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Männer beherrschen die Straße. Mit überdimensionierten Karossen, aggressivem Verhalten oder unangemessener Lautstärke. Das ist durch die Verkehrsstatistik gut belegt, aber dennoch nur Symptom eines größeren Problems. Starre und mächtige Netzwerke in Politik, Behörden, Verbänden, Unternehmen und Wissenschaft, allesamt von Männern dominiert, verhindern den dringend notwendigen Schritt hin zu einer zukunftsfähigen Mobilität für Deutschland. Männerexperte und Wirtschaftswissenschaftler Boris von Heesen belegt mit erschütternden Fakten und schlüssigen Argumenten, wie patriarchale Strukturen unsere Mobilität prägen und so die Verkehrswende blockieren. Ein aufrüttelnder Appell für eine sinnvolle Verkehrspolitik, von der alle profitieren würden.
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Seitenzahl: 338
Veröffentlichungsjahr: 2025
Ein aufrüttelnder Appell für eine Mobilitätspolitik, von der alle profitieren
Männer beherrschen die Straße. Mit überdimensionierten Karossen, aggressivem Verhalten oder unangemessener Lautstärke. Schlimm genug – und doch nur Symptome eines größeren Problems.
Starre und mächtige Netzwerke in Politik, Verbänden, Unternehmen und Wissenschaft, allesamt von Männern dominiert, verhindern den dringend notwendigen Schritt hin zu einer zukunftsfähigen Mobilität für Deutschland. Männerexperte und Wirtschaftswissenschaftler Boris von Heesen belegt mit erschütternden Fakten und schlüssigen Argumenten, wie patriarchale Strukturen unsere Mobilität prägen und so die Verkehrswende blockieren.
»Dieses Buch erzählt von Männern, die die Straße beherrschen. Mit übermotorisierten Boliden schieben sie sich, gefährlich dicht auffahrend und lichthupend, die linke Spur der Autobahn frei. Fest eingeschlossen in ihre letzten maskulinen Schutzräume, gestikulieren sie wild und aggressiv, beleidigen und nötigen andere Menschen, die ihnen auf asphaltierten Wegen in die Quere kommen. Risikoorientiert loten sie die Grenzen ihrer Automobile aus, brechen dabei reihenweise Verkehrsregeln und gefährden so andere und auch sich selbst.
Verantwortlich ist das Patriarchat mit der Erzählung, dass erst ein großes, lautes und mit Status aufgeladenes Fahrzeug einen richtigen Mann macht. Choreografiert wird das ganze Spektakel von einer männerdominierten deutschen Automobilindustrie. Wie eine Spinne im Netz, die alle Fäden kontrolliert, verbindet sie geschickt Politik, Behörden und Verbände und setzt so in Vorder- und Hinterzimmern ihre Interessen durch.«
Boris von Heesen
Boris von Heesen streut feinen Sand ins knirschende Getriebe der alten Karre Patriarchat, die im ewigen Rückwärtsgang die Überholspur für sich beansprucht. Aber während die urdeutsche Autotradition trotzig alte Asche anbetet, leuchtet das Licht längst anderswo
FLORIANHACKE, Satiriker
Boris von Heesen zeigt uns eindrücklich, dass die Mobilitätswende keine technische Herausforderung ist, sondern eine von fehlender (männlicher) emotionaler Reife.
Das Gute: die können auch Männer erlernen.
