Männer sind Gänseblümchen - Lise Gast - E-Book

Männer sind Gänseblümchen E-Book

Lise Gast

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Beschreibung

"Männer sind Gänseblümchen. Es gibt sie überall. Sie sind nicht gerade hochoriginell, sie sind halt Männer – auch austauschbar, weil sie einander so ähnlich sind" sagt Tante Nanina zu ihrer Nichte, die kurz davor steht mit einem verheiraten Mann zu vereisen. Wo soll diese Affäre nur hinführen? Während der Reise zu zweit durch das schöne Österreich wechseln turbulente Begebenheiten, abenteuerliche Begeisterung und bittersüßer Schmerz einander ab – und irgendwie geschieht dann doch alles ganz anders als es eigentlich hätte sein sollen... - Eine humorvolle Geschichte, die in sanften Tönen über die Lieblichkeit des Lebens berichtet.Lise Gast (geboren 1908 als Elisabeth Gast, gestorben 1988) war eine deutsche Autorin von Kinder- und Jugendbüchern. Sie absolvierte eine Ausbildung zur landwirtschaftlichen Lehrerin. 1933 heiratete sie Georg Richter. Aus der Ehe gingen 8 Kinder hervor. 1936 erschien ihr erstes Buch "Tapfere junge Susanne". Darauf folgen unzählige weitere Geschichten, die alle unter dem Pseudonym Lise Gast veröffentlicht wurden. Nach Ende des zweiten Weltkriegs floh Gast mit ihren Kindern nach Württemberg, wo sie sich vollkommen der Schriftstellerei widmete. Nachdem sie erfuhr, dass ihr Mann in der Tschechoslowakei in einem Kriegsgefangenenlager gestorben war, gründete sie 1955 einen Ponyhof und verwendete das Alltagsgeschehen auf diesem Hof als Inspiration für ihre Geschichten. Insgesamt verfasste Gast etwa 120 Bücher und war neben ihrer Tätigkeit als Schriftstellerin auch als Kolumnistin aktiv.-

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Lise Gast

Männer sind Gänseblümchen

Roman

Saga

Ebook-Kolophon

Lise Gast: Männer sind Gänseblümchen. © 1971 Lise Gast. Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen 2016 All rights reserved.

ISBN: 9788711509746

1. Ebook-Auflage, 2016

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com - a part of Egmont, www.egmont.com.

Als ich die Handbremse anzog – der Platz vor dem Altersheim ist ein wenig bergig, und der Wagen sollte nicht etwa rückwärts in die schön gepflegten Rabatten hineinrollen –, als ich also die Handbremse zog, überlegte ich einmal: Tust du es? Sprichst du drüber? Wenn es erst ausgesprochen ist, wird es wahr. Solange man noch mit niemandem, mit nie-niemandem darüber gesprochen hat, gehört es einem noch, und man kann selbst entscheiden. Wenn man es aber erzählt hat ... Und warum bin ich hergefahren? Bitte? Um zu erzählen. Um zu fragen. Um mich beraten zu lassen. Um vielleicht – vielleicht noch zu dem Entschluß zu kommen: Finger weg davon. Erspar es dir. Erspar dir Unruhe, Enttäuschungen, Schmerzen ...

Oder nicht?

Doch. Also.

Ich öffnete das Schloß des Sicherheitsgurtes, streckte die Beine aus dem Wagen und stand draußen. Wühlte, wieder zurückgebückt, auf den hinteren Sitzen zwischen dem bekannten Reiseallerlei, das sich bei mir immer ansammelt – also wenn ich nicht mehr allein fahre, muß das anders werden –, und zog schließlich, wer sagt denn, daß ich nie etwas finde – die Pralinenschachtel heraus, die ich Tante Nanina zugedacht hatte. Keine schnellgekaufte Allerweltsmarke, sondern ein bestimmtes, langgesuchtes, endlich gefundenes Schokoladenkonfekt, ingwerhaltig, das Tante Naninas Magen guttun würde. Ich habe in mancher Beziehung ein gutes Gedächtnis, für Gedrucktes und für Menschen und ihre Eigenheiten. Wenn ich ein Gedicht gelesen habe, das mir gefällt, erinnere ich mich später, ob es auf der rechten oder linken Seite, oben oder unten im Buch steht, wie die Verse abgeteilt sind und ähnliches. Und bei Menschen, nun, da merke ich mir kleine Schwächen, Vorlieben und Eigenarten ohne mein Zutun, fast gegen meinen Willen ... Tante Nanina ist Baltin, und die Gastfreundlichkeit dieses Volkes ist ja bekannt. Ihre Mutter besaß ein Büchlein, in dem alle Pahlens und Wistinghausens, Heykings und Löringhoffs und wie sie sonst alle hießen, aufgezeichnet waren, hinter jedem Namen drei leere Spalten. In die schrieb sie: Etwa – Onkel Jeromin Stackelberg, Schmandbonbons, Sechserbock am Schwedenhügel, Trabergespann. Da wußte man, neben wem er bei Tisch sitzen mußte, um sich gut zu unterhalten, und was man ihm abends auf den Nachttisch stellte, wozu man ihn bei der Jagd »bat«. Gäste wurden zu ihren Lieblingsbeschäftigungen gebeten, ein wahrhaft königlich gastfreies Land.

