8,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 7,99 €
Mandel und Singer – das neue Traumpaar des Kriminalromans
Tipp des Lektorats:
Hat nicht jeder von uns schon davon geträumt, wie es wäre, einmal Detektiv zu spielen? Sein eigener Philip Marlowe zu sein? In Mandels Büro geschieht den beiden Freunden Max Mandel und Sigi Singer genau dies. Sie erben das alte Detektivbüro von Mandels verstorbenem Onkel Hans. Dass man hierfür neben Google-Internetrecherche auch ein wenig detektivischen Spürsinn benötigt, müssen sie gleich bei ihrem ersten Fall am eigenen Leib erfahren. Mandel und Singer gehören schon jetzt zu den unwiderstehlichsten Ermittlerpaaren des Kriminalromans in der Tradition von Schimanski und Tanner, Renz und Matula, Brenner und Berti.
Markus Naegele, Lektorat
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 411
Berni Mayer
MandelsBüro
Kriminalroman
Wilhelm Heyne Verlag
München
Originalausgabe 02/2012
Copyright © 2012 by Berni Mayer
Copyright © 2012 by Wilhelm Heyne Verlag
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Redaktion: Heiko Arntz
Umschlagillustration und -gestaltung: Eisele Grafik Design, München
Satz und eBook: Greiner & Reichel, Köln
ISBN 978-3-641-06391-7
www.heyne.de
Für Ludwig und Barbara.
Aber riesig schreitet über dem Untergang
Blutiger Tage groß wie ein Schatten der Tod,
Und feurig tönet aus fernen Ebenen rot
Noch der Sterbenden Schreien und Lobgesang.
Georg Heym, Der Krieg II
In matters of grave importance, style,not sincerity is the vital thing.
Oscar Wilde, The Importance of Being Earnest
All the truth in the world adds up to one big lie.
Bob Dylan, Things Have Changed
Eins
Als ob man einen Vorhang aufzieht. Als ob man einen Vorhangaufzieht,undesistheller,alsmangeahnthat.Taghellist gar kein Ausdruck. Und dann reißt man das Fenster auf, und die Luft ist plötzlich so warm, mit so einer Wärme hat man nicht mehr gerechnet. Dass der Winter, dieser qualvolle, überhaupt in diesem Leben wieder vorbeigehen würde, das hat man nicht mehr einkalkuliert. Man reißt das Fenster auf, und die ganze Wohnung wird aufgeblasen mit einer minzhaltigen Frischluft, die sich ihren Weg bis in die letzte schimmlige Ecke von der wintergepeinigten Wohnung bahnt. Vorhang weg, Fenster auf, und alles fängt im Handumdrehen an, sich zu verändern.
Die Veränderungen, auf die ich Jahre, wenn nicht Jahrzehnte gewartet hatte, fingen Punkt halb elf an einem Montagvormittag Mitte März an. Es war auf den Schlag genau halb elf, als der Vorhang sich hob und jemand das Fenster aufriss. So ähnlich stelle ich mir einen Kriegsausbruch vor. Plötzlich riecht die Luft anders, die Leute reden nur noch über das eine Thema, alles ist im Aufbruch, und andauernd passiert irgendetwas Neues. Diese klamme Starre, in der ein Land und eine Biografie oft seit Jahren liegt, diese Zustandsgruft aus Nichtstun und Herummosern wird von einer einzigen Begebenheit aufgebrochen. Hunderte und Tausende von Tagen gehen durch einen hindurch, als ob man ein Geist wäre, aber dann kommt der eine Tag, der einen umrennt, wo man sich dreimal überschlägt.
Der Moment, als die Malleck durch die Bürotür kam, war so ein Fensteraufreißen. Selbst der Mandel mit seiner stoischen Art muss in dem Moment gemerkt haben, dass da etwas aufbricht. Dass ab jetzt kein Stein mehr auf dem anderen bleibt. Vielleicht überschätze ich aber da auch die Empathie vom Mandel, vielleicht hat der die Dringlichkeit des Anliegens erst bemerkt, als es sich schon zu einer alles verschlingenden Gesamtkatastrophe entwickelt hat. Ich wusste jedenfalls in dem Moment, als die Malleck unser Büro betrat, dass kein Stein mehr auf dem anderen bleiben würde. Die alte Routine war vorbei. Eine Zugluft kam mit dieser Frau herein, die einen mit einem Schlag in ein anderes Leben hinüberwehte. Ich weiß, dass der Mandel es nicht so hat mit Bedeutungsschwangerschaften und Gefühlsüberschwang, aber das hat selbst er im Nachhinein zugegeben, dass das Auftauchen der Malleck eine reißende Veränderung der Umstände eingeleitet hat.