MARENURNER, Neurowissenschaftlerin
WWW.HEYNE.DE
Boris von Heesen
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Wie das Patriarchat die Verkehrswende blockiert
WILHELMHEYNEVERLAGMÜNCHEN
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Originalausgabe 03/2025
Copyright © 2025 by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München
(Vorstehende Angaben sind zugleich Pflichtinformationen nach GPSR)
Redaktion: Dr. Ulrike Strerath-Bolz
Umschlaggestaltung: wilhelm typo grafisch, Zürich
Umschlagabbildung: AdobeStock (jamesteohart)
Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering
ISBN: 978-3-641-32337-0V002
www.heyne.de
Inhalt
Vorwort von Katja Diehl
Einleitung
Teil I Der patriarchale Unterbau – wo alles seinen Anfang nimmt
1 Der Politikbetrieb – same procedure as every four years
2 Die Autoindustrie – Männer in Vorderzimmern
3 Die Autolobby – Männer in Hinterzimmern
4 Verbände – gut organisierte Erfüllungsgehilfen
5 Wissenschaft und Studium – schräge Weichenstellung
6 Autonormativität – die Mobilitätswende ist feministisch
Teil IIMännerdominierte Statistiken – unschlagbare Argumente
7 Groteske Zulassungszahlen – Status auf vier Rädern
8 Schiefe Unfallstatistiken, ignorierte Dramen
9 Grenzüberschreitungen – Ordnungswidrigkeiten und Straftaten im Straßenverkehr
10 Belastung für die Gesellschaft – die Kosten patriarchalen Fahrens
Teil IIIAbsurde Auswüchse – wie sich das System selbst entlarvt
11 Die Tuningbranche – Frauen auf die Haube
12 Asphaltierte Unterwelten – illegale Autorennen und Autoposer
13 Motorsport – wenn die Kupplung schleift
14 Toxische Mediensturmflut – per Viertaktmotor ins Verderben
Teil IVLabor der Lösungen – die Zeit, zu handeln, ist jetzt
15 Verkehrserziehung reloaded – vom Bobbycar zum Rollator
16 Mobile Befreiung – zu Fuß und auf zwei Rädern
17 Was wir schon heute tun können – patriarchale Autonormativität sehen und handeln
18 Zusammenleben neu denken – mein Haus, mein Auto, meine Garage aufgeben
Schluss: Maskuline Autofantasien auflösen
Dank
Register
Bildnachweis
Anmerkungen
Vorwort von Katja Diehl
Es ist mir eine große Freude, dieses Vorwort zu Boris von Heesens Buch Mann am Steuer zu schreiben. Boris und ich hatten bereits Gelegenheit, in einem meiner Podcasts ausführlich über seine analytischen und grundlegenden Ansätze zu sprechen, die sich mit den strukturellen Problemen des Patriarchats befassen und damit, wie tief diese in unserer Gesellschaft verankert sind. Das wird insbesondere im Mobilitätssektor sichtbar, dem sich dieses Buch widmet. Seine fundierte Analyse der patriarchalen Machtstrukturen, die den Wandel hin zu einer nachhaltigen, sozial- und klimagerechten Mobilität verhindern, stellt eine wichtige Ergänzung zu den Diskursen dar, die auch in meiner Arbeit zentral sind.
Boris von Heesen greift in Mann am Steuer einen zentralen Aspekt unserer gesellschaftlichen Realität auf: Männer dominieren nicht nur physisch mit ihren übergroßen, ressourcenintensiven Fahrzeugen die Straßen, sondern kontrollieren über ihre Netzwerke in Politik, Industrie und Wissenschaft auch die Entscheidungsprozesse, die eine zukunftsgerechte Verkehrswende und die Abschaffung aller Autoprivilegien verhindern. Diese patriarchalen Strukturen sind tief verankert und manifestieren sich nicht nur in den Statistiken aggressiven Fahrverhaltens, sondern auch in der Art und Weise, wie Mobilität in unserer Gesellschaft organisiert und bewertet wird.
Unser Gespräch im Podcast beleuchtete bereits, wie eng diese Themen mit einer breiteren gesellschaftlichen Frage verbunden sind: der fortdauernden Dominanz des Patriarchats und den damit einhergehenden systemischen Ungerechtigkeiten. Boris’ Ansatz ist nicht nur analytisch präzise, sondern auch zutiefst menschlich und engagiert. Er zeigt auf, wie nicht nur Frauen, sondern auch Männer unter den rigiden Rollenbildern leiden, die das Patriarchat aufrechterhält, und wie dies zu einer Stagnation in Bereichen wie der Verkehrspolitik führt.
