Die Geister der Vergangenheit. Reisestories vom Balkan - Kai Althoetmar - E-Book
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Die Geister der Vergangenheit. Reisestories vom Balkan E-Book

Kai Althoetmar

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Beschreibung

Was macht Angela Merkel in den Weinhöhlen von Cricova in Moldawien - bei den Weinvorräten Hermann Görings, auf den Spuren Putins, Jelzins und Juri Gagarins? War in Rumäniens verwunschenem Donaudelta unter Ceaucescu wirklich "alles besser"? Wie lebt es sich in Europas "Storchenhauptstadt" Cigoc in Kroatiens Save-Auen, wo es mehr Weißstörche als Menschen gibt? "Die Geister der Vergangenheit" versammelt Balkan-Reisestories der etwas anderen Art - Reisen an die Enden Europas: per Boot und Rad durchs Donaudelta, mit ungarischen "Heimwehtouristen" im Bus durch Transsilvanien, durch Europas Armenhaus Moldawien und in den kremltreuen Nicht-Staat Transnistrien. Melancholische Geschichten, lakonisch erzählt, voller Situationskomik und abgründigem Humor. - Illustriertes eBook mit zahlreichen Fotos und Karten.

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Inhaltsverzeichnis

Die Geister der Vergangenheit

Kai Althoetmar

Die Geister der Vergangenheit

Reisestories vom Balkan

Impressum:

Titel des Buches: „Die Geister der Vergangenheit. Reisestories vom Balkan“.

Erscheinungsjahr: 2019.

Inhaltlich Verantwortlich:

Edition Kultour

Kai Althoetmar

Am Heiden Weyher 2

53902 Bad Münstereifel

Deutschland

Text: © Kai Althoetmar.

Titelfoto: Storchendorf Cigoc, Kroatien. Foto: Kai Althoetmar.

Verlag und Autor folgen der bis 1996 allgemeingültigen und bewährten deutschen Rechtschreibung.

Die Recherchen zu diesem Buch erfolgten eigenfinanziert und ohne Zuwendungen oder Vergünstigungen Dritter.

Inhalt:

I. In Adebars Reich. Wo der Klapperstorch die Gäste bringt: Čigoć in Kroatiens Save-Auen ist Europas Storchendorf schlechthin und eine Arche alter Haustierrassen.

II. Letzte Ausfahrt Schwarzes Meer. In Rumäniens ungezähmtem Donaudelta folgen Mensch und Natur ganz eigenen Gesetzen.

III. Die Geister der Vergangenheit. Mit ungarischen „Heimweh-Touristen“ im Bus durch Transsilvanien.

IV. Moldau, Land der Verbannten. Zwischen Dnjestr und Pruth. Unterwegs in einem zerrissenen Land.

V. Eins, zwei, drei, wo ist die Kugel? Mit dem Europabus von München nach Athen.

In Adebars Reich

Unterwegs in Kroatiens Save-Auen

Das frühmorgendliche Stillleben von Čigoć ist stets das gleiche: Der alte Bauer mit der blauen Baseballkappe und seine Frau treiben ihre beiden Kühe über die Dorfstraße in die Allmende. Die Frau trägt ein Kopftuch und geht am Stock. Der Bauer sitzt o-beinig auf seinem vorsintflutlichen Fahrrad und schwingt die Gerte. Am Straßenrand warten ältere Damen reglos auf den frühen Bus nach Sisak. Die Morgenluft ist klar und kühl, die schwüle Hitze des Sommermittags noch unendlich fern.

Ohne das Geklapper der Störche, die in den Horsten den Kopf in den Nacken werfen, und ihr gelegentliches katzenartiges Gefauche wäre es im Ort still wie auf einem Friedhof. Am Himmel kreisen 17 Störche. Durch die Auen hüpfen die Frösche in sicherer Entfernung. Willkommen in Adebars Reich in Kroatiens Save-Auen!

