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***BAND 1-3 DER ROMANTISCHEN MAGIC-CHRISTMAS-REIHE IN EINEM SAMMELBAND***
Band 1: Weihnachtswunder auf Norwegisch
Eine alleinerziehende Mutter steht vor einer schwierigen Entscheidung: den Job oder ihre Familie. In den verschneiten Wäldern Norwegens findet sie jedoch nicht nur berufliche Herausforderungen, sondern auch eine unerwartete Begegnung, die ihr Leben verändert.
Band 2: Weihnachtsglück auf Sylt
Nach einem schweren Verlust sucht eine junge Frau auf Sylt einen Neuanfang. Umgeben von Winterstürmen und einsamen Stränden beginnt sie, das Vertrauen ins Leben – und in die Liebe – wiederzuentdecken.
Band 3: Weihnachtsküsse in Cornwall
Eine junge Frau begibt sich auf die Suche nach ihrer lange verschollenen Mutter. In einem weihnachtlich geschmückten Dorf in Cornwall findet sie nicht nur Antworten, sondern auch eine Liebe, die alle ihre Vorstellungen übertrifft.
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Danielle A. Patricks, Lotte R. Wöss & Lisa Diletta
Über das Buch:
Weihnachtswunder auf Norwegisch
Vergiss nicht die Liebe, sie gehört ebenso zum Leben wie Geld und Verdienst.
Bianca Hammerl, eine alleinerziehende Mutter, wird von ihrem Chef vor eine schwierige Wahl gestellt: Entweder nimmt sie einen Job in Norwegen an, um mit der Firma ZAP über eine Fusion zu verhandeln, oder sie wird entlassen. In ihrer Not entscheidet sie sich für Norwegen.
Dort trifft sie auf Sven Hagen, einem Workaholic durch und durch und den Kopf der Firma ZAP. Obwohl er seltsam distanziert wirkt, knistert es zwischen ihnen gewaltig. Bianca schließt eine neue Beziehung kategorisch aus, doch Sven weckt Gefühle in ihr, die sie nicht erwartet hat.
Während sich die beiden langsam näherkommen, steht ihnen ihre Arbeit im Weg. Denn Svens Kollegen trauen Bianca nicht und sie setzen alles daran, die Beziehung der beiden zu verhindern.
»Weihnachtswunder auf Norwegisch« ist eine herzerwärmende Geschichte über die Macht der Liebe und den Zauber der Weihnachtszeit. Erleben Sie, wie Bianca und Sven Hindernisse überwinden, um ihre Liebe zu finden und zu bewahren.
Weihnachtsglück auf Sylt
Nach dem Tod ihres wesentlich älteren Mannes ist Leonie dem Spott ihres kleinen Dorfes ausgeliefert. Sie möchte auf Sylt einen Neustart wagen. Doch es gelingt ihr nicht, die schlimmen Erlebnisse hinter sich zu lassen. Ohne neue Kontakte zu schließen, igelt sie sich ein. Nur in den Morgenstunden, wenn es noch dunkel ist, verlässt sie ihr Haus für einsame Strandspaziergänge. Eines Tages trifft sie auf Matties. Er verfolgt sie mit Hartnäckigkeit und lässt nicht locker, bis sie einwilligt, ihn auf dem Weihnachtsmarkt zu treffen.
Matties, ehemaliger Bergsteiger, kämpft mit Schuldgefühlen, die ihn nachts nicht schlafen lassen. Nur zaghaft können sich beide öffnen. Gerade als sie ihre Liebe zueinander eingestehen, wird Leonie von ihrer Vergangenheit eingeholt und läuft Gefahr, alles wieder zu verlieren.
Weihnachtsküsse in Cornwall
»Das kleinste und ungemütlichste Heim wird zu einem Schloss, wenn die Liebe darin wohnt.«
In einem Weihnachtsladen in London entdeckt Emilia einen Hinweis auf den Aufenthalt ihrer Mutter. Die Italienerin hat sie als Säugling zu ihrem Vater nach Wien gebracht und ist seither verschollen. Emilia kann ihr Glück kaum fassen, ist sie doch seit einer gefühlten Ewigkeit auf der Suche nach ihr. Kurzentschlossen reist sie nach Newquay an die Küste Cornwalls. Während sie den spärlichen Spuren im kornischen Sand folgt, lernt Emilia Finley kennen. Der Profi-Surfer reitet auf tosenden Wellen direkt in ihr Herz.
Finley führt der Tod seines Bruders zurück aus Hawaii in die verhasste Heimat. Er muss das Erbe antreten und möchte das Herrenhaus und sämtliche dazugehörigen Ländereien so rasch wie möglich verkaufen sowie Cornwall für immer verlassen. Sich in Emilia zu verlieben, stand nicht auf dem Plan.
Obwohl die Gefühle zwischen den beiden bei jeder Begegnung wachsen, treiben ihre Ziele sie auseinander.
Doch da haben sie die Rechnung ohne den Weihnachtsmann gemacht …
Alle Teile der Magic-Christmas-Reihe können unabhängig voneinander gelesen werden.
Danielle A. Patricks, Lotte R. Wöss & Lisa Diletta
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Dezember © 2024 Empire-Verlag
Empire-Verlag OG, Lofer 416, 5090 Lofer
Carolin Wenner
https://www.die-zeilenschleiferei.de/
Korrektorat: Heidemarie Rabe
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Cover: Chris Gilcher
https://buchcoverdesign.de/
Illustrationen Band 1: Adobe Stock ID 438771716, Adobe Stock ID 281923508, Adobe Stock ID 316881867, und freepik.com
Band 2: Illustrationen: Adobe Stock ID 438771716, Adobe Stock ID 281923508, Adobe Stock ID 316881867, Adobe Stock ID 52603924
Band 3: Adobe Stock ID 438771716, Adobe Stock ID 281923508, Adobe Stock ID 316881867
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Danielle A. Patricks
Weihnachtswunder auf Norwegisch
Bianca
»Tobias, Schätzchen, langsam. Vorsicht!« Bianca hechtete zu ihrem Sohn und fing ihn rechtzeitig auf, bevor sein Kopf mit dem Schlafzimmerschrank kollidierte.
»Huch, da hast du noch einmal Glück gehabt.«
Tobias war mit seinen eineinhalb Jahren ein aufgeweckter Junge. Die ersten Schritte hatte er schon mit neun Monaten gestartet und war seitdem nicht mehr zu halten. Seither versuchte er, die Welt zu erkunden, indem er überall hinaufkletterte.
»Bleib bitte einen Moment sitzen, Tobi, Schatz. Ich muss dich fertig anziehen. Mama hat es eilig.« Genervt blies Bianca eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Ihr Haar schrie schon lange nach einem Friseur. Sie fühlte sich müde und schlaff. Nur mit Mühe schaffte sie es, die dunklen Augenringe mit Make-up im Ansatz zu kaschieren. Diese Nacht war viel zu kurz gewesen, sie hatte kaum geschlafen. Tobias war immer wieder mit Weinkrämpfen aufgewacht. Gegen zwei Uhr morgens war sie aufgestanden, um ihrem Sohn ein Fläschchen mit Babymilch zuzubereiten und ihn zu füttern. Danach war er zufrieden eingeschlafen, um abermals um vier Uhr in der Früh Radau zu schlagen. Im Moment turnte er auf dem Bett herum und verweigerte partout das Anziehen.
Bianca schüttelte resigniert den Kopf und erhaschte Tobias am Oberarm, zum Glück rechtzeitig, bevor er mit dem Kopf voran auf dem Boden aufschlug.
»So, jetzt reicht es. Anziehen! Mama hat ein wichtiges Meeting und darf nicht zu spät kommen«, schimpfte sie, gab ihm aber sofort ein Küsschen auf seine gerötete weiche Wange. Er duftete herrlich nach Babyöl, mit dem sie ihn beim Wickeln eingecremt hatte. Tobias verzog zwar das Gesicht, war aber gleich wieder versöhnt und strampelte kräftig mit den Beinen, während sie ihm die Hose überstreifte. Mit einem Ruck drehte er sich auf den Bauch und versuchte, von ihr wegzukrabbeln.
Es war immer dieselbe Prozedur. Abermals schnaufte Bianca. Schnell zog sie ihm die warme türkisgrüne Jacke aus Alpakawolle an, die ihnen ihre Schwester Hanna geschenkt hatte und die Schuhe über. Endlich! Geschafft! Rasch setzte sie Tobias in den Buggy. Selbst schlüpfte sie in die weißen Sneakers. Erst jetzt bemerkte sie, dass auf ihrer weißen Bluse ein riesiger Fleck von Tobis Obstbrei prangte.