Solch ein Buch hätte ich nicht gebraucht. Wenn mir jemand, der mir nahesteht, gelegentlich sagt, daß er Muskatnuß über Rosenkohl liebt, einen Hauch nur, aber ohne den sei der ganze Rosenkohl nichts wert – dann weiß ich das ohne Mühe zehn Jahre später noch. Und wenn ein anderer irgendwann einmal geäußert hat, die besten Seiten aus Thomas Manns »Josef und seine Brüder« seien die ersten sechzig, die so schwer zu lesen sind, dann steht mir bei Nennung seines Namens sofort dieses Buch vor Augen, mit dem gelbbräunlichen Einband aus grobem Leinen und dem Kopf des bärtigen Mannes darauf.

Mein Gedächtnis ist aber in anderer Beziehung bedauerlich löchrig, ja, fast ein Faß ohne Boden, so daß ich mich schäme, es einzugestehen. Ich bin unfähig, mir auch nur das geringste zu merken, was Geld oder Geldsachen betrifft. Ich kann keinen Zinseszins ausrechnen und stolpere alljährlich über die einfachsten Dinge der Steuererklärung, die ich immer wieder von neuem zu lernen gezwungen bin. Wenn meine Verleger ahnten, wie unwissend ich in Geldsachen bin, ich weiß nicht, wie sie reagierten. Sie würden mich vermutlich entmündigen lassen. Aber der liebe Gott hat seine Gaben ungleich an mich verschwendet, hier reichlich und da außerordentlich spärlich. Er wird wissen, warum.

Aber wohin gerate ich! Bleiben wir bei Tante Nanina, der Leiterin des Altersheims in Oberbayern, die jetzt vor mir stand – groß, schön, mit vollen Schultern unter der seidenen Bluse und dunkelblondem, noch nicht ergrautem Haar – wie hergehext stand sie da, als habe sie meine überraschende Ankunft geahnt. Sie lächelte mir zu, als ich den Kopf wieder aus dem Auto zog, in das ich zurückgetaucht war, und nun blieb mir keine Wahl mehr. Ich fühlte ihre Arme um mich und hörte ihre Stimme im geliebten, oft kopierten, nie erreichten Baltendeutsch: »Kind, Kindchen – wie härrlich! Komm härrein!«

Es ist schon so: je älter man wird, desto lieber hört man sich ›Kind‹ nennen. Solange man wirklich eins ist, haßt man es. Später wird es immer köstlicher.

Tante Nanina ist, so meine ich, die einzige, die noch Kind zu mir sagt. Wir gingen ins Haus.

Und dann saßen wir uns in ihrem Zimmer gegenüber. Hell war es hier, luftig, die Balkontür geöffnet, und der Blick ging über sich schon leise färbende Wälder. »Schön wohnst du«, sagte ich, »ein unvergleichlicher Blick! Und du betreust lauter alte Damen? Daß ihnen das gefällt, glaub’ ich ohne Frage. Aber dir? Gefällt es dir auch?«

Sie sah mich an, den Kopf ein ganz klein wenig schief haltend.

»Ich habe noch nie darüber nachjedacht, ob es mir jefällt«, sagte sie. »Aber wenn ich darüber nachdenke, ja, dann jefällt es mir.«

Ich sah sie an. So war sie immer. In guten Zeiten – ja, die Zeiten sind gut. In bösen – und was für böse hatte sie ertragen müssen! – nun, sie sind von Gott geschickt. Tante Nanina blieb auch mit Kopftuch und abgerissenem Flüchtlingskleid Tante Nanina.

Ich schaute mich um: Bücher, ein Schreibtisch, Bilder darauf. Ein Herr, breites, geprägtes Gesicht, Augen, die in eine große Weite zu sehen schienen. Er war tot – seit langem. Daneben die silbergerahmte Fotografie von drei Jungen, alle in Matrosenblusen.

»Deine Söhne – wie geht es ihnen?«

»Danke, gut. Der älteste ist in Brasilien. Ich möchte da nicht wohnen, ich müßte immer denken: ›Schlangen!‹, er sagt, das sei Unsinn, aber ich glaube es nicht. Hans Heinrich ist in Bonn. Ihn sehe ich selten ... Aber Johannes. Ja, er war immer ein zärtliches Kind. Er ruft jeden Abend an.«

Ich nahm einen Anlauf.

»Tante Nanina, ich bin gekommen ...«

»Härraus damit! Wo tut es weh?« Es war wie eh und je, man brauchte nicht darum herumzureden.

»Ach, Tantchen, mein Herz ist in einen Dornbusch gefallen. Du weißt, Sankt Nikolaus in Not, von Timmermans. Du hast es uns immer vorgelesen, am Nikolaustag ...