Die Hauptstadt der europäischen Störche ist ein 120-Seelen-Dorf in Westslawoniens Posavina, dem Flachland beidseits der Save, unweit von Sisak, nahe der Grenze zu Bosnien-Herzegowina gelegen, eine Bahnstunde südöstlich von Zagreb. 1994 bekam das Dorf von der Umweltstiftung Euronatur den Titel „Europäisches Storchendorf“. Jedes Jahr im April kommen die Störche aus Afrika zurück. Auf fast jedem Dach der Holzhäuser und Scheunen thront ein Nest so groß wie ein Kinderplanschbecken. Dazu kommen die auf den Strommasten. 45 Nester, auf die sich im Sommer an die 200 Störche verteilen - mehr als das Dorf Einwohner hat. Vorigen Sommer waren 34 Nester besetzt, in den meisten hockten zwei Junge. Den besten Bruterfolg gab es 1988: je Paar im Schnitt 4,3 Junge - Rekord in Europa. Die Jungtiere sind schon fast ausgewachsen. Wer in den Horsten Elternteil und wer Nachwuchs ist, läßt sich an der Größe der Tiere kaum noch festmachen - jedoch akustisch: Kehrt der Partner mit Futter ins Nest zurück, wird ausgiebig geklappert, als wäre Balz. Die Ansammlung der Störche hat zwei Gründe: Das große Nahrungsangebot in den Save-Auen und die endlose Weite der traditionellen Allmendeweiden - überreich ist der Tisch mit Fischen, Fröschen, Insekten, Mäusen und Maulwürfen gedeckt.

Čigoć – Abendidylle auf der Dorfstraße. Foto: Kai Althoetmar.

In Haus 26 - Straßennamen hat das Reihendorf nicht - ist die Besucherinformation untergebracht. Hier versorgt Davor Anzil Touristen mit Wanderkarten, Tips, Adressen und Infos zu den Störchen. Den Winter verbringen die Störche von Čigoć in Ostafrika oder in Südafrika und Botswana, berichtet er. Anzil zählt die Etappen auf: „Save, Donau, Istanbul, Jordanien, Ägypten, den Nil aufwärts.“ Einige Jungstörche werden in Čigoć beringt. „Die Jungen kommen erst nach drei Jahren wieder, aber nur jeder Vierte“, erzählt der gelernte Agraringenieur, der täglich aus Sisak kommt. Die anderen, sofern sie den Vogelzug überleben, nisten später anderswo.

Um den globalen Bestand der Schreitvögel ist es nicht schlecht bestellt. Weltweit geht die Weltnaturschutzunion (IUCN) von etwa 700.000 Einzeltieren aus - einschließlich der Bestände in Zentralasien, wo eine zweite Unterart lebt (Ciconia ciconia asiatica), sowie der außereuropäischen Populationen von Ciconia ciconia ciconia im Westen Asiens, im Nahen Osten und in Afrika. In Westeuropa steigt die Zahl der Weißstörche seit Jahren wieder, in Mittel- und Osteuropa ist der Storch aus dem Bild der Dörfer nie verschwunden. Schätzungen von heute 250.000 Paaren europaweit erscheinen realistisch, die Weltnaturschutzunion geht von 224.000 bis 247.000 Paaren aus, was bis zu 494.000 Individuen entspricht. Der letzte Zensus 2004/2005 wies 230.000 Paare aus, schon damals war die Tendenz stark steigend - schießwütigen Vogeljägern im östlichen Mittelmeerraum zum Trotz.

Die Störche takten das Jahr in Čigoć und den Nachbardörfern durch wie die katholischen Feiertage. Am 19. März, dem Tag des Heiligen Josef, wird die Ankunft Adebars gefeiert, Ende Juni das Fest Strokovo, der Storchen-Tag. Mitte August heben die Zugvögel für die große Reise ab. Seit 1998 ist Lonjsko Polje, die Gegend um die Save-Auen-Dörfer, Naturpark - 70 Kilometer lang, zwei bis 15 Kilometer breit. Für Ornithologen ist der Park ein Paradies. 243 Vogelarten wurden schon gezählt, 135 davon brüten hier, darunter auch seltenere Arten wie Rallenreiher, Nachtreiher, Purpurreiher, Löffler, Rohrweihe, Schreiadler, Wachtelkönig, Schafstelze und Braunkehlchen. Als Wintergäste bevölkern Kormoran, Silberreiher, Graureiher, Knäkente, Moorente, Eisvogel und Seeadler die Auen.

