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In manchen ländlichen Gegenden Ostafrikas, so im Süden Tansanias, in Teilen Mosambiks oder Malawis, machen sogenannte "Spirit Lions" von sich reden - Man Eater, menschenfressende Löween. Eine solche Gegend ist das von Wilderern beinahe leergeschossene Nkhotakota-Wildreservat in Malawi. In einem heillos ungeeigneten Mietwagen durchqueren der Autor und ein Freund auf dem Weg zum Malawisee das längst menschenleere Reservat - nicht ahnend, was sie dort erwartet. Von dieser Fahrt durch den geisterhaften Wald, die sich schleichend zum Horrortrip auswächst, berichtet die authentische Geschichte. Illustriertes eBook mit zahlreichen Fotos und Karten.
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Seitenzahl: 29
Inhaltsverzeichnis
Malawi Secondary Road
Kai Althoetmar
Im Geisterwald von Nkhotakota
Impressum:
Titel des Buches: „Malawi Secondary Road. Im Geisterwald von Nkhotakota“.
Erscheinungsjahr: 2019.
Inhaltlich Verantwortlicher:
Edition Kultour
Kai Althoetmar
Am Heiden Weyher 2
53902 Bad Münstereifel
Deutschland
Text: © Kai Althoetmar.
Titelfoto: Löwe im Buschgras. Foto: Puliarf, CC BY 2.0.
Verlag und Autor folgen der bis 1996 allgemeingültigen und bewährten deutschen Rechtschreibung.
„Es war jetzt gegen drei Uhr morgens, und Francis Macomber, der eine kurze Zeit über geschlafen hatte, nachdem er aufgehört hatte, über den Löwen nachzudenken, wachte auf und schlief wieder ein und erwachte plötzlich, im Traum geängstigt von dem blutköpfigen Löwen, der über ihm stand (...).“
Ernest Hemingway, Das kurze glückliche Leben des Francis Macomber
I.
Warum nicht mit einem Mord beginnen? Besser gesagt, einem über Jahre hinweg verübten Massenmord. Die Man Eaters of Njombe waren heimtückisch, sie töteten bestialisch, nie allein, immer als Meute, ihre Opfer waren arglos und wehrlos. Fünfzehn Jahre dauerte ihr Raubzug, am Ende sollen sie bis zu tausendfünfhundert Menschen zur Strecke gebracht haben. Das war in den Jahren 1932 bis 1947. Schauplatz war der Distrikt Njombe im Süden des heutigen Tansania.
Mord, bestialisch, Meute - das ist die menschliche, die anthropozentrische Sicht auf das, was sich ereignete. Der Mensch als Mittelpunkt der Welt. Nur seine Sicht der Dinge zählt. Die, die töteten, kann man nicht befragen. Es waren Löwen.
Zweiundzwanzig Tiere waren es. Der Tragödie war ein Eingriff des Menschen in das natürliche Gleichgewicht vorausgegangen. Im damals britisch verwalteten Tanganyika, wie Tansania vor seiner Vereinigung mit Sansibar hieß, hatte die Kolonialregierung massenhaft Beutetiere der Löwen erlegt, um der Rinderpest Herr zu werden, die ganze Viehherden eingehen ließ. Die Löwen stellten sich um. Was sonst hätten sie tun sollen, als Gazellen und Antilopen rar wurden? Menschenfleisch stand fortan auf ihrem Speiseplan.
Anders als die meisten ihrer Artgenossen jagten sie nicht nachts. Der Tod kam am Nachmittag. Nachts wanderten sie 15 oder 20 Meilen von einem Dorf im Umkreis der Kleinstadt Njombe zum nächsten. Dort legten sie ihre Blutspur. Die Hütten der Einheimischen waren primitiv, die Wände aus dünnem Lehm oder nur aus Stroh. Die Tiere brachen durch Türen und Wände in die Häuser. Oder sie lauerten ihnen draußen auf, vor den Hütten, auf dem Feld, auf den Wegen, niemand war irgendwo sicher. Wie Staffelläufer sollen sich die Löwen darin abgewechselt haben, die Menschen aus den Dörfern in den Busch zu schleifen. Warum waren die Dörfer nicht gewarnt? Und das über fünfzehn Jahre hinweg? Den damaligen Berichten nach waren die Todesfälle unter den Dörflern ein Tabu, die Angst war sprachlos. Ein schwarzer Hexenzauber lag wie ein Todesschatten über den Dörfern. Der Aberglaube besagte, Männer hätten die Gestalt von Löwen angenommen. Spirit lions, Geisterlöwen, Löwengeister, übernatürliche Mächte in Gestalt von Löwen.
