselbare Geräusch schwerer Schritte hörte.

Die Banditen waren abgestiegen und suchten die Gegend nach mir ab.

Ich kauerte mich so tief wie möglich ins Gebüsch. Die Dornen zerkratzten mir Gesicht und Arme, und ich betete, dass das Knacken der Zweige mich nicht verraten würde. Mein Atem ging schnell und stoßweise. Was alles Schreckliches passieren würde, wenn sie mich fanden, wollte ich mir lieber nicht ausmalen. Ich hätte mein Herz gern dazu gebracht, leiser und langsamer zu schlagen, aber es war zwecklos.

Ich konnte noch immer ihre Stimmen hören. Sie kamen näher. Ein Windhauch wehte den ranzigen Geruch nach tagealtem Männerschweiß und Bier heran, und ich fragte mich, wie nah sie wohl schon waren. Der Busch, unter dem ich hockte, roch seltsam süßlich, nach Waldbeeren. Hoffentlich verbargen mich seine Blätter vor ihren Blicken.

Wie viele von ihnen waren mir gefolgt? Wie es Alex wohl ging? Ritt er nach Westen, wie wir es ausgemacht hatten? Ich horchte in die Dunkelheit.

»… hab den Jungen weghumpeln sehen«, hörte ich einen sagen.

»Er kann nicht weit sein«, sagte ein anderer.

Waren es zwei Männer? Oder drei? Falls es einen dritten gab, verfolgte er mich schweigend. Doch vom Klang der Schritte her tippte ich eher auf zwei.

Plötzlich hörte ich neben mir Kiefernnadeln knacken. Mir stockte der Atem.

Einer der Männer stand direkt neben dem Busch. Ich hörte, wie er auf eine der Wurzeln trat, die überall aus dem Boden ragten, und sendete ein stummes Gebet gen Himmel, dass er weitergehen würde.

»Ich glaube, er ist in die andere Richtung, Jared«, sagte der Mann. »Hier ist nichts als Gestrüpp.«

»Nein, er ist hier lang.«

Die Stimmen waren nun direkt über mir. Mein Herz hämmerte so laut, dass ich fürchtete, es würde mich jeden Moment verraten. Ich wagte nicht zu atmen und wartete darauf, dass sie verschwanden.

»Was riecht denn hier so gut?«, fragte der Erste.

»Das sind Brombeeren, du Schwachkopf«, erwiderte der Kerl namens Jared. Er steckte eine Hand zwischen die Ranken und zog sie fluchend zurück. »Verdammte Dornen!«

Der andere schob sich an ihm vorbei und griff tiefer in den Busch hinein, wobei er ein paar Beeren zu fassen bekam und leider auch meine Haare. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass sich ein paar Strähnen aus meinem geflochtenen Zopf gelöst und in den Ranken verfangen hatten. Als der Mann an meinen Haaren riss, entwich mir ein Schrei.

Ich schlug mir die Hand vor den Mund, aber es war zu spät. Blitzschnell hatten sie mich aus meinem Versteck gezerrt und zu Boden geworfen.

»Da schau her«, dröhnte Jared. »Sieht so aus, als wäre deine Verfressenheit mal zu was nütze, Erwan.« Er schlug dem anderen Mann, einem Hünen mit riesiger Wampe und schlammigen Stiefeln, auf den Rücken.

Ich wollte ihre Gesichter sehen, konnte in der Dunkelheit aber nicht viel erkennen. Während ich panisch versuchte, mich aufzurappeln, machten sie derbe Sprüche und lachten, bis ich endlich aufrecht saß.

»So, Bürschchen«, sagte Erwan, »und nun verrätst du uns, wohin dein kleiner Freund verschwunden ist.«

Ich stieß einen leisen Seufzer der Erleichterung aus. Blut- und dreckverschmiert wie ich war, hielten sie mich in den Reitsachen meines Bruders immer noch für einen Jungen. Das Hemd, das ich trug, war weit, und obwohl es an den Armen eingerissen war, verhüllte es jede verräterische Rundung.

Ich sagte nichts, aus Angst, meine Stimme könnte enttarnen, was meine Kleidung so gut verbarg.

»Du wurdest was gefragt«, knurrte Jared. »Also antworte.«

Stille. Und dann ein lauter, hallender Knall. Jared hatte mir eine Ohrfeige verpasst. Mein Gesicht glühte und Blut schoss aus den Wunden, die die Dornen gerissen hatten.

»Hör mal, Bürschchen«, sagte Jared, »ich gebe dir noch genau eine Chance, den Mund aufzumachen, bevor ich dich in Stücke schneide.« Er zückte sein Schwert. Ich erkannte das Wappen der königlichen Armee. Aber dieser Mann war kein Soldat. Niemand, der geschworen hatte, Jerar und sein Volk zu verteidigen, würde gegen den Ehrenkodex verstoßen.

Ich fragte mich, wie die Waffe in die Hände eines Gesetzlosen gefallen war. Hatte seine Bande einem einsamen Soldaten auf einer verlassenen Straße aufgelauert und ihn ausgeraubt, so wie sie es auch mit mir und meinem Bruder vorhatten? Hatte Jared ihn danach vielleicht sogar getötet, um seiner gerechten Strafe zu entgehen?

Am Griff des Schwerts war ein Fleck, rostrot. Von Blut? Wut stieg in mir auf, aber ich schluckte sie hinunter, und so schroff und mit so tiefer Stimme wie nur möglich sagte ich: »Wir sind unterwegs zur Akademie.«

Jareds Augen funkelten bedrohlich.

»Hat er grade gesagt …«

»Zur Akademie?« Jared stupste mir mit dem Stiefel gegen die Wange. »Du bist Schüler an der Akademie, Bürschchen?« Er betrachtete mich genauer.

Der Hüne, Erwan, lachte laut. »Ein Magier! Hast wohl grade keinen Zaubertrick auf Lager, was?«

Mein Gesicht glühte und ich drehte mich weg.

»Dann musst du einer von den Erstklässlern sein«, sagte Jared. Seine anfängliche Neugier war verflogen. »Der Junge ist nutzlos«, sagte er verächtlich. »Wieder nur eins von den Dorfbälgern, die unbedingt auf diese verfluchte Schule wollen. Diese Dummköpfe bilden sich ein, sie hätten irgendeine Gabe, weil sie keine Lust haben, richtig zu arbeiten.«

Ich hielt immer noch den Mund und hoffte, sie würden mich – den nutzlosen Dummkopf – hier zurücklassen und stattdessen weiter nach meinem Pferd suchen.

»Hattest du Geld bei dir, Bürschchen?«

Nicht viel. Unsere Eltern hatten gerade genug Geld zusammenkratzen können, damit wir uns Pferde für unsere fünftägige Reise leihen konnten. Auf den Lohn, der meinem Bruder und mir für die Arbeit in ihrer Apotheke eigentlich zugestanden hätte, mussten wir schon lange verzichten. Dabei sparten sie sogar das Schulgeld, weil die Akademie dazu verpflichtet war, ihren Schülern im ersten Schuljahr Kost und Logis zu stellen.

Mit Schaudern dachte ich daran, in welches Elend wir unsere Eltern stürzen würden, wenn eines der Pferde nicht zurückkäme.

»Der Geldbeutel war … der war in der Satteltasche.«

»Los, Erwan, geh den verdammten Gaul suchen«, befahl Jared. Sein Kumpan setzte sich schwerfällig in Bewegung und ließ mich mit ihm allein. Jared trat mir in den Bauch. »Hoch mit dir! Du wirst mir jetzt helfen, das Lager zu errichten, bis die anderen zurück sind. Wenn du schön artig bist, lassen wir dich morgen früh wieder laufen. Solltest du auf die Idee kommen, abzuhauen oder uns irgendwie auszutricksen, kriegst du mein Schwert zu spüren.«

Ich stand vorsichtig auf, wobei ich versuchte, mir meine Schmerzen nicht anmerken zu lassen. Diese Genugtuung wollte ich ihm nicht gönnen.