Boris’ Verdienst ist es, nicht nur die Symptome zu benennen – wie etwa aggressives Fahrverhalten und die Verlängerung des eigenen Egos durch übergroße Autos –, sondern auch die zugrunde liegenden Machtstrukturen zu entlarven, die diese Verhaltensmuster fördern und manifestieren. Es gelingt ihm, die Verkehrspolitik als eine von vielen Fronten zu identifizieren, an denen sich das Patriarchat durch die Blockade fortschrittlicher und nachhaltiger Lösungen selbst perpetuiert. Sein Buch ist ein Weckruf, der klar und unmissverständlich zeigt, dass die Verkehrswende nicht einfach eine technische oder infrastrukturelle Frage ist, sondern eine tief verwurzelte gesellschaftspolitische Herausforderung, die eine kritische Auseinandersetzung mit patriarchalen Strukturen erfordert.
Dabei greift Boris auch eine zentrale Erkenntnis auf, die wir in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen zunehmend beobachten: Die Kategorien »Mann« und »Frau« sind überkommene Konstrukte, die komplexen individuellen Realitäten oft nicht gerecht werden. Für eine zukunftsfähige Mobilität braucht es eine intersektionale Perspektive, die den Menschen als Individuum in den Mittelpunkt stellt. Mobilität betrifft uns alle, aber sie wirkt sich, je nach sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rahmenbedingungen für den Einzelnen unterschiedlich aus. Eine gerechte Verkehrspolitik muss diesen unterschiedlichen Bedürfnissen und Lebensrealitäten gerecht werden, statt auf starren, binären Geschlechterrollen zu beharren.
Eine Mobilität der Zukunft darf nicht länger durch Machtverhältnisse bestimmt werden, die einzelne Gruppen – insbesondere Männer – bevorzugen und andere benachteiligen. Nur wenn wir die Freiheit und das Wohlbefinden jedes Einzelnen in den Fokus rücken und gleichzeitig sicherstellen, dass diese Freiheit nicht auf Kosten anderer geht, können wir eine gerechte und nachhaltige Mobilität für alle erreichen. Hierbei ist es von zentraler Bedeutung, dass wir bestehende Hierarchien in der Politik, in Unternehmen und in gesellschaftlichen Strukturen aufbrechen, um einen gleichberechtigten Zugang zu Mobilität zu ermöglichen.
Das Patriarchat, wie Boris es beschreibt, blockiert nicht nur den technischen Fortschritt, sondern auch den sozialen Wandel. Für eine echte Verkehrswende bedarf es nicht nur neuer Technologien oder Infrastrukturen, sondern einer tiefgreifenden Veränderung in der Art und Weise, wie wir über Mobilität und Freiheit denken. Denn die Freiheit, ein großes, ressourcenintensives Fahrzeug zu fahren, darf nicht länger als individuelles Recht verstanden werden, wenn diese Freiheit die Sicherheit und das Wohlergehen anderer gefährdet.
Intersektionalität, also das gleichzeitige Berücksichtigen von Geschlecht, Klasse, Ethnizität und anderen sozialen Faktoren, ist hier der Schlüssel zu einer wirklich gerechten und nachhaltigen Verkehrspolitik. Mobilität muss für alle zugänglich und sicher sein, und sie darf nicht von den Interessen privilegierter Gruppen dominiert werden. Boris’ Buch zeigt eindrucksvoll, dass die Verkehrswende erst dann gelingen kann, wenn wir uns von patriarchalen Denkmustern lösen und den Menschen in seiner Gesamtheit und Vielfalt in den Mittelpunkt unserer Überlegungen stellen.
