You Enter Germany. Die U.S. Army und der Krieg im Westen 1944/45 - Kai Althoetmar - E-Book
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You Enter Germany. Die U.S. Army und der Krieg im Westen 1944/45 E-Book

Kai Althoetmar

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Beschreibung

Am 11. September 1944 erreichen erstmals amerikanische Einheiten deutschen Boden. Nach ihrem schnellen Vorstoß durch Frankreich kommen die westlichen Alliierten im Frühherbst 1944 an der Reichsgrenze zum Stehen. "You Enter Germany" erzählt in drei großen Geschichten vom Vorstoß der U.S. Army beim Krieg im Westen 1944/45: der Ankunft am Westwall im September 1944, der Schlacht im Hürtgenwald im November 1944 und der Rolle Ernest Hemingways als schillernder Kriegsreporter und "Tourist mit Stahlhelm" sowie dem Sprung über den Rhein am 7. März 1945, als US-Truppen überraschend die Brücke von Remagen in die Hände fällt. Für die Recherchen zu diesem Buch ist der Autor nach Luxemburg, in den Hürtgenwald, in die Schnee-Eifel und nach Remagen gereist und hat die Kriegsschauplätze von einst besucht und Zeitzeugen befragt. Die in dem Buch enthaltenen Geschichten sind auch als Einzeltitel erhältlich ("Die Amis kommen!", "In der Totenfabrik" und "Die Brücke war ihr Schicksal"). - Illustriertes eBook mit zahlreichen Fotos und Karten. Auch als Taschenbuch- und Hardcoverausgabe erhältlich.

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Inhaltsverzeichnis

You Enter Germany

Kai Althoetmar

You Enter Germany

Die U.S. Army und der Krieg im Westen 1944/45

Impressum:

Titel des Buches: „You Enter Germany. Die U.S. Army und der Krieg im Westen 1944/45“.

Verlag und Autor folgen der bis 1996 allgemeingültigen und bewährten deutschen Rechtschreibung.

Erscheinungsjahr: 2018.

Inhaltlich Verantwortlich:

Edition Zeitpunkte

Kai Althoetmar

Am Heiden Weyher 2

53902 Bad Münstereifel

Deutschland

Text: © Kai Althoetmar.

Titelgestaltung: Kerstin Koller - unter Verwendung des Briefmarkenmotivs „Wehrmacht“, Erstausgabe vom 21.03.1943.

Inhaltsverzeichnis:

1. Die Amis kommen! 11. September 1944. Als die Amerikaner deutschen Boden erreichten.

2. In der Totenfabrik. 2. November 1944. Ernest Hemingway und die Schlacht im Hürtgenwald.

3. Die Brücke war ihr Schicksal. 7. März 1945. Als die Amerikaner den Rhein überquerten.

Westwall und Maginot-Linie. Karte: Wikimedia, CC BY-SA 3.0.

Stolzembourg, Gemeinde Putscheid, ein 190-Seelen-Dorf an der deutsch-luxemburgischen Grenze, fünf Kilometer nördlich von Vianden, keine zehn von Diekirch entfernt. Die Our trennt in dem dichten Ardennental das Großherzogtum von der Südeifel, nach Bitburg sind es 20 Kilometer ostwärts. Wer große Städte sucht, hat hier weit zu fahren.

Zwei aufgepflanzte Fahnen hängen matt da, „Stars & Stripes“ und Rot-Weiß-Blau, die der Befreier und die der Befreiten. Gemächlich zieht die Our nach Süden. In Wallendorf, zehn Kilometer südlich von Vianden, strömt sie in die Sauer, die sich bei Wasserbillig mit der Mosel vereint. Von einer Anhöhe überragt das neuzeitliche Schloß den Ort und die Pfarrkirche, alt ist nur der Glockenturm von 1585. Die Burg von Stolzembourg wurde schon 1454 zerstört. Als sie wieder aufgebaut war, legten sie 1679 die Belagerungstruppen Ludwigs XIV. erneut in Schutt und Asche.