Ich habe mich verliebt, Tante Nanina. Stell dir vor, in meinem Alter! Entsetzlich. Verliebt in einen – nun etwas jünger ist er als ich, auch das noch. Es ist fürchterlich, und ich würde es niemandem sagen als dir. Ich schlage mich schon eine ganze Weile damit herum. – Und er ist auch noch dazu Buchhändler.«

»Warum ›noch dazu‹? Buchhändler ist besser als Viehtreiber oder Walfischfänger.«

»Findest du wirklich?« Ich atmete auf. »Ich ja auch. Im Grunde ist das doch ein schöner Beruf ...

Aber sonst – o Tantchen. Es ist bestimmt die zweitgrößte Dummheit meines Lebens, und das will etwas heißen. Ich kann nichts dafür. Ich bin da hineingeschlittert wie – nun, es flog mir an wie eine Ohrfeige. Klatsch, da war es geschehen. Und ich wollte doch nie wieder ... Im Grunde wollte ich schon, verstehst du?« Unter Tante Naninas Augen wurde einem alles klar, schon damals, als ich noch ein Kind und sie die angebetete, schöne, soeben verlobte junge Erwachsene war. »Ich war«, fuhr ich fort, »wie soll ich das erklären, sogar bereit für so etwas. Die Kinder sind groß, Jochen ist zur Zeit in Kanada, nicht für immer, bewahre, nur für höchstens fünf Jahre, mit Frau und Kind, und Imma hat den zweiten Sohn. Ich war dort, solange ich gebraucht wurde. Ich werde ja immer wieder einmal gebraucht. Aber doch nicht ständig. Ich bin jetzt das, was man frei nennt – frei zu bisweiliger Verfügung. Wunderschön, endlich erreicht. Ich kann aufstehen und schlafengehen, wann ich will, ohne jemanden zu stören, die Nächte durcharbeiten oder überhaupt nichts tun, die Butter sparen oder verschwenden. Ich bin da, endlich da, wohin man sich jahrzehntelang gewünscht hat, da ist man natürlich bereit, sich nach so langen Jahren wieder um die Männer zu kümmern. Endlich wieder; ich fand es immer schade, keine Zeit für sie zu haben. Aber ich nahm es eben hin, so wie man in den unvergessenen, gräßlichen Zeiten hinnahm, daß man nie satt wurde und kein einziges Kleid besaß, in dem man einigermaßen menschlich aussah.

So, nun hast du also wieder Zeit dafür, dachte ich, als Imma geheiratet hatte, und höchst vergnügt ging ich hin und kaufte mir ein tolles Sportkostüm, eine betäubend schöne lange Hose, und, mein Traum seit je, eine Lederjacke. Ging zum Friseur, erbat eine neue Frisur, suchte mir ein teures Make-up aus und startete, nicht zum Männerfang, so nicht, Tante Nanina, aber hinein in ein neues Leben. Und zu dem würden, so glaubte ich zuversichtlich, auch Männer gehören.

Ich behielt recht. Daß ich mich aber verliebte, und so sehr, und was dann wurde, und was noch werden würde – ich hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht, sozusagen. Und nun sitze ich da ...

Also er ist Buchhändler. Nicht sehr groß, jedenfalls kleiner – etwas kleiner als ich. Mich hat die Natur ja mit einer ziemlichen Größe ausgestattet, das ist nämlich gar nicht sehr leicht für eine Frau zu ertragen. Die passenden Männer sind für eine große Frau gar nicht so zahlreich.

Nun, sehr viel kleiner als ich ist er nicht, eine Handbreit vielleicht, höchstens, wirklich. Breit in den Schultern, also – nun sagen wir: untersetzt, nicht klein. Denn mit kleinen Männern habe ich noch nie zu tun gehabt und auch etwas Angst davor; ein mir sehr lieber Bekannter von früher, der übrigens auch nicht groß ist, hat mir dereinst gesagt: ›Hüte dich vor kleinen Männern, sie sind gefährlich.‹

Also Vorsicht! Und keinerlei Erfahrung auf meiner Seite! Aber der Blitz schlug ein, wahrscheinlich, weil mich der Blitz seiner Augen traf, wenn ich einmal poetisch werden darf. Nüchtern gesprochen: sofern man Farben steigern kann, hat er die aller- aller-, allerblausten Augen der Welt. Es gibt keine Möglichkeit, sich blauere vorzustellen. Kein Friderizianisches Blau, das wäre zu streng. Kein – doch, am ehesten ein Chagall-Blau. Vielleicht kannst du dir dieses Blau vorstellen. Nicht einmal die Brille stört oder schwächt ab.

Tante Nanina, fürchte nicht, daß ich ins Schwärmen gerate, aber ich muß dir doch einen Begriff davon geben, was mir geschah. Sein Gesicht ist rund, gleichmäßig braun und von einer freundlichen Bubenhaftigkeit. Ja, das trifft es am ehesten. Haar ziemlich kurz und schon graudurchsetzt. Der Mund ... der ist nächst den Augen das Bemerkenswerteste an ihm. Schmal ausgespart und beweglich in den Lippen wie der eines Lehrers oder Schauspielers, in den Winkeln ein wenig heruntergezogen, was einem anderen Gesicht, wie man annehmen könnte, einen etwas melancholischen Ausdruck geben würde. Ihm nicht, erstaunlicherweise. Die Art, wie er einen, nachdem er gesprochen hat, ansieht, hat etwas Aufforderndes, Fragendes – auf jeden Fall aber etwas Unverwechselbares. Ich höre lieber auf, Tante Nanina, von seinem Aussehen zu sprechen, ich merke wieder einmal, wie schwer es ist, ein Gesicht zu beschreiben, so zu beschreiben, daß der Zuhörer es sich so vorstellt, wie man selbst es sieht.