In diesem Zusammenhang möchte ich Boris von Heesen für seinen Mut und seine analytische Schärfe danken. Es ist selten, dass Themen wie Männlichkeit und Verkehrspolitik auf eine so brillante Weise von einem Mann (!) zusammengeführt werden, und noch seltener, dass diese Themen in einem größeren gesellschaftlichen Kontext reflektiert werden, der die Machtverhältnisse kritisch hinterfragt. Boris zeigt uns, dass die Lösung für die Verkehrswende nicht nur in technologischen Innovationen liegt, sondern in einem grundlegenden Wandel der sozialen und politischen Machtverhältnisse.
Ich freue mich auf die weiterführende Debatte, die dieses Buch zweifellos anstoßen wird, und hoffe, dass es ein breites Publikum erreicht, das bereit ist, sich mit den unbequemen, aber notwendigen Fragen auseinanderzusetzen, die Boris von Heesen so präzise formuliert. Es ist an der Zeit, dass wir nicht nur unsere Mobilität, sondern auch unsere Gesellschaft grundlegend verändern.
— Katja Diehl
Einleitung
Dieses Buch erzählt von Männern, die die Straße beherrschen. Mit übermotorisierten Boliden schieben sie sich, gefährlich dicht auffahrend und lichthupend, die linke Spur der Autobahn frei. Fest eingeschlossen in ihre in Metallic lackierten letzten maskulinen Schutzräume und abgeschottet von der Welt, gestikulieren sie wild und aggressiv, beleidigen und nötigen andere Menschen,* die ihnen auf asphaltierten Wegen in die Quere kommen. Risikoorientiert loten sie die Grenzen ihrer Automobile aus, brechen dabei reihenweise Verkehrsregeln und gefährden so andere und auch sich selbst.
Sie denken vielleicht, der Einstieg in dieses Buch sei überspitzt? In dem Fall möchte ich Sie einladen, zumindest dieses Vorwort zu Ende zu lesen und sich erst dann ein Urteil zu bilden. Die Faktenlage zulasten der Männer ist nämlich erdrückend. Beim gefürchteten Kraftfahrtbundesamt in Flensburg laufen die Punktekonten männlicher Autofahrer auf eine groteske Art über. Würden Männer ihre Fahrzeuge so steuern, wie Frauen es zumeist tun, müsste in Deutschland kaum noch ein Mensch seinen Führerschein abgeben. So ist es auch nicht verwunderlich, dass die Herren der Schöpfung – angeblich ja die besseren Autofahrer – die Verkehrsunfallstatistik auf traurige Art dominieren. Je dramatischer ein Unfall, je mehr schwerverletzte und getötete Opfer es bei Verkehrsunfällen mit dem Pkw gibt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mann am Steuer der Hauptverursacher war. Und nein, das liegt nicht daran, dass Männer mehr Kilometer abspulen als Frauen. Das weise ich in diesem Buch nach.