Noch heute glauben die Menschen in der Region an schwarze Magie, an Untote, die in Löwengestalt an ihren Feinden Vergeltung nehmen. Damals hieß es, der Medizinmann eines lokalen Stammes, Matamula Mangera, habe die Löwen unter seiner Kontrolle. Weil er von seinem Posten als witch doctor, als Hexendoktor, abgesetzt wurde, habe er die Geistertiere aus Rache auf seine eigenen Leute gehetzt. Die Dörfler waren so entsetzt von den ersten Löwenattacken, daß sie nicht wagten davon zu sprechen. Sie glaubten, schon die bloße Erwähnung der man eater ließe sie an Ort und Stelle erscheinen. Sie flehten ihr Stammesoberhaupt an, dem Medizinmann seinen Posten wiederzugeben, aber der chief lehnte ab. Damaligen Berichten nach soll der Medizinmann die Dorfbewohner auch gezwungen haben, Tribut an ihn zu leisten - Geld, Vieh, Fronarbeit. Wer sich widersetze, soll er gedroht haben, werde den Löwen zum Opfer fallen.
Löwe mit Riß. Foto: Mcoughlin, CC BY-ND 2.0.
1945 schließlich wurde der britische Wildhüter George Gilman Rushby gerufen, die Löwen zu erlegen. Rushby, ein ehemaliger Wilderer und berühmt-berüchtigter Elefantenjäger, war der stellvertretende Jagdaufseher Tanganyikas. Rushby brauchte Monate, um die Löwen aufzuspüren. Immer wieder gab es bei der Jagd Mißerfolge. Die Einheimischen leisteten ihm kaum Hilfe. Rushby redete gegen den Zauberglauben an, vergebens. Dafür fand er die Erklärung für das artfremde Verhalten der Raubkatzen: Die jungen hatten von den alten Löwen die Vorliebe für Menschenfleisch übernommen - bis in die dritte Generation. Als das Rudel ein Kind tötete, das er liebgewonnen hatte, begann Rushby die Sache sehr persönlich zu nehmen. Kurz darauf erlegte Rushby die erste Löwin. In der Folge gelang es ihm, vierzehn weitere Löwen aufzuspüren und zu erschießen. Die übrigen Tiere des Rudels verließen die Gegend.
Ausgestopft: Die zwei mähnenlosen Löwen von Tsavo als Museumsattraktion. 1898 töteten beim Bau der Eisenbahn von Uganda nach Mombasa zwei männliche Löwen Dutzende Arbeiter im Südosten des heutigen Kenia. Die Schätzungen der Opferzahlen reichen von achtundzwanzig bis hundertfünfunddreißig. Einer der Löwen litt, wie Untersuchungen am Chicagoer Field Museum 2017 zeigten, unter einer Zahnwurzelentzündung und konnte keine natürliche Beute mehr jagen. 1996 verfilmte Hollywood die Geschichte unter dem Titel „Der Geist und die Dunkelheit“ („The Ghost and the Darkness“). Darin spielt Michael Douglas den fiktiven Großwildjäger Charles Remington, der gerufen wird, die Löwen zu erlegen. Foto: Field Museum of Natural History, Chicago.
Der Häuptling hatte sich am Ende doch beknien lassen, den Hexendoktor zu rehabilitieren. Genau darin sahen die Einheimischen den Grund, weshalb der Alptraum ein Ende nahm. Rushby war nur das Werkzeug.