Für so eine Botschaft der Veränderung ist natürlich der Botschafter nicht ganz unerheblich. Das ist ja sozusagen der erste Eindruck von dem, was einem bevorsteht, und der erste Eindruck ist der wichtigste. In der Liebe, beim Bewerbungsgespräch und beim Kundentermin. Da kann mir keiner etwas anderes erzählen. Unser erster Eindruck von der kommenden Veränderung war über die Maßen betörend, und nichts hätte uns mehr in die Irre führen können als so ein erster Eindruck. Der Mandel und ich, wir waren vom alten Beruf her eigentlich Prominenz gewohnt, also mehr der Mandel als ich. Bei Interviews und Premieren, bei Konzerten und Fernsehaufzeichnungen, bei Empfängen und hinter den Kulissen. Aber man täuscht sich, wenn man denkt, ein Prominenter, besonders einweiblicher, könnte einen nicht mehr nervös machen. Bei einem Kaliber wie der Malleck wird selbst der Mandel hektisch.
Ich glaube ja, dass sie mich schon vorher vom Sehen gekannt hat. Den Mandel kannte sie auf jeden Fall, weil der regelmäßig ihren Mann interviewt hat. Sie grüßte den Mandel immer so nett, wenn sie ihn sah. Und ich war ja meistens dabei. Vom Sehen her sollte ich ihr mindestens ein Begriff gewesen sein. Und dann gab es noch den einen Abend in der Schwarzen Pumpe, wo ich mit Tim Schultze an der Bar gesessen bin und er von seinen One-Night-Stands schwadroniert hat und ich den Blick ein wenig umherschweifen ließ. In der Ecke links am Fenster ist die Malleck gesessen, und unsere Blicke haben sich wie alte Schulfreunde getroffen, die sich auf der Straße nach fünfzehn Jahren wiederbegegnen. Mit einem vorsichtigen Lächeln beim Entgegenkommen. Ich hab mir das nicht eingebildet, egal, was der Mandel sagt. Immer wieder war der Blick von der Malleck in die Mitte des Raumes gewandert, wo meiner schon gewartet hat, während der Schultze weiter über eine schwadroniert hat, die ihm im Aufzug von seiner Firma … Ich will’s gar nicht sagen, weil es eine eklige Vorstellung ist, wenn man den Schultze kennt.
Die Zehntelsekunden, bevor die Malleck »Guten Morgen« sagte, vergingen in Zeitlupe, wie bei einem Unfall, wenn einem die Frontscheibe ganz still und im Detail entgegensplittert. Der schönste Unfall, den man sich vorstellen kann. Die Zehntelsekunden in Zeitlupe nutzte ich, um die Malleck zu mustern. Ich fing bei den Schuhen an. Halbhohe Lederstiefel in Grau, ein bescheidener Absatz. Die Unterschenkel vielleicht etwas kräftiger als beispielsweise bei einem Supermodel, aber immer noch zart auf ihre Weise. Dann das graue Nylon weiter nach oben in einer Grazie, dass man sich verbeugen wollte vor solch royalen Beinen. Die Sicht auf das Nylon endete an einem Jeansrock, knapp über dem Knie, das ein richtiges Knie war. Mit einer echten und deutlichen Kniescheibe, wie ich persönlich das mag. Hüfte übrigens auch deutlich breiter als beim Supermodel, aber keineswegs ordinär. Als Oberteil eine weiße Bluse mit hellblauen Bestickungen darauf. Oberkörper mittellang, der kleine Busen kaum zu erahnen, aber dann der Hals. Auf der ganzen Länge eine einzige Zärtlichkeit von der Genetik. Glatt wie eine Eisschnelllaufbahn und ans Kinn herangleitend wie … wie eine sanfte Mittelmeerwelle – eine am spitzen Kinn sich brechende Mittelmeerwelle. Die großen weißen Zähne, ein bisschen zu groß geratene Vorderzähne vielleicht, aber noch lange nicht wie bei einem Hasen. Die Nase präsent, aber nicht Himmelfahrt, gottseidank. Sanfter Knick nach unten eher. Augen weit, grün, rund, neugierig. Zum Hineinspringen und drin Baden und erst weit nach Bäderschluss Rauskommen aus dem von der Abendsonne noch warmen Wasser. Haare mittelblond, widerspenstig der auslaufende Pony, der sich anscheinend mit den langen Wimpern abgesprochen hatte. Insgesamt wie eine Best-of-Platte. Alle Hits waren drauf. Man konnte sich die Frau von vorne bis hinten anschauen. Es gab keine Füller, nur Killer. Ich riss mich zusammen, weil sonst selbst in Zeitlupe eine peinliche Situation entstanden wäre. Wenn man jemanden so anstarrt.