Seine Buchhandlung ist nicht die unseres Städtchens. Sie liegt in der Universitätsstadt, die ich gut kenne, weil Jochen eine Zeitlang dort studierte. Ich war auf der Durchfahrt und wieder einmal auf der Jagd nach einem bestimmten Buch, das ich früher sehr geliebt habe. Falls man es wirklich bekommt, ist es vielleicht eine Enttäuschung. So wie einem das manchmal auch mit Menschen geht, die man lange nicht gesehen hat. Es ist nicht die Universitätsbuchhandlung, nein. Eine kleine, am Markt, winzig, schmal, so breit wie die Tür, durch die man hineingeht. Ich ging also hinein, in die Buchhandlung – und in mein Schicksal.«

Tante Nanina lächelte.

»Das erste, was mir auffiel, war, daß er nicht aufstand. Er saß auf einem Schemel, die Beine gespreizt, die Ellbogen auf den Knien, und horchte auf den Plattenspieler, der ein Lied von Brecht spielte.

›Das war die Hanna Kasch, mein Kind ...‹

Es ist hinreißend im Rhythmus, auch im Text, man vergißt es nie, wenn man es ein einziges Mal gehört hat. Hier kann man die Platte nicht kaufen, nur im Osten. Ich muß es haben, unbedingt. Vielleicht kauf’ ich mir wegen dieser einen Platte ein Tonbandgerät, um die Hanna Kasch aufzunehmen.

Das also spielte er und hörte zu. Ich blieb stehen, es war ziemlich dunkel im Raum, und hörte zu.

›Toll‹, sagte ich, als es zu Ende war, ›ganz, ganz toll. Woher ist das?‹

Er sah auf und mich an. Er trägt eine Brille, die er manchmal auf die Stirn hinaufschiebt, und er hat tiefliegende Augen. Sein Gesicht ist rund, das sagte ich schon. Er sah mich an.

›Nicht wahr?‹ fragte er und sah mich weiter an. ›Brecht. Die Hanna Kasch. Ich hab’ den Text hier.‹

Er langte ein Buch vom Regal, Brechts gesammelte Werke, erster von zehn Bänden, schlug es auf.

›Bitte.‹ Ich nahm das Buch, er setzte den Saphir neu auf.

Das war die Hanna Kasch, mein Kind,

die die gentlemen eingeseift ...

Ich las mit. Ein paar Strophen fehlen auf der Platte. Wir hörten das Lied zu Ende.

›Und das kennt hier niemand‹, sagte er und legte den Tonarm herum, ›was wollten Sie übrigens?‹

Er fragte das so, daß ich merkte, es war ihm gleichgültig, ob ich etwas kaufte oder nicht. Ich fühlte, wie verwandt mir das war – mir ist es auch gleichgültig, ob mein Buch groß herauskommt und ein Bestseller wird oder nicht – wenn es nur so wird, wie ich will – wenn nur ich damit einverstanden sein kann. Ich merkte eine überraschende Verwandtschaft der Einstellung bei ihm und mir. Noch wollte ich es nicht glauben –

Ich nannte das Buch, er tauchte in das Dunkel seines Lädchens hinein und blieb eine Weile verschwunden. Ich stand und fühlte noch den Rhythmus des Liedes in mir nachklopfen.

Durch fünfzig Jahre in Regen und Wind

sie schliefen in einem Bett ...

›Hier.‹ Er war wieder aufgetaucht, hielt mir das Buch auf flacher Hand entgegen. Ich nahm es. ›Kostet?‹ Er nannte den Preis. Als ich bezahlt hatte und mich zur Tür wandte, fühlte ich plötzlich, daß ich nicht gehen konnte. So jedenfalls nicht. Irgend etwas hielt mich zurück, ganz stark. Ich drehte mich um.

›Nun?‹ fragte er, und diesmal sah ich ein Lächeln in seinen Augenwinkeln. Nur da. Der Mund lächelte nicht mit. Ich habe das ganz genau wahrgenommen.

›Ich möchte – kann ich den Brecht bekommen, ich meine, den ersten Band? Nicht gleich alle zehn‹, es war mir peinlich, das zu sagen. Aber ich brachte es heraus.

›Gewonnen‹, sagte er.

›Was gewonnen?‹ fragte ich.

›Meine Wette.‹

›Wette? Gegen wen?‹

›Gegen mich selbst. Ich habe gegen mich selber gewettet, daß Sie das Buch kaufen. Bert Brecht, erster Band. Und gewonnen. Bitte!‹

Er hatte den Band bereits eingeschlagen, in das Spezialpapier seiner Buchhandlung. Es ist ein sehr geschmackvolles Einschlagpapier, golden, mit den bekanntesten Bauten der Stadt bedruckt, das heißt mit Graphiken dieser Bauten. Stiftskirche, Schloß – sehr schön, eigenartig. Nichts für das große Publikum, wie er mir später sagte. Er hat nicht viel übrig für das große Publikum, mehr für das erlesene. Das hat er nie gesagt, aber man merkt es. Ich schaute das Papier an.