In der alten Schule in der Rue Principale 5A, Lëtzebuergesch Haaptstrooss, ist das Musée Koffergrouf, das Kupfergrube-Museum, untergebracht, einen Kilometer abseits des Ortes führt ein Stollen in die jahrhundertealte Geschichte der Kupfererzgewinnung. 1944 wurde die Mine geschlossen. Die deutschen Besatzer waren die letzten, die das Erz abbauten.

Einen Steinwurf von der Brücke über die Our entfernt sind drei Höckerhindernisse in den Boden eingelassen - Panzersperren, Symbole des Westwalls. Der Beton ist verwittert, der Boden mit Steinplatten aus Ardennenschiefer verlegt. Am mittleren Höcker informiert eine Metalltafel auf Englisch in großen Lettern: „ON SEPTEMBER 11 1944 THE FIRST ALLIED SOLDIERS BELONGING TO THE 5.TH US ARMORED DIVISION CROSSED HERE INTO GERMANY.“ Von hier, lautet die offizielle Version, haben US-Soldaten, die der 5. US-Panzerdivision angehörten, am 11. September 1944 erstmals deutschen Boden betreten. Die Our ist kaum 30 Meter breit, gegenüber auf deutscher Uferseite liegen zerstreut sechs Häuser, Keppeshausen, ganze 15 Menschen leben dort. Die Dorfstraße windet sich aus dem Ort. Der Blick nach Osten folgt der K 47. 150 Höhenmeter geht es hoch, rechts im Hang eine Fichtenschonung, der Rest der Bergseite ist Mischwald in allen Grüntönen. Es ist ein windstiller Junitag, der 15. Juni 2015, reglos hält der dichte Wald Wacht am Fluß.

Grenzübergang Stolzembourg. Foto: Kai Althoetmar.

So muß es schon für Seargent Warner Willi Holzinger, dem Rang nach Oberfeldwebel, und seinen kleinen Spähtrupp ausgesehen haben, als sie sich am Freitag, den 11. September 1944, gegen 16.30 Uhr aufmachten, die Reichsgrenze zu überqueren. Sein Zugführer Leutnant Loren Lamont Vipond hatte Holzinger noch angespornt sich zu beeilen, wenn er der erste alliierte Soldat sein wolle, der deutschen Boden betritt. Das ließ sich der 28jährige mit deutschen Vorfahren, der im zivilen Leben einen Milchlaster fuhr, nicht zweimal sagen. Holzinger, am 31. März 1916 in Deutschland geboren, Sohn deutscher Eltern aus Fulda, die 1921 in die USA emigrierten, war seit September 1940 amerikanischer Staatsbürger.

Die Soldaten um Seargent Holzinger gehörten dem 2. Zug der B-Kompanie der 85. Kavallerieaufklärungsschwadron der 5. US-Panzerdivision an. Die 5th Armored Division war Teil der 1. US-Armee, der Ende Juli 1944 der Ausbruch aus dem Normandie-Brückenkopf gelungen war - Auftakt für den rasanten Vormarsch der westlichen Alliierten Richtung Belgien und deutscher Reichsgrenze. Erst am Morgen hatte sie Diekirch eingenommen und war von der Bevölkerung frenetisch begrüßt worden, nachdem die Wehrmacht sich kampflos hinter die „Siegfriedlinie“ zurückgezogen hatte.

Omaha-Beach, Normandie, 9. Juni 1944. Foto: U.S. National Archives.

Am 24. Februar 1944, 20 Tage nach ihrer Abreise aus New York, war die Division in England an Land gegangen. In Frankreich war sie am 24. Juli 1944, sieben Wochen nach dem D-Day, im Strandabschnitt Utah in der Normandie gelandet. Am 8. August 1944 eroberte sie Le Mans zurück, wandte sich wieder nach Norden und erreichte am 12. August 1944 Argentan, acht Tage, bevor die deutschen Truppen im Kessel von Argentan-Falaise abgeschnitten wurden - es war der finale K.O. von Wehrmacht und Waffen-SS in der Normandie und letzten Endes in ganz Frankreich. 6.000 Gefallene und weitere 50.000 Mann Verlust durch Gefangenschaft waren die verheerende Bilanz auf deutscher Seite.

