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"Moldau, Land der Verbannten" führt in ein ethnisch und politisch zerrissenes Land: in die Republik Moldau - hierzulande meist zu Moldawien verballhornt - und den Nicht-Staat Transnistrien, der sich in einem kurzen und heftigen Bürgerkrieg 1992 von Moldau losgerissen hat. Der Autor folgt in Kischinau den Spuren des in Bessarabien exilierten Alexander Puschkin und denen des nach Tomi verbannten römischen Dichters Ovid, fährt - wie schon Wladimir Putin, Angela Merkel, Boris Jelzin und Juri Gagarin - in die surreale unterirdische Weinwelt Cricovas ein, besucht einen Bergeremiten in einem Höhlenkloster am Fluß Raut in der Provinz und reist nach Transnistrien in die kremltreue Parallelwelt von Tiraspol, einen der letzten weißen Flecken der politischen Landkarte Europas. Parallel skizziert er geschichtliche und politische Hintergründe des geteilten Landes. - Illustriertes eBook mit zahlreichen Fotos. Auch als Taschenbuch erhältlich.
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Inhaltsverzeichnis
Moldau, Land der Verbannten
Kai Althoetmar
Unterwegs zwischen Dnjestr und Pruth
Impressum:
Titel des Buches: „Moldau, Land der Verbannten. Unterwegs zwischen Dnjestr und Pruth“.
Verlag und Autor folgen der bis 1996 allgemeingültigen und bewährten deutschen Rechtschreibung.
Die Recherchen zu diesem Buch erfolgten eigenfinanziert und ohne Zuwendungen oder Vergünstigungen Dritter.
Erscheinungsjahr: 2018.
Inhaltlich Verantwortlich:
Edition Kultour
Kai Althoetmar
Am Heiden Weyher 2
53902 Bad Münstereifel
Deutschland
Text: © Kai Althoetmar.
Titelfoto: Tiraspol. Foto: Kai Althoetmar.
Die Rayone Moldaus. Karte: Perconte, CC BY-SA 2.0.
Moldau, Land der Verbannten
Unterwegs zwischen Dnjestr und Pruth
Irgendwann sind keine Melonenverkäufer mehr am Straßenrand zu sehen. Eine Busstunde östlich von Kischinau ist die Grenze erreicht, die kein Staat der Welt anerkennt. Sie zu ignorieren, könnte aber mit einer Kugel im Rücken enden. Hier, auf Moldaus Seite, nur Gendarmerie. Dort, auf Seiten der PMR, Straßensperren, S-Draht, bewaffnetes Militär in Tarnuniformen. Die Businsassen schlurfen hinüber zu einer Parkplatzbude. Grenzabfertigung. Ein Schild warnt: Filmen und Fotografieren verboten. Daneben ein Plakat mit Phantombild. Verbrecherfahndung. Jeder Text ist auf Russisch. Über der Bude prangt ein Sowjetstern, Symbol der PMR. Ein mürrischer Soldat zieht den Paß und ein ausgefülltes Formular ein. Grund des Aufenthalts? Turizm, das erspart den KGB. Blättern, ein Aufblicken, keine weiteren Fragen, der Stempel klatscht auf das Einlegeblatt, der Paß bleibt clean. Heute abend müssen alle Ausländer wieder raus sein. Außer den Russen. Willkommen zurück im Kalten Krieg.
PMR, das ist die Pridnestrowische Moldauische Republik, anderswo nur Transnistrien genannt, der 1990 von Moldau abgefallene Ostteil des Landes, ein schmaler von Nord nach Süd verlaufender Landstrich, den im Westen der Dnjestr, im Osten die Ukraine einklammert, nicht viel größer als die Summe aus Luxemburg, Andorra und Liechtenstein. Die PMR hat ein Parlament, Flagge, Hymne, Militär, eigene Briefmarken, eigene Währung, eigene Pässe. Aber nicht mal Moskau erkennt Pridnestrowien als Staat an.
Fahrt durch Bender, die einzige Stadt der PMR, die westlich des Dnjestr liegt. Das erfordert militärischen Sonderschutz. Nochmals Straßensperre. Im Stadtzentrum haben Soldaten mit Tarnnetzen auf einer Verkehrsinsel Stellung bezogen. MGs im Anschlag. Fahrt über den Dnjestr, unter der Brücke baden Einheimische, Ruderboote da und dort, viel weniger Autos als in Kischinau. Dafür mehr russische Marken, Lada und Moskwitsch, auch wenn Moskwitsch längst Geschichte ist. 20 Kilometer noch bis Tiraspol, die Melonenverkäufer und Sonnenblumenfelder sind auch wieder da. Und Datschen, Datschen, Datschen.
Wie eine Bruchlinie zieht sich der Dnjestr durch Moldau: am Westufer der in Sprache und Kultur stark rumänisch geprägte Teil, östlich des Ufers der russisch und ukrainisch dominierte. Bis 1989 war der Anteil der rumänischsprachigen Moldauer in Transnistrien bereits auf 40 Prozent gesunken, Russen und Ukrainer hatten längst die Mehrheit. Heute ist nicht mal mehr jeder Dritte in der PMR ethnischer Rumäne.