›Schön. Ich meine das Papier.‹

›Wieder gewonnen‹, sagte er, und diesmal lächelte sein Mund mit. ›Ich wußte wiederum, daß Sie das sagen würden.‹

›Und was werde ich als nächstes sagen?‹ fragte ich, ein wenig ärgerlich. Das erstemal hatte es mir Spaß gemacht, das zweitemal irritierte es mich. Er lachte jetzt richtig.

›Wenn ich es vorher sage, tun Sie es natürlich nicht. Schade. – Also dann. Noch einen Wunsch?‹

Ich zögerte. Dann ging ich. Erst langsam, dann schneller, schnell, wie auf der Flucht. Aber ich wußte schon, daß es zu spät war.«

Ich schwieg. Ich hatte eigentlich gar nicht gemerkt, daß ich erzählte, richtig erzählte, als schriebe ich. Aber mir hatte jemand zugehört! Wenn man schreibt, hört einem keiner zu, und man kann korrigieren und wegstreichen und einfügen und neu schreiben. Wenn man schreibt, ist man sehr allein, das ist schön, aber auch schwer. Ich hatte erzählt, wie ich manchmal schreibe, wenn ... nein, der Musenkuß ist allzu abgedroschen. Also, nicht: wenn mich die Muse, das verdammte Frauenzimmer, endlich wieder einmal geküßt hat, so daß das Buch sich wie von selbst schreibt, sondern es war so, als wäre ich im Flugzeug, das sich gerade vom Boden hebt. Dieses Gefühl habe ich manchmal beim Schreiben. Erst rollt man, mühsam und vom Motor des Willens angetrieben, auf dem Boden entlang, und es rumpelt und holpert, und man möchte den ganzen Kram an die Wand schmeißen. Nur die Ausdauer, der Beharrungswille treibt einen weiter – nicht aufgeben, nicht nachlassen. Und dann auf einmal, ohne eigenes Zutun, ganz von selbst, hebt sich das Flugzeug. Dann schreibt man manchmal Stellen, über die man sich später wundert. Die sollen von einem selbst stammen? Das geht übrigens auch berühmten Leuten so. Ich habe Berichte bei Storm und Fontane gefunden, in denen sie ähnliches sagen.

»Zu spät«, sagte Tante Nanina, als ich schwieg. »Du meinst, da warst du schon verliebt?«

»Genau. Du verstehst noch immer alles, vor allem alles Ungesagte«, sagte ich und seufzte auf. Dann war wieder eine Weile Stille zwischen uns.

Mit Tante Nanina kann man schweigen, das ist so wunderbar. Sie hört, was man sagt, und auch das, was man nicht sagt, und wenn man dann miteinander schweigt, weiß man genau, daß sie mitgeht. Neben einem. Im gleichen Schritt, in der gleichen Geschwindigkeit. Man kommt also zur gleichen Zeit zum Ziel.

»Willst du raus?« sagte sie also, als wir beide an dieser Stelle angekommen waren. Der springende Punkt: wollte ich? Will ich? Jetzt aber ehrlich!

Ich weiß nicht, ob ich rauswollte, wie sie es nennt. Anfangs nicht, später doch. Als ich merkte, was draus wurde. Ich bekam sozusagen Angst vor der eigenen Courage. Aber dann ...

»Tante Nanina, was hältst du überhaupt von Männern?« fragte ich jetzt. Ich fand, das mußten wir erst einmal klarstellen. Sie sah mich an.

»Männer sind Gänseblümchen«, sagte sie dann. Sie sagte es lieb und freundlich und mit einem warmen Licht in ihren schönen Augen; wie schön sie immer noch sind, sah ich erst da. Ihre Antwort überraschte mich jedoch so, daß ich erst einmal zurückfragte:

»Wie? Was meinst du, Tante?«

»Ich meine es so, wie ich es sage. Männer sind Gänseblümchen. Es gibt sie überall, sie sind nicht gerade hochoriginell, sie sind halt Männer. Aber stell dir einen Rasen ohne Gänseblümchen vor, das gibt es, aber, mon dieu! Nichts für unsereinen, wahrhaftig. Langweilig, langweilig. Trotzdem, so umwerfend sind sie auch wieder nicht. Auch austauschbar, weil einander so ähnlich. So ungefähr, verstehst du.«

»Austauschbar? Tante Nanina ...«

»Erbarmung, versteh mich nicht falsch. Nicht: Ist es nicht Max, so ist es Moritz. Nein, anders. Im Grunde sind sie alle gleich – oder doch ähnlich, wie ich schon sagte. Das Besondere bekommen sie erst durch uns. Dadurch, daß wir uns in sie verlieben. Das macht sie unverwechselbar. Aber erst das. Vorher – nun, Gänseblümchen. Stimmt’s?«

»Ich glaube. Aber er, Tante, er ist anders als andere, glaube mir. Er ist ...«

Tante Nanina lachte. Sie lachte so herzlich und so lieb und vergnügt, daß ich abbrach und auch lachen mußte. Dann machte sie Tee. Baltinnen machen immer Tee, und es gibt Konfitüre dazu. Wir schwelgten. Schließlich kamen wir zum Thema zurück.