Nie zuvor oder danach haben Löwen mehr Menschen getötet als die „Menschenfresser von Njombe“. Der Zweite Weltkrieg und die Abgeschiedenheit des südlichen Tansania hatten die Tragödie, die ähnlich viele Menschenleben auslöschte wie der Untergang der Titanic, lange mit dem Mantel des Schweigens bedeckt.
Und heute? Weite Teile im Süden Tansanias sind heute noch so rückständig wie in den 1940er Jahren. Kaum etwas hat sich geändert. Die Menschen in den Dörfern leben noch immer in den gleichen primitiven Hütten wie ihre Großeltern, ihr Leben dreht sich um das, was auf ihren spärlichen Feldern wächst, bestenfalls haben Fahrrad und Handy Einzug gehalten.
Die Löwen sind noch da, nicht mehr in Njombe, aber in weiten anderen Teilen der Region, in Tansania, in Mosambik, in Malawi und anderswo, Gegenden, in die kaum ein Europäer einen Fuß setzt. Und so spielen sich heute noch in diesen Winkeln Afrikas Jahr für Jahr und Tag für Tag stille Dramen ab, von denen in unseren Breitengraden allenfalls eine interessierte Fachwelt hört und liest. Es ist der tödliche Konflikt zwischen Mensch und Raubtier, der bis heute ungelöst ist und auf beiden Seiten nur Opfer kennt.
Tansanias Bevölkerung erlebte von 1990 an eine Verdreifachung der Zahl von Löwenangriffen. Von 1990 bis 2005, dem Ende des untersuchten Zeitraums, wurden dort fünfhundertdreiundsechzig Menschen von Löwen getötet, weitere dreihundertacht verletzt. Pro Jahr waren das siebenunddreißig Tote. „Die Löwen ziehen Menschen nachts aus dem Bett, greifen stillende Mütter an, packen sich Kinder, die draußen spielen“, heißt es in einem Bericht des Löwenforschers Craig Packer von der University of Minnesota.
Als man eater gelten solche Löwen, die wiederholt oder regelmäßig Menschen angreifen. In allen anderen Fällen - meist sind es unglückliche Zusammenstöße - spricht die Fachwelt von „Angriffen auf Menschen“. Die Opfer erleiden nur dann einen schnellen Tod, wenn der Löwe sie in den Kopf beißt und das Gehirn tödlich verletzt.
Oberstleutnant John Henry Patterson mit dem ersten, am 9. Dezember 1898 erlegten Man-Eater-Löwen am Tsavo-Fluß. Patterson erlegte beide Löwen, letzteren am 29. Dezember 1898. Unter dem Titel „The Man-Eaters of Tsavo“ veröffentlichte er 1907 ein Buch über die menschenfressenden Löwen von Tsavo. Foto: Field Museum, Chicago.
Greift die Raubkatze ihr Opfer an der Schulter, um es wegzuschleifen, hilft allenfalls noch das beherzte Eingreifen Dritter, wenn das Tier von der Beute abläßt und vertrieben werden kann. In allen anderen Fällen frißt der Löwe sein Opfer bei lebendigem Leib, außer Schädel und Schuhsohlen bleibt meist nichts übrig, wenn das Tier nicht gestört wird. In Ugandas Game Department Archives gibt es eine Statistik, wonach 74,9 Prozent der Löwenangriffe gegen Menschen, die zwischen 1923 und 1994 erfaßt wurden, tödlich waren. In den übrigen Fällen blieb es bei Verletzungen. In Tansania stellte Craig Packer fest, daß Löwenattacken gegen Männer seltener tödlich verliefen als solche gegen Frauen und Kinder.
Die meisten Attacken gegen Menschen ereignen sich während der Erntezeit, wenn Kleinbauern die Nacht draußen verbringen, um ihre Ernte vor Pinselohrschweinen und Affen zu schützen. Die Nacht verbringen die Bauern mitten im Feld auf Dungus, einfachen Holzplattformen, von der sie Sicht auf Eindringlinge haben. Für die Löwen sind die Plattformen Präsentierteller. Die tatsächliche Zahl der Opfer in Tansania dürfte viel höher liegen.