****

Stunden später kam Erwan mit meiner Stute und einem Haufen Holz unterm Arm zurück. Jared befahl mir, die Äste für ein Lagerfeuer aufzuschichten, und ich gehorchte zitternd. Immerhin war er so gnädig gewesen, mich nicht selbst Holz suchen zu schicken. Wobei – in meinem Zustand hätte ich sowieso nicht schwer schleppen können und wohl kein Feuer zustande gebracht, das uns wirklich gewärmt hätte. Es war zwar Sommer, doch hier oben in den Bergen unter den Kiefern merkte man davon nicht viel.

Während ich langsam das Holz aufstapelte, lauschte ich der Unterhaltung der beiden.

»Was ist mit Halseth?«

»Er und Carl müssten spätestens in einer Stunde zurück sein.«

»Denkst du, sie haben den anderen erwischt?«

»Warum sollten sie nicht?« Jared spuckte aus, dann wanderte sein Blick zu mir. »Du, Bürschchen, wer ist der Junge, mit dem du unterwegs warst?«

Oh nein. »Ach, dem bin ich heute Morgen nur zufällig begegnet«, krächzte ich wieder mit möglichst tiefer Stimme.

»Du lügst.« Jared kniff die Augen zusammen. »Spuck’s schon aus. Ist er auch so ein nutzloses Balg wie du? Oder hat er … irgendwelche Kräfte?« Seine Augen funkelten. Irgendwelche Kräfte. Magische Kräfte.

»Ich … ich glaube nicht, dass er …«

Bevor ich den Satz beenden konnte, hatte Jared meine Hand gepackt und zerrte sie ins Feuer. Ich schrie, als die Flammen über meine Haut züngelten.

Jared ließ los.

Ich blinzelte die Tränen weg und bettete die Hand vorsichtig in meinen Schoß. Sie war grellrot und brannte höllisch.

»Soso …«

Ich durchbohrte die Kerle mit zornigen Blicken, doch Jared grinste bloß.

Als ich begriff, was sein Grinsen zu bedeuten hatte, blieb mir fast das Herz stehen.

Er weiß es.

»Wir brauchen mehr Feuerholz, Erwan.« Jared ließ mich nicht aus den Augen. »Ich würde ja selber gehen, aber einer muss auf den Jungen aufpassen.«

Erwan sah Jared verwirrt an. »Ich hab doch schon so viel geholt.«

»Ja und? Dann holst du eben noch mehr, Schwachkopf.«

Kaum war Erwan außer Sichtweite, drehte sich Jared zu mir. In seinem Blick lag die nackte Gier. Die Schatten der Flammen tanzten über seine strähnigen blonden Locken und ließen seine Säufervisage noch viel bedrohlicher aussehen.

»Wer hätte das gedacht?«, höhnte er. »Ein Mädchen. Dabei hab ich dir doch gesagt, keine Tricksereien, wenn du willst, dass wir dich laufen lassen.«

Ich sah mich panisch nach einer Fluchtmöglichkeit um. Wenn ich jetzt losrennen würde– wie weit würde ich kommen? Kämpfen konnte ich in meinem Zustand auf gar keinen Fall. Bisher hatte ich mich auch bloß mit den Gleichaltrigen aus meinem Dorf gemessen, aber noch nie mit einem erwachsenen Mann. Einen Jungen von der Statur meines Bruders hätte ich wahrscheinlich niederringen können, aber bestimmt keinen Kerl, der mindestens einen Kopf größer und dreißig Kilo schwerer war als ich.

Jared umfasste drohend den Griff seines Schwerts. »Wenn du jetzt schön brav bist, werde ich dir vielleicht verzeihen.«

Angst. Hass. Wut. Unbändige Wut. In mir tobten tausend Gefühle gleichzeitig. Zorn brannte in meiner Kehle. Meine Hände waren schweißnass. Ich wollte zurückweichen, aber ich stolperte und landete rücklings auf dem Boden. Als meine verbrannte Hand auf die harte Erde aufschlug, schrie ich auf. Heißer Schmerz schoss meinen Arm hinauf.

Jared warf sich auf mich, umklammerte meine Handgelenke und stemmte seine Knie auf meine Beine, sodass ich mich nicht mehr rühren konnte.

Ich werde nicht schreien.

Er beugte sich zu mir herunter und ich roch seinen fauligen, sauren Atem, als er versuchte, seine Lippen auf meine zu drücken. Ich riss den Kopf hoch, Jared konnte nicht mehr rechtzeitig ausweichen und ich rammte seine Nase. Es knackte, dann kam ein Schwall Blut.

»Du dreckige Schlampe!« Er ließ meinen Arm los und schlug mir ins Gesicht. Mir wurde kurz schwarz vor Augen.

Meine Wange glühte, aber das war nichts im Vergleich zu den Schmerzen, die ich in der verbrannten Hand spürte, als er seine Fingernägel hineingrub. Mein Blick verschwamm hinter Tränen, und ich wünschte verzweifelt, ich hätte Magie und könnte sie einsetzen. So wie Alex.

Jared packte den Kragen meines Hemds. Ich holte mit dem Arm aus, so schwungvoll ich konnte, doch er bekam ihn zu fassen, also stemmte ich mich mit aller Kraft gegen ihn, in der Hoffnung, ihn so aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Aber es nützte nichts. Er warf mich zurück und schlug mir nur noch fester ins Gesicht. Ich wartete darauf, das Bewusstsein zu verlieren, und war entsetzt, als mich plötzlich ein goldener Lichtschein blendete.

Dann hörte ich die Schreie. Zuerst dachte ich, es wären meine eigenen, aber sie kamen aus einer anderen Richtung. Oder spielten meine Ohren verrückt?

Der Druck auf mir ließ nach. Nichts hielt mich mehr am Boden.

Ich kam auf die Beine. Noch immer benommen vor Angst blinzelte ich in das grelle Licht und versuchte zu verstehen, was gerade geschehen war.

Mit weit aufgerissenen Augen stand ich da. Mein Schädel dröhnte. Die Schreie klangen hoch und schrill wie Vogelkreischen. Sie hörten nicht auf und taten mir in den Ohren weh. Ich schlug mir die Hand vor den Mund, aber meine Lippen waren geschlossen. Die Schreie kamen von dem leuchtenden Etwas vor mir.

Dann erkannte ich, dass es Jared war. Sein ganzer Körper war in Flammen gehüllt. Sie fraßen sich durch seine Kleider und in sein Fleisch – ein loderndes Inferno. Er schrie wie am Spieß.

Ohne noch einen Gedanken an Jared zu verschwenden, humpelte ich an ihm vorbei und band meine Stute los. Ihre Augen waren riesig vor Angst, und ich betete, dass sie mir nicht durchgehen würde. Sie war immer noch gesattelt, und so wie es aussah, hatten Erwan und Jared meine Sachen in den Satteltaschen nicht angerührt.

Ich bedankte mich – bei wem auch immer – für diese glückliche Fügung, hielt mich am Sattel fest und schwang mich auf mein Pferd. Jeder Zentimeter meines Körpers brannte vor Schmerz, aber ich biss die Zähne zusammen.

Ich klopfte meiner Stute den Hals, weil ich hoffte, damit zumindest sie etwas beruhigen zu können, und trieb sie mit den Knien an.