Die 5. US-Panzerdivision war danach in heftige Kämpfe im Korridor der Flüsse Eure und Seine verwickelt, passierte Paris, den Wald von Compiègne, die Flüsse Oise, Aisne und Somme, erreichte am 2. September 1944 die belgische Grenze bei Condé, legte dann binnen acht Stunden 100 Meilen ostwärts zurück, überquerte bei Charleville-Mézières die Maas, ließ Sedan hinter sich und befreite am 10. September 1944 Luxemburg-Stadt. 96 Tage lag die Landung in der Normandie am 11. September 1944 zurück.

Die Alliierten überrollten Frankreich und Belgien, die deutschen Truppen waren auf die Linie Scheldemündung - Antwerpen - Albert-Kanal - Aachen - Luxemburg - Moseltal - Nancy zurückgeworfen. Am 9. September 1944 erreichten die westlichen Streitkräfte Luxemburg, am 11. September 1944 war das Großherzogtum vollständig befreit. „Für kein Volk, das das Nazi-Joch tragen mußte, kann die Befreiung mehr bedeuten als für das Großherzogtum Luxemburg“, erklärte US-Präsident Franklin Delano Roosevelt. „Vom deutschen Militär im Mai 1940 rücksichtslos angegriffen und besetzt, war ihr Land nicht nur dem Dritten Reich einverleibt und ihnen die deutsche Staatsbürger-schaft aufgedrängt worden, sondern wurden seine Söhne zum Militärdienst und dem Tragen der verhaßten Uniform des Unterdrückers gezwungen.“1

Adolf Hitler hatte die Wehrmacht am 10. Mai 1940, als der Frank-reichfeldzug startete, das neutrale Luxemburg durchqueren lassen - ohne im Großherzogtum auf Widerstand zu treffen. In Stolzembourg war die Gegenwehr eher symbolischer Natur. Ein Betonblock versperrte die Fahrbahn der alten Buckelbrücke, so daß die deutschen Soldaten auf einem Notsteg, den Pioniere rasch errichteten, über die Our kamen.

Der Verletzung des Völkerrechts folgte die De-facto-Annexion. Luxemburg wurde zum „Gau Moselland“, der Gauleiter des Gaus Koblenz-Trier Gustav Simon wurde zum Chef der Zivilverwaltung ernannt, deutsches Recht eingeführt, der Gebrauch des moselfränkischen Lëtzebuergesch und des Französischen untersagt, französisch klingende Namen wurden eingedeutscht, der Bevölkerung wurde mit einer „Heim ins Reich“-Kampagne weisgemacht, die Luxemburger wären Volksdeutsche. Der Schuß ging nach hinten los: Als Simon im Oktober 1941 eine Personenstandsaufnahme plante, zeigten vorherige Stichproben, daß die Befragten bei „Staatsangehörigkeit“, „Sprache“ und „Volkszugehörigkeit“ der NS-Propaganda zum Trotz zu über 95 Prozent nicht „deutsch“, sondern „luxemburgisch“ angaben.

Die Nationalsozialisten zahlten es den Luxemburgern mit einem harten Besatzungsregime heim. Am 30. August 1942 führten sie - wie im Elsaß und in Lothringen - völkerrechtswidrig die Wehrpflicht ein. Betroffen waren die Jahrgänge 1920 bis 1927. Ab Ende 1942 wurden die jungen Luxemburger in den Reichsarbeitsdienst und in die Wehrmacht eingezogen. Mehr als ein Drittel der Betroffenen weigerte sich, die deutsche Uniform zu tragen, und tauchte unter. Die Hälfte schaffte es ins Ausland, vor allem nach Großbritannien. Ein Bataillon Luxemburger ging später mit den alliierten Truppen in der Normandie an Land und war am 3. und 4. September 1944 an der Befreiung Brüssels beteiligt. 10.211 Luxemburger taten während des Krieges in der Wehrmacht Dienst. 2.848 zahlten es mit dem Leben, weitere 96 blieben später vermißt.