»Verflucht!« Schnell rannte sie ins angrenzende Schlafzimmer und zog ein beiges Oberteil aus dem Schrank. In einem enormen Tempo hatte sie sich das beschmutzte Kleidungsstück über den Kopf gestreift und das frische übergezogen. Bianca schnappte sich die Umhängetasche und schob den Kinderwagen zum Lift. Es blieben nur noch knapp fünfzehn Minuten, um Tobias selbst in die Kita zu bringen. So ärgerlich, dass ihre Mitbewohnerin Emma ausgerechnet heute eine wichtige Prüfung hatte. Emma studierte an der BOKU – Universität für Bodenkultur – Wien und gemeinsam bewohnten sie eine fünfzig Quadratmeterwohnung. Mit ihr verband sie mittlerweile eine innige Freundschaft, nicht zuletzt auch deswegen, weil sie bei der Betreuung half. Oft sprang sie ein, wenn sie keine Vorlesung hatte oder der Junge krank war. Aber heute musste Bianca auf ihre Hilfe verzichten und ihren Sohn selbst in der Kita abliefern. Zum Glück war Tobias ein offenherziger und zugänglicher Junge, der ohne Probleme bei anderen Personen blieb. Bianca schob im Laufschritt den Buggy vor sich her. Tobias gefiel die Geschwindigkeit. Sie erreichte die Kita nach wenigen Gehminuten. Chrissy, die Kindergartenpädagogin, nahm Tobi in Empfang. Mit einem schnellen Kuss auf die Wange verabschiedete sich Bianca von ihrem Sohn und hastete zur U-Bahnstation. Die Bahn stand bereits und Bianca setzte zu einem Endspurt an. In letzter Sekunde sprang sie durch die sich schließenden Türen. Endlich in der U-Bahn versuchte sie, zumindest für die nächsten drei Stationen durchzuschnaufen und sich innerlich auf das Meeting vorzubereiten, obwohl sie eingequetscht im Gang stand. Sitzplätze waren keine mehr frei. Dies war um diese Uhrzeit ganz normal. Es war die Hauptzeit, wo die Leute zu ihren Arbeitsplätzen fuhren.
»Du bist heute aber spät dran«, begrüßte sie Anita, mit der sie das Büro teilte. »Der Chef hat schon nach dir gefragt. Begeistert war er nicht, dass du nicht pünktlich warst.«
Der Schweiß drang Bianca aus allen Poren. Verdammt! Sie blickte auf die Uhr. Zehn Minuten hatte sie sich verspätet. Dabei hatte sie sich so beeilt. Sie fuhr ihren Computer hoch und wählte die Nummer des Chefs.
»Auch schon da, sauber!«, meldete er sich. Unmut schwang in seiner Stimme mit. »Kommen Sie in mein Büro, damit ich mit Ihnen noch etwas besprechen kann, bevor das Meeting beginnt.«
Bianca legte auf und eilte zum Lift. Als sie im neunten Stockwerk ausstieg, beäugte sie Erika, skeptisch, die gute Seele im Haus, die versuchte, die Launen des Chefs abzuschwächen. Der Empfang war ihr Arbeitsbereich, der in unmittelbarer Nähe des Lifts lag.
»Guten Morgen, Bianca. Der Chef ist heute schlechter Laune«, flüsterte sie und zwinkerte ihr aufmunternd zu.
Bianca nickte und setzte ein krampfhaftes Lächeln auf, streckte ihren Rücken durch und eilte den Gang entlang.
Sie klopfte und wartete das mürrische »Herein« ab, bevor sie öffnete.
»Nehmen Sie Platz«, murrte Adam Wimmer. Er saß hinter seinem riesigen Schreibtisch aus Teakholz. »Frau Hammerl, ich hoffe, es wird nicht zur Gewohnheit, dass Sie zu spät zur Arbeit kommen?«
Bianca setzte zu einer Antwort an, aber er unterband diese schroff.
»Die Entschuldigungen können Sie sich sparen. Nun, kommen wir zum Grund, warum ich Sie sprechen wollte. Wie Sie sicherlich schon mitbekommen haben, wollen wir expandieren, und zwar nach Norwegen. Die ersten Verhandlungen sind bereits erfolgt. Heute kommt eine Delegation der norwegischen Firma ZAP, einem aufstrebenden Technologieunternehmen, von dem wir vorhaben, Anteile zu erwerben und als Investor zu fungieren.«
Bianca lauschte seinen Erklärungen und fragte sich, was das mit ihr zu tun hatte.
»Also«, sprach er bereits weiter, »bisher war ich mit Ihrer Arbeit sehr zufrieden, außerdem sprechen Sie ausgezeichnet englisch. Des Weiteren haben Sie auch Norwegisch während des Studiums gelernt, wenn ich richtig informiert bin. Weshalb ich mir überlegt habe, Sie nach Norwegen zu schicken, damit Sie vor Ort bei ZAP die nötigen rechtlichen Schritte einleiten. Was dort Ihre Aufgaben sind und worauf Sie achten müssen, erfahren Sie noch rechtzeitig. Das wollte ich Ihnen sagen, bevor wir nun ins Meeting gehen.«
Bianca verschluckte sich. »Was? Ich? Ich soll nach Norwegen gehen? Und was mache ich mit meinem Sohn? Als Alleinerziehende kann ich nicht so einfach in der Weltgeschichte herumreisen«, wehrte sie sich. »Außerdem konnte ich mich darauf ja gar nicht vorbereiten, wie soll das gehen?« Bianca war fix und fertig. So eine tolle Chance hätte sie sich ohne Kind nie entgehen lassen. Aber jetzt? Ihr war völlig bewusst, dass ihr Chef ihre Erklärungen nicht hören wollte. Wahrscheinlich hatte sie sich damit schon vorab aus dem Rennen gekickt.
»Bevor Sie ablehnen, verfolgen Sie, was im Meeting besprochen wird, dann gebe ich Ihnen eine Woche Zeit, sich die Sache zu überlegen. Und für Ihren Sohn finden Sie sicherlich eine Lösung. Das ist eine einmalige Chance. Viele hier würden sich alle zehn Finger abschlecken, wenn sie ein solches Angebot erhalten.« Er blickte auf die Uhr. »Wir müssen los. Kommen Sie«, forderte er sie auf.
Bianca erhob sich. Kurz schwankte sie. Ihre Beine versagten fast den Dienst. Wimmer jedoch öffnete die Tür des Büros und eilte bereits voraus. Sie bemühte sich, auf wackeligen Beinen mit ihrem Chef Schritt zu halten, der auf dem Weg zum Besprechungsraum war.
»Norwegen«, schwirrte ihr im Kopf herum. Wie sollte sie sich jetzt auf diese Besprechung konzentrieren? Sie hatte sich bei dieser Firma beworben genau aus dem Grund, weil sie geschäftlich in vielen Ländern tätig waren. Sie hatte die Hoffnung gehabt, dass ihr hier im Konzern die Welt offenstand, auch wenn sie diese selbst nicht bereisen konnte. Zumindest derzeit noch nicht. So erhoffte Bianca sich, an den Erfolgen ihrer Kollegen im Ausland teilhaben zu können.
Im Besprechungsraum waren die Tische in U-Form aufgestellt, die Sessel rundum angeordnet. Die Stimmen und Gespräche verstummten, als ihr Chef den Raum betrat. Sie folgte ihm mit gesenktem Kopf. Schnell bog sie nach rechts ab und nahm auf dem freien Sessel neben ihrem Kollegen, Herrn Dr. Krottmaier, Platz.
Während ihr Chef alle Anwesenden begrüßte, ließ sie ihren Blick zur gegenüberliegenden Tischseite schweifen. Dort saßen fünf Männer und eine Frau, die Delegation der norwegischen Firma. Besonders ein Mann fiel ihr ins Auge. Obwohl er saß, strahlte er den anderen gegenüber eine gewisse Überlegenheit aus. Seine dunkelblonden kurz geschnittenen Haare waren locker zurückgekämmt und eine vorwitzige Strähne fiel ihm mitten in die Stirn. Eine Brille mit rechteckiger Fassung saß auf seiner geraden Nase und betonte seine Augen. Leider erkannte sie ihre Farbe aus der Ferne nicht. Zudem waren seine Lippen schön geformt. Wie es sich wohl anfühlte, diese zu küssen? Sein Gesicht gefiel ihr, definitiv. Sie musste sich konzentrieren. Er schien Wimmers Worten gespannt und voll konzentriert zu lauschen. Sven Hagen stand auf dem Tischschild.
Plötzlich nannte Wimmer ihren Namen. Sie zuckte zusammen, alle Blicke richteten sich auf sie. Hitze stieg innerlich in ihr empor. Nur nicht rot werden, befahl sie sich, atmete tief durch und setzte ein gekünsteltes Lächeln auf. Wimmer machte mit der Präsentation weiter und Bianca entspannte sich wieder, weil er sie nur als zuständige Mitarbeiterin genannt hatte. Sie hätte doch besser dem Vortrag lauschen sollen, als mit den Gedanken zu den Norwegern abzuschweifen. Zumindest zu dem einen.
Als ihr Chef mit seiner Präsentation fertig war, übergab er das Wort an die Gäste.
Dieser Sven Hagen stand auf und trat neben Herrn Wimmer. Er bedankte sich in einwandfreiem Deutsch und hielt seine Rede. Bianca war beeindruckt. Sie vermochte sich gar nicht auf seine Erläuterungen zu konzentrieren, zu sehr war sie von seiner sonoren tiefen Stimme mit dem leichten Akzent fasziniert. Außerdem überragte er mit seiner stattlichen Größe ihren Boss mehr als einen Kopf.
Das Vibrieren ihres Handys in ihrer Jackentasche rüttelte sie auf. Sie fischte es heraus und hielt es verstohlen unter den Tisch, um die Nachricht zu lesen. Das klang gar nicht gut. Sie stand auf und eilte in den Flur. Dort rief sie Chrissy zurück.
»Hallo, super dass Sie zurückrufen«, meldete sich diese sofort. »Tobias hat erbrochen. Mir scheint, er hat auch Temperatur. Können Sie ihn abholen?«
»Auweia, das ist gerade ganz schlecht. Ich bin mitten in einem Meeting und kann gerade nicht weg.« Bianca sah auf ihre Armbanduhr. »Ich versuche, meine Freundin zu erreichen, vielleicht holt sie Tobi ab. Ich rufe Sie in ein paar Minuten zurück«, dann legte sie auf. So ein Mist, schimpfte sie in Gedanken und wählte Emmas Nummer. Es dauerte etwas, bis sie das Gespräch annahm.