»Was zum Teufel …! Komm sofort wieder her, Junge!«

Erwan war zurück, aber er war noch weit genug weg, also nutzte ich die Chance, beugte mich herunter und machte auch die anderen beiden Pferde los.

Und jetzt versucht mich mal zu kriegen.

Ich stellte mich in die Steigbügel, beugte mich vor und stieß einen gellenden Ruf aus. Meine Stute galoppierte los und die anderen beiden Pferde preschten ins Dickicht davon.

****

Nachdem ich etwa eine halbe Stunde geritten war, sah ich in der Ferne einen anderen Reiter auf mich zukommen. Es war zu dunkel, um etwas zu erkennen, aber eigentlich gab es nur drei Leute, die mitten in der Nacht in den Bergen unterwegs sein konnten. Und ich musste schnellstens herausfinden, wer es war.

Ich riss an den Zügeln, wendete mein Pferd und ritt in die andere Richtung.

»Ryiah?«, rief der andere Reiter.

Diesmal wendete ich mein Pferd sanfter und rief zurück: »Alex!« Und dann: »Wo sind die anderen?«

»Ich hab sie vor ein paar Meilen am Fluss abgehängt. Sie denken, ich folge dem Strom in südliche Richtung. Wo sind deine beiden?«

»Sie haben keine Pferde mehr.«

Ich glaubte, ein Grinsen in Alex’ Gesicht zu erkennen. »Na, auf die Geschichte bin ich gespannt!«

Ich schluckte, als sich meine Schmerzen und das Brennen in meiner Hand zurückmeldeten. Mein Bruder würde in Ohnmacht fallen, wenn er mich im Hellen sah. »Alex«, sagte ich leise, »wir müssen die Nacht durchreiten. Dieser Pass ist nicht sicher.«

»Ich weiß.« Er dachte einen Augenblick nach. »Aber lass uns zu Fuß weitergehen. Unsere Pferde brauchen eine Pause. Wenn wir was Verdächtiges hören, können wir immer noch abhauen. Außerdem kann man kaum noch die Hand vor Augen sehen …« Er lachte leise. »Ich weiß nicht, wie es dir ergangen ist, aber ich bin schon zweimal fast vom Pferd gefallen, und ich hab keine Lust, mein Schicksal herauszufordern.«

Ich war klug genug, nicht auf seine Bemerkung einzugehen. »Dann los«, sagte ich bloß.

Mein Bruder ließ mich vorangehen – ich hatte den besseren Orientierungssinn –, und ohne Umwege gelangten wir zurück zur Hauptstraße.

Nachdem wir eine weitere Stunde lang stumm hintereinander hergegangen waren, lichteten sich die Bäume, und der Mond und ein paar vereinzelte Sterne leuchteten uns den Rest des Weges.

Zum Glück waren wir beide so erschöpft, dass Alex mich nicht genauer ansah. Stattdessen setzten wir unseren Weg schweigend fort und verwendeten unsere letzten Kräfte darauf, wachsam zu sein.

Aber wir hätten uns keine Sorgen zu machen brauchen. Keiner der Banditen kreuzte unseren Weg. Ein paar Stunden später, die Sonne ging gerade auf, machten wir eine höchst erfreuliche Entdeckung: Jenseits der Straße ragte zwischen den Hügeln ein großes, einladend aussehendes Gasthaus auf.

Alex stieß einen Jubelschrei aus, sprang auf sein Pferd und jagte los, und ich folgte ihm, das vorläufige Ziel unserer langen Reise fest im Blick.

Zwei

Ich wollte einfach nur noch schlafen.

Aber Schlaf stand auf der Prioritätenliste meines Bruders eindeutig an letzter Stelle.

»Warum hast du nicht gleich was gesagt?«, rief Alex vorwurfsvoll. Hatte ich’s doch gewusst.

Nachdem wir am Gasthaus angekommen und abgestiegen waren, hatte er die vielen Kratzer, blauen Flecken und das ganze Blut entdeckt und seine Euphorie war augenblicklich verflogen.

Dann sah er meine Hand. Sie war in den letzten Stunden noch schlimmer angeschwollen und hässliche Brandflecke sprenkelten meine Finger.

»Uns in Sicherheit zu bringen, hatte Vorrang!«

»Ach ja?«, fuhr er mich an. »Verschone mich mit diesem Kriegergewäsch, Ryiah! Ich hätte deine Wunden sofort versorgen müssen! Was ist passiert?«

»Ich hab nichts gesagt, weil ich nicht wollte, dass du dich aufregst.«

Alex verzog das Gesicht. »Ich glaube, ich habe ein Recht darauf, zu erfahren, was mit meiner Schwester geschehen ist!«

»Alex, bitte …«, flehte ich. Das Letzte, was ich wollte, war, dass er völlig die Nerven verlor. »Nicht hier. Nicht jetzt … Ich erzähl’s dir morgen, wenn wir uns beide ein wenig ausgeruht haben.«

Alex sah mich finster an. »Na schön, also morgen. Aber dann gibt es keine Ausreden mehr.«

Ich stemmte die Hände in die Hüften. »Wenn du dich weiter so aufführst, werden die Leute anfangen, dich für den Hitzkopf zu halten.«

Er wurde rot. »Tut mir leid«, murmelte er, ohne mich anzusehen. »Es ist nur … na ja … du bist doch meine Schwester.«

Wir betraten das Gasthaus. Während ich unsere Münzen zählte, ging Alex voran und bestellte beim Wirt ein Zimmer und ein Bad. Dann zwinkerte er dem Dienstmädchen zu, das in der Nähe des Tresens herumlungerte, und führte noch eine Reihe von Salben auf, die man uns bringen sollte.

Sie wurde rot und huschte davon, anscheinend verwirrt und fasziniert zugleich. Ich wusste genau, was in ihr vorging.

Alle Mädchen und Frauen lagen meinem Bruder zu Füßen.

Alex und ich waren gleich alt, aber darin erschöpften sich unsere Gemeinsamkeiten auch schon. Ich war immer ein wenig tollpatschig und ungelenk, er hingegen die Selbstsicherheit in Person.

Er war größer als ich und hatte breite Schultern, um die ich ihn beneidete. Egal wie hart ich trainierte, ich blieb hager und schmal. Meinem Bruder wiederum schienen bei der kleinsten Anstrengung Muskeln zu wachsen. Er hatte die weichen braunen Locken und strahlend blauen Augen unserer Eltern geerbt, die Mädchen ins Schwärmen brachten, auch meine Freundinnen. Ja, seinen Augen verdankte er viele Verehrerinnen. Seinen Augen und seinem Humor.

Meine Augen waren auch blau, aber sie waren so hell, dass sie eher gräulich aussahen. Nahm man noch mein ungestümes Temperament hinzu, war es kein Wunder, dass mir die Herzen der Leute nicht auf dieselbe Weise zuflogen wie meinem Bruder.

Ich ähnelte in vielerlei Hinsicht eher meinem jüngeren Bruder Derrick als meinem Zwilling.

Nachdem Alex meine Wunden gesäubert hatte, grinste er schief. »Was jetzt kommt, wird dir nicht gefallen«, warnte er mich vor.

Ich nickte geistesabwesend.

Mein Bruder drückte zwei Finger in meine verbrannte Handfläche. Der stechende Schmerz raubte mir fast die Sinne, aber ich biss die Zähne zusammen. Eine Kämpferin würde nicht weinen, also durfte ich auch nicht weinen.

Der Schmerz hielt noch etwa eine Minute lang an, bis eine eigentümliche Kälte aus seinen Fingerspitzen sickerte und meine Hand umhüllte.