Einer, der laufend nach Vögeln forscht und Storchennester zählt, ist Zeljko Vasilik aus Sisak, der im nahegelegenen Dorf Budasevo aufgewachsen ist. An manchen Tagen isoliert er in den Dörfern Oberleitungen, damit die Störche in den auf Strommasten gebauten Horsten keine Kurzschlüsse auslösen. Vor allem aber ist Vasilik, mit vier Ferngläsern bewaffnet, zum Spezialisten für Vogel-Comebacks geworden. Ein erstes Wiederentdeckungserlebnis feierte er 1998, als er in den Auen den Höckerschwan ausmachte, der seit 1908 lokal ausgestorben war. Gleiches Glück habe er mit Sumpfohreule und Haubenmeise gehabt.

„24 Seeadlerpaare und 40 Paare Schreiadler nisten in Lonjsko Polje“, zählt Vasilik auf. Nicht zu vergessen die bis zu 900 Wachtelkönig-Männchen, deren knarrende Rufe weit hörbar die Sommernächte begleiten.

Der Artenreichtum beschränkt sich nicht auf die Vogelwelt. Im Park gedeihen nebst 550 Pflanzenarten auch 41 Fisch-, 16 Amphibien-, zehn Reptilien- und 58 Säugetierspezies, darunter Fischotter, Biber und Goldschakal.

Die Save hat in Lonjsko Polje viel Raum: 506 Quadratkilometer Fläche, die Summe aus Malta und Liechtenstein, eines der größten Feuchtbiotope Europas, drei Viertel davon Auenwald, der Rest Weideland. Jedes Jahr im Frühjahr und Herbst tritt die Save über die Ufer, bis zu zehn Meter steigt ihr Pegel. Ein bis drei Monate bleibt das Hochwasser. Das Schwemmgebiet schützt als Wasserrückhaltebecken die Städte und Dörfer flußabwärts vor Hochwasser, nicht nur die im Einzugsgebiet der Save, die in die Donau mündet, sondern bis hin nach Belgrad.

„Wildnis - das ist heute eine Phrase“, sagt Vasilik. Seit 200 Jahren greife der Mensch hier in die Natur ein, baue Deiche, schaffe Grasland. Noch als Kind, als Budasevo ohne Deich war, habe er erlebt, wie das Wasser direkt hinter dem Haus die Eichenwälder, wo der Schwarzstorch nistete, überschwemmt habe. Die Eingriffe in die Landschaft haben die Weideviehwirtschaft erst möglich gemacht. Die alten Haustierrassen werden in Lonjsko Polje noch heute gehalten.

Ein gut vier Kilometer langer Wanderweg, der „Posavina-Pfad“, führt im Quadrat um Čigoć. An einem alten Ziehbrunnen tummeln sich auf der Allmende Kühe, ein Viehhirte pumpt Wasser. Abseits, am hölzernen Vogelbeobachtungsturm, stolzieren Störche im Bückgang umher, als hätte sie dort jemand plaziert.

Ehrenamtlicher Artenschützer: Zeljko Vasilik. Foto: Kai Althoetmar.

Der Weg führt weiter auf einen Deich, der Čigoć vom unwirtlichen Schwemmland und den Tümpeln im Herzen von Lonjsko Polje abtrennt. Abseits des Deiches, hinter der Wegschranke gerät das Wandern schnell zur Sumpfexpedition. In und vor den Tümpeln und Teichen hopst der Froschnachwuchs umher, propellern Libellen, vom Wegfragment schleicht sich eine aufgescheuchte Ringelnatter davon. Im Schatten einer trockenen Parzelle Eichenwald rastet herrenlos eine Herde Schafe. Weil sich die ungeschorenen Tiere an den Bäumen scheuern, schaut ihr Wollkleid nur noch wie ein großer Fetzen aus.

Zu den alten Haustierrassen zählen das Turopolje-Schwein, das Posavina-Pferd und das slawonische Steppenrind. Die heutigen Bestände sind nur ein Schatten vergangener Tage.

Der „Posavina-Pfad“ führt rund um Čigoć.

Im 19. Jahrhundert, zählt Vasilik auf, habe es allein eine halbe Million Turopolje-Schweine in der Region gegeben, dazu 40.000 Pferde. Heute seien es noch 40.000 Schweine und höchstens 5.000 Pferde. Aber das genüge, um die Landschaft offen zu halten.