Bahnhof Tiraspol, alle aussteigen. Nicht vergessen: Der letzte Mini-Bus fährt um 18.00 Uhr zurück, der Zug aus Odessa um 19.20 Uhr, planmäßige Ankunft in Kischinau 21.40 Uhr, die Fahrkarte zu 13 Transnistrischen Rubeln und 50 Kopeken, nicht ganz 1,00 Euro.
Der Weg vom Bahnhof zur Ulica 25 Oktober führt unter Querung der Ulica K. Liebknecht und der Ulica K. Marx über die Ulica Lenin und den Cognac-Laden von Kvint. Manche fahren nur wegen Kvint hierher. Der viertel Liter zu 17 PMR-Rubeln, Wodka für die Hälfte, wo gibt es das sonst. Kvint gehört dem Sheriff-Konzern, dem in der PMR fast alles gehört, Supermarktkette, Fernsehsender, Tankstellen, bis hin zum Fußballclub Sheriff Tiraspol, Moldaus Rekordmeister. Der Oligarch Viktor Gushan, dem Sheriff gehört, war mal Polizist, daher der Name.
Heute fährt die Polizei noch immer Lada, und böse Zungen sagen, Sheriff sei eigentlich nur die Geldwaschanlage von Igor Smirnow. Der war von 1992 bis 2011 Präsident der PMR. Die 5-Rubel-Scheine zeigen die Schnapsfabrik. Jedem Land seine Idole. Die Gefahr, von Besoffenen überfahren zu werden, ist aber gering. Die fast 50 Meter breite Straße des 25. Oktober erinnert ihrem Verkehrsaufkommen nach eher an Nordkoreas Hauptstadt Pjöngjang. Wie auch die Monströ-sität der Statuen des heimlichen Staatsoberhaupts der PMR: Wladimir Iljitsch Uljanow, Kampfname Lenin. Siegesgewiß und steinern blickt er vor dem Obersten Sowjet in die Ferne, mit geballter Faust und wehendem Mantel.
Die halbe Innenstadt ist ein Freilichtmuseum der Sowjetunion, ein Themenpark mit Hammer und Sichel an jeder Ecke, Brutalismus der vorherrschende Architekturstil. Der Platz vor dem Museum des Bürgerkriegs: Auf einem schrägen Betonpodest ist ein T-40-Panzer mit Sowjetstern aufgebockt. In den fußballfeldgroßen Platz sind graue und anthratzitfarbene Granitgrabmäler transnistrischer Soldaten und Milizionäre eingelassen, die im Bürgerkrieg 1992 starben.
Lenin-Denkmal im Zetrum von Tiraspol. Foto: Kai Althoetmar.
Zwischen den spärlich bepflanzten Gräbern ruht eine Vertiefung, ein überdimensioniertes Wassertretbecken ohne Wasser, mit einem hollywoodhaften „Walk of Fame“-Stern im Zentrum, darin eine Öffnung für eine ewige Flamme. Aber das Feuer ist aus. Dahinter Granitwände mit in Kyrillisch eingemeißelten Namen toter Soldaten. Davor bewacht ein Polizist die mannsgroße Metallskulptur eines Soldaten, der über dem entblößten Oberkörper eine Art bombensichere Weste trägt, in Bagdad oder Kabul würde man es auch für einen Sprengstoffgürtel halten. Daneben eine Frau mit wallendem Gewand, Kopf gebeugt, der linke Arm weist wie Lenin ins ferne Nirgendwo. Sozialistischer Realismus. Die Jungfrau Maria ist das nicht, schon eher die Mutter aller Schlachten. Zu der geht es ins Museum. Tarif für Ausländer: 31 PMR-Rubel. Für Inländer 2 Rubel. In der Museumsführerin Natascha, ihren Nachnamen will sie nicht sagen, ist das sowjetische Feuer noch nicht erloschen. „Ich liebe Lenin. Lenin ist gut“, sagt die burschikose Mittfünfzigerin mit dem grün-violett geblümten Sommerkleid. Und Stalin? Hm.„Ja ne snaju“, ich weiß nicht.
Sowjetpanzer in Tiraspol. Foto: Kai Althoetmar.
Nicht alles im Museum erinnert an den Transnistrien-Krieg. Als da wären der Wimpel, Erinnerung an die UEFA-Cup-Partien Sheriff Tiraspol gegen Sigma Olmütz 1999, Qualifaktionsrunde. 1:1 und 0:0, Olmütz kam weiter. Eine gelbe Sheriff-Fan-Pudelmütze. Und hier, stolz präsentiert Natascha die Vitrine, Produkte aus der transnistrischen Industrie: Tomatensaft, Schnüre, Kinderschuhe, ein Fleischwolf, Lichtschalter, Konserven. Leider ist die Konservenfabrik längst pleite.
Der Bürgerkrieg hat seinen eigenen Raum. Großformatige Fotos: ein Panzer, in dessen Deckung Soldaten mitlaufen. MG-Schützen liegen am Dnjestr in Stellung. Panzersperren. Straßenbarrikaden.