»Hi, hast du die Prüfung schon abgelegt? Wie ist es gelaufen?«
»Ja, alles fertig und ich denke, es wird schon reichen. Aber deswegen rufst du sicher nicht an«, ertappte sie Bianca.
»Tobi geht es nicht gut, aber ich kann hier ganz schlecht weg. Könntest du ihn holen? Hast was gut bei mir.«
»Geht schon klar. Ich bin für heute an der Uni fertig. Dann lauf ich gleich los. Bring aber bitte für später etwas zu essen mit«, bat Emma.
»Danke, und ja, ich muss eh noch Windeln und einige andere Dinge besorgen.« Bianca legte erleichtert auf. Sie eilte zurück auf ihren Platz. Von ihrem Chef erntete sie missbilligendes Stirnrunzeln. Dieser Hagen sah ebenfalls kurz zu ihr, als sie sich wieder setzte.
»Habe ich etwas Wichtiges verpasst?« Die Frage richtete sie an Dr. Krottmaier.
»Erzähle ich Ihnen später«, flüsterte er, ohne den Vortragenden aus den Augen zu lassen.
Nach den Ansprachen und ersten Präsentationen folgte eine Pause mit Getränken und Snacks.
Bianca bediente sich mit einem Lachsbrötchen. Ihr Magen machte sich mit einem Knurren bemerkbar, da sie heute noch nichts gegessen hatte.
»Sie sind Frau Magistra Hammerl?« Sven Hagen stand plötzlich neben ihr. Sie hatte ihn gar nicht registriert. Allein seine Stimme beschleunigte ihren Herzschlag.
»Ja, die bin ich. Und Sie sind Sven Hagen? Warum fragen Sie?« Neugierde machte sich bemerkbar.
»Herr Wimmer hat sie in den höchsten Tönen gelobt. Er hält große Stücke auf Sie. Was mich wundert«, ergänzte er nach einer kurzen Pause. »Sie sind noch sehr jung und ich frage mich, ob Sie das nötige Wissen mitbringen.«
»Doch, natürlich. Wie kommen Sie denn darauf?«
»Sie sind doch sicherlich erst vor Kurzem mit dem Studium fertig geworden«, kam es skeptisch über seine Lippen. Sein Blick von oben herab ließ das Blut in ihren Adern beinahe gefrieren. Aber nur beinahe!
Bianca reichte es. Sollte sie sich vor diesem arroganten Typen vielleicht auch noch rechtfertigen? Bevor sie zu einer Entgegnung ansetzen konnte, tauchte ihr Chef neben ihnen auf.
»Schön, das sehe ich gerne, Sie haben sich bereits bekannt gemacht«, legte er sofort los. Dann bediente er sich am Buffet, ohne das Reden zu unterbrechen.
»Im Anschluss nach den weiteren Programmpunkten treffen wir uns beim Gasthof ums Eck zum gemütlichen Ausklang. Da können Sie beide sich bereits etwas näher kennenlernen, denn schließlich sollen Sie ja in der Folge im Team zusammenarbeiten. Frau Hammerl wird die rechtlichen Schritte abklären, die noch offen sind, und alles in einem Vertrag schriftlich festhalten.«
Bianca verschluckte sich an ihrem Brötchen. Als sie wieder Luft bekam, schüttelte sie den Kopf.
»Herr Wimmer, Herr Hagen, so leid es mir tut, ich kann heute im Anschluss nicht mitgehen. Mein Sohn ist krank und ich muss nach Hause.«
Jetzt war es draußen. Das war es dann wohl mit der Karriere. Aber was soll’s. Mit Kind im Gepäck hätte sie sowieso nie nach Norwegen übersiedeln können. Bianca nahm sich ein Glas Wasser, um sich abzulenken. Die Blicke der beiden Männer schmerzten. Frauen und Job war das eine, aber eine Frau mit Mutterpflichten und Job das andere. Überall wurde von ihr voller Einsatz erwartet.
»Wie alt ist Ihr Sohn?«, fragte Sven Hagen.
»Siebzehn Monate.« Bianca rüstete sich auf einen Angriff. Wie sie diese ewigen Erklärungen satthatte. An der Uni, hier im Unternehmen, ständig kamen blöde Kommentare, dass Tobias ihrer Karriere im Wege stände.
Sven Hagen richtete sich an Wimmer. »Sie haben nicht erwähnt, dass Frau Hammerl ein Kind hat. Sollte sie wirklich nach Norwegen kommen, müsste doch einiges mehr bedacht werden. Sie wird einen guten Betreuungsplatz benötigen, auch sind die Arbeitszeiten genau abzuklären. Uns Norwegern liegt das Wohl der Kinder sehr am Herzen.« Es klang fast wie eine Rüge. Schließlich wandte er sich wieder Bianca zu. »Unser Team ist noch zwei Tage hier. Wir können uns gerne morgen am Vormittag zusammensetzen und die wichtigsten Punkte besprechen«, bot er ihr an.
Mit vielem hätte sie gerechnet, nicht jedoch mit Sven Hagens Verständnis.
»Ich hoffe, Sie kommen morgen ins Büro«, meckerte Wimmer. »Kann jemand Ihren Sohn in der Zwischenzeit betreuen?«
»Natürlich«, antwortete Bianca ohne nähere Erläuterung. Am liebsten hätte sie ergänzt, dass sie jetzt ja auch da sei, obwohl ihr Kleiner krank ist. Sie verbiss sich diese Bemerkung allerdings.
Als sie sich endlich auf den Heimweg machte, war es schon nach siebzehn Uhr. Um ins Shoppingcenter zu kommen, musste sie eine Station früher die U-Bahn verlassen. Überall erstrahlte die Weihnachtsbeleuchtung bei den Geschäften, über den Straßen und Gassen. Es leuchtete und schimmerte, wohin man schaute. Das erinnerte sie an zu Hause, an Funkelstein. Da würden gerade auch die ersten Weihnachtsvorbereitungen getroffen werden. Und Weihnachten hieß, dass sie für Tobias unbedingt noch Geschenke benötigte. Sie hatte absolut keine Ahnung, was ihm das Christkind dieses Jahr unter den Christbaum legen könnte. Mit diesem Wochenende startete die Adventszeit, stellte Bianca erschrocken fest. Wie schnell die Zeit doch verging. Im Einkaufscenter klangen aus den Lautsprechern Weihnachtsmelodien. Sie lief zum Drogeriemarkt, um für Tobias Babybrei, Windeln, Feuchttücher und eine Hautcreme zu besorgen. Anschließend eilte sie zum Lebensmittelmarkt. Dort überlegte sie, was sie heute kochen sollten. Bianca wählte Karotten, Paprika, Erbsen, Reis und etwas Geschnetzeltes, das im Einkaufswagen landete. Reisfleisch mit Gemüse aßen sie alle gern, sogar Tobias. Zufrieden steuerte sie die Kassen an. Eine lange Warteschlange hatte sich gebildet und es dauerte einige Minuten, bis sie endlich die Ware auf das Band legen konnte. Mit den schweren Taschen bepackt steuerte sie auf den Ausgang des Einkaufszentrums zu. Schon von Weitem entdeckte sie den Weihnachtsmann mit seiner roten Bekleidung aus Mütze, Hemd und einem Mantel, besetzt mit weißem Plüschkragen. Der Mann war etwas korpulent, der weiße Vollbart reichte fast auf die Brust, eine Halbbrille saß auf seiner Nasenspitze, um die Taille trug er einen breiten schwarzen Gürtel mit goldener Schnalle. Goldene Metallknöpfe zierten das Hemd. Seine Füße steckten in schwarzen Stiefeln mit Krempen. So hatte sie sich den Weihnachtsmann vorgestellt. Vor einem Laden namens Santas Art & Craft mit Weihnachtsdekoration, der ihr zuvor nie aufgefallen war, unterhielt er sich mit einem kleinen Mädchen, auch andere Kinder standen neben ihm. Ein Lächeln huschte über Biancas Lippen. Irgendwie fand sie es schade, dass sie Tobias nicht dabeihatte. Der Weihnachtsmann hätte ihm sicherlich gefallen. Als sie auf seiner Höhe war, bewegte sich der Mann mit wenigen Schritten auf sie zu. Er stellte sich ihr in den Weg. Verwundert blieb sie stehen und blickte ihn an.
»Nicht so eilig, nicht so eilig«, sagte er mit einer tiefen, aber weichen Stimme. Seine freundlichen blauen Augen musterten sie aufmerksam. Er griff in seinen Sack, den er umgehängt hatte, und reichte ihr ein kleines viereckiges Päckchen. »Mir scheint, dich bedrücken Sorgen, auch Wünsche sehe ich in deinem hübschen Gesicht. Nicht wahr? Es werden sich für dich viele neue Möglichkeiten auftun, vertraue deinem Gefühl und deinem Herzen, dann stehen dir die Welt und die Liebe offen. Und dieses Päckchen ist der Schlüssel zu allem, gehe sorgsam damit um.«
Bianca rieselte ein eigenartiger Schauer über den Rücken. Ihr wurde innerlich warm, sogar heiß. Bevor sie antworten konnte, war er im kleinen Weihnachtsladen verschwunden gefolgt von der Kinderschar, die ihn zuvor umgeben hatte. Das war ja eine seltsame Begegnung. Einige Augenblicke starrte sie ihm hinterher, obwohl er nicht mehr zu sehen war. Mit der kleinen Box in der Hand stand sie verloren da. Bianca schüttelte energisch den Kopf, steckte das Geschenk in die Manteltasche, nahm ihre Einkaufstaschen und beeilte sich, so rasch wie möglich zur U-Bahnstation zu kommen.
Völlig erledigt und müde hastete sie nach Hause. Sie suchte in der Tasche die Eingangsschlüssel.