»Es geht noch weiter, Tante. Hast du Zeit?«

»Für dich immer. Erzähl.«

Wir rauchten beide. Tante Nanina selbstgedrehte Papyrus, süß parfümiert, ich die üblichen mit Filter. Er raucht übrigens nicht.

»Ja, also, kurz und gut – oder lang und schlecht, es wurde mir zuviel. Ich fuhr von da an, zu meiner Schande muß ich es gestehen, ziemlich oft in jene Stadt. Ich hatte merkwürdigerweise dort dauernd was zu tun. Und Bücher zu kaufen. Und mich nach Schallplatten zu erkundigen – na ja. Ich hoffe, ich habe es im Rahmen gehalten. Er war nett, freundlich, besorgte mir, was ich brauchte, und ich ...

Ja, mir genügte es nicht. Ich wollte mich einmal lange und ungestört mit ihm unterhalten. Wer ich bin, wußte er natürlich bald. Er sagte ein paar recht kluge Sachen über meine Bücher. Ich schlug ihm vor, wir sollten uns doch einmal abends treffen, aber es wurde nie etwas daraus. Einmal war ich bei Bekannten eingeladen, einem Verleger, mit dem ich schon jahrelang arbeite, da war er auch da. Ich habe den ganzen Abend keinen vernünftigen Satz herausgebracht, so verwirrt war ich. Das macht ja auch keinen guten Eindruck.«

Ich schwieg. Ob Tante Nanina merkte, warum ich hier schwieg? Sie merkt sonst alles. Aber dies konnte sie wirklich nicht wissen, was ich hier überging – unterschlug – ausließ. Dies aber mußte ich auslassen. Hastig fuhr ich fort: »Ich kam also nicht vorwärts. Nichts zu machen. Ich grämte mich. Ich ärgerte mich. Ich wütete. Und dann beschloß ich, ein für allemal Schluß mit ihm zu machen. Schließlich und endlich – wer bin ich denn?

Aber mach du mal Schluß, wenn dein Auto aus irgendeinem Grund eben immer wieder nach Tübingen will, und du sitzt drin und kannst nichts machen. Da kannst du dir hundertmal an einem Tag vornehmen, am nächsten nicht zu fahren, das Auto hat seinen eigenen Schädel.

Ich müßte einen Strich ziehen. Einen dicken. Mir selbst die Tür vor der Nase zuschlagen. Am besten wegfahren, weit weg.

Aber wenn man wegfährt, kann man umdrehen. Ganz plötzlich – in Göppingen oder in München oder in Bozen – auf einmal kopf- und grundlos umdrehen und zurückfegen, was der Motor hergibt ...

Also nicht allein wegfahren. Zu zweien. So, daß man nicht umdrehen kann. Daß man sich genieren müßte, wenn man es täte. Genieren ist gut. Gegen Genieren kommt man nicht an.

Aber mit wem? Ich überlegte. Mit dir zum Beispiel, aber du hast keine Zeit. Die Kinder auch nicht. Freundinnen? Alle haben einen Beruf oder eine Familie. Sie sind Omas fürs Grobe, helfen bei den Kindern, wie ich manchmal auch. Ich mußte also jemanden finden, der Zeit hat. Anzeige in die Zeitung, warum nicht. Auf diesem nicht mehr ungewöhnlichen Wege ...

Ich annoncierte, nach langem Überlegen. Ich hab’ die Anzeige hier, du kannst sie lesen:

Nicht mehr junge Graphikerin wünscht sich Reisepartnerin oder -partner für vierzehn Tage Österreich. Getrennte Kasse, hoffentlich gemeinsame Interessen. Bedingung: Unter gar keinen Umständen verfrühte Rückreise. Zuschriften unter Chiffre.«

»Und warum ›Graphikerin‹?« fragte Tante Nanina.

»Weil – ich wollte nicht ›Schriftstellerin‹ schreiben. Das klingt so – jeder, der einen Artikel im Käseblatt veröffentlicht, nennt sich Schriftsteller. Ja, auch wer noch nie mit Druckerschwärze in Berührung gekommen ist, glaubt, ›das auch zu können‹, wie mir immer wieder versichert wird. ›Ich habe nur nicht so viel Zeit wie Sie, aber ich könnte schreiben – also mein Leben, ein Roman!‹ höre ich immer wieder. Ich mag das nicht, es ist mir gräßlich wie eine Qualle.