»Guten Morgen«, sagte die Malleck.
»GutenMorgen«,sagtederMandelundlächelte,wieichihnnichtmehrlächelngesehenhabe,seitdasManagementvonEmilyHainesdamalsimVerlagangerufenundausdrücklichdraufbestandenhatte,dassderMandelundnurderMandeldaseinzigeInterviewinDeutschlandmachendarf.JetzthattediePlattenfirmameinerMeinungnachdasInteresseanEmilyHainesinDeutschlandtotalüberschätzt,aberderMandelwarnatürlichschonlangeeinBewunderergewesen,unddashattenichtnurmitihrerMusikzutun.DerMandelistdannsogarnochineiner Bar mit ihr gesessen, aber mehr hat er nicht erzählt.
»Hallo«, sagte ich.
»Schön, dich mal wiederzusehen, Max«, sagte die Malleck.
»Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite, Veronika«, sagte der Mandel, ein bisschen zu staatsmännisch.
»Wir kennen uns ja auch vom Sehen«, sagte die Malleck zu mir. Für meinen Geschmack hätte sie das ruhig etwas konspirativer sagen können.
»Setz dich doch«, sagte der Mandel und schob einen Klappstuhl aus Plastik an den schönen Kugelhintern der Malleck. Dabei warf er mir einen Blick zu, der vielleicht so etwas bedeutete wie: Hättest ja nicht unbedingt den billigsten Plastikstuhl kaufen müssen.
»Du bist jetzt also Detektiv«, sagte die Malleck, offensichtlich meinte sie jetzt wieder den Mandel.
»Ermittler. Wir sind ein Ermittlungsbüro«, antwortete ich für den Mandel.
»Aha, wo ist der Unterschied?«, fragte die Malleck und verlor zu keinem Zeitpunkt ihr vertrauensseliges Lächeln. Als hätte sie uns eine Ewigkeit nicht gesehen und uns innerhalb jener Ewigkeit aber ernsthaft vermisst.
»Da ist natürlich keiner. Ermittler ist nur der zeitgemäßere Begriff«, antwortete der Mandel.
»Ich finde ja, ›Detektiv‹ klingt besser. Nach Abenteuer und Whiskey.«
»Ach so, was willst du trinken? Whiskey oder lieber einen Kaffee?«
Und noch während ich das sagte, ärgerte ich mich, weil ich mich damit selbst in die Küche abkommandiert hatte, während der Mandel die unverbaute Aussicht auf die Malleck genießen konnte.
»Gerne einen Kaffee. Auf den Whiskey komm ich zurück, Sigi«, lachte mich die Malleck an. Das war mein Vorname, und die Malleck wusste ihn.
»Was können wir denn für dich tun, Veroni? Woher weißt du eigentlich, dass wir jetzt hier sind?«, hörte ich den Mandel sagen. Das »Veroni« ist zu jovial, dachte ich beim Kaffeekochen. So gut kennen die sich doch gar nicht.
»Das hat sich schnell herumgesprochen in der Stadt. Dass ihr jetzt Detektive seid. Beziehungsweise Ermittler. Das ist ja schon eine abenteuerliche Verwandlung, vom Journalisten zum Ermittler«, sagte die Malleck.
»Eigentlich nicht. Beide recherchieren und hören Leuten zu. Und treffen durch den Beruf hübsche Frauen«, sagte der Mandel, der jetzt einen auf Marlowe für Fußgänger machte, was ich ihm sagen würde, sobald die Malleck wieder weg war. Und es passte auch gar nicht zu ihm, so ein Spruch. Wo er sich doch sonst so lakonisch gab. Affig. Ich stellte der Malleck ihren Kaffee hin.