Alex drückte meine Handfläche, bis ich fast keine Schmerzen mehr spürte, dann stand er auf und holte das Tablett, das das Dienstmädchen gebracht hatte.

Mein Bruder füllte ein Glas mit warmem Wasser, rührte Salz hinein und ließ das Gemisch über meine Hand laufen. Es war kein angenehmes Gefühl, aber weit erträglicher als alles zuvor. Er tupfte mit einem kühlen Lappen über die verbrannten Stellen, rieb sie mit Honig ein und wickelte zum Schluss ein dünnes Tuch um meine Hand.

»Ich habe die Hitze aus der Wunde gezogen«, erklärte Alex. »Jetzt solltest du keine allzu großen Schmerzen mehr haben.«

»Danke.«

Alex schüttelte den Kopf. »Hätte das nicht passieren können, nachdem wir unsere Ausbildung an der Akademie begonnen haben? Dann hätte ich viel mehr machen können. So müssen die Schnittwunden jetzt auf natürlichem Weg verheilen.«

Ich wehrte seine Entschuldigung ab. »Sei froh, dass du überhaupt magische Fähigkeiten hast, Bruderherz. Im Gegensatz zu dir werde ich mich in zwei Tagen zum größten Trottel machen, den diese Schule je gesehen hat, wenn ich dort hineinspaziere, ohne auch nur über den Hauch einer magischen Gabe zu verfügen.«

Alex seufzte. Diese Diskussion hatten wir schon tausendmal geführt. »Du hast magische Fähigkeiten, Ry. Sie haben sich nur noch nicht gezeigt. Jeder weiß, dass Zwillinge sie immer beide haben.«

»So steht es in den Schriften, ja, aber wer sagt, dass das auch für uns gilt? Vielleicht bezieht sich das ja nur auf identische Zwillinge.« Ich zwirbelte demonstrativ eine rote Locke um meinen Finger.

Alex tätschelte tröstend mein Knie. »Mögen die Götter uns beistehen, Ry. Selbst wenn du über magische Fähigkeiten verfügst, ist es ja nicht gerade so, als hätten wir große Chancen, an dieser Schule aufgenommen zu werden. Wir sind bloß zwei Kinder von niederem Stand ohne richtige Bildung. Denk an meine Worte, wenn sie uns in einem Jahr in die Kavallerie stecken.«

****

Der nächste Morgen kam viel zu schnell. Ich hatte kaum die Augen zugemacht, da rüttelte Alex mich schon wach und erinnerte mich daran, dass wir noch knapp sechzig Meilen vor uns hatten und nur noch zwei Tage Zeit.

»Wenn wir herumtrödeln, kommen wir nicht rechtzeitig zur Aufnahme«, stichelte er.

Genau denselben Spruch hatte ich ihm vor zwei Tagen an den Kopf geworfen, was uns überhaupt erst in die Berge und in die Arme der Banditen getrieben hatte. Ich funkelte ihn böse an. »Nicht lustig.«

Er grinste bloß.

Murrend zog ich mich an, lief im Zimmer umher und half ihm, unsere Sachen zusammenzupacken.

Beim Hinausgehen drückte er mir mein Frühstück in die Hand – dasselbe steinharte Brot wie immer. Ich warf einen unglücklichen Blick darauf. Sobald ich es mir aussuchen dürfte, würde ich nie mehr etwas anrühren, das aus Roggen bestand.

Ich holte unsere Pferde aus dem Stall und traf meinen Bruder vor dem Gasthaus.

Wir überprüften die Gurte und beluden unsere Satteltaschen. Alex war viel schneller fertig als ich und bot an, mir zu helfen, aber ich lehnte ab. Ein echter Kämpfer musste jeden Tag Schmerzen ertragen, und jetzt, da das Schlimmste überstanden war, hatte auch ich die Zähne zusammenzubeißen.

Laut seufzend stieg mein Bruder auf sein Pferd und brummte irgendetwas von dickköpfigen Schwestern, die sturer waren, als ihnen guttat.

Ein paar Minuten später war auch ich fertig und schwang mich in den Sattel. Ich fühlte mich nicht gerade wie das blühende Leben, dennoch hatten mir ein ganzer Tag und eine Nacht lang Pause gutgetan. Ich spürte nicht mehr jeden einzelnen Knochen und die meisten Schnittwunden waren oberflächlich verheilt. Selbst die Verbrennung an meiner Hand, die immer noch rosarot leuchtete, stach nicht mehr so sehr.

Dafür juckte sie, leider. Doch ich war klug genug, nicht zu kratzen. Den Fehler hatte ich schon oft genug gemacht.

»Was gäbe ich jetzt für eine schöne Schüssel Haferbrei«, schwärmte Alex, als wir auf die Hauptstraße einbogen.

Mir lief das Wasser im Mund zusammen. »Oder ein Honigbrötchen.«

Alex’ Magen knurrte geräuschvoll. Das Brot hatte seinen Hunger nicht stillen können. »Als Allererstes werde ich unsere Lehrer fragen, wie man Essen herbeizaubert – leckeres Essen.«

Ich hob eine Augenbraue. Wir beide wussten, dass die Akademie Krieger ausbildete. Selbst wenn er sich nicht fürs Kämpfen, sondern für den Zweig Heilung entschied, würden sie die Unterrichtsstunden nicht mit etwas so Albernem verplempern. »Ich bin gespannt, wie sie darauf reagieren.«

Alex warf mir sein letztes Stückchen Brot zu.

Lachend fing ich es auf, doch dann bemerkte ich seinen düsteren Gesichtsausdruck.

»Wie sieht’s aus«, sagte er, »willst du mir nun endlich mal erzählen, was passiert ist?«

Von Wollen konnte keine Rede sein, aber ich musste es trotzdem tun. Wahrscheinlich malte Alex sich die wüstesten Sachen aus, seit er meine Verletzungen gesehen hatte. Wäre ich an seiner Stelle gewesen, hätte ich auch darauf bestanden, dass er mit der Sprache rausrückte.

Also erzählte ich ihm alles.

»Dieser erbärmliche Feigling«, knurrte Alex. »Dafür sollte er in der Hölle schmoren.«

Die Erinnerung daran, welch seltsame Wendung die Ereignisse in jener Nacht genommen hatten, jagte mir einen Schauer über den Rücken. Das ergab alles überhaupt keinen Sinn. Wieso hatte Jared plötzlich gebrannt? Klar, wir hatten in der Nähe des Feuers miteinander gerungen, aber war Jared wirklich so dämlich gewesen, sich mitten in die Flammen zu wälzen? Alex schien genau das zu glauben.

Oder war Jared ins Feuer gefallen? Nein, das konnte nicht sein. Er hatte doch auf mir gelegen.

In dem fürchterlichen Augenblick selbst hatte ich über all das gar nicht nachgedacht.

Welche vernünftige Erklärung gab es für das, was mir widerfahren war? Ich wurde das Gefühl nicht los, dass ich etwas Entscheidendes übersehen hatte.

So etwas wie Magie zum Beispiel.

»Ryiah?«

Ich sah zu meinem Bruder. Nachdem wir eine Weile schweigend nebeneinander hergeritten waren, blickte er mich nun erwartungsvoll an.

Ich starrte auf die ausgedehnten Wiesen vor uns und fragte mich, ob ich meinen letzten Gedanken laut aussprechen sollte. Er schien zu schön, um wahr zu sein, und ich wäre am Boden zerstört gewesen, wenn ich mich täuschte. Auch Alex hatte eine Weile gebraucht, um seine Fähigkeiten zu entdecken … aber jedes Mal, wenn ich geglaubt hatte, meine eigenen entdeckt zu haben, hatte ich mich geirrt, und die Enttäuschung darüber war unsäglich lähmend gewesen.