»Bianca, mein Schatz, hallo.«
Wie vom Blitz getroffen erstarrte sie. Vor dem Hauseingang stand Tobias’ Vater, Professor Stefan Wolf, der sie vor zwei Jahren wie eine heiße Kartoffel hatte fallen lassen, als er von ihrer Schwangerschaft erfahren hatte.
»Was willst du?« Sie presste die Worte heraus und ihre Augen verfinsterten sich zu Schlitzen. Stefan war der letzte Mensch auf der Welt, den sie sehen wollte. Nach all dem, was er ihr angetan hatte, wünschte sie sich nichts sehnlicher, als dass er verschwand.
»Kannst du dir das nicht denken? Du fehlst mir und ich möchte mein Kind kennenlernen. Ich weiß nicht einmal, ob es ein Mädchen oder ein Junge ist.«
»Verschwinde, auf der Stelle! Such dir deinesgleichen!«
»Na, na«, er ging einen Schritt auf sie zu. »Schatz, wir hatten doch eine wunderschöne Zeit, die willst du doch nicht einfach wegwerfen?«
»Aha, welche Zeit? Die kurze Affäre? Und? Für beide eine unverbindliche Bettgeschichte, zwar mit Folgen, aber trotzdem nicht mehr! Ich möchte dich nur daran erinnern, dass du es warst, der seine Ehe wegen einer wie mir nicht gefährden wollte. Fallen gelassen hast du uns damals, gleich nachdem ich dir von der Schwangerschaft erzählt habe.« Bianca kochte innerlich vor Wut. Und diesen Mann hatte sie bewundert, angehimmelt und vielleicht sogar geliebt. Zumindest war sie in ihrer Vorstellung verliebt gewesen, die sich dann in Rauch aufgelöst hatte. Ihr Professor, der Schwarm aller Studentinnen, der kollegiale, sympathische Kerl hatte sie aus all den anderen auserkoren und ihre Liebe erhört. Na ja, das war jetzt übertrieben, stellte sie zerknirscht fest, er hatte sie um den Finger gewickelt, um sie in die Federn zu bekommen. Das war ihm gelungen und er hatte sich bei ihr nicht einmal sonderlich anstrengen müssen.
»Ich weiß, dass ich dich schlecht behandelt habe. Es tut mir leid, ehrlich«, er hob beide Arme in die Höhe und setzte einen mitleidheischenden Blick auf. Sie hatte ganz vergessen, wie gut er den beherrschte.
»Lass uns einfach von vorne anfangen, dann brauchst du dich nicht mehr abmühen.« Er zeigte auf ihre Einkaufstaschen. »Lass mich teilhaben an eurem Leben und ich lege dir die Welt zu Füßen.«
»Und was sagt deine Frau zu deinen Plänen?« Bianca riss bald der Geduldsfaden.
»Ich bin frei. Also, worauf wartest du noch? Gehen wir in die Wohnung? Hier wird es langsam ungemütlich.«
Bianca glaubte, nicht richtig zu hören. »Was, bitte schön, hat der kluge Herr Professor an ›verschwinde‹ nicht verstanden? Hau einfach ab und lass mich in Zukunft in Ruhe!« Zu gerne wäre sie an ihm vorbeigestürmt und im Inneren des Hauses verschwunden. Leider musste sie dazu erst aufsperren und er stand ihr breitbeinig im Weg.
»Bianca …«, begann er.
»Ich nehme dir dein Gefasel nicht ab. Ich zähle bis drei und wenn du dann nicht weg bist, rufe ich die Polizei! Und ich glaube nicht, dass das deinem Ansehen guttun würde.«
Abermals hob er die Arme. »Ich verstehe, dass du wütend bist. Denk über mein Angebot nach. Ich melde mich wieder.« Dann ließ er sie stehen und lief davon.
Sie beeilte sich, in die Wohnung zu kommen. Der Schock saß tief.
Sven
Sven und sein Team befanden sich gerade beim Abendessen mit Wimmer und einigen seiner Angestellten, als sein Handy läutete.
»Matties, hallo, schön, dass du dich meldest. Wie geht’s dir, alter Junge?«, begrüßte Sven seinen Freund am Telefon. Er stand auf und entfernte sich einige Schritte vom Tisch. Der Lärmpegel im Restaurant war recht hoch, sodass er kaum etwas verstand.
»Es geht so. Wollte dich einfach nur mal hören. Ist einige Zeit her, dass wir uns gesehen haben. Wie laufen die Geschäfte?«
»Prima. Bin gerade in Wien, die Verhandlungen mit dem Investor sind angelaufen. Sehen wir uns einmal, dann kann ich dir mehr erzählen?«
»Wäre schon fein. Aber wann kann ich dir jetzt nicht sagen, da ich auch unterwegs bin. Müsste mal meinen Terminkalender checken.«
»Mach das und melde dich, wenn du ein paar Tage freinehmen kannst«, bat Sven und verabschiedete sich.
Sven kannte seinen Freund vom Kindergarten und der Schule. Svens Vater war auf Sylt geboren, seine Mutter in Norwegen, in Mandal. Sie lebten damals auf Sylt in enger Nachbarschaft mit Matties’ Familie. Als sie die Nachricht erhielten, dass seine Großmutter in Mandal schwer erkrankt sei, fassten seine Eltern schweren Herzens den Entschluss, in die Heimat seiner Mutter zu übersiedeln. Sein Vater suchte sich dort einen Job. Damals mit seinen zwölf Jahren war Sven der Abschied von seinem besten Freund sehr schwergefallen. Und weil beide Jungs unter dieser Trennung litten, durften sie sich in den Sommerferien gegenseitig immer wieder für zwei Wochen besuchen. Obwohl sie im Leben schließlich ganz andere Wege eingeschlagen hatten, hatte ihre Freundschaft all diese Zeit gehalten. Es freute ihn zudem, dass es seinem Freund allem Anschein nach besser ging. Seit einem großen Unglück am Berg, für das er sich schuldig fühlte, führte er auf Sylt ein komplett zurückgezogenes Leben.
»Immer am Arbeiten, was?« Herr Wimmer prostete ihm zu, als er zum Tisch zurückkam.
»Nein, nein. Keine Sorge«, erwiderte Sven und nahm sein Glas in die Hand, um mit Herrn Wimmer anzustoßen.
Die folgenden Gespräche drehten sich um den Ankauf von ZAP-Anteilen, um die Möglichkeiten, unter welchen Voraussetzungen Investitionen getätigt werden konnten, um die Vorteile, die diese brachten, aber ebenso um die Nachteile. Sven hörte zu und machte sich sein eigenes Bild über die Situation. Er nahm sich fest vor, gleich morgen mit seinen Kollegen zu sprechen, bevor sie zu PTS fuhren. Es half nichts, sie mussten sich auf den Investor einlassen, und das so schnell wie möglich. Die Zeit drängte. Sein gesamtes Vermögen war in die Firma und in die Entwicklung des Produkts geflossen und die finanziellen Möglichkeiten ausgeschöpft, um das Projekt zu vollenden. Es fehlte ihnen an Geld für einen Lagerraum und für den Kauf von Batterien. Außerdem war ihm zu Ohren gekommen, dass eine weitere Firma mit einer ähnlichen Idee auf den Weltmarkt drängte. Da hieß es, der Erste zu sein. Die Sorgen drückten schwer auf sein Gemüt. Sollte es nicht bald eine Lösung geben, war er gezwungen die Firma aufzugeben. Die kleinen Aufträge, die sie nebenbei erledigten, rechneten sich nicht.
Nachdem die Letzten ihre Gläser geleert hatten, brachen sie auf. Es war ein langer, anstrengender Tag gewesen. Er bemerkte, dass nicht nur er sich auf sein Nachtlager im Hotel Imperial freute.
Am nächsten Morgen regnete es. Der Himmel war wolkenverhangen. Die Welt sah mehr als trostlos aus.
Nach dem Frühstück fuhren Sven und seine Teamkollegen Bjarne, Leif, Malte, Frederik und Kaja mit einem Taxi in die Zentrale der PTS. Das Gedränge in der U-Bahn wollten sie sich ersparen. Die Firma befand sich am nördlichen Rand von Wien. Sven sah vorher seine Unterlagen durch, damit er nichts vergaß. Für heute stand an erster Stelle der Tagesordnung, dass diese Frau Magistra Hammerl mit ihnen die rechtlichen Grundlagen besprach. Er freute sich darauf, sie näher kennenzulernen. Die Frau hatte etwas an sich, das seine Neugierde weckte. Gestern, als er neben ihr gestanden hatte, hatte er irgendwie das Bedürfnis verspürt, ihr helfen zu müssen, als ihr Boss derart herablassend mit ihr gesprochen hatte. Wie alt sie wohl war? Aber das brauchte ihn nicht zu interessieren, schließlich hatte sie ein Kind, einen Sohn, wenn er sich recht erinnerte. Und dazu gab es sicherlich einen Vater. Außerdem fiel ihm die Vorstellung schwer, dass sie die Rechtsberatung bei der Fusion sein sollte. Sie war für seinen Geschmack dafür zu jung und seiner Vermutung nach wahrscheinlich auch noch zu unerfahren.
Bjarne riss ihn aus den Gedanken.
»Weißt du Boss, ich bin gespannt, was uns diese ganze Firmenzusammenlegung bringt. Bis jetzt sehe ich da für uns noch keinen Vorteil.« Bjarne war von Grund auf ein Skeptiker.