Allmählich keimte der Widerstand gegen den NS-Apparat. Die Zwangsrekrutierung führte ab 31. August 1942 zu Streiks, ausgehend von den IDEAL Lederwerken in Wilz. Die Besatzer verhängten das Standrecht und ließen im Wald beim Konzentrationslager Hinzert 20 Streikende erschießen. Es folgten Inhaftierungen in Konzentrations-lager, Deportationen in den Osten, weitere Hinrichtungen. Etwa 1.200 der 3.700 Juden, die vor dem Krieg im Großherzogtum lebten, wurden von der SS ermordet. Die übrigen konnten rechtzeitig emigrieren, tauchten unter oder überlebten die Deportation in den Osten. Die Einheimischen standen der Judenverfolgung überwiegend passiv gegenüber. Vor allem Volksdeutsche, aber auch andere Kollaborateure, vor allem in der Verwaltung, machten mit den Besatzern gemeinsame Sache.

Das Gros der Luxemburger fügte sich widerwillig unter der deutschen Knute. Bis zur Ankunft der US-Truppen konzentrierte sich der Widerstand im Großherzogtum nach der brutalen Niederschlagung der Streiks zumeist auf kleinere Aktionen, so zum Beispiel abgeschossene alliierte Fliegerbesatzungen oder Deserteure zu verstecken und zu versorgen. Als Krieg und Besatzung zu Ende waren, hatte Luxemburg 5.700 Opfer zu beklagen - etwa zwei Prozent der Gesamtbevölkerung.

An den Gedenkpanzersperren appelliert ein Erinnerungsplakat: „Remember us“. Der Kopf der Stellwand zeigt GIs im September 1944 auf einer Straße in Luxemburg. Die Fotos der Sieger: Ein Soldat hält ein Kleinkind an der Hand, andere Kinder halten den Befreiern Blumen entgegen.

Die Luft steht in der Hitze, der Ort wirkt wie ausgestorben. Hinter der Pfarrkirche Sankt Odo, am Fuße des Schloßhügels, finde ich doch jemanden. Die alte Dame mit dem schlohweißen langen Haar war damals Kind.

Symbolische „Drachenzähne“ an der Our in Stolzembourg. Foto: Kai Althoetmar.

Sie sagt den Satz gleich zweimal: „Gut, daß das vorbei ist.“ Mit einer Zeitung sitzt sie auf einer Campingliege unter dem Türsturz ihres alten Bauernhauses. Im September 1944, einige Tage vor der Ankunft der Amerikaner, wurde ihre Familie von den Deutschen evakuiert, nach Hagen, einem Ortsteil der Gemeinde Steinfort an der Grenze des Großherzogtums zu Belgien. „Ich kann mich kaum noch erinnern“, sagt die alte Bäuerin. Sie ist Jahrgang 1939. Nur soviel erinnert sie noch: Stolzembourg wurde komplett evakuiert. Im Dezember 1944, als die deutsche Ardennenoffensive losbrach, lag die Ortschaft unter Geschützfeuer. „Danach war im Dorf viel zerstört.“ Erst nach Kriegsende im Mai 1945 kehrte die Familie auf ihren Hof zurück.

Der 11. September 1944. Was an diesem Montag noch geschieht, liest sich im „Kriegstagebuch des OKW“, des Oberkommandos der Wehrmacht, so: „Gent wird geräumt; Eupen und Malmedy gehen verloren. Zwischen Aachen und Metz ist nunmehr im wesentlichen der Westwall erreicht.“2 Über die aus Frankreich und Belgien zurückströmenden deutschen Einheiten heißt es: „Die Truppen, die von Westen zurückkamen, hatten wochenlange, schwere Kämpfe und lange Märsche hinter sich, waren durch Verluste und Abgänge in der Kampfkraft stark herabgesetzt und hatten einen großen Teil ihrer Fahrzeuge und ihrer schweren Waffen verloren. Zum Teil handelte es sich nur um Restverbände, die als solche nicht mehr zu verwenden waren.“3

Unter „Einzelmaßnahmen“ vermerkt das Kriegstagebuch: „11.9.: Zuführung der 12. VGD“ - der 12. Volksgrenadier-Division.4 Die Infanteriedivisionen, im Sommer 1944 aus regulären Fronteinheiten und solchen des Ersatzheeres zusammengestellt, sind disziplinarisch und truppenrechtlich dem Reichsführer SS Heinrich Himmler unterstellt - eine Reaktion auf die Beteiligung von Offizieren des Ersatzheeres am Aufstand vom 20. Juli 1944. In den letzten Kriegsmonaten werden die Volksgrenadiere mehr und mehr zu Hitlers letztem Aufgebot: ein Sammelsurium aus Volkssturmangehörigen, versprengten Landsern, Alarmverbänden, zuletzt auch aus Angehörigen der Jahrgänge 1928 und 1929.