Nein, besser, ich behielt den Gedanken für mich.

Doch dann sprach Alex ihn aus: »Du glaubst, es war Magie, oder?«

Bin ich wirklich so leicht zu durchschauen? Ich wurde rot. »Ich weiß, das klingt verrückt …«

»… aber sehr plausibel.«

»Ja, genau!«

Er wurde still. Dann fragte er: »Bist du dir sicher?«

Ich spielte mit den Zügeln in meinem Schoß. »Nein. Aber der Kerl ist nicht ins Feuer gerollt. Oder hineingefallen. Und er war zu weit weg von den Flammen, um versehentlich Feuer zu fangen.«

»Hast du nicht erzählt, dir wurde schwarz vor Augen, nachdem er dich geschlagen hatte?«, fragte Alex vorsichtig. »Es könnte doch passiert sein, während du bewusstlos warst.«

»Aber beim zweiten Mal war ich nicht bewusstlos«, entgegnete ich. »Ich habe keine Ahnung, wie … aber da war plötzlich dieses Licht. Ein sehr, sehr grelles Licht. Ich … ich dachte erst, es käme vom Lagerfeuer, aber dann hat dieser Jared geschrien und stand in Flammen und ist ums Feuer herumgerannt.«

»Hast du dich irgendwie anders gefühlt als vorher?«, fragte mein Bruder aufgeregt. »War dir ungewöhnlich heiß oder schwindlig? Hast du an Feuer gedacht?«

»Mir tat alles weh, vor allem die Hand … Mir war nicht wirklich schwindlig, aber danach hatte ich grässliche Kopfschmerzen.« Ich dachte kurz nach. »Und nein, ich war viel zu wütend und ängstlich, um an irgendwas anderes zu denken als an das, was gerade passierte.«

Alex runzelte die Stirn. »Klingt nicht unbedingt so, als hätten sich deine Fähigkeiten gezeigt. Bei mir ist es jedenfalls anders …«

Mir kam ein Gedanke. »Was ist, wenn mein Schmerz den Zauber entfesselt hat?«

Alex dachte nach. »Könnte sein … Aber wieso hat es dann nur das eine Mal funktioniert? Er hat dir ja auch schon vorher wehgetan.«

Das stimmte natürlich, andererseits hatte Magie nicht viel mit Logik zu tun … Wenn es für all das eine Erklärung gab, würde ich sie vielleicht an der Akademie finden.

Ich wühlte in meinen Satteltaschen und zog mit klopfendem Herzen das Jagdmesser meines Vaters heraus.

»Ryiah!«, schrie mein Bruder. »Was zum Teufel …«

Wild entschlossen bohrte ich die Klinge in die Handfläche meiner halbwegs heilen Hand und spürte, wie das warme Blut meinen Arm hinunterlief. Dabei starrte ich auf das welke Moos, das über den Stamm eines nahe gelegenen Baums wucherte. Das fellähnliche Gewächs mit seinen leicht entflammbaren, verdorrten Ranken sah aus wie das perfekte Ziel.

Fast in derselben Sekunde fing das Moos an zu qualmen und sich zu kräuseln. Als ich die Klinge fester in die Hand drückte, züngelten winzige Flammen auf und verschlangen die Pflanze.

»ALEX!«

Alex folgte meinem Blick, sein Mund stand sperrangelweit offen.

Was ich sah, faszinierte mich so sehr, dass ich den Schmerz in der blutenden Hand fast vergaß. »Alex, das ist Magie, meine Magie!«

Nachdem mein Bruder seine Schockstarre überwunden hatte, ritt er zu mir herüber und entriss mir wütend das Messer.

Das Feuer erstarb sofort. Was blieb, war ein Haufen verschrumpeltes Moos.

»Ryiah! Du sollst dich doch nicht selbst verstümmeln, nur damit deine Magie sich zeigt!«, schimpfte Alex, als er das viele Blut sah.

»Ich wollte doch nur endlich wissen, ob ich diese Gabe überhaupt habe«, murmelte ich. »Aber jetzt …«

Aber jetzt weiß ich es und darum…

Ich nahm einen anderen Baumstamm ins Visier und versuchte erneut, meine Magie zu entfesseln. Ohne mir Schmerzen zuzufügen.

Nichts geschah.

Meine Hand pochte wie wild und mein Schädel dröhnte. Trotzdem versuchte ich es weiter. Ich richtete den Blick auf einen grasbewachsenen Hügel in der Nähe und konzentrierte mich auf ein Büschel vertrocknetes Gras.

Doch es passierte immer noch nichts.

Ich versuchte es wieder und wieder. Und noch einmal.

Schließlich hatten wir einen ganzen Wald voller moosbewachsener Bäume durchquert, ohne dass sich ein einziges Flämmchen oder auch nur das geringste Anzeichen von Magie gezeigt hatte.

Als wir am Abend unser Lager errichteten, war ich maßlos enttäuscht.

»Was stimmt nicht mit mir?«, maulte ich und schmiss ein paar Zweige ins Feuer. »Warum kann nicht mal irgendwas einfach sein?«

Alex lachte laut auf. »Weil es um dich geht, Ry. Nichts von dem, was du dir jemals gewünscht hast, ist dir einfach so zugeflogen.«

Ich stieß einen frustrierten Seufzer aus. »Du musstest dich nie so anstrengen.«

Er schenkte mir ein schiefes Lächeln. »Stimmt, aber ich finde trotzdem, du solltest ein bisschen mehr Geduld mit dir haben. Bei mir hat es zwei Monate gedauert, bis ich mit meiner Gabe einigermaßen umgehen konnte, und davon abgesehen habe ich nie etwas auch nur halb so Beeindruckendes zustande gebracht wie du bei diesem Banditen.« Er nahm meine Hand. »Mach dir keine Sorgen, Ry. Ich bin mir sicher, dass du an der Akademie lernen wirst, deine Gabe einzusetzen, ohne dir selbst wehtun zu müssen.«

Das hoffte ich auch. Ansonsten stünde mir nämlich ein verdammt hartes Jahr bevor.

****

Am nächsten Morgen riss mich ein seltsames Geräusch aus dem Schlaf. Es klang wie fernes Donnergrollen. Ich strampelte meine Decke weg und sah, dass Alex neben mir hockte und den bebenden Boden unter seinen Füßen anstarrte.

»Was ist das?«, fragte ich, als Alex auch schon sagte: »Klingt wie eine Horde Reiter auf der Flucht.«

Ich ließ meinen Bruder beim Lager zurück und ging auf die Straße, um herauszufinden, aus welcher Richtung die Reiter – oder wer auch immer – kamen. Es klang, als wären sie direkt hinter der nächsten Biegung.

»Runter von der Straße, Ry!« Mein Bruder zerrte mich gerade noch rechtzeitig zurück, bevor neun riesige, glänzend schwarze Pferde auftauchten, die zusammen mit ihren Reitern die gesamte Breite der Straße einnahmen. Die Männer ritten in Zweierreihen, ihre Rüstungen funkelten in der Morgensonne.

Acht der Reiter trugen schwere Kettenhemden mit Metallplatten an Armen und Schultern. Ritter. Die Mienen unter ihren Helmen waren finster und entschlossen.

Eine Welle der Übelkeit stieg in mir auf. Wenn Alex mich nicht weggezerrt hätte, hätten sie mich einfach totgetrampelt.

In der Mitte der Formation ritt ein junger Mann, nicht viel älter als ich. Doch im Gegensatz zum Rest der Truppe trug er keine Rüstung. Dennoch hatte er etwas Respekteinflößendes an sich und wirkte keineswegs wehrlos.