Deshalb also habe ich gemogelt. Ich konnte das ja jederzeit richtigstellen, wenn ich den Reisepartner gefunden hatte. Ob er nun mit einer Graphikerin oder einer, die ihr Leben auf der Spitze ihrer eiligen Feder balanciert, nach Österreich fährt, konnte ihm gleichgültig sein.«

»Natürlich. Gut, gut. Und du bekamst Zuschriften?-

»Ja, eine Menge. Viele blöde. Auch ein paar nette. Studenten beispielsweise, die mir das Chauffieren abnehmen wollten, oder reiselustige junge Mädel. Ein emeritierter Studienrat, der kunstgeschichtlich interessiert ist. Den hätte ich gern genommen. Dann aber kam ein Brief ...«

»Nun?«

»Ja, du glaubst es nicht. Ich würde es ja auch nicht glauben, wenn ich es nicht erlebt hätte. Es ist aber tatsächlich so. Das Leben erfindet die tollsten Pointen. Also stell dir vor: er schrieb. Er! Ich fiel beinah auf den Rücken. Seine Schrift kenne ich natürlich, aber ich glaubte zunächst an eine Ähnlichkeit, die mich äffte – du weißt, im Faust heißt es – ›Du siehst mit diesem Trunk im Leibe ...‹ Kaum kriegte ich den Umschlag auf. Das konnte, konnte ja nicht wahr sein, dachte ich.

Verehrte Unbekannte, schrieb er, der Zufall habe ihm die Anzeige in die Hand gespielt, man sollte auf Zufälle achten. Er sei in der Lage, sich für vierzehn Tage freizumachen, Österreich habe ihn immer gelockt, und er würde gern einmal auf und davon gehen. Das schrieb er wörtlich. Du kannst dir denken, daß dieser Satz das Fest ein wenig trübte. Ob er auf und davon will, weil ich ...

Aber so oft war ich gar nicht dort, Ehrenwort, Tante. Höchstens zweimal die Woche. Allerhöchstens. Gar so oft ist das doch nicht, wenn man denkt, wie andere dem Buchhändler die Tür einrennen.

Kannst du dir vorstellen, daß jemand ausreißen will, weil er zweimal in der Woche für zehn Minuten besucht wird, von einer Dame, die nichts will als Bücher kaufen und ein bißchen, ein bißchen über Bücher sprechen? Gespräche sind es, Tante, nach denen ich hungere, Gespräche über Bücher, ich brauche das. Warum fahre ich denn jährlich auf die Buchmesse, stürze mich in dieses Getümmel, lasse mich drängeln und schubsen und halb totdrükken? Um mit Gleichgesinnten zu reden. Warum lese ich in Volkshochschulen oder Bibliotheken? Wegen des Geldes oder der Publicity? Nein! Um hinterher, es klappt nicht immer, aber doch manchmal, ein Gespräch führen zu können, mit dem Veranstalter, mit irgendeinem Interessierten, mit jemandem, der ein Autogramm wollte und dann stehenbleibt – und über Bücher spricht.

Ich brauche Gespräche. Und die Vorstellung, mit ihm stundenlang im Wagen zu sitzen, ungestört, und über Bücher reden, die hat schon etwas an sich, was mich verlocken könnte, nicht nur nach Österreich, sondern bis ans Ende der Welt zu fahren, mit ihm ...

Aber, nicht wahr, daß er meinetwegen ausreißen will, das glaubst du doch auch nicht?«

»Nein«, sagte Tante Nanina sehr bestimmt, »deshalb reißt er nicht aus. Vor einer Dame, die nichts will als Bücher kaufen ...« sie blinzelte. »Noch dazu, wenn sie so aussieht wie du ...«

»Tante, ich weiß. Immer den Finger auf die wundeste Stelle. Ich sehe nicht gern in den Spiegel, wir werden alle nicht jünger und schöner. Außer dir. Wie du das machst, weiß der Teufel. Ich ...«

»So war es nicht gemeint, Kindchen. Wirklich nicht. Ich meinte kurz und schlicht: vor dir reißt kein Mann aus. Punkt. – Und nun weiter.«

»Ja, Tante, was weiter?«

»Bist du sonst über ihn orientiert? Ich meine, hat er Familie?«

»Natürlich, Tante. Alle Männer in dem Alter sind verheiratet. Sind sie es wirklich nicht, dann haben sie irgendein Manko, sagt meine Freundin immer, die auch verwitwet ist. Frau und Kinder, wieviel, weiß ich nicht. Schon größer, in der Ausbildung.«

»Hm. Und ...«

»Tante Nanina, ich meine ja wirklich: getrennte Kasse. In jeder Beziehung. So was kann man heute. Tantchen, wir leben nicht mehr um die Jahrhundertwende. Und ich bin ja schließlich aus der Sturm- und Drangperiode so ziemlich heraus, wie Curt Goetz seinen Siebzigjährigen sagen läßt.«

»Siebzig – übertreib nicht so maßlos. – Warum bist du hergekommen?«

»Weil – ich wollte dich fragen ...«

»Und wenn ich dir jetzt, antworte? Rat mir gut, aber rat mir nicht ab, sagt die Braut. Kindchen, Kindchen, soll ich ehrlich sein?«

Ich sagte nichts. Ich sah sie nur an.

»Wenn ich ehrlich sein soll – sag ab! Fahr mit dem Studienrat. Oder mit einem jungen Mädel. Oder mit einem Studenten. Aber nicht mit ihm. Es bringt Verwirrung und Kummer, bestenfalls. Es bringt Herzeleid, Kind. Ich gebe dir Brief und Siegel darauf. Sag ab, oder antworte gar nicht. Laß den Brief unter den Tisch fallen.