Kurz vor Mitternacht am 11. September 1944 greifen etwa 220 britische Lancaster-Bomber Darmstadt an und zerstören 80 Prozent der Alt- und Kernstadt. 12.300 Einwohner sterben, 70.000 werden obdachlos. In Italien erobern die Alliierten die Toskana, in Ostfrankreich nehmen die Amerikaner Dijon, in der Normandie steht die abgeschnittene Festung von Le Havre kurz vor dem Fall. Im kanadischen Quebec verständigen sich Roosevelt und der britische Premier Winston Churchill auf den „Morgenthau-Plan“, der aus Deutschland nach Kriegsende ein Agrarland machen soll.

Weiter vermerkt das OKW-Tagebuch: „Meldung über den Zustand des Westwalls“.5 Noch am gleichen Tag besetzen die deutschen Streitkräfte die Westwallstellungen bei Aachen. Um die Kampfkraft der Einheiten ist es nicht gut bestellt. Sie sind „höchstens für eine bodenständige Verwendung geeignet, da es ihnen an Zusammenhalt und Kampferfahrung fehlte und sie nicht über die erforderlichen Fahrzeuge und rückwärtigen Dienste für eine bewegliche Kampfführung verfügten“, heißt es im OKW-Tagebuch. „Dazu handelte es sich zum Teil um ältere oder doch weniger kampfkräftige und durchwegs unzureichend ausgebildete Mannschaften. Vor allem fehlte es an Waffen für sie und die zurückkommenden Verbände.“6

Quebec-Konferenz. In der Mitte sitzend: Roosevelt, Churchill. Foto: U.S. National Archives.

Es ist bereits halb fünf Uhr, als sich Holzingers Patrouille an dem sonnigen Spätsommernachmittag aufmacht, Geschichte zu schreiben. Ein paar Kilometer südlich von Vianden tun es ihnen ein paar weitere GIs und ein französischer Dolmetscher gleich. Es ist alles andere als ein verbissenes Wettrennen, kein Duell wie das Scotts und Amundsens zum Südpol. Die beiden Spähtrupps ahnen nichts von der Konkurrenz um den symbolischen Eintrag in die Geschichtsbücher, wissen nichts von anderen Einheiten, die noch am gleichen Abend oder am nächsten Morgen ihre Stiefel über die Reichsgrenze, in das Deutschland der Vorkriegszeit, setzen. Ihr Auftrag ist nicht, Symbolik zu produzieren, sondern die deutschen Westwallstellungen auszukundschaften. Sind die Bunker besetzt? Stehen an der Höckerlinie Panzer? Gibt es Truppenbewegungen?

Die Our bei Stolzembourg. Ausschnitt Schautafel. Foto: Kai Althoetmar.

„Als wir unsere Mission starteten, nahmen wir mein Funkgerät aus dem Jeep mit, um mit dem zweiten Zug und den Hauptquartieren in Verbindung zu bleiben. Wir gingen unseren Weg hinunter nach Stolzembourg“, zitiert Martin Philipsborn Jr. Seargent Holzinger in der Divisionchronik „Paths of Armor. The Fifth Armored Division in World War II“.7 In Stolzembourg angekommen, erfahren sie von dem Dorflehrer Léon Kugener, daß keine feindlichen Soldaten mehr im

Ort sind. Zuletzt, berichtet Kugener, habe er tags zuvor welche gesehen. Der Lehrer führt sie zu einem Flußwehr. „Ich war oft so dankbar, daß ich Deutsch konnte“, erinnerte sich Holzinger.