Gefährliche und gefährdete Männer im Straßenverkehr – davon bin ich überzeugt – sind aber nur ein Element in einer Choreografie, die weitaus komplexer und verwobener ist. Auch davon erzählt dieses Buch. Im Zentrum steht dabei eine von Männern dominierte deutsche Automobilindustrie. Wie eine Spinne im Netz, die alle Fäden kontrolliert, verbindet sie geschickt Politik, Behörden und Verbände und setzt so in Vorder- und Hinterzimmern ihre Interessen durch. Zur Erinnerung: Die Konzerne aus Wolfsburg, Stuttgart und München werden immer wieder als das Rückgrat der deutschen Wirtschaft gepriesen. Nur leider haben es die Manager im Gewinn-, Leistungs- und Größenwahn der letzten Jahrzehnte versäumt – anders als in anderen Ländern übrigens –, den Sektor auf Nachhaltigkeit zu trimmen. Jetzt rufen sie panisch nach E-Fuels, um den längst überholten Verbrennungsmotor in die Zukunft zu retten. Der wiederum ist das Symbol einer fragilen patriarchalen Männlichkeit, die sich an alten Machtstrukturen und antiquierten Technologien festklammert. Werden die von einer sich verändernden Gesellschaft hinterfragt und kritisiert, fühlt sich diese Männlichkeit bedroht und reagiert angriffslustig und trotzig. Dieses Phänomen wurde schon im Jahr 2018 von der amerikanischen Politikwissenschaftlerin Cara New Dagget in ihrem Aufsatz über Petromaskulinität beschrieben.1 In diesem rückwärtsgewandten Geist klammert sich der einflussreiche Wirtschaftszweig mit aller Kraft an die Verbrennertechnologie. Anders ist es kaum zu erklären, dass heute noch auf den Produktwebsites deutscher Automobilhersteller der Sound von röhrenden, Benzin verbrennenden Motoren abgespielt werden kann. Die männliche Zielgruppe soll unbedingt vorab digital erfahren, welchen provozierenden Krach sie mit den übermotorisierten Autos bald auf die Straße bringen kann. An dieser Stelle kann ich schon einmal spoilern: Sie werden in diesem Buch von anachronistischen Winkelzügen, brandgefährlichen Kinder-Motorradrennen und verschworenen Männerbünden lesen.
Und damit bin ich bei meinem Kernthema: Überall im Bereich Verkehr – von Politik bis Wirtschaft, von Verband bis Lobbyorganisation – sitzen Männer am Steuer. Im wörtlichen wie im übertragenen Sinn. So wurde die Verkehrspolitik der Nachkriegszeit noch nicht ein einziges Mal von einer Frau als Ministerin gestaltet. Der Frauenanteil unter den Ingenieur:innen in den Vorstandsetagen der deutschen Automobilkonzerne ist kaum wahrnehmbar. Und auch in allen anderen Organisationen und Behörden gleicht die Suche nach weiblichen Führungspersonen dem Spähen nach der berühmten Stecknadel im Heuhaufen.
Männer am Steuer in Verkehrspolitik, Autoindustrie, Behörden und Verbänden dominieren die Gestaltung der Mobilität in diesem Land. Und was kommt zwangsläufig dabei heraus, wenn eine sehr homogene Gruppe – in der Regel ältere weiße Männer, zu denen ich im Übrigen auch gehöre – für alle anderen mitentscheidet? Eine einseitige, androzentristische,** auf die Lohnarbeit ausgerichtete und autofixierte Verkehrspolitik. Alternative Verkehrsmittel ebenso wie die Menschen, die auf sie angewiesen sind, werden dabei systematisch übersehen und marginalisiert. Anders ist kaum zu erklären, dass in Deutschland als einzigem Industrieland weltweit noch kein generelles Tempolimit eingeführt wurde.*** Die von drei CSU-Verkehrsministern zwischen 2009 und 2021 kaputtgesparte Bahn als notwendige Achse einer erfolgreichen Verkehrswende ist ein weiteres Beispiel für eine männlich dominierte und autogläubige Politik.2 Auch der im Februar 2025 noch amtierende Minister Wissing hat der Bahn kaum die Priorität eingeräumt, die nötig wäre, um ihren dramatischen Bedeutungsverlust zu kompensieren. Stattdessen forderten die Männer in seiner (ehemaligen) neoliberalen Partei noch im Spätsommer 2024 die Abkehr von einer »Anti-Auto-Politik«. Realitätsvergessen und fast kabarettistisch, forderte die FDP ein deutschlandweites Flatrate-Parken nach dem Vorbild des Deutschlandtickets sowie einen Rückbau von Fahrradstraßen und Fußgängerzonen.3 Dabei ist mittlerweile durch vielfältige Studien verlässlich belegt, dass der innerstädtische Einzelhandelsumsatz steigt, wenn die Menschen seltener mit dem Auto und dafür häufiger zu Fuß oder mit dem Fahrrad kommen.4 Ganz zu schweigen von allen anderen Verbesserungen, die eine städtische Umgestaltung weg von der Autozentrierung mit sich bringen würde.