»Wer hat denn erzählt, dass wir hier jetzt das Büro haben?«, wollte ich wissen.
»Ihr habt doch eine Anzeige geschaltet. Und dann hat auch der Deutzsch was gesagt.«
Der Deutzsch war unser ehemaliger Chefredakteur.
»Hast du dem das erzählt?«, fragte ich den Mandel, aber der zuckte nur unwillig mit den Schultern.
»Und? Was für Fälle habt ihr schon bearbeitet?«, fragte die Malleck.
Keinen, wollte ich sagen, aber der Mandel war schneller.
»Den einen oder anderen. Aber aus Gründen der Diskretion bespricht man nie einen Fall mit einem anderen Fall«, sagte der Mandel, und ich muss zugeben, dass er uns da elegant aus der Affäre gezogen hat.
»Verstehe. Dann nimmst du also an, dass ich auch ein Fall bin.«
»Jeder, der durch diese Tür geht, ist ein Fall. So lange, bis er was anderes sagt«, sagte der Mandel, und ich fingerte eine Zigarette aus der Schachtel vom Mandel und zündete sie an, um ein bisschen weniger deplatziert zu wirken, während der Mandel seine Ermittlershow darbot.
»Leo Tilmann«, sagte die Malleck.
»Dein Mann«, sagte der Mandel.
»Mein Mann«, sagte die Malleck.
»Der Leo ist ein großartiger Typ«, sagte sie, und der Mandel nickte.
»Aber er hat das alles nicht mehr im Griff.«
Der Mandel runzelte die Stirn und setzte seinen Interviewblick auf.
»Vorab die große Bitte: Was ich euch erzähle, muss unbedingt unter uns bleiben, unter allen Umständen. Ich muss mich da auf euch verlassen können. Deshalb bin ich ja auch bei euch. Weil du, Max, beim Leo und den anderen so einen guten Ruf hast.« Die Malleck schaute jetzt angespannt aus.
»Das bleibt alles in diesem Büro. Diskretion ist sozusagen eine unserer wichtigsten Dienstleistungen«, sagte der Mandel.
Die Gesichtszüge von der Malleck entspannten sich wie auf Kommando, und sie lächelte wieder. Sie wartete kurz ab, bevor sie weiterredete.
»Ach, der Leo. Ein Kind von Traurigkeit war er ja nie, und ich hab das verstanden, weil wenn er auf Tour ist und diese Konzerte, und überhaupt das ganze Drumherum bei Musikern, das kennt man ja. Aber er ist jetzt über vierzig, und ich bin vierunddreißig und will Kinder, und das Geschäft, ach, ich weiß auch nicht, es ist hässlicher geworden. Also, das Geschäft vom Leo, nicht meins.«
Jetzt schaute der Mandel angespannt, und ich merkte ihm an, dass er kein Wort von dem verstand, was die Malleck sagenwollte. Ihr vertrauensseliger Blick galt inzwischen ausschließlich dem Mandel, den sie wie ihren Hausarzt ansah. Der Mandel hielt ihr seine Zigarettenschachtel hin und gab ihr Feuer.
»Ab einem gewissen Alter ist das alles nicht mehr sauber. Die Drogen. Die irren Fans. Die Affären. Die Geldverschwendung. Ich weiß, dass er nie ein Heiliger werden wird, aber man denkt ja, dass Leute wie der Leo ihres Lebenswandels irgendwann überdrüssig werden. Dass sich da was beruhigt im Kopf. Als ich ihn damals kennengelernt habe, da war das normal. Aber jetzt? Ich will eine Familie. Und ich will raus aus der Bildzeitung. Ich möchte wegen meiner Arbeit in der Zeitung stehen und nicht wegen Leos Eskapaden. Unter uns, und bitte wirklich unter uns: Sein Verhalten ist mir unangenehm geworden, ja peinlich. Er ist peinlich, wie er sich benimmt, wie ein wildes Tier, und das mit seinen über vierzig. Es ist mir peinlich, wenn ich die Bilder sehe von ihm, wie er auf Partys mit irgendwem über die Tanzfläche geistert. Erst neulich war so ein Bericht im Stern: ›Der ewige Lifestyle – Leo Tilmann hat den Rock’n’Roll noch nicht aufgegeben.‹ Das ist peinlich. Auch für mich. Wie passe ich denn da ins Bild? Ich bin doch keine Hausfrau, die drauf wartet, dass ihr Mann wenigstens einmal in der Woche das gemeinsame Abendessen seinem Kegelclub vorzieht.«
Die Malleck sagte das so monoton daher, als würde sie ihren Anrufbeantworter besprechen.