Die steinerne Buckelbrücke von 1760 ist einer modernen Autoüberführung mit Metallgeländer gewichen. Die kantigen Pfeiler sind eingerüstet. Die Kleinwasserkraftanlage an der Brücke versorgt 30 Haushalte mit Strom. Ein geparkter Metallcontainer und ein Bauwagen rahmen die Gedenkpanzersperren mitleidlos ein. Das Grenzübergangshäuschen aus der Ära kontrollierter Grenzen ist verwaist. „Informationsstelle Naturpark Our“ nennt es sich jetzt. Drinnen informieren nur Prospekte. Ein paar Schritte noch, dann ist Keppeshausen erreicht. You enter Germany. Keppeshausen, Verbandsgemeinde Neuerburg, Eifelkreis Bitburg-Prüm. Damals waren es drei Häuser, hatte die Bäuerin gesagt, heute sind es sechs. Drei der Häuser sind dicht und verrammelt. Eines ist das „Gasthaus Heinen-Kalbusch“. Das letzte Bier wurde schon vor Jahren ausgeschenkt. Alle Rollläden sind heruntergelassen, der beleuchtbare gelbe Bierwerbeschriftzug hängt schief an der Fassade. Ein tristes Denkmal für den Niedergang der Kleingastronomie in der Südeifel. Die Getränkekarte hängt noch aus. Das 0,3-Liter-Pils zu 1,30 Euro, der halbe Liter im Steinkrug 1,85 Euro. Am Preis kann es – aus Kundensicht - nicht gelegen haben. Am Keppeshausener Ourufer warnt ein Schild: „Baden verboten. Lebensgefahr durch Sogwirkung. Betreten des Ufers auf eigene Gefahr.“

Die Männer sind zu siebt: Holzinger, der Obergefreite Ralph E. Diven, der Oberstabsgefreite Coy T. Locke, die Gefreiten William McColligan, George F. McNeal und Jesse Stevens sowie der französische Leutnant Lionel A. DeLille, der wie Holzinger Deutsch spricht. Am anderen Ufer ist alles still. Die Our führt nur hüfthoch Wasser, „wir hätten auch durch den Fluß waten können“, so Holzinger.8 Der Trupp nimmt aber den Weg über die Reste der eingestürzten Eselsbrücke, die die Deutschen bei ihrem Abzug tags zuvor gegen 17.00 Uhr gesprengt haben.

Stolzembourg zur Vorkriegszeit. Repro-Foto: Kai Althoetmar.

Der kleinere Bogen der Buckelbrücke ist in sich zusammengefallen. Holzinger: „Auf deutscher Seite fanden wir bald einen Bunker, der als Scheune getarnt war.“9 Die Soldaten brechen das verrostete Vorhängeschloß ab und werfen einen Blick in den leeren Bunker. Drei Monate und eine Woche später, in der Ardennenschlacht, wird auch der Rest der Brücke zerstört. Ab 1956 wird sie wieder im alten Stil aufgebaut, 2011, als das Pumpspeicherkraftwerk in Vianden erweitert wird, reißt man sie wieder ab.

„Es lag ein merkwürdiges, unheilvolles Schweigen über dem verlassenen Ort, das auf beiden Seiten von den grübelnden grünen Anhöhen bestimmt war“, beschreibt der britische Militärhistoriker Charles Whiting in „Ardennes: The Secret War“ die Stimmung am Spätnachmittag des 11. September 1944. „Holzinger überlegte einen Moment, ob er zurückkehren soll oder nicht.“10 Am Ende obsiegt die Pflicht. Holzinger wählt McColligan und DeLille aus, mit ihm die Erkundung fortzusetzen.