Vor den alten Holzhäusern biegen sich die Obstbäume unter der Last der bald reifen Früchte. Äpfel, Pflaumen, Quitten, Pfirsiche, dottergelbe Mirabellen. Über die alte Asphaltstraße tänzeln Zitronenfalter, in den Höfen, zwischen Heuwagen und klapprigen Autos, scharren die Hühner und watscheln Entenfamilien im Geleitzug. Viele Häuser haben noch die traditionelle Aufteilung: unten das Vieh, im Obergeschoß der Mensch. Einige der Posavina-Häuser sind über 200 Jahre alt. Schornsteine sucht man bei vielen vergebens. Der Rauch dringt durch das Dach. Die Konstruktion wird so konserviert, Schinken und Würste geräuchert, Paprika und Knoblauch getrocknet.

Allmendeweide auf dem „Posavina-Pfad“.

Eine Reihe Häuser bewirbt freie Fremdenzimmer. Aber nur eine Handvoll Urlauber verlieren sich im Dorf, Camper aus dem Ausland, Tagesausflügler aus der Region. Viele der Bauernhäuser sind verwaist. So ist es in allen Dörfern der Save-Auen, die entlang der Landstraße von Sisak nach Jasenovac wie Perlen einer Kette aufgereiht sind. 20.000 Besucher kamen zuletzt pro Jahr nach Čigoć, 12.000 davon Schulkinder, die anderen zumeist Individualtouristen. Pro Tag sind das etwa 20 Einzelgäste. „Die Zahl wächst jedes Jahr“, sagt Davor Anzil. Erst seit wenigen Jahren sei der Tourismus überhaupt ein Wirtschaftsfaktor. Die meisten Menschen leben noch immer von Ackerbau und Viehzucht. Čigoćs Einwohnerschaft ist überaltert. „Die jungen Leute ziehen in die Städte und ins Ausland“, bedauert Zeljko Vasilik. „ Čigoć und die anderen Dörfer sterben aus.“ Der Hobby-Ornithologe, der als IT-Techniker in Sisak arbeitet, fragt sich: „Wie bringt man die jungen Leute zurück?“ Gegenüber dem Big Business der Agrarindustrie sei die traditionelle Landwirtschaft nicht profitabel. „Es braucht ein Logo, um höhere Preise zu erzielen“, glaubt Vasilik. Landwirtschaft, Tourismus und ökologische Subventionen, das könne in der Summe tragfähig sein.

Das Hinterland von Kroatiens Adriaküste, an der der Tourismus brummt, habe generell ein Strukturproblem. „Wer hier ein Diplom hat“, sagt er in fließendem Deutsch, „kann glücklich sein, wenn er an der Küste Ober wird“. Dort, in den Hotels und Restaurants der Adria, würden dann billige importierte Lebensmittel aufgetischt.

Auslauf statt Spaltenrost: Fajferica-Schwein in Čigoć. Foto: Kai Althoetmar.

Vasilik startet seinen alten Fiat. Es geht ins Schwalbendorf Mužilovčica. Mehlschwalbe, Uferschwalbe, Rotbrustschwalbe - viele Schwalben machen hier den Sommer. Allmendewald und -grasland. Ein Seidenreiher stakst umher. Im Eichenwald dösen schwarz gefleckte Turopolje-Schweine. Die robusten Tiere sind das ganze Jahr über draußen „Die Leute wissen oft nicht mehr, wie viele Schweine ihnen gehören“, sagt Vasilik. Aber jedes Schwein erkenne seinen Besitzer am Ruf, wenn der ein süßes Extra bringe.

Blick in einen Hinterhof von Čigoć. Foto: Kai Althoetmar.

Die Bäume tragen hüfthoch eine weiße Markierung der Natur - hinterlassen vom Hochwasser, das im Winter gefriert, wenn die Temperaturen auf bis zu minus 20 Grad fallen. Im Grasland haben Imker ihre Kästen auf Autoanhängern abgestellt. Die Bienen zaubern hier kostbaren Waldhonig. Mužilovčicas Kühe können nicht mehr mit Tradition und Seltenheit auftrumpfen. Die raren Rassen, deren lange Beine dem Hochwasser trotzen, seien längst durch produktiveres Vieh ersetzt, das die Nacht im Stall verbringe und zweimal täglich gemolken werde, erzählt Vasilik.