»Abwarten. Und aufpassen, dass sie uns nicht übertölpeln«, mischte sich Leif ins Gespräch. »Irgendwie möchte ich nicht am Ende des Tages feststellen, dass sie unser Know-how einstecken und wir dann leer ausgehen.«
»Jungs, keine Sorge, das wird nicht passieren«, beschwichtigte Sven. Er war froh, dass Bjarne mit dem Thema angefangen hatte. Sven wollte sowieso noch mit ihnen reden und hatte dies vor sich hergeschoben. »Mit unserer Idee, Alt-Batterien von Elektroautos aufzukaufen und als Speicher für Unternehmen oder Haushalte umzubauen, sind wir vorerst ziemlich die Ersten. Das hat auch das Interesse von PTS geweckt. So weit sind wir uns einig, oder?«
Alle nickten. »Und wir brauchen eine finanzielle Unterstützung, damit wir Batterien ankaufen, umrüsten, wieder als neues Produkt verkaufen und am Markt ankommen können. Auch ein Lager fehlt uns. Es läuft nicht auf eine totale Zusammenlegung hinaus. PTS wird Firmenanteile von uns erwerben. Wir müssen noch verhandeln wie viele. Das heißt, wir bleiben eine eigenständige Firma mit mehr finanzieller Unterstützung. Bjarne, allerdings musst du die Software zum Managen der Batterien noch ausfeilen. Sie funktioniert zwar bei der einfachen Simulation, wie wir gesehen haben, ist aber für den Echtbetrieb noch unausgereift.«
»Genau, und das ist der nächste Punkt. Wir können doch nicht ein halb fertiges Produkt verkaufen! Wenn das auffliegt, können wir einpacken«, machte sich Leif Luft.
»Nur mit der Ruhe. Wimmer braucht doch nicht wissen, dass wir im Echtbetrieb noch Schwierigkeiten haben. Die Idee ist grandios und an der Umsetzung arbeiten wir mit Hochdruck weiter. Für den praktischen Teil seid ihr verantwortlich und die Umsetzung und die rechtlichen Schritte erledige ich. Außerdem läuft uns die Zeit davon, wenn wir nicht bald Nägel mit Köpfen machen. Ich habe Informationen, dass es auch eine andere Firma mit einer ähnlichen Idee gibt. Wir müssen unbedingt die Ersten sein. Versteht ihr?« Sven gab sich zuversichtlicher, als er sich fühlte.
Betretenes Schweigen. Sogar Leif verkniff sich einen Kommentar.
Mittlerweile war der Verkehr gänzlich zum Erliegen gekommen, hatte er sich bis jetzt zumindest zäh, aber immerhin fortbewegt, stand die Kolonne nun endgültig.
»Wenn das so weitergeht, kommen wir noch zu spät. Das macht auch kein gutes Bild«, seufzte Sven, als er auf die Uhr sah.
Endlich rollte das Taxi wieder an. Der Fahrer sagte etwas auf Italienisch, das sie nicht verstanden. Anscheinend fluchte er über einen anderen Verkehrsteilnehmer, der ihn geschnitten hatte, weshalb er abrupt bremsen musste.
»Ist hier jeden Morgen so ein starker Verkehr?«, fragte Sven den Taxifahrer.
»Ja, ja, ist hier immer die Hölle am Morgen«, bestätigte der Mann. »Sind viele Idioten unterwegs, mamma mia, jetzt steht wieder alles, weil die Leute bei Rot noch über die Kreuzung fahren. Nach der Ampel nehme ich eine andere Strecke, damit ihr pünktlich ankommt.« Vico, zumindest war der Name vorne auf dem Armaturenbrett gut sichtbar angebracht, nickte mit dem Kopf, um dem Gesagten mehr Ausdruck zu verleihen. Sven seufzte.
»Kaja, hast du mir das gestrige Gesprächsprotokoll gemailt?« Sven öffnete sein Tablet.
»Ja, Boss, sicher. Und euch auch«, erwiderte Kaja. Sie war die Büroangestellte der Firma ZAP und dafür zuständig, alles zu dokumentieren.
Im Taxi herrschte Ruhe. Während Sven den Text durchlas, hingen seine Mitarbeiter ihren Gedanken nach.
»Bald ist Weihnachten«, sagte da auf einmal Kaja in die Stille. »Schaut, die wunderschöne Beleuchtung an den Häusern. Wow, das ist ja schrill und bunt.« Sie war total begeistert. Sven fand die ganzen leuchtenden, in vielen Farben schillernden Figuren eher kitschig. Über den aufgeblasenen Weihnachtsmann, der auf einer Leiter hing und in ein Fenster einzusteigen schien, musste er sogar schmunzeln. Aber er behielt dies für sich. Er bemerkte, dass sie wieder schneller fuhren und sich der Verkehr gelichtet hatte. Hatte der Fahrer wirklich einen anderen Weg abseits der Hauptverkehrsader eingeschlagen? Einige Minuten vor acht Uhr fuhr Vico auf das Gelände der Firma PTS. Sven bedankte sich, zahlte und gab ihm ein ordentliches Trinkgeld.
Im neunten Stock wartete bereits Erika Meisel auf sie. Sie führte sie ins Besprechungszimmer, in dem schon Herr Wimmer und Frau Hammerl anwesend waren. Dr. Krottmaier gesellte sich zeitgleich zu ihnen. Frau Meisel bot pflichtbewusst Kaffee an. Als alle mit dem braunen Aufputschmittel versorgt waren, startete wie tags zuvor Herr Wimmer mit einem Vortrag.
»Zu Beginn präsentiere ich Ihnen heute Zahlen und Zukunftsberechnungen, die Herr Dr. Krottmaier dankenswerterweise für mich ausgearbeitet hat, damit Sie sehen, welche Vorteile wir Ihnen als Investor bringen werden«, begann Wimmer. Nach zwanzig Minuten war er mit der Präsentation durch.
»So, meine Damen und Herren, nun habe ich leider einen anderen wichtigen Termin und übergebe an Frau Magistra Hammerl und Herrn Dr. Krottmaier.« Er nickte beiden zu. »Auf Wiedersehen. Sollten Sie Fragen haben, gegen vierzehn Uhr sollte ich zurück im Büro sein«, ergänzte Wimmer und verließ eilig den Raum. Nachdem die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen war, stand Dr. Krottmaier auf.
»Haben Sie zum Bericht beziehungsweise zu den genannten Zahlen noch Fragen?« Er sah in die Runde. Da sich niemand zu Wort meldete, sprach er weiter. »Frau Hammerl hat nun einige Punkte, die für die Zusammenlegung von Bedeutung sind, zusammengefasst. Frau Hammerl, bitte«, übergab er ihr das Wort.
Bianca wirkte müde, obwohl sie dies sichtlich mit Make-up zu vertuschen versucht hatte. Sie blätterte kurz in ihren Unterlagen, stand dann auf und begab sich zum Pult, von dem aus sie die Power-Point-Präsentation startete.
»Sehr geehrte Damen und Herren, ich habe nach den gestrigen Gesprächen zusammengefasst, was alles bedacht werden muss«, begann Bianca ihren Vortrag.
»Die Produktion muss irgendwie finanziert werden:
Ein Lager und entsprechendes Kapital müssen vorhanden sein, um Fahrzeugbatterien aufzukaufen und zwischenzulagern, wobei der Betrieb des Lagers aufgrund der Brandgefahr ›alter‹ Batterien nicht zu unterschätzen ist.
Es wird Personal für das Lager benötigt werden und auch ein Lagerverwaltungsprogramm.
Auch eine Werkstatt wird benötigt, welche aufgrund des Tätigkeitsbereichs strikten Auflagen unterliegt.
Für die Produktion wird ein Personalstamm benötigt werden, welcher laufend monatliche Kosten, also Ausrüstung, Personalkosten, Steuern verursacht und auch über einen Zeitraum bezahlt werden muss, zu dem noch keine Umsätze generiert werden.
Maschinen zur Vorbereitung der gebrauchten Batterien auf das zweite Leben müssen zugekauft und Personal für das Handling und die Aufbereitung geschult werden.
Der Transport muss organisiert werden, da das Produkt vielleicht unter gewisse Regulierungen des Sondertransportes fällt.
Ohne einen größeren Investor wird ein solches Projekt nicht zu bewältigen sein.
Und da kommen wir ins Spiel«, erläuterte sie weiter.
»Wir haben bereits einen Personalstamm und besitzen ein entsprechendes Lager mit Werkstatt.
Wir sammeln bereits Autobatterien, um sie zu recyceln beziehungsweise zu vernichten. Das heißt, Sie brauchen diese nicht mehr zuzukaufen.
Durch uns erhalten Sie frisches Kapital zur Finanzierung der weiteren Forschung innerhalb des Start-ups …«
Ihre Expertise imponierte Sven und er fragte sich, wann sie sich auf die heutige Sitzung vorbereitet hatte. Ihr schlichtes Auftreten im schwarzen Hosenanzug mit der weißen Bluse, in der sie noch zerbrechlicher wirkte als in ihrem gestrigen Outfit, gefiel ihm, mehr als es für ihn gut war. Die Haare zu einem festen Dutt am Hinterkopf hochgesteckt, vermittelten Strenge, die ihre angenehme Stimme Lügen strafte. Die schwarz umrahmte Brille unterstrich ihr Auftreten. Er ertappte sich dabei, dass er mit den Gedanken abdriftete. Ob es klug wäre, sie zum Essen einzuladen? Aber wozu? Sie war vergeben, schalt er sich. »Konzentrier dich auf das Fachliche«, ermahnte er sich. Außerdem arbeitete sie für den potenziellen Investor. Nicht, dass sie Firmeninterna nach außen trug. Es war besser, Privates außen vor zu lassen. Mit Frauen hatte er bis dato sowieso nur schlechte Erfahrungen gemacht. Also warum drehten sich seine Gedanken um diese Bianca Hammerl?