Das Trio trifft auf einen deutschen Bauern, der auf dem Feld arbeitet. Der Bauer erschrickt, als die US-Soldaten vor ihm stehen und Holzinger und DeLille ihn auf Deutsch ansprechen. „Er sagte uns, daß, wenn wir der Straße den Hügel hinauf bis hinter seinen Hof folgen würden, wir die erste Linie der Bunker sehen könnten. Und so gingen Lieutenant DeLille, Soldat McColligan, der deutsche Bauer und ich über diesen Pfad etwa eineinhalb Meilen nach Deutschland hinein und konnten einen guten Ausblick bekommen“, erinnerte sich Holzinger.11

An die Bergkuppe schmiegen sich Wald, Heuwiesen und Roggenfelder. Die Ähren wiegen sich im Juniwind. Am Feldrand blühen Mohnblumen und Kornblumen. Jäger haben ein paar Hochsitze in die Landschaft gewürfelt. Im Wald bittet ein an einen Baum genageltes Schild: „Lieber Wanderer! Bitte lärm nicht kreuz und quer, auf und ab im Wald umher. Wozu gibt es sichere Wege? Denk ans Wild und seine Hege!“ Seargent Holzinger hatte dieser Ermahnung dereinst sicher nicht bedurft. Weiter oben, am Horizont, sind kein Bunker, kein MG-Unterstand, keine Hinterlassenschaft des Westwalls zu sehen. All quiet on the western front.

Der von 1936 bis 1940 gebaute Westwall sollte das Reich vor einem Angriff Frankreichs schützen. 630 Kilometer zog sich die Befestigungskette von Goch am Niederrhein quer durch Eifel, Hunsrück und Pfälzerwald und dann den Rhein entlang bis Basel. Nach dem erfolgreichen Frankreichfeldzug der Wehrmacht wurde der Westwall vier Jahre lang nicht gebraucht. Als es dann die Amerikaner

waren, die im Frühherbst 1944 die Grenze überschritten, war der Wall taktisch veraltet, die meisten Waffen waren in den Jahren zuvor an den Atlantikwall abgezogen worden.

Fünf Häuser zeigen sich am Ortseingang, links der Dorfstraße mit der Hausnummer 2 ein in die Jahre gekommener Hof, die Blechwände der Scheune rostrot angelaufen, das zur Straße gelegene Wohnhaus steinalt, der Gartenzaun zerfallen, die Fensterstürze bröckeln, der Vorgarten zugewuchert wie Dornröschens nach 73 Jahren Schlaf. Niemand da. Dies könnte der Hof des Bauern gewesen sein.

Auf der Anhöhe sehen die Männer beim 40-Seelen-Weiler Waldhof weiß gestrichene Gebäude zerstreut in der Landschaft liegen: keine Scheunen oder Stallungen, sondern Bunkeranlagen und befestigte Unterstände. Es sind die Hauptstellungen der Siegfried Line. Das Trio fürchtet, vom Feind ins Visier genommen zu werden, aber nichts passiert. Kein einziger Schuß. Holzinger: „Wir studierten die Bunker-gegend mit unseren Feldstechern. Keiner der Bunker war bemannt.“12

An einer der 20 Betonbefestigungen ist ein Hühnerstall errichtet. Damit ist klar: Die Stellungen sind verwaist. Der Spähtrupp hat die „Siegfriedlinie“ eingenommen, ohne einen Schuß abzufeuern. Die drei Männer geben dem Bauern als Dank ihre Zigaretten und machen kehrt. Die Sonne sinkt, der Spähtrupp hat genug gesehen. Nach zweieinhalb Kilometern erreichen sie wieder Keppeshausen. Die Männer eilen über die Our zu ihrem Jeep, dessen Fahrer auf sie wartet. Gegen 18.15 Uhr erstatten sie Bericht an Leutnant Vipond, daß sie über die deutsche Grenze vorgestoßen sind. 18 Minuten später notiert Fernmeldeoffizier Martin Philipsborn jr. Viponds Funkspruch an die G2-Abteilung des Divisionshauptquartiers. Auf dem Nachrichtenzettel steht: „DISMOUNTED PATROLS CROSSED INTO GERMANY AT 1815 HRS.“ Die abgesessenen Patrouillen haben die deutsche Grenze um 18.15 Uhr überquert.