Er wird es gar nicht so ernst gemeint haben. Bei solchen Anzeigen juckt es einen manchmal, zu antworten, man kitzelt den Drachen am Schwanz. ›Mal sehen, was die Dame antwortet, was für eine Schrift sie hat, wie sie sich die Sache überhaupt denkt‹, wird er geschmunzelt haben – er weiß ja nicht, daß du das bist. Und wenn keine Antwort kommt, vergißt er es.

Du sagst doch, es hätten sich mehrere gemeldet, auch blöde, wie du dich ausdrückst. Auf alle antwortet man ja wohl doch nicht.

Fahr mit einem anderen. Und kehr nicht um. Wenn du wiederkommst, sieht alles anders aus. Vierzehn Tage sind lang und gleichzeitig keine Ewigkeit. Also?«

»Wenn du meinst?«

»Ich meine. Es ist nicht, weil ich antiquierte Vorstellungen habe, etwa so: das tut man nicht. Man tut heutzutage noch ganz andere Dinge, Kind, ich weiß es, obwohl ich alt bin. Dinge, die so sind, daß ich oft bedauere, nicht mehr jung zu sein. Was für Chancen gibt das Leben heute den jungen Menschen! Und dann wieder Dinge, bei denen ich froh bin, alt zu sein, weil ich nicht mehr mitmischen muß. Weil ich sagen kann: ›ohne mich! Seht ihr zu, wie ihr damit klarkommt, ihr junges Gemüse!‹ Ich meine jetzt nicht Atombomben und solche todernsten Dinge. Nein, du verstehst schon, was ich meine, wir brauchen es nicht beim Namen zu nennen.

Mit einem Mann verreisen, in den man verliebt ist, das kann man heutzutage. Man kann es aber nicht – konnte es zu keinen Zeiten –, ohne daß die Gefahr besteht, sich das Herz zu verbrennen. Du jedenfalls kannst es nicht. Deshalb rate ich dir ab. Du bist nicht von der Art, die ein wenig Brandsalbe draufpappt und sagt: ›Na und?‹ Bei dir geht’s tief. Bei dir tut’s weh. Bei dir kann was kaputtgehen, das nie wieder heilt. Deshalb – laß die Finger davon. Verstanden?

Und jetzt einen Kognak. Du bleibst doch über Nacht? Ich meine, wegen der Promille. Schön! Hier trink, ich trink auch einen. Prost! Auf die Reise nach Österreich mit einem anderen.«

Wir tranken. Stellten die Gläser ab, sahen uns an.

»Jetzt geh’ ich schnell zum Abendbrot mit meinen Damen. Ich nehme an, du hast keine Lust, dich dort dem erstaunten Volk zu zeigen, obwohl ich dich gern vorführte. Sie kennen deine Bücher, wenigstens manche davon, und wären sicher sehr daran interessiert, dich zu sehen. Jemütlich würde der Abend aber dann nicht, denn immerzu käme eine. Wir bleiben lieber unter uns, ja? Bis nachher also.« Sie entschwand.

Da saß ich nun, Kognak vor mir und die Beichte hinter mir. Und da Tante Nanina zur Zeit nicht anwesend ist, könnte ich eigentlich nachholen, was ich vorhin verschwieg – übersprang – unterschlug. Dem Leser will ich es nicht unterschlagen, aus diesem und jenem Grund. Also.

Ich habe einmal ein Buch über Hexen geschrieben oder wollte eins schreiben, es ist dann anders geworden, als ich es plante, wie das bei mir bei Büchern häufig, so gut wie immer der Fall ist – nun, davon später. Oder auch nicht. Es gehört zu den leicht angetrübten Kapiteln meines Lebenslaufes, und ich verbreite mich nicht gern darüber. Bleiben wir beim Stofflichen, bei Hexen und Hexenkunst.

Ich besorgte mir Bücher, um mich zu orientieren, und es kam, wie es kommen mußte: ich blieb an den Büchern hängen, so ungemein interessant fand ich sie. Die ganze Materie. Faszinierend, je tiefer man sich hineinwühlte. Und absolut nicht nur im dunklen Mittelalter oder in fernen Ländern beheimatet, sondern sehr gegenwärtig. Jawohl, sehr.

Einiges hatte ich schon vorher gewußt, weil ich immer eine kleine Schwäche für dieses Gebiet hatte. Da bleibt manches hängen, das einem gar nicht bewußt wird, Kinderverse, Kinderspiele – Seltsames. Der Hexensprung zum Beispiel, das ist der Sprung mit gekreuzten Beinen, der alles Vorherige wieder aufhebt – er kommt überall vor, wo kleine Mädchen auf der Straße Hüpfspiele machen. Ich habe später auch einiges gesammelt, was damit zusammenhängt, ich besitze Totems, eine Alraunenwurzel (ob sie echt ist, steht dahin), Rezepte für Liebestränke. Anleitungen, wie man mit Fotografien zaubert, wie man Krankheiten bespricht und Dämonen verscheucht.

Es ist, so glaube ich, nicht möglich, sich mit derlei Dingen intensiv zu beschäftigen und nicht