»Sehe ich das richtig, dass wir dann als Start-up eine gewisse Bindung an den Geldgeber PTS eingehen?«, warf Leif ein.
»Ja, das stimmt, aber wie dies aussehen kann, wird später im weiteren Verlauf beim Erstellen des Vertrages noch genau verhandelt.«
Sven schwirrte der Kopf. Aber Frau Hammerl bezog sofort Stellung zur aufgezeigten Problematik. Dafür bewunderte Sven sie. Verstohlen schaute er, wie spät es war. Nach einer Stunde legten sie eine Pause ein.
Es wurde Fingerfood serviert und Getränke. Sven zog es förmlich zu Bianca Hammerl hin.
»Ihr Vortrag war äußerst aufschlussreich«, meinte er und setzte ein breites Lächeln auf.
»Danke, möchten Sie nach der Pause noch etwas zu den aufgelisteten Punkten hinzufügen, bevor wir mit den Tagespunkten weitergehen?«
Da hatte sie ihn aber kalt erwischt. Sven hob eine Hand. Vorerst nicht, damit wir das Programm durchbringen und wenn dann noch Zeit bleibt, gerne. Kluger Schachzug! Gerade noch die Kurve gekriegt.
»Wie geht es Ihrem Sohn?«, fragte er stattdessen. Später standen wieder die fachlichen Themen zur Diskussion.
»Oh, danke, es geht. Ein grippaler Infekt, den er in der Kita abgefangen hat.«
»Sie sehen müde aus, wenn ich das feststellen darf. Die Nacht war wohl nicht so rosig, oder?«
»Nein, aber das ist kein Problem.«
»Und der Vater Ihres Sohnes, hat er Sie nicht unterstützt?« Eigentlich ging ihn das nichts an, aber er war einfach zu neugierig. Er nippte an seinem Glas, das er mit Mineralwasser gefüllt hatte.
»Es gibt keinen Vater«, kam die prompte und für ihn unerwartete Antwort.
»Samenbank? Wie schade! So eine junge hübsche Frau und wählt einen derart unromantischen Weg, um zu einem Kind zu kommen«, er blinzelte ihr verschmitzt zu. Vorschnell war die Bemerkung über seine Lippen gehuscht, bevor er wusste, was er sagte. Nun befürchtete er, sie beleidigt zu haben.
Sie schaute ihn einige Sekunden aus ihren wunderschönen blauen Augen an. Die Brille war etwas nach vorn gerutscht, weshalb sie sie mit den Fingern zurückschob. Dann prustete sie auf einmal los. Es war ein herzliches, befreites Lachen, das ihre Augen erreichte und sie erstrahlen ließ.
»Nein, keine Samenbank«, brachte sie endlich hervor. »Aber der Erzeuger hat sich verabschiedet, als ich ihm die Neuigkeit überbrachte, dass er Vater würde.«
»Oh, das ist ja ein Ding! Auf jeden Fall haben Sie meine volle Bewunderung. Es ist sicherlich nicht einfach, den Alltag und das Berufsleben mit einem Kind zu managen.« Er meinte es genauso, wie er es sagte. Dass sie ihn während ihrer Präsentation abgelenkt hatte, verschwieg er.
»Wie sieht denn Ihr Plan aus? Wann könnten Sie nach Norwegen übersiedeln? Ich nehme an, mit Kind?«
Bianca verschluckte sich. Sie hüstelte. Ihre großen Augen starrten ihn an, als hätte er ihr ein unseriöses Angebot gemacht. Leichte Röte überzog ihr hübsches Gesicht.
»Ganz ehrlich? Ich sollte es zwar nicht verraten, ist total undiplomatisch, aber ich bin mir noch nicht sicher, ob ich diesen Job annehmen werde. Herr Wimmer hat mir erst gestern in der Früh gesagt, dass er mich dafür vorgesehen hat, kurz vor Beginn der Tagung. Ich habe mir noch gar keinen Kopf darüber machen können. Natürlich lockt mich diese Herausforderung, aber mit Tobias im Gepäck wird es wohl eher schwierig bis unmöglich.« Sie seufzte, nahm einen Schluck Saft und schaute verloren in die Ferne.
Jetzt erst begriff Sven. »Was? Ihr Vorgesetzter hat Ihnen das Jobangebot erst gestern unterbreitet? Das ist ja ein Ding.« Er überlegte, was sich Wimmer dabei gedacht hatte, welchen Plan er damit verfolgte. Ärger stieg in ihm hoch. »Für Ihren Sohn wird sich eine Lösung finden. Bei uns gibt es ganz hervorragende Betreuungseinrichtungen«, sagte er stattdessen.
»Ich habe eine Woche Bedenkzeit. Was hilft eine gute Betreuungsstätte, wenn die Sprache für Tobi fremd und unverständlich ist. Er ist erst siebzehn Monate alt. Jetzt hat er sich gerade einmal an die Kita und die Kinder und die Betreuerinnen dort gewöhnt. Da soll ich ihn gleich wieder herausnehmen? Wenn ich allein wäre, dann bräuchte ich keine Sekunde überlegen. Leider. Ich glaube, wir müssen weitermachen. Die Pause ist vorbei«, lenkte Bianca ab und stellte ihr Glas und den Teller auf den Tisch.
Sven bewunderte sie, wie sie sofort an vorhin anschloss und die fachlichen Themen eins nach dem anderen abhandelte. Es wurde besprochen, diskutiert, verhandelt und am späten Nachmittag hatten sie doch tatsächlich ein grobes, gemeinsames Konzept ausgearbeitet, das die rechtlichen Grundlagen beider Länder beinhaltete. Natürlich mussten noch die Feinheiten und die einzelnen Punkte durchgesprochen und erstellt werden. Das gehörte zu Svens und Biancas Aufgaben, sofern sie in seine Heimat reisen würde. Aber für heute war Feierabend. Sie alle waren von der intensiven Arbeit geschlaucht. Er verabschiedete sich noch von Frau Meisel und bekam von ihr ein Lokal mit guter Wiener Küche empfohlen. Zu seinem Leidwesen wollte Bianca nicht mitkommen, und so verabschiedete er sich.
Eine gewisse Vorfreude breitete sich in ihm aus beim Gedanken, dass er Bianca am nächsten Tag treffen würde. Er hoffte tatsächlich, sie in seiner Heimat empfangen zu dürfen, damit sie dort die Rechtsangelegenheiten der Firma lenkte. Irgendetwas an ihr ließ in ihm den Wunsch entstehen, sie näher kennenzulernen. Es war viele Jahre her, dass eine Frau derart seine Neugier geweckt hatte.
»Chef, hast du dir gemerkt, wo wir langgehen müssen?«
Er schreckte auf, als Leif ihn erwartungsvoll ansprach.
»Hier müssen wir links abbiegen und dann in circa hundert Metern müsste es sein«, sagte Sven und hoffte, dass niemand mitbekommen hatte, dass er mit seinen Gedanken ganz woanders war.
Zum Glück erreichten sie das Wirtshaus »Zum alten Beisl«, von dem Frau Meisel so geschwärmt hatte.
Der Abend hatte länger gedauert als geplant. Das köstliche Essen und der exzellente Wein ließen sie die Zeit vergessen und gemütlich zusammensitzen. Am Morgen hämmerte wie verrückt ein ganzes Abrissunternehmen in Svens Kopf. Die späte Rache! Gerne hätte er sich noch einmal im warmen Bett umgedreht und eine Runde geschlafen. Wie es wohl seinen Kollegen erging?
Beim Frühstück war es außergewöhnlich still. Sven schmunzelte.
»Ihr seid anscheinend auch nicht fit? Den Wein sind wir einfach nicht gewohnt«, zog Sven die nüchterne Bilanz, was ihm Zustimmung und Gelächter einbrachte.
Während sie auf ihr Taxi warteten, staunte er, dass die Temperaturen merklich gesunken waren und die ersten Schneeflocken vom Himmel tanzten. Im Licht der Straßenlaternen wirkte es wie eine kitschige Filmkulisse.
»Ist das schön«, jubelte Kaja, »fast so wie bei uns.«
»Also, dass wir hier in Österreich auch schon Schnee sehen, damit habe ich nicht gerechnet«, meinte Leif.
Als endlich das Taxi vorfuhr, beeilten sie sich mit dem Einsteigen. Die Fahrt dauerte heute noch länger als am Vortag, weil die Straße rutschig war.
Frau Meisel erwartete sie wie die beiden Tage zuvor beim Empfang.
»Leider lässt sich Frau Hammerl heute entschuldigen. Sie kann nicht kommen, da sie mit ihrem Jungen zum Arzt muss. Sein Fieber ist in der Nacht gestiegen.« Sie reichte Sven eine Visitenkarte, auf der ihre Mailadresse und die Firmentelefonnummer standen. »Sie will morgen wieder im Büro sein. Wenn es offene Fragen zu klären gibt, können Sie Frau Hammerl gerne kontaktieren.«
In dem Moment eilte Herr Wimmer auf sie zu und nahm sie auf seine einnehmende Art in Empfang.
»Meine Herren und natürlich die Dame, wir können sofort mit den weiteren Programmpunkten starten. Herr Dr. Krottmaier kommt sofort. Leider ist Frau Hammerl verhindert, wie Sie sicherlich schon gehört haben.«
Sven ließ die Karte in seiner Laptoptasche verschwinden. Er hoffte, seine Enttäuschung verbergen zu können.