Es ist offensichtlich, dass die Männerdominanz auf den unterschiedlichen Ebenen des Mobilitätssektors ursächlich für eine blockierte Verkehrswende ist. Umso seltsamer mutet es an, dass dieses Phänomen bislang nur sehr sparsam in den öffentlichen Diskurs einfließt. Den Medien sind die vielen »Männer am Steuer« kaum eine Erwähnung wert. Innovative Thinktanks machen weitgehend einen Bogen um die maskuline Quelle einer blockierten Verkehrswende. Selbst Umwelt- und Verkehrsverbände thematisieren die Geschlechterschieflage viel zu selten. Zwar gibt es starke und kreative Stimmen, die seit Jahren eine feministische, geschlechtergerechte Verkehrspolitik fordern. Ihre Forderungen bleiben aber regelmäßig im von Männern gestalteten autozentrierten Dickicht hängen.
Das darf nicht sein. Aus diesem Grund engagiere ich mich als gleichstellungspolitisch denkender Mann u. a. mit diesem Buch dafür, dass endlich die Weichen gestellt werden für eine echte und nachhaltige Mobilitätswende in Deutschland.
Deshalb habe ich als Wirtschaftswissenschaftler für dieses Buch wieder mein politisch-ökonomisches Analysebesteck ausgepackt, das ich brauche, um die ungerechten Strukturen hinter unserem Verkehrssystem präzise offenzulegen. In Teil I zeige ich, wie deutlich die Verkehrspolitik auf Bundes- und Länderebene, aber auch in Kommunen und Landkreisen von Männern dominiert wird. Zahlreiche Verbände, allen voran der ADAC mit mittlerweile mehr Mitgliedern als die katholische Kirche, schaffen es immer noch, Frauen aus den Führungsgremien auszuschließen. Die Vorstandsetagen der deutschen Autoindustrie präsentieren sich als ein eingeschworener anachronistischer Boys-Club, der eine einseitige Produktpolitik betreibt, in der es vor ungesunden männlichen Stereotypen wie Leistung, Tempo, Größe und Status nur so strotzt. Die Betrachtung dieses patriarchalen Unterbaus liefert ein robustes Fundament für meine folgenden Analysen.
In Teil II trage ich Schritt für Schritt zusammen, wie deutlich Männer die für den Untersuchungsgegenstand relevanten Statistiken beherrschen. Die meisten Menschen können sicher erahnen, wie viel häufiger besonders leistungsstarke Fahrzeuge auf Männer zugelassen sind. Die extreme Faktenlage hat bei meinen Recherchen dann aber sogar mich überrascht. Und wer mit überholtem männlichem Habitus PS-starke Fahrzeuge durch die Gegend chauffiert, der erfährt sich automatisch irgendwann einen Platz in den Statistiken der Verkehrsunfälle und Verkehrsverstöße. Die Folgen sind dramatisch. Jedes Jahr sterben nahezu 3 000 Menschen im Straßenverkehr und über 50 000 erleiden schwere Verletzungen. Hinter jeder einzelnen dieser kalten Ziffern verbergen sich die Schicksale der Betroffenen und Angehörigen. Damit die nicht in Vergessenheit geraten, habe ich die Kosten des patriarchalen Fahrens errechnet. Als Trick, um in unserem kapitalistischen System mit harten Euros Aufmerksamkeit für eine Geschlechterschieflage zu erzeugen, unter der alle Menschen leiden.