Dafür kehren andere Gefährten von einst zurück. Vor Jahren entdeckte Vasilik eine Luchsspur. Die Pinselohren wandern von Slowenien ein. Ein weiteres Novum waren die Wolfsspuren, die Wanderer entdeckt hatten. „Das könnte noch ein Problem für die Viehhalter werden“, sagt Vasilik, denn an Rehen, der Leibspeise des Luchses, mangele es in den Auen eher. Die Naturschutzbehörden reagieren, indem sie an Hirten kostenlos Hütehunde abgeben.

Pferde bei Mužilovčica. Foto: Zok62, CC BY-SA 4.0.

Nur der dritte Räuber im Bunde, der Bär, der hält sich noch von Lonjsko Polje fern. An die 1.000 Braunbären und rund 250 Wölfe sind im Land unterwegs. Ihre Bestände werden Jahr für Jahr erfaßt. Übersteigen die Populationen diese Zahlen, werden die „überschüssigen“ Tiere zum Abschuß durch Jagdtouristen freigegeben.

Auf Bären stieß Vasilik, der seit 30 Jahren in jeder freien Minute die Natur durchstreift, selbst zweimal im kroatischen Velebit-Gebirgsmassiv. Wo Bär und Mensch in Konflikt gerieten, sei das meist wilden Müllkippen geschuldet, die Bären anlocken. Tauchten Bären auf, blieben die Leute im Haus, sagt Vasilik. Der Staat hat zuletzt die Schließung solcher Deponien forciert. In den 1990er Jahren passierte es, erzählt er, daß eine Bärin, die Junge mit sich führte, an den Plitwitzer Seen einen Ranger tödlich verletzt habe. Meist zieht aber die Natur den Kürzeren. 2010 war es, da griff eine verletzte Bärin, auch sie mit Jungen unterwegs, einen Schäfer an. Der, berichtet Vasilik, tötete die Bärin mit bloßen Händen - ganz so, als wäre zwischen Save und Adria die Zeit in ferner Vergangenheit irgendwann einfach stehengeblieben.

Letzte Ausfahrt Schwarzes Meer

In Rumäniens ungezähmtem Donaudelta folgen Mensch und Natur ganz eigenen Gesetzen

Wenn das der Heilige Georg sehen würde, der Drachentöter und Namenspatron des Südarms: Eine monotone Wasserautobahn, auf der ein Schnellboot mit Hautevolée in Partylaune vorbeibraust, in deren Fahrrinne Plastikflaschen und Getränkedosen dümpeln und alle 50 Meter ein Angler die Fischvorkommen dezimiert, wo wild gezeltet wird und wider die behördliche Ordnung Lagerfeuer kokeln. Dazu haben Hotelboote eingangs des Georgskanals, ein paar Bootsminuten von Tulcea entfernt, festgemacht - eine Autobahn-raststätte wäre keine schlechtere Wahl. Da, ein Autobahnschild: Noch 37 Kilometer zum Schwarzen Meer, die letzten von 2.857.

Hinter der nächsten Kurve schon ist alles anders. Vom Arm des Drachentöters geht es links ab ins Labyrinth der Seen, Nebenarme, Auwälder, Riedzonen und Seerosenteppiche. Das Schilfrohr ragt wandhoch aus dem Wasser. Libellen tanzen, Moskitos schwirren, hier staksen Seidenreiher, da Weißstörche, später werden die Frösche zur Freilichtoper bitten, links und rechts alles grün, ein europäischer Amazonas.

Über den Bäumen kreisen die ersten Rosapelikane mit ihren Vorratsschnäbeln. Fischer mit Ruderbooten inspizieren ihre Reusen, ein Sohnemann präsentiert stolz den Fang. Auf dem Wasser zeigt sich eine Kormoran-Kolonie, im Röhricht ein Löffelreiher, auf dem Festland Rehe, dann in dreißig Meter Entfernung auf dem Uzlina-See über 100 Pelikane. Motor aus, über allen Wipfeln Ruh'. Als der Motor der „River Lord“ wieder aufheult, das mußte ja so kommen, fliegen die Vögel fort.

---ENDE DER LESEPROBE---