Der Tag zog sich wie befürchtet in die Länge. Immer mehr Punkte notierte er sich, die in den nächsten Tagen zu klären sein würden. Bianca fehlte. Vor allem ihm. Sie hatte es geschafft, beim Wesentlichen zu bleiben und Nebensächlichkeiten keinen Raum zu geben. Zudem verbrachte er sehr gerne Zeit in ihrer Nähe. Sven ärgerte sich über sich selbst. Sein Verhalten war höchst unprofessionell. Bianca war eine Unbekannte für ihn, noch dazu hatte sie ein Kind. Da müssten doch alle Alarmglocken schrillen. Hände weg! Nicht jedoch bei ihm.
Zum Ausklang des Treffens lud Herr Wimmer sie zu einem gemeinsamen Abendessen ein. Er hatte zuvor die erstklassige und ausgezeichnete Zusammenarbeit gelobt und beteuert, dass er auf jeden Fall dafür Sorge tragen würde, einen qualifizierten Mitarbeiter in die Tochterfirma, wie er die neue Zweigstelle bezeichnete, zu entsenden.
»Ich dachte, es sei fix, dass Frau Magistra Hammerl für diesen Job ausgewählt wurde?« Sven rutschten die Worte über die Lippen. Er wollte sie nicht laut aussprechen.
»Sie war meine erste Wahl. Leider habe ich bis dato von ihr noch keine hundertprozentige Zusage erhalten.« Herr Wimmer wand sich wie ein Fisch an der Angel. Auf seinem Gesicht glänzten Schweißperlen. »Mittlerweile bin ich mir auch nicht mehr sicher, ob sie eine gute Wahl wäre. Wie Sie mitbekommen haben, glänzt sie heute abermals durch Abwesenheit, obwohl ich ihr ausdrücklich habe mitteilen lassen, dass dies ein Pflichttermin ist.« Seine Verärgerung darüber schien ihm aus allen Poren zu strömen.
»Soweit ich mitbekommen habe, ist ihr Sohn krank«, bemerkte Sven in einem scharfen Ton. »Natürlich wäre es wichtig gewesen, wenn sie diesen Termin wahrnehmen und dabei sein hätte können. Aber Kinder gehen vor.« Für ihn stand dies außer Zweifel. Er war so erzogen worden.
»Wie auch immer …«, meinte Wimmer.
Seine Kollegen gingen bereits voraus, während Sven noch zur Dame an den Empfang huschte.
»Liebe Frau Meisel, ich habe eine ganz riesengroße Bitte«, er lehnte sich über den Tresen und senkte seine Stimme.
Die Angesprochene kam nah zu ihm. »Ich spitze meine Ohren«, flüsterte sie.
Sven fischte Biancas Visitenkarte aus der Tasche. »Könnten Sie mir auch die private Telefonnummer von Frau Hammerl hier auf die Rückseite schreiben? Sie haben sie bestimmt.« Er setzte eine flehende Miene auf.
»Normalerweise darf ich das nicht. Da kann ich wirklich in Teufels Küche kommen«, rügte sie ihn. »Da Sie sie in Zukunft wahrscheinlich des Öfteren dienstlich kontaktieren werden müssen, mache ich eine Ausnahme«. Sie zwinkerte ihm zu und suchte in einem Notizverzeichnis die Nummer heraus, die sie auf die Karte schrieb. »Unsere Frau Magistra hat das Herz auf dem rechten Fleck, aber nutzen Sie es nicht aus«, mit einem warnenden Blick überreichte sie ihm das Stück Papier.
»Danke, ich werde es beherzigen.« Sven gab Frau Meisel die Hand zum Abschied und eilte zum Fahrstuhl.
Bianca
»Hallo, Mama.«
»Bianca, servus, schön, dass du dich meldest«, begrüßte Maria sie. »Du klingst nicht gut«, stellte sie sofort fest.
»Tobi ist krank. Er hat sich in der Kinderkrippe einen Virus eingefangen. Was hast du uns immer gegeben, wenn wir hohes Fieber hatten?«
»Die Waldfee hatte spezielle Tropfen aus rotem Holunder. Was sie zusätzlich hineingemischt hat, hat sie mir nie verraten. Diese Medizin hat immer ihre Wirkung getan. Warst du beim Arzt?«
»Ja, heute. Er hat ihm fiebersenkende Tropfen verschrieben. Heute musste ich Pflegefreistellung nehmen. Mein Chef war alles andere als erfreut. Hoffentlich kündigt er mir nicht. Ich weiß nicht, was ich dann machen soll.«
»Dann ziehst du endlich wieder nach Hause, Bianca. Du weißt, dass du mit Tobi jederzeit willkommen bist. Außerdem bin ich überzeugt, dass es auch hier in der Umgebung einen passenden Job gibt. Ich begreife noch immer nicht, warum du nach deinem Abschluss nicht zurück nach Funkelstein gezogen bist.« Der Vorwurf ihrer Mutter kränkte sie. Ständig lag sie ihr damit in den Ohren. Bianca liebte ihre Familie. Zu Hause würde es ihr selbstverständlich prächtig gehen. Sie und Tobi würden rund um die Uhr von ihren Eltern, ihrer Oma und ihrer Schwester Hanna umsorgt und unterstützt werden. Alles wäre um vieles leichter. Aber sie hatte sich in den Kopf gesetzt, es allein zu schaffen. Im Moment stand sie allerdings kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Der Stress in der Firma und das überaus verlockenden Angebot für Norwegen, Stefans Auftauchen und seine Ansprüche, sein Kind kennenlernen zu wollen, und Tobis Erkrankung stellten ihre antrainierte Routine auf den Kopf.
»Mama, nicht böse sein. Wir haben das doch schon lange besprochen. Außerdem kommt ja bald neues Leben ins Haus. Wenn Hanna ihre Zwillinge zur Welt bringt, habt ihr jede Menge zu tun. Wie geht es meiner großen Schwester überhaupt? Wann noch einmal ist der Geburtstermin?« Hanna und Lukas hatten im Mai geheiratet. Das halbe Dorf war eingeladen gewesen. Obwohl Bianca nicht zu den Romantikerinnen zählte, hatte die Hochzeitsfeier in ihr Sehnsüchte erweckt, die sie nie für möglich gehalten hätte. Und dass sie die Tränen während der Trauung nicht hatte zurückhalten können, verwunderte sie noch heute.
Ihre Mutter gluckste. »Oh, ihr geht es prächtig, sie ist mittlerweile kugelrund. Der 29. Januar ist der errechnete Geburtstermin, sofern die Kleinen nicht früher kommen wollen. Mittlerweile beschäftigt Hanna fünf Angestellte, die bei der Produktion der Wolle sowie der Pullover, Capes, Westen und Socken und im Geschäft beim Verkauf helfen. Sie hat Astrid Kögel neu angestellt, die ist vorrangig für den Verkauf zuständig. Ich glaube, du kennst sie auch, oder?«
»Ja, schon. Sie war eine Klasse unter mir in der Schule. Sie ist sicherlich eine perfekte Verkäuferin.«
»Mh, ja. Hanna hat sie für dreißig Stunden angemeldet und wenn sie selbst dann gar nicht mehr im Geschäft arbeiten kann, übernimmt sie Astrid auf Vollzeit. Der Verkauf ist enorm gestiegen, seit sie diesen Onlineshop betreibt«, erzählte ihre Mutter weiter. »Wann kommst du uns endlich besuchen? Bald ist Weihnachten. Dann wirst du hoffentlich ein paar Tage in Funkelstein bleiben.«
Bianca druckste herum. Sie haderte mit sich, ob sie ihrer Mutter von dem Jobangebot erzählen sollte.
»Ich wollte dieses Wochenende kommen, aber weil Tobi krank ist …«, begann sie.
Ihre Mutter unterbrach sie.
»Pack ihn warm ein und fahr her. Es wird euch beiden guttun«, schlug Maria vor.
Bianca lachte auf. »Mama, das geht nicht. Morgen muss ich noch in die Firma. Da passt Emma auf Tobi auf, bis ich zu Hause bin. Wobei ich noch keine Ahnung habe, was alles ansteht und wie lange ich arbeiten muss. Außerdem fahre ich über drei Stunden. Du weißt, wie unruhig Tobi ist und dass er das lange Autofahren nicht mag.«
»Dann nimm Emma mit. Ihr gefällt es eh so gut bei uns. Sie kann Tobi bespaßen, während du fährst.« Hartnäckigkeit war der zweite Vorname ihrer Mutter.
Bianca seufzte.
»Okay, überredet. Ich frag sie, ob sie mich begleitet. Außerdem muss ich euch etwas erzählen und das ist besser, wenn ich es persönlich und nicht am Telefon mache. Dann bis morgen Abend.«
»Wow, ich kann es kaum erwarten, dich und meinen Enkel wiederzusehen«, jubelte Maria und entlockte Bianca ein breites Lächeln. »Es sind mittlerweile schon drei Wochen vergangen, seit du das letzte Mal bei uns warst.«
Bianca freute sich auf die Zeit zu Hause und dass sie alle traf. Sie hoffte, dass ihr der Ortswechsel dabei half, eine Entscheidung wegen Norwegen zu fällen.
Kaum hatte sie das Gespräch mit ihrer Mutter beendet, läutete das Handy. Stefan! Seit seinem Auftauchen vor ihrer Wohnung betrieb er wahren Terror. Blöderweise hatte er ihre neue Telefonnummer herausgefunden und rief sie alle paar Stunden an. Sie drückte ihn jedes Mal weg, was zur Folge hatte, dass er sie mit SMS bombardierte. ›Hi, Liebes, bitte lass uns reden! Ich möchte für euch beide da sein, auch für mein Kind. Wann und wo können wir uns treffen?‹ Sie traute ihm nicht und befürchtete, dass es ihm nur ums Sorgerecht für Tobi ging. Er tauchte zwar nicht als Vater in der Geburtsurkunde auf und konnte somit keine Ansprüche stellen. Trotzdem wollte sie die Meinung einer Kollegin einholen, die sich auf Pflegschaftsstreitigkeiten spezialisiert hatte.