Männer in Politik, Wirtschaft und Verwaltung des Verkehrssektors wirken nicht nur auf Zulassungszahlen und Verkehrsstatistiken. Sie bilden sich zudem irgendwann in den »absurden Auswüchsen« männlich geprägter Automobilität ab, die ich in Teil III präsentiere. Die Tuningbranche, illegale Autorennen und auch Autoposer sind maskuline Monokulturen, die abseits der medialen Berichterstattung ein erschreckendes Eigenleben führen. Die fossile Motorsportwelt, hypermaskuline »Carfluencer«, Computer-Rennspiele sowie die Inszenierung von Männlichkeit im Film zahlen ein in diese absurden Auswüchse. In diesem dritten Teil lege ich überraschende Verbindungen zu Politik und Verbänden offen, die zeigen, wie stark die verschiedenen autozentrierten Ebenen miteinander verwoben sind.
Aus alldem folgt: Um die Verkehrswende voranzutreiben, müssen wir nicht nur mächtige Männer herausfordern, sondern gleichzeitig allen Autofahrern Alternativen anbieten. Deshalb ist die Dekonstruktion automobiler patriarchaler Strukturen die Grundvoraussetzung für einen Umbau der Mobilität in diesem Land. An diesem Punkt setzt das »Labor der Lösungen« in Teil IV an. Mit einer Vielzahl von Ideen, die allesamt an der Geschlechterfrage sowie überholten männlichen Rollenbildern ansetzen, werden Handlungsoptionen angeboten, um dem dringend notwendigen Umbau unseres starren Verkehrssystems neues Leben einzuhauchen.
Das Manuskript für dieses Buch hat meine Frau in den unterschiedlichsten Entwicklungsphasen regelmäßig gegengelesen. Bei unserer leidenschaftlichen Debatte über die von mir zusammengetragenen Fakten sagte sie irgendwann den Satz: »Man sieht das Patriarchat vor lauter Autos nicht mehr.« Der Ausspruch passt zu einem Zitat des Autors Christian Dittloff, der in seinem Text »Prägung« einst schrieb, dass sich »die patriarchale Zurichtung vor unser aller Augen versteckt«. Die seltsame Anziehungskraft, die Automobilität erst auf einflussreiche Männer und dann in der Folge auf männliche Autofahrer ausübt, ist das Symbol dieser patriarchalen Zurichtung. Sie blockiert vor allem die Verkehrswende, die dieses Land und das Klima so dringend brauchen. Sie belastet aber auch die Menschen, die sich im öffentlichen Raum bewegen. Häufig ohne es zu bemerken, leiden auch und vor allem Männer unter dem autozentrierten System. Angespornt von Statusdenken, von Sehnsucht nach Autarkie, getrieben von Leistungs- und Konkurrenzdruck, flüchten sie in eine teure automobile Ritterrüstung, um den multiplen Erwartungen an Männer in unserer Gesellschaft gerecht zu werden. Deshalb zieht sich durch alle Kapitel dieses Buchs ein Grundrauschen: Es erzählt immer wieder leise davon, dass Männer Entlastung erfahren und als Mensch gewinnen, wenn sie sich von der stereotypen Autofixierung emanzipieren.
*Wenn nicht explizit Männer (als Untersuchungsgegenstand dieses Buches) angesprochen sind, bemühe ich mich, mit meinen Formulierungen alle Menschen einzubeziehen. Dieser Versuch stößt allerdings immer dort an Grenzen, wo die amtliche Statistik ins Spiel kommt. Zwar sind Daten erhebende staatliche Stellen seit Ende 2018 verpflichtet, die Einträge »divers« sowie »ohne Angabe« entsprechend zu erfassen und in der Statistik abzubilden. Bei der Recherchearbeit für dieses Buch bin ich allerdings durchweg ausschließlich auf die Optionen weiblich und männlich gestoßen.
**Als androzentristisch werden männliche Lebensmuster und Denksysteme bezeichnet, die zur Norm erklärt werden.
***Eine Ausnahme in Europa bildet lediglich die Isle of Man in der Irischen See, die der britischen Krone unterstellt ist.
Teil I
Der patriarchale Unterbau – wo alles seinen Anfang nimmt