Alles an ihm war einschüchternd – sein Umhang, seine Hose, seine Stiefel, selbst die Stiefelschnallen waren schwarz. Was jedoch noch beunruhigender war, waren seine Augen. Der Fremde hatte die dunkelsten Augen, die ich je gesehen hatte. Genau wie seine kinnlangen Locken glänzten sie tiefschwarz wie die Nacht.

Sein Blick verfinsterte sich, als er mir im Vorbeireiten in die Augen sah. Es fühlte sich an, als hätte mir jemand in den Bauch getreten. Herablassende Blicke war ich von den vornehmen Leuten aus unserem Dorf gewohnt, aber seine Verachtung ging viel tiefer. Wie kann man Menschen, die man gar nicht kennt, so feindselig ansehen?

Dennoch konnte ich den Blick nicht abwenden.

Kaum waren die neun außer Sichtweite, ging mir auf, was der junge Reiter um den Hals getragen hatte: eine Kette mit einem Blutstein-Anhänger.

Es gab nur eine einzige Familie im ganzen Königreich, die diesen Stein tragen durfte, und das wiederum konnte nur eines bedeuten: dass soeben einer der beiden Prinzen an mir vorbeigeritten war.

»Weißt du, wer das war?«, fragte ich, nachdem ich die Fassung wiedergewonnen hatte.

Alex nickte sprachlos.

»Glaubst du, dass er zur Akademie …« Ich verstummte. Was redete ich denn da? Natürlich wollte er nicht dorthin.

Keinem Mitglied der königlichen Familie war es erlaubt, die Akademie zu besuchen. So war es seit Gründung der Schule gewesen, und in den neunzig Jahren danach hatte niemand je gewagt, an diesem Gesetz zu rütteln.

Alex schien dasselbe zu denken. »Zwischen unserem König und den Magiern hat immer Einigkeit geherrscht. Ich kann mir nicht vorstellen, warum jemand diesen Frieden stören sollte.«

Ich dachte kurz nach. »Na ja, dieser Prinz schien wegen irgendetwas ziemlich schlecht gelaunt zu sein.«

Mein Bruder gähnte. »Vielleicht hat ihm heute Morgen jemand in seinen Tee gespuckt. Wen kümmert’s?« Er zeigte zu unserem Lager. »Auf alle Fälle haben wir noch einen Tagesritt vor uns. Also los, hilf mir, die Pferde zu satteln.«

****

Als wir den Gipfel erklommen hatten, war die Sonne untergegangen und hatte den Himmel rotgolden gefärbt. Vage konnte ich im schwachen Licht den Weg ausmachen, der den Hang hinabführte – die letzte Etappe unserer Reise.

Häuser, die von oben aussahen wie kleine Schächtelchen, duckten sich in die Landschaft. Vor uns lag das Küstenstädtchen Sjeka. Ein ausgetretener Pfad schlängelte sich zwischen Wohnhäusern und Läden hindurch, vorbei an kargen Weideflächen, und endete an einem riesigen Gebäude.

Die Akademie.

Dicke grauschwarze Steine waren zu einer eindrucksvollen Festung aufgetürmt worden. An den Seitenmauern wehten farbige Stoffbanner – in Tannengrün, Glutrot und Rabenschwarz –, wobei jedes Banner für einen der drei Zweige stand, die man an der Akademie wählen konnte.

An jeder Ecke des Gebäudes ragte ein Turm in den Himmel.

Ich schluckte. Selbst an ihrer niedrigsten Stelle war die Burg vier Stockwerke hoch, und mit jedem Mal, das ich meinen Blick auf sie richtete, schien sie zu wachsen.

»Wenn das die Akademie ist, wie mag dann wohl erst der Königspalast aussehen?«, keuchte Alex.

Darauf fiel mir keine Antwort ein.

Zögernd begann ich, meine Stute hangabwärts zu treiben. Alex folgte mir, und nach wenigen Minuten, die sich anfühlten wie Jahre, standen wir vor den Toren der Akademie.

Wir stiegen ab und überließen die Zügel einem Stallknecht, der in der Nähe stand.

Ich holte tief Luft, streckte die Hand nach einem der beiden großen, verzierten Griffe an der Tür aus und zog vorsichtig daran.

Die Tür bewegte sich nicht.

Stirnrunzelnd sprang Alex herbei, und mit vereinten Kräften zerrten wir an den Griffen, bis die Tür sich schließlich knarrend öffnete.

Kaum waren wir drinnen, verschlug es mir endgültig den Atem.

Nichts von alledem, was ich jemals über die Akademie gehört hatte, wurde dem gerecht, was meine Augen nun erblickten. Natürlich hatte ich gewusst, dass die Akademie zu den schönsten Bauwerken im ganzen Land gehörte. Aber nie hätte ich damit gerechnet, dass sie so schön sein würde.

Der Boden war aus schwarzem Marmor, auf dem jeder unserer Schritte hallte. An den Wänden aus rauem, ungeschliffenem Sandstein hingen eiserne Wandleuchter, in denen brennende Fackeln steckten. Jedoch leuchteten die Flammen nicht golden wie normales Feuer, sondern flackerten kristallblau.

Am Ende des Gangs öffnete sich ein gigantischer Raum mit einer riesigen gewundenen Treppe in der Mitte. Als ich ihn betrat, wirkte er sogar noch viel größer. Die Treppe war durch ein massives eisernes Geländer gesichert und schraubte sich hoch und höher hinauf. Im ersten Stockwerk teilte sie sich in zwei Aufgänge. In westlicher Richtung konnte man durch ein großes Facettenfenster die zerklüfteten Berge und das Meer sehen, für welches Sjeka so berühmt war.

Abendlicht durchflutete den ganzen Raum, und als ich den Kopf weit in den Nacken legte, erblickte ich das Atemberaubendste, was ich jemals gesehen hatte: Die Decke bestand ganz und gar aus Buntglas. Tausende roter und goldener Glasfensterchen leuchteten um die Wette. Mir blieb vor Staunen der Mund offen stehen. Was für ein Anblick!

»Seht mal, da kommen noch zwei arme Schlucker.«

Rüde aus meinen Gedanken gerissen, schaute ich mich um. Als wir den Raum betreten hatten, war mir die Menschentraube entgangen, die sich zu unserer Linken versammelt hatte. Etwa hundert junge Männer und Frauen scharten sich um eine Gestalt, die ich nicht genauer erkennen konnte. Die meisten von ihnen schienen aufmerksam zuzuhören, ohne Alex und mich weiter zu beachten, aber eine kleinere Gruppe am Rand musterte uns skeptisch.

Augenblicklich wurde mir bewusst, wie wir aussehen mussten – nach einem Fünftagesritt, nach all den Strapazen. Unsere Reitsachen waren fleckig von Dreck und Schweiß und Blut, meine Haare völlig zerzaust. Selbst unsere Arme waren von einer hübschen Dreckschicht überzogen, seit wir das letzte Mal gebadet hatten. Und dann waren da noch meine üblen Verletzungen.

So viel zum ersten Eindruck.

Ich ignorierte die abschätzigen Blicke und lief meinem Bruder hinterher, der sich einen Weg durch die Menge bahnte, um herauszufinden, wer da sprach. Als ich mich an Armen und Ellbogen vorbeiquetschte, stolperte ich und kippte nach vorn.

Zum Glück war das Gedränge so groß, dass ich bloß gegen meinen Vordermann prallte und nicht der Länge nach auf den Boden schlug.

»Ich bitte vielmals um …«

Der groß gewachsene Fremde drehte sich um.