»Es tut mir leid, ich bin ungerecht«, sagte sie und wendete ihren Blick nach draußen durch unsere Ladenfront in Richtung Nordufer. Vielsagend ins Nichts schauen. Das konnte sie richtig gut.
Der Mandel sagte natürlich auch nichts, weil ihm das Elend von anderen Leuten immer schon viel zu viel war, und so sprang ich ein:
»Du bist doch nicht ungerecht. Wenn der sich nicht im Griff hat, dann ist er ein Versager, dein Leo.«
Und ich gebe zu, dass es da ein bisschen mit mir durchgegangen ist, weil ich den Tilmann immer schon für einen aufgeblasenen Wichtigtuer gehalten habe, der mit seinem Pseudopunkrock schon zehn Jahre zu lang dieses Land verblödet hat und der dank seiner allzu durchschaubaren Rolle als Everybody’s Enfant terrible mittlerweile selbst in Filmen angesehener Regisseure mitspielen durfte. Und die Belohnung für all sein kulturelles Unwesen war am Ende die Malleck. Und als ich das mit dem Versager sagte, war dann eben nicht nur die Missgunst – die geb ich gerne zu –, sondern auch der gerechte Zorn mit mir durchgegangen. Der Mandel schaute mich vorwurfsvoll an. Die Malleck traurig.
»Nein, nein, das ist er nicht. Vielleicht habe ich mich falsch ausgedrückt. Ich liebe den Leo. Immer noch. Weil er im Prinzip ein hilfloses Kind ist. Aber ich habe meinen Stolz. Und meine Pläne. Und die sind mit dem Leo nicht mehr zu verwirklichen.«
Die Malleck klang jetzt nicht mehr wie der automatische Anrufbeantworter, ihre Stimme war wieder sanft und melodiös. Sie wartete, bevor sie ihren nächsten Satz sagte. Wir alle warteten.
»Ich habe einen Ehevertrag mit dem Leo geschlossen. Nach unserer ersten großen Krise. Kurz nach der Hochzeit.«
Und noch eine Kunstpause von der Malleck.
»So ein Ehevertrag«, sagte die Malleck, »ist sicher nicht das, was man sich unter einem romantischen Liebesversprechen vorstellt. Der Holger, mein Anwalt, hat mir damals dazu geraten. Ich dachte nicht, dass der Leo zustimmen würde, aber er hat sofort unterschrieben. Der war da total unkompliziert.«
»Hm«, machte der Mandel.
»UndjetztsindwirhaltamEnde,sowaspassiertineinerEhe.DiebestenPärchenhabensichirgendwannauseinandergelebt.Undesheißtauchnicht,dasswirunsnichtmehrmögen.Aberwasebennichtseinmuss,ist,dassmansichinmeinerBrancheerzählt,derLeotreibt’snachdemKonzertmiteinerausdemPublikum,derLeotreibt’smitderLufthansa-StewardessaufdemFlugnachKöln.Dasmussnichtsein.DerLeotut,alswäreergeradeausderPubertätgekommenundhätteendlichkeinePickelmehr.EsisteheinWunder,dassdieZeitungnochkeineFotos,keinenArtikelhat.KeinHandyvideo.JedenTag,wennmorgensdasTelefonklingelt,denkeich,esistderHolger,dermirsagt,dassjetztallesoffenliegt.DieseDemütigungvordenAugenderLeute.UndichstehdawiedasnaiveHeimchenamHerd,währenddergroße Herr Rockmusiker sich durch alle Bundesländer vögelt.«
Die Malleck zog am schmorenden Filter ihrer ehemaligen Zigarette.
»Die Zigarette«, sagte ich.
Der Mandel nahm der Malleck den Filter aus der Hand und warf ihn in den Aschenbecher.