Am nächsten Tag ging es Tobi überraschend besser, das Fieber war verschwunden und er wieder der quirlige Junge. Im Büro erledigte sie die notwendigsten Aufgaben und schaffte es sogar, am Nachmittag pünktlich nach Hause zu kommen. So stand ihrem Ausflug in die Heimat nichts mehr im Wege. Emma schnappte aus lauter Freude beinahe über. Dunkelheit umschloss das Land bereits, als sie endlich ins Auto stiegen und losfahren konnten. Leider fuhr Bianca viel zu selten nach Funkelstein. Die Entfernung für häufigere Besuche war einfach zu groß. Manchmal bereute sie ihre Entscheidung, in Wien geblieben zu sein. Aber Funkelstein war ihr zu klein, um dort ihr Leben zu führen.
Fast drei Stunden später lenkte sie den Wagen in den elterlichen Hof. Sie parkte ihn auf dem asphaltierten Bereich neben der Garage. Emma hatte sich während der Fahrt um Tobias gekümmert, ihn bespaßt, bis er schließlich eingenickt war. Die Einladung, das Wochenende bei der Familie Hammerl zu verbringen, hatte sie nur zu gerne angenommen. Sie liebte Funkelstein, seit sie das erste Mal hier gewesen war. Und dieses Wochenende wurde der Weihnachtsmarkt eröffnet. Emma hatte ununterbrochen geschwärmt, was sie alles unternehmen könnten. Bianca ließ sich von ihrem Eifer anstecken und schüttelte schmunzelnd den Kopf. Mittlerweile war der Funkelsteiner Weihnachtsmarkt weit über die Lande berühmt und immer stark besucht.
Kaum dass sie alle drei ausgestiegen waren, lief Maria auf sie zu. Bianca fand sich in einer festen, aber herzlichen Umarmung ihrer Mutter wieder. Nachdem Maria auch Emma willkommen geheißen hatte, hob sie ihren Enkel hoch, der noch seine Augen rieb. Tobi lehnte seinen Kopf an ihre Brust, obwohl er sie so lange nicht gesehen hatte.
»Hi, mein kleiner Spatz, du hast sicher während der Fahrt geschlafen.« Maria drückte ihm mehrere Küsse auf seine rosigen Wangen. Tobi ließ es sich gefallen. Aber dann begann er doch zu zappeln. Er wollte laufen und die Welt erkunden.
»Kommt erst einmal rein«, forderte Maria auf. »Großmutter ist nicht mehr so gut auf den Beinen und erwartet euch schon sehnsüchtig. Euer Gepäck können wir später holen.« Sie ging mit Tobi voraus. Im Flur ließ sie den Jungen allein laufen. Schnell griff er nach Uromas Stiefeln und schleppte sie in die Stube. Bianca spurtete hinterher, als sie endlich ihre Schuhe ausgezogen hatte.
»Tobi, nein, stell die Stiefel zurück. Urli braucht sie jetzt nicht. Hallo, Oma«, rief Bianca ihr zu und lenkte gleichzeitig Tobi samt Stiefel zurück in den Flur, um sie dort abzustellen. Dann ging sie mit ihrem Sohn zu ihrer Oma Hilde, um sie gebührend zu begrüßen.
»Hallo ihr beiden. Schön, dass ich euch wieder einmal zu Gesicht bekomme«, bemerkte Hilde, »schließlich bin ich nicht mehr die Jüngste und wer weiß, wann mich der da oben zu sich holt.« Sie zeigte gen Himmel.
Bertl, ihr Vater betrat die Stube. »Ja hallo, was höre ich da, unsere verschollene Tochter ist zurück«, und schon befand sich Bianca an seiner festen Brust.
»Hi, Papa, ich krieg keine Luft«, stöhnte sie. Er brummte etwas Unverständliches in seinen Dreitagebart und ließ sie los.
»Tobi, hallo, komm zu Opa«, lockte Bertl den Jungen, dessen ganze Aufmerksamkeit einem Porzellanengel galt. Emma hinderte ihn gerade noch daran, den Engel zu erhaschen, der auf der Holzkommode stand.
Maria eilte in die Küche und begann für das Abendessen den Tisch zu decken. Schafskäse von den eigenen Tieren, gekochte Eier, Essiggurken, geselchter Schweineschinken und Schweinebraten, beides fein aufgeschnitten, Verhackertes, ein Brotaufstrich aus geräuchertem, klein gehacktem Speck, Leberstreichwurst, auch aus der eigenen Produktion, und Trockenwürste ließen Bianca das Wasser im Mund zusammenlaufen.
»Ihr werdet sicherlich Hunger haben. Außerdem müssten Hanna und Lukas auch jeden Augenblick nach Hause kommen.« Sie holte die nächste Ladung. Bianca folgte ihr, um ihr zu helfen, und griff nach den beiden Brotkörben mit dem frisch gebackenen Bauernbrot.
»Wow, wer soll denn das alles verspeisen? Das ist für uns doch viel zu viel«, stellte sie laut fest. Aber so war ihre Mutter immer schon gewesen. Sie hätte es wissen müssen, dass gleich ein Familienfest veranstaltet würde, wenn sie die Nase zur Tür reinsteckte. Natürlich freute es sie, das mochte sie gar nicht bestreiten.
Das Eintreffen von Hanna und Lukas vervollständigte die Familie. Die Schwestern fielen sich in die Arme, was bei Hannas dickem Bauch gar nicht mehr so einfach war. Lukas zog sie ebenso an seine Brust und in eine brüderliche Umarmung. »Hallo Lieblingsschwägerin, schön, dass du uns besuchst.«
Der kleine Tobias stand allerdings im Mittelpunkt und er genoss es sichtlich.
Nach dem Abendessen bekam Bianca von ihrer Mutter Maria Hilfe, um ihn ins Bett zu bringen. Die lange Autofahrt und die vielen Eindrücke hatten ihn erschöpft. Innerhalb weniger Minuten fielen ihm die Augen zu und er glitt ins Land der Träume, trotz des Nickerchens, das er während der Fahrt gemacht hatte.
»Heute schläft er sicher durch«, prophezeite Maria. Sie kehrten in die Stube zurück.
Die anderen warteten bereits auf sie, um gemeinsam den Abend gemütlich ausklingen zu lassen. Bertl hatte sogar zur Feier des Tages eine Flasche Wein aus dem Keller geholt. Ein süffiges Tröpferl, wie er betonte.
»Schläft Tobi schon?«, fragte Hanna.
Bianca nickte. Alle Augenpaare waren auf sie gerichtet. Vor dem, was jetzt kommen sollte, hatte sie sich schon die ganze Zeit gefürchtet. Was würde ihre Familie davon halten, wenn sie den Job in Norwegen annehmen sollte?
»Gut, so und nun sind wir gespannt, was du mit uns besprechen möchtest. Zumindest hast du mich sehr neugierig gemacht«, ergriff Maria das Wort.
Bianca setzte sich auf ihren Platz. Hilde, ihre Großmutter, knetete sichtlich aufgeregt ihre alten, von der Arthritis gezeichneten Finger. Ihr Vater schenkte in der Zwischenzeit die Weingläser voll.
»Prost zuerst, bevor wir reden?« Er hob sein Glas. Die anderen taten es ihm gleich.
Bianca fühlte sich plötzlich gehemmt. Die Erwartung, in den Gesichtern zu lesen, machte es ihr nicht leichter. Hitze stieg in ihren Wangen auf.
»Ich muss bis Dienstag eine Entscheidung treffen«, begann sie vage. »Unsere Firma möchte expandieren und Teilhaber einer Firma in Norwegen werden. Herr Wimmer, mein Vorgesetzter, hat mir das Angebot gemacht, dieses Vorhaben, Ankauf von Firmenteilen, rechtlich zu begleiten. Dazu muss ich aber zumindest für die nächsten drei Monate dorthin ziehen.« Jetzt war es heraus. Im Raum herrschte Totenstille. Man hätte eine Stecknadel auf den Boden fallen gehört.
»Wohin? Nach Norwegen? Und Tobias?« In der Stimme ihrer Mutter lag Fassungslosigkeit.
»Sollte ich das Angebot annehmen, dann kommt er mit, ist doch klar.« Bianca nervte es. Sie hätte lieber nichts sagen sollen. Familienrat lag ihr nicht. Doch dafür war es zu spät. Die Worte waren angekommen.
»Wow«, mischte sich Lukas ein. »Alle Achtung, da setzt dein Chef ja volles Vertrauen in dich. Soweit ich mich erinnere, wolltest du immer schon ins Ausland und dort Karriere machen.«
Bianca nickte zaghaft. »Aber jetzt ist Tobias da und ich bin unschlüssig. Ohne ihn hätte ich keine Sekunde überlegt. Nur jetzt ist alles nicht mehr so einfach. Außerdem nervt mich seit ein paar Tagen sein Erzeuger.«
»Wie? Was heißt, der Erzeuger nervt dich? Hat sich etwa der Herr Professor gemeldet?« Hanna reagierte sichtlich schockiert. »Was will er?«
»Er möchte sein Kind kennenlernen und dass wir zusammenkommen. Ich vertraue ihm nicht und glaube eher, dass es ihm nur ums Sorgerecht geht. Keine Ahnung, ist nur so ein Gefühl.«
»Jetzt auf einmal? Ja spinnt denn der?« Maria sprang empört auf, setzte sich aber schnell wieder.
Das amüsierte Bianca. Ihre Mutter war selten aus der Fassung zu bringen, diese Nachricht wollte sie so nicht stehen lassen.