Es war er. Der Prinz mit den zornigen Augen, der heute Morgen an uns vorbeigeritten war.

Selbst jetzt, viele Stunden später, sah er noch genauso schlecht gelaunt aus.

»… Verzeihung«, sagte ich kläglich.

Er sah mich einfach nur an. Ich spürte, wie mir unter seinem wortlosen Starren die Hitze in die Wangen schoss, aber da hatte er mir auch schon wieder den Rücken zugekehrt.

Wie reizend, dachte ich.

Nachdem ich soeben einen der beiden Prinzen verärgert hatte, beschloss ich, für heute lieber kein weiteres Aufsehen zu erregen, und schob mich ganz vorsichtig bis nach vorn zu Alex.

Dort stand ein großer Mann in wallender schwarzer Seidenrobe. Ich erkannte ihn an dem Emblem an seinem Ärmel.

»Ist das Master Barclae?«, flüsterte Alex mir ehrfürchtig ins Ohr.

Ich nickte. Master Barclae oder der »Meister der Akademie«, wie sein offizieller Titel lautete, war ein gut aussehender Mann mit markanten Gesichtszügen und gestutztem grau melierten Bart. Er hatte ein, zwei Jahre vor Alex’ und meiner Geburt die Leitung der Akademie übernommen. Es hieß, dass der letzte Jahrgang höchst vielversprechender Nachwuchsmagier allein ihm zu verdanken gewesen war.

Ich reckte den Hals, um zu hören, was er zu sagen hatte.

»… wird es in den ersten zwei Monaten um die Vermittlung von Grundlagen gehen. Außerdem gilt es herauszufinden, auf welchen Zweig ihr euch spezialisieren wollt. Den Rest der Zeit werden wir euch mit dem Wesen eurer magischen Fähigkeiten vertraut machen.«

Jemand stellte leise eine Frage.

Master Barclae lachte kühl. »So etwas wie ›Freizeit‹ gibt es hier nicht. Wenn du eine vergnüglichere Laufbahn im Sinn hattest, hättest du dich an einer der anderen Schulen bewerben müssen, die von der Krone bezahlt werden. An der Schule der Ritter zum Beispiel, oder vielleicht bei der Kavallerie? In letzterer bleiben so viele, dass ich davon ausgehe, sie halten ihre Schüler mit Süßigkeiten bei Laune.«

Ich schielte zu Alex hinüber. Von Vergnügen konnte an keiner der beiden Schulen, die Master Barclae erwähnt hatte, die Rede sein!

Alex erwiderte mein eingeschüchtertes Lächeln. Jetzt gibt es kein Zurück mehr.

»Warum wir nur fünfzehn von euch auswählen werden? Nun, genau genommen sind selbst fünfzehn schon zu viel. Magie ist eine rar gesäte Gabe, viel zu selten, um eine solche Anzahl zu rechtfertigen. Aber die Krone fordert nun mal jährlich mindestens fünfzehn neue Kriegsmagier für ihre Armee. Früher waren es noch mehr, aber das war die reinste Ressourcenvergeudung und gefährdete die Ausbildung der wenigen, die es wirklich verdient hatten, hier zu sein. Die Akademie stellt allerhöchste Ansprüche, und es wäre vollkommener Unfug, in die Ausbildung von Taugenichtsen zu investieren. Seid also froh, dass immerhin fünfzehn von euch bleiben werden, und hört auf, mich mit derart albernen Fragen zu behelligen.«

Die Schüler löcherten Master Barclae weiter, bis er sich schließlich räusperte. »Das reicht für heute Abend. Es ist schon spät, und eure offizielle Einführung findet morgen früh statt.« Er schnaubte. »Den Rest eurer sinnlosen Fragen dürft ihr euch also gern für eure Lehrer aufsparen.« Ohne eine Reaktion abzuwarten, verließ Master Barclae das Podium und verschwand in einem der Flure.

Keiner der Anwesenden rührte sich. Erst als kurz darauf einer der Hausdiener in die Halle gestürmt kam, erwachten wir aus unserer Starre.

»Master Barclae wird morgen früh wieder da sein«, rief der Mann mit hoher Stimme. »Falls ihr es noch nicht getan habt, meldet euch bei Barrius, unserem Verwalter, im Ostflügel. Er wird sich um eure Einweisung kümmern.«

Fast augenblicklich zerstreute sich die Menge. Die meisten verschwanden im selben Flur wie Master Barclae, mein Bruder und ich gingen mit einer kleinen Gruppe in die andere Richtung.

Während wir durch den langen Flur liefen, kam ich mit einem Mädchen ins Gespräch, das mir auf den ersten Blick sympathisch gewesen war. »Ich glaube, jetzt verstehe ich, warum meine Eltern nicht wollten, dass ich auf die Akademie gehe«, sagte ich zu ihr.

Das Mädchen sah mich an. »Mein großer Bruder hat es vor ein paar Jahren hier versucht. Er meinte, es läge nur an einem selbst, wie hart die Zeit hier wird.« Sie lachte. »Und dann war Jeff einer der Ersten, die abgebrochen haben. Ich sollte also vielleicht nicht alles glauben, was mein Bruder erzählt.«

Ich grinste. »Ich bin übrigens Ryiah.«

»Ella«, sagte sie und streckte mir die Hand entgegen.

Ich schüttelte sie lächelnd. »Ich bin mit meinem Zwillingsbruder hier«, sagte ich und zeigte auf Alex, der davon allerdings nichts mitbekam, weil er viel zu sehr damit beschäftigt war, einem blondhaarigen Mädchen hinter uns schöne Augen zu machen.

Ach, Alex, dachte ich. Jetzt schon?

»Ihr seht euch überhaupt nicht ähnlich«, stellte Ella fest.

Ich zuckte die Schultern.

»Und woher kommt ihr?«

»Ein paar Tagesritte östlich von hier. Hast du schon mal von Demsh’aa gehört?«

Ella nickte. Eine schwarze Locke fiel ihr über die bernsteinfarbenen Augen. »Mein Vater macht regelmäßig an der Apotheke in Demsh’aa halt. Er schwört auf die Schlafsäckchen von dort, die seien angeblich viel besser als die, die man bei den Hofmagiern zu kaufen bekommt.«

»Das ist die Apotheke unserer Eltern!«, rief ich. »Die Säckchen hat mein Bruder Alex gemacht. Die gehen weg wie warme Semmeln.« Ich lächelte. »Er hatte schon immer ein Händchen für so was. Und zu unserer großen Überraschung hat er eines Tages verkündet, dass er Heiler werden will.«

»Oh … willst du dann auch zu den Heilern?«

»Nein, ich will Kämpferin werden.«

Ella lachte. »So wie fast alle hier.«

»Und was ist mit dir?«

»Ich auch.« Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Es hat dreizehn Jahre gedauert, bis meine Eltern die Hoffnung endlich aufgegeben haben, eine feine Hofdame aus mir machen zu können. Danach habe ich ein Jahr lang auf sie eingeredet, dass sie mich auf die Schule der Ritter gehen lassen sollen … aber dann habe ich meine Magie entdeckt. Und hier bin ich nun.«

Also war Ella von adliger Abstammung. Das erklärte ihren vornehmen Akzent. Aber sie war anscheinend auch ein Sturkopf, und das einte uns. Es würde schön sein, hier eine Freundin wie sie zu haben.

»Wann bist du angekommen?«

»Kurz vor euch. Aber keine Sorge. Wir haben nicht viel verpasst. Ich habe jemanden erzählen hören, dass sich außer Master Barclae noch keiner der Lehrer hat blicken lassen.«

Ich seufzte. »Gut. Das hätte mich sonst ziemlich geärgert. Wir haben uns nämlich wirklich beeilt. Trotzdem saßen wir heute acht Stunden im Sattel.«

»Ihr seht auch so aus, als hättet ihr einen langen Tag hinter euch«, bemerkte Ella.