»Das ist alles eine hässliche Angelegenheit, ich weiß. Das wirft auch kein gutes Licht auf mich, dass ich jetzt zu euch komme. Und es ist auch kein schöner Job für euch.«
Die Malleck rieb sich die Hände mit einer Creme aus ihrer Handtasche ein und lächelte mich an. Beeindruckend, wie sie zwischen den Tonalitäten hin- und herschalten konnte. Aber gut, Schauspieler, was erwartet man.
»Ich bin mir jetzt nicht ganz sicher, wie wir, also was wir jetzt für dich tun können«, sagte der Mandel.
»Dazu wär ich doch jetzt gleich gekommen«, lachte die Malleck und umfasste dabei mit ihren langen Fingern das Handgelenk vom Mandel. Gottseidank kurze Fingernägel. Ich flippe aus bei langen Fingernägeln. Selbst eine wie die Malleck würde ich dafür auspeitschen lassen.
»Ich will nicht lange drum herumreden. Ich will Fotos, die den Leo beim Fremdgehen zeigen, dann geh ich damit zu Holger, und der leitet alles Weitere in die Wege. Ich lass mich scheiden, der Leo bekommt nichts mehr von meinem Geld, die Presse bekommt keine schmutzigen Geschichten, und wir sagen, wir haben uns auseinandergelebt. Ich bin ein Miststück, oder?«
Jetzt schaute sie uns todernst an. Erst den Mandel und dann mich. Schwer zu sagen, ob sie kokettierte. Überhaupt schwer zu sagen, was wirklich in ihr vorging. Ihr bisheriger Auftritt hätte genauso gut in einem Drehbuch stehen können mit den ganzen Tempo- und Tonartwechseln. Aber vielleicht tat man Schauspielern auch Unrecht, wenn man sie im Privaten des permanenten Rollenspiels bezichtigte.
»Und warum jetzt? Das Problem ist doch sicher schon länger bekannt«, fragte ich.
Die Malleck sah mich kalt an.
»Zum einen, weil es irgendwann genug ist. Zum anderen glaube ich, dass es da eine ganz konkrete Nebenbuhlerin gibt.«
»Aha?«, machte der Mandel.
»Man merkt so was ja, und dann sind da diese Reisen an die Ostsee. Aber das kann ich euch erzählen, wenn wir konkreter werden.«
»Und jetzt willst du Fotos vom Leo in flagranti?«, fragte ich zur Sicherheit nochmal nach. Der Mandel sah mich vorwurfsvoll an, vermutlich war ich ihm etwas zu direkt.
»Ich brauche zwei Motive, zwei verschiedene Frauen. Oder den Beweis für eine dauerhafte Affäre. Ich gebe euch acht Wochen Zeit. Jetzt sagt ihr mir, was das ungefähr kostet.«
Der Mandel räusperte sich und stand auf.
»Wir haben so eine Art Tarifliste«, sagte er und ging zu dem unansehnlichen hellbraunen Regal mit den Aktenordnern, die uns der Onkel Hans hinterlassen hatte. Ich gebe zu, dass ich jetzt auch nicht gewusst hätte, wie man acht Wochen Observation berechnet. Und ob das überhaupt Observation war oder eher Infiltration, und ob es dafür überhaupt einen Tarif gab. So weit hatten wir uns noch nicht in den neuen Beruf hineingearbeitet. Ich hätte halt gesagt, wir rechnen das mal durch und melden uns dann heute Nachmittag. Der Mandel hingegen blätterte umständlich in einem Ordner, und wenn ich das von hier aus richtig sehen konnte, war das der Ordner mit den Bewerbungsunterlagen von der IHK, da standen ganz sicher keine Tarife für Infiltration drin. Der Mandel drehte sich mit dem Ordner in der Hand zur Malleck um und sagte:
»Wir rechnen das mal durch, und ich schick dir heut Nachmittag dann ein Angebot.«
»Passt auf, ich mach euch einen Vorschlag«, sagte die Malleck. »Für die acht Wochen bezahle ich euch fünfzehntausend Euro. Sieben-fünf im Voraus. Wenn ihr die Fotos liefert, bekommt ihr den Rest. Solltet ihr länger brauchen, können wir natürlich nochmal reden. Die erste Rate überweis ich euch direkt. Ihr könnt eine Rechnung an Holger schreiben. Holger Edelstein, mein Anwalt. Alles legal und fürs Finanzamt, der Holger hat sich erkundigt. Neunzehn Prozent Mehrwertsteuer, oder wie ist das bei Detektiven?«
Der Mandel schaute mich an, und ich nickte beiläufig. Innerlich hatte ich natürlich schon ein Festzelt errichtet und das Bierfass angezapft, die Kapelle spielte einen Tusch. Fünfzehntausend Euro für den ersten Auftrag. In unserem alten Milieu und für die Malleck, für die wir auch umsonst noch viel hässlichere Dinge getan hätten, als nur den Idioten Tilmann zu infiltrieren.