Der Divisionsnachrichtendienst funkt die Meldung anschließend an das Hauptquartier der 1. US-Armee und verlegt das Ereignis zehn Minuten zurück.13 Von dort aus geht die langersehnte Meldung, formuliert in dürrer Militärprosa, um die Welt: „Am 11. September um 18.05 Uhr drang in der Nähe der Ortschaft Stolzembourg, ein paar Meilen nördlich von Vianden, Luxemburg, ein Trupp unter Führung von Sergeant Warner W. Holzinger nach Deutschland vor.“

Hügellandschaft bei Waldhof. Foto: Kai Althoetmar.

Die Army hält es wochenlang geheim, welche Einheit den Vorstoß über die Reichsgrenze unternommen hat. Die 5. Panzerdivision wird in den Armeeberichten nicht erwähnt - aus Gründen der militärischen Geheimhaltung. Erst am 1. Oktober 1944 beginnen die US-Medien zu berichten. Am 3. Oktober 1944 schreibt das Truppenblatt Stars and Stripes von dem „erstmaligen Durchbruch nach Deutsch-land nördlich von Trier“. Die „Victory Division“ sei „erstmals von der Geheimliste genommen worden, seitdem sie am 1. August in der Normandie in Aktion trat“.14

Holzinger und seine Kameraden feiern ihren Coup am Abend mit ein paar Drinks. Sie wissen zu dem Zeitpunkt noch nicht, daß sie mit ihrer historischen Patrouille einem zweiten Trupp aus GIs und französischem Dolmetscher allenfalls knapp zuvorgekommen sind. Andere Quellen sagen: Holzinger & Co. waren gar nicht die ersten Alliierten, die deutschen Boden erreichten.

Fast zeitgleich macht sich gegenüber des deutschen Dorfes Gentingen, ein paar Kilometer südlich von Vianden, keine zehn Kilometer Luftlinie südlich von Stolzembourg, ein zweiter Trupp von vier oder fünf Mann am Ufer der Our auf, den Westwall auszukundschaften. Es sind Soldaten vom 1. Zug der B-Kompanie der

85. Kavallerieaufklärungsschwadron der 5. US-Panzerdivision. Ihnen dazugesellt hat sich ein junger französischer Übersetzer.

Das Gentinger Ourufer halten Fronleichnam 2017 grau-braune Invasoren besetzt. Zwei Nilgänse, invasive Entenvögel aus Afrika, hocken im Klee bei der Dorfkirche. Auf dem Kirchfriedhof, im Schatten des goldenen Wetterhahns, erinnert eine Grabstele an eine Familie, die im 19. Jahrhundert sieben Kinder im Alter von nicht mal zehn Jahren verlor. Trostspruch: „Ein Engel reichte Euch die Hand, Und führte Euch in's bessere Land.“

Die Our ist hier kaum 15 Meter breit und eher knöchel- als knietief. Eine metallene Fußgängerbrücke spannt über den sanft rauschenden Fluß. Die Brückenpfeiler sind alt, stumme Überlebende des Krieges. Das Nachbardorf Ammeldingen an der Our: ein paar XXL-Bauernhöfe, Riesenhallen mit eher glücklosen Kühen, die weder Weide noch Wiese kennen. Ein Bub wäscht sein Fahrrad mitten im Fluß, den ein Olympia-Weitspringer in einem Satz überqueren könnte. Auf der Ostseite der Dorfstraße K 5, zwischen Ammeldingen und Gentingen, liegt ein Bunker versteckt am Waldrand. Tausende Zentner Beton, von den Siegern nach Kriegsende mit einer Hohlladung gesprengt.

Our bei Gentingen. Foto: Kai Althoetmar.

Eisentrittstufen und Metallarmierungen ragen aus dem finsteren Block wie abgestorbene Glieder heraus, Laub, Moos, Zweige und Blattwerk haben ihn in Besitz genommen. Die breite Schießscharte öffnet sich zur Straße und zur Our. Viel gefeuert wurde daraus nicht. Eine Informationstafel läßt wissen: „Während der Wiederbewaffnungsperiode (Juli - September 1944) konnte dieser Bunker (wie viele andere Westwall-Verteidigungsanlagen) größere Kaliber wie etwa eine durchschlagkräftige 7,5 cm PAK nicht mehr ohne größeren Umbau aufnehmen.

---ENDE DER LESEPROBE---