Ich zupfte am zerfransten Saum meines fleckigen Hemds. »Eher eine lange Woche …«

»Was ist mit deinem … oh, schau mal. Ich glaube, wir sind da.« Ella deutete auf einen Durchgang, in dem einer der anderen gerade verschwunden war. Wir liefen hinterher und fanden uns in einer Kammer wieder, in der uns ein einschüchternd aussehender alter Mann und der hektische Diener von vorhin erwarteten. Jeder von ihnen hielt eine Schriftrolle mit Namen in der Hand.

»Zuerst die Damen«, bellte der Alte, bei dem es sich um Barrius handeln musste.

Nachdem sie alle auf der Liste abgehakt hatten, musterte Barrius uns abschätzig. »Also dann: Willkommen, ihr Grünschnäbel, in eurer ganz persönlichen Hölle, die bis auf Weiteres euer neues Zuhause sein wird.«

Niemand sagte ein Wort.

Sind hier alle so böse?, fragte ich mich. Ich hatte davon gehört, dass die Bediensteten der Akademie Erstklässler nicht sonderlich mochten, doch ich hatte gehofft, Master Barclae wäre eine Ausnahme gewesen. Inzwischen fragte ich mich allerdings, ob sie uns nicht nur nicht mochten, sondern verabscheuten.

»Nun, ihr seid natürlich nicht hier untergebracht. Wir vergeuden keine Burgzimmer an Erstklässler. Eure Unterkünfte befinden sich hinter dem Hauptgebäude. Es gibt zwei Baracken. Eine für die Jungen, eine für die Mädchen. Dort werdet ihr euch aufhalten, wenn ihr nicht gerade im Unterricht oder beim Essen seid.«

Mir klappte die Kinnlade herunter. Baracken? Ich hörte neben mir jemanden nach Luft schnappen. Offensichtlich war ich mit meiner Verwunderung nicht allein.

»Frederick« – Barrius deutete auf den Diener, der neben ihm stand –, »wird euch hinbringen. Um euer Gepäck müsst ihr euch selbst kümmern.« Und in noch schärferem Tonfall ergänzte er: »Wir haben Regeln, an die ihr euch während eures Aufenthalts hier zu halten habt. Es ist strengstens verboten, die Unterkünfte des anderen Geschlechts auch nur zu betreten. Zapfenstreich ist um zehn. Die Teilnahme am Unterricht ist Pflicht. Keine unerlaubten Kämpfe. Und ihr dürft das Gelände der Akademie nicht verlassen. Keine Ausnahmen.« Barrius schaute zur Decke. »Sollte sich jemand von euch an eine dieser Regeln nicht halten, wird er sich schnurstracks in meinen heiligen Hallen wiederfinden. Legt es lieber nicht darauf an. Mir reicht schon der kleinste Verstoß, um euch nach Hause zu schicken.«

****

Schweigend trotteten wir hinter Frederick her. Ich war wohl nicht die Einzige, die sich einen herzlicheren Empfang ausgemalt hatte.

Als wir bei den Holzbaracken angekommen waren, sagte ich Alex gute Nacht und betrat mit Ella die Unterkunft für die Mädchen.

Sie war viel geräumiger, als man von außen hätte vermuten können – selbst für fünfzig Mädchen –, und keineswegs so abscheulich wie befürchtet. Es gab eine Reihe von Doppelbetten mit weich aussehenden Decken und an jeder Wand kleine Schränke für unsere Sachen. Am gegenüberliegenden Ende des Raumes stand ein großer Kamin, in dem zwar kein Feuer brannte, der im Winter aber bestimmt ein behagliches Plätzchen bot. Im Nachbarhaus gab es sogar mehrere Waschräume, und auch wenn ich vermutlich die halbe Nacht anstehen musste, um einen davon zu benutzen, so hatte ich doch zumindest die Möglichkeit, mich zu waschen.

Außerdem gab es zwei Dienstmädchen. Wie Barrius uns bereits gesagt hatte, kümmerten sie sich nicht um jede von uns persönlich, aber sie machten Feuer, wuschen unsere Bettwäsche und erhitzten uns das Badewasser. Das war mehr, als ich von zu Hause gewöhnt war.

Ich erkannte fast sofort, welche Mädchen wie ich aus eher ärmlichen Verhältnissen stammten und welche von vornehmer Geburt waren. Meinesgleichen war hier in der Minderheit, wir waren vielleicht zehn von insgesamt fünfzig. Während die anderen Mädchen sich lautstark über unser Quartier beschwerten, waren wir froh über das, was wir hier vorfanden. Ella schimpfte zwar nicht so forsch wie die anderen, aber auch ihr war die Enttäuschung anzusehen.

Ich stellte meine Tasche auf ein freies Bett und packte ein Baumwollnachthemd und frische Unterwäsche aus, die einzige, die ich noch hatte. Dann ging ich zu den Waschräumen.

Nach einer Stunde Warten durfte ich endlich ein lauwarmes Bad nehmen und schrubbte mich, bis meine Haut ganz rau war. Weil hinter mir niemand mehr wartete, konnte ich mir Zeit lassen. Offenbar hatte der ganze Dreck, der an mir klebte, die anderen Badewilligen abgeschreckt.

Als ich in mein Bett kroch und mich unter der weichen Decke zusammenrollte, kehrte meine Erschöpfung mit voller Wucht zurück. Ich kam nicht einmal mehr dazu, Ella eine gute Nacht zu wünschen. Kaum hatte mein Kopf das Kissen berührt, war ich auch schon eingeschlafen.

Drei

Ryiah, wach auf! Alle anderen sind schon fort!«

Stöhnend öffnete ich die Augen. Jeder Muskel meines Körpers fühlte sich an, als hätte man ihn mit tausend kleinen Hämmerchen bearbeitet. Kein angenehmes Gefühl.

Unter Ellas ungeduldigem Blick quälte ich mich aus dem Bett.

»Wie viel Zeit haben wir noch?«

»Noch zehn Minuten, bis das Frühstück vorbei ist und wir uns mit Master Barclae treffen.«

Barclae. Augenblicklich war jede Müdigkeit vergessen. Hastig warf ich mir mein einziges sauberes Kleid über und rannte hinter Ella ins Freie. Im Laufen kämmte ich mir mit den Fingern durch die zerzausten Haare und wünschte, ich wäre ein paar Minuten früher aufgestanden.

Wir liefen über den Hof zum Hintereingang des Hauptgebäudes. Als wir in den Speisesaal kamen, wurden die Servierplatten gerade zurück in die Küche gebracht. Wundervoll.

Ella und ich setzten uns an einen Tisch am Rand. Gerade als ich ein paar Plätze weiter meinen Bruder erspäht hatte, betrat Master Barclae den Speisesaal. In seiner Seidenrobe wirkte er wieder sehr streng und eindrucksvoll.

»Nun, wie ich sehe, seid ihr immer noch alle da. Ich werde mein Bestes geben, das zu ändern.«

Ich schauderte. Master Barclaes Laune war noch schlechter als am Abend zuvor.

»Was will der denn hier?«, flüsterte Ella.

Ich drehte mich um und sah, wen sie meinte. An einem der vorderen Tische saß der Prinz.

Ich hatte bis eben gar nicht mehr an ihn gedacht. »Vielleicht weiß er das selbst nicht so genau«, flüsterte ich, doch diese Antwort klang sogar in meinen Ohren absurd.