»Klingt doch gut. Einverstanden«, sagte der Mandel und hielt kurz die Luft an, vermutlich, um seine Begeisterung zu unterdrücken. Der Form halber hätte er sich mit mir absprechen müssen, bevor er zustimmte. Als sein Partner.
»Aber jetzt muss ich doch fragen: Warum wir?«, fragte der Mandel.
»Ihr seid doch Musikjournalisten. Oder wart es zumindest bis vor kurzem. Wenn sich jemand unauffällig in Leos Kreisen aufhalten kann, dann ihr. Ihr habt einen guten Ruf, ihr seid zwei aufrichtige und diskrete Typen. Und süß noch dazu«, lachte die Malleck das herzlichste Lachen, das ich je von einer Frau außerhalb eines Spielfilms gesehen habe. So etwas kann doch kein Mensch schauspielern.
Zwei
Es war eigentlich wie vorher. Wie noch bis vor ein paar Wochen beim Rock’n’Roll-Express. Der Mandel war draußen bei den Leuten, unter den Musikern und bei den Plattenfirmen, und ich saß im Büro und bediente das Internet. Der Mandel war schon immer der feine Herr im Außendienst gewesen, und mir blieb nur das Herumgesitze im Büro. Der Mandel kannte den Tilmann von früheren Interviews, und er konnte jederzeit vorgeben, eine Reportage über ihn und seine Band DEMO – ja, ja, in Großbuchstaben – zu schreiben. Gerade jetzt, wo DEMO mit ihrem gefühlten einundachtzigsten Album auf Tour gehen wollten. Pünktlich zum fünfundzwanzigjährigen Bestehen der Band. Lauthals und Halbstärke hieß es, und das war nur ein weiteres Beispiel für das ermüdende pseudointellektuelle Getue vom Tilmann. Man nehme zur Anschauung die Texte der aktuellen Single »Afrika«, die gerade rauf- und runterlief.
Strophe:
Die Straße, die zum Gestern führt
Ist ab morgen früh gesperrt
Da hilft kein Gotteslästern mehr
Das alte Leben ist nichts wert
Die, die gern zu reden pflegen
Beruhigen sich schon wieder
Leg dich in den frischen Regen
Er spült dich weg mit neuen Liedern
Refrain:
Steig ins Cockpit ohne Fallschirm
Mach die Motoren an
Dass man dich auch noch in Afrika
Hören kann
Ichwusstenicht,wiesehressichinderBranchetatsächlichverbreitethatte,dassMandelundSingernichtmehrimjournalistischenBereichtätigwaren,sondernihrenLebensunterhaltnunalsprivateErmittlerbestritten.DieMalleckhatjasowasbehauptet.DabeihattenwirdasalteBürovomMandelseinemOnkelHanserstvorvierWochenbezogen,undwäredanichtdieMalleckaufgetaucht,hätteichschwörenkönnen,dassnochkeinersogenauwusste,waswirvorhatten.Nochnichteinmalwirselbst.DieAnzeigeinder warersteinpaarTagealt,undvondenganzenIdiotenausderBranchelaskeinerdie EswarunsauchkeinAnliegen,dassunsereberuflicheNeuorientierunginallerMundewar.DerMandelwarsichereinerderbekannterenJournalisteninderStadt.ImmerhinzwölfJahreFestanstellungbeim ,wogibtesdasinderBranchenoch?UndjetztErmittler,ohneeineneinzigenAuftragbisher.Nein,solangederLadennichtlief,wolltenwirdasnichtandiegroßeGlockehängen,unddieAnnonceinder dientelediglichderAkquisitionvonneuerKundschaft.Weilwirschauenwollten,obsichüberhauptjemandmeldete.ObesüberhaupteinenBedarffürprivateErmittlergab. Der Anzeigentext war übrigens vom